Ausgewählte Studien zu soliden Tumoren

Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum und Endometriumkrebs.
Eine Meta-Analyse.

Quelle: Gao Y et al. Association between coffee drinking and endometrial cancer risk: A meta-analysis. J. Obstet. Gynaecol. Res. 2022; doi:10.1111/jog.15139J.

Das Endometriumkarzinom ist mit einer Inzidenz von 12,9 pro 100’000 Frauen und einer Sterblichkeitsrate von 2,4 pro 100’000 eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen weltweit. In Entwicklungsländern ist es mit einer Inzidenz von 5,9 pro 100’000 Frauen und einer Sterblichkeitsrate von 1,7 pro 100’000 ebenfalls die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung (1). Zu den Risikofaktoren für Endometriumkarzinom gehören eine langfristige Exposition gegenüber überschüssigem Östrogen, Fettleibigkeit, Nulliparität, Diabetes mellitus und Bluthochdruck (2) während zu den Schutzfaktoren körperliche Aktivität, Aspirineinnahme und bestimmte Ernährungsgewohnheiten gehören (3). Mehrere Beobachtungsstudien haben den Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum und dem Risiko von Endometriumkrebs untersucht. Zwei frühere Metaanalysen zeigten eine inverse Assoziation mit Kaffeekonsum pro Tag im Vergleich zu keinem oder geringem Kaffeekonsum (4, 5). Diese Meta-Analysen untersuchten jedoch nicht die Auswirkungen verschiedener Kaffeesorten oder verschiedener Personen auf Endometriumkrebs.

Eine kürzlich publizierte systematische Meta-Analyse aus allen verfügbaren Daten kombiniert aus Fall-Kontroll- und Kohorten­studien verglich die Auswirkungen verschiedener Kaffeesorten auf Endometriumkrebs, wobei es keine Einschränkungen hinsichtlich der Studienpopulation gab (6).

Dazu wurden die Datenbanken MEDLINE und EMBASE bis Juli 2018 durchsucht. Die gepoolten relativen Risiken (RRs) mit 95% Konfidenzintervallen (CIs) wurden mithilfe eines Modells mit zufälligen Effekten berechnet.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 24 Studien (12 Fall-Kontroll- und 12 Kohortenstudien) zum Kaffeekonsum mit 9833 Fällen von EC und 699’234 Probanden in die Meta-Analyse einbezogen. Der gepoolte RR-Wert für Endometriumkrebs für die höchste gegenüber der niedrigsten Kategorie des Kaffeekonsums betrug 0,71 (95% CI: 0,65-0,77; I2 = 14%, p für Heterogenität = 0,26). Nach Studiendesign lagen die gepoolten RRs bei 0,68 (95% CI: 0,56-0,83) für Fall-Kontroll-Studien und 0,70 (95% CI: 0,63-0,77) für Kohortenstudien. Für die verschiedenen Regionen lagen die gepoolten RRs bei 0,74 (95 % KI: 0,62-0,88) in Europa, 0,71 (95 % KI: 0,64-0,79) in den Vereinigten Staaten/Kanada und 0,40 (95 % KI: 0,28-0,57) in Japan. Eine zusätzliche Untergruppenanalyse zeigte einen stärkeren inversen Zusammenhang bei Kaffeetrinkern (RR 0,66, 95% CI: 0,52-0,83), Personen mit einem höheren Body-Mass-Index (BMI) (RR 0. 65, 95% KI: 0,54-0,79), Nie-Raucher (RR 0,68, 95 % KI: 0,56-0,84), ehemalige Raucher (RR 0,56, 95 % KI: 0,45-0,70) und Personen, die nie eine Hormonersatztherapie (HRT) verwendeten (RR 0,88, 95 % KI: 0,79-0,98). Der Konsum von gefiltertem oder gekochtem Kaffee zeigte keinen signifikanten Zusammenhang.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse dieser Meta-Analyse zeigen, dass ein hoher Kaffeekonsum das Risiko von Endometriumkrebs senken könnte. Die Ergebnisse könnten auf einen tatsächlichen Schutzzusammenhang zwischen Kaffeekonsum und der Wirkung gegen Endometriumkrebs hindeuten. Insgesamt zeigte koffeinhaltiger Kaffee einen besseren Schutz als koffeinfreier Kaffee. Unterschiedliche Zubereitungsmethoden von Kaffee zeigten keine signifikanten Auswirkungen. Ausserdem wurde bei Kaffeetrinkerinnen mit einem hohen BMI, die jemals geraucht haben und nie eine Hormonersatztherapie angewendet haben, ein signifikanterer umgekehrter Zusammenhang festgestellt als bei Personen mit einem niedrigen BMI, die nie geraucht haben und nie eine Hormonersatztherapie angewendet haben. In der aktuellen Meta-Analyse wurde keine signifikante Heterogenität der Studien festgestellt.

Literatur:
1. Jemal A, et al.. Global cancer statistics. CA Cancer J Clin. 2011; 61(2): 69– 90.
2. Renehan AG, et al. Body-mass index and incidence of cancer: a systematic review and meta-analysis of prospective observational studies. Lancet 2008 ; 371 :569-78
3. Neill AS et al. Aspirin, nonsteroidal anti-inflammatory drugs, paracetamol and risk of endometrial cancer: a case-control study, systematic review and meta-analysis. Int J Cancer. 2013; 132(5): 1146– 55.
4. Bravi F, et al. Coffee drinking and endometrial cancer risk: a metaanalysis of observational studies. Am J Obstet Gynecol. 2009; 200(2): 130– 5.
5. Je Y, Giovannucci E. Coffee consumption and risk of endometrial cancer: findings from a large up-to-date meta-analysis. Int J Cancer. 2012; 131(7): 1700– 10.
6. Gao Y et al. Association between coffee drinking and endometrial cancer risk: A meta-analysis. J. Obstet. Gynaecol. Res. 2022; doi:10.1111/jog.15139J.

Absetzen der adjuvanten endokrinen Therapie und Auswirkungen auf Lebensqualität und Funktionszustand bei älteren Patientinnen mit Brustkrebs

Quelle: A.A. Lemij et al. Discontinuation of adjuvant endocrine therapy and impact on quality of life and functional status in older patients with breast cancer. Breast Cancer Research and Treatment 2022;193: 567–577

Brustkrebs ist die am häufigsten diagnostizierte Malignität bei Frauen, wobei mehr als 30% aller Patientinnen zum Zeitpunkt der Diagnose über 70 Jahre alt sind (1). Die adjuvante endokrine Therapie ist aufgrund ihrer positiven Wirkung auf die Rezidivraten und das Brustkrebs-spezifische Überleben ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung bei Patientinnen mit Hochrisikohormonrezeptor-positivem Brustkrebs (2, 3). Während die Zahl der Patientinnen über 75 Jahre, die eine endokrine Therapie erhalten, zwischen den Jahren 2000 und 2017 gestiegen ist, hat sich ihre relative Überlebensrate nicht verbessert (4). Dieser Mangel an Überlebensgewinn könnte auf eine begrenzte Wirkung der adjuvanten endokrinen Therapie auf Brustkrebs im Frühstadium mit niedrigem Risiko bei älteren Patientinnen zurückzuführen sein (4, 5). Ein weiterer Grund könnte der höhere Einfluss konkurrierender Todesursachen bei älteren Patientinnen sein (5).

Das Ziel einer kürzlich publizierten Studie (6) war es, geriatrische Prädiktoren für das Absetzen der adjuvanten endokrinen Therapie innerhalb der ersten 2 Jahre nach Beginn der Behandlung zu untersuchen und den Zusammenhang zwischen vorzeitigem Absetzen und funktionellem Status und Lebensqualität zu untersuchen.
Die Autoren schlossen insgesamt 258 Patientinnen im Alter von 70 Jahren und älter mit Brustkrebs im Stadium I–III, die eine adjuvante endokrine Therapie erhielten, in die Studie ein. Der primäre Endpunkt war das Absetzen der endokrinen Therapie innerhalb von 2 Jahren. Risikofaktoren für ein Absetzen wurden mit univariaten logistischen Regressionsmodellen bewertet. Lineare gemischte Modelle wurden verwendet, um den Lebensqualitäts- und Funktions­status im Laufe der Zeit zu bewerten.

Ergebnisse

36% der in die Studie eingeschlossenen Patientinnen brachen die Therapie innerhalb von 2 Jahren nach Beginn der Behandlung ab. Es wurden keine geriatrischen prädiktiven Faktoren für das Absetzen der Behandlung gefunden. Das Tumorstadium war umgekehrt mit einem frühen Absetzen verbunden. Patientinnen, die die Therapie abbrachen, hatten eine schlechtere Brustkrebs-spezifische Lebensqualität (b = − 4,37; 95% CI − 7,96 bis − 0,78; p = 0,017) über die ersten 2 Jahre, insbesondere auf der Subskala der Zukunfts­perspektive (b = − 11,10; 95% CI − 18,80 bis − 3,40; p = 0,005). Diese erholte sich nach dem Absetzen nicht. Das Absetzen der Behandlung ging nicht mit einer funktionellen Verbesserung einher.

Schlussfolgerung

Ein grosser Teil der älteren Patientinnen bricht die adjuvante endokrine Behandlung innerhalb von 2 Jahren nach Beginn der Behandlung ab, aber geriatrische Merkmale sind nicht prädiktiv für ein frühes Absetzen der Behandlung. Das Absetzen der adjuvanten endokrinen Therapie wirkte sich nicht positiv auf die Lebensqualität und den funktionellen Status aus, Dies weist darauf hin, dass die beobachtete, schlechtere Lebensqualität in dieser Gruppe wahrscheinlich nicht durch Nebenwirkungen der endokrinen Therapie verursacht wird.

Literatur:
1. DeSantis CE, Ma J, Gaudet MM, Newman LA, Miller KD, Goding Sauer A et al (2019) Brustkrebsstatistik, 2019. CA 69(6):438–451
2. Biganzoli L, Battisti NML, Wildiers H, McCartney A, Colloca G, Kunkler IH et al (2021) Aktualisierte Empfehlungen zur Behandlung älterer Patientinnen mit Brustkrebs: ein gemeinsames Papier der European Society of Breast Cancer Specialists (EUSOMA) und der International Society of Geriatric Oncology (SIOG). Lancet Oncol https://doi.org/10.1016/ S1470-2045(20)30741-5
3. Early Breast Cancer Trialists Collaborative Group (2015) Aromatase-Inhibitoren versus Tamoxifen bei Brustkrebs im Frühstadium: Meta-Analyse der randomisierten Studien auf Patientenebene. Lanzette 386(10001):1341–1352
4. de Glas N, Bastiaannet E, de Boer A, Siesling S, Liefers GJ, Portielje J (2019) Verbessertes Überleben älterer Patienten mit fortgeschrittenem Brustkrebs aufgrund einer Zunahme systemischer Behandlungen: eine bevölkerungsbasierte Studie. Brustkrebs Res Behandlung 178 (1): 141-149
5. Christiansen P, Bjerre K, Ejlertsen B, Jensen M-B, Rasmussen BB, Lænkholm A-V et al (2011) Mortality rates among early-stage hormone receptor-positive breast cancer patients: a population-based cohort study in Denmark. JNCI 103(18):1363–1372
6. Lemij AA et al. Absetzen der adjuvanten endokrinen Therapie und Auswirkungen auf Lebensqualität und Funktionszustand bei älteren Patientinnen mit Brustkrebs. Breast Cancer Research and Treatment 2022; 193:567–577.

Prof. Dr. med. Beat Thürlimann

Brustzentrum, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

Ausgewählte Studien aus der Hämato-Onkologie

Neoantigen T-Cell Receptor Gene Therapy in Pancreatic Cancer

Quelle: Rom Leidner et al. N Engl J Med 2022;386:2112-9

Zelluläre Therapien werden in grosser Zahl entwickelt, bisher vorwiegend für hämatologische Neoplasien, deshalb sei hier erlaubt etwas zum Pankreaskarzinom zu sagen. Wir haben uns soeben an die CAR-T Therapien gewöhnt, d.h. autologe T Lymphozyten des Patienten denen ein Gen eingeschleust wird welches einer Kombination aus einem T-Zell Rezeptor und einem Immunglobulin Gen (darum Chimär) besteht und eine bestimmte Struktur z.B. CD19 auf B Zellen angreift. Dies funktioniert für viele solide Tumoren nicht, weil diese keine Strukturen aufweisen, die eliminiert werden dürfen. Im N Engl J Med im Juni ist nun über einen Fall mit einer alternativen Strategie berichtet worden. Mutiertes K-Ras Protein spezifische T-Zell Rezeptor Gene wurden transfiziert (G12D). Dieser T Zell Rezeptor erkennt nur mutiertes Peptid, die Präsentation ist abhängig vom «richtigen» HLA Molekül, in diesem Fall HLA-C*08:02. K-RAS Mutationen sind häufig, (90% der Pankreaskarzinome), die G12D Mutation in 30%, HLA-C*08:02 in 8-11% je nach Ethnie. Ein gutes partielles Ansprechen nach Cyclophosphamide Tocilizumab Lymphodepletionstherapie und Interleukin-2 zur T-Zell Stimulation wurde in einer Patientin beobachtet. Dies war verbunden mit der Persistenz der transfizierten Zellen in der Zirkulation. Neben CAR-T Zellen und in vitro expandierten tumorinfiltierenden Lymphozyten werden möglicherweise genmodifizierte mutationsspezifische T-Zell Rezeptor T Zellen ein weiterer Baustein in der zellulären Immuntherapie werden.

HMGB1-mediated restriction of EPO signaling contributes to anemia of inflammation

Quelle: Dulmovits BM, et al .Blood. 2022 May 26;139(21):3181-3193

Inflammatorische Anämie (Anämie der chronischen Krankheit) ist die zweithäufigste Anämieursache nach Eisenmangel, bei älteren Patienten wahrscheinlich die häufigste. Sie ist gekennzeichnet durch eine Sequestration von Eisen im RES, in den Darmepithelien und dadurch durch eine fehlende Verfügbarkeit von Eisen für die Erythropoese. Die dahinterliegenden Mechanismen sind in den letzten Jahren aufgeklärt worden und sind hauptsächlich durch die Sekretion von Hepcidin bedingt. Ein zweiter Mechanismus ist das ungenügende Ansprechen der Erythropoese auf Erythropoetin. Das Verstecken von Eisen vor den Krankheitserregern in infektiösen Zuständen hat seine gute Erklärung. Die Mechanismen hinter dem Erythropoetin refraktären Zustand waren bisher unklar.

In dieser Arbeit zeigen Dulmovits et al., dass das high mobility group box-1 protein (HMGB1), welches in der Sepsis sezerniert wird mit Erythropoetin um die Rezeptorbindung konkurriert (Abb. 1). Dies reduziert die STAT5 Phosphorylierung und somit die Erythropoetinwirkung. Weitere Mechanismen sind über RAGE den Rezeptor von HMGB1. In verschiedenen Tiermodellen haben die Autoren diese Mechanismen nachgebildet, so führt die Injektion von HMGB1 in Mäusen zu dem besagten Anämiebild.

 

Ivosidenib and Azacitidine in IDH1-Mutated Acute Myeloid Leukemia

Quelle: P Montesinos et al. N Engl J Med. 2022 Apr 21;386(16):1519-1531

Hypomethylierende Substanzen (HMA) sind zum Standard in der Behandlung von Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) geworden, die für eine intensive Chemotherapie nicht in Frage kommen. Da die Wirksamkeit beschränkt ist mit Raten an kompletten Remissionen im tieferen zweistelligen Bereich und seltenen langanhaltenden kompletten Remissionen werden Kombinationspartner gesucht, die synergistisch wirken. Vor kürzerem ist über die Kombination HMA mit dem bcl2 Inhibitor Venetoclax berichtet worden. Bei einem Teil der AML Patienten findet sich eine Mutation in der IDH1 der Isocitrate Dehydrogenase 1, ein onko­metabolisches Protein dessen Funktion mit Ivosidenib gehemmt werden kann.

In dieser Phase III Studie wurden Patienten mit neu diagnostizierter AML und IDH1 Mutation zwischen der Kombination Azacytidine + Ivosidenib oder Azacytidine + Placebo randomisiert. Ivosidenib wurde oral kontinuierlich gegeben, Azacytidine s.c. alle 28d für 7 Tage.

Therapieversagen war definiert als Tod, Rezidiv oder fehlende komplette Remission nach 24 Wochen Behandlung. Randomisiert wurden 146 Patienten. Nach median 12.4 Monaten war die Hazard Ratio für Therapieversagen 0.33; (0.16 – 0.69; P = 0.002) für die Kombination.

Das Eventfreie Ueberleben zum Zeitpunkt 12 Monate war 37% vs. 12% in den Armen mit und ohne Ivosidenib und das Gesamtüberleben 24.0 versus 7.9 Monate. Febrile Neutropenien traten in 28% und 34% auf, Blutungen bei 41% und 29% und Infektionen bei 28% versus 49. Ein Differenzierungssyndrom wurde in 14% der mit Ivosidenib behandelten beobachtet versus 8% in der Plazebogruppe.
Die Schlussfolgerung ist, dass die Kombination von Ivosidenib + Azacytidine im Vergleich mit Azacytidine allein einen klaren klinischen Benefit bringt bei Patienten mit AML mit IDH1 Mutation.

Einordnung: HMA + Partner werden zunehmend zum Standard bei Patienten mit AML, die für eine intensive Chemotherapie nicht in Frage kommen. Welches der beste Partner oder die besten Partner sind wird sich in Zukunft weisen.

Measurable Residual Disease Response and Prognosis in Treatment-Naive Acute Myeloid Leukemia with Venetoclax and Azacitidine

Quelle: KW Pratz et al J Clin Oncol J Clin Oncol. 2022 Mar 10;40(8):855-865

Bei Patienten mit AML, die für eine intensive Chemotherapie nicht in Frage kommen, haben in einer randomisierten Studie die Kombination der hypomethylierenden Substanz (HMA) Azacytidine in Kombination mit dem bcl2 Inhbitior Venetoclax interessante Resultate ergeben (Azacitidine and Venetoclax in Previously Untreated Acute Myeloid Leukemia. N Engl J Med. 2020 Aug 13;383(7):617-629) mit Ansprechsraten von 66% vs. 28%.

Die Studie hier untersucht die Wertigkeit der gemessenen minimalen Resterkrankung (MRD) nach Therapie. MRD < 10-3 wurde als MRD Negativität definiert. Die verwendete Methode für die MRD war die Durchflusszytometrie. MRD wurde nach Zyklus 1 und dann alle 3 Zyklen gemessen in Patienten mit einem Ansprechen auf die Kombination von Azacytidine und Venetoclax. 164 Patienten wurden untersucht. MRD < 10-3 wurde bei 41% erreicht, 59% hatten MRD > 10-3. Das mediane Eventfreie Ueberleben war bei Patienten mit MRD < 10-3 nicht erreicht. Das eventfreie Ueberleben (EFS) war bei diesen Patienten nach 12 Monaten 83%, Das mediane EFS und Gesamtüberleben war bei diesen Patienten 11 und 19 Monate.

Schlussfolgerung: Patienten die unter Azacytidine und Venetoclax eine Remission mit tiefer MRD erreichen, können von längerer Remissionsdauer und Ueberleben profitieren.

Diese Studie bestätigt, dass tieferes Ansprechen für die Patienten einen Vorteil erbringt, im Vergleich zu weniger tiefem Ansprechen. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Dass mit der Kombination Azacyti­dine und Venetoclax die tiefe MRD erreicht werden kann ist aber neu, insbesondere der erhebliche Prozentsatz der Patienten, die ein so tiefes Ansprechen auch ohne intensive Chemotherapie errei­chen können.

Demethylation and Up-Regulation of an Oncogene after Hypomethylating Therapy

Quelle: Liu YC, et al. N Engl J Med. 2022 May 26;386(21):1998-2010

Die oben aufgeführten Artikel zeigen die Wertigkeit der hypomethylierenden Substanzen bei der AML, vor allem in Kombination hier mit dem BCL2 Inhibitor Venetoclax oder dem IDH1 Inhibitor Ivosidenib. Die Methylierung von Genen führt zu einer epigenetischen Modifikation welche zur Stilllegung der Gentranskription führen kann. Die Wirkung dieser Substanzen wird der De-Methylierung von Tumorsuppressorgenen zugeschrieben. Ob dies die hauptsächliche Wirkung dieser HMA ist, ist aber nicht letztlich klar, hingegen ist die Wirksamkeit dieser Substanzen bei myeloischen Neoplasien, insbesondere der akuten myeloischen Leukämie (AML) und dem Myelodysplastischen Syndrom (MDS) gut beschrieben. Theoretisch können aber durch diese Substanzen sowohl Tumorsuppressorgene demethyliert und somit aktiviert werden wie auch Onkogene.

Die Autoren untersuchen die Wirkung der HMA auf SALL4 einem bekannten Onkogen, das eine Rolle beim MDS und anderen Tumoren spielt. Knochenmarksproben wurden vor und nach HMA Behandlung bei MDS Patienten untersucht und die Assoziation zwischen SALL4 Expression und Behandlungserfolg beschrieben.
Auch wurden Leukämiezelllinien mit tiefer oder unmessbarer SALL4 Expression auf die Beziehung von SALL4 Methylierung und SALL4 Expression hin untersucht.

Die Autoren beschreiben eine SALL4 Aufregulierung in 40% bzw 30% der Patienten in 2 Kohorten und diese Aufregulierung war mit schlechtem Behandlungsresultat verbunden. Mittels einer Situs­spezifischen Sonde wurde die Demethylierung in einer spezifischen Region beschrieben, welche für die SALL4 Expression wichtig war. Mittels dieser Technologie konnten die Autoren die Demethylierung und somit Aufregulierung einer Onkogenexpression nachweisen.

Prof. Dr. med. Jakob Passweg

Klinik für Hämatologie
Hämatologische Diagnostik Labormedizin
Universitätsspital Basel und Blutspendezentrum beider Basel SRK
Petersgraben 4
4031 Basel

jakob.passweg@usb.ch

Therapie von Patienten mit Knochenmetastasen mit Denosumab (XGEVA®)

Therapie von Patienten mit Knochenmetastasen mit XGEVA® zur Verhinderung von symptomatischen Komplikationen am Skelett mit Denosumab 120 mg, verabreicht alle 4 Wochen gegenüber alle 12 Wochen.

Knochenmetastasen, die Ausbreitung der Krebs­erkrankung auf den Knochen, sind eine häufige Komplikation bei Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung und werden in der Schweiz bei mehr als 5000 Menschen jährlich neu diagnostiziert. Seit der Marktzulassung im Dezember 2011 wird Denosumab (120 mg; XGEVA®) vermehrt für die Therapie von Patienten mit Knochenmetastasen verwendet.

Das Projekt SAKK 96/12 soll zeigen, dass eine weniger häufige Dosierung des Medikaments mindestens gleich wirksam ist wie die zugelassene Standarddosierung. Das Projekt wurde lanciert, weil Studiendaten nahelegen, die zugelassene Therapie mit XGEVA® hinsichtlich Dosierung, Toxizität und Kosten-Nutzen-Verhältnis zu hinterfragen. Neben der Wirksamkeit werden auch Nebenwirkungen und Lebensqualität genau beobachtet, da angenommen wird, dass eine weniger häufige Verabreichung insgesamt zu weniger Nebenwirkungen und somit auch zu einer besseren Lebensqualität führt. Erste Daten haben gezeigt, dass bei der 12 wöchentlichen Gabe deutlich weniger Hypokalziämien auftreten. Aktuell sind 1236 von 1380 Patienten in die Studie eingeschlossen.

Da die steigenden Kosten im Gesundheitswesen und die Kosten­effizienz medizinischer Behandlungen zu immer grösseren gesellschaftlichen Herausforderungen führen, besteht ein weiteres Ziel dieses Projektes darin, gesundheitsökonomische Aspekte zu untersuchen. Das Projekt SAKK 96/12 wird in Zusammenarbeit mit den Krankenversicherern durchgeführt.

Diese Studie wird unterstützt von: Stiftung Krebsbekämpfung, Santésuisse, Helsana, CSS, Swiss Cancer Foundation, Alfred und Anneliese Sutter-Stöttner Stiftung und Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI.

Studientitel: Prevention of Symptomatic Skeletal Events with Denosumab Administered every 4 Weeks versus every 12 Weeks – A Non-Inferiority Phase III Trial
Teilnehmende Zentren: An dieser Studie nehmen mehrere Zentren in der Schweiz und im Ausland teil. Bitte finden Sie weitere Informationen hierzu auf der SAKK Webseite: https://www.sakk.ch/de/studien
Coordinating Investigator: Prof. Dr. med. Roger von Moos, Kantonsspital Graubünden, roger.vonmoos@ksgr.ch.
Clinical Project Manager: Corinne Schär (corinne.schaer@sakk.ch) und Simone Wyss (simone.wyss@sakk.ch), SAKK Kompetenzzentrum Bern.

Prof. Dr. med. Roger von Moos

Direktor Tumor- und Forschungszentrum
Kantonsspital Graubünden
7000 Chur

tumorzentrum@ksgr.ch

Eindrücke und Highlights vom ASCO Chicago 2022

Wichtige Highlights aus den tausenden Abstracts und hunderten von Präsentationen sind bereits in den Topjounals wie dem NEJM erschienen, wo sie ja nicht uneigennützig und durchaus börsenwirksam zeitgleich zur ASCO in den ersten Juni Ausgaben publiziert wurden. Als Gesamteindruck ist mir noch aufgefallen, dass die Diskussionen teilweise etwas harmlos und kürzer als früher waren (wobei wir nicht wussten, was noch im Netz an Fragen anstand) und viele Sitzungen von Frauen verschiedenster Provenienzen und eher jüngeren Alters sehr eloquent und fair geführt wurden. Die Zeit der Dominanz der alten immer gleichen weissen Onkologen ist endgültig vorbei und dies ist eine erfreuliche Entwicklung des ASCO.

Auch ist gegenüber früher die Vielzahl von randomisierten Phase 2 Studien auf Kosten der klassischen randomisierten Phase 3 Studien mit klinisch relevanten Endpunkten wie Overall Survival aufgefallen. Nicht unerwartet ist dann das Verdikt der Kommentatorinnen zur Frage «is it practice changing?»: mehrheitlich «no or may be!». Firmen erobern den Markt immer mehr mit frühen unreifen Daten und Surrogatmarkern und die aufwändigen teuren Phase 3 Studien werden zunehmend der akademischen klinischen Forschung überlassen.

In der sonntäglichen Plenary Session an Pfingsten wurde wie gewohnt eine ausgewogene Selektion von wichtigen klinischen Daten präsentiert und kompetent kommentiert. So wurde der japanische PARADIGM Trial mit dem Titel:

«LBA1: Panitumumab (PAN) plus mFOLFOX6 versus bevacizumab (BEV) plus mFOLFOX6 as first-line treatment in patients with RAS wild-type (WT) metastatic colorectal cancer (mCRC): Results from the phase 3 PARADIGM trial.»

vorgestellt, bei dem 823 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasierendem kolorektalem Karzinom mit RAS Wild Typ in einer grossen Phase 3 Studie randomisiert wurden in Panitumumab mit mFOLFOX6 oder Bevazizumab mit mFOLFOX6. OS war der primäre Endpunkt und sekundär wurden PFS, OR und die kurative Resektionsrate (R0) untersucht. Der mediane Follow-Up betrug 61 Monate. Die Auswertung für die linksseitigen Karzinome und die Gesamtpopulation sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst:

Die Autoren fassten zusammen, dass zwar das PFS in beiden randomisierten Gruppen, also sowohl linksseitige wie alle Fälle keinen Unterschied zwischen den beiden Behandlungen zeigte, dass aber im Panitumumab Arm Patienten mit einem linksseitigen Kolonkarzinom ein besseres Ansprechen und eine höhere Resektionsrate zeigten. Auch war das OS in der Panitumumab Gruppe um knapp 4 Monate besser für Patienten mit linksseitigem Primärtumor und dieser Vorteil war auch für die Gesamtpopulation der mit Panitumumab behandelten Patienten noch vorhanden. Da aber >70% der untersuchten Patienten mit linksseitigem Primärtumor eingeschlossen wurden, ist der OS Vorteil für die kleine Gruppe mit rechtseitigem Primärtumor als Teil der Gesamtpopulation statistisch nicht gesichert. Es wird somit empfohlen, Patienten mit linksseitigem Kolonkarzinom und RAS Wild Typ zukünftig mit der Kombination Panitumumab + mFOLFOX6 zu behandeln.

Die Kinderonkologen haben eine internationale Phase 3 Studie für Kinder und Jugendliche mit einem rezidivierenden oder refräktären Ewingsarkom vorgestellt, wo sie Hochdosis Ifosfamid und Topotecan/Cyclophosphamid vorgestellt haben. Der Titel der Studie lautet:

«LBA2: Phase III assessment of topotecan and cyclophosphamide and high-dose ifosfamide in rEECur: An international randomized controlled trial of chemotherapy for the treatment of recurrent and primary refractory Ewing sarcoma (RR-ES).»

Während 10 Jahren wurden diese Fälle weltweit akquiriert, dokumentiert und ausgewertet und schon dies ist eine tolle Leistung der akademisch-pädiatrischen klinischen Forschung. Patienten (4-50 Jahre) konnten eingeschlossen werden. Multiple paarweise wurden verglichen Topotecan/Cyclophosphamid (TC), Irinotecan/Temozolomid (IT), Gemcitiabine/Docetaxel (GD) versus High-Dose Ifosfamide. Primärer Endpunkt war das EFS, sekundäre Endpunkte waren OS, QoL und Toxizität. Durch multiples Testen wurde bald gezeigt, dass das Ansprechen bei IT und GD inferior war zu TC und HD-Ifos. So wurde die Phase 3 verglichen mit TC versus HD-Ifos. Hier zeigte sich ein klarer 5 Monate OS Gewinn für HD-Ifos (Abb. 2).

Spannend war auch die Phase 3 Studie, welche für sehr viele Patienten mit verschiedenen Her2 niedrig exprimierenden Malignomen ein Therapiefenster öffnet, welches sich für viele Patienten mit HER2-niedrig Expression als wertvoll erweisen könnte. Bereits am ESMO wurde die DESTINY-Breast03 Studie vorgestellt, welche bei rezidivierten oder resistenten HER2+ Patientinnen eine eindrückliche Wirksamkeit gezeigt hatte (HR=0,28; 12-Monats-PFS-Rate 75,8% vs. 34,1%). Trastuzumab Deruxtecan (T-DXd) ist ein therapeutisches Antikörper-Drug-Konjugat (ADC) mit einem Topoisomerase1-Inhibitor Deruxtecan am HER2 Antikörper-linker gekoppelt und ist bereits zugelassen als Monotherapie zur Behandlung von Patientinnen mit inoperablem oder metastasiertem HER2-positivem (HER2+) Brustkrebs, die mindestens 2 Anti-HER2 Therapien erhalten haben.

Die nun am ASCO erstmals vorgestellten DESTINY-Breast04 Studie hat den Titel:

«LBA3: Trastuzumab deruxtecan (T-DXd) versus treatment of physician’s choice (TPC) in patients (pts) with HER2-low unresectable and/or metastatic breast cancer (mBC): Results of DESTINY-Breast04, a randomized, phase 3 study.»

Primärer Endpunkt war das PFS bei Patientinnen mit HR+ HER2-low-Tumoren, weitere sekundäre Endpunkte das PFS bei allen Patientinnen sowie das OS bei HR+ Tumoren und der Gesamtgruppe. Es wurden 557 Patientinnen aus Europa, Amerika und Asien behandelt und 2:1 randomisiert.

Die klinischen Resultate sind eindrücklich mit einem medianen OS Vorteil von +10 Monaten, was am ASCO zu einem langanhaltenden Applaus geführt hat. Immerhin sind ca 55% der Frauen mit metastasierendem Brustkrebs HER2 negativ und exprimieren HER2 nur gering (ICH 1+ oder ICH 2+/ISH- nach ASCO/CAP 2018 Guidelines) mit einem bisher sehr unbefriedigenden Ansprechen auf Chemotherapie. Hier ist nun ein neue sehr wirksame Therapieoption vorhanden in einer klassischen «unmet need» Situation, welche wohl auch vielen anderen HER2 low expressers eine Option bieten könnte, wie laufende Studien aber erst noch zeigen müssen (Abb. 3).

Nausea (73% alle Grade, 5% Grad >3) war die häufigste Nebenwirkung. Lungentoxizität als interstitielle Lungenerkrankung/Pneumonitis (aus der DeSTINY-Breast03 Studie bereits bekannt) zeigte sich in 12,1% der Fälle, davon 3 Todesfälle (0,8%) und ist ein relevantes Problem, welches engmaschige Überwachung und gegebenenfalls frühe Massnahmen erfordert. Hier ist noch einiges zu tun, um diese Lungentoxizität besser zu verstehen und besser angehen oder verhindern zu können.

Die letzte in der Plenary Session vorgestellte Studie betraf das Multiple Myelom, bei dem in den letzten 10 Jahren bereits enorme Fortschritte erzielt werden konnten. Der Titel lautet:

«LBA4: Lenalidomide, bortezomib, and dexamethasone (RVd) ± autologous stem cell transplantation (ASCT) and R maintenance to progression for newly diagnosed multiple myeloma (NDMM): The phase 3 DETERMINATION trial.»

Wir wissen bereits aus der 2017 im NEJM publizierten Studie der IFM, dass nach einer upfront Induktions-Therapie mit RVd + ASCT vs. RVd und einer Erhaltungstherapie mit Revlimid während einem Jahr das PFS verbessert wird durch die ASCT (median, 35.0 vs. 47.3 Monate) aber nach 7 Jahren medianem follow-up zu keiner OS Verbesserung führte. Eine offene Frage wurde nun in dieser US DETERMINATION phase 3 Studie untersucht, nämlich ob eine anhaltende Erhaltungstherapie mit Revlimid bis zur Progression statt nur für ein Jahr doch einen OS Vorteil bewirken würde? Die Resultate wurden parallel im NEJM publiziert.

Es wurden total 722 Patienten, Alter 18-65 Jahre (median 57Jahre in den USA (46 Zentren) eingeschlossen und randomisiert in die beiden Behandlungsarme VRD (2-3 Zyklen VRD, Stammzellmobilisierung und weitere 5 Zyklen VRD; n=357) oder VRD + ASCT (2-3 Zyklen VRD, Stammzellmobilisierung Melphalan 200 mg/m2 + ASCT , dann 2 Zyklen VRD; n=365) und in beiden Fällen mit einer Len-Erhaltungstherapie bis zum Progress oder inakzeptabler Toxizität weiterbehandelt.

Grad 3 Toxizitäten waren im Transplantationsarm erwartet häufiger (94,2% vs. 78,2%), mit vorab 60,5% vs. 89,9% hämatologischen Nebenwirkungen. Während der ASCT verschlechterte sich vorübergehend die Lebensqualität der Patienten für ca 3 Monate. Die Sekundärmalignomen Rate war in beiden Armen vergleichbar (10,81% in der VRD + ASCT- und 9,7% in der VRD-Gruppe) was auch den Daten der IFM2009/DFCI-Studie entspricht. Allerdings wurden nach ASCT mehr sekundäre AML und MDS diagnostiziert.

Die Daten zeigen aber auch, dass das PFS mit einer bis zur Progression durchgeführten Len-Erhaltung gegenüber den Daten der IMF Studie mit nur einem Jahr Lenalidomid deutlich verbessert wurden (Abb. 4 und 5).

Insgesamt stellen sich nun viele Fragen angesichts der vielen neuen hochwirksamen Substanzen und Therapieverfahren, die in hoher Kadenz neu zugelassen wurden: wird die ASCT in Zukunft noch nötig sein? Werden Quadrupeltherapien mit zB Daratumumab upfront oder frühem Einsatz von CART’s bessere OS-Daten liefern? Wird die Erhaltungstherapie noch nötig sein? Welche Rolle spielen die bekannten Risikofaktoren bei den neuen Therapien?

Hier werden viele Jahre vergehen, bis die permutativen Optionen in Phase 3 Studien befriedigend untersucht sind angesichts der immer besseren Prognose der Myelom Patienten. Dies heisst für uns klar: internationale Phase 3 Studien sind die beste Antwort für die
Patienten der Zukunft.

In einer gesonderten Beilage werden wir im Sommer, wie alle Jahre, wieder besonders relevante Abstracts des ASCO 2022 aus allen Gebieten zusammenfassen.

Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny

Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen

thomas.cerny@kssg.ch

«Wir haben nicht tatenlos zugesehen»

Aufnahme und Versorgung Ukrainischer Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener mit hämato-onkologischen Erkrankungen in der Schweiz

Einleitung

Am 24. Februar begann die Russische Invasion in die Ukraine mit tausenden von Toten und Verletzten und Millionen von Flüchtlingen. Kritische zivile Infrastrukturen werden attackiert und zerstört, darunter mehr als 250 Gesundheitseinrichtungen, eine angemessene medizinische Versorgung wird unmöglich. Es trifft alle Menschen. Ganz besonders vital aber sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer onkologischen oder hämatologischen Erkrankung betroffen, welche zeitgerecht diagnostiziert und behandelt werden müssten, um ihre mehrheitlich guten Heilungschancen nicht zu gefährden. Der Krieg hat deren Behandlung abrupt unterbrochen, bei 1400 onkologischen Neudiagnosen im Jahr ist das Leben tausender Ukrainischer Kinder und Jugendlicher bedroht. Die Versorgungsketten sind unterbrochen, in den wenigen noch funktionalen Spitälern erfordern die regelmässigen Bombardierungen und Bombenalarme zudem die Verlegung der Patienten in die besser geschützten Untergeschosse, eine zusätzliche Bedrohung für immunsupprimierte Patienten.

International koordinierte Antwort auf die akute Notlage

Die Spitäler, Nicht-Regierungs-Organisationen und Gesundheitsbehörden reagieren schnell, in kürzester Zeit steht ein Konzept, die onkologischen Kinder und ihre Familien aus den umkämpften Gebieten zu evakuieren, mit dem Ziel, die notwendige medizinische Betreuung ausserhalb des Landes wiederaufzunehmen und damit ihre kurativen Chancen zu wahren. Was unspektakulär tönen mag, ist in der Realität ein gigantisches Unternehmen, das generalstabsmässige Führung und Koordination erfordert, sollen die Aktionen nicht zum Desaster werden. Akut mussten mehr als 1000 an Krebs erkrankte Kinder und Jugendliche die Ukraine verlassen, unzählige Kinder und Jugendliche mit onkologischen Neudiagnosen kommen täglich hinzu. Allein die Transportlogistik zum Teil schwerkranker Patienten stellt eine enorme Herausforderung dar. Zudem sind die Patienten nicht allein, sondern in aller Regel begleitet von der Mutter, oft auch einer Grossmutter und Geschwistern. Die Väter dürfen nicht ausreisen.

SAFER Ukraine – Supporting Action for Emergency Response in Ukraine – heisst die einzigartige Initiative, welche dank der vorbehaltlosen Zusammenarbeit auf der Basis der existierenden, bestens etablierten internationalen, nationalen und regionalen Netzwerke der Pädiatrischen Hämatologie und Onkologie (PHO) in ganz Europa und den USA Unglaubliches erreicht hat.

Innerhalb von Stunden ist unter der Führung von St. Jude Global (Sparte des St. Jude Children’s Research Hospitals in Memphis, USA) eine Kommandozentrale aufgebaut worden, von der aus rund um die Uhr die Evakuationen in 15 europäische Länder, die USA und Kanada in mehr als 200 kinderonkologische Zentren koordiniert werden.

Ukraine

Gleichzeitig hat die Tabletochki Foundation, eine Ukrainische humanitäre Stiftung, die Organisation der Evakuation der Patienten und begleitenden Angehörigen aus den am meisten umkämpften Gebieten nach Lviv im Westen der Ukraine übernommen. Die Logistik des Transports wird erschwert durch die Flüchtlingsströme, die Gefahr russischer Angriffe und fehlendes medizinisches Personal zur Begleitung instabiler Patienten.

In Lviv werden die Patienten in eine spezialisierte Kinderklinik aufgenommen, stabilisiert und ihre diagnostischen und therapeutischen Bedürfnisse erfasst. Die Krankenakten – alle in Ukrainisch oder Russisch – werden vervollständigt und an das umgehend aufgestellte Übersetzungsteam in der St. Jude Zentrale weitergeleitet. Die fachkompetenten Übersetzer arbeiten Tag und Nacht, um den aufnehmenden Kliniken die vorhandenen Dokumente in Englisch zur Verfügung stellen zu können.

Polen

Von Lviv aus wird die Weiterreise nach Polen organisiert. Zwei Tage nach Kriegsbeginn erklärt Polen die landesweite Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit einer Krebs- oder Bluterkrankung und garantiert die medizinische und psycho-soziale Versorgung.

In enger Zusammenarbeit von SAFER Ukraine mit der polnischen Regierung, der polnischen Fachgesellschaft für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie (PSPOH) und der polnischen Herosi Stiftung kann ein Hotel im Süden Polens nahe der Grenze zur Ukraine zu einem Triage-Zentrum, genannt Unicorn-Clinic, umgenutzt werden. Die Teams setzen sich aus polnischen und ukrainischen Kinderonkologen, Pflegefachpersonen, Psychologen, Sozialberatern, Freiwilligen und Vertretern von St. Jude Global zusammen. In Konvois kommen die Patienten aus Lviv in der Unicorn-Clinic an, erhalten dort medizinische und psycho-soziale Betreuung, Unterkunft und Verpflegung sowie Unterstützung in Fragen der Immigrationsformalitäten des Landes, in das sie evakuiert werden sollen.

Sehr kranke Patienten werden umgehend in ein kinderonkologisches Zentrum in Polen verlegt. Stabilere Patienten bleiben maximal 72 Stunden in der Unicorn-Clinic, bis sie in das zugeteilte Land weiterreisen.

Internationale Kollaboration – nationale Koordination

Die Information, welche Länder welche Ressourcen verfügbar haben und Patienten zur Weiterführung der onkologischen Behandlung aufnehmen können, wird von St. Jude Global fortlaufend erhoben und aktualisiert.

Die Vorgaben, welche ein Land dafür erfüllen muss, sind klar umrissen:

  • Benennung eines nationalen Koordinators als verbindliche Ansprechperson für die internationale Koordination, erfahren und vertraut mit dem nationalen PHO System
  • Gewährleistung der bedarfsgerechten medizinisch-pflegerischen Versorgung der Patienten
  • Organisation und Finanzierung des Transports von Polen ins Gastland
  • Bereitstellung von Unterkunft und Verpflegung
  • Verfügbarkeit von Dolmetschern
  • psycho-soziale Unterstützung der ganzen Familie einschliesslich der Kontakte zu den Migrationsämtern

Die Planung und Organisation der Ausreise ins definitive Zielland erfolgt in direkter Zusammenarbeit der Mitarbeiter von SAFER Ukraine mit den nationalen KoordinatorInnen, welche jeweils in ihrem Land die Organisation und Koordination des gesamten Aufnahmeprozesses verantworten. In der Schweiz hat diese Aufgabe die Fachgesellschaft für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, die SSPHO, übernommen.

Europa

Bis Mitte Mai sind auf diese Weise über 1000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer hämato-onkologischen Erkrankung aus dem Kriegsgebiet evakuiert und über die Unicorn-Clinic in insgesamt 200 kinderonkologischen Zentren aus 15 europäischen Ländern entsprechend ihrer Kapazitäten und Ressourcen aufgenommen worden.

Innerhalb einer Woche nach Kriegsbeginn haben die EU wie auch die Schweiz sofortigen Schutz und legalen Status für die Ukrainischen Kriegsflüchtlinge und damit auch die Versicherungsleistungen für deren medizinische Versorgung garantiert.

Schweiz

Am 18. März sind die ersten 22 Ukrainischen Patienten mit ihren Angehörigen in der Schweiz gelandet, bis heute sind nochmals so viele über die internationale Koordination und die Unicorn-Clinic evakuiert und entsprechend den Kapazitäten und Möglichkeiten auf die neun kinderonkologischen Kliniken in der Schweiz sowie ein weiteres Kantonsspital mit einer kinderonkologischen Abteilung verteilt worden. Für elf Patienten wurde der Transport durch die REGA übernommen, da der Gesundheitszustand einiger Patienten die Reise mit Bus oder Linienflug nicht zuliess. Weitere 30 Patienten und ihre Familien sind durch private Initiativen in die Schweiz gekommen und über die nationale Koordination einem geeigneten kinderonkologischen Zentrum zugeteilt worden.

Das Spektrum der hämato-onkologischen Diagnosen und medizinischen Bedürfnisse ist breit und reicht von Neudiagnosen über Patienten unter aktueller Chemo- und/oder Radiotherapie oder anstehender SZT zu solchen, welche bereits in der Nachsorge sind. Auch Patienten, für die keine Aussicht auf Kuration mehr besteht und die dementsprechend ein palliatives Setting benötigen, sind darunter.
Gemessen an ihrer Grösse hat die Schweiz im internationalen Vergleich mit bisher 70 Patienten eine ausserordentlich hohe Zahl Ukrainischer Kinder und Jugendlicher mit einer Krebserkrankung aufnehmen können. Dies war und ist nur möglich durch die stringente zentrale nationale Koordination und das vorbehaltlose Engagement und die enge Zusammenarbeit aller involvierter Personen und Organisationen:

  • die St. Jude Global und SAFER Ukraine Teams in der Ukraine, Polen und in Memphis
  • die SSPHO als nationale Koordinatorin
  • die kinderonkologischen Zentren der Schweiz mit ihren multi­professionellen Teams, die, entsprechend ihrer Möglichkeiten und Kapazitäten, alle bereit waren, hämato-onkologische Patienten aus der Ukraine aufzunehmen

Und last but not least leisten die Schweizer Elternorganisationen «Kinderkrebshilfe Schweiz», «Kinderkrebs Schweiz» und «Zoé4life» wie auch verschiedene private Initiativen einen unschätzbaren Beitrag in der direkten Unterstützung der Familien wie auch in der Finanzierung der nicht-gedeckten Kosten, z.B. für den Transport in die Schweiz und zum aufnehmenden Zentrum.

Ausblick

Nicht unerwartet hat sich nicht das medizinische Management, sondern die sprachliche Barriere als grösste Herausforderung herausgestellt. Ein guter Dolmetscher, eine gute Dolmetscherin sind dementsprechend der Schlüssel im Kontakt mit den Familien.

Da praktisch alle Patienten und Angehörigen ein Smart Phone haben, gelingt der tägliche Austausch ganz gut mit der Unterstützung von google translate. Für vertiefte Gespräche ist allerdings eine kompetente Übersetzung auch längerfristig unerlässlich.

Nach der ersten Phase der Reetablierung des therapeutischen Settings werden jetzt zunehmend die psychischen Folgen der multiplen Traumatisierungen deutlich. Eine fachkompetente Psycho- und Traumatherapie in Ukrainischer Sprache mit kinder- und jugendpsychologischer Expertise täte jetzt Not. Diese spezifische Kompetenz kann aber bis auf einzelne Ausnahmen an den meisten Zentren zurzeit leider weder angeboten noch finanziert werden.

Die internationale PHO Gemeinschaft hat gehandelt, die globalen PHO Netzwerke mit gebündelten Kräften Unmögliches möglich gemacht. Dennoch, die Grenzen der unlimitierten Aufnahmekapazitäten werden erkennbar. Ein Ende des Krieges ist nicht absehbar, es werden viele weitere Kinder und Jugendliche erkranken und eine angemessene Diagnostik und Betreuung ausserhalb der Ukraine benötigen – die Herausforderungen für uns alle werden auf unbestimmte Zeit bleiben.

Dank

Wir haben nicht tatenlos zugesehen – grosser Dank und Anerkennung an alle, die sich engagieren und beitragen, sei es persönlich oder im Rahmen einer Organisation, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einer hämato-onkologischen Erkrankung und ihren Familien Schutz und medizinische Betreuung in der Schweiz zu ermöglichen!

Jeanette Greiner, jeanette.greiner@kispisg.ch
Präsidentin SSPHO
Ostschweizer Kinderspital
Zentrum für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie
9006 St. Gallen

Gute Noten für die onkologische Versorgungsqualität in der Schweiz

Eine aktuelle Gfs-Umfrage zeigt: Die wahrgenommene Versorgungsqualität von Krebspatient:innen ist in der Schweiz ausgesprochen hoch. Doch die Ergebnisse zeigen auch Handlungsbedarf auf gesamtgesellschaftlicher Ebene – besonders in der Vor- und Nachsorge. Eine Volksabstimmung für eine nationale Krebsstrategie würde die Mehrheit der Befragten befürworten.

Im Auftrag des Pharmaunternehmens MSD Merck Sharp & Dohme AG führte GfS Bern Ende 2021 eine Umfrage zur Krebsversorgung in der Schweiz durch (1). Das Meinungsforschungsinstitut hat dazu insgesamt 1’510 Personen aus der ganzen Schweiz befragt.

Gute Krebsversorgung basiert auf gutem Gesundheitssystem

Die Mehrheit der Befragten fühlt sich in Zusammenhang mit Krebsversorgung gut informiert. Die Fortschritte in der Krebsforschung empfinden die Befragten positiv; eine Mehrheit ist sogar der Meinung, dass Krebs in Zukunft vollständig heilbar sein wird.

Die wahrgenommene Versorgungsqualität von Krebspatient:innen ist in der Schweiz gemäss der Umfrage hoch. Die gute Krebsversorgung zeichne sich insbesondere dadurch aus, dass sie in einem äusserst guten Gesundheitssystem stattfinde. Interessant ist, dass bei denjenigen, die persönliche Erfahrungen der Krebsversorgung in der Schweiz gesammelt haben, das Lob signifikant deutlicher ausfällt, als bei jenen, die indirekt oder gar nicht betroffen sind.

Doch welche Faktoren sind zentral, damit die Krebsversorgung positiv beurteilt wird? Die Auswertung zeigt, dass Früherkennung, Prävention und Informationen ebenso funktionieren müssen wie die (Dauer bis zur) Medikamenten- und Therapieversorgung, die ärztliche Versorgung im Spital und die Dauer bis zur Diagnose.

Verbesserungsbedarf in Prävention, Früherkennung und Nachsorge

Rund die Hälfte der Befragten gab an, dass sie eine ihnen nahestehende Person kennen, die von einer Krebserkrankung betroffen ist oder war. 136 Personen (ca. 11% der Befragten) waren bzw. sind früher oder aktuell selbst von Krebs betroffen. 90 Prozent davon gaben an, sich in der Regel an die Behandlungsvorgaben gehalten zu haben und ebenso viele, dass sie genügend Informationen und Unterstützung erhielten und sie sich erneut auf denselben Behandlungsweg begeben würden. Uneinigkeit demgegenüber herrscht bei den Aspekten Früherkennung und Prävention – während eine Hälfte froh gewesen wäre, wenn der Krebs früher entdeckt worden wäre, gab knapp die andere Hälfte der Befragten das Gegenteil an. Ähnlich fallen die Ergebnisse auf die Frage aus, ob frühere Präventionsinformationen nützlich gewesen wären.

Betroffene wurden auch gefragt, inwiefern sie aktuell noch an den Konsequenzen von Krebs leiden. Demnach leiden Betroffene vor allem an körperlichen, psychologischen und allgemeinen Konsequenzen auf die Lebensqualität am stärksten. Berufliche, finanzielle und gesellschaftliche Konsequenzen seien zweitrangig. Aktuell Betroffene leiden aktuell stärker an den Konsequenzen, sie gaben aber gleichzeitig auch häufiger an, wenig oder nicht mehr an den Konsequenzen zu leiden. Für die Hälfte der Betroffenen hatte die Diagnose keine berufliche Veränderung gebracht (49%), ein Viertel war nicht berufstätig. Keine Zahlen gibt es hierzu zur Altersverteilung der Betroffenen, in diesem Zusammenhang wäre eine entsprechende vertiefte Analyse interessant.

Knapp die Hälfte der Betroffenen wollte keine Auskunft geben, ob die Erkrankung finanzielle Konsequenzen hatte. Ein Drittel gab jedoch an, dass die Lebenskosten gestiegen sind, ein Fünftel, dass die Versicherungskosten gestiegen sind und je rund 10 Prozent, dass es zu finanziellen Schwierigkeiten wegen des Jobverlusts oder zu Kostenanstiegen wegen psychologischer Folgen kam. Dementsprechend zeigen die Ergebnisse den Handlungsbedarf auf gesamtgesellschaftlicher Ebene auf für die Zeit vor der Erkrankung hinsichtlich Prävention und Früherkennung sowie für das Leben nach der Krebserkrankung in der Schweiz.

Gute Noten für alle Akteure

Während einer Behandlung spielen unterschiedliche Akteure eine Rolle, die mehrheitlich positiv bewertet wurden. Insbesondere Leistungserbringer und Versicherer erhielten gute Noten. Vermutlich weniger häufig in Anspruch genommen und mit weniger positiven Meinungen assoziiert wurden der Austausch mit anderen Betroffenen, die «Schweizerische Krebsliga (2)» – die es in dieser Form nicht gibt – sowie verschiedene weitere Angebote.

Für Betroffene sind unterschiedliche Informationsquellen am nützlichsten: Gedruckte Broschüren von Patientenorganisationen sowie Artikel und Berichte in Gesundheitsmedien oder –sendungen im Fernsehen wurden am besten bewertet. Online-Informationen wurden weniger häufig als hilfreich bewertet.

Die Schweiz braucht wieder eine Krebsstrategie

Nicht überraschend haben drei Viertel der Befragten noch nie etwas von der nationalen Krebsstrategie gehört. Persönlich von Krebs betroffene Personen haben häufiger davon gehört (ein Drittel). Ebenso äussern sich persönlich Betroffene vermehrt gegen das Auslaufen der nationalen Krebsstrategie. Sollte es zu einer Volksabstimmung über die Krebsstrategie kommen, würden die Mehrheit der Befragten wahrscheinlich teilnehmen und auch mehrheitlich Ja stimmen. Gründe liegen im Sparpotential, der Förderung von Krebs-Früherkennung und -Prävention sowie der Stärkung der Koordination der Akteure und der Betreuung von Krebsbetroffenen. Als Gegenargumente gegen eine Krebsstrategie wurden vor allem die unnötige Sonderstellung von Krebs sowie die Heterogenität von Krebsbetroffenen erwähnt. Zudem wurde berechnet, welche Argumente am stärksten für ein Ja oder Nein bei einer solchen «nationalen Krebsinitiative» sprechen. Da der konkrete Inhalt der Initiative allerdings nirgendwo beschrieben ist, sind die Umfrage­ergebnisse schwierig einzuordnen. Die Ergebnisse sind entsprechend ideologisch geprägt wie beispielswiese die Frage, nach mehr Staat oder mehr privaten Angeboten.

Dies widerspiegelt sich auch im letzten Teil der Umfrage:

  • Konkret wünscht sich ein Drittel mehr Macht für den Markt, wohingegen sich die anderen zwei Drittel wünschen, dass der Staat das Gesundheitswesen stärker regelt.
  • Während für eine Hälfte die Eigenverantwortung wichtiger ist, wünschen sich knapp die andere Hälfte eine Schweiz, in der die gemeinschaftliche Verantwortung wichtiger ist als die persönliche.
  • Knapp die Hälfte der Befragten bevorzugt eine möglichst regionale Gesundheitsversorgung, wohingegen die andere Hälfte die Gesundheitsversorgung mit spezialisierten Zentren bevorzugt.
  • Während die eine Hälfte eine medizinische Versorgung gemäss der «Schulmedizin» bevorzugen, tendiert die andere Hälfte zu einer medizinischen Versorgung gemäss alternativen Methoden.

Der MSD-Krebsversorgungsmonitor soll als Gradmesser für die Schweizer Politik und relevante Akteure des Gesundheitswesens und somit für die aktive Gestaltung der Versorgung dienen. Dabei werde das argumentative Feld nicht nur der Politik und Akteuren aus dem Umfeld der Verbände und NGOs überlassen, sondern aktiv die Stimme der Wirtschaft in die Diskussion eingebracht.
Es ist zu begrüssen, dass die Umfrageergebnisse eine Diskussionsbasis im politischen Diskurs für eine optimale Krebsversorgung bieten. Zu bedenken ist dabei, dass Auftragsstudien in der politischen Kommunikation eine beliebte Lobbyingmassnahme sind.

Franziska Lenz

Leiterin Politik und Public Affairs Krebsliga Schweiz

1. MSD Krebsversorgungsmonitor 2022: Krebsversorgungsqualität weiterhin sicherstellen. gfs.bern im Auftrag von MSD Merck Sharp & Dohme AG, Februar 2022.
2. 17 kantonale und regionale Krebsligen bieten telefonisch oder vor Ort verschiedene Unterstützungsangebote bei sämtlichen Fragen rund um das Thema Krebs. Die Krebsliga Schweiz als Dachorganisation betreibt mit dem Beratungs- und
Informationsdienst das Krebstelefon und publiziert u.a. zahlreiche Broschüren.