Herzig

Umgangssprachlich nimmt das Herz viel Platz ein: herzig, herzlich, von Herzen, herzhaft, herzzerreissend…, – um nur Einige zu nennen. Es scheint der Ort der Seele und der Emotionen. Liebe wird als Herz dargestellt, allenfalls noch mit dem Pfeil des Amors, der das Herz durchbohrt. Und zerbrochene Liebe hinterlässt gebrochene Herzen.

In der Medizin ist das Herz ein Muskelorgan. Aber was für eines. Würden wir uns so bewegen wie das Herz schlägt wären wir alle wie die Zeichentrickfigur Popeye. Das Herz schlägt pro Minute angenommene 60-80 mal, also bis 4800 mal pro Stunde und 115’000 mal pro Tag. Machen Sie mal 115’000 Liegestützen oder Klimmzüge?! Gratuliere.

Im durchschnittlichen Leben kommen wir dann auf 3 Milliarden Schläge. Ist das nicht unglaublich. Ohne dass wir uns anstrengen. Einfach so, autonom. Und da ist noch so viel mehr Autonomes im Körper. Dennoch haben wir das Gefühl, wir kontrollieren diesen Körper. Tun wir das wirklich? Lassen wir Haut und Haare wachsen, verdauen wir unsere Speisen, metabolisieren den Zucker, stellen Verdauungssäfte her? Was tun wir eigentlich bewusst selber? Sehr wenig.

Wir alle wissen, was für unglaubliche Fortschritte in der Kardiologie erzielt wurden. Vom Stent, Klappenersatz, Rhythmologie bis zur Herztransplantation. Das Herz wird plötzlich wie ein Automotor reparabel. Und schlägt und schlägt und schlägt. Nun müssen wir nur noch die Seele und den Sitz der Emotionen finden, dann können wir auch diese reparieren und transplantieren. Es ist dann vielleicht nicht mehr mein Leben, aber etwas lebt weiter, und lebt und lebt und lebt. Wir werden nicht nur unsterblich, sondern auch anders…

 

Dr. med. Dr. sc. nat. Andreas Bäbler

Dr. med. Dr. sc. nat. Andreas Bäbler

Herrliberg

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Eleonore E. Droux
Verlegerin Aerzteverlag medinfo AG

Thomas Becker
Chefredaktor

Update: Renale Denervation zur Therapie der Hypertonie 2022

Nach einer initialen Euphorie auf Grund überwältigender Ergebnisse der ersten konzeptionellen und unverblindeten Studien zur renalen Denervation (RDN) 2010 – 2013, erlebte die Methode mit der Publikation der Ergebnisse aus der sham-kontrollieren Symplicity HTN-3 Studie im New England Journal of Medicine einen erheblichen Dämpfer. In der Folge wiesen die bis zum heutigen Tage aktuellen Empfehlungen zur Therapie der arteriellen Hypertonie der europäischen Gesellschaften für Kardiologie und Hypertonie (ESC/ESH) aus dem Jahr 2018 der Methode gar eine Grad III Empfehlung zu (ausserhalb von Studien nicht zu empfehlen). Seitdem wurde intensiv geforscht, woran das Scheitern der Symplicity HTN-3 Studie gelegen haben mag und wie die Methode verbessert werden kann. Neue Daten aus mehreren sham-kontrollierten Studienprogrammen mit Patienten mit oder ohne antihypertensive Therapie zeigen nun vielversprechende und realistischere Ergebnisse zur Blutdrucksenkung und lassen auf eine klinische Renaissance der RDN in der Hypertoniebehandlung hoffen. Der aktuelle Artikel basiert im Wesentlichen auf dem aktuellen Positionspapier zur RDN der europäischen Gesellschaft für Hypertonie und soll die wichtigsten Erkenntnisse für den klinischen Alltag zusammenfassen. Weitere relevante Quellen sind im Literaturverzeichnis aufgeführt.

After an initial euphoria due to overwhelming results of the first conceptual and unblinded studies on renal denervation (RDN) 2010 – 2013, the method experienced a considerable setback with the publication of the results from the sham-controlled Symplicity HTN-3 study in the New England Journal of Medicine. Subsequently, the most current recommendations for the therapy of arterial hypertension of the European Societies of Cardiology and Hypertension (ESC/ESH) from 2018 even assigned the method a grade III recommendation (not recommended outside of studies).
Since then, there has been intense research into what may have caused the failure of the Symplicity HTN-3 trial and how the method can be improved. New data from several sham-controlled trial programs in patients with or without antihypertensive therapy now show promising and more realistic results for blood pressure reduction and give hope for a clinical renaissance of RDN in hypertension treatment. The current article is mainly based on the recent position paper on RDN of the European Society of Hypertension and aims to summarize the most important findings for clinical practice. Further relevant sources are listed in the bibliography.
Key Words: renal denervation, arterial hypertension, antihypertensives

Im Falle einer therapieresistenten Hypertonie wurden neben der Intensivierung der pharmakologischen Therapie bereits vor Jahren interventionelle Verfahren zur Blutdrucksenkung untersucht wie z.B. die renale Denervation, Baroreflexstimulation der Karotiden mittels Stentimplantation oder Schrittmacherimplantation und sogar das chirurgische Anlegen von arteriovenösen Fisteln. Eine besondere Rolle kommt der RDN zu, da sie zum einen ein klares pathophysiologisches Konzept verfolgt und in den bisherigen Studien ein sehr günstiges Sicherheitsprofil zeigte. Einzig die Wirksamkeit resp. das Ausmass der Wirksamkeit war nach einer initialen Euphorie in Frage gestellt, so dass die Methode weiterhin Gegenstand von kontroversen Diskussionen und klinischen Studien blieb – von denen man sagen kann, dass sie mit zunehmender methodischer Qualität und Konsequenz durchgeführt wurden.

Pathophysiologisches Konzept der renalen Denervation:

Die Niere ist eines der wenigen Organe des Körpers, das rein sympathisch innerviert wird und verfügt über keine Gegenregulation durch den Parasympathikus.

Die afferenten und efferenten Nervenfasern befinden sich im subkutanen Fettgewebe um die Nierenarterien, wobei sich eine zunehmende Annäherung ans Gefässlumen distal zum Nierenpol hin ergibt. Die RDN vermindert die Wechselwirkungen zwischen der Niere und dem sympathischen, zentralen Nervensystem und senkt darüber über verschiedene Wege den Blutdruck. So soll z.B. die Aktivierung des Sympathikus via renale afferente Fasern reduziert und damit die sympathischen Einflüsse auf die Hämodynamik wie z.B. Vasokonstriktion vermindert werden. Umgekehrt wird durch die Verminderung der renalen efferenten Fasern einer durch den Sympathikus getriggerten Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron Systems entgegengewirkt.

Eine Frage, die im Zusammenhang mit den verschiedenen Verfahren zur RDN wiederholt diskutiert wurde ist die der Reinnervation der behandelnden Nierenarterien und damit wie lange ein Effekt der RDN anhalten kann. So wurde in einer experimentellen Studie an Schafen mit hypertensiver chronischer Nierenerkrankung ein Nachwachsen der renalen Nerven und eine teilweise Wiederherstellung der Funktion beobachtet. Die Übertragbarkeit dieser Daten auf den Menschen bleibt fraglich. In Langzeitstudien an Patienten nach einer Nierentransplantation wurde keine klinisch bedeutsame Reinnervation beobachtet.

Klinische Wirksamkeit

Nach dem initialen Erfolg der nicht sham-kontrollierten Symplicity HTN-1 und Symplicity HTN-2 Studien (benannt nach dem eingesetzten Katheter zur Intervention) erhielt die Methode im Jahre 2013 in den Hypertonie Richtlinien der ESC/ESH zunächst eine IIa Empfehlung: Im Falle einer Ineffektivität der medikamentösen Therapie könne man eine renale Denervation erwägen.

In dieser Zeit stieg die Anzahl der RDN steil an – im Jahr 2012 gab es allein in Deutschland 160 Zentren, die auf Basis der oben genannten Evidenz die Intervention anboten – und erreichte ein Maximum bis zur Veröffentlichung der doppelblind randomisierten Symplicity HTN-3 Studie im Jahre 2014, in welcher die Patien­ten zur RDN oder einer Scheinprozedur randomisiert wurden. Es konnte kein Vorteil der renalen Denervation bzgl. Blutdrucksenkung bewiesen werden und die Empfehlung in den Guidelines wurde zurückgenommen.

Als mögliche Ursachen der neutralen Ergebnisse wurden neben einer zum Teil begrenzten Erfahrung der Interventionalisten auch technische und anatomische Besonderheiten angegeben. So hat das Scheitern von Symplicity HTN-3 ein erneutes Interesse an der Anatomie und Physiologie der renalen Nervenfasern geweckt, und man konnte lernen, dass der Abstand des Nervengeflechts zum Gefässlumen von proximal nach distal abnimmt. Somit erscheint eine distalere Energieabgabe bis in einzelne Polarterien sinnvoller (Abb. 1), was jedoch konträr zur initialen Interventionstechnik ist, bei der empfohlen wurde eher proximal die Energie zu applizieren. Insgesamt ergab sich in den letzten Jahren eine Entwicklung hin zu ausgefeilteren Katheterdesigns und die Behandlungsalgorithmen wurden angepasst, um eine vollständigere und zuverlässigere RDN zu erreichen.

Die neuen Katheter und Interventionstechniken der beiden wichtigsten Katheterplattformen (Radiofrequanzablation von Medtronic oder Ultraschallablation von ReCor Medical) wurden in den letzten Jahren über mehrere Studien hinweg bei Patienten mit und ohne Medikation hinsichtlich der Blutdruckwirkung und der Sicherheit studiert. Hier zeigte sich ein konsistentes Bild mit einer systolischen Blutdrucksenkung von 5-10mmHg in der ambulanten 24-Stundenblutdruckmessung (ABPM) und 9-10mmHg in der Praxisblutdruckmessung (OBPM) über die einzelnen Studien hinweg. Diastolisch waren es 4-6 mmHg im ABPM und 5 mmHg im OBPM (Abb. 2 a-d).

Die Daten zur Sicherheit sind auch nach Anpassung der Interventionstechnik günstig: Abgesehen von wenigen Komplikationen am femoralen Zugangsweg (Hämatom, Pseudoaneurysma) sind keine akuten unerwünschten Sicherheitsereignisse (z.B. akutes Nierenversagen, Dissektionen, Perforationen, Blutungen) in den neuen, sham-kontrollierten randomisierten, Studien beobachtet worden. Daher wird die renale Denervation als gut verträglicher endovaskulärer Eingriff mit einem günstigen Nutzen-Risiko Verhältnis angesehen. Somit lassen die Daten der Studien der 2. Generation (Spyral HTN-OFF Med, Spyral HTN OFF Med Pivotal, Spyral HTN ON Med, Radiance HTN Solo, Radiance HTN Trio) auf eine klinische Wiedereingliederung der renalen Denervation in die Hypertoniebehandlung hoffen.

Senkt die renale Denervation das kardiovaskuläre Risiko?

Epidemiologische Langzeitstudien haben einen kontinuierlichen log-linearen Zusammenhang zwischen erhöhtem Blutdruck und vermehrten kardiovaskulären Ereignissen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen festgestellt, unabhängig von Alter, Geschlecht oder etablierten Gefässerkrankungen. Darüber hinaus haben randomisierte kontrollierte Studien gezeigt, dass die Senkung des Blutdrucks durch die Verabreichung von blutdrucksenkenden Medikamenten zu einer verringerten Inzidenz von kardialen und vaskulären Ereignissen führt, ein Effekt, der in grossen Meta-Analysen bestätigt wurde. Stand 2022 ist keine gleichwertigen Studie verfügbar oder in Arbeit, die die Wirkung der renalen Denervation auf die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse analysiert hat. Es kann jedoch angenommen werden, dass eine Blutdrucksenkung durch die renale Denervierung auch zu einer Verbesserung der kardiovaskulären Prognose führt – dies, wie zuvor beschrieben aus dem Zusammenhang von Blutdrucksenkung und kardiovaskulärer Ereignisrate heraus. So kann extrapoliert werden, dass eine Senkung des systolischen Praxisblutdrucks von ca. 10 mmHg, eine schätzungsweise 20% Risikoreduktion für schwere kardiovaskuläre Ereignisse und insbesondere eine Reduktion des Schlaganfallrisikos mit sich bringt.

Die renale Denervation in der klinischen Praxis

Unter Würdigung der aktuellen Studien kann die renale Denervation aus unserer Sicht wieder in die Liste der Therapie­optionen bei einer arteriellen Hypertonie aufgenommen werden. Das Problem bleibt weiterhin die Auswahl der geeigneten Patientinnen und Patienten zur Optimierung der jeweiligen Erfolgschancen.

Mit der Patientenselektion hat sich besonders die italienische Fachgesellschaft für Hypertonie beschäftigt und in ihren aktuellen Empfehlungen die Evaluation der renalen Denervation für folgende Patientengruppen empfohlen:

a) Patienten mit essentieller Hypertonie, die trotz Therapie mit einem RAS-Blocker/Kalziumkanalblocker/Diuretikum in maximal verträglicher Dosis (empfohlen) nicht kontrolliert sind sowie folgende zusätzliche Merkmale aufweisen können:

  • Unerwünschte Wirkungen bei der Einnahme von Spironolacton
  • Schlechte Medikamenteneinnahmetreue trotz umfassender Beratung
  • Systo-diastolische Hypertonie
  • Keine ausgedehnten Gefässschäden
  • Hohes/sehr hohes kardiovaskuläres Lebenszeitrisiko
  • Patientenpräferenzen hinsichtlich Therapie

b) Patienten mit Grad 1-2, systo-diastolischer, essentieller Hypertonie, unbehandelt oder unkontrolliert mit 1-2 blutdrucksenkenden Medikamenten sowie folgender zusätzlicher Merkmale:

  • verschiedene Unverträglichkeiten/Nebenwirkungen gegenüber blutdrucksenkender Medikamente
  • schlechte Medikamenteneinnahmetreue trotz umfassender Beratung
  • hohes/sehr hohes kardiovaskuläres Lebenszeitrisiko
  • paroxysmales Vorhofflimmern und geplante Ablation
  • Patientenpräferenzen hinsichtlich Therapie

Einer epidemiologischen Erhebung zufolge, neigte etwa ein Drittel der Hypertoniepatienten dazu, eine RDN der Pharmakotherapie zur Behandlung des Bluthochdruckes vorzuziehen, wobei erwähnt bleiben muss, dass auch nach der RDN der grösste Anteil der Patienten weiterhin Medikamente einnehmen muss, da der Effekt in etwa einer pharmakologischen Monotherapie entspricht. Insbesondere jüngere Patienten, männliche Patienten, Patienten mit Nebenwirkungen und Patienten, die zugaben, sich nicht an die Therapie zu halten, neigten eher dazu, die RDN einer Pharmakotherapie vorzuziehen. Die Präferenz der Patienten für eine RDN-Behandlung war unabhängig von der Höhe des Blutdrucks und der Anzahl der blutdrucksenkenden Medikamente, wohingegen die Präferenz der Ärzte für eine RDN auf dem Stadium des Bluthochdrucks und der Anzahl der Medikamente beruht. Zusammenfassend empfehlen wir einen strukturierten Weg für den klinischen Einsatz der RDN. Da die Sichtweise der Ärzte und die Präferenzen der Patienten voneinander abweichen können, schlagen wir vor, einen standardisierten gemeinsamen Entscheidungsfindungsprozess einzuführen, um die beste Behandlungsoption für die Blutdruckkontrolle einschliesslich der RDN zu finden.

Insgesamt sollte die Vorabklärung, Indikationsstellung und Behandlung in Zentren erfolgen, welche ausreichend Erfahrung mit der Behandlung von therapierefraktären und sekundären Hypertonieformen und dann auch der Intervention haben sowie die nötige Überwachung und allfällige Behandlungen von Komplikationen innert nützlicher Zeit anbieten können (Abb. 3). So wird in Deutschland zum Beispiel über eine Akkreditierung von renalen Denervationszentren nachgedacht, um eine standardisierte und hohe Behandlungsqualität zu gewährleisten. Zudem sollten die behandelnden Patienten wissenschaftlich nachverfolgt werden.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. David Marono

Oberarzt medizinische Poliklinik
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4, 4031 Basel

Dr. med. Thilo Burkard

Stv. Chefarzt medizinische Poliklinik
und Leiter Hypertoniesprechstunde
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel

thilo.burkard@usb.ch

Das Universitätsspital Basel nimmt am GLS-Define Register des Medtronic Spyral-Katheters teil.

 

Wissen basierend auf der aktuellen Datenlage:
◆ Auf der Grundlage der konsistenten Ergebnisse mehrerer sham-kontrollierter klinischer Studien stellt die RDN nun eine evidenzbasierte Option zur Behandlung des Bluthochdrucks dar, in Ergänzung zu Lebensstiländerungen und blutdrucksenkenden Medikamenten.
◆ Die blutdrucksenkende Wirkung der RDN entspricht in etwa der einer pharmakologischen Monotherapie
◆ Die RDN gilt als ein sicheres endovaskuläres Verfahren ohne signifikante kurz- oder mittelfristige unerwünschte Wirkungen, basierend auf Daten bis zu 3 Jahren.
◆ Die RDN ist eine alternative oder ergänzende, jedoch keine konkurrierende Behandlungsstrategie.
◆ Ein strukturierter Pfad für die klinische Anwendung der RDN in der täglichen Praxis wird dringend empfohlen, um eine individualisierte Entscheidung treffen zu können. Als Entscheidungsgrundlage können die aktuellen Empfehlungen der italienischen Hypertoniegesellschaft zur RND helfen
Wichtige Wissenslücken im Jahr 2021
◆ Prädiktoren für das Ansprechen des Blutdrucks auf eine renale
Denervationstherapie und damit optimale Patientenselektion
◆ Direkter Vergleich verschiedener Ablationstechnologien
◆ Langfristiger Effekt der Blutdrucksenkung und Sicherheit über 3 Jahre hinaus
◆ Sicherheit bei Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion
◆ Randomisierte klinische Studien bei hypertensiven Komorbiditäten
(z. B. chronische Nierenerkrankung, Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz)
◆ Kosten-Wirksamkeits-Analysen auf der Grundlage von Zulassungsstudien
◆ Patientenperspektive, Therapiepräferenz und Lebensqualität

 

1. European Society of Hypertension position paper on renal denervation 2021
Roland E. Schmieder et al,, J Hypertens. 2021 Sep 1;39(9):1733-1741. doi: 10.1097/HJH.0000000000002933.
2. Italian Society of Arterial Hypertension (SIIA) Position Paper on the Role of Renal
Denervation in the Management of the Difficult‐to‐Treat Hypertensive Patient, Rosa Maria Bruno et al, High Blood Press Cardiovasc Prev. 2020 Apr;27(2):109-117. doi: 10.1007/s40292-020-00367-0. Epub 2020 Mar 10.
3. Renale Denervation: Analyse einer Fehleinschätzung, Heinrich Holzgreve, Dtsch Arztebl 2014; 111(18): A-794 / B-682 / C-648,
4. Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK), der Deutschen Hochdruckliga e. V. DHL®/Deutschen Gesellschaft für Hypertonie und Prävention und der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) zur Zertifizierung von «Renale-Denervations-Zentren (RDZ)» – Update. Mahfoud, F., Galle, J., Schunkert, H. et al. Kardiologe 15, 463–470 (2021). https://doi.org/10.1007/s12181-021-00492-7

Individualisierte Abwägung des Blutungsrisikos unter DOACs bei Vorhofflimmern

Direkte orale Antikoagulantien (DOACs) werden zur Vorbeugung von Thromboembolien (TE) (z.B. kardioembolischem cerebrovaskulären Insult (CVI) bei Vorhofflimmern) sowie zur Therapie von TE gebraucht. Im Vergleich zu den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) weisen sie als Medikamentenklasse weniger schwere Blutungen und insbesondere deutlich weniger intrazerebrale Blutungen bei gleich guter oder besserer antithrombotischer Wirkung auf. Kontraindikationen für DOACs bilden die Herzklappenprothesen, die valvuläre Mitralklappenstenose, intrakardiale Thromben, Sinusvenenthrombosen und das Phospholi­pidantikörpersyndrom, welche klassische VKA-Indikationen darstellen. Effektive DOAC-Antagonisten sind heute verfügbar, werden aber unter anderem wegen der kurzen Halbwertszeit relativ selten eingesetzt. Über die letzten Jahre sind gute Daten sowohl aus randomisierten Studien als auch von offenen Registern publiziert worden, die zur Vorbeugung von TE und DOAC-assoziierten Blutungen eine individualisierte Beratung unserer Patienten mit den diversesten Begleiterkrankungen und Charakteristika erlauben (Tumore, Nieren-, Lebererkrankungen, Thrombozytopenie, Co-Medikation, Compliance, frühere Blutungen, etc.). In der vorliegenden Übersicht sind die Fakten für eine individualisierte Arzt-Patienten-Diskussion in der Praxis und in der personalisierten, konkreten, optimalen Antikoagulantien-Therapie zusammengestellt.

Direct oral anticoagulants (DOACs) are applied in the prevention (e.g. cardioembolic stroke in atrial fibrillation) and treatment of systemic thromboembolic events (TE). Compared to vitamin-K-antagonists (VKA), these substances have been shown to be equal or better regarding their antithrombotic effects whilst causing less major bleeds (especially intracranial bleeds). DOACs should not be used in patients with prosthetic heart valves, mitral valve stenosis, intracardiac thrombi, cerebral venous sinus thrombosis or antiphospholipid syndrome. Effective specific antagonists are available, yet they are currently rather rarely used, also due to the short half life of DOACs. Over the past years promising data from randomized and registry studies on the prevention of DOAC-associated bleeding have been published. This information enables us to provide a personalized decision making for our patients in the view of their different characteristics comorbidities (e.g. cancer, renal and hepatic dysfunction, thrombocytopenia, co-medication, compliance, prior bleeds etc.) and personal preferences. This review provides a practical guide on the importance of an individualized shared decision making with oral anticoagulants.
Key Words: NOAC, Bleeding, Vorhofflimmern, risk assessment, practical management, atrial fibrillation, individualized therapy.

Fallbeispiel: Das Konsilium

Bei einer 70-jährigen Patientin wird im Rahmen einer präoperativen Untersuchung im EKG erstmalig ein wenig symptomatisches, normokardes Vorhofflimmern (VHF) festgestellt. Die Patientin soll aufgrund einer schweren Coxarthrose eine Hüft-Totalendoprothese (Hüft-TEP) erhalten. Zur Schmerzkontrolle nimmt sie seit einem Jahr ein rezeptfreies nicht-steroidales Antirheumatikum (NSAR, Ibuprofen 3x400mg), mittlerweile aufgrund progredienter Beschwerden zusätzlich Tramadol 3x50mg, ein. Anamnestisch sind eine arterielle Hypertonie (Candesartan 1x16mg und Amlodipin 1x10mg), eine hypertensiv-bedingte, chronische Niereninsuffizienz (Kreatinin 150μmol/l, Baseline eGFR 45ml/min) sowie eine aktuell recht stabile Immunthrombozytopenie (ITP, aktuell 75,000/μL, schwankend zwischen 50-250‘000/μL) bekannt. Auf Nachfrage berichtet sie von gelegentlichem orthostatischem Schwindel, weswegen sie vor 6 Monaten gestürzt sei, allerdings ohne Verletzungsfolgen. Ferner erlitt die Patientin vor zwei Jahren eine obere gastrointestinale (GI) Blutung, welche im Rahmen einer duodenalen Angiodysplasie (AD) interpretiert wurde. Seit der Laserkoagulation der AD ist die Patientin unter einer dauerhaften Therapie mit Protonenpumpenhemmern (PPI, Pantoprazol 1x40mg). Aufgrund des neu gefundenen VHF interpretieren Sie eine passagere Sprachstörung vor zwei Jahren retrospektiv mit hoher Wahrscheinlichkeit als transitorische ischämische Attacke (TIA). In der Echokardiografie bestätigen Sie bei der klinisch rüstigen Patientin eine leichte Linksherzinsuffizienz (EF 40%). Die Patientin hat aufgrund ihrer Vorgeschichte Vorbehalte gegenüber der Antikoagulation. Der Orthopäde möchte das perioperative, der Hausarzt das längerfristige Procedere festlegen, weshalb Sie konsiliarisch zur Beratung der Patientin beigezogen worden sind.

Individualisierte Nutzen-Risiko-Abwägung und Entscheidungsfindung mit der Patientin

Ist die Antikoagulation in diesem Fall indiziert und wie ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis?
Zur Indikationsstellung einer oralen Antikoagulation nach Erstdiagnose eines primären VHF ist die individuelle Risikoabschätzung mittels Vortestwahrscheinlichkeit einer TE – beim VHF insbesondere CVI/TIA – ausschlaggebend. Zur Einschätzung eines TE-Risikos verwenden Sie den CHA2DS2-VASc-Score (1), welcher gegen den HAS-BLED-Score (2) zur Evaluation des Blutungsrisikos abgewogen wird (Tab. 1). Aufgrund der Vorgeschichte der Patientin ergibt sich ein CHA2DS2-VASc von 6 Punkten (Alter, Geschlecht, Herzinsuffizienz, Hypertonie und hochwahrscheinliche TIA). Dies entspricht einem jährlichen TE-Risiko (CVI, TIA, systemische TE) von 13.6% resp. einem CVI-Risiko von 9.7% (3), weshalb eine orale Antikoagulation zur Vorbeugung eines thromboembolischen Ereignisses gemäss den aktuellen Guidelines klar indiziert ist (4). Allerdings weist die Patientin auch einen HAS-BLED Score von 3 Punkten auf (Alter, Einnahme von NSAR, Status nach GI-Blutung). Sie geben im Blutungs-Score keine Punkte für die arterielle Hypertonie, da sie kontrolliert ist (aktueller Blutdruck bei <160mmHg systolisch) wie auch nicht für die chronische Niereninsuffizienz, da das Kreatinin bei <200μmol/L liegt. Die neu postulierte TIA werten Sie gemäss Definition des HAS-BLED ebenfalls nicht als CVI, so dass Sie für die Patientin ein Risiko für schwere Blutungen gemäss Lip et al. von 5.8% (5) resp. gemäss Pisters et al. von 3.7 pro 100-Patientenjahre (2) prognostizieren.

Die Patientin erkennt, dass anhand dieser Scores ihr TE- resp. CVI-Risiko das Blutungsrisiko deutlich übersteigt, aber sie hat aufgrund ihrer ITP bereits recherchiert und ist auf den HEMORR2HAGES-Score gestossen. Sie hat selbst einen Score von 4 Punkten berechnet (Niereninsuffizienz, Thrombozytopenie, Status nach Blutung), was ein Blutungsrisiko von 10.4% pro 100-Patientenjahre ergibt (6). Die Patientin möchte (zurecht!) wissen, warum die frühere Blutung, welche beim HEMORR2HAGES berücksichtigt wird, in dem von Ihnen angewandten HAS-BLED Score zusammen mit der Thrombopenie nicht gleichermassen berücksichtigt wird (Tab. 1). Sie befürchtet eine Blutung insbesondere aufgrund ihrer ITP. Sie argumentieren, dass die AD, welche die obere GI-Blutung verursacht hat, aufgrund der stattgehabten Intervention und einer kürzlichen Kontrolle mittels Re-Gastroskopie, nun kaum mehr ein Risiko darstelle. Zudem weisen Sie die Patientin darauf hin, dass ihr Blutungsrisiko – zumindest partiell – modifizierbar sei (Tab. 3) (4). Im Fall der Patientin ist es wichtig, die NSAR, durch andere nicht-ulcerogene oder plättchenhemmende Analgetika zu ersetzen und die PPI weiter einzunehmen (4, 7). In Studien wird eine Niereninsuffizienz im HAS-BLED Score als terminale Niereninsuffizienz oder ab einem Kreatinin 2,5mg/dl, d.h. >220μmol/l, was deutlich höher als das Kreatinin der Patientin ist (2). Weiter hat die Patientin genügend hämostatisch aktive Thrombozyten (retikulierte Thrombozyten bis zu 30%, total 50-250’000 Thrombozyten/μL) und hatte bisher klinisch keinerlei mukokutane oder andere relevante Blutungen, für welche die ITP verantwortlich gemacht würde. Sie weisen jedoch die Patientin daraufhin, dass man den behandelnden Hämatologen involviert, um – falls nötig – eine Behandlung der ITP mit Thrombozyten-stimulierenden Medikamenten zu initiieren (8). Damit reduzieren Sie die Blutungsgefahr auf einen Punkt (Thrombozytopenie), wobei hier die Kriterien resp. die Differenzierung der Thrombozytopenie/Thrombozytendysfunktion nicht scharf ist. Dies entspricht nun einer Blutungsrate von ca. 2.5% pro 100-Patientenjahre (6), so dass für die Patientin nun die Risiko-Analyse klar auf die Seite der Thromboembolie liegt.

Die belesene Patientin weist Sie darauf hin, dass Ihre Daten/Argumente aus der Zeit der VKA stammten. Sie geben ihr auch hier Recht, zeigen ihr aber im Direktvergleich die geringere Blutungs- und gleiche bis bessere TE-Rate unter DOACs auf. Aus diesen Daten resultiert unter anderem auch die individualisierte Wahl des DOACs (Abb. 1) (9). In einer kürzlichen Meta-Analyse zeigte sich, dass von 1‘000 Patienten 17 eine relevante Blutung unter VKA erlitten haben und unter DOAC jedoch nur 11. Ebenfalls sank das Blutungsrisiko über die Zeit: Nach 10 Jahren Antikoagulation lag das Risiko einer tödlichen Blutung noch bei 2.4% (10).

Die Patientin möchte nun wissen, ob und wie ein Absetzen zu handhaben wäre, nachdem es trotzdemm zu einer Blutung käme. Längerfristig: Das Risiko der TE nach anhaltendem Absetzen der Antikoagulation erreicht 10% nach 1 Jahr und 36% nach 10 Jahren, wobei 4% dieser TE tödlich waren (11). Dementsprechend würde man ein Absetzen in dieser Konstellation nicht empfehlen. Interessant wäre hingegen die Möglichkeit der Dosisreduktion nach 6 Monaten, falls keine besondere TE-Risikokonstellation vorliegt (11). Sollte im Verlauf das Blutungsrisiko dem TE-Risiko deutlich überwiegen, könnte man bei der ansonsten rüstigen Patientin auch einen operativen Verschluss des linken Vorhofohrs erwägen (vgl. perioperatives und kurzfristiges Management unten) (13)(14).

Welches DOAC soll gewählt werden?

Nach der ausführlichen Anamnese und Untersuchung inkl. Würdigung der Laboranalysen (insbesondere Anämie, Thrombozytopenie, Nieren- und Leberfunktion), Co-Medikation, des Alters, allfällige Tumorleiden, vorgängigen Blutungen, sonstigen Gerinnungsstörungen, Abschätzung der Compliance, der Sturzgefahr und Diskussion der persönlichen Präferenzen zur Einnahmefrequenz (einmalig vs. zweimalige Einnahme/Tag) kann die Wahl des DOACs gemeinsam erfolgen.

Bekannte internationale randomisiert-kontrollierte Studien haben gezeigt, dass DOACs zur Prävention von CVI/TE gleich gut oder besser und zur Prävention von Blutungen deutlich besser abschneiden als VKA (Abb. 1) (9). Gemäss den aktuellen Empfehlungen können bei Vorhofflimmern grundsätzlich alle DOACs zur Anwendung kommen, allerdings haben die einzelnen Präparate in Bezug auf ihre Applikation, Pharmakodynamik und –kinetik, die Effektivität und die Blutungsgefahr individuelle Vorteile (siehe unten, Tab. 2) (4)(13)(15).

DOACs und GI-Blutungen
Grundsätzlich kann man der Patientin aufzeigen, dass mit der Einnahme eines DOAC anstelle des VKA ihr GI-Blutungsrisiko deutlich gesenkt werden kann (Hazard Ratio 0.74, Abb. 1) (9)(16). In einer kürzlich publizierten, grossen Registerstudie von Ingason et al. zur Untersuchung des gastrointestinalen Blutungsrisikos unter DOACs (Rivaroxaban, Apixaban und Dabigatran) wurde ein erhöhtes Risiko bei Patienten unter Rivaroxaban festgestellt (Cave: Kein Direktvergleich in Studien, indirekte Aussagen immer vorsichtig interpretieren). Das DOAC mit dem geringsten Risiko für GI-Blutungen schien Apixaban (Rivaroxaban 3.2% vs. Apixaban 2.5%-Risiko/Jahr (17). Diese Aussage ergibt sich auch aus Registerstudien, Versicherungsanalysen und aus grossen, randomisiert-kontrollierten DOAC-Studien. Hier zeigte sich nämlich das geringste GI-Blutungsrisiko für Apixaban bei voller Dosis und Dabigatran bei reduzierter Dosis (13). Daraus leitet sich Ihre Präferenz und Empfehlung für Ihre Patientin ab. Das GI-Blutungsrisiko kann wie erwähnt mit einer zusätzlichen Gabe von Protonenpumpeninhibitor (PPI) und mit modifizierter analgetischer Therapie gesenkt werden (Tab. 3) (4)(7).

DOACs und Niereninsuffizienz
Da nicht alle DOAC gleichermassen über die Niere eliminiert werden, müssen sie in ihrer Dosierung der Kreatinin-Clearance (eGFR) angepasst werden. Von allen DOAC wird Apixaban am wenigsten über die Niere ausgeschieden (ca. 27%), sodass es bei nierenkranken Patienten das bevorzugte DOAC ist (18). Es kann bis zu einer eGFR von bis 30ml/min zur Anwendung kommen und neuere Daten zeigen gar eine Anwendung bis 15ml/min resp. in Einzelfällen bei Dialysepatienten (13)(19). Bis zu einer eGFR von 30ml/min können ebenfalls Rivaroxaban, Dabigatran und Edoxaban in reduzierter Dosis verwendet werden (Tab. 3) (13).

DOACs und Leberinsuffizienz
Eine fortgeschrittene Leberfunktionsstörung führt zu einer Koagulopathie und zu einer Dysbalance von pro- und antikoagulatorischen sowie fibrinolytischen Faktoren, was in instabilen Gerinnungsparametern resultiert; DOACs sind daher bei schwerer Leberdysfunktion kontraindiziert (ab Stadium Child Pugh B). Mit entsprechender Vorsicht und Kontrolle können bis Child B Dabigatran, Edoxaban und Apixaban zur Anwendung kommen, allerdings ist eine Abwägung von Indikation, Nutzen und Risiken unerlässlich (Tab. 3) (13)(14).

DOACs und Sturzgefahr
Bei Patienten >75 Jahren, welche an Polymorbidität und einem damit einhergehenden «Frailty-Syndrom» leiden, sollte man die Sturzgefährdung beachten. Solche Patienten sind vermehrt gefährdet, eine intrakranielle Blutung (ICB) unter oraler Antikoagulation zu erleiden. Obwohl Studien zeigen, dass der Nutzen der Prävention einer TE und eines CVI der Gefahr einer ICB unter DOAC bei dieser Population überwiegt (15) und das Outcome nach ICB unter DOAC sowie VKA in etwa gleich ist, ist das Management von DOACs nach ICB ein Dilemma. In der Regel können 4-8 Wochen nach einer posttraumatischen ICB die DOACs nach eingehender Nutzen-Risiko-Abwägung wieder eingenommen werden. Allerdings muss bei unveränderbaren intrakraniellen Blutungsrisiken (z.B. cerebrale Amyloidose) das individuelle Blutungsrisiko (Compliance, Alkoholabusus, persistierende Sturzgefahr) und der Vorteil einer erneuten Einnahme von DOAC gut abgewogen werden (13). Da sehr viele von «Frailty» betroffenen polymorbiden Patienten auch untergewichtig sind und eine reduzierte Nierenfunktion aufweisen, werden Sie für diese Patienten die Abgabe von Apixaban in reduzierter Dosis ins Auge fassen (15).

DOACs und Tumorerkrankungen
Bei Patienten mit einem bekannten Tumorleiden können DOAC ebenfalls zum Einsatz kommen (niedermolekulares Heparin, LMWH und DOACs bevorzugt gegenüber VKA). Studien zum Vergleich mit LMWH sind verfügbar, wobei DOACs über alles non-inferior waren (20). Die individuellen Co-Faktoren des Patienten so wie auch das Blutungsrisiko des Tumors (z.B. erhöht bei gastrointestinalen oder urogenitalen Tumoren), gleichzeitige medikamentöse Therapien (Antikörpertherapien/Immunmodulatoren mit starker CYP3A4-Induktion oder –inhibition), vorhandene Begleiterkrankungen (z.B. Malnutrition, Ösophagitis/Gastritis durch Radio-/Chemotherapien, Zytopenien mit z.B. schwankenden Thrombozytenwerten, Niereninsuffizenz unterschiedlicher Dynamik, Dosisanpassungsbedarf, etc.) sind wiederum bei der Entscheidungsfindung zu beachten. Je nach Blutungsrisiko und passagerem Risiko werden Sie deshalb mind. vorübergehend mit LMWH mit angepasster Dosierung behandeln (21). Zusammenfassend sollte die DOAC-Wahl auf die Biologie des Tumors, die Begleittherapien, die individuellen Begleiterkrankungen und die Laborparameter abgestimmt und entsprechend die Dosis angepasst werden (nützliche Hinweise und Algorithmen in (15)(13)(21)(22)).

Soll ein präoperatives «Bridging» erfolgen?

Bei elektiven Eingriffen haben randomisierte-kontrollierte Studien ergeben, dass das kurze präoperative Pausieren der oralen Antikoagulation dem «Bridgen» bzgl. Blutungsrisiko in aller Regel klar überlegen ist. Die Daten zeigen, dass perioperatives «Bridgen» mit dem Overlap von zwei Antikoagulantien das Gerinnungssystem entsprechend mehr belastet und das Blutungsrisiko deutlich erhöht wird. Bei einem geplanten Eingriff kann in Abhängigkeit vom Blutungsrisiko (tief: dentale, dermatologische, ophthalmologische, otologische Eingriffe; mässig: z.B. Endoskopie, hoch: z.B. orthopädischer oder neurochirurgischer Eingriff) und des TE-Risikos sowie der Nierenfunktion des Patienten meist ein gutes präoperatives Einnahmeschema erarbeitet werden (Abb. 2). Handelt es sich um eine notfallmässig indizierte Operation, erfolgt in der Regel die letzte Einnahme gleichentags der Indikationsstellung. Daher muss der Operateur evaluieren, ob die Notfalloperation innert Minuten, Stunden oder Tagen (Halbwertszeiten, Plasmakonzentrationen) stattfinden muss. In sehr dringenden Fällen empfiehlt sich die rasche Evaluation eines umfassenden Gerinnungslabors (inkl. PT, aPTT, spezifische anti-Xa Konzentrationen resp. Thrombinzeiten, sowie der spezifischen Plasmakonzentration im Falle von Dabigatran). Anhand dessen sollte die Evaluation einer spezifischen Antagonisierung des DOACs im interdisziplinären Team (zurückhaltend) stattfinden (13) (laufende Studien). Aktuell werden insbesondere bei lebensbedrohlichen, unkontrollierbaren Blutungen spezifische Antagonisten empfohlen: Dabigatran kann mit Idarucizumab, Rivaroxaban sowie Apixaban können mit Adnexanet alfa antagonisiert werden. Für Edoxaban ist die Datenlage noch nicht als ausreichend beurteilt, allerdings könnte in Zukunft auch Andexanet alfa zum Einsatz kommen. Bis dahin kann Prothrombinkomplex-Konzentrat angewandt werden (23).

Zusammenfassende Empfehlungen für Ihre Patientin

Zusammenfassend empfehlen Sie Ihrer Patientin bei einem deutlich erhöhten TE-Risiko die orale Antikoagulation. Aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos schlagen Sie der Patientin eine Therapie mit DOACs vor. Die Reduktion des Blutungsrisikos diskutieren Sie eingehend: Sie raten Ihr zur Einnahme von PPI, die Sistierung der Therapie mit NSAR, einer erneuten Kontroll-Gastroskopie sowie engmaschige Kontrollen der Thrombozytenzahl, der Nierenfunktion sowie des Blutdrucks. Wegen des anamnestischen GI-Blutungsrisikos werden Sie eher eine Antikoagulation mit Apixaban oder Dabigatran in angepasster Dosis wählen, wobei letzterer Wirkstoff aufgrund der Niereninsuffizienz eher sekundär oder nur unter engmaschiger Kontrolle zu wählen ist. Ebenfalls diskutieren Sie mit der Patientin die zweimal tägliche Medikamenteneinnahme. Sollte dies seitens der Patientin oder Ihrerseits aus Gründen der Compliance nicht in Frage kommen, könnte Rivaroxaban oder auch Edoxaban in reduzierter Dosis angewendet werden. Sie empfehlen dann jedoch engmaschige Stuhl- und Hämoglobinkontrollen.

Aufgrund des deutlich erhöhten Blutungsrisikos der geplanten Operation wird man der Patientin empfehlen, das DOAC im Falle von Apixaban 48h und im Falle von Dabigatran 72h vor Schnitt abzusetzen. Der Operateur lässt zusätzlich bei vorhandener Niereninsuffizienz und Thrombozytopenie vor der Operation einen anti-Faktor-Xa-Spiegel bestimmen, der keine überhöhte Apixaban-Plasma-Konzentration im Sinne einer Kumulation zeigte. Am Abend des ersten und zweiten postoperativen Tages entscheidet sich der Operateur für eine prophylaktische Fragmin-Gabe von 5‘000E s.c. Am dritten postoperativen Tag konnte bei komplikationslosem postoperativem Verlauf und konstanter Thrombozytenzahl >70‘000/μl die Einnahme von 2×2.5mg Apixaban p.o. wiederaufgenommen werden.

Wie bereits vorgängig angemerkt, empfehlen Sie dieser Patientin engmaschige klinische (Blutungsstigmata) und laborchemische (Kreatinin und Blutbild) Kontrollen. Sie empfehlen, die Patientin im ersten Monat zur wöchentlichen, im zweiten Monat zu zwei-wöchentlichen ambulanten Visiten aufzubieten.

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dipl. med. Thea Ziswiler

Department Innere Medizin
Kantonsspital Baden
5404 Baden

Prof. Dr. med.Jürg Hans Beer

Leiter Gerinnungssprechstunde Kantonsspital Baden, 5404 Baden
Labor für Molekulare Kardiologie, Leiter Plättchenforschung,
Universität Zürich
Wagistrasse 12
8952 Schlieren

hansjuerg.beer@ksb.ch

Prof. J.H. Beer: Grant Support des Schweizerischen Nationalfonds (Gesuchsnummer 310030_144152), der Schweizerischen Herzstiftung, der Kardio Stiftung, Grant und Beratungs-Support an die Institution durch Bayer, Sanofi und Daitchii. T. Ziswiler deklariert keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel.

◆ Bei der Indikationsstellung zur Antikoagulation müssen das
Thromboembolie- und Blutungsrisiko individualisiert gegeneinander abgewogen werden.
◆ Insbesondere bei speziell blutungsgefährdeten Patienten ist
eine gute Aufklärung bzgl. der assoziierten Risikofaktoren und regelmässige klinisch sowie laborchemische Kontrollen unter einer DOAC-Therapie unerlässlich.
◆ Potentiell und effektiv modifizierbare blutungsassoziierte Risikofaktoren müssen gründlich erfragt, untersucht und therapiert werden.
◆ Prä- und perioperatives Bridging soll nur in seltenen, speziellen
Ausnahmefällen (z.B. mechanische Herzklappenprothese und
Vorhofflimmern mit Stroke) angewandt werden, da eine passagere duale Antikoagulation zu einem deutlich erhöhten Blutungsrisiko führen kann.

1. Lip GYH, Nieuwlaat R, Pisters R, Lane DA, Crijns HJGM, Andresen D, et al. Refining clinical risk stratification for predicting stroke and thromboembolism in atrial fibrillation using a novel risk factor-based approach: The Euro Heart Survey on atrial fibrillation. Chest. 2010;137(2):263–72.
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Krampfadern – sklerosieren, operieren oder ignorieren?

Varizen kann man im Prinzip sklerosieren, operieren oder ignorieren. Die Behandlung ist mit wenigen Ausnahmen fakultativ, nicht obligat. Es gibt allerdings durchaus Argumente für ein aktives Vorgehen. Diese sind: Beschwerden, die auch tatsächlich durch die Varikose bedingt sind; schwere Stauungszeichen wie Ödem und Hautveränderungen; Komplikationen wie Varikophlebitis, Varizenblutung, Ulcus cruris; kosmetisch störender Befund; jugendliches Alter. Die Behandlung muss auf jeden Fall individuell und massgeschneidert und die Patientin/der Patient sozusagen «reif» für eine Therapie oder anders gesagt «befähigt zum Selbstentscheid gemacht worden» sein, wenn die Massnahme dann tatsächlich erfolgen soll.

Abstract: In principle, varicose veins can be sclerosed, operated on or ignored. With few exceptions, treatment is optional, not mandatory. There are, however, arguments in favor of an active approach. These are: Complaints that are actually caused by the varicosis; severe signs of congestion such as edema and skin changes; complications such as varicophlebitis, variceal bleeding, leg ulcers; cosmetically disturbing findings; youn g age. In any case, the treatment must be individualized and tailored to the patient’s needs, and the patient must be “ready” for therapy, so to speak, or, in other words, “empowered to make his or her own decision” if the measure is actually to be taken.
Key Words: Varicosis, variceal bleeding, varicophlebitis, leg ulcers

Das ewige Lied mit den Krampfadern! Ja, die Varikose ist so zu sagen der wilde Westen der Medizin. Viel zu häufig werden Patientinnen und Patienten schlecht oder gar falsch beraten. Nicht so selten soll an ihnen entweder verdient oder aber gespart werden. Entscheidend ist gerade deshalb eine integre individuell massgeschneiderte Beurteilung und Therapie. Dabei gibt es starke Argumente für ein konservatives, aber durchaus auch legitime Begründungen für ein aktives Vorgehen. Der schlimmste Fehler aber ist es, Patientinnen und Patienten zu einer Massnahme zu überreden, die sie nicht brauchen und bei guter Beratung auch gar nicht wollen.

Irrtum Nr. 1:
«Man hat mir gesagt, ich hätte auch tiefe Krampfadern»

Stimmt nicht!

Varizen sind erweiterte, geschlängelte, überwiegend epifasziale Venen im Ausbreitungsgebiet der Vena saphena magna oder parva sowie im Bereich der das oberflächliche mit dem tiefen Venensystem verbindenden Venae perforantes. Sie sind die Folge einer degenerativen Venenwandveränderung. Es bestehen zwar hämodynamische Rückwirkungen auf das tiefe Venensystem, doch eine eigentliche Varikose des tiefen Venensystems existiert nicht!

Es wird unterschieden zwischen einer primären (ca. 95%) und einer sekundären (ca. 5%) Varikose (letztere weit überwiegend als Folge einer tiefen Beinvenenthrombose).

Varizen sind häufig (etwa jede dritte Frau und jeder fünfte Mann) (1). Die Einteilung der Varikose folgt der Grösse der befallenen Venen. Stellen Sie sich dazu als Bild des oberflächlichen Venensystems einen Baum ohne Blätter vor, der auf dem Kopf steht (Abbildung 1). Sind die feinsten Ästchen betroffen (Durchmesser < 1mm), spricht man von Besenreiservarizen (intradermale Teleangiektasien). Grössere Ästchen (Durchmesser 1-4 mm) werden als retikuläre Varizen bezeichnet (und gehören ebenfalls noch zur Gruppe der kutanen Varizen). Die Gruppe der epifaszialen Krampfadern umfasst neben der Nebenast- noch die Stammvarikose von V. saphena magna und parva. Die Einteilung der Stammvarikose nach Hach folgt dem Insuffizienzniveau und ist etwas für Spezialisten. Die CEAP-Klassifikation, basierend auf Klinik, Ätiologie, Anatomie und Pathophysiologie ist sicherlich geeignet für wissenschaftliche Studien, aber eine Zumutung für den Nichtspezialisten. Wer schlägt als Zuweiser schon eine Klassifikation nach, um einen Bericht verstehen zu können, zumal dies dann meist ohne praktische Konsequenz bleibt. Meiner Ansicht nach wäre der Spezialist gut beraten deskriptiv zu bleiben, um das Leben des Zuweisers nicht zu erschweren.

Irrtum Nr. 2:
«Ich habe Krämpfe, weil ich Krampfadern habe»

Stimmt nicht!

Der Begriff «Krampfader» hat nichts mit Krämpfen zu tun! Er stammt ab vom althochdeutschen Wort «Krumbader», die krumme Ader. Krämpfe können zwar selten einmal auch von Krampfadern kommen, sehr viel häufiger aber haben sie eine gänzlich andere Genese!

Irrtum Nr. 3:
«Ich bin selber schuld, dass ich Krampfadern habe»

Stimmt nicht oder nur sehr bedingt!

Der Hauptrisikofaktor für die Varikose ist eindeutig die Genetik. Ein befallener Elternteil führt bei 68% der Kinder zu einer Varikose. Befall beider Elternteile sogar bei 75% (2). Naturgemäss ist das Alter ein zusätzlicher Risikofaktor, da es sich ja um einen chronisch-progredienten Prozess handelt. Zusatzfaktoren wie weibliches Geschlecht, Adipositas, lange stehende und sitzende Tätigkeiten, Schwangerschaften sind einzig Katalysatoren dieses Prozesses.

Weil dies so ist, führen alle therapeutischen Massnahmen nicht zu einer Heilung, sondern nur zu einer Verbesserung des aktuellen Zustandes und einem Hinauszögern der Progression. Dies kann nicht selten in eine Sisyphusarbeit ausarten und sollte der Patientin/dem Patienten auch so kommuniziert werden.

Irrtum Nr. 4:
«Ich habe Beinbeschwerden und die sind nach der Behandlung der Varikose weg»

Stimmt nicht! Dafür gibt es definitiv keine Garantie.

Krampfaderpatienten können ein Spannungs-, Druck- und Schweregefühl der Beine aufweisen. Auch Juckreiz, nächtliche Wadenkrämpfe, Parästhesien, Hitzegefühl und unruhige Beine sind möglich. Etwa 50% der Patientinnen und Patienten mit Varikose weisen derartige Beschwerden auf.

Aber: Auch etwa 50% der Patientinnen und Patienten ohne Varikose zeigen entsprechende Symptome! Dies zeigte bereits die bahnbrechende Basler Studie von 1978 (als Schweizer darf man auf diese erste grosse europäische Studie zur Prävalenz der Venenerkrankungen durchaus stolz sein) (3). Es führt also nur zu Frustration auf allen Seiten, wenn man der Patientin/dem Patienten Beschwerdefreiheit auf jeden Fall verspricht. Sollte es dagegen zu Beschwerdefreiheit kommen, ist es natürlich umso besser!

Immerhin gibt es anamnestische Hinweise, dass die Beschwerden phlebologisch bedingt sein könnten. Diese sind: Verschlimmerung der Beschwerden gegen Abend; Zunahme der Symptomatik nach langem Stehen oder Sitzen und bei Wärme; Besserung bei Hochlagern der Beine oder Umhergehen. Trotzdem ist eine Differenzierung zu rheumatologischen und anderen Beschwerden oft alles andere als ein Kinderspiel.

Irrtum Nr. 5:
«Ohne Behandlung bekomme ich ein offenes Bein»

Stimmt nur sehr selten!

Jede fünfte Frau und jeder sechste Mann entwickelt eine chronisch-venöse Insuffizienz (4). Die chronisch-venöse Insuffizienz ist pathophysiologisch nichts anderes als eine langsame venöse Infarzierung von Haut und Subkutis auf Grund einer venösen Hypertonie mit Mikrozirkulationsstörung (5). Der Prozess beginnt mit einem reversiblen Ödem, besenreiserartigen Erweiterungen der Venen besonders submalleolär medial (Corona phlebectatica paraplantaris), geht über in ein persistierendes Ödem, Stauungsekzem (abakterielle Hypodermitis) mit Juckreiz, Hyperpigmentierungen (purpura jaune d`ocre), Depigmentierungen (capillaritis alba) mit atrophischen Hautbezirken (atrophie blanche), Induration von Dermis und Subkutis (Dermatoliposklerose) und zyanotische Hautfarbe und endet in einem floriden oder abgeheilten Ulkus (Tabelle 1). In der Gesamtbevölkerung findet sich aber nur bei 0,1% ein florides und bei 0,7% ein abgeheiltes Ulcus cruris (4).
Würden alle Krampfaderpatienten mit dem Argument Ulkusprävention behandelt, käme es zu einer Flut von unnötigen Eingriffen. Es ist also gerechtfertigt und sinnvoll und es bleibt genügend Zeit, nur diejenigen zu operieren, die an einem Präulkus herumlaborieren oder bereits ein Ulkus aufweisen.

Irrtum Nr. 6:
«Ich muss Angst vor einer Thrombose oder Lungenembolie haben.»

Stimmt nur selten.

Die wichtigste und eine typische Komplikation der Varikose ist die Varikophlebitis, also die oberflächliche Venenthrombose einer varikös veränderten Vene. Diese ist unbedingt zu differenzieren von einer Thrombophlebitis einer nicht vorveränderten oberflächlichen Vene, einem vollständig anderen Krankheitsbild (6,7). Die Varikophlebitis ist zwar «nur» eine oberflächliche Venenthrombose, aber «auch ein kleines Ferkel ist ein Schwein». In knapp 7% kann sie zu einer tiefen Beinvenenthrombose führen, welche wiederum in rund 20% von einer Lungenembolie begleitet ist (8). Die Varikose führt also zu einem leicht erhöhten Risiko für Thrombose und Lungenembolie. Allerdings ist es eine relativ einfache Massnahme, eine Varikophlebitis, die man nicht verpassen kann («rubor, tumor, calor, dolor»), unverzüglich mit einer vorübergehenden Antikoagulation zu behandeln, um eine Propagation ins tiefe Venensystem zu verhindern.

Irrtum Nr. 7:
«Ich kann wegen der Varizen verbluten»

Stimmt fast nicht.

Varizenblutungen sind selten (<1%)(9). Sie können nach einem Trauma auftreten oder auch spontan, vor allem natürlich bei antikoagulierten Patientinnen und Patienten. Ein Verbluten aus dem oberflächlichen Niederdrucksystem ist eine exquisite Rarität. Dazu müssen schon ganz aussergewöhnliche Rahmenbedingungen vorliegen (z.B. Alkoholiker im Rausch nach einem Trauma). Hochlagern und Kompressionsverband über ein paar Tage lösen das Problem, das auf die betroffene Patientin/den betroffenen Patienten durchaus bedrohlich wirken kann.

Irrtum Nr. 8:
«Eine Schwangerschaftsvarikose muss nach der Geburt schnell saniert werden»

Falsch.

Das Aufschiessen einer Varikose während der Schwangerschaft ist typisch. Die Komplikation einer mündungsnahen Varikophlebitis ist heimtückisch und bedarf wegen der potentiellen Propagation in die Tiefe mit der Lebensgefahr einer Lungenembolie eines raschen Handelns. Mit der Sanierung einer Varikose nach Beendigung einer Schwangerschaft soll dagegen mindestens 6 Monate zugewartet werden, da das Regressionspotential erfahrungsgemäss erheblich ist und ausgenutzt werden sollte (4).

Irrtum Nr. 9:
«Ich kann es ja mal mit Medikamenten versuchen»

Schadet immerhin kaum.

Der Nutzen von Venenpharmaka ist gesamthaft ungenügend dokumentiert und bescheiden (10). Keines der Mittel beeinflusst den Verlauf der Erkrankung. Immerhin ist ein symptomatischer Nutzen bei Beinbeschwerden einer chronischen Veneninsuffizienz genügend dokumentiert. Dies gilt insbesondere für Rosskastanienextrakte, Hydroxyethylrutoside, Diosmin und Calciumdobesilat. Immerhin schaden die aus der Phytotherapie übernommenen Medikamente kaum. Schwerere Nebenwirkungen sind nicht bekannt, ausser bei Calciumdobesilat (Agranulozytose). Gesamthaft helfen die Medikamente kaum, sie schaden aber auch wenig (10).

Irrtum Nr. 10:
«Jetzt muss ich einen Strumpf tragen»

Meist falsch.

Auch hier gilt, dass die Kompressionstherapie kaum schadet. Es wurde aber noch nie belegt, dass sie bei der Varikose ohne chronische Veneninsuffizienz den Verlauf günstig beeinflussen kann (4). Bei chronischer Veneninsuffizienz mit Ödem und Hautveränderungen ist die Kompressionstherapie dagegen ein Hauptpfeiler der Behandlung, indem sie den Verlauf der mikrozirkulatorischen Infarzierung durch Bekämpfung der venösen Hypertonie abbremst (5).

Die Kompressionstherapie soll also mit Bedacht angewendet werden. Im Prinzip ist sie ja eine Zumutung und sollte keinem Patienten ohne Not aufs Auge gedrückt werden.

Irrtum Nr. 11:
«Es ist ja eine kleine Operation»

Falsch.

Ja, Varizenoperationen und andere Eingriffe wie Sklerotherapie sind für den Chirurgen/Therapeuten keine grossen Operationen/Eingriffe, aber es sind trotzdem Massnahmen mit potentiellen Nebenwirkungen. Es gibt in der Medizin wenig Ärgerlicheres als zu einem Eingriff geraten zu haben, der zu einer Komplikation führt, nur um sich nachher hintersinnen zu müssen, ob der Eingriff auch tatsächlich nötig gewesen sei.

Danksagung: Der Autor bedankt sich bei PD Dr. med. R. Inderbitzi, Prof. em. Dr. med. H.J. Leu und Dr. med. N. Wahli für die kritische Durchsicht des Manuskriptes.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. h.c. PD Dr. med. Anders J. Leu

Innere Medizin und Angiologie FMH
HerzGefässKlinik Bethanien
Toblerstrasse 51
8044 Zürich

info@angio.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die Varikose ist sehr häufig. Sie kann die Lebensqualität einschränken, muss es aber nicht.
◆ Eine Behandlung ist kaum je obligat («man kann, man darf; man muss nicht»).
◆ Es gibt aber Argumente für ein aktives Vorgehen. Diese sind: Beschwerden, die tatsächlich von der Varikose kommen; Komplikationen wie Varikophlebitis, Varizenblutung, Ulcus cruris und andere schwere Stauungszeichen; aber auch belastender kosmetischer Aspekt. Selbstverständlich sind diese von unterschiedlicher Wertigkeit, abhängig vom Alter des Patienten.
◆ Achtung: Die Phlebologie ist der wilde Westen der Medizin. Kaum sonst wird an Patientinnen und Patienten derart verdient oder aber gespart

 

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3. Widmer LK, Stähelin B, Nissen HC et al. Venen-, Arterien-Krankheiten, koronare Herzkrankheit bei Berufstätigen: Prospektiv-epidemiologische Untersuchung. Basler Studie I-III 1959-1978, Hogrefe, 1993.
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10. Ritzmann P. Venenmittel. Pharma-kritik 2000; 22 (7): 25-28.

Magenkarzinome

Adenokarzinome des Magens sind eine mässig häufige, aber prognostisch noch immer ungünstige Tumorerkrankung. Bei lokalisierten Stadien erfolgt bei Erstdiagnose ein exaktes endoskopisches sowie bildgebendes Staging, häufig ergänzt durch eine diagnostische Laparoskopie samt Spülzytologie. Bei der histologischen Untersuchung des Gewebes ist neben der Subtypisierung nach Lauren zusätzlich die Bestimmung der Mikrosatelliten-Stabilität angezeigt. Die kurative Behandlung des Magenkarzinoms besteht nur in Frühstadien aus alleiniger endoskopischer oder chirurgischer Resektion. Bei lokal fortgeschrittenen Tumoren kommt eine perioperative Chemotherapie mit FLOT (5-FU, Leucovorin, Oxaliplatin, Docetaxel) in Kombination mit der (sub-)totalen Gastrektomie mit D2-Lymphknotenresektio zum Einsatz. Bei metastasierten Tumorleiden erfolgt eine Platin- und 5-FU-basierte Systemtherapie. Bei PD-L1-positiven Tumoren ist eine zusätzliche Gabe von anti-PD1 Antikörpern indiziert. Bei HER2/neu-positiven Tumoren wird die Chemotherapie mit dem anti-HER2 Antikörper Trastuzumab ergänzt. Weitere Chemotherapie­protokolle kommen in späteren Behandlungslinien zum Einsatz, vielversprechende neue Substanzen für definierte molekulare Untergruppen befinden sich in klinischer Entwicklung. Trotz relevanter Fortschritte in den letzten Jahren bleibt die Rückfallrate nach Resektion hoch und die Gesamtsituation bei metastasierter Erkrankung palliativ mit mittleren Überlebenszeiten von nur wenig über einem Jahr.

Adenocarcinomas of the stomach are not amongst the most frequent cancers of the Western world but they warrant attention for their dismal prognosis. Diagnostic work-up for gastric cancer includes endoscopy with biopsy, endosonography, CT staging and diagnostic laparoscopy. There is a need for assessment of mismatch repair deficiency in all stages of disease. Curative therapy of gastric cancer consists of upfront resection in early stages, perioperative chemotherapy with FLOT and (sub-) total gastrectomy with D2 lymph node dissection in local advanced disease. In case of metastatic disease, first line palliative therapy is based on chemotherapy with platinum and 5-FU. If the tumor expresses PD-L1, an anti-PD1 antibody should be added. In HER2-positive tumor, the anti-HER2 antibody trastuzumab should complement chemotherapy. Further line chemotherapy protocols are available, and novel substances are in clinical development for distinct molecular subgroups. Despite recent progress, relapse rate after curative treatment remains high, and patients with metastatic disease are being treated with palliative intent, achieving a median overall survival of little more than one year.
Key Words: adenocarcinoma, stomach, gastric cancer, FLOT

Epidemiologie

Im Magen gibt es drei verschiedene Kategorien von Tumoren: das Adenokarzinom der Magenschleimhaut, die neuroendokrinen Tumoren der endokrin aktiven Magenschleimhautzellen und die Stromatumoren der Magenwand. In diesem Artikel konzentrieren wir uns auf das Adenokarzinom der Magenschleimhaut, den häufigsten und prognostisch schlechtesten Magentumor.

Magenkarzinome waren vor 100 Jahren häufiger als sie es heute sind. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass damals mehr gepökelte Lebensmittel und damit mehr Nitrite und Nitrate konsumiert wurden. Mit der Einführung des Kühlschranks hat die Rate der Magenkarzinome über die Zeit abgenommen. Neben alimentären gibt es auch andere Risikofaktoren für die Entstehung eines Magenkarzinoms (Abb. 1). Eine Raucher-Anamnese erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung. Ein gastraler Infekt mit Helicobacter pylori ist ebenfalls ein Risikofaktor. Magenkarzinome ohne H. pylori Infekt sind seltener, aber die meisten Menschen mit einem H. pylori Infekt werden nie ein Magenkarzinom entwickeln. Weiterhin gibt es auch ein epidemiologisches Ost-West Gefälle: Magenkarzinome sind in asiatischen Ländern häufiger. Allerdings haben die Magenkarzinome im Osten häufig günstigere histologische Charakteristika, sodass die Überlebensraten regelmässig 30-40% über denjenigen der westlichen Länder liegen.

Hereditäre Magenkarzinome sind selten und kommen typischerweise bei familiärem Verlust des Adhäsionsmoleküls E-cadherin vor. Die Penetranz von Magenkarzinomen bei E-cadherin Verlust ist hoch (über 80% Lebenszeit­risiko für die Entwicklung von Magenkrebs). Es gibt andere hereditäre Risikofaktoren (Li Fraumeni, APC Mutationen, Peutz-Jegher), die jedoch recht unspezifisch das Risiko für verschiedene Tumorentitäten erhöhen, nicht nur für Magenkarzinome (Abb. 1).

Symptome und Staging

Magenkarzinome verursachen zumindest in frühen Stadien wenig Symptome (Abb. 2). Aufgrund der insgesamt mässigen Inzidenz in westlichen Ländern wird trotz der fehlenden Frühsymptome kein Screening empfohlen. In den Hochinzidenzländern Asiens werden hingegen Screeningprogramme angeboten. Bei Progress können Magentumoren entweder lokal (z.B. gastrointestinale Blutung durch Arrodierung von Blutgefässen) oder systemisch (z.B. Passagestörung bei peritonealen Absiedlungen) symptomatisch werden. In diesem Fall ist eine Diagnostik mittels Endoskopie und Biopsie sowie ein CT Thorax/Abdomen nötig. Zur besseren Abschätzung der Eindringtiefe des Tumors in die Magenwand sowie des lokalen Lymphknotenbefalls kann eine Endosonographie nützlich sein. Vor einem kurativen Eingriff kann einmalig ein PET/CT zur Komplettierung des Stagings durchgeführt werden, auch wenn die Daten­lage dafür eher dürftig ist. Eine diagnostische Laparoskopie wird in ca. 20 % der Fälle eine bisher bildgebend unentdeckte Peritonealkarzinose aufdecken können.

Was heute auch zur initialen Diagnostik des Magenkarzinoms gehören sollte, ist die Bestimmung der Mikrosatellitenstabilität (Tab. 1). Retrospektive Analysen haben Zweifel am Nutzen einer perioperativen oder adjuvanten Chemotherapie beim mikro­satelliten-instabilen (MSI-H), kurativ behandelbaren Adenokarzinom des Magens geweckt (1).

Tumormarker spielen in der Diagnose des Magenkarzinoms keine Rolle. Zu erwähnen ist einzig, dass Magenkarzinome in seltenen Fällen (<15%) AFP ausschütten können. Die Bedeutung dieses Befundes erschöpft sich darin, dass AFP-positive Magen­karzinome eine schlechtere Prognose haben.

Kurative Therapie

Zeigt das Staging ein lokalisiertes Magenkarzinom, kann eine Behandlung mit kurativer Intention erfolgen (Abb. 3). Für mikro­satelliten-stabile (MSS) Tumoren ist eine präoperative Behandlung mit 4 Gaben FLOT (5FU, Oxaliplatin, Docetaxel) gefolgt von einer Operation sowie weiteren 4 Gaben FLOT der aktuelle Standard. Einige Zentren geben stattdessen 6 Zyklen FLOT vor der Operation und verzichten dafür auf eine Chemotherapie nach der Resektion. Das hat damit zu tun, dass die Adhärenz zur postoperativen Chemo­therapie bescheiden ist und bei einigen Patienten mit dieser total-neoadjuvanten Strategie eine höhere Gesamtdosis und Dosisdichte erreicht werden kann. Bei den MSI-H Tumoren laufen aktuell Studien, ob eine Chemoimmuntherapie oder eine alleinige Immuntherapie mit einem Checkpoint-Inhibitor der bessere Ansatz ist.

Die Standard-Operation beim Adenokarzinom des Magens ist eine subtotale oder totale Gastrektomie. Das hat unter anderem damit zu tun, dass ein Lymphknotenbefall schon bei relativ kleinen Primarien häufig ist (ca. 10%, 34%, und 44% bei T1a, T1b, bzw. T2 Tumoren) Bei der operativen Sanierung sollte immer eine D2 Lymphknoten-Resektion angestrebt werden. Ist aus welchen Gründen auch immer keine präoperative Chemotherapie erfolgt, sollte nach D2 Resektion bei einem postoperativen pT3/4 und/oder pN+ Stadium eine adjuvante Chemotherapie mit z.B. Capecitabine und Oxaliplatin erfolgen. Bei R1/2 Resektion oder einem Stadium pT3/4 bzw. pN+ ohne vorangegangener D2 Resektion, besteht die Möglichkeit einer postoperativen Radiochemotherapie. In seltenen Fällen kann in frühesten Stadien eine endoskopische Resektion eines Magenkarzinoms erfolgen. Das ist nur bei gut oder mässig differenzierten Tumoren mit einer Grösse von ≤2 cm und ohne Invasion der tiefen Submucosa oder der Lymphgefässe statthaft (pT1a Stadium). Auf jeden Fall müssen bei einer endoskopischen Resektion die lateralen und tiefen Schnittränder tumorfrei sein und eine engmaschige Nachbeobachtung erfolgen.

Palliative Therapie

Ist keine Heilung möglich, geht es mit einer palliativen Therapie darum, die Lebensqualität zu verbessern und die Lebenszeit zu verlängern. Für die Erstlinientherapie stehen Platin- und 5-FU basierte Therapien zur Verfügung, z.B. in Form von FOLFOX. Anthracycline (wie z.B. Epirubicin) spielen praktisch keine Rolle mehr (2). Exprimieren Magenkarzinome PD-L1 (Combined positivity score (CPS ≥ 5), dann ist eine Behandlung mit FOLFOX und einem anti-PD1 Antikörper (Nivolumab) indiziert, in Analogie zur Checkmate 649 Studie. In der zweiten Linie ist eine Behandlung mit Taxanen, Ramucirumab, Paclitaxel/Ramucirumab oder Irinotecan möglich. In der dritten Linie gibt es Daten für TAS-102 sowie für Nivolumab als Monotherapie, sofern dieses nicht bereits in der ersten Linie eingesetzt worden ist.

Ist das Magenkarzinom HER-2 positiv (ca. ¼ aller Magenkarzinome), dann ist eine Behandlung mit Platin, 5-FU und Trastuzumab nötig. Aktuell laufen Studien, ob in diesem Fall neben Trastuzumab auch eine zusätzliche Kombination mit Pembrolizumab sinnvoll wäre. In der zweiten Linie kann man über eine Behandlung mit Trastuzumab-Deruxtecan nachdenken, einem neuen Antikörper-Drug-Konjugat. Hingegen sind andere Medikamente, die beim HER-2 positiven Brustkrebs etabliert sind, beim HER-2 positiven Magenkarzinom nicht (genug) wirksam, insbesondere Trastuzumab-Emtansin oder Trastuzumab/Pertuzumab Kombinationen.

MSI-H Magentumoren machen ca. 10% aller Magenkarzinome, aber nur rund 3% der metastasierten Magenkarzinome aus. In der palliativen Situation besteht bei MSI-H Magenkarzinomen die Indikation für eine Erstlinien-Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren. Diese kann im besten Fall zu dauerhaften Remissionen und damit zu einem viel besseren Outcome führen als wir es für MSS Magenkarzinome erwarten können. Es ist deshalb ausserordentlich wichtig, den Mikrosatelliten-Status von Magenkarzinomen früh und zuverlässig zu erfassen (Abb. 3).

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Dr. med. Ralph Fritsch

Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Universität und Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

Dr. med. Saskia Hussung

Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Universität und Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

Prof. Dr. med. Andreas Wicki

Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

Universität Zürich
Medizinische Fakultät
Pestalozzistrasse 3
8032 Zürich

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Lokalisierte Adenokarzinome des Magens werden mit einer perioperativen Chemotherapie (FLOT) sowie einer (sub-) totalen Gastrektomie mit D2-Lymphknotenresektion behandelt.
◆ Sowohl in der kurativen als auch in der palliativen Situation ist der Mikrosatelliten-Status (instabil versus stabil) ein wichtiger biologischer Marker.
◆ Beim metastasierten Adenokarzinom des Magens werden Mikrosatelliten-stabile Tumoren mit einer Platin- und 5FU-basierten Chemotherapie behandelt. Bei Expression von PDL1 wird zusätzlich zur Chemotherapie ein Checkpoint-Inhibitor (anti-PD1 Antikörper) verabreicht. Bei Her2 positiven Magenkarzinomen wird zusätzlich der anti-Her2 Antikörper Trastuzumab eingesetzt.
◆ Beim metastasierten Mikrosatelliten-instabilen Magenkarzinom ist die Immuntherapie (ohne Chemotherapie) die Behandlung der Wahl.

1. Pietrantonio F, Miceli R, Raimondi A, et al. Individual Patient Data Meta-Analysis of the Value of Microsatellite Instability As a Biomarker in Gastric Cancer. J Clin Oncol, 2019;37:3392-3400
2. Oba K, Paoletti X, Bang YJ, et al. Role of chemotherapy for advanced/recurrent gastric cancer: an individual-patient-data meta-analysis. Eur J Cancer, 2013;49:1565-1577
3. Wanebo H, Kennedy B, Chmiel J, Steele G Jr, Winchester D, Osteen R. Cancer of the stomach: a patient care study by the American College of Surgeons. Ann Surg 1993;218:583-592