TARGIT-A Trial – ein Update

Im TARGIT-A Trial wurden zwischen 2000 und 2012 3451 Patientinnen im Alter von >= 45 Jahren mit invasivem duktalen Mammakarzinom, unifokal und <3.5 cm (MRI nicht verlangt), die eine brusterhaltende Behandlung erhielten, aufgenommen (1). Die Randomisation erfolgte zunächst in einem «prepathology stratum» vor der Operation 1:1 zwischen einer intraoperativen Bestrahlung des Tumorbettes (IORT) im Rahmen der primären Chirurgie oder einer Ganzbrustbestrahlung (GBRT) wenige Wochen im Anschluss an die Tumorexzision (nach «needle biopsy», «prepathology stratum», n=2298).

Die IORT erfolgt mit 50 kV Röntgenstrahlung von einer punktförmigen Miniaturquelle, angebracht im Zentrum eines kugelförmigen Applikators. Verschrieben wurden 20 Gy an der Oberfläche des Applikators, die in 1 cm auf etwa 5-6 Gy abfallen. Die über dem Exzisionsbereich liegende Haut wird dabei weggehalten (bei hautnah gelegenen Tumoren wurde diese reseziert), die tiefer liegenden bzw. benachbarten Gewebe erhalten wegen des steilen Abfalls der Weichstrahlung sehr geringe Dosen. Bei Brustwand-nahe gelegenem Tumor, bzw. dünner Thoraxwand wurde ein mit Tungsten imprägnierter Gummilappen zwischen Exzisions- bzw. Zielbereich und m. pectoralis gelegt. Falls die histologische Untersuchung des Resektats nach IORT vorweg definierte Risikobefunde ergab, bei denen eine GBRT Standard ist, wurde diese bei etwa 21% postoperativ durchgeführt. Die Randomisation erfolgte vor der Operation. Zu den Risikobefunden zählten immer invasives lobuläres Karzinom, R1 Resektion auch bei Nachexzision im Rahmen des Ersteingriffes, extensives DCIS. Zusätzlich konnten die beteiligten 33 Zentren aus 11 Ländern weitere Risikobefunde (z.B. G3, Lymphknotenbefall, Lymphgefässinvasion) vorweg definieren, die dann für die ganze Studie beibehalten werden mussten (… «eligibility was not confined to low-risk patients: grade 3 cancer, involved nodes or higher risk receptor status, did not exclude. Therefore, a large number of patients in each category of higher risk were included, allowing meaningful subgroup analysis»).

Auf Vorschlag etlicher Zentren wurde 2004-2012 ein zweites Stratum mit 1153 Patientinnen separat im Anschluss an die primäre Chirurgie randomisiert zwischen einer IORT oder einer GBRT («post-pathology stratum»). Für die IORT war ein zweiter chirurgischer Eingriff erforderlich, einige Wochen nach der Erstoperation mit Tumorexzision.

Das ausgewertete Primärresultat war die absolute Differenz an Lokalrezidiven (invasives oder in situ Karzinom in der erhaltenen Brust), für die 2.5% nach 5 Jahren (ab dem Zeitpunkt der Rando-misation) als Obergrenze der Nicht-Inferiorität festgesetzt wurde. Bei allen Diskussionen und Entscheidungen für dieses Protokoll waren immer auch VertreterInnen von PatientInnenverbänden wie auch Überlebende mit Brustkebsanamnese beteiligt. Weitere Resultate umfassten Komplikationen und Mortalität – dabei wurde u.a. eine formale Analyse bezüglich kardiovaskulärer Todesfälle und Zweittumoren verlangt. Für eine Analyse verschiedener Untergruppen wurde eine Cox-Multivariatanalyse (MVA) durchgeführt. Auf Grund der seinerzeitigen Kenntnisse wurde unter den vorgeplanten Untergruppenanalysen besonders der Status des Progesteronrezeptors als Prädiktor des Rezidivrisikos untersucht.

«The follow-up of the TARGIT-A trial was long, a complete follow up at a prespecified level of 95% was achieved at mid 2019» (2). Rezidivraten in der behandelten Brust nach 5 Jahren im «prepatho-logy stratum» (intention to treat): IORT: 2.23%, GBRT: 1.02%, Differenz 1.21% (95%CI 0.33-2.09). Im Langzeitverlauf (Median 8.6 J., Maximum 18.9 J., Interquartilenbereich 7.0-10.6) ohne statistisch signifikanten Unterschied für das Überleben ohne Lokalrezidiv (HR 1.13, 95% CI 0.91 to 1.41, P=0.28, wenn nur die invasiven Lokalrezidive gezählt werden, ein HR von 1.04 (0.83-1.14, p=0.83.14 95%CI), p=0.27, desgleichen auch für das Überleben ohne Fernmetastasen (HR 0.88, 95% CI 0.69 to 1.12, P=0.30), Gesamtüberleben (HR 0.82, 0.63 to 1.05, P=0.13), und brustkrebs-spezifisches Überleben (HR 1.12, 0.78-1.60, P=0.54).

Die Mortalität durch nicht-brustkrebsspezifische Ursachen war in der Gruppe mit IORT des «prepathology stratum» signifikant geringer (HR 0.59, 95% CI 0.40-0.86, p=0.005). In der Gruppe mit IORT des «prepathology stratum» war die brustkrebsspezifische Mortalität auch in den Untergruppen mit oder ohne supplementäre GBRT signifikant geringer als nach GBRT (die auch deutlich häufiger einen boost erhielten (ca. 40% vs 21% in der IORT-Gruppe)).

Die Kurven der kumulativen Lokalrezidivraten zeigten nach 10-12 Jahren nach IORT einen absoluten Unterschied von etwa 3-4% zugunsten der GBRT, unter Berücksichtigung der alleinigen invasi-ven Lokalrezidivraten war der Unterschied zugunsten der GBRT geringer, das Überleben ohne Mastektomie war nicht signifikant verschieden (HR 0.96, 95% CI 0.78 to 1.19, P=0.74).

Auch in den verschiedenen analysierten Untergruppen zeigte die MVA nicht signifikante Unterschiede der IORT vs GBRT.
Somit war IORT, appliziert während der Erstoperation nach klinischer Diagnostik (physikalischer Untersuchungsbefund, meist konventionelle Mammographie und meist «needle biopsy») plus supplementäre GBRT (bei etwa 20%) der GBRT nach der Erstoperation nicht unterlegen. (1,2,8)

Ungeklärt scheint uns die Differenz dieser Langzeitdaten bezüglich der Lokalrezidive zu den Abschätzungen von MC Ward et al (3), die unter Verwendung der publizierten Daten der IORT Autoren eine signifikant höhere Rezidivrate berechneten («Our analysis estimated that the risk of local failure at 10 years in the TARGIT-A pre-pathology cohort is approximately 1.7% with WBRT (95% CI 0%-4.3%) and 5.5% in the pragmatic risk-adapted TARGIT strategy (95% CI, 2.9%-8.0%). A weighted average estimate suggests that the risk of local failure in low-risk women treated with TARGIT alone is approximately 6.6% at 10 years (95% CI, 3.3%-10.0%), with an estimated difference of 4.9% (95% CI, 0.6%-9.2%) compared with EBRT»).

Untersucht wurde ferner das Lokalrezidiv als Risikoindikator für Fernmetstasen und die Mortalität (brustkrebsbedingte Mortalität , ebenso die Gesamtmortalität, um Fehlklassifikation der Todesursa-che zu berücksichtigen): ein Lokalrezidiv im Arm mit GBRT war mit einer höheren Rate an Fernmetastasen, wie auch brustkrebsbedingter wie Gesamtmortalität verbunden (p für Interaktion: 0.008, HR 0.003-0.02), nicht aber bei der Gruppe mit IORT oder IORT plus GBRT: die Anzahl Todesfälle über die gesamte Beobachtungszeit bei denen mit Lokalrezidiven innert 5 Jahren war: 3/24 (13%) in der (IORT-Gruppe), 7/11 (63%) in der GBRT-Gruppe. Als mögliche Erklärung könnte nach den Autoren u.a. vermutet werden, dass die Mehrheit dieser Lokalrezidive nach TARGIT-IORT neue Primärtumoren mit besserer Prognose sind als Lokalrezidive nach GBRT, während solche neuen Primärtumoren von der GBRT verhindert würden. Dafür würde auch der höhere Anteil an DCIS bei den Lokalrezidiven nach IORT im Unterschied zur GBRT (12:32 IORT vs. 1:19 verglichen mit GBRT).

Auch fand sich eine signifikante Reduktion der nicht-brustkrebsbedingten Mortalität nach IORT (45 versus 74 Fälle nach GBRT) (HR: 0.59, p= 0.005). Diese Ergebnisse in den Publikationen bis 2016 wurden auch in den neueren Analysen (Publikationen von 2020/2021 (2,8)) bestätigt. Für die Gruppe mit «lower risk» (</=2 cm, G3, ER negativ) war das Gesamtüberleben nach IORT 4.2% höher als nach GBRT (91.7% vs 87.3%, HR 0.65, 95%CI 0.44-0.96, p=0.0308). Die Anzahl nicht-brustkrebsbedingter Todesfälle war in der IORT-Gruppe 45/1140 (6/241 bei jenen mit zusätzlicher EBRT, 39/899 nach IORT allein und 74/1158 nach EBRT). 79% dieses Unterschiedes war durch kardiovaskuläre oder pulmonale Ursachen und Zweittumoren bedingt. Auf Grund dieser Daten ist der Unterschied durch die GBRT (mit dem Risiko einer höheren kardialen Belastung) allein nicht erklärbar. Bei Unterteilung G1/2 vs G3 fand sich ein Unterschied nur bei G1/2, bei G3 etwa gleiche Mortalität (ca. 20% der Gesamtgruppe mit G3).

Zahlen für n at risk nach 10 Jahren sind relativ klein für die Gruppe IORT plus supplementäre GBRT (ca. 33% der Anfangszahl; Fig.1 in (8), ca. etwas über 70 Patientinnen mit IORT plus supplementäre GBRT nach 10 Jahren – wenn man dann noch halbiert nach bestrahlter Thoraxseite wegen kardialer Belastung der seinerzeit angewendeten RT-Techniken, werden für uns die Zahlen etwas zu klein für eine konklusive Aussage über fehlenden Einfluss einer Kardiotoxizität durch GBRT.

TARGIT-A «postpathology stratum»: (10)
Die Lokalrezidivrate nach 5 Jahren («complete follow up») im Arm mit IORT lag bei 23/581 (3.96%), nach GBRT bei 6/52 (1.05%), die Differenz 2.9% mit einem oberen Wert des 90% CI bei 4.4%, überstieg damit die Obergrenze des später strenger festgelegten non-inferiority Kriteriums.

Kaplan Meier Schätzung 12 Jahre:

  • Lokalrezidivfreies Überleben: IORT 75.3% (70.72-79.72), GBRT 78.38% (72.32-83.27) p=0.052
  • Mastektomiefreies Überleben: IORT 77.80% (72.57-82.16), GBRT 80.44% (75.16-84.71) p=0.38
  • Fernmetastasenfreies Überleben: IORT 81.98 (76.91-86.04), GBRT 82.18% (76.44-86.65) p=0.98
  • Gesamtüberleben: IORT 83.13 (78.11-87.10), GBRT 84.72 (79.52-88.70) p=0.80
  • Brustkrebsbedingte Mortalität: IORT 4.39% (2.77-6.93), GBRT 4.63% (2.52-8.43) p=0.5
  • Mortalität durch andere Ursachen: IORT 13.05% (9.35-18.05) GBRT 11.17% (7.78-15.88) p=0.89

Konsequenzen für die Praxis?– Offene Fragen:

Vorteile der IORT: dass bei einem Teil der Patientinnen mit Brustkrebs die lokale Behandlung mit einem einzigen Eingriff durchgeführt werden kann, mit den heutigen Möglichkeiten der Diagnostik kann die Indikation für eine solche Behandlung so gut gestellt werden, dass eine zusätzliche GBRT mit oder ohne Lymphabflusswege bei etwa 20% erforderlich ist. Die in der Studie beobachtete 4-5% höhere Gesamtüberlebensrate (in der Gruppe mit G1/2) ist auf Grund der Zahlen noch zu wenig gesichert. In der TARGIT-B Studie wird der intraoperative boost bei der Primäroperation mit dem perkutan applizierten boost einige Zeit postoperativ verglichen, wobei alle Patientinnen eine GBRT erhalten (NCT01792726, (9). In dieses Protokoll werden auch Patientinnen <45 Jahren aufgenommen. Im Informationsblatt wird auch auf die oben aufgeführte Möglichkeit einer unmittelbaren Einwirkung der IORT auf die Mikroumgebung des Tumors und die Wundvorgänge eingegangen: «A mathematical model of TARGIT developed recently (funded by Cancer Research UK) suggests that it could be superior to conventional radiotherapy. Translational research has found that TARGIT impairs the surgical-trauma-stimulated proliferation and invasiveness of breast cancer cells. This effect of radiotherapy may act synergistically with its tumoricidal effect yielding a superior result». Die Möglichkeit immunologischer Effekte wie der unmittelbaren (5,6, 11-15) Effekte auf die Region der Exzisionswunde (z.B. reaktive Effekte des Organismus zur Wundheilung, die auch noch vorhandene Tumorstammzellen zur Vermehrung stimulieren können), sind interessante Forschungsthemen. Hierfür ist nach diesen Daten die in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Exzision applizierte Bestrahlung erforderlich, bei der auch die darüberliegende Haut besser geschont werden kann, als mittels perkutaner Bestrahlung kurz vor der Operation möglich ist. Zur weiteren Analyse der IORT sind deshalb weitere Studien aktiv (11-15). Auch die etwas höhere Rate an Rezidiven in der Brust beim «postpathology stratum» könnte dafür sprechen, dass die o.g. Effekte einer zeitlich eng mit der Exzision verbundenen lokalen Bestrahlung auf das Wundbett und Mikroumgebung des Tumors von Bedeutung ist. Nachteil ist, dass ein zusätzliches Gerät für die IORT erforderlich ist, das an vielen Orten verfügbar sein müsste. Ausserdem machen auch andere Faktoren logistisch die Organisation der notwendigen dosimetrischen und radioonkologischen Expertise (personell und materiell) zusammen mit dem operativen System anspruchsvoll. Falls der beobachtete Effekt auf das Gesamtüberleben nicht gesichert werden kann, scheint uns bei der derzeitigen Technik der IORT des Brustkrebses eine perkutane RT (GBRT oder partial) mit etwa 5 Sitzungen effizienter – bei mindestens gleich guten Resultaten. Gleichzeitig sind weitere Differenzierungen der molekularen Charakterisierung des Brustkrebses schnell im Anstieg, auch in der langen Laufdauer der referierten Studie hat die System­therapie an Effektivität auch in der lokoregionalen Tumorkontrolle zugenommen – alles Faktoren, die die zusätzlich zu den laufenden Studien der präoperativen perkutanen Bestrahlung und ihrem Einsatz im Rahmen der neoadjuvanten Systembehandlung Indikation, Dosierung, Fraktionierung beeinflussen werden. Überflüssig zu sagen, dass eine Ausnützung der raschen Erkenntnisfortschritte und interessanter Thesen neben Überlegungen zum administrativen Aufwand geeigneter Untersuchungen mehr «MitarbeiterInnen», auch in ausserakademischen Institutionen und Produktion auswertbarer und verfügbarer Daten unverzichtbar macht – zentrale Eigenschaft einer Wissensgesellschaft.

Prof. Dr. med. Christoph Glanzmann
Prof. Dr. med. Gabriela Studer

1. Vaidya JS et al: An international randomised controlled trial to compare TARGeted
intraopera-tive radioTherapy (TARGIT) with conventional postoperative radiotherapy after breast-conserving surgery for women with early-stage breasr cancer (the TARGIT-A) trial. Health Technol Assess 2016, 20 (73)
2. Vaidya JS et al: Long-Term survival and local control outcomes from single dose targeted in-traoperative radiotherapy during lumpectomy (TARGIT-IORT) for early breast cancer. TARGIT-A randomised clinical trial. Brit Med J 2020, 370, m2836
3. Ward MC et al.: An estimate of local failure in the TARGIT-A trial of Pre-pathology intraopera-tive radiation therapy for early breast cancer. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2022, Jan 19, S0360-3016 (online ahead of print)
4. Corradini S et al: Preoperative radiotherapy: a paradigm shift in the treatment of breast cancer. A review of literature. Crit Rev Oncol Hematol 2019, 141, 102-111
5. Ho AY et al: Critical Review: Optimizing radiation therapy to boost systemic immune responses in breast cancer: a critical Review for radiation oncologists. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2020, 42(4) 227-241
6. JH Newman et al: Uncloaking breast tumor neoantigens with radiation. Trends in Immunol 2021, 42(4) 22
7. Bosma SCJ et al: Five-Year results of the preoperative accelerated partial breast irradiation (PAPBI) trial. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2020 106(5), 958-967
8. Vaidya JS et al: New clinical and biological insights from the international
TARGIT-A random-ised trial of targeted intraoperative radiotherapy during
lumpectomy for breast cancer. Brit J Cancer 2021, 125, 380-389
9. Clinical Trials gov Identifier NCT01792726, a comparison of intra-operative radiotherapy boost with external beam radiotherapy boost in early breast cancer (TARGIT-B)
10. Vaidya JS et al: Effect of delayed intraoperative radiotherapy versus whole breast radiotherapy on local recurrence and survival. Long term results from the
TARGIT-A randomized clinical trial in early breast cancer. JAMA Oncol 2020, 6(7), e200249
11. GS Sarria et al: dosimetric comparison of upfront boosting with stereotactic radiosurgery versus intraoperative radiotherapy for glioblastoma.Front Oncol doi: 10.2389/fonc.2021.759873, 28.10.2021
12. D Scafa et al: Dosimetric comparison of intraoperative radiotherapy and radiosurgery for liver metastsases. Front Oncol. Doi: 103389/fonc. 767468, 02.12.2021
13. CP Cifarelli et al: Intraoperative radiotherapy in brain malignancies and outcomes in primary and metastatic brain tumors. Front. Oncol. Doi: 10.3389/fonc. 2022. 768168,11.11. 2021
14. Yan-Ling Wu et al: outcome of cenhtrally located hepatocellular carcinomas
treated by radical resection combined with intraoperative electron radiotherapy (IOERT). Front.Oncol. doi:10.3389 11.02. 2022
15. G Sarria et al: Long-term outcomes of an international ccoperative study of
intraoperative radio-therapy upfront boost with low energy x-rays in breast
cancer. Front. Onc. doi: 10.3389/fonc.2022. 850351, 11.02. 2022

Neoadjuvante immun-modulierende Radiotherapie in Kombination mit Immuntherapie bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs im Stadium III

Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs im Stadium III können in kurativer Absicht behandelt werden. Dennoch ist die Rezidivrate hoch. Im Rahmen der Studie SAKK 16/18 wird untersucht, ob die Kombination einer Immuntherapie mit einer immun-modulierenden Radiotherapie, die zusätzlich zur Standardtherapie erfolgt, wirksam ist.

Neoadjuvante immun-modulierende Radiotherapie in Kombination mit Immuntherapie bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs im Stadium III

Für Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Bronchuskarzinom (NSCLC) im Stadium III mit Befall der mediastinalen N2-Lymphknoten (St. III(N2)) stehen verschiedene multimodale Therapieoptionen zur Verfügung. In der Schweiz besteht die Standardbehandlung für operable Patienten mit einem resezierbaren NSCLC im Stadium III(N2) aus einer neoadjuvanten Chemo­therapie (Cisplatin/Docetaxel) mit anschliessender Tumor­operation. Doch obwohl die Behandlung mit kurativer Intention erfolgt, erleiden die meisten Patienten ein Rezidiv. Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt daher nur ca. 40%. In der Studie SAKK 16/14 konnte gezeigt werden, dass mit einer zusätzlichen peri­operativen Immuntherapie mit dem PD-L1 Inhibitor Durvalumab die Anzahl der Patienten ohne «Ereignis» (Tumorprogress oder Tod, «event-free survival», EFS) nach 12 Monaten im Vergleich zu einer historischen Kontrollgruppe mit alleiniger neoadjuvanter Chemotherapie (SAKK 16/00) um mehr als 50% zunimmt (von 48 auf 73%). Diese Resultate decken sich mit denen der randomisierten Phase 3 Studie CheckMate 816, welche ebenfalls eine Verbesserung der pathologischen kompletten Ansprechrate (pCR) sowie des EFS durch die Hinzunahme von Nivolumab zu 3 Zyklen neo-adj. Chemotherapie bei Patienten mit NSCLC im Stadium IB-IIIA nachweisen konnte. Zumindest für Patienten mit resektablem, nodal positivem NSCLC ist die neo-adj. Chemo-Immun­therapie somit ein neuer Therapiestandard.

Verbessert eine zusätzliche immun-modulierende Radiotherapie die Prognose?

Aus präklinischen Studien und klinischen Beobachtungen gibt es Hinweise, dass eine Bestrahlung der Tumorzellen die antitumorale Immunantwort und damit auch die Wirksamkeit einer PD-L1 Blockade verbessern kann. Es ist aber nicht bekannt, mit welchem Radiotherapieprotokoll (Gesamtdosis, Fraktionierung) dieser «immun-modulierende» Effekt am besten erzielt wird. In der Studie SAKK 16/18 wird untersucht, ob eine zusätzliche immun-modulierende Radiotherapie, welche gleichzeitig mit der präoperativen Immuntherapie mit dem anti-PD-L1 Antikörper Durvalumab appliziert wird, die Prognose im Vergleich zu einer historischen Kontrolle weiter verbessern kann. Hierbei werden nur der Primär­tumor oder Anteile davon bestrahlt, um das Risiko zusätzlicher Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten und um die in den mediastinalen (N2-)Lymphknoten ablaufende Aktivierung des Immunsystems nicht zu beeinträchtigen. Die Radiotherapie erfolgt zusätzlich zur Standardtherapie (neoadjuvante Chemo-Immuntherapie und Operation). An der Studie können 90 Patientinnen und Patienten mit NSCLC im lokal-fortgeschrittenen Stadium III(N2) teilnehmen.

Behandlung in vier Phasen

Die Therapie innerhalb der Studie gliedert sich in vier Phasen:

1. Standardtherapie: drei Zyklen neoadjuvante Chemotherapie mit Cisplatin und Docetaxel (à je 3 Wochen)
2. Studientherapie: einmalige intravenöse Gabe von Durvalumab und gleichzeitig Beginn der immun-modulierenden Radiotherapie. Die teilnehmenden Patienten werden in drei unterschiedliche Radiotherapie-Gruppen randomisiert – eines der Ziele der Studie ist es, herauszufinden, ob sich die drei verschiedenen Bestrahlungsprotokolle in der Wirksamkeit unterscheiden:
a) 20 Bestrahlungen à 2 Gray während 4 Wochen
b) 5 Bestrahlungen à 5 Gray während 1 Woche
c) 3 Bestrahlungen à 8 Gray während 1 Woche
3. Standardtherapie: Tumoroperation.
4. Studientherapie: adjuvante Immuntherapie mit Durvalumab, welches nochmals für 1 Jahr alle 4 Wochen intravenös verabreicht wird (insgesamt 13 Infusionen).

Lebenslange Nachbeobachtung

Anschliessend an die Studientherapie folgt die Nachbeobachtungsphase mit regelmässigen Nachkontrollen:

  • In den ersten zwei Jahren alle drei Monate,
  • In den folgenden drei Jahren alle sechs Monate,
  • Ab dem sechsten Jahr nach Therapieabschluss einmal jährlich (lebenslang).

Dr. med. Laetitia Mauti

Studienname: Immune-modulatory radiotherapy to enhance the effects of neoadjuvant PD-L1 blockade and neoadjuvant chemotherapy in patients with stage III(N2) non-small cell lung cancer (NSCLC). A multicenter single-arm phase II trial.

Teilnehmende Zentren: Kantonsspital Aarau, Kantonsspital Baden, Claraspital Basel, Universitätsspital Basel, EOC – Istituto Oncologico della Svizzera Italiana, Inselspital Bern, Kantonsspital Graubünden, Hôpital Fribourgeois – Hôpital Cantonal, Hôpitaux Universitaires de Genève, Kantonsspital St. Gallen, Spital STS AG Thun, Kantonsspital Winterthur, Hirslanden Klinik Zürich, Universitätsspital Zürich

Coordinating Investigator: Dr. med. Laetitia Mauti, Kantonsspital Winterthur, laetitia.mauti@ksw.ch

Clinical Project Manager: Bernhard Scheibe, SAKK Koordina­tionszentrum Bern, bernhard.scheibe@sakk.ch

Prof. Dr. med. Miklos Pless

Winterthur
SAKK Präsident

miklos.pless@ksw.ch

1. Inter. Workshop zur Patienten- und Öffentlichkeitsbeteiligung in der Krebsforschung

Der Einbezug von Patienten und der Öffentlichkeit («patient and public involvement», PPI) verändert unsere Heransgehensweise an Forschung im Gesundheitswesen. Das Konzept der Forschung «mit» oder «von» Mitgliedern der Öffentlichkeit statt «an», «über» oder «für» sie (gemäss NIHR-Definition) verlangt es, traditionelle Forschungsansätze zu überdenken und neue Strategien zu entwickeln.

Unterstützt von der Krebsliga Schweiz, der Krebsforschung Schweiz, der SAKK und weiteren Partnern hat ein breit aufgestelltes Programmkomitee diesen ersten internationalen Workshop über PPI in der Krebsforschung konzipiert. Er findet am 1. November 2022 von 8.30 Uhr 17 Uhr in Lausanne statt, anschliessend gibt es die Möglichkeit eines Poster-Walk mit Apéro. Details finden sie unter: www.patientlab.ch/events

Das Komitee freut sich, zu diesem Anlass international anerkannte Experten begrüßen zu dürfen und Forscher und Patientenpartner zu Wort kommen zu lassen, die gemeinsam über ihre Erfahrungen berichten. Keynote-Vorträge, begleitet von Breakout-Diskussionen und Postern ausgewählter Abstracts, werden es ermöglichen, in verschiedene Themen einzutauchen und gemeinsam neue Strategien zu erkunden. Ziel ist es, Begegnungen zwischen Forschern und Patienten/öffentlichen Teilnehmern zu fördern, eingeladen sind alle Personen, die sich für das spannende Feld des PPI und der partizipativen Krebsforschung interessieren. Anmeldeschluss ist der 23. Oktober 2022. Die Hauptsprache der Veranstaltung ist Englisch. Die Hauptvorträge werden simultan ins Französische und Deutsche gedolmetscht. Die Breakout Sessions werden mehrsprachig abgehalten.

Das Organisationskommittee besteht aus folgenden Persönlichkeiten: Alfredo Addeo, Christine Aeschlimann, Sara Colomer-Lahiguera, Tourane Corbière, Manuela Eicher, Susan Gasser, Marie-Pascale Pomey

Für weitergehende Informationen wenden Sie sich an Klara Soukup vom Laboratoire des Patients: klara.soukup@chuv.ch

SOHC – 16.-18. November 2022 – Oncosuisse Sessions

Der Swiss Oncology & Hematology Congress (SOHC) ist der grösste jährliche Anlass im Schweizer Krebsbereich. Im wissenschaftlichen Komitee sind ein Grossteil der landesweit tätigen Akteure der Schweizer Krebsversorgung und -Forschung vertreten, darunter auch Oncosuisse. Seit 2019 veranstaltet Oncosuisse jährlich eine Session zu aktuellen Themen aus dem Bereich der Krebsregistrierung sowie zu weiteren Themen. Die diesjährigen Themen sind folgende:

Session 1: Ein Nationaler Krebsplan für die Schweiz

Mittwoch, 16.11.2022 – 15h30-17h00

Ständerätin Marina Carobbio hat in Ihrer Interpellation 21.4454 «Wann kommt der nationale Plan zur Bekämpfung von Krebs?» dem Bundesrat die Frage gestellt, ob «ein koordiniertes strategisches Vorgehen von Bund und Kantonen zusammen mit den Beteiligten notwendig ist» und wie der Bundesrat «gedenkt (..) der beunruhigenden Entwicklung dieser Herausforderungen zu begegnen». Der Bundesrat hat als Antwort auf die laufenden Gesundheitsstrategien sowie auf die Aktivitäten der Oncosuisse verwiesen. Allerdings ist die Nationale Strategie gegen Krebs 2020 ausgelaufen und Oncosuisse kann ohne die Unterstützung von Bund und Kantonen langfristig ihre Aktivitäten nicht aufrechterhalten. Wie kann es gelingen, dass sich Bund & Kantone im Rahmen eines Schweizer Krebsplans wieder verstärkt in die Krebsbekämpfung auf nationaler Ebene einbringen?

Bestätigte Teilnehmer:innen:

  • Marina Carobbio, Ständerätin SP Ticino
  • Linda Nartey, Vizedirektorin und Leiterin des Direktions­bereichs Prävention und Gesundheitsversorgung BAG
  • Lukas Engelberger, Präsident Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK
  • Jakob Passweg, Präsident Oncosuisse

Session 2: Minisymposium «Krebsregistrierung in der Schweiz»: Nutzung der erhobenen Daten

Donnerstag, 17.11.2022 – 15h30-17h00

Seit der Einführung der Nationalen Krebsregistrierung werden landesweit flächendeckend, vollständig und vollzählig gewisse Daten aller Krebspatient:innen erhoben. Was bringt diese Datenerhebung am Ende? Welche Erkenntnisse können wir daraus ziehen? Und: wie wichtig ist eine sorgfältige Erhebung der Meldepflichtigen?

Bestätigte Teilnehmer:innen:

  • Sabine Rohrmann, Leiterin Krebsregister ZH-ZG-SH-SZ, Co-Präsidentin ASRT
  • Ursula Kühnel, Co-Leiterin Schweizer Kinderkrebsregister
  • Emin Aghayev, Leiter Sektion Krankheitsregister BAG
  • Jakob Passweg, Präsident Oncosuisse & NICER
  • Tobias Hartz, Geschäftsführer Krebsregister Niedersachsen/D

Session 3: Empfehlungen des Experten­gremiums Krebsfrüherkennung zum Lungenkrebs-Scree­ning mittels niedrigdosierter Computer-Tomographie

Freitag, 18.11.2022 – 15h30-17h00

Das interdisziplinäre Expertengremium Krebsfrüherkennung (Cancer Screening Committee) wurde 2018 im Rahmen der Nationalen Strategie gegen Krebs von Oncosuisse aufgebaut. Es widmet sich Fragen zu Krebs-Screenings und arbeitet wissenschaftlich begründete, ausgewogene und von Partikularinteressen unabhängige Empfehlungen aus. Momentan werden Empfehlungen zum Lungenkrebs-Screening mittels niedrigdosierter Computer-Tomographie erarbeitet. Die Resultate werden Anfang November 2022 veröffentlicht. Anlässlich der Veröffentlichung werden die Resultate präsentiert und unabhängig vom Ausgang der Studie Stellenwert und Implementierung von Sceening-Programmen in der Schweiz diskutiert.

Bestätigte Teilnehmer:innen:

  • Marcel Zwahlen, Präsident Oncosuisse-Expertengremium Früherkennung
  • Christophe von Garnier, Chefarzt Pneumologie, CHUV

Für weitere Informationen: info@oncosuisse.ch

Lebensqualität und Palliative Care

Lebensqualität ist einerseits ein komplexes Konstrukt, andererseits einfach das, was die betroffene Person für Lebensqualität hält. Was Lebensqualität konkret bedeutet, wird im Krankheitsverlauf immer wieder verändert und angepasst. In der Palliative Care steht die Lebensqualität im Fokus.

In der Schweiz entwickelt die Mehrheit der erwachsenen Personen eine oder mehrere chronische Krankheiten, mit denen sie für viele Jahre leben, bevor sie sterben. Die Zeit nach der Diagnosestellung ist häufig gekennzeichnet durch die Belastung durch physische und psychische Symptome, immer grösser werdende Abhängigkeit und Gebrechlichkeit sowie zunehmenden Unterstützungsbedarf. Palliative Care möchte die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten, die mit einer lebensbedrohlichen und lebenslimitierenden Erkrankung konfrontiert sind, und ihren Angehörigen verbessern. Palliative Care ist ein interprofessioneller holistischer Ansatz: Die betroffene Person und ihr Netzwerk werden betreut und alle belastenden Symptome der vier Dimensionen (physisch, psychisch, sozial und spirituell) angegangen. Fachpersonen der Palliative Care vertreten die Haltung, dass jede Person einzigartig und autonom ist und das Recht hat, trotz lebensbedrohlicher und lebenslimitierender Erkrankung mit einer möglichst hohen Lebensqualität weiterzuleben (Bajwah Sabrina et al., 2020).

Lebensqualität

Der Begriff Lebensqualität wird im Alltag oft benutzt, eine einheitlich verwendete Definition gibt es aber nicht (Karimi Milad & Brazier John, 2016). Die Weltgesundheitsorganisation definiert die allgemeine Lebensqualität als subjektive Wahrnehmung einer Person: über ihre Stellung im Leben in Relation zur Kultur und den Wertesystemen, in denen die Person lebt, und in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Massstäbe und Anliegen. Es handelt sich um ein breites Konzept, das in komplexer Weise beeinflusst wird durch die körperliche Gesundheit, den psychischen Zustand, die sozialen Beziehungen, die persönlichen Überzeugungen etc. Eine oft zitierte Definition lautet: Lebensqualität ist das, was für die betroffene Person Lebensqualität ist.

Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass Lebensqualität das gefühlte Wohlbefinden oder die Abwesenheit von Wohlbefinden umfasst. Dabei handelt es sich um ein Konstrukt, das verschiedene Bereiche wie etwa die körperliche, emotionale und soziale Domäne beinhaltet (Spranger Mirjam et al., 1993), wie es unter anderem im Total-Pain-Konzept nach Cicely Saunders beschrieben wird (Abb. 1).

Gesundheitsbezogene Lebensqualität

Auch keine allgemeine Definition gibt es für die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Sie wird beschrieben als multidimensionales Konzept, das Einschätzungen für die physische und mentale Gesundheit sowie ihrer Korrelate enthält (Gesundheitsrisiken und -bedingungen, funktioneller Status, soziale Unterstützung und sozioökonomischer Status). Bei der Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität werden oft diese Dimensionen abgefragt. Viele schwer kranke Personen berichten über eine überraschend gute Lebensqualität; umgekehrt geben Personen mit einem guten therapeutischen Ergebnis nicht selten eine schlechte Lebensqualität an (Woopen Christiane, 2014). Hier besteht ein response shift, also eine Verschiebung der Bezugssysteme: Der Bewertungshintergrund wird laufend der neuen Situation angepasst.

Lebensqualität in der onkologischen Palliative Care

Therapieempfehlungen und Therapiezielfindung im onkologischen Kontext orientieren sich mehrheitlich an objektiven Befunden wie z. B. Tumoransprechen. Auch ist in onkologischen Studien meistens das Überleben die Zielgrösse, wohingegen in der Palliative Care die Lebensqualität im Fokus steht. Wenn diese beiden Perspektiven zusammengeführt werden, kann eine für die jeweilige Situation angemessene Therapieempfehlung abgegeben werden (AWMF, 2020). Eine frühe Integration der Palliative Care bei Personen mit Krebs kann ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität, Symptombelastung und Betreuungszufriedenheit verbessern (Bajwah Sabrina et al., 2020).

Erfassung der Lebensqualität in der Palliative Care

Der «EORTC QLQ-C15-PAL» (European Organization for Research and Treatment of Cancer – quality of life questionnaire) ist eine kürzere Version des ursprünglichen «EORTC QLQ-C30». Der C15-PAL umfasst 15 Fragen und wurde speziell für Personen in palliativer Krankheitsphase entwickelt (Groenvold Mogens et al., 2006). Der Fragenbogen «FACT» (Functional Assessment of Cancer Therapy) erfasst die gesundheitsspezifische Lebensqualität von Personen, die an Krebs erkrankt sind, mit 32 Fragen (Cella David et al., 1993).
Es ist klar, dass diese Fragebögen wegen ihrer Länge im klinischen Alltag nicht standardisiert angewendet werden und bisher vor allem in der Forschung ihren Stellenwert haben. Im klinischen Alltag wird häufig der Fragebogen «IPOS» (Integrated Palliative Outcome Scale) eingesetzt. Er umfasst zehn Fragen zu physischen, psychosozialen und spirituellen Aspekten und die Selbsterfassung multidimensionaler Versorgungsaspekte. Es existiert eine Patienten- und eine Mitarbeitendenversion. Die Mitarbeitendenversion erreicht nie die gleiche Wertigkeit wie die direkte Patientenbefragung, ist aber besser als gar keine systematische Erfassung.

Digitale Erfassung

Zukünftig könnten Daten aus Symptomerfassungen mit klinischen Daten oder auch mit klinischen Leitlinien verbunden werden. Durch die Entwicklung intelligenter Systeme kann die Erfassung gleich mit einer computerbasierten Entscheidungshilfe für zu ergreifende diagnostische und/oder therapeutische Massnahmen gekoppelt werden. Das Programm erkennt also z. B. einen hohen Schmerzwert und blendet dann unmittelbar eine passende Leitlinie zur Schmerzbehandlung ein (Blum David et al., 2015). Dabei ist jedoch zu beachten, dass digitale und automatisierte Methoden auch Risiken beinhalten wie ungenügender Datenschutz, gefährliche Automatismen, systematische Fehler, Rationalisierung und Entmenschlichung.

selbst Auskunft geben können

Personen mit fortgeschrittener Erkrankung sind oft nicht in der Lage zu sprechen oder einen Fragebogen auszufüllen, etwa wegen kognitiver Einschränkungen oder zu stark reduziertem Allgemeinzustand. Je weiter die Krankheit voranschreitet, desto schwieriger kann die Kommunikation und somit die systematische Erfassung von Symptomen und Problemen (patient reported outcomes) werden. In diesen Situationen muss man sich auf alternative Erfassungsmethoden verlassen. Oft können Angehörige zur stellvertretenden Beurteilung herbeigezogen werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es dabei zu Verzerrungen in unterschiedliche Richtungen kommen kann. Auch Einschätzungen des Behandlungsteams können verzerrt sein, da dieses dazu neigt, Symptome in Zahl und Intensität zu unterschätzen (Laugsand Eivor et al., 2010). Oft hilft es, die doch sehr unterschiedlichen Bewertungen im Behandlungsteam zu diskutieren und zu einer gemeinsamen Einschätzung zusammenzubringen (Oechsle Karin et al., 2013). Des Weiteren sollte auf nonverbale Zeichen der Patientin oder des Patienten geachtet werden. Pflegefachpersonen entwickeln da sehr häufig eine grosse Expertise.

Lebensqualität und Sterbewunsch

Manche Menschen mit einer lebenslimitierenden, progressiven Erkrankung wünschen sich ein baldiges Sterben resp. haben den Wunsch, tot zu sein (AWMF, 2020). 12-45% von an Krebs erkrankten Personen in palliativer Krankheitsphase äussern einen temporären und 10-18% einen stetigen Sterbewunsch. Ein Sterbewunsch ist nicht einfach mit suizidalen Tendenzen oder dem Wunsch nach assistiertem Tod gleichzusetzen (Voltz Raymond et al., 2021). Ein Sterbewunsch einer Person sollte erkannt, wahrgenommen und verstanden werden (AWMF, 2020). Voraussetzung dafür ist, dass danach aktiv gefragt wird. Das Ansprechen von suizidalen Gedanken führt nicht zu deren Entstehung oder Steigerung, sondern wirkt im Gegenteil für die Betroffenen entlastend und kann die Patient-Fachperson-Beziehung stärken (AWMF, 2020 & Voltz Raymond et al., 2021). In manchen komplexen Situationen verspüren Betroffene gleichzeitig einen Sterbewunsch und den Wunsch nach Heilung. Interprofessionell soll mit den betroffenen Personen zusammen eruiert werden, wie man die Lebensqualität im Kontext des Sterbewunsches bestmöglich verbessern kann.

Lebensqualität versus Sterbequalität

Palliative Care endet nicht mit dem Tod einer Patientin oder eines Patienten, da die Angehörigen weiterleben. Die Sterbe- resp. Todesqualität wird von den Angehörigen erfragt. Dabei überschätzen die Angehörigen oft das Leid der verstorbenen Person, weil sie oft selbst sehr leiden und trauern.

Studien darüber, wie ein «guter Tod» sein soll, haben ergeben, dass die Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen auf das Sterben vorbereitet und gut behandelt und gepflegt werden möchten. Sie möchten ein Gefühl von Erfüllung erlangen, in Bezug auf sich, die Familie, Gesellschaft und Transzendenz. Zudem äussern alle die Wichtigkeit einer guten Patient-Fachperson-Beziehung.
Es gibt wie bei der Lebensqualität keine allgemeingültige Definition eines guten Sterbens. Gute Betreuung am Lebensende ist höchst individuell und sollte durch gemeinsame Entscheidungsfindung entstehen, welche die Werte und Präferenzen der betroffenen Personen mit einbezieht. Alle Personen, die in die Pflege am Lebensende involviert sind, werden in die Entscheidungsfindung einbezogen (Steinhauser Karen et al., 2000).

Schlussfolgerung

  • Leiden ist immer subjektiv und soll daher aktiv erfragt werden.
  • Lebensqualität ist ein mehrdimensionales Konstrukt, bei dem es im Krankheitsverlauf immer wieder zu Anpassungen kommen kann.
  • Angehörige und das Behandlungsteam sollen miteinbezogen werden, aber die Patientinnen und Patienten stehen im Zentrum, da nur sie genau sagen können, wie es ihnen geht.

Fanny Wolfensberger, MScN, Prof. Dr. med. David Blum

Kompetenzzentrum Palliative Care USZ und Abteilung für Palliative Care STZ

Erstpublikation des Artikels in der Zeitschrift Onkologiepflege 3/22.

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. AWMF. (2020). Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung. Abgerufen von https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/128-001OLl_S3_Palliativmedizin_2020-09_02.pdf
Bajwah, S., Oluyase, A.O,, Yi, D., Gao, W., Evans, C.J., Grande, G., Todd, C., Costantini, M., Murtagh, F.E. & Higginson, I.J. (2020). The effectiveness and cost-effectiveness of hospital-based specialist palliative care for adults with advanced illness and their caregivers. Cochrane Database of Systematic Reviews, 9.
Blum D, Raj SX, Oberholzer R, Riphagen II, Strasser F, Kaasa S, EURO IMPACT, European Intersectorial Multidisciplinary Palliative Care Research Training (2015) Computer-Based Clinical Decision Support Systems and Patient-Reported Outcomes: A Systematic Review. Patient 8:397–409. doi: 10.1007/s40271-014-0100-1
Groenvold, M., Petersen, M.A., Aaronson, N.K., Arraras, J.I., Blazeby, J.M., Bottomley, A., Fayers, P.M., de Graeff, A., Hammerlid, E., Kaasa, S., Sprangers, M.A.G. & Bjorner, J.B. [EORTC Quality of Life Group]. (2006). The development of the EORTC QLQ-C15-PAL: a shortened questionnaire for cancer patients in palliative care. European Journal of Cancer, 42, 55–64.
Steinhauser, K.E., Christakis, N.A., Clipp, E.C., McNeilly, M., McIntyre, L. & Tulsky, J.A. (2000). Factors Considered Important at the End of Life by Patients, Family, Physicians, and Other Care Providers. JAMA, 284(19), 2476–2482.

Alzheimer : Manipulation, fraudes et manque de preuves…

Un article choc, sorti durant cet été caniculaire a sorti de leur apathie les lecteurs d’actualités médicales.
Un neuroscientifique américain affirme en effet que certaines études sur l’ agent expérimental simufilam (Cassava Sciences), un médicament qui cible la bêta-amyloïde (Aβ) dans la maladie d’ Alzheimer (MA), sont erronées ; il a fait part de ses préoccupations aux National Institutes of Health (NIH). L’ enquête en question, rédigée par un journaliste d’ investigation, est publiée par la revue Science, (réf 1) le 21 juillet, et fait état de soupçons de fraudes dans la recherche sur la MA.

Le Dr Matthew Schrag, puisque c’ est de lui qu’ il s’ agit, a trouvé « des images apparemment modifiées ou dupliquées dans des dizaines d’articles de journaux », et en apporte les preuves. Dans la foulée, ses recherches l’ ont amené à mettre en lumière des résultats qui apportent un doute sur l’ une des études les plus citées sur la maladie d’ Alzheimer.

Ses soupçons visent principalement le premier auteur de cette fameuse étude influente, publiée dans Nature en 2006 (réf 2), un neuroscientifique français, Sylvain Lesné de l’ Université du Minnesota, qu’ il accuse d’ avoir modifié des images pour corroborer les résultats de son étude, largement reprise depuis.

Ce chercheur mettait en évidence le rôle de la protéine amyloïde : en injectant une forme d’amyloïde sur de jeunes rats, ces derniers commençaient à perdre la mémoire. Il confirmait ainsi la théorie de la « cascade amyloïde » développée dans les années 1990. Mais certaines preuves auraient été falsifiées, selon Science. Si les doutes de Schrag sont exacts, ce serait un scandale scientifique
majeur.

Quelques jours après l’ enquête de Science, Nature a publié une note disant qu’ elle enquêtait sur l’ article de Lesné de 2006 et conseillait la prudence quant à ses résultats. Le terme « fraude » n’ apparaît pas dans le rapport de dénonciation de Matthew Schrag, qui reste prudent dans ses commentaires, tout en étayant ses arguments de façon intrigante. Depuis, son travail a suscité une enquête indépendante et continue sur les allégations de plusieurs revues qui ont publié les travaux en question, notamment Nature et Science Signaling.

Affaire à suivre !

 

Dr Jérome Morisod

Dr Jérôme Morisod

Monthey

1. Piller C. Blots on a field? Science. 2022 Jul 22;377(6604):358-363. doi: 10.1126/science.add9993. Epub 2022 Jul 21. PMID: 35862524.

2. Lesné, S., Koh, M., Kotilinek, L. et al. A specific amyloid-β protein
assembly in the brain impairs memory. Nature 440, 352–357 (2006). https://doi.org/10.1038/nature04533