Die Crux mit der «Action Bias», oder wenn unangebrachter Aktivismus zu unnützen Behandlungen führt

Nach einem «never ending summer» sind die Tage nun wieder kürzer und die Nächte kälter geworden. Glaubt man den schlimmsten Befürchtungen, steht ein ungemütlich kalter und dunkler Winter vor der Tür. Aus Sorge vor der bevorstehenden Energienotlage rät nun sogar der Präsident der Energiekommission Brennholz und Kerzen zu horten. Ist dieser Hype gerechtfertigt, oder lediglich eine Wiederholung des Toilettenpapier Debakels der ersten Pandemiemonate? Die Antwort auf diese Frage wissen wir wohl spätestens, wenn wir uns wieder über die ersten Hitzetage im nächsten Frühling wundern. Nichtsdestotrotz habe ich kürzlich unseren Holzvorrat aufgestockt, um für das Schlimmste gewappnet zu sein. So muss ich mir wenigstens nicht vorwerfen lassen, mich unvorbereitet dieser Krise gestellt zu haben. Schliesslich hechtet ein Torwart beim Elf­meter auch in irgendeine Ecke. Würde er einfach an Ort und Stelle stehen bleiben, wären ihm Unverständnis und Hohn der Zuschauer gewiss.

Das Bedürfnis aktiv zu handeln, auch wenn es möglicherweise gar nichts bringt, ist menschlich, und wird in den Verhaltens­wissenschaften als «Action Bias» bezeichnet. Besonders ungemütlich wird es, wenn das aktive Handeln durch einen Hype befeuert wird. Jüngste Beispiele in der Prävention sind die Vitamin D-Substitution oder die Einnahme von Fischöl zur Verhinderung von osteoporotischen Frakturen und/oder kardiovaskulären Ereignissen. Hand aufs Herz, wer von uns hätte seinen Eltern oder Grosseltern bei niedrigen Vitamin D-Werten nicht zur Substitution geraten? Unser Bauchgefühl wurde bekanntlich jäh durch die Resultate der grossangelegten VITAL Studie (1) mit über 25’000 Teilnehmern korrigiert, so dass wir in Zukunft ohne Bauchschmerzen Abstand von diesen Therapien nehmen dürfen, da dadurch weder Frakturen noch kardiovaskuläre Ereignisse verhindert werden können. Auch andere Bereiche der Kardiologie unterliegen einem allgegenwärtigen «Action Bias». Denken wir nur an die allzu oft unnötigen präoperativen Abklärungen vor nicht kardialen Operationen, oder die häufig durchgeführten perkutanen Revaskularisationen bei stabilem chronischen Koronarsyndrom. Nachdem beim chronischen Koronarsyndrom der prognostische Nutzen einer perkutanen Revaskularisation bekannterweise trotz etlicher randomisierten Studien bis dato nicht gezeigt werden konnte (2), wurde jüngst unser Bauchgefühl bezüglich des Nutzens einer perkutanen Revaskularisation erneut arg strapaziert. Zum Erstaunen aller führte in der REVIVED-BCIS2 Studie eine perkutane Revaskularisation bei Patienten mit ischämischer Herzkrankeit und schwer reduzierter linksventrikulärer Pumpfunktion (LVEF ≤ 35%) nicht wie allgemein erwartet zu einer Reduktion der Mortalität oder zu weniger Herzinsuffizienz-Hospitalisationen während 3.5 Jahren (3). Kritiker der Studie mögen den «relativ» kurzen Follow-up bemängeln, oder die funktionelle Bedeutung der koronaren Herzkrankheit für die linksventrikuläre Dysfunktion in der Studienpopulation in Frage stellen. Fakt aber bleibt, dass knapp 40% aller Patienten innerhalb von 3.5 Jahren verstarben oder wegen Herzinsuffizienz hospitalisiert werden mussten, unabhängig ob sie sich einer Revaskularisation unterzogen haben oder «nur» medikamentös behandelt wurden. Angesichts dessen relativiert sich der interventionelle Aktivismus auch in diesem Bereich, sofern keine therapierefraktäre Angina pectoris Symptomatik vorliegt.

Die Ressourcen werden in absehbarer Zukunft nicht nur im Energiesektor sondern auch im Gesundheitswesen knapper und die Kosten kennen in beiden Bereichen nur eine Richtung. Evidenzbasierte Therapien von hohem klinischem Nutzen sollten deshalb konsequent umgesetzt werden. Gleichzeitig sollten wir uns hüten, einem unreflektierten «Action Bias» zu verfallen, damit wir in Zukunft nicht evidenzbasierte «low value care» minimieren können. In diesem Sinne, habe ich mich entschlossen, in Zukunft nicht in Holzvorräte, sondern in eine Solaranlage zu investieren.

 

Prof. Dr. med. Otmar Pfister
Otmar.pfister@usb.ch

Prof. Dr. med. Otmar Pfister

Otmar.pfister@usb.ch

1. Manson JE et al. Vitamin D supplements and prevention of cancer and cardiovascular disease, New England J Med 2019
2. Soares A et al. Death and myocardial infarction following initial revascularization versus optimal medical therapy in chronic coronary syndromes with myocardial ischemia: a systematic review and meta-analysis of contemporary randomized controlled trials, J Am Heart Association 2021
3. Perera D et al. Percutaneous revascularization for left ventricular dysfunction, New England J Med 2022

Epigenetik und essentielle Hypertonie

Die essentielle Hypertonie (EH) ist einer der Hauptrisikofaktoren für kardiovaskuläre pathologische Veränderungen. EH scheint bei bestimmten Ethnien und Familien häufiger aufzutreten, was auf eine genetische Komponente der Krankheit schliessen lässt. Epigenetische Mechanismen tragen zur Regulierung von Physiologie und Krankheit bei, indem sie die Genexpression verändern, ohne die Nukleotid-Basensequenz der Gene zu ändern. Epigenetische Veränderungen sind das Ergebnis des Zusammenspiels zwischen DNA und Umweltfaktoren. Diese epigenetischen Veränderungen, die offenbar zu verschiedenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einschliesslich EH, beitragen, könnten ein vielversprechender Forschungsbereich für die Entwicklung neuer Strategien zur Vorbeugung und Behandlung von EH sein.

Essential hypertension (EH) is one of the main risk factors for cardiovascular pathological changes. EH appears to be more common in certain ethnic groups and families, suggesting a genetic component to the disease. Epigenetic mechanisms contribute to the regulation of physiology and disease by altering gene expression without changing the nucleotide base sequence of genes. Epigenetic changes are the result of the interplay between DNA and environmental factors. These epigenetic changes, which appear to contribute to various cardiovascular diseases, including EH, may be a promising area of research for developing new strategies to prevent and treat EH.
Key Words: Epigenetic changes , essential hypertension, cardiovascular disease

Die essentielle Hypertonie (EH) ist einer der Hauptrisikofaktoren für kardiovaskuläre pathologische Veränderungen, die zu Herzversagen oder Schlaganfall (1, 2), Nierenschäden (3) und Gehirnfunktionsstörungen führen (4).

Die EH ist eine Erkrankung, für die es offensichtlich keine einzige spezifische Ursache gibt. Sie scheint bei bestimmten Ethnien und Familien häufiger aufzutreten, was auf eine genetische Komponente der Krankheit schliessen lässt (5).

Die plausibelste Erklärung für die Veranlagung zu EH, die in der wissenschaftlichen Literatur beobachtet und berichtet wurde, ist, dass mehrere Gene auf das Merkmal einwirken, wobei eine zusätzliche Dimension der Interaktion mit der Umwelt hinzukommt (6). In «Genome-wide» Assoziationsstudien wurden zahlreiche genetische Loci identifiziert, die jeweils nur geringe Auswirkungen auf den Blutdruck in der Allgemeinbevölkerung haben.

Epigenetische Mechanismen tragen zur Regulierung von Physiologie und Krankheit bei, indem sie die Genexpression verändern, ohne die Nukleotid-Basensequenz der Gene zu ändern (Abb. 1).

Epigenetische Veränderungen sind das Ergebnis des Zusammenspiels zwischen DNA und Umweltfaktoren

Die epigenetische Regulierung, erweist sich als einer der wichtigsten Regulatoren der Transkription spezifischer Gene, die an der Pathogenese der EH und damit verbundener Risikofaktoren wie Adipositas oder Diabetes mellitus beteiligt sind. Lebensstil und Umweltfaktoren interagieren mit dem genetischen Hintergrund und bestimmen so den Zeitpunkt des Auftretens der Hypertonie und das Ausmass des Blutdruckanstiegs.

Obwohl die EH in der Regel erst im Erwachsenenalter als ernsthafte Erkrankung auftritt, können die Anomalien, die zu ihr führen, auf Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Genen während der gesamten Entwicklung vor dem Erwachsenenalter, von den fötalen Monaten bis zum Jugendalter, zurückzuführen sein (6).

Globale und genspezifische DNA Methylierung ist eines der am besten untersuchten Merkmale aller epigenetischen Veränderungen bei EH. Die epigenetische Modulation der Genexpression durch Veränderungen der DNA-Methylierung und der Histon-Acetylierung können intrauterine Veränderungen verursachen die sich auf die Gesundheit und das Krankheitsrisiko im späteren Leben auswirken (Abb. 3).

Ein solches Szenario ist die Einschränkung der intrauterinen Ressourcen für die fetale Entwicklung, wie sie beispielsweise in Fällen von Unterernährung (7, 8) oder einer stressbedingten Verengung der Blutgefässe von Plazenta und Gebärmutter vorkommen. Das intrauterine Milieu wird auch durch die mütterliche Exposition gegenüber Nikotin, Alkohol, Pestiziden und unzähligen Drogen oder Umweltgiften beeinträchtigt.

Die epigenetische Modulation der Genexpression durch Veränderungen der DNA-Methylierung und der Histon-Acetylierung wiederum kann die Anzahl der Stammzellen, die für die Entwicklung von Nephronen bestimmt sind, verringern und eine Vorliebe für
Nierenerkrankungen und Bluthochdruck hervorrufen (9).

Diese epigenetischen Veränderungen, die offenbar zu verschiedenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einschliesslich EH, beitragen, könnten ein vielversprechender Forschungsbereich für die Entwicklung neuer Strategien zur Vorbeugung und Behandlung von EH sein. Die Epigenetik kann uns endlich zu einer Ära des umfassenden medizinischen Verständnisses führen, indem die Beziehungen zwischen dem Genom des Patienten, der Umwelt, pränataler Exposition und dem Krankheitsrisiko rechtzeitig aufgedeckt werden, so dass wir Krankheiten vorbeugen oder ihre Folgen mildern können, bevor sie ihren Tribut für die Gesundheit fordern.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Franco Muggli

Società Svizzera di Ipertensione – membro di comitato
FMH medicina interna generale
Via ai platani 4, 6943 Vezia

fmuggli@bluewin.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Epigenetische Mechanismen tragen zur Regulierung von Physiologie und Krankheit bei, indem sie die Genexpression verändern, ohne die Nukleotid-Basensequenz der Gene zu ändern.
◆ Die epigenetische Regulierung, erweist sich als einer der wichtigsten Regulatoren der Transkription spezifischer Gene, die an der Pathogenese der EH und damit verbundener Risikofaktoren beteiligt sind.
◆ Lebensstil und Umweltfaktoren interagieren mit dem genetischen Hintergrund und bestimmen so den Zeitpunkt des Auftretens der Hypertonie und das Ausmass des Blutdruckanstiegs.

1. Mozaffarian D, Benjamin EJ, Go AS, Arnett DK, Blaha MJ, Cushman M et al., American Heart Association Statistics C, Stroke Statistics S. Heart disease and stroke statistics—2015 update: a report from the American Heart Association.
Circulation. 2015;131:e29–322.
2. Morgado J, Sanches B, Anjos R, Coelho C. Programming of essential hypertension: what pediatric cardiologists need to know. Pediatr Cardiol. 2015;36:1327–37.
3. Griffin KA. Hypertensive kidney injury and the progression of chronic kidney disease. Hypertension. 2017;70:687–94.
4. Gasecki D, Kwarciany M, Nyka W, Narkiewicz K. Hypertension, brain damage and cognitive decline. Curr Hypertens Rep. 2013;15:547–58.
5. Garcia EA, Newhouse S, Caulfield MJ, Munroe PB: Genes and hypertension. Curr Pharm Des 2003, 9:1679–1689.].
6. Kunes J, Zicha J: The interaction of genetic and environmental factors in the etiology of hypertension. Physiol Res 2009, 58 (Suppl 2):S33–S41.].
7. Bodnar LM, Catov JM, Simhan HN, et al.: Maternal vitamin D deficiency increases the risk of preeclampsia. J Clin Endocrinol Metab 2007, 92:3517–3522.
8. Parra M, Rodrigo R, Barja P, et al.: Screening test for preeclampsia through assessment of uteroplacental blood flow and biochemical markers of oxidative stress and endothelial dysfunction. Am J Obstet Gynecol 2005, 193:1486–1491
9. Koleganova N, Piecha G, Ritz E: Prenatal causes of kidney disease. Blood Purif 2009, 27:48–52.

L’ imagerie cardiaque non-invasive face au syndrome coronarien chronique

L’ imagerie non-invasive du cœur joue un rôle clé dans la détection de la maladie coronarienne obstructive chez le patient symptomatique. La probabilité pré-test et des modificateurs de risque dirigent l’ algorithme diagnostic. La majorité des patients ayant une probabilité pré-test intermédiaire, le choix de la modalité non-invasive optimale revient au cardiologue et sera individualisé en fonction de certaines caractéristiques du patient ainsi que de la disponibilité et expertise locales.

Non-invasive cardiac imaging plays a crucial role to diagnose chronic coronary syndrom in symptomatic patients. Pre-test probability combined with risk modificators guide the algorithm. The majority of patients fall in the range of intermediate pre-test probability and need non-invasive imaging. The optimal modality needs to be chosen by the cardiologists taking into account patient’ s characteristics as well as local disponibility and expertise.
Key Words: Pre-test probability, risk modificators, functional cardiac imaging, myocardial ischemic burden

Introduction

La maladie coronarienne est une des causes majeures de morbidité-mortalité dans le monde et engendre des « coûts socio-économiques » importants. Afin de pouvoir détecter et traiter la maladie, on se sert de l’ imagerie cardiaque non-invasive, outil diagnostique puissant qui permet de diminuer de façon significative le nombre d’ examens invasifs. Suite à une mise à jour des recommandations de la société européenne de cardiologie (ESC) sur le syndrome coronarien chronique (1) et l’ imagerie non-invasive dans la maladie coronarienne (2), cet article a pour but d’ offrir au cardiologue un rappel de l’ algorithme diagnostique chez le patient symptomatique et de l’ aider à choisir la modalité optimale.

Quand une imagerie fonctionnelle est-elle indiquée ?

Les modèles de prédiction de la maladie coronarienne stable (MCS) obstructive ont été développés chez des personnes avec des douleurs thoraciques ou une dyspnée à l’ effort. De ce fait il est important d’ appliquer les outils de calcul de la probabilité pré-test (PPT) à ce groupe de patients. Malgré son ancienneté le diagramme de Diamond-Forrester (3) garde un rôle primordial dans l’ évaluation du risque et permet d’ orienter la prise en charge selon l’ âge, le sexe et le type de symptômes. Par contre, plusieurs études ont suggéré que la prévalence de la MCS obstructive était nettement plus basse qu’ initialement rapportée (4), raison pour laquelle les chiffres de la PPT ont été corrigés et le diagramme adapté (Diamond-Forrester modifié) (5). Le tableau 1 illustre la PPT et le choix de la modalité diagnostique proposée selon les recommandations de l’ ESC (1).

C’ est principalement dans le groupe de patients avec une PPT intermédiaire que le test fonctionnel permet de restratifier le risque et d’ en tirer une conclusion fiable. Pour une analyse plus fine, un nouveau concept dans les recommandations européennes de 2019 (1) consiste à évaluer des modificateurs de risque (MR) chez des patients avec une PPT intermédiaire basse (5 – 15 %). En présence d’ un des paramètres suivants, il est conseillé d’ aller à l’ imagerie non-invasive : présence de facteurs de risque cardiovasculaires (FRCV), ECG de repos ou d’ effort pathologique, ventricule gauche avec fonction systolique globale ou régionale anormale ou calcium score coronarien > 0 (cf. figure 1). Si aucun modificateur de risque n’ est présent ou que la PPT est très faible (< 5 %) une cause alternative aux symptômes doit être considérée. A l’ opposé devant une haute suspicion (angor typique au moindre effort ou rapidement évolutif), il est recommandé de procéder directement à une coronarographie. Dans ces deux extrêmes, les tests fonctionnels non-invasifs n’ ont pas de valeur ajoutée par rapport à l’ évaluation purement clinique. De toute manière, un ECG ainsi qu’ une échocardiographie transthoracique (ETT) au repos sont indiqués chez tout patient se présentant avec des symptômes à l’ effort et permettent soit d’ obtenir des arguments en faveur d’ une origine ischémique soit d’ orienter vers un diagnostic différentiel (bradycardie, dysfonction VG, péricardite, etc.).

Quel test choisir ?

Afin de pouvoir choisir la modalité la plus adaptée à un patient, il est important de comprendre les caractéristiques des tests disponibles détaillées ci-dessous. Ces tests sont repartis en imagerie anatomique et fonctionnelle. Pour chaque examen il existe certaines contre-indications ou des situations qui risquent de diminuer la qualité de l’ examen et donc sa valeur diagnostique.

Imagerie anatomique

CT cardiaque natif (score calcique coronarien selon Agatston) et angio-CT coronarien :
Le score calcique consiste en une mesure de la charge de calcium, reflétant l’ étendue de l’ athérosclérose de l’ arbre coronarien. L’ examen sert en premier lieu à exclure soit la présence d’ une maladie coronarienne (score calcique selon Agatston = 0) chez le patient asymptomatique avec des FRCV soit de MR chez le patient symptomatique avec une PPT intermédiaire basse. Vu l’ absence de visualisation des vaisseaux, le CT cardiaque est aujourd’ hui rarement effectué sans être couplé à un angio-CT coronarien.
L’ angio-CT coronarien est un examen synchronisé au rythme cardiaque et met en évidence les artères coronariennes épicardiques par l’ injection de produit de contraste iodé sous réserve d’ une fréquence cardiaque contrôlée et régulière (< 70bpm). L’ absence de sténose >50 % dans une artère épicardique est corrélée à une excellente sensibilité pour exclure une sténose hémodynamiquement significative (6-8). Avec le but d’ améliorer la spécificité de l’ angio-CT coronarien, des études cliniques avec mesures du flux coronarien (FFR) sont en cours et s’ annoncent prometteuses et fiables en comparaison avec la FFR invasive. Le CT coronarien est également recommandé dans une situation de syndrome coronarien aigu à bas risque (dosage de troponines HS dans la norme, ECG normal ou modification aspécifique et non-dynamique) pour en exclure l’ origine coronarienne. L’ irradiation liée à cet examen est entre 1 et 10 mSv, ce qui est considérable surtout en cas d’ imagerie répétée.

Imagerie fonctionnelle

L’ imagerie fonctionnelle proprement dite a pour but de démontrer l’ ischémie myocardique en situation de stress pharmacologique ou physiologique. L’ IRM cardiaque et le PET-CT ont démontré la meilleure valeur prédictive en comparaison au gold standard de la coronarographie avec mesure par FFR. Ce n’ est pas surprenant puisque dans la cascade ischémique le défaut de perfusion survient avant l’ apparition de troubles de la cinétique segmentaire ou d’ anomalies à l’ ECG. Ces deux modalités prennent peu à peu la place des tests plus anciens (ergométrie, scintigraphie myocardique, échocardiographie de stress). Néanmoins l’ échocardiographie de stress garde une place importante parmi les cardiologues en raison de sa disponibilité et l’ apport diagnostique global sur la fonction et la structure du cœur de même que sur la capacité fonctionnelle du patient dans le cas d’ un effort physique. Pour permettre une valeur diagnostique suffisante dans la détection de la maladie coronarienne, l’ expertise de l’ opérateur et la sélection adéquate du patient sont indispensables. Toutefois, il n’ existe pas d’ étude comparant l’ ETT de stress à la mesure invasive de la FFR. La scintigraphie myocardique est à choisir seulement dans des cas où les autres modalités sont inaccessibles ou contre-indiquées car sa performance diagnostique est moindre, essentiellement due à la mauvaise résolution spatiale des images. Le choix de la modalité se fait premièrement en fonction de la PPT, mais aussi en prenant en compte les caractéristiques du patient donné (cf. figure 3), la disponibilité régionale et l’ expertise de chaque centre.

L’ IRM cardiaque de stress permet soit l’ évaluation de la cinétique segmentaire (et parfois la perfusion) sous dobutamine, soit l’ étude de la perfusion sous vasodilatateur (adénosine), cette dernière étant la plus fréquemment utilisée. De multiples études valident la valeur diagnostique et pronostique de l’ IRM cardiaque de stress (9-11). Sous dobutamine la cinétique segmentaire est évaluée de la même façon que pendant une échocardiographie de stress. Sous vasodilatation par adénosine on cherche à révéler les résistances au flux dans les coronaires épicardiques en faisant chuter et en équilibrant les résistances microvasculaires dans les différents territoires coronariens. En effet, 90 % des résistances globales se situent dans les petits vaisseaux et ces résistances baissent de manière physiologique en aval d’ une sténose significative afin d’ équilibrer la perfusion au repos. L’ analyse de la perfusion se fait la plupart de temps de manière qualitative sur 3 – 4 coupes du ventricule gauche en court axe. Des outils d’ intelligence artificielle s’ installent peu à peu et permettront une analyse quantitative systématique dans un future proche. Un avantage conséquent de l’ IRM est la détection d’ autres atteintes cardiaques (et extracardiaques) à l’ origine des symptômes du patient (péricardite, cardiomyopathie inflammatoire ou infiltrative, effets de masse, hernie hiatale, etc.). De plus, l’ examen permet d’ évaluer la viabilité d’ un territoire myocardique hypoperfusé et de guider la revascularisation. Par contre l’ acquisition des images est relativement longue avec une durée d’ examen entre 40 et 50 minutes et peut s’ avérer difficile chez des patients ayant des difficultés à rester couchés (douleurs, dyspnée, claustrophobie). Une autre modalité est également à choisir en cas de pacemaker/défibrillateur non-conditionnel, notamment avec sondes de pacemaker abandonnées ou épicardiques ou encore en cas d’ insuffisance rénale terminale. Dans certains centres, le patient asthmatique peut aujourd’ hui bénéficier d’ une vasodilatation par regadenoson (agoniste sélectif de l’ adénosine), qui a longtemps été considérée comme contre-indiquée chez les asthmatiques.

Le PET-CT cardiaque de perfusion est une modalité onéreuse et moins disponible que les autres, mais extrêmement sensible et spécifique dans le diagnostic de la MCS notamment grâce à l’ analyse quantitative de la perfusion myocardique (12, 13). Il est effectué sous vasodilatation (adénosine ou regadenoson) à l’ aide d’ un isotope (souvent 82Rubidium) avec des propriétés comparables au potassium. Son transport à l’ intérieur de la cellule requiert de l’ ATP et corrèle au flux coronarien. L’ analyse quantitative du flux permet un calcul de la réserve du flux et de la perfusion de chaque territoire coronarien et peut démontrer une hypoperfusion globale dans le contexte d’ une maladie tri-tronculaire ou d’ une atteinte micro-vasculaire. L’ irradiation reste un désavantage, notamment chez des gens jeunes qui doivent potentiellement subir de multiples examens radiologiques à venir. Une autre faiblesse de cette modalité est l’ impossibilité de rechercher une atteinte cardiaque structurelle ou une pathologie tissulaire (inflammation, cicatrice, fibrose). La différenciation entre nécrose myocardique et myocarde hibernant nécessite par ailleurs un examen supplémentaire avec un autre traceur (FDG). Une approche émergente très intéressante est l’ imagerie hybride angio-CT coronarien/PET-CT de perfusion, car elle permet de démontrer la maladie athérosclérotique ainsi que l’ ischémie et de guider la prévention primaire et secondaire.
Il a pu être démontré pour toutes les modalités présentées ci-dessus que l’ étendue de l’ ischémie corrèle avec le pronostic et identifie les patients qui bénéficient d’ une revascularisation précoce plutôt que d’ un traitement médicamenteux seul. Les seuils suivants ont été proposés :
Pour le PET-CT une ischémie de ≥ 10 % du myocarde du VG, pour l’ IRM cardiaque un défaut de perfusion touchant ≥ 2 sur 16 segments ou un trouble de la cinétique de ≥ 3 segments au stress sous dobutamine. Pour le CT coronarien, une maladie tritronculaire avec sténoses proximales ou une sténose significative de l’ IVA proximale ou du tronc commun.

Y a-t-il encore une place pour l’ imagerie fonctionnelle après l’ étude ISCHEMIA ?

L’ étude randomisée ISCHEMIA (14) publiée en 2020 a comparé une stratégie de revascularisation invasive à un traitement médicamenteux optimal chez 5179 patients avec une ischémie significative au test fonctionnel. Elle n’ a pas montré de bénéfice pour le traitement invasif après un suivi de 3.2 ans en termes de mortalité ou d’ événements cardio-vasculaires majeurs. Ce résultat a suscité des interrogations quant à l’ utilité des tests fonctionnels, mais il est important de relever, premièrement, qu’ il ne s’ agit pas d’ une étude qui était conçue pour étudier la valeur du test fonctionnel car il n’ y avait pas de groupe contrôle (sans test ou avec test négatif), deuxièmement que la majorité des patients n’ avaient pas de symptômes ou des symptômes légers. Par ailleurs, le test fonctionnel choisi était dans 49.6 % des cas la scintigraphie. Pour finir, tous les patients avec sténose de l’ IVA proximale ou du tronc commun étaient exclus de l’ étude, ce qui diminue la probabilité de mettre en évidence au test fonctionnel une ischémie sévère. Ces résultats sont donc à interpréter de façon prudente et ne devraient pas remettre en question l’ utilité des modalités d’ imagerie fonctionnelle modernes.

Toutes les images utilisées dans cet article sont des examens ayant été effectués au CHUV par l’ auteure ou ses collègues.

Dre Sarah Hugelshofer

CHUV, Service de Cardiologie
Rue du Bugnon 46
1011 Lausanne

Sarah.Hugelshofer@chuv.ch

L’ auteure a déclaré n’ avoir aucun conflit d’ intérêts en rapport avec cet article.

◆ L’ imagerie fonctionnelle non-invasive est un outil puissant dans la détection et le suivi de la maladie coronarienne si le choix de la modalité est adapté au profil du patient et effectué par un opérateur expérimenté.
◆ En cas d’ une basse probabilité de maladie coronarienne, l’ angio-CT coronarien serait alors le premier choix afin d’ exclure une atteinte significative.
◆ L’ IRM et le PET-CT de perfusion sont des modalités optimales en cas de PPT intermédiaire. Le premier a l’ avantage de pouvoir mettre en évidence, en plus de l’ ischémie pronostique, des cicatrices ischémiques ou d’ autres atteintes myocardiques comme étiologie aux symptômes, tandis que le dernier permet une évaluation quantitative précise de la perfusion.

 

1. Maeder MT, Schoch OD, Kleiner R, Joerg L, Weilenmann D, Swiss Society For Knuuti J et al. : 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes : The Task Force for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2019; 41:407-77
2. Edvardsen T et al. : Non-invasive imaging in coronary syndromes : recommendations of the European Association of Cardiovascular Imaging and the American Society of Echocardiography, in collaboration with the American Society of Nuclear Cardiology, Society of Cardiovascular Computed Tomography, and Society for Cardiovascular Magnetic Resonance. Eur Heart J 2021 ; 00 :1-28
3. Diamond GA, Forrester JS. Analysis of probability as an aid in the clinical diagnosis of coronary-artery disease. N Engl J Med 1979; 300:1350-58.
4. Genders TS et al. : Prediction model to estimate presence of coronary artery
disease : retrospective pooled analysis of existing cohorts. BMJ 2012 ; 344. e3485
5. Juarez-Orozco LE et al. : Impact of a decreasing pre-test probability on the performance of diagnostic tests for coronary artery disease. Eur Heart J Cardiovasc
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6. Gueret P, Deux JF et al. Diagnostic performance of computed tomography coronary
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7. Douglas PS, Hoffmann U, et a.. ; PROMISE Investigators. Outcomes of anatomical versus functional testing for coronary artery disease. N Engl J Med 2015; 372:1291-1300.

8. SCOT-HEART investigators. CT coronary angiography in patients with suspected angina due to coronary heart disease (SCOT-HEART): an open-label, parallelgroup, multicentre trial. Lancet 2015; 385:2383-2391.
9. Schwitter J, Wacker CM, et al. MRIMPACT II: magnetic resonance imaging for myocardial perfusion assessment in coronary artery disease trial: perfusion-cardiac magnetic resonance vs. single-photon emission computed tomography for the detection of coronary artery disease: a comparative multicentre, multivendor trial. Eur Heart J.(2013) 34:775–81.
10. Greenwood JP, Maredia N, et al. Cardiovascular magnetic resonance and singlephoton emission computed tomography for diagnosis of coronary heart disease (CE-MARC): a prospective trial. Lancet. (2012) 379:453–60.
11. Greenwood JP, Motwani M, et al. Comparison of cardiovascular magnetic resonance and single-photon emission computed tomography in women with suspected coronary artery disease from the Clinical Evaluation of Magnetic Resonance Imaging in Coronary Heart Disease (CE-MARC) trial. Circulation. (2014) 129: 1129–38.
12. Gewirtz H, Dilsizian V. Integration of quantitative positron emission tomography absolute myocardial blood flow measurements in the clinical management of
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13. Schindler TH, Dilsizian V. PET-determined hyperemic myocardial blood flow: further progress to clinical application. J Am Coll Cardiol 2014;64:1476–8.
14. Maron DJ, Hochman JS, et al. Initial invasive or conservative strategy for stable coronary disease. N Engl J Med. (2020) 382:1395–407.

ESC-Guideline zur «Kardio-Onkologie»

Am diesjährigen ESC Kongress in Barcelona wurde die erste ESC-Guideline «Kardio-Onkologie» in enger Zusammenarbeit mit onkologischen Fachgesellschaften vorgestellt und im EHJ publiziert. Diese ist unter www.escardio.org/Guidelines abrufbar. Ebenso die Pocketguideline, welche auch als sehr hilfreiches App z.B. im iPhone immer zur Verfügung steht! Diese Publikation ist für jeden Onkologen/-in und Kardiologen/-in eine Pflichtlektüre.

Erstmals gibt es diese neue umfassende Leitlinie zum Thema «Kardio-Onkologie» mit insgesamt 272 Empfehlungen vor, bei und nach einer onkologischen Therapie. Diese Guideline in enger Zusammenarbeit mit der EHA, ESTRO und IC-OS richtet sich an den Kardiologen, Onkologen, Radiotherapeuten, Gynäkologen, Internisten und weitere Ärzte, welche dieses Patientenkollektiv behandeln. Aus der Schweiz hat Prof. Dr. Thomas M. Suter aus Bern in der Task Force entscheidend mitgewirkt.

Ziel ist es, Ansätze zu personalisieren, um die krebstherapie­bedingte kardiovaskuläre (cv)-Toxizität zu minimieren und sowohl die Krebs- als auch die cv-Ergebnisse zu verbessern. Diese Leitlinie bietet Hilfe für die Definitionen, Diagnose, Behandlung und Prävention von krebstherapiebedingter cv-Toxizität und das Management von cv-Erkrankungen, die direkt oder indirekt durch Krebs verursacht werden. Durch die bessere Langzeitprognose moderner Krebstherapien ist es entscheidend potenzielle kardiotoxische Nebenwirkungen früh zu identifizieren und korrekt zu behandeln. Neben den toxischen Kardiomyopathien müssen Arrhythmien, pulmonale Hypertonie, arterielle und venöse Thromboembolie, Klappenvitien, Perikarderkrankungen, arterielle Gefässerkrankungen und die arterielle Hypertonie als Folge der onkologischen Therapie früh erkannt und behandelt werden. Es existieren verschiedene Risikofaktoren, welche diese kardiovaskulären Ereignisse begünstigen. Patienten können mittels guter Anamnese (allgemein, kardiovaskulär + onkologisch), einer gründlichen klinischen Untersuchung und durch ein 12-Abl. EKG, eine Echokardiographie und Biomarker (cTn, NP) identifiziert und in Risikokategorien klassifiziert werden. In vielen Fällen mit erhöhtem kardiovaskulärem und durch onkologische Medikation induziertem Risiko kann die rechtzeitige Gabe von ACE-H. bzw. Sartanen und Betablockern kardioprotektiv wirken. Auch nach einer onkologischen Therapie muss im Langzeitverlauf der Patient resp. die Patientin auch kardiologisch regelmässig kontrolliert werden um allfällige kardiovaskuläre Schädigungen der onkologischen Therapie zu erkennen und zu behandeln. Die Häufigkeit der kardialen Kontrollen richtet sich nach dem basalen kardio-vaskulären Risiko und der spezifischen onkologischen Therapie und deren Nebenwirkungen.

Eine gute und enge Zusammenarbeit zwischen Onkologen und Kardiologen und weiteren involvierten Ärzten ist bei diesen Patienten essentiell! Dafür ist diese umfassende Guideline eine grosse Hilfe.

Die Pocketguidelines sind auch als App verfügbar.
Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

Lyon AR, López-Fernández T, et al. 2022 ESC Guidelines on cardio-oncology entwickelt in Zusammenarbeit mit der European Hematology Association (EHA), der European Society for Therapeutic Radiology and Oncology (ESTRO) und der International Cardio-Oncology Society (IC-OS). Eur Heart J. 2022 doi/10.1093/eurheartj/ehac244

Myotone Dystrophie Typ II (DM2) – eine genetische Multisystemerkrankung

Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz oder Diabetes können verschiedene Ursachen haben, wobei vielfach der Lebensstil bedeutend ist. Aber auch die genetische Prädisposition kann eine Rolle spielen. In diesem Beitrag wird eine Patientin vorgestellt, bei der als Grundkrankheit eine myotone Dystrophie Typ II (DM2) klinisch vermutet und molekulargenetisch nachgewiesen wurde. Es handelt sich somit um eine monogen verursachte Krankheit, die zu pathologischen Störungen in verschiedenen Organen, also einer Multisystemerkrankung, führt.

Cardiac arrhythmias, heart failure or diabetes can have various causes, whereby lifestyle is often significant. However, genetic predisposition can also play a role. This article presents a patient in whom myotonic dystrophy type II (DM2) was clinically suspected and molecularly proven as the underlying disease. Thus, it is a monogenic disease leading to pathological disturbances in different organs, i.e. a multisystem disease.
Key Words: myotonic dystrophy type II, genetic predisposition, monogenic disease

Fallbeispiel

Ausgangslage

Eine 41-jährige Ratsuchende wurde von ihrer Neurologin mit der Verdachtsdiagnose «proximal betonte Myopathie; DD: Myotone Dystrophie Typ II (DM2)» in die genetische Beratung überwiesen. Anfänglich fiel einzig eine leichte Hörstörung auf. Sie beklagte sich, dass sie seit etwa 10 Jahren zunehmend an Muskelschwäche der Oberarme und der Beine leide, so dass sie heute nur mit Schwierigkeiten auf einen Stuhl steigen könne, respektive bereits beim Aufstehen von einem solchen etwas Schwierigkeiten habe. Auch das Abstellen, respektive das Loslassen, der Einkaufs­tasche mache ihr Mühe. Zudem würden gelegentlich heftige Muskelschmerzen und alle 2 bis 3 Tage ein beängstigendes Herzrasen auftreten. Vor einigen Jahren wurde bei ihr zudem ein Diabetes mellitus diagnostiziert und kürzlich nach einem Skiunfall zufällig eine Verminderung des von Willebrand-Faktors (VWD Typ1) festgestellt. Ferner neige sie zu Verstopfung. Sie war nie schwanger. Die Antikonzeption erfolgte mit der Mirena-Hormonspirale. Für ihre Gesundheit ungünstige Umwelteinflüsse liessen sich nicht eru­ieren. Sie trinkt praktisch keinen Alkohol und raucht nur gelegentlich eine Zigarette.

Die gesundheitsbezogene Familienanamnese haben sie und ihr Vater sorgfältig in das Stammbaumschema eingetragen, das wir ihr vorgängig zugesandt hatten (1). Die Mutter, ein Einzelkind, verunfallte tödlich wegen eines Sturzes vom Fahrrad im Alter von 26 Jahren. Die beiden Stiefbrüder väterlicherseits sind gesund. Der Grossvater mütterlicherseits verstarb 41-jährig. Angeblich hatte auch er Diabetes und Herzprobleme. Die Grossmutter wurde 87 Jahre alt. In der Familie des Vaters lassen sich keine besonderen Gesundheitsprobleme feststellen.

Entscheid über genetische Analyse

Die anlässlich der Beratung erhobenen Befunde sprechen für das Vorliegen der myotonen Dystrophie Typ 2 (DM2), einer mono­genen Erbkrankheit, die sich auf eine Mutation des CNBP-Gens zurückführen lässt (Abb. 1). Die Myotonie und Dysfunktion der Muskeln sind die Kardinalsymptome. Auch Herzrhythmusstörungen/Herzleitungsstörungen (im Routine EKG als atrioventrikuläre Leitungsstörungen nachweisbar) treten als typische Komplikation auf. Diese können eine dilatierte Kardiomyopathie als Folge haben. Der Diabetes mellitus der Ratsuchenden lässt sich auf eine Insulin­insensitivität zurückführen. Die Verschlechterung des Hörvermögens erinnert an eine vorzeitig eingetretene Presbyakusis (Altersschwerhörigkeit).

Dank der Kostengutsprache der Krankenkasse und mit dem schriftlichen Einverständnis der Ratsuchenden wurde die molekular­genetische Analyse des CNBP-Gens veranlasst.

Befund

Es wurde eine pathogene Expansion von CCTG-Repeats im ersten Intron eines der beiden CNBP-Gen festgestellt. Dabei handelt es sich um die einzige bekannte Ursache der DM2 (früheres Synonym PROMM («Proximal Myotonic Myopathy»)).

Differentialdiagnostisch muss das Vorliegen der häufigeren myotonen Dystrophie Typ 1 (DM1), gerade deren milde Form, erwogen werden, die sich auf Mutationen des DMPK-Gens zurückführen lässt. Deren kongenitale und kindliche Formen (herkömmliche Bezeichnung: Curshmann-Steinert-Syndrom) manifestiert sich im Gegensatz zur DM2 schon früh im Leben durch Entwicklungsstörungen, Atem- und Trinkprobleme, einer Verkürzung der Achillessehne sowie einer Intelligenzminderung. Im Falle eines negativen Resultats des CNBP-Gentests wäre ein Genpaneltest für neuromuskuläre Krankheiten indiziert gewesen, der mindestens folgende Gene umfassen sollte: DES, GNE, LDB3, MYOT, VCP (2).

Die VWD Typ 1 wurde molekulargenetisch nicht weiter abgeklärt, da sie keine gesundheitlichen Probleme verursacht und in der Regel auf Missense-Mutationen des Gens für den Von-Willebrand-Faktor (VWF) zurückzuführen ist. Sie wird autosomal-dominant vererbt.
Zur Genetik der DM2: Das CNBP-Gen kodiert ein sogenanntes Zinkfingerprotein. Dabei handelt es sich um eine Klasse von meistens regulatorisch wirkenden Proteinen, die sich an DNA oder RNA binden. Bei der DM2 liegt eine Wiederholung (Repetition) der (TG)n(TCTG)n(CCTG)n-Sequenz im CNBP-Gen vor, die eine pathogene Auswirkung hat. Dies führt zu einem Funktionsgewinn der RNA, die ihrerseits diejenige des Chloridkanals, des kardialen Troponins T oder des Insulinrezeptors beeinflusst (3). Wegen Schwierigkeiten der DNA-Verdoppelung solcher Sequenzen vor einer Zellteilung sind Veränderungen der «Repeat»-Zahl, d.h. somatische Mutationen, häufig. Missense-Mutationen wurden bei der DM2 nicht beobachtet. Die DM2 wird typischerweise autosomal-dominant vererbt. Ob möglicherweise die Mutter der Ratsuchenden eine Expansion hatte, bleibt ungeklärt. Ein mit den Methoden zur Analytik der DM2 vertrautes Labor hätte mit hoher Zuverlässigkeit die molekulargenetisch gesicherte Diagnose stellen können.

Bedeutung der genetischen Diagnose

Die umfassende medizinische Betreuung von Personen mit einer DM2-Veranlagung ist anspruchsvoll und komplex. Detaillierte Angaben über die Behandlung von Manifestationen der DM2 können in den neuen internationalen Pflegeempfehlungen entnommen werden (2). Fachärztinnen/-ärzte verschiedener Disziplinen sind bei der Betreuung von DM2-Patienten gefordert. Diese beinhaltet das Myalgie-Management (die Behandlung der Schmerz-Attacken) sowie jährlich ein Echokardiogramm und eine 24-stündige Holter-Überwachung zur Erfassung der Herzleitungsstörungen. Ein Herz-MRI kann zur frühzeitigen Erfassung einer Kardiomyopathie eingesetzt werden. Zudem ist die Kontrolle des Diabetes durch die jährliche Bestimmung der Glucosekonzentration im Serum sowie die Erfassung weiterer endokrinologischer Störungen (z.B. Funktionsstörungen der Schilddrüsen) indiziert. Auch eine jährliche augenärztliche Untersuchung ist bei Personen mit einer Abnahme des Sehvermögens empfehlenswert. Hörhilfen können bei sensoneurinalen Gehöreinbussen nützlich sein.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. em. Dr. med. Hansjakob Müller

Schönbeinstrasse 40
4031 Basel

hansjakob.mueller@unibas.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die DM2 wird durch eine pathogene Expansion von «CCTG»-Repeats im CNBP-Gen auf einem Chromosom Nr. 3 verursacht. Für eine verlässliche DM2-Diagnose ist die molekulargenetische Analyse dieses Gens die Methode der Wahl. Die herkömmlichen Diagnoseverfahren (Faustschlussprobe, Elektromyogramm, Muskelbiopsie) erlauben
keine spezifischen Schlüsse!
◆ Multisystemerkankungen wie die DM2 erfordern eine interdisziplinäre ärztliche Betreuung.
◆ Unter monogenen Erbkrankheiten (4) werden solche verstanden, die durch pathogene Veränderungen (Mutationen) in einem einzelnen Gen verursacht werden, wobei es sich bei diesen Mutationen mehrheitlich um Austausch, Verlust oder Verdoppelung einer bis einiger weniger Basen handelt. Krankheiten, welche die Folge einer Verlängerung (Expansion) repetierter Sequenzen, wie die DM2 sie zeigt, werden Triplett- oder Trinukleotid-Repeat-Erkrankungen genannt und betreffen primär das Nervensystem. Weitere Beispiele solcher Erkrankungen sind die Chorea Huntington, das fragile X Syndrom, die Friedreich-Ataxie sowie verschiedene Typen der spinozerebellären Ataxien.
◆ Die sorgfältig erhobene klinische Abklärung sowie die gesundheitsbezogene Individual- und Familienanamnese können gelegentlich Hinweise auf das Vorliegen einer zweiten Erbkrankheit geben, wie das in diesem Beispiel der Fall ist.

 

1. unispital-basel.ch/medizinische-genetik (Reiter: Formulare Medizinische Genetik)
2. Schoser B et al. Consensus-based recommendations for adults with myotonic dystrophy type 2. Neurol Clin Pract 2019; 9: 343-353
3. Thornton CA et al. Myotonic dystrophy: approach to therapy. Curr Opin Genet Dev 2017; 44: 135-140
4. Antonarakis SE. Krankheitsgenen auf der Spur! Eine kurze Geschichte der Methoden zu ihrer Identifikation. In: Müller Hansjakob, Hadorn Hans-Beat (Hg): Humangenetik und Anthropologie. Ein Zeitdokument. Schwabe-Verlag Basel 2022. pp 9-21

AGLA Symposium

Das von der AGLA organisierte Symposium anlässlich der Jahresversammlung der Schweiz. Gesellschaft für Kardiologie hatte die präventiven Massnahmen auf dem Gebiet der Diät, das Screening auf familiäre Hypercholesterinämie, neue Methoden der Lipidsenkung und die antilipidämische Behandlung zur Prävention von Schlaganfällen zum Thema.

Die mediterrane Diät und die Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems

Ein von Prof. Dr. med. Paolo Suter, Zürich, vorgestellter «mediterraner» Patient (55-jährig, BMI 33kg/m2), möchte Gewicht verlieren. Als Morgenessen nimmt er selbstgezüchtete Tomaten und selbst gebackenes Brot zu sich. Das Mittagessen besteht aus selbstgezüchteten Tomaten und selbst gebackenem Brot und das Abendessen aus selbstgezüchteten Tomaten und selbst gebackenem Brot.
Mediterrane Diät und kardiovaskuläre Gesundheit:

  • 22 Länder
  • 46’000 Meilen Küstenlinie
  • 500 Mio. Menschen, die auf drei Kontinenten leben
  • 55% der Gesamtpopulation wohnen in hydrologischen Becken an der Küste
  • viele reiche und verschiedene Kulturen, die gemeinsame Diätmuster und Lebensstil teilen
  • Seven Countries Study (Ancel Keys et al)
  • Leland G Allbaugh (1949-1951), Kreta: eine Fallstudie einer unterentwickelten Region (Princeton University Press, 1953).

In der Sieben-Länder-Studie wurden Zusammenhänge zwischen der Aufnahme von Lebensmittelgruppen und der 25-jährigen Mortalität durch koronare Herzkrankheit (KHK, definiert als plötzlicher Koronartod oder tödlicher Myokardinfarkt) untersucht. Die univariate Analyse zeigte signifikante positive Korrelationskoeffizienten für den Verzehr von Butter (R = 0,887), Fleisch (R = 0,645), Gebäck (R = 0,752) und Milch (R = 0,600) sowie signifikante negative Korrelationskoeffizienten für den Verzehr von Hülsenfrüchten (R = -0,822), Ölen (R = -0,571) und Alkohol (R = -0,609). Kombinierte pflanzliche Lebensmittel (ohne Alkohol) waren umgekehrt korreliert (R = -0,519), während kombinierte tierische Lebensmittel (ohne Fisch) direkt korreliert waren (R = 0,798) mit KHK-Sterberaten.

Elemente des mediterranen Lebensstils: Vollkorngetreide, Nüsse, Früchte und Gemüse, Gewürze und Kräuter, wenig Wein, Oliven/Olivenöl, wenig Fleisch, wenig bis moderat Fisch/Meeresfrüchte, verarbeitete Lebensmittel vermeiden, d.h. frisch, saisonal, lokal. Vielfalt, Fruchtigkeit, Schmackhaftigkeit, Einfachheit, sozio-kulturelle Faktoren. In einer Publikation aus dem Jahre 2003 stellten die Autoren fest, dass die Kombination aller Komponenten und die stärkere Einhaltung der traditionellen mediterranen Ernährung mit einer signifikanten Verringerung der Gesamtmortalität verbunden ist (Trichopoulou Aet al New Engl J Med 2003;348:2599-608). In einer Meta-Analyse zur Evidenz mediterraner Diät von Grosso aus dem Jahre 2018 über gepoolte Analysen einzelner Bestandteile der Diät ergab, dass die schützende Wirkung am stärksten auf Olivenöl, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte zurückzuführen zu sein scheint. Ein durchschnittlich reduziertes Risiko von 40% für die oben genannten Ergebnisse wurde bei der Bündelung der Ergebnisse von RCTs ermittelt. Ein mediterranes Ernährungsmuster ist mit einem geringeren Risiko für CVD-Inzidenz und -Mortalität, einschliesslich KHK und MI, verbunden. Zu der Wirkung der mediterranen Diät gibt es drei randomisierte, kontrollierte Studien: Die Lyon Heart Study, die Indo-Mediterranean Study und die PREDIMED Study. Die Lyon Heart Studie ist eine Sekundärpräventionsstudie, die ein mediterranes Diätmuster empfiehlt, keine Empfehlung für Olivenöl, aber Margarine mit Alphalinolensäure. Die Kompositen Outcomes zeigten eine relative Risikoreduktion von 0.28-0.53. Die Studie wurde nie reproduziert. In der Indo-Mediterranean Study zeigte sich eine indo-mediterrane Diät, die reich an α-Linolensäure ist, als wirksamer als die herkömmliche Diät des NCEP (National Cholesterol Education Program).

Nach Ergebnissen der spanischen Studie PREDIMED (PREvención con Dieta MEDiterranea) reduziert eine mediterrane Diät, die durch natives Olivenöl und Nüsse ergänzt wurde, das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall oder herzkreislaufbedingten Todesfälle) um 30 Prozent. Auch die indo-mediterrane Diät zeigte eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse. In einem Cochrane Review schlussfolgerten die Autoren, dass trotz der relativ grossen Studien immer noch eine gewisse Unsicherheit im Hinblick auf die Wirkung einer mediterranen Diät auf die klinischen Endpunkte und die kardiovaskulären Risikofaktoren sowohl für die
Primär- als auch die Sekundärprävention.

Das Fazit des Referenten
Suchen Sie nach wissenschaftlichen nicht werbeträchtigen Beweisen.
Wählen Sie lokal.
Entscheiden Sie sich für ein Lebensmittel auf pflanzlicher Basis.
Entscheiden Sie sich für freiwillige Einfachheit.
Vermehrte tägliche Bewegung.
Setzen Sie auf Nährstoffdichte und Bioverfügbarkeit.
Konzentration auf Ernährungsgewohnheiten.
Fokus auf Nahrungsmittelzubereitung/ Kochen.
Vermeidung von stark verarbeiteten Lebensmitteln.
Bemühen Sie sich um geselliges Beisammensein bei Tisch.

Gentests und Kaskaden-Screening bei FH: Update der Schweizer CATCH-Studie

Die genetische Diagnose der familiären Hypercholesterinämie (FH) fusst auf der Identifikation von pathogenetischen Varianten in einem von 3 Genen. 80%-85% sind Mutationen im LDL-Rezeptor, 5-10% im Apolipoprotein B und <1% im PCSK9 Gen, stellte Prof. Dr. med. David Nanchen. Lausanne, einleitend fest. Er beschrieb den 58jährigen Patienten Klaus, der keine vorexistierende kardiovaskuläre Krankheit hat, Nicht- Raucher, Mutter mit arterieller Krankheit im Alter von 55 Jahren, Blutdruck 132/73mmHg, hohes Cholesterin im Alter von 45 Jahren. Behandlung mit Rosuvastatin 20mg/Tag + Ezetimibe 10mg/Tag. Labor unter Behandlung: LDL-C 4.5mmol/l, HDL-C 1.9mmol/l, TG 1.3mmol/l Chol 7.0mmol/o Lp(a) nicht erhöht.

Pathogene Variante im LDLR Gen: c.313+5G>A; Intron 3. Bei gleichem LDL-Cholesterinwert haben Patienten mit FH ein 3fach höheres kardiovaskuläres Risiko.

Klaus hat 2 Kinder, Katia und Viktor. Die FH wird autosomal dominant vererbt. Schlussfolgerungen: Viktor ist 28jährig, früherer Raucher, BMI 25kg/m2, BP 129/60mmHg, Labor: LDL-C 7.5mmol/l, HDL-C 1.5mmol/l, Chol 9.8mmol/l.

Er wird behandelt mit Rosuvastatin 20mg/Tag Ezetimibe 10mg/Tag. Laborwerte unter Behandlung: LDL-C 2.4mmol/l, HDL-C 1.4mmol/l TG 0.9mmol/l, Chol 4.2mmol/l.

Auch er hat die pathogene Variante im LDL-Rezeptorgen c.313+5G>A; Intron 3.

Katia ist 30 Jahre alt und unter Antikonzeption. Sie ist Nichtraucherin. Ihr BMI beträgt 22kg/m2, der Blutdruck ist 121/77mmHg. Die Laborwerte sind LDL-C 4.7mmol/l, HDL-C 2.2mmol/l, TG 0.7mmol/l, Chol 72.2 mmol/l.. Auch sie weist die pathogene Variante im LDLR Gen c.313+5G>A; Intron 3 auf.

Das genetische Testen auf FH: Europäische Guidelines 2019:
Sobald der Index-Fall diagnostiziert ist, wird ein Kaskaden-Screening empfohlen (I/C). Das nationale Kaskaden-Screening Programm für FH ist die CATCH Studie mit 7 Zentren unter der Leitung von Prof Isabella Sudano und Prof Hans Rickli, unterstützt von der Schweiz Herzstiftung und der Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose der Schweiz Gesellschaft für Kardiologie (AGLA). Bislang sind 66 Indexfälle mit genetischer FH und 40 Verwandte mit genetischer FH entdeckt worden. Die Einschlusskriterien sind Alter ≥16, LDL-C ≥6.5mmol/l ohne Behandlung, LDL-C ≥5mmol/l mit frühzeitigem kardiovaskulärem Ereignis. Mindestens ein verwandtes Familienmitglied mit genetischer FH muss vorhanden sein. 30% der Indexfälle mi genetischer FH erhalten keine lipidsenkenden Medikamente. Ihr durchschnittliches Alter ist 50.4, 46.8% sind Frauen, LDL-C 7.9mmol/l, Lipidsenkende Medikamente 69.5%, Statine 68.4%, Ezetimibe 42.1%, PCSK9 Inhibitoren 24.6%.

Die CATCH Studie wird weitere Evidenz in Bezug auf die Implementierung eines genetischen Testprogramms für die genetische FH bringen.

Zukünftige Lipidsenker

Erhöhte Blutfette sind ein wesentlicher modifizierbarer Risikofaktor für atherosklerotische vaskuläre Erkrankungen. 9 modifizierbare Risikofaktoren erklären mehr als 90% eines ersten Myokardinfarkts, wobei die Lipide 50% des populationszurechenbaren Risikos, Rauchen 36%, Übergewicht 20%, hoher Blutdruck 18%, Bewegungsarmut 12% und Diabetes 10% gemäss der INTERHEART Studie (Yusuf S et al. Lancet 2004;364:937-952) ausmachen, so PD Dr. med. Konstantinos Koskinas, Bern. Die in den ESC Guidelines empfohlenen Ziele für die LDL-senkende Therapie richten sich nach der Risikokategorie. Für sehr hohes Risiko beträgt der Zielwert < 1.4mmol/l und >50% Senkung gegenüber Baseline, für hohes Risiko <1.8mmol/l und > 50% Senkung, für moderates Risiko < 2.6mmol/l und für niedriges Risiko <3.0mmol/l., so der Referent. Diese Werte lassen sich durch Therapien mit Statinen, Statinen plus Ezetimibe oder zusätzlich mit PCSK9 Inhibitoren erreichen. Der Referent verwies auf die entsprechenden Studien, die Metaanalyse der CTT mit 170000 Teilnehmern, die zeigte, dass 1mmol LDL-C-Senkung mehr als 20% des Risikos für schwere kardiovaskuläre Ereignisse senkt, die IMPROVE-IT Studie, in welcher die Zugabe von Ezetimibe on top einer Statintherapie eine zusätzliche Risikoreduktion ergab und die beiden PCSK9 Hemmer Alirocumab und Evolocumab, die on Top von Statinen in der ODYSSEY LONG TERM und in der OSLER Studie eine Senkung von 62% resp. 61% ergaben. Die relative Risikosenkung durch Evolocumab betrug in der FOURIER Studie mit 27’564 Patienten 15% und in der ODYSSEY OUTCOMES Studie mit Alirocumab ebenfalls 15%. Mit einer moderaten Statintherapie lässt sich eine mittlere LDL-C Reduktion von ca. 30% erreichen, mit einer hochintensiven Statintherapie ca. 50%, bei zusätzlicher Gabe von Ezetimibe ca. 65%, mit einer PCSK9 Hemmer-Monotherapie ca. 60% und mit PCSK9 Hemmer plus hochintensives Statin ca. 75% und schliesslich mit PCSK9 Inhibition plus hoch intensives Statin plus Ezetimibe ca. 85%.
Die suboptimale Kontrolle der LDL-C-Werte bei Patienten mit etablierter koronarer Herzkrankheit stellt ein unerreichtes medizinisches Bedürfnis dar. Im EUROASPIRE IV Survey hatten nur 19.3% der Patienten nach einem MI oder ACS Ereignis einen LDL-C-Wert unter 1.8mmol/l. In EUROASPIRE V waren es 29%. Eine stärkere frühzeitige LDL-C-Senkung und eine intensivere Statintherapie nach einem Herzinfarkt waren mit einem geringeren Risiko für alle kardiovaskulären Endpunkte und die Gesamtmortalität verbunden. Dies stützt Daten aus klinischen Studien, die darauf hindeuten, dass eine frühere Senkung des LDL-C-Wertes nach einem Herzinfarkt den grössten Nutzen bringt, wie kürzlich in einer Publikation gezeigt wurde (Schubert J et al Eur. Heart J. 2021;42:243-252). In einer Untersuchung des Referenten an der Schweizer Bevölkerung wurden Low-Density-Lipoprotein-Cholesterinwerte von weniger als 1,8 mmol/l und weniger als 1,4 mmol/l nach einem Jahr bei 37,5 % bzw. 15,7 % der Patienten beobachtet. Nach Modellierung der Wirkungen von Statinintensivierung und Ezetimibe stiegen diese Zahlen auf 76,1 % bzw. 49 %.

Neue und künftige anti-lipidämische Medikamente

  • Bempedoinsäure, ein Prodrug, welches in der Leber durch die very-long-acting acy-CoA Synthase 1 aktiviert wird. Das Medikament wirkt nach seiner Aktivierung wie ein Statin. Es ist aber durch die ausschliessliche Aktivierung in der Leber im Muskel nicht vorhanden und führt dadurch zu weniger Muskelproblemen als die Statine. Bempedoinsäure senkt LDL-C gegen ca. 20%, in der <Kombination mit Ezetimibe um 38%. Bempedoinsäure und seine Fixkombination mit Ezetimibe können mehr Patienten zu ihrem LDL-Zielwert führen.
  • Die PCSK9 Inhibition durch RNA Interferenz in Form des Neuen Medikaments Inclisiran stellt eine sehr attraktive Erweiterung des Sortiments an PCSK0 Inhibitoren dar. Das Medikament muss nur halbjährlich injiziert werden und erlaubt eine LDL-C Senkung von ca 50% über diese Zeit.
  • Ein weiterer Risikofaktor ist Lp(a). Es kann mit einem antisense Nukleotide um bis zu 80% gesenkt werden. Eine Studie (HORIZON ist noch am Laufen. Die Resultate sind für 2024 geplant.

Fazit

  • Die LDL-Kontrolle bleibt suboptimal sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprävention
  • Nur eine Minorität von Patienten erreicht die von den Guidelines empfohlenen Zielwerte, einschliesslich der Patienten mit sehr hohem Risiko
  • LDL-C Werte können bei der Mehrzahl der Patienten mit geeigneter Therapie (Kombinationstherapien mit etablierten oder neuen Medikamenten)) adäquat gesenkt werden
  • Erhöhtes Lp(a) ist ein unabhängiger genetisch determinierter kardiovaskulärer Risikofaktor; es kann mit experimentellen Medikamenten substanziell gesenkt werden

Anti-lipidämische Behandlung bei zerebrovaskulären ischämischen Erkrankungen

Der Schlaganfall ist eine führende Ursache für Arbeitsunfähigkeit bei Erwachsenen, sogar nach Rekanalisierung. Die «Global Burden of Diseases, Injuries, and Risk Factors Study (GBD) 2019» bietet eine regelbasierte Synthese der verfügbaren Evidenz zu den Niveaus und Trends der gesundheitlichen Ergebnisse, einer Reihe von Risikofaktoren und den Reaktionen der Gesundheitssysteme. Der Schlaganfall liegt gemäss diesen Untersuchungen an dritter Stelle der führenden Ursachen Behinderungsbereinigte Lebensjahre, so Prof. Dr. med. Augusto Gallino, Bellinzona, der den Vortrag anstelle des verhinderten Prof. Pierre Amarenco, Paris, übernahm. Gemäss der Statistik des BAG traten im Jahre 2019 8534 Schlaganfälle bei Männern und 7970 bei Frauen auf. Ein zu hoher Cholesterinspiegel wurde bei 14.3% der Männer und 10.8% der Frauen festgestellt. Bei Schlaganfällen gilt es zu differenzieren zwischen atherothrombotischen, kardiometabolischen und hämorrhagischen Schlaganfällen. Diese werden oft zusammengefasst. Ischämische Schlaganfälle machen 68% aller Schlaganfälle aus, Transitorische ischämische Attacken 16%, intrazerebrale hämorrhagische Schlaganfälle 11%, subarachnoidale, hämorrhagische 4% und nicht-spezifische 1 % aus. Lakunäre Schlaganfälle betreffen 37%, kardiale embolische 22%, Atherosklerose der grossen Gefässe 31% und andere 10% der gesamten Schlaganfälle. Der Ansatz zur Schlaganfallprävention sollte individuell sein, je nach Ursache und Ätiologie. Bei intensiverer medizinischer Betreuung in der Gemeinschaft wurde ein signifikanter Rückgang der atherosklerotischen Risikofaktoren beobachtet, mit einem deutlichen Rückgang der Schlaganfälle/vorübergehenden ischämischen Attacken, die durch Atherosklerose der grossen Arterien und Erkrankungen der kleinen Gefässe verursacht wurden. Die Ergebnisse legen nahe, dass eine intensivere Untersuchung auf kardiale Emboliequellen und ein verstärkter Einsatz von Antikoagulationen gerechtfertigt sein könnten.

Die Interstroke Studie zu den globalen und regionalen Effekten modifizierbarer Risikofaktoren hat gezeigt, dass Bluthochdruck nach wie vor der wichtigste modifizierbare Risikofaktor für Schlaganfälle in Afrika darstellt, aber auch Diabetes mellitus, Dyslipidämie, Fettleibigkeit, Stress, Rauchen, Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung gehören dazu. Das Risiko für Schlaganfall ist direkt mit der Höhe des Blutdrucks assoziiert. Der Schlaganfall ist ein Risikoäquivalent für koronare Herzkrankheit. Die hauptsächlichen Manifestationen der Atherosklerose inklusive non-koronare Atherosklerose sind Karotis Erkrankung, Aortenerkrankung, Koronare Erkrankung, periphere Erkrankung.

Der Referent nannte die Compass-Studie, niedrig dosierte Faktor Xa Inhibition plus Aspirin ergab eine Risikoreduktion von 20%. Von John Warrens Beschreibung der Angina pectoris im Jahr 1812 als ein Würgen in der Brust, das vage mit der Verknöcherung der Koronararterien zusammenhängt, bis zu unserem heutigen Verständnis der genetischen und molekularen Grundlagen der koronaren Herzkrankheit waren die Wege der Entdeckung, Innovation und des therapeutischen Fortschritts in der kardiovaskulären Wissenschaft und Medizin in den letzten zwei Jahrhunderten wirklich bemerkenswert. Schlüsselpunkte waren dabei die Definition von Risikofaktoren in 1961 und der erste HMG Co Reduktase Inhibitor im Jahre 1976. Die Metaanalyse der CTT zeigte, dass 1mmol/l Reduktion im LDL-Spiegel mit einer Reduktion des kardiovaskulären Risikos von 22% einhergeht. Sie zeigte aber auch, dass der Schlaganfall bei Männern um 17% und bei Frauen um 10% gesenkt wird. Eine Zusammenstellung der Studien SPARCL, HPSC, J-STARS, CARE und LIPID ergibt eine durchschnittliche Odds Ratio von 0.885 (p=0.049). Die Statinbehandlung reduziert 13 Schlaganfälle pro 1000 Patienten. In einer französischen Registerstudie mit 3847 Patienten betrug der 5-Jahres-Follow-Up nach TIA oder leichtem ischämischem Schlaganfall 17.5% bei einem mittleren LDL-C von 2.4mmol/l. Nach einem ischämischen Schlaganfall mit nachgewiesenem atherosklerotischem Ursprung konnte durch die Einstellung eines LDL-Cholesterins von <70 mg/dL über einen Zeitraum von 5,3 Jahren eine von vier nachfolgenden schwerwiegenden vaskulären Ereignissen (Number Needed to Treat von 30) und eine Zunahme von intrakraniellen Blutungen vermieden werden. In der IMPROVE-IT Studie verringerte die Zugabe von Ezetimibe zu Simvastatin bei Patienten, nach Stabilisierung wegen eines akuten Koronarsyndroms die Häufigkeit von ischämischen Schlaganfällen, wobei die Wirkung bei Patienten mit einem früheren Schlaganfall besonders gross war.

Auch PCSK9 Inhibitoren senken das Schlaganfallrisiko wie in einer Substudie von FOURIER mit Evolocumab gezeigt wurde. Grosse und kleine Gefässe reagieren unterschiedlich auf die LDL-Senkung, wie der Referent anhand einer Mendel’schen Randomisierungsstudie zeigte. Die Senkung des LDL-Cholesterins verhindert wahrscheinlich die Arteriosklerose der grossen Arterien, nicht aber den Verschluss der kleinen Arterien oder kardioembolische Schlaganfälle. Eine Erhöhung des High-Density-Lipoprotein-Cholesterins kann zur Prävention von Erkrankungen der kleinen Arterien beitragen. Die Senkung der Triglyceride schliesslich bringt möglicherweise keine Vorteile bei ischämischen Schlaganfällen und ihren Subtypen. Ein genetisch um 1 SD erhöhtes High-Density-Lipoprotein-Cholesterin war mit einem geringeren Risiko für einen Schlaganfall mit Verschluss einer kleinen Arterie verbunden (Odds Ratio: 0,79). Der Referent befasste sich ferner mit dem Risiko eines haemorrhagischen Schlaganfalls bei Statinbehandlung. In einer Dänischen Propensity-Studie hatten Statin-Behandelte und nicht Behandelte während der ersten 6 Monate nach Statinbeginn das gleiche Risiko für intrazerebralen haemorrhagischen Schlaganfall, nach 6 Monaten Behandlung hatten die Statin-Benützer ein 22-39% geringeres Risiko.

Der Referent schloss mit der European Stroke Organisation (ESO) Guideline, die eine Statinbehandlung bei Patienten mit TIA oder Schlaganfall empfiehlt. Bei Patienten, die nach 6 Wochen das Ziel von 1.8mmol/l nicht erreichen, wird die Zugabe von Ezetimibe oder Bempedoinsäure (oder eines PCSK9 Hemmers) empfohlen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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