Risiko einer QTc-Verlängerung bei Patienten mit Diabetes mellitus

Diabetes mellitus betrifft gegen 10% der erwachsenen Bevölkerung weltweit, mit einer stetigen Zunahme. Patienten mit Diabetes mellitus haben ein zwei- bis zehnmal höheres Risiko für einen plötzlichen Herztod als die Allgemeinbevölkerung. Die zugrunde liegende Pathophysiologie ist noch ungeklärt. Eine tödliche Herzrhythmusstörung wird als hauptsächliche Ursache angenommen, wobei die Verlängerung des QT-Intervalls ein quantifizierbares Mass für das Risiko darstellt. Eine kürzlich publizierte Übersichtsarbeit befasste sich mit dem Management des QTc-Risikos bei Patienten mit Diabetes (1).

Das QT-Intervall beinhaltet die komplette Depolarisation und Repolarisation und repräsentiert damit die gesamte intraventrikuläre Erregungsdauer. Klinisch wird das QT-Intervall in erster Linie zur Beschreibung der myokardialen Erregungsrückbildung (Repolarisation) verwendet. Dies setzt eine normale QRS-Dauer (<110 ms) voraus. Das QT-Intervall variiert ja bekanntlich mit der Herzfrequenz.

Eine QTc-Verlängerung (> 440ms) tritt bei 18%-44% der Typ-I- und II-Diabetes-mellitus Patienten auf (2, 3). Das QTc-Intervall kann durch zelluläre, hormonelle, inflammatorische, neuropathische und physiologische Prozesse beeinflusst werden, wie experimentelle Tier- und klinische Studien bei Typ I und Typ II Diabetes gezeigt haben. Dabei wird der Sammelbegriff «diabetisches Myokard» (2) verwendet, um die chronischen physiologischen Veränderungen im Myokardgewebe zu beschreiben, die durch Langzeitdiabetes induziert werden. Diese Veränderungen scheinen durch eine systemische Entzündungsreaktion vermittelt zu werden, wobei die Entzündungsfaktoren IL-1b und TNF-alpha eine Rolle spielen, wie in Tiermodellen gezeigt wurde (4).

Die Berücksichtigung des QTc-Risikos bei Diabetes, insbesondere bei der Verschreibung von Medikamenten, ist ein wichtiger kardiovaskulärer Aspekt des Diabetes-Managements.

Das allgemeine Bewusstsein der Kliniker für das spezifische Arrhythmierisiko in dieser Kohorte ist allerdings gering, und eine entsprechende bessere Wahrnehmung ist zur Behandlung modifizierbarer Risikofaktoren ausschlaggebend.

Erfassung und Kontrolle des QTc-Risikos bei Patienten mit Diabetes

Der erste Schritt zur Steuerung des QTc-Risikos bei Diabetes ist die angemessene Quantifizierung des QTc. Während viele 12-Kanal-EKGs QTc gemäss Bazett-Formeln aufzeichnen, gibt es andere genauere Methoden, einschliesslich Framingham und Hodges, wobei Fridericia am engsten mit der 30-Tage-Mortalität assoziiert ist (5). Folglich verwenden die Autoren QTc korrigiert durch Fridericia (QTcF) in allen QTc-Forschungen und empfehlen eine klinische Anwendung dieser als Präferenz. Die Bazett Formel sollte nur bei einer HF im SR von 60-80/min und einem QRS <110ms verwendet werden (vgl. www.QTc-Rechner.de).

Zweitens ist die Quantifizierung von QTc über einen längeren Zeitraum, um die täglichen Schwankungen und Auswirkungen alltäglicher Aktivitäten wie Mahlzeiten zu berücksichtigen, wichtig um das Risiko genau zu quantifizieren. Daher sollte der QTcF nach Möglichkeit über mindestens 3 zeitlich getrennte EKG-Aufzeichnungen gemessen und überprüft werden (Abl. II, V5). Eine vollständige Aufarbeitung der Familienanamnese, langes QT und angeborene Herzfehler sollte bei allen Frauen mit einem QTc > 470ms und bei allen Männern > 450ms durchgeführt werden. Es ist wichtig, alle EKGs auf Konsistenz dieser Diagnose zu überprüfen.

Sobald ein Patient von einer QTc-Verlängerung bedroht ist, hilft die Kategorisierung der Patienten in relativ niedrige, moderate und hohe Risikogruppen, das Management abzugrenzen. Verschiedene Cut-offs in der Literatur wurden verwendet, um die QTc-Verlängerung zu definieren, und die Autoren empfehlen eine einfache Struktur für Patienten mit niedrigem Risiko (< 450 ms) und hohem Risiko (>500 ms) für eine torsade de pointes (tdp) mit einer Zwischengruppe dazwischen. Das Risiko eines Patienten für eine QTc-Verlängerung oder eine tdp hängt in fast allen Fällen nicht nur vom eingenommenen Arzneistoff ab, sondern wird ganz wesentlich durch individuelle und äussere Einflüsse mitbestimmt (Tab. 1)

In einer Analyse von insgesamt 77 Fällen medikamentenassoziierter tdp bestanden in 85 % zwei oder mehr zusätzliche Risikofaktoren: Herzerkrankung (77 %), Alter > 65 Jahre (54 %), weibliches Geschlecht (69 %) und Hypokaliämie (30 %) (8).
Die Berücksichtigung der wichtigsten veränderbaren Risikofaktoren ist die Hauptstütze des Managements.

Empfehlungen für die Praxis

Glukosekontrolle: Wie detailliert beschrieben, sind sowohl eine Hypo- als auch Hyperglykämie Risikofaktoren für eine QTc-Verlängerung, wobei ein mögliches Vorherrschen der Hyperglykämie von grösserer Bedeutung ist. Die «glykämische Variabilität» (6) wurde auch mit einer erhöhten QTc-Verlängerung in Verbindung gebracht, was bedeutet, dass Schwankungen von hohen zu niedrigen Blutzuckerspiegeln oder umgekehrt ebenfalls das Risiko erhöhen können. Die Blutzuckerkontrolle sollte daher darauf ausgerichtet sein, HbA1c zu reduzieren, aber auch die tägliche Konsistenz des Blutzuckers so weit wie möglich aufrechtzuerhalten, was sowohl diätetische als auch verschreibungspflichtige Änderungen erfordern kann. Wird eine Blutzuckerkontrolle bei Diabetespatienten in Betracht gezogen, gilt es auch den Grad der linksventrikulären Dysfunktion zu berücksichtigen. Es hat sich gezeigt, dass die Verschreibung eines SGLT2-Inhibitors beispielsweise das Risiko für ventrikuläre Arrhythmien bei Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) reduziert (7). Ob dies einen direkten Einfluss auf die Blutzuckerkontrolle, das Myokard, die Flüssigkeitsüberladung oder alles oben Genannte hat, ist unklar, aber klinische Beweise deuten zunehmend auf ein besseres Ergebnis für Patienten mit HFrEF hin. Die Zugabe von Insulin zu einem bestehenden antidiabetischen Arzneimittelregime bei Typ-II-Diabetes mellitus kann auch die Glukosekontrolle verbessern und das Arrhythmierisiko reduzieren, muss jedoch sorgfältig gegen das Risiko einer Hypo­glykämie abgewogen werden.

Bewertung der Medikamente: Es sollte eine Baseline-Bewertung der aktuellen Medikamente des Patienten anhand einer anerkannten Datenbank von QTc-Verlängerungseigenschaften (z. B. www.crediblemeds.org) durchgeführt werden, wobei insbesondere auf Antiarrhythmika, Antidepressiva und Antipsychotika, Nicht-Penicillin-Antibiotika, Malariamittel, Antiemetika und Demenzmedikamente (Donepezil) zu achten ist. Wenn möglich, sollten reguläre Medikamente gegen gleichwertige Nicht-QTc-verlängernde Medikamente ausgetauscht werden. Zu berücksichtigen sind auch Elektrolytstörungen mit Hypo-kaliämie, -magnesiämie, -kalzämie, welche die QT-Zeit verlängern – daher in solchen Situationen regelmässige EKG und Elektrolytkontrollen.
Chemotherapeutika und Anästhetika bergen auch ein besonders hohes Risiko für eine torsade de pointes, und in bestimmten Situationen (z. B. bevorstehende Operation oder Erwägung einer Krebsbehandlung) sollte eine zusätzliche Prüfung durchgeführt werden. Dem Hochrisikopatienten (QTc > 500ms) mit Diabetes sollte geraten werden, in zukünftigen Situationen, in denen neue Medikamente verschrieben werden, mit seinem Arzt zu sprechen, insbesondere auch im Zusammenhang mit einer Infektion/Sepsis, bei der die Kombination einer Dysglykämie und einem neuen Medikament oder einer Elektrolytstörung das Arrhythmierisiko durch eine QTc-Verlängerung erheblich erhöhen könnte.

Lifestyle-Massnahmen: Ein erhöhter BMI ist ein anerkannter Risikofaktor für die QTc-Verlängerung (5) bei Diabetes mellitus im Allgemeinen, so dass die Gewichtsabnahme immer im Interesse des Patienten liegt. In ähnlicher Weise kann die Verringerung grosser Schwankungen der Glukose-kontrolle durch die Vermeidung grosser Mahlzeiten oder Lebensmittel mit hohem glykämischen Index auch das Risiko verbessern.

Fazit der Autoren

  • QTc-Verlängerung ist ein häufiger Befund bei Diabetes mellitus.
  • Diese Gruppe hat ein signifikant erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Herztod.
  • Die QTc-Verlängerung ist multifaktoriell aufgrund akuter und chronischer diabetesbedingter Veränderungen in der Physiologie.
  • Von den veränderbaren Faktoren ist die Glukosekontrolle, insbesondere die Vermeidung einer Hyperglykämie, der wichtigste Faktor.
  • Die Wirkung von QTc-verlängernden Medikamenten kann bei Diabetes verstärkt sein und sollte mit Vorsicht verschrieben werden.

Quelle: Taubel J und Pimenta D. Beurteilung des Risikos Risiko einer QTc-Verlängerung bei Patienten mit Diabetes mellitus. e-Journal der kardiologischen Praxis 2022; Band 22; No 8. – 6. April 2022

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Taubel J und Pimenta B. Beurteilung des Risikos einer QTc-Verlängerung bei
Patienten mit Diabetes . e-Journal der kardiologischen Praxis 2022; Band 22;
No 8 – 6. April 2022
2. Giunti S, Bruno G, Lillaz E, Gruden G, Lolli V, Chaturvedi N, Fuller JH, Veglio M, Cavallo-Perin P; EURODIAB IDDM Complications Study Group. Inzidenz und
Risikofaktoren eines verlängerten QTc-Intervalls bei Typ-1-Diabetes: die EURODIAB Prospective Complications Study. Diabetes-Pflege. 2007;30:2057-63.
3. Ninkovic VM, Ninkovic SM, Miloradovic V, Stanojevic D, Babic M, Giga V, Dobric M, Trenell MI, Lalic N, Seferovic PM, Jakovljevic DG. Prävalenz und Risikofaktoren für verlängertes QT-Intervall und QT-Dispersion bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Acta Diabetol. 2016;53:737-44.
4. Zayas-Arrabal J, Alquiza A, Tuncay E, Turan B, Gallego M, Casis O. Molekulare und elektrophysiologische Rolle von Diabetes-assoziierten zirkulierenden Entzündungsfaktoren beim Umbau von Herzrhythmusstörungen in einem metabolisch-induzierten Modell der diabetischen Ratte Typ 2. Int J Mol Sci. 2021;22:6827.
5. Vandenberk B, Vandael E, Robyns T, Vandenberghe J, Garweg C, Foulon V,
Ector J, Willems R. Welche QT-Korrekturformeln sind für die QT-Überwachung zu verwenden? J Am Heart Assoc. 2016;5:E003264
6. Su JB, Yang XH, Zhang XL, Cai HL, Huang HY, Zhao LH, Xu F, Chen T, Cheng XB, Wang XQ, Lu Y. Die Assoziation von langfristiger glykämischer Variabilität gegenüber anhaltender chronischer Hyperglykämie mit herzfrequenzkorrigiertem QT-Intervall bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. PloS Eins. 2017;12:E0183055
7. Curtain JP, Docherty KF, Jhund PS, Petrie MC, Inzucchi SE, Køber L, Kosiborod MN, Martinez FA, Ponikowski P, Sabatine MS, Bengtsson O, Langkilde AM, Sjöstrand M, Solomon SD, McMurray JJV. Wirkung von Dapagliflozin auf ventrikuläre Arrhythmien, wiederbelebten Herzstillstand oder plötzlichen Tod bei DAPA-HF. Eur Herz J. 2021;42:3727-38.
8. Wenzel-Seifert K, Wittmann M, Haen E: QTc prolongation by psychotropic drugs and the risk of torsade de pointes. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(41): 687–93. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0687

17. Cardio Update 2022 – Teil 2

Auch dieses Jahr fand wieder ein ausgezeichnetes DGK CARDIO UPDATE in Mainz resp. Berlin statt. Der zweite Teil des Berichts zum 17. Cardio Update der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie ist den Themen konservative und interventionelle Klappentherapie, der primären Mitralinsuffizienz und der invasiven Therapie der KHK gewidmet.

Zum Thema konservative und interventionelle Klappentherapie von Prof. Dr. St. Baldus aus Köln können folgende Punkte speziell erwähnt werden: Die neuen AHA Klappen-Guidelines und zwei neuere Studien zum Thema asymptomatische AK-Stenose zeigen, dass eine frühere Intervention prognostisch deutlich günstiger ist. Gemäss RECOVERY Trial: Klappenöffnungsfläche ≤0,75cm2 + vmax ≥4,5m/sec oder dp mean ≥50mmHg; so zeigt sich ein sign. Vorteil über 4 Jahre mit einer NNT von 20 bezüglich operativer resp. kardiovaskulärer Mortalität. Die Frage TAVI vs. chirurgischer Therapie bei diesem Patientenkollektiv kann mit 2 Studien erst 2024 beantwortet werden. Das heutige Fazit: Eine IIa-Empfehlung zur frühzeitigen AKE ab einer Vmax von 5 m/s unabhängig von der LVEF (Abb. 1).

Bei niedrig Risikopatienten (PARTNER 3 Studie) ist eine TAVI über 2 Jahre klar im Vorteil. Der Entscheid Klappenchirurgie oder TAVI liegt beim Heart-Team. Patienten ≤75 Jahre mit einem tiefen oder intermediärem Operationsrisiko erhalten eher eine Klappen-Chirurgie, Patienten ≥75 Jahre oder und ein höheres Operationsrisiko eher eine TAVI. Eine OAK mit NOACs bei VHFLi bei einer Klappenproblematik (AS, AI; MI) ist eine II A Indikation. Ebenso 3 Monate nach Einlage einer Bioprothese. Ohne eine Indikation für eine OAK ist die lebenslange Gabe eines Plättchenhemmers, Aspirin Monotherapie, nach TAVI eine I A Indikation.

Eine asymptomatische AI geht bei LV-Dilatation und/oder Einschränkung der systolischen LV-Funktion mit einer eingeschränkten Prognose einher und sollte hier daher frühzeitig operativ versorgt werden.

Da eine moderate bis schwere primäre Mitralinsuffizienz auch ohne Symptomatik eine schlechtere Prognose hat, gilt: Eine asymptomatische primäre MI geht bei LV-Dilatation, Einschränkung der systolischen LV-Funktion, Vorhofflimmern, pulmonaler Hypertonie oder LA-Dilatation mit einer eingeschränkten Prognose einher, und sollte daher frühzeitig operativ versorgt werden (Abb. 2).

Die COAPT-Kriterien helfen bei einer sekundären mittel-schweren MI nach einer optimalen medikamentösen HI-Therapie und eventuell einem CRT den Zeitpunkt der Mitral-Klappenintervention nicht zu verpassen und die Prognose signifikant zu verbessern. Diese sind: EF >20%; LVESD <70mm; mehr als eine moderate Rechtsherzinsuffizienz, keine schwere TI, PAPs <70mmHg; keine hämodynamische Instabilität. So kann die Gesamtmortalität um 43% gesenkt werden. Eine Kathetertherapie einer symptomatischen sekundären schweren TI ist bei inoperablen Patienten eine IIb C Indikation.

Im Vortrag «Der herzchirurgische Patient» von Prof. Dr. T. Doenst, Jena, war das Highlight die Erklärung zum Vorteil der ACBP im Langzeitverlauf. Durch die Bypassoperation kommt es zu weniger Herzinfarkten im Verlauf, dies im Gegensatz zur PCI. 90 % aller Herzinfarkte resultieren aus Koronarläsionen, die nicht flussrelevant sind (Abb. 3).

Daher ist auch die Rolle einer optimalen medikamentösen Therapie (Pl. Hemmer, Statin, ACE-H, Betablocker) nach einer ACBP-Operation für die Langzeitprognose entscheidend. Auch wurde nochmals betont, wie wichtig eine kardiale Rehabilitation und eine optimale medikamentöse Therapie nach einer invasiven KHK-Therapie ist mit sign. Verbesserung der Langzeitprognose!

Im letzten Abschnitt möchten wir noch einige Highlights aus verschiedenen Vorträgen erwähnen.

Zur Hypertonie: Eine strengere BD-Einstellung (130-140/70-80mmHg) ist auch bei älteren (>65J.) biologisch jüngeren Patienten möglich. Die STEP-Studie zeigt, dass eine intensive Blutdruckein-stellung mit einem Zielblutdruck von <130mmHg auch bei älteren, körperlich fitten Patienten möglich ist. Eine intensive Blutdruckeinstellung war mit einer niedrigeren Rate an kardiovaskulären Ereignissen (inklusive Schlaganfall) assoziiert, die Gesamt- und kardiovaskuläre Sterblichkeit blieben unbeeinflusst. Sicherlich sollte sich die Entscheidung für eine intensive Blutdruckeinstellung nach dem biologischen und nicht nach dem chronologischen Alter der Patienten richten. Ein Salzersatz durch Kalium reduziert kardio-vaskuläre Ereignisse. Konsequente Lebensstiländerungen können bei einer therapieresistenten Hypertonie günstige Auswirkungen auf den BD haben – Gewicht zu verlieren und die körperliche Aktivität zu steigern, wodurch der Blutdruck gesenkt werden kann.
Eine frühe initial niedrig dosierte Mehrfachtherapie ist einer Monotherapie deutlich überlegen. Sacubitril/Valsartan kann bei einer Therapieresistenz den BD senken. Das Medikament ist dafür aber aktuell nicht zugelassen. Chlorthalidon ist ein Thiazid-ähnliches Diuretikum, das aufgrund seiner langen Halbwertszeit und der positiven Outcome-Studien im Bereich der Hypertonie präferenziell eingesetzt werden sollte. Chlorthalidon ist auch bei einer GFR von 15-30ml/min als Antihypertensivum wirksam. BD-Senkung von bis zu 15mmHg. Cave NW wie: Hypokaliämie; Anstieg von Kreatinin, Bz, Harnsäure; vermehrter Schwindel. In einer grossen, methodisch gut gemachten Meta-Analyse zeigte sich keine überzeugende Evidenz für ein erhöhtes Karzinomrisiko unter einer Therapie mit Erstlinien Antihypertensiva (ACE-Hemmer, ARBs, Betablocker, Kalziumkanalblocker und Thiazide).

Zum Thema Prävention: Neu im Fokus sind spezifische Faktoren der Arteriosklerose bei Frauen und die Effekte von Umweltveränderungen. Kein Effekt von e-Zigaretten auf die Nikotin Rückfallrate. Bei einem Diabetes II und einer atherosklerotischen Gefässerkrankung bedarf es heute einem GLP1-RA oder einem SGLT2-Hemmer um das kardiovaskuläre und kardiorenale Outcome signifikant zu verbessern. Die Kombination beider Substanzen hat signifikante additive Effekte: Senkung des CV Todes, Myokardinfarkt, Stroke von -30%. Nach einer Studie aus Südkorea (HOST-EXAM) mit 5530 Patienten ist nach einer unkomplizierten koronaren modernen DES-Einlage nach einer DAPT von 6-18 Monaten eine Clopidogrel Monotherapie bezüglich kardiovaskulären Events und Blutungen besser als eine Aspirin Monotherapie (HR: 0.73) und möglicherweise zu präferieren. Eine Grippeimpfung nach einem Herzinfarkt senkt die kardiovaskuläre und die Gesamtmortalität um je 41%.

Red-Flags bei Patienten mit Mitralklappenprolaps bezüglich plötzlichem Herztod (SCD) sind Synkope, höhergradige ventrikuläre Arrhythmien, T-Negativierung, Bi-Leaflet Prolaps, Fail Leaflet durch Chorda Abriss, hochgradige MI, Mitral Annular Disjunction (≥ 5mm). Diese Veränderung findet man gemäss einer Mayo-Studie bei 595 Pat. mit MKP in 31%. Diesen Befund einer MAD allein darf man nicht überschätzen.

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

Immuntherapie-Standards bei nicht-kleinzelligem Bronchial-CA ohne Treiberalterationen

Das Bronchialkarzinom ist mit einer Inzidenz von 4700 (m: 2800, f: 1900) Neuerkrankungen pro Jahr die dritthäufigste Krebserkrankung in der Schweiz. Bei einer Mortalität von 3300 verstorbenen Patienten pro Jahr hat das Bronchialkarzinom mit 19% den grössten Anteil an allen Krebs-Todesfällen pro Jahr in der Schweiz. Durch den Einsatz von Immuntherapie konnte bei Patienten in metastasierten Stadien eine Verlängerung des Überlebens erreicht werden. Bei Patienten mit kurativ behandelten resezierbaren Tumoren besteht in Abhängigkeit des Stadiums trotz Gabe einer adjuvanten Chemotherapie ein relevantes Rezidivrisiko, sodass der Einsatz von Immuntherapie nun auch in diesen Stadien zunehmend untersucht wird, mit ersten positiven praxisrelevanten Studienergebnissen.

With an incidence of 4700 (m: 2800, f: 1900) new cases per year, bronchial carcinoma is the third most common cancer in Switzerland. With a mortality rate of 3300 patients per year, bronchial carcinoma accounts for 19% of all cancer deaths per year in Switzerland. The use of immunotherapy has resulted in prolonged survival in patients in metastatic stages. Patients with resectable tumors treated in curative intent, risk of recurrence depending on the stage remains high despite use of adjuvant chemotherapy. Therefore checkpoint inhibitors are now increasingly being investigated in this setting, with practice-changing positive phase III study results recently published.
Key Words: Bronchialkarzinom, NSCLC, Checkpoint-Inhibitoren

Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) sind beim fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (non small cell lung cancer-NSCLC) als Monotherapie oder in Kombination mit Chemotherapie bereits ein therapeutischer Standard (1). Im letzten Jahr wurden nun zusätzlich wegweisende Studienresultate für den Einsatz von ICI auch beim resektablen NSCLC präsentiert.

Dieser Artikel bietet eine Übersicht über die aktuellen sowie den zu erwartenden ICI-Standards bei nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen. Aufgrund der Fülle an Daten beschränken wir uns beim fortgeschrittenen NSCLC primär auf die Wahl der ersten Therapielinie bei Patienten ohne zielgerichtet angehbare molekulare Alterationen.

Fortgeschrittenes, metastasiertes NSCLC

Die wegweisende Phase I KEYNOTE-001 Studie mit Pembrolizumab hat, mit 2019 publizierten 5-Jahres Überlebensraten von 22.2% bei therapienaiven und 15.5% bei vorbehandelten NSCLC-Patienten ohne bestehende Alterationen des Epidermal Growth Factor Rezeptor (EGFR) oder der Anaplastic Lymphoma Kinase (ALK), den Grundstein für den Einsatz von ICI beim fortgeschrittenen NSCLC gelegt (2).

Die Wahl der ersten Systemtherapie bei Patienten mit einem fortgeschrittenem, nicht kurativ behandelbaren NSCLC wird heute neben klinischen Faktoren wie Allgemeinzustand, Komorbiditäten und Tumorlast in erster Linie basierend auf den molekularen Charakteristika gefällt und des programmed death-ligand 1 (PD-L1) Status gefällt. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die wichtigsten Studien in diesem Setting.

Checkpoint Inhibitor Monotherapie

Bereits in der KEYNOTE-001 Studie zeigte sich eine Korrelation der Wirksamkeit von Pembrolizumab in Abhängigkeit der PD-L1 Expression mit 5-Jahres Überlebensraten von 29.6%, 15.7% und 8.6% bei Patienten mit einer PD-L1 Expression ≤50%, ≤1% und <1% (2). In der Folge wurden Checkpoint-Inhibitor-Monotherapien in der ersten Therapielinie gegenüber dem vorherigen Stan-dard einer platin-basierten Kombinationschemotherapie bei Patienten mit einer PD-L1 Expression von <50% untersucht.

In der KEYNOTE-024 Studie konnte für Pembrolizumab ein signifikant verbessertes progressionsfreies (progression-free survival=PFS), als auch Gesamtüberleben (overall survival=OS) gegenüber einer platin-basierten Chemotherapie gezeigt werden, mit kürzlich publizierten 5-Jahres-Überlebensraten von 31.9% versus 16.3 % (3).

Vergleichbare Resultate konnten auch für eine Atezolizumab-Monotherapie in der IMPower-110 (4) und kürzlich für Cemiplimab in der EMPOWER Lung 1 Studie (5) in diesem Setting gezeigt werden. Somit stellt eine Monotherapie in diesem Setting einen klaren Therapiestandard dar und ist so auch zugelassen.

ICI-Monotherapien wurden auch bei Patienten mit einer PD-L1 Expression von <50% untersucht. Diese Studien waren entweder gesamthaft negative Studien wie die Checkmate-026, welche keinen OS-Vorteil einer Nivolumab-Monotherapie gegenüber einer platin-basierten Chemotherapie in einer PD-L1-positiven Population zeigte (6) oder der dokumentierte OS-Benefit wurde, wie mit Pembrolizumab in der KEYNOTE-024 (3) oder mit Atezolizumab in der IMpower-110 (4) Studie, in erster Linie durch die PD-L1-hohe Population getriggert, so dass Checkpoint-Inhibitor-Monotherapien unabhängig von der Substanz in dieser Patientenpopulation in der Schweiz keinen Standard darstellen.

Kombinierte Immun-/Chemotherapie

Für Patienten mit einer PD-L1 Expression <50% konnte in mehreren randomisierten Phase III Studien ein signifikanter PFS und insbesondere OS-Vorteil für die Kombination eines Checkpoint-Inhibitors mit einer platin-basierten Chemotherapie gegenüber einer Chemotherapie alleine gezeigt werden (Tab. 1). Die KEYNOTE-189, IMpower-150 und Impower-130 Studien schlossen exklusiv Patienten mit nicht-Plattenepithelkarzinomen ein, die KEYNOTE-407 hingegen nur Patienten mit Plattenepithelkarzinomen. In allen Studien konnten Patienten unabhängig des PD-L1 Status rekrutiert werden, jedoch waren Patienten mit einer EGFR oder ALK Alteration in beiden KEYNOTE-Studien im Gegensatz zu den IMpower-Studien explizit ausgeschlossen.

Alle 4 Studien waren positive Phase III Studien mit einem relevanten OS-Benefit unabhängig der PD-L1 Expression. Eine Swissmedic Zulassung besteht für die Kombination von Pembrolizumab sowie Atezolizumab mit Chemotherapie, wobei die letzte Kombination bislang noch nicht auf der Spezialitätenliste aufgeführt ist.

Die Kombination von Chemo-Immuntherapie und Bevacizumab, wie sie in der IMpower-150 Studie untersucht wurde, ist so in der Schweiz für diese Indikation nicht zugelassen.

In allen Studien wurde ein signifikanter Benefit der Chemo-Immuntherapie auch bei Patienten mit einer hohen PD-L1 Expression gezeigt, ein direkter Vergleich von Chemo-Immuntherapie versus ICI-Monotherapie in dieser Patientenpopulation steht noch aus, wobei entsprechende Phase III Studien aktuell rekrutieren (PERSEE trial: NCT04547504; INSIGNA trial: NCT03793179). Am ASCO 2022 (7) wurde eine gepoolte FDA-Analyse von 12 randomisierten Studien mit Chemo-IO- respektive ICI-Monotherapie gezeigt, welche zwar höhere Ansprechraten und ein verlängertes PFS für die Kombination zeigen konnte, jedoch keinen signifikanten OS-Benefit. Bei Nie-Rauchern zeigte sich in der Subgruppenanalyse interessanterweise ein signifikanter Vorteil auch bezüglich des Gesamtüberlebens. Aktuell ist eine Kombinationstherapie bei dieser Patientenpopulation in der Schweiz grundsätzlich nicht vergütet, könnte aber bei Patienten mit einer hohen Tumorlast und Notwendigkeit eines schnellen Tumoransprechens oder auch bei Nie-Rauchern eine gute Option darstellen und basierend auf dieser FDA-Analyse angefragt werden.

Duale Checkpoint-Inhibitoren

Neben einer Chemo-Immun-Kombinationsstrategie wurde in mehreren Studien auch eine duale Checkpoint-Inhibition mit einem PD-1- oder PD-L1-Antikörper sowie einem CTL4-Antikörper untersucht. In der Phase III Checkmate-227 Studie wurde die Kombination von Nivolumab und Ipilimumab gegenüber einer platin-basierten Chemotherapie in Patienten mit Nichtplatten- und Plattenepithelkarzinomen in der PD-L1 positiven (primärer Endpunkt) sowie in der Gesamtpopulation unabhängig des PD-L1 Status untersucht. Die Studie zeigte einen signifikanten OS-Benefit für die duale Checkpoint-Inhibition mit kürzlich publizierten 5-Jahres Überlebensraten von 24% mit Nivolumab/Ipilimumab verglichen mit 14% (HR: 0.77) mit Chemotherapie in der PD-L1-positiven Population (8). In der Subgruppenanalyse der PD-L1 negativen Patienten zeigte sich ebenfalls ein signifikanter Benefit (19% versus 7%, HR 0.65). Ein vergleichbares Studiendesign wählte die POSEIDON-Studie, eine dreiarmige Phase III Studie, die eine Kombination von Durvalumab/Tremelimumab gegenüber einer platinbasierten Chemotherapie alleine oder in Kombination mit Durvalumab untersucht hat. Auch hier zeigte sich ein signifikanter Überlebensvorteil der dualen Checkpoint Inhibition gegenüber der alleinigen Chemotherapie, wobei dieser in erster Linie bei Patienten mit Nichtplattenepithelkarzinomen gesehen wurde (9).

Die Checkmate 9LA Studie untersuchte die Kombination von Nivolumab/Ipilimumab mit zwei Zyklen platinbasierter Chemotherapie wiederum gegenüber einer alleinigen Chemotherapie. Auch dies war eine positive Phase III Studie mit 2022 publiziertem 2-Jahres-Überlebensraten von 38% versus 26% (HR 0.72). In dieser Studie zeigte sich ebenfalls ein signifikanter Benefit in der PD-L1 negativen Population und Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom (10).

Bislang hat die duale Checkpoint-Inhibition (alleine oder in Kombination mit Chemotherapie) in der Schweiz keine Zulassung erhalten, kann aber über Artikel 71 angefragt werden.

Lokal fortgeschrittenes nicht resezierbares NSCLC

In der PACIFIC-Studie konnte bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem NSCLC ohne Progression nach Abschluss der konkomittierenden Radiochemotherapie ein signifikanter PFS- und OS-Benefit für ein Jahr Konsolidierung mit Durvalumab im Vergleich zu Observation gezeigt werden mit 5-Jahres-Überlebensraten von 42.9% versus 33.4% (11). Am ESMO 2021 präsentierte Real-World-Daten zeigen zudem einen vergleichbaren Benefit bei Patienten, die mit einer sequentiellen Radiotherapie behandelt wurden (12). Aktuell wird der frühere Einsatz respektive auch eine duale Checkpoint-Inhibition sowie eine kürzere Konsolidierungszeit zur weiteren Verbesserung der Wirksamkeit untersucht.

Am diesjährigen ASCO wurden vielversprechende 2-Jahres-Überlebensraten der nicht-randomisierten Phase II KEYNOTE-799 Studie gezeigt, die den Einsatz von Pembrolizumab bereits während der Radiochemotherapie gefolgt von einer Pembrolizumab-Konsolidierung untersuchte. In Kohorte A (Nicht-Plattenepithelkarzinome und Plattenepithelkarzinome) zeigten sich 2-Jahres-Überlebensraten von 64% respektive 71% in Kohorte B (exklusiv Nicht-Plattenepithelkarzinome), dies bei vertretbarer Toxizität (Grad ≥ 3 Pneumonitis in 8% respektive 7%) (13). Eine andere Strategie hat die ebenfalls am ASCO 2022 präsentierte LUN16-081 Studie verfolgt: Patienten wurden nach Abschluss der konkomittierenden Radiochemotherapie entweder sechs Monate mit Nivolum-ab alleine oder in Kombination mit Ipilimumab behandelt. Das mediane PFS in beiden Armen lag bei 25 Monaten (Vgl. PACIFIC: 16.9 Monate), wobei die Gesamtüberlebensdaten noch unreif sind. Wichtig ist aber die Tatsache, dass hier die Rate an ≥ G3 Pneumonitiden im Kombinationsarm deutlich erhöht war (17% vs. 9%) (14).

Zusammenfassend stellen Checkpoint Inhibitoren in dieser Patientenpopulation einen integralen Bestandteil der Therapie dar, mit in der Zukunft möglicherweise früherem Einsatz analog der KEY-NOTE-799 Studie. Ob eine Dauer der Konsolidierung für sechs statt 12 Monate, zumindest bei gewissen Patienten ausreichend sein könnte, muss noch weiter untersucht werden.

Nicht-metastasiertes, resezierbares NSCLC

Bisheriger Therapiestandard stellte bei dieser Patientenpopulation die Resektion mit (neo-) adjuvanter platin-basierter Chemotherapie in Abhängigkeit vom Stadium dar. Mehrere Phase III Studien untersuchen aktuell die Rolle der Checkpoint-Inhibitoren in der perioperativen Situation.

Im adjuvanten Setting liegen aktuell die Resultate der IMpower-010 sowie der KEYNOTE-91 (PEARLS) Studie vor. In der IMpower-010 Studie wurde die Gabe von 12 Monaten Atezolizumab versus Observation nach Resektion und adjuvanter Chemotherapie untersucht mit dem primären Endpunkt Disease-free survival (DFS) in der Population der Patienten mit PD-L1 positiven Tumoren Stadium II-IIIA: hier zeigte sich ein signifikanter DFS-Benefit (HR 0.66). Der Benefit einer ad-juvanten Atezolizumab-Therapie zeigte sich auch in der Gesamtpopulation aller Patienten mit NSCLC Stadium II-IIIA unabhängig des PD-L1 Status (HR 0.79), wobei eine Subgruppenanalyse eine klare Korrelation der Wirksamkeit mit der PD-L1 Expression dokumentieren konnte (PD-L1≥50%: HR 0.43, ≥1%: HR 0.66, PD-L1 <1% HR 0.97) (16).

In der Schweiz wurde Atezolizumab im adjuvanten Setting von der Swissmedic Mitte Januar 2022 zugelassen, jedoch nur in der Subgruppe der Patienten mit einer PD-L1 Expression von ≥50%.

Die KEYNOTE-091/PEARLS Studie evaluierte Pembrolizumab adjuvant für 12 Monate in Patienten mit reseziertem Stadium IB-IIIA NSCLC gegenüber Placebo. Diese Studie hatte die Co-primären Endpunkte DFS in der Gesamtpopulation der Patienten mit Stadium IB-IIIA unabhängig der PD-L1 Expression sowie DFS in Patienten mit Stadium IB-IIIA und einer PD-L1 Expression ≥50%. Eine adjuvante Chemotherapie war in Patienten mit Stadium II-IIIA empfohlen, jedoch nicht obligatorisch. Die Resultate der PEARLS-Studie wurden im Rahmen eines ESMO Virtual Plenary im März 2022 erstmals präsentiert. Es zeigte sich ein signifikanter DFS-Benefit für die Patienten unabhängig der PD-L1 Expression mit adjuvant Pembrolizumab (medianes DFS 53.6 vs. 42.0 Monate, HR: 0.76) (17). Interessanterweise konnte in Patienten mit einer PD-L1 Expression ≥50 (Co-primärem Endpunkt) keine signifikante Verbesserung des DFS beobachtet werden (HR 0.82, p= 0.14); ein Resultat, das konträr zu den Resultaten der IMpower-010 Studie sowie der meisten Studienevidenz in fortgeschrittenen Stadien steht und eine Einordnung schwierig macht (18).

Neben adjuvanten Therapiestrategien untersuchen mehrere Studien auch einen neoadjuvanten Chemo-ICI Ansatz. In dieser Hinsicht wegweisend sind die Daten der Phase III Checkmate-816 Studie, in der Patienten mit resezierbaren NSCLC Stadium IB-IIIA eine neoadjuvante Therapie mit platin-basierter Chemotherapie alleine oder in Kombination mit Nivolumab erhielten. Die Studie war positiv bezüglich ihrer beiden Co-primären Endpunkte pathologic complete response rate (pCR) und event-free-survival (EFS). Es zeigte sich eine signifikante Erhöhung der pCR-Rate (24% vs. 2.2%, P= <0,001) sowie eine signifikante Verlängerung des EFS von 31.6 vs. 20.8 Monate (HR: 0.63) (19).

Weitere Phase III Studien untersuchen den Einsatz der Checkpoint-Inhibitoren perioperativ sowohl mit einer neoadjuvanten sowie einer adjuvanten ICI-Therapiephase. Die Resultate dieser Phase III Studien sind noch ausstehend, die Einordnung wird eine Herausforderung sein, da letztendlich die Frage, welche Patienten nach dem neoadjuvanten Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren noch von einer zusätzlichen adjuvanten Therapiekomponente profitieren, durch diese Studien nicht beantwortet wird. Sicherlich wird der perioperative Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren ein neuer Standard in der Therapie des resektablen NSCLC werden, wobei die genaue Population bezüglich Stadium und PD-L1 Status, die Rolle der adjuvanten Chemotherapie und auch des optimalen Zeitpunktes sicher noch zu diskutieren sind.

Zusammenfassung

Immuncheckpoint-Inhibitoren sind bei Patienten mit NSCLC ohne Treibermutationen aus dem Therapiearmentarium nicht wegzudenken. Der jetzt bekannte Benefit auch in nicht-metastasierten Stadien wird die Therapielandschaft nochmals grundlegend verändern, wobei viele Fragen bezüglich optimaler Patientenselektion und Therapiesequenz noch offen sind.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Lisa Markhardt

Kantonsspital St.Gallen
Rorschacherstrasse 95
9007 St.Gallen

Dr. med. Sabine Schmid

Universitätsklinik für Medizinische Onkologie
Inselspital
Freiburgstrasse 18
3010 Bern

S. Schmid: Research grants (all institutional): AstraZeneca, BMS, Janssen. Advisory board (all institutional): AstraZeneca, BMS, MSD, Boehringer Ingelheim. Travel support: MSD, Takeda, Boehringer Ingelheim. L. Markhardt deklariert keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag.

◆ Checkpoint-Inhibitoren sind integraler Bestandteil der Systemtherapie bei lokal fortgeschrittenen NSCLC ohne molekulare Alteration.
◆ Basierend auf den kürzlich präsentierten Daten von 3 grossen Phase III Studien werden Checkpoint-Inhibitoren Einzug ins perioperative Management von resektablen NSCLC erhalten.
◆ Atezolizumab ist für die adjuvante Therapie bei Patienten mit reseziertem Stadium II-IIIA NSCLC und einer PDL-1 Expression bereits neu von der Swissmedic zugelassen.
◆ Der PDL-1 Status dient insbesondere in der metastasierten Situation als Biomaker zur Therapieselektion, in der perioperativen Situation ist sein Stellenwert bislang kontrovers diskutiert

1. Hirva Mamdani et al., Immunotherapy in Lung Cancer: Current Landscape and Future Directions, Front Immunol. 2022 Feb 9;13:823618.
2. N.B. Leighl, MD et al., Pembrolizumab in patients with advanced non-small-cell lung cancer (KEYNOTE-001): 3-year results from an open-label, phase 1 study. The Lancet VOLUME 7, ISSUE 4, P347-357, APRIL 01, 2019
3. Martin Reck, M.D. et al., Pembrolizumab versus Chemotherapy for PD-L1–Positive Non–Small-Cell Lung Cancer, N Engl J Med 2016; 375:1823-1833
4. Roy S. Herbst, M.D, Atezolizumab for First-Line Treatment of PD-L1–Selected Patients with NSCLC, N Engl J Med 2020; 383:1328-1339
5. Ahmet Sezer, MD et al., Cemiplimab monotherapy for first-line treatment of advanced non-small-cell lung cancer with PD-L1 of at least 50%: a multicentre, open-label, global, phase 3, randomised, controlled trial; The Lancet, Vol-ume 397, issue 10274, p592-604, february 13, 2021
6. David P. Carbone, MD et al., First-Line Nivolumab in Stage IV or Recurrent Non–Small-Cell Lung Cancer, N Engl J Med 2017; 376:2415-2426
7. Akinboro O, et al. Outcomes of anti–PD-(L)1 therapy with or without chemotherapy (chemo) for first-line (1L) treat-ment of advanced non–small cell lung cancer (NSCLC) with PD-L1 score ≥ 50%: FDA pooled analysis; J Clin Oncol 2022;40(suppl):Abstr 9000
8. PRINCETON, N.J, Landmark Five-Year Data from Phase 3 CheckMate -227 Trial Demonstrate Long-Term, Durable Survival Outcomes with Opdivo(nivolumab) Plus Yervoy (ipilimumab) in First-Line Treatment of Patients with Metastat-ic Non-Small Cell Lung Cancer. BMS 06.06.2022
9. M. Johnson et al., PL02.01 Durvalumab ± Tremelimumab + Chemotherapy as First-line Treatment for mNSCLC: Results from the Phase 3 POSEIDON Study; jto, volume 16, issue 10, supplement , s844, october 01, 2021
10. Prof Luis Paz-Ares, MD, First-line nivolumab plus ipilimumab combined with two cycles of chemotherapy in pa-tients with non-small-cell lung cancer (CheckMate 9LA): an international, randomised, open-label, phase 3 trial; The Lancet Oncology, volume 22, issue 2, p198-211, february 01, 2021

11. David R. Spigel, MD et al., Five-Year Survival Outcomes From the PACIFIC Trial: Durvalumab After Chemoradio-therapy in Stage III Non–Small-Cell Lung Cancer, J Clin Oncol. 2022 Apr 20; 40(12): 1301–1311
12. Alex A. Adjei, MD, PhD et al., Expansion of treatments and insights in the early-stage disease setting, Springer-Verlag GmbH Austria, part of Springer Nature Vol. 14 · Suppl 7/2021
13. Reck M. et al., Two-year update from KEYNOTE-799: Pembrolizumab plus concurrent chemoradiation therapy (cCRT) for unresectable, locally advanced, stage III NSCLC.; ASCO 2022, 8508
14. Greg Andrew Durm et al., Consolidation nivolumab plus ipilimumab or nivolumab alone following concurrent chemoradiation for patients with unresectable stage III non-small cell lung cancer: BTCRC LUN 16-081. 2022 ASCO Annual Meeting I
15. Jean-Pierre Pignon et al., Lung Adjuvant Cisplatin Evaluation: A Pooled Analysis by the LACE Collaborative Group, Clinical Oncology 26, no. 21 (July 20, 2008) 3552-3559.
16. Enriqueta Felip et al., Adjuvant atezolizumab after adjuvant chemotherapy in resected stage IB-IIIA non-small-cell lung cancer (IMpower010): a randomised, multicentre, open-label, phase 3 trial; Lancet. 2021 Oct 9;398(10308):1344-1357
17. L. Paz-Ares, VP3-2022: Pembrolizumab (pembro) versus placebo for early-stage non-small cell lung cancer (NSCLC) following complete resection and adjuvant chemotherapy (chemo) when indicated: Randomized, triple-blind, phase III EORTC-1416-LCG/ETOP 8-15 – PEARLS/KEYNOTE-091 study, oncologypro, published: March 17, 2022
18. O’Brien MER, et al. J Clin Oncol 2022;40(suppl):Abstr 8512
19. Patrick M. Forde et al., Neoadjuvant Nivolumab plus Chemotherapy in Resectable Lung Cancer, N Engl J Med 2022; 386:1973-1985
20. Provencio-Pulla M, et al, Nivolumab + chemotherapy versus chemotherapy as neoadjuvant treatment for re-sectable stage IIIA-B NSCLC: Primary endpoint results of pathological complete response (pCR) from phase II NADIM II trial; J Clin Oncol 2022;40(suppl):Abstr 8501
21. Hanfei Guo et al., Advances and challenges in immunotherapy of small cell lung cancer, Chin J Cancer Res. 2020 Feb; 32(1): 115–128.
22. S. Peters et al., First-line nivolumab plus ipilimumab versus chemotherapy in patients with unresectable malignant pleural mesothelioma: 3-year outcomes from CheckMate 743, Annals of oncology VOLUME 33, ISSUE 5, P488-499, MAY 01, 2022
23 Naoyuki Nogami et al, IMpower150 Final Exploratory Analyses for Atezolizumab Plus Bevacizumab and Chemo-therapy in Key NSCLC Patient Subgroups With EGFR Mutations or Metastases in the Liver or Brain, J Thorac Oncol, 2022 Feb;17(2):309-323.
24 Leena Gandhi, M.D. et al., Pembrolizumab plus Chemotherapy in Metastatic Non–Small-Cell Lung Cancer, N Engl J Med 05/2018; 378:2078-2092
25. Howard West et al., Atezolizumab in combination with carboplatin plus nab-paclitaxel chemotherapy compared with chemotherapy alone as first-line treatment for metastatic non-squamous non-small-cell lung cancer (IMpow-er130): a multicentre, randomised, open-label, phase 3 trial; Lancet Oncol. 2019 Jul; 20 (7):924-937
26. Jose M. Pacheco; KEYNOTE-407: changing the way we treat stage IV squamous non-small cell lung cancer; Transl Lung Cancer Res. 2020 Feb; 9(1): 148–153.

Müdigkeit hat viele Gesichter – Hintergründe und Abklärungsstrategie

Tatsächlich bleibt die Müdigkeit eines der häufig genannten Symptome in der Sprechstunde. Wichtig dabei zu beachten ist, dass es sich um ein subjektives Gefühl handelt: Was für die einen bereits einen grossen Einschnitt in die Gestaltung des All­tags bedeutet, ist für andere durchaus noch zu bewältigen. Entsprechend braucht dieses Symptom eine sehr individuelle Herangehensweise. Und trotzdem gibt es einige strukturierte Hilfestellungen bezüglich Abklärung und Anamnese, die hier ausgeführt werden.

In fact, fatigue remains one of the frequently mentioned symptoms in the consultation. It is important to note that is a subjective feeling: what is already a big cut in the design of everyday life for some is still manageable for others. Accordingly, this symptom needs a very individual approach. And yet there are some help points regarding clarification and anamnesis, which are carried out here.

Key Words: fatigue, myalgic encephalomyelitis (ME), chronic fatigue syndrome (CFS)

Über Müdigkeit klagen viele Patienten in der Sprechstunde – dabei die nötigen und sinnvollen Abklärungen einzuleiten, bleibt eine Herausforderung. Im Grundsatz ist die Müdigkeit eine physiologische Reaktion, das Signal schlafen zu müssen und dem Körper die nötige Ruhe zur Regeneration zu geben. Wann wird Müdigkeit zum Symptom? Vom einfachen Schlafmangel bis hin zur Addison-Krise, von Depression bis zur Krebserkrankung gibt es viele Diagnosen, die als Ursache in Betracht gezogen werden müssen. Wie kann also eine sinnvolle Abklärungsstrategie aussehen?

Definition

Die Definition der Müdigkeit umfasst verschiede Aspekte (1, 2):

  • Emotionale Müdigkeit mit Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit, Unlust.
  • Kognitive Müdigkeit mit Konzentrationsschwäche, reduzierter geistiger Leistungsfähigkeit.
  • Körperliche Müdigkeit mit rascher Ermüdung bei nicht-adäquater Belastung und der Unfähigkeit, ein gewohntes Aktivitäts­niveau beizubehalten.

Das Empfinden dieser Aspekte kann für den einen normal sein, für den anderen eine krankhafte Einschränkung bedeuten – Müdigkeit ist subjektiv. Zeitlich lassen sich eine akute Müdigkeit < 1 Monat und eine persistierende < 6 Monate von einer chronischen Müdigkeit > 6 Monate abgrenzen (3).

Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS)
ME/CFS ist eine Form der chronischen Müdigkeit. Die Definition nach CDC (4):

  • Eine substantielle Verschlechterung des möglichen Aktivitäts­levels im Vergleich zu der Zeit vor der Erkrankung
  • Post-exertional Malaise (PEM) (Tab. 1)
  • Unerholsamer Schlaf

Die Ursache dieses Beschwerdekomplexes bleibt unklar, es werden u.a. (auto)immunologische Phänomene diskutiert, da eine Häufung nach bestimmten Infektionen zu finden ist (1). Auch im Rahmen der Long Covid-Erkrankung mit dem Leitsymptom Fatigue werden verschiedene Hypothesen als Ursache diskutiert. Im Prinzip ist Long COVID aber zeitlich definiert: liegen länger als 12 Wochen nach akutem Infekt noch Symptome vor, spricht man von einem Post-Covid-/ Long Covid Syndrom (6).

Epidemiologie

In bis zu 10% der Fälle ist Müdigkeit der Grund der Vorstellung in der Hausarztpraxis. Je nach Studie schwankt die Prävalenz um 6-7.5% (populations-basierte Surveys GB/USA) (7, 8) bis zu 38% (US-Beamtenschaft) (9). In einer Umfrage in Deutschland 1993-1997 (1) gaben 31% der über Sechzehnjährigen an, gelegentlich oder häufig an Müdigkeit zu leiden. Die Prävalenz nimmt mit dem Alter zu (10), Frauen sind häufiger betroffen als Männer (1, 11).

Ursachen

Kurzdauernde Müdigkeit < 1 Monat ist häufig auf eine akute Erkrankung (viral) oder psychosoziale Belastung zurückzuführen, welche sich über die Anamnese gut erkennen lässt. Bei persistierender Müdigkeit liegt eher eine chronische Erkrankung zu Grunde. Eine somatische Diagnose lässt sich allerdings nur in weniger als der Hälfte der Fälle stellen (12).

Somatische Ursachen sind insgesamt unwahrscheinlicher, je weniger Begleitsymptome bestehen. Ein Eisenmangel findet sich in nur 2.8%. Weitere somatische Ursachen wie z.B. Diabetes mellitus, Schilddrüsenerkankungen etc. zeigen sich in nur gerade 4.3% (13) (Tab. 2).
Malignome sind in 0.8% der Fälle Grund für Müdigkeit, umgekehrt beklagen allerdings krebskranke Patienten in ca. 60% der Fälle Fatigue (14). Ohne wegweisende Anamnese ist Krebs als Ursache praktisch ausgeschlossen.

Interessanterweise konnte ein Kausalzusammenhang zwischen Anämie und Müdigkeit nie nachgewiesen werden. Möglicherweise entsteht ein Eindruck von Kausalität dadurch, dass bei müden Patienten ein Blutbild veranlasst wird und eine Anämie eher entdeckt wird (1, 13, 15).

Ein Zusammenhang allerdings zwischen Eisenmangel ohne Anämie und Müdigkeit konnte bei jungen Frauen mindestens subjektiv gezeigt werden: nach intravenöser Eisensubstitution gaben sie signifikant weniger Müdigkeit an, während der Hämoglobin-Wert unbeeinflusst blieb (16). Eine Cochrane Review von 2019 (17) ergibt keine einheitlichen Empfehlungen, die Degam-Leitlinie (1) spricht sich für eine Substitution bei einem Ferritin von <15ul/l aus.

Je nach Studie erklären psychische Störungen in 18.5% (13) – 45% (3) die Müdigkeit. Umgekehrt geben 75% der Patienten mit Depression oder somatoformer Störung Müdigkeit an (10).

Eine psychosoziale Ursache ist möglich, wenn Probleme am Arbeitsplatz (Mobbing, Kündigung), eine Überlastung wie z.B. eine Doppelrolle (Familie/Beruf) oder ein kürzlicher Verlust (Menschen, Tiere, Heimat) in der Anamnese herausgearbeitet werden können (18).
Ein einfaches Screening-Instrument für eine Depression ist der hochsensitive 2-Fragen-Test: Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos? Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun? Werden beide Fragen mit nein beantwortet, kann eine Depression zu hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden (19).
Ein ME/CFS ist als Ursache der Müdigkeit selten mit ca. 2% (13), allerdings dürfte sich diese Zahl aufgrund des Long Covid-Syndroms erhöhen (20).

Müdigkeit ist häufig assoziiert mit Schlafstörungen. Entsprechend soll eine Anamnese bezüglich Schlaf stets erfolgen.

Abklärung

Die meisten der somatischen Ursachen treten mit Begleitsymptomen auf, die gezielt erfragt, beurteilt und bei Vorhandensein mit Zusatzuntersuchungen abgeklärt werden sollten. So deuten z.B. imperative Einschlafneigung, morgendliche Kopfschmerzen, Adipositas auf eine schlafbezogene Atemstörung hin. Eine strukturierte Anamnese ist entsprechend unerlässlich (Tab. 3).
Eine reproduzierbare, gleiche Herangehensweise bei jeder Evaluation von Müdigkeit ist essentiell: der Patient sollte immer mit Anamnese, körperlicher und laboranalytischer Untersuchung abgeklärt werden.

Körperliche Untersuchung

Die körperliche Untersuchung umfasst einen vollständigen somatischen Status mit Fokus auf Organomegalien, vergrösserte Lymphknoten, Herz-Lungen-Status und neurologische Auffälligkeiten.

Labor (adaptiert nach 1, 10)

Als Screening: Blutbild, CRP, TSH, ALAT, Glucose (HbA1c), Ferritin, LDH, Albumin

  • bei Hinweisen auf Nierenerkrankung/Risikofaktoren: Kreatinin,
  • bei entsprechenden Medikamenten: Bestimmung der Elektrolyte (Natrium, Kalium, Calcium)
  • bei Muskelschwäche resp. Muskelschmerzen: CK als Hinweise für eine Myopathie
  • bei Risikopatienten: HIV-, Hepatitis-C-Serologien
  • bei Durchfall, Bauchschmerzen: Gesamt IgA, Transglutaminase-AK (Zöliakie)
  • Patienten < 40 nach viralem Infekt ggf. EBV-Serologie
  • Zudem die Patienten auf fällige Krebsvorsorgeunter­suchungen hinweisen.

Sonstige laboranalytische oder apparative Untersuchungen ohne entsprechende Leitsymptome sind nicht sinnvoll, führen zu Überdiagnostik und nicht selten zu Scheinattributionen. Leider fühlen sich Patienten oftmals erst ernstgenommen, wenn somatische Erklärungen geliefert werden, selbst solche, die keinerlei medizinische Evidenz haben wie z.B. ein Zusammenhang zwischen Vitamin D-Mangel und Müdigkeit.
Bleibt die Ursache unklar, sollte der Patient in 4-6 Wochen (10) bzw. nach 1 Monat (12) erneut auf die gleiche Weise beurteilt werden.

Management

Bei Diagnose einer somatischen Erkrankung ist diese entsprechend zu behandeln, bereits bekannte somatische Erkrankungen sollten optimal eingestellt werden. Ebenfalls müssen Patienten mit psych­iatrischen Erkrankungen angemessen behandelt werden: In milden Fällen können empathische Begleitung, Behandlung von Schlafstörungen und regelmässige Konsultationen in 4- bis 6-wöchentlichen Abständen ausreichen. Bei mittelgradigen und schweren Verläufen ist eine psychiatrisch-psychotherapeutische Anbindung empfohlen.

Bei chronischer Müdigkeit > 6 Monate ohne organische/psych­iatrische Ursache spricht man von einer idiopathischen Chronic Fatigue. Es gibt Hinweise, dass auch diese Patienten von einer antidepressiven Therapie profitieren (21). Hier empfehlen sich ausserdem kognitive Verhaltenstherapie und gezielte aktivierende Massnahmen. Beide Behandlungsansätze können auch Müdigkeit im Rahmen von schweren Grunderkrankungen wie COPD, Herzinsuffizienz, Malignome verbessern (10).

Allgemein sollten alle Patienten mit psychoedukativen Massnahmen begleitet werden; dazu zählen das Erklären der möglichen Ursachen, körperliche Aktivierung unter Vermeidung einer Überbelastung, Beratung zu Schlafhygiene, Coping-Strategien und Entspannungstechniken.
Zur Behandlung des Chronic Fatigue Syndroms sind folgende Ansätze relevant: die ärztliche Akzeptanz der Erkrankung und des Leidensdrucks, ein bio-psycho-sozialer Ansatz und somatische Betreuung mit Behandlung eventueller Komorbiditäten, leichte körperliche Aktivierung und kognitive Verhaltenstherapie zum Erlernen von Energiemanagementstrategien (Pacing) und Entspannungstherapien.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Schirin Frey

Oberärztin KIM Waid
Klinik Innere Medizin Waid
Stadtspital Zürich
Tièchestrasse 99
8037 Zürich

schirin.frey@stadtspital.ch

KD Dr. med. Elisabeth Weber

Chefärztin Klinik Innere Medizin Waid
Stadtspital Zürich
Tièchestrasse 99
8037 Zürich

elisabeth.weber@stadtspital.ch

Die Autorinnen haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel.

◆ Müdigkeit als Symptom muss stets als bio-psycho-soziales Ereignis betrachtet werden.
◆ Entsprechend soll die Abklärung strukturiert somatisch eingeleitet, aber auch die psychosozialen Ereignisse sollten stets exploriert werden.
◆ Die Behandlung richtet sich nach den Erkenntnissen in all diesen Bereichen.

1. S3-Leitlinie: Müdigkeit. AWMF-Register-Nr. 053-002 DEGAM-Leitlinie Nr. 2.
2. Markowitz AJ, Rabow MW. Palliative management of fatigue at the close of life: “it feels like my body is just worn out”. JAMA 2007; 298:217.
3. Baumann K, Krayenbühl P. Müdigkeit. Praxis 2009; 98: 465–471.
4. CDC. Center of Disease Control and Prevention. https://www.cdc.gov/me-cfs/healthcare-providers/clinical-care-patients-mecfs/treating-most-disruptive-symptoms.html
5. Iqbal FM, Lam K, Sounderajah V, Clarke JM, Ashrafian H, Darzi A. Characteristics and predictors of acute and chronic post-COVID syndrome: a systematic review and metaanalysis. EClinicalMedicine. 2021;36: 100899.
6. COVID-19 rapid guideline: managing the long-term effects of COVID-19. NICE guideline [NG188]. Published: 18 December 2020 Last updated: 11 November 2021.
7. Lawrie SM, Manders DN, Geddes JR, Pelosi AJ. A population-based incidence study of chronic fatigue. Psychol Med 1997; 27:343.
8. Walker EA, Katon WJ, Jemelka RP. Psychiatric disorders and medical care utilization among people in the general population who report fatigue. J Gen Intern Med 1993; 8:436.
9. Ricci JA, Chee E, Lorandeau AL, Berger J. Fatigue in the U.S. workforce: prevalence and implications for lost productive work time. J Occup Environ Med 2007; 49:1.
10. Maisel P, Baum E, Donner-Banzhoff N: Fatigue as the chief complaint—epidemiology, causes, diagnosis, and treatment. Dtsch Arztebl Int 2021;118:566–76. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0192.
11. Kroenke K, Wood DR, Mangelsdorff AD, et al. Chronic fatigue in primary care. Prevalence, patient characteristics, and outcome. JAMA 1988; 260:929.
12. Hamilton W, Watson J, Round A. Müdigkeit: Abklärungen in der Grundversorgung. Praxis 2011;100(2):99–103.
13. Stadje R, Dornieden K, Baum E, Becker A, Biroga T, Bösner S, Haasenritter J, Keunecke C, Viniol A, Donner-Banzhoff N. The differential diagnosis of tiredness: a systematic review. BMC Fam Pract. 2016 Oct 20;17(1):147. doi: 10.1186/s12875-016-0545-5.
14. Al Maqbali M. Cancer-related fatigue: an overview. Br J Nurs. 2021 Feb 25;30(4):S36-S43. doi: 10.12968/bjon.2021.30.4. S36.
15. Wood MM, Elwood PC. Symptoms of iron deficiency anaemia. A community survey. Br J Prev Soc Med. 1966 Jul;20(3):117–21.
16. Sharma R, Stanek JR, Koch TL, Grooms L, O’Brien SH. Intravenous iron therapy in non-anemic iron-deficient menstruating adolescent females with fatigue. Am J Hematol. 2016 Oct;91(10):973-7. doi: 10.1002/ajh.24461. Epub 2016 Jul 20. PMID: 27351586.
17. Miles LF, Litton E, Imberger G, Story D. Intravenous iron therapy for non-anaemic, iron-deficient adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2019, Issue 12. Art. No.: CD013084. DOI: 10.1002/14651858.CD013084.pub2.
18. Horn B. Müdigkeit. Schweiz Med Forum. 2002;45:1074-1079.
19. Whooley MA, Avins AL, Miranda J, Browner WS. Case-finding instruments for depression. Two questions are as good as many. J Gen Intern Med. 1997 Jul;12(7):439-45. doi: 10.1046/j.1525-1497.1997.00076.x. PMID: 9229283; PMCID: PMC1497
20. Menges D, Ballouz T, Anagnostopoulos A, Aschmann HE, Domenghino A, Fehr JS, Puhan MA. Burden of post-COVID-19 syndrome and implications for healthcare service planning: A population-based cohort study. PLoS One. 2021 Jul 12;16(7):e0254523. doi: 10.1371/journal.pone.0254523. PMID: 34252157; PMCID: PMC8274847.
21. O’Malley PG, Jackson JL, Santoro J, et al. Antidepressant therapy for unexplained symptoms and symptom syndromes. J Fam Pract 1999; 48:98.

Metastasierendes Endometriumkarzinom

Das Endometriumkarzinom ist der häufigste gynäkologische Tumor in der westlichen Welt, mit zunehmender Inzidenz. Dies ist hauptsächlich dem zunehmenden Übergewicht und Alter geschuldet (1). Die meisten Endometriumkarzinome treten bei postmenopausalen Frauen auf und führen durch eine Postmenopausenblutung zu früher Diagnostik, was die günstige Prognose erklärt. Das relative 5-Jahres-Überleben ist über 80% (2). Kommt es zu einem Rezidiv, ist die Prognose ungünstig. Es stellt sich die Frage: Können wir Patientinnen identifizieren, die trotz niedrigem Initial-Stadium und biologisch günstigen Eigenschaften rezidivieren werden?

Endometrial cancer is the most common gynecologic tumor in the Western world, with increasing incidence. This is mainly due to increasing obesity and age (1). Most endometrial carcinomas occur in postmenopausal women and lead to early diagnosis due to postmenopausal bleeding, which explains the favorable prognosis. The 5-year relative survival is over 80% (2). If recurrence occurs, the prognosis is unfavorable. The question is: Can we identify patients who will recur despite low initial stage and biologically favorable characteristics?
Key Words: Endometrial carcinoma, postmenopausal bleeding, Cancer Genome Atlas.

Neue Definition der Risikogruppen

Die Einteilung aufgrund histologischer Subtypen (früher Typ 1: endometrioid, verbunden mit Übergewicht, Hormonrezeptor-Überexpression, günstiger Prognose, sowie Typ II: hauptsächlich seröse Histologie, schlechte Prognose) ist ungenügend, um das Rezidivrisiko akkurat abschätzen zu können (3). Das hat zur Weiterentwicklung der Bestimmung molekularer Eigenschaften des Endometriumkarzinoms geführt. Das Ziel ist, die Prognose dieser Patientinnen zu verbessern und die Therapien masszuschneidern. Im Sinne einer De-Eskalation werden möglicherweise sogenannte Standard-Therapien nicht (mehr) indiziert werden. Die Subgruppe der Patientinnen mit Polymerase epsilon (POLƐ)-Mutationen haben zum Beispiel eine exzellente Prognose und werden, wenn nicht als solche identifiziert, möglicherweise überbehandelt (Tab. 1). Ob die günstige Prognose allerdings aufgrund des sehr guten Therapie-Ansprechens oder der Verlauf tatsächlich auch spontan hervorragend wäre, ist zur Zeit unklar. Andererseits sind Tumoren mit p53-Dysfunktion prognostisch ungünstig mit genomischer Instabilität und rascher Tumorprogression (4).

Molekulare Subgruppen, Rezidivrisiko

Im Jahr 2013 wurde der Cancer Genome Atlas (TCGA) zum Endometriumkarzinom publiziert, ein Durchbruch in der Klassifikation des Endometriumkarzinoms (5). Vier molekulare Subklassen mit unterschiedlicher Prognose wurden identifiziert. Retrospektive Untersuchungen an Adjuvant-Studien beim Endometriumkarzinom (Post-Operative Radiation Therapy in Endometrial Carcinoma PORTEC- 1, 2 und 3-Studien) entsprechend der molekularen Subtypsierung konnten zeigen, dass histologisch aggressive Tumore bei POLƐ-Mutation eine sehr gute Prognose mit geringem Rückfallrisiko aufweisen gegenüber anderen Subtypen mit gleicher Histologie (4). Betrachtet man ausschliesslich die G3-Tumoren, findet sich eine POLƐ-Mutation in 12%, eine MMMR-Defizienz in 40%, p53-Mutation in 18% und NSMP in 30% aller Karzinome (6).

2021 wurden die aktualisierten ESGO-ESTRO-ESP – Guidelines zur Behandlung des Endometriumkarzinoms publiziert, worin die neuen Definitionen der Risikogruppen bereits aufgenommen wurden. Diese prognostischen Faktoren sind von grosser Bedeutung. Noch stehen uns keine robusten Daten zu prädiktiven Aussagen zur Verfügung. Die retrospektive Analyse der PORTEC3-Studie zeigte beispielsweise bei MMRd-Patientinnen mit adjuvanter Radiotherapie keine Prognoseverbesserung durch die Zugabe einer adjuvanten Chemotherapie. Diese Daten basieren jedoch auf der geringen Zahl von 2 x 70 Patientinnen. Diese wichtigen Daten werden zur Zeit in grossen Phase III-Studien erhoben, wie zum Beispiel in der PORTEC 4a-Studie (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT03469674) (8). In dieser internationalen, prospektiven Studie werden Patientinnen mit high-intermediate Risiko-Endometriumkarzinomen randomisiert zu einer individuellen Behandlung, basierend auf molekularpathologischen Eigenschaften, versus der Standardbehandlung, welche auf herkömmlichen kliniko-pathologischen Empfehlungen beruht (s. Abb. 1). Die Patientinnen werden nach der Operation entweder weiter beobachtet ohne Therapie oder erhalten eine Brachytherapie oder eine perkutane Radiotherapie. Im weiteren sollen die molekularen Erkenntnisse aus der PORTEC 3-Studien-Population (TransPORTEC ) in einem komprehensiven internationalen Projekt bezüglich molekularer Risikostratifizierung unterschiedlichen, eben personalisierten adjuvanten Therapien zugeführt werden (Refining Adjuvant treatment IN endometrial cancer Based On molecular features (RAINBO Projekt), TransPORTEC platform trials). Die Planung und Finanzierung dieser grossen internationalen Studie läuft auf Hochtouren. Erste Patientinnen sollen 2022 eingeschlossen werden können. In der Schweiz wird dies im Rahmen unserer kooperativen Forschungsgruppe, der Schweizerische Arbeitsgruppe für Klinische Krebsforschung (SAKK), möglich sein. Alle diese Resultate werden mit Ungeduld erwartet und werden uns der Präzisionsmedizin grosse Schritte weiterbringen.

Histologische Subtypen des Endometriumkarzinoms

Die prognostisch ungünstigen serösen Endometriumkarzinome treten in ca 10% auf und sind häufig p53 mutiert. Die Wirksamkeit der Erstlinienchemotherapie ist gleich wie bei den übrigen Histologien, mit allerdings einem Trend zu geringerem Ansprechen. Hellzellige Histologie ist ein Prädiktor für schlechteres progressionsfreies Überleben (HR, 1,52) (9). Ungefähr 30% der Endometriumkarzinome zeigen eine HER2- Überexpression. In einer randomisierten Phase II-Studie konnte die Zugabe von Trastuzumab zu Paclitaxel und Carboplatin eine Verbesserung des medianen progressionsfreien Überlebens von 4.6 Monaten in der metastasierten Situation zeigen (10).

Karzinosarkome sind keine Sarkome. Gemäss der aktuellen WHO-Klassifikation (2020) sind sie, molekularpathologisch charakterisiert, eine aggressive Variante des Endometriumkarzinoms. In den Metastasen finden sich üblicherweise Karzinomanteile vorherrschend. Der Terminus «Maligner Müller’scher Mischtumor» wird nicht mehr verwendet.

Anforderungen an die Pathologie

Die Bestimmung der vier molekularen Subgruppen des Endometriumkarzinoms gemäss TCGA-Atlas ist kostspielig und aufwändig. Talhouk et al. entwickelten einen pragmatischen Algorithmus, den Proactive Molecular Risk Classifier for Endometrial Cancer (ProMisE). Hiermit lassen sich, validiert, molekular verschiedene Subgruppen ähnlich der TCGA-Klassifizierung identifizieren (11). Die vier Gruppen beinhalten:

  • POLƐ Exonuclease Domain Mutationen (POLƐ EDMs)
  • MMR-Defizienz (MMRd)
  • p53 Abnormal / Wildtyp
  • NSMP: kein spezifisches molekulares Profil

Ausser der POLƐ-Hotspot-Analyse (mittels NGS (next generation sequencing) / Sanger-Sequenzierung) werden diese Bestimmungen kostengünstig mittels Immunhistochemie durchgeführt. Sehr selten (ca 5%) finden sich bei Endometriumkarzinomen nicht nur p53 Mutationen, sondern auch POLƐ-Mutationen oder eine MMR-Defizienz.

Wie gehen wir praktisch vor?

Diese molekulare Klassifizierung wird bereits vielerorts routinemässig durchgeführt. Die Daten, welche uns leiten in der Auswahl der adjuvanten Systemtherapie nach molekularen Subgruppen, werden in prospektiven Studien allerdings erst generiert. Folgende Untersuchungen sind in der metastasierten Situation empfohlen:

  • ER (Östrogen-) und PgR (Progesteronrezeptoren) bei allen Typen
  • Immunhistochemische Biomarker wie Programmed death ligand-1 (PD-L1), MSI, evtl. tumor molecular burden (TMB)
  • HER2-Status bei den serösen Endometriumkarzinomen

Etwa 3% aller Endometriumkarzinome und kolorektale Karzinome entstehen im Rahmen eines Lynch-Syndromes (HNPCC, hereditäres non-polyposis colorectal carcinoma). An unserem Zentrum testen wir alle Endometriumkarzinome immunhistochemisch bei Primärdiagnose auf Mismatch-Reparatur-Defizienz in den Genen MLH1, MSH2, MSH6, und PMS2. Falls ein Expressionsverlust vorliegt (MMRd) und zusätzlich in MLH1 eine sog. Promotor-Hypermethylierung ausgeschlossen werden konnte, werden diese Tumoren zusätzlich auf Mikrosatelliten-Instabilität untersucht. Bestehen anamnestisch Risikofaktoren auf ein Lynch-Syndrom, werden nach genetischer Beratung zusätzlich die MSI-Untersuchungen ergänzt auch bei den Patientinnen ohne MMR-Defizienz. Findet sich eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H), werden molekulargenetische Untersuchungen an der Keimbahn angeschlossen zur Abklärung eines Lynch-Syndroms.

Wie wichtig das molekulare Profil der Endometriumkarzinome ist, sehen wir am gezielten und erfolgreichen Einsatz der Immuntherapie in der metastasierten Situation. Eine PD-L1-Überexpression qualifiziert für eine Checkpoint-Inhibitor-Therapie. Speziell MSI-H und hoher molecular tumor burden (TMB) sind hier prädiktiv (13).

Ein weiterer immunhistologisch bestimmbarer prognostischer Parameter ist das L1-cell adhesion molecule (L1-CAM). Seine Überexpression zeigt sich in zahlreichen Studien als wichtiger Prognose-Faktor (14). Es fehlen uns bis dato prädiktive Ansätze. Die Kombination von histopathologischen (lymphovaskuläre Invasion LVSI und L1-CAM) und neuen molekularen Faktoren werden wohl in Zukunft die die höchste prognostische Aussagekraft haben.

Erstlinienbehandlung des metastasierten Endometriumkarzinoms

Palliative endokrine Therapie

Eine antihormonelle Systemtherapie kann ein oft längeres Therapie-Ansprechen bei über der Hälfte der Patientinnen zeigen. Progestagene (Medroxyprogesteron-Azetat 200 (–300) mg und Megestrol-Azetat 160 mg tgl sind empfohlen (letzteres in der Schweiz nicht mehr erhältlich)). Den Nebenwirkungen wie gehäuft thrombo-embolischem Geschehen sowie relevanter Gewichtszunahme muss Rechnung getragen werden (15). Low grade Tumore mit langsamer Wachstumstendenz mit Hormonrezeptor-Positivität scheinen den grössten Nutzen einer endokrinen Therapie zu haben. Allerdings kann die endokrine Behandlung auch bei hormon-rezeptor-negativer Erkrankung indiziert werden (16).

Eine Steigerung der endokrinen Wirksamkeit konnte mit der Kombination von Aromatasehemmern und Everolimus erzielt werden. Auch hier gilt das spezifische (dosis-abhängige) Nebenwirkungsspektrum von Everolimus zu beachten (Mucositiden, interstitielle Pneumonitiden) (17). Am europäischen Onkologie-Kongress ESMO 2020 wurden Phase II- Daten präsentiert zu einer Kombination von Aromatasehemmern (Letrozol) und CDK4/6-Inhibitor (Palbociclib), wodurch eine klinisch bedeutsame Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (PFS) erreicht wurde, mit den erwarteten Nebenwirkungen (18). Diese Resultate sollen in einer Phase III-Studie bestätigt werden. Palliative Chemotherapien in der ersten Therapie-Linie waren ursprünglich anthracyklin-basiert. Doxorubicin wurde allein versus Kombinationen mit Cyclophosphamid und auch Cisplatin untersucht (19). In der GOG-209- Studie konnte gezeigt werden, dass TAP (Paclitaxel, Doxorubicin, Cisplatin) vs Carboplatin/Paclitaxel bei fast 1400 Patientinnen mit fortgeschrittenen oder metastasierten Endometriumkarzinomen non-inferior war zu TAP mit gleichen Gesamtüberlebensraten (20). Carboplatin/Paclitaxel bleibt die Standardbehandlung in der ersten Linie.

Die Kombinationsbehandlungen mit Bevacizumab zeigten eine Verbesserung der Wirksamkeit, gering auch im Gesamtüberleben (21). Allerdings wurde von der FDA keine Zulassung für Bevacizumab erteilt.

Zweitlininenbehandlung

In der Auswahl der Zweitlinien-Therapie besteht kein Standard. Die Behandlung im Rahmen klinischer Studien ist deshalb immer zu prüfen. Vor der Einführung der Immuntherapie wurde im erneuten Rezidiv eine weitere platin-basierte Therapie versucht, wobei hier das Ansprechen > 60% betrug, allerdings nur nach längerem platin-freien Intervall (>24 Monate) (22). Platin- und taxanfreie Regimes zeigten geringe Aktivität.

Verschiedene PD-1- und Anti PD-L1 Checkpoint-Inhibitoren wurden in den letzten wenigen Jahren beim metastasierten Endometriumkarzinom er-folgreich eingesetzt. Man kann von einem wahren Durchbruch in der Rezidiv-Behandlung sprechen, wo zuvor kaum wirksame Therapieoptionen bestanden. Programmed death-1 (PD-1) ist ein Immuncheckpoint Rezeptor, welcher von tumor­infiltrierenden T-Zellen exprimiert wird. Wird er durch PD-L1 aktiviert, ist die T-Zell Aktivität gehemmt und begünstigt dadurch eine Immun-Evasion. Liegt eine Defizienz in der Mismatch-Reparatur (MMRd) vor, kann dies den Tumor sensitiv auf Anti-PD-L1 – Therapien machen (23). Das Nebenwirkungsspektrum mit den immun-assoziierten Veränderungen muss hier beachtet werden, zumal ein Grossteil unserer Patientinnen älter und häufig ko-morbide ist. Die häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen unter Pembrolizumab sind Fatigue, Pruritus, Diarrhoe, Übelkeit mit vermindertem Appetit, Hautausschlag, Fieber, Husten, Atemnot sowie muskulo-skelettale Schmerzen. Die immun-vermittelten Nebenwirkungen wie Pneumonitis, Colitis, Hepatitis, Endokrinopathien und Nephritis sind selten, aber potentiell fatal. Infusionsreaktionen werden öfters beobachtet. Es konnten langdauernde Remissionen beobachtet werden (24). 2017 wurde Pembrolizumab als erste Substanz tumor-agnostisch von der FDA (Food and Drug Administration) zugelassen. Dies erfolgte aufgrund Phase II-Daten bei soliden Tumoren mit Mikrosatelliten-Instabilität-high (MSI-H)/MMRd, nach Progression auf eine konventionelle Therapie. Es wurde eine signifikante Wirksamkeit gezeigt mit Gesamt-Ansprechraten (ORR) von 34% (25). 2019 wurde dann die Kombination von Pembrolizumab mit Lenvatinib, einem oralen VEGFR1-3 Hemmer, von Makker et al erfolgreich eingesetzt (26). Noch im selben Jahr wurde diese Behandlung von der FDA als breakthrough in der Zweitlininenbehandlung zugelassen, und zwar bei biomarker-unselektierten Patientinnen. 85% waren mikrosatelliten-stabil, nur 25% waren PD-L1-positiv. Es konnten hohe Ansprechraten (RR) von 36% in dieser vorbehandelten Population erzielt werden, insbesondere auch bei serösen Histologien. Fast 40% hatten ein langdauerndes Ansprechen. Die Nebenwirkungen waren leider beträchtlich, so litten fast 70% aller Patientinnen an einer G3/4-Toxizität (hpts. Nausea, Diarrhoe, art. Hypertonie, Fatigue). Dosis-Anpassungen waren in 70% notwendig.

Es ist bemerkenswert, dass diese Zulassungen ohne Daten aus randomisierten Phase III-Studien erfolgten. Ob die Krankenkassen unseren Patientinnen Kostengutsprache für diese Therapien erteilen, kommt mehr denn je einer Lotterie gleich. Zahlreiche Studien sind unterwegs mit weiteren Checkpoint-Inhibitoren, so zum Beispiel die italienische Phase III-Studie AtTEnd (NCT03603184), in der MMR-unabhängig Carboplatin/Taxol +/- Atezolizumab untersucht wird. Pembrolizumab/Lenvatinib wird in einer Phase III-Studie untersucht werden versus Doxorubicin oder Paclitaxel (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT03517449).

Dostarlimab (Jemperli®), ein weiterer Anti-PD-1-Antikörper, wurde in der GARNET-Studie (NCT02715284, multizenter, open-label Studie für Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren) bei Patientinnen mit MMRd rezidiviertem Endometriumkarzinomen untersucht. Bei den 71 eingeschlossenen Patientinnen waren die Resultate so beeindruckend, dass die Zulassung im April 2021 durch die FDA beschleunigt erfolgte für Patientinnen mit MMR-defizientem Endometriumkarzinom nach Progression auf eine platin-haltige Chemotherapie. Ebenso wurde der entsprechende diagnostische Test mittels VENTANA MMR RxDx Panel zugelassen. Dostarlimab wird weiter in einer Phase III-Studie untersucht in Kombination mit Carboplatin/Paclitaxel (NCT03981796, RUBY).

Jemperli® wurde in einer Dosierung von 500 mg iv alle 3 Wochen für 4 Dosen, gefolgt von 1000 mg iv alle 6 Wochen, verabreicht. Die overall response rate (ORR) war bei diesen vorbehandelten Patientinnen hoch mit 42.3% (95% CI: 30.6%, 54.6%), die mittlere Dauer des Ansprechens (duration of response DOR) war nicht erreicht; 93.3% der Patientinnen zeigten nämlich ein Ansprechen ≥ 6 Monate (Range: 2.6 – 22.4 Monate, es war ongoing beim letzten Assessment). Die Nebenwirkungen waren mit 34% SAE’s erheblich, in ≥ 20% wurde Müdigkeit, Asthenie, Nausea, Diarrhoe und Anämie rapportiert. Immun-assoziierte Reaktionen wurden im erwarteten Rahmen beobachtet.

Was bringt die Zukunft?

Wenn auch gerade in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte in der Behandlung des metastasierten Endometriumkarzinoms erzielt werden konnten, muss unser Verständnis dieser heterogenen Krankheit stetig wachsen. Ein Fokus wird auf ihrer präzisen Klassifizierung bleiben sowie der weiteren aufwändigen Untersuchung in randomisierten klinischen Studien. Daten aus der PORTEC 4-a-Studie (NCT03469674) sowie Resultate der Phase III-Studie mit Paclitaxel, Carboplatin und Pembrolizumab (NCT02549209) werden unser Verständnis für diese Krankheit hoffentlich verbessern und uns die Therapie- Empfehlungen individuell gestalten lassen. Kombinationsbehandlungen mit Immuntherapie, Poly-ADP-Ribose-Polymerase (PARP)-Inhibitoren, anti-angiogenen Substanzen sowie mit Radiotherapie, werden untersucht.

Zweitabdruck aus info@onkologie_05-2021

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Ursula Hasler-Strub

Stv. Leitende Ärztin Medizinische Onkologie
FMH Medizinische Onkologie
Kantonsspital Graubünden
Loestrasse 170
7000 Chur

ursula.hasler-strub@ksgr.ch

Die Autorin hat im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

◆ Patientinnen mit metastasiertem Endometriumkarzinom haben eine ungünstige Prognose.
◆ Eine palliative endokrine Therapie (Megestat) ist oft langdauernd
wirksam und gut verträglich. Wenn die Krankheit nach einer palliativen Chemotherapie mit Carboplatin/Paclitaxel voranschreitet, bestehen neu Therapieansätze mit Immuntherapien: Pembrolizumab bei
PD-L1-positiven MMRd (Mismatch Repair defizienten) Patientinnen sowie Pembrolizumab/Lenvatinib bei PD-L1-negativen Patientinnen.
◆ Dostarlimab, ein weiterer PD-L1-Antikörper, wurde kürzlich von der FDA für MMRd rezidivierte Endometriumkarzinome zugelassen.
Hier muss eine sorgfältige Auswahl der Patientinnen erfolgen wegen potentiell schwerwiegender Nebenwirkungen.
◆ In Zukunft werden vielversprechende Weiterentwicklungen
(zB Immuntherapien in Kombination mit Radiotherapie) erwartet.

1. Noone AM, Howlader N, Krapcho M, et al (eds): SEER Cancer Statistics Review, 1975-2015, National Cancer Institute. https://seer.cancer.gov/csr/1975_2015
2. Sant M, Chirlaque Lopez MD, Agresti R, et al. Survival of women with cancers of breast and genital organs in Europe 1999–2007: results of the EUROCARE-5 study. Eur J Cancer 2015;51:2191–205
3. Bokhman JV.: Two pathogenetic types of endometrial carcinoma. Gynecol Oncol. 1983;15(1):10-17.).
4. Leon-Castillo A, de Boer SM, Powell ME, et al. Molecular classification of the PORTEC-3 trial for high-risk endometrial cancer: impact on prognosis and benefit from adjuvant therapy. JClin Oncol 2020;38:3388–97.
5. Kandoth C, Schultz N, et al, Cancer Genome Atlas Research Network. Integrated genomic characterization of endometrial carcinoma. Nature 2013;497:67–73.
6. Church DN, Stelloo E, Nout RA, et al: Prognostic significance of POLE proofreading mutations in endometrial cancer. J Natl Cancer Inst 107:402, 2014
7. Concin N et al.: ESGO/ESTRO/ESP guidelines for the management of patients with endometrial carcinoma. Int J Gynecol Cancer. 2021;31(1):12-39.
8. Wortman BG, Bosse T, Nout RA, et al: Molecular-integrated risk profile to determine adjuvant radiotherapy in endometrial cancer: Evaluation of the pilot phase of the PORTEC-4a trial. Gynecol Oncol 151:69-75, 2018
9. McCluggage WG, Colgan T, Duggan M, et al. Data set for reporting of endometrial carcinomas: recommendations from the International Collaboration on Cancer Reporting (ICCR) between United Kingdom, United States, Canada, and Australasia. Int JGynecol Pathol 2013;32:45–65.
10. Fader AN, Roque DM, Siegel E, et al. Randomized phase II trial of carboplatin-paclitaxel versus carboplatin-paclitaxel-trastuzumab in uterine serous carcinomas that overexpress human epidermal growth factor receptor 2/neu. J Clin Oncol 2018;36:2044–51
11. Talhouk A, McConechy MK, Leung S, et al. Confirmation of ProMisE: a simple, genomics-based clinical classifier for endometrial cancer. Cancer 2017;123:802–13.
12. Stelloo E, Nout RA, Osse EM, et al. Improved risk assessment by integrating molecular and clinicopathological factors in early-stage endometrial cancer—combined analysis of the PORTEC cohorts. Clin Cancer Res 2016;22:4215–24.
13. Piulats JM, Matias-Guiu X: Immunotherapy in Endometrial Cancer: In the Nick of Time. Clin Cancer Res. 2016; 22(23): 5623–5.
14. Van Gool IC, Stelloo E, Nout RA, et al. Prognostic significance of L1CAM expression and its association with mutant p53 expression in high-risk endometrial cancer. Mod Pathol 2016;29:174–81.
15. van Weelden WJ, Massuger LFAG, et al, ENITEC. Anti-estrogen treatment in endometrial cancer: a systematic review. Front Oncol 2019;9:359.)
16. Ethier J-L, Desautels DN, Amir E, et al. Is hormonal therapy effective in advanced endometrial cancer? A systematic review and meta-analysis. Gynecol Oncol 2017;147:158–66.
17. Slomovitz BM, Jiang Y, Yates MS, et al. Phase II study of everolimus and letrozole in patients with recurrent endometrial carcinoma. JCO 2015;33:930–6.
18. A randomised double-blind placebo-controlled phase II trial of palbociclib combined with letrozole (L) in patients (pts) with oestrogen receptor-positive (ER+) advanced/recurrent endometrial cancer (EC): NSGO-PALEO / ENGOT-EN3 trial (LBA28 – ESMO 2020)
19. Thigpen JT, Brady MF, Homesley HD, et al: Phase III trial of doxorubicin with or without cisplatin in advanced endometrial carcinoma: A Gynecologic Oncology Group study. J Clin Oncol 22:3902-3908, 2004
20. Miller DFV, Filiaci V, Fleming G, et al. Randomized phase III non inferiority trial of first line chemotherapy for metastatic or recurrent endometrial carcinoma: a gynecologic oncology group study. Gynecol Oncol 2012;125S:771–3.
21. Aghajanian C, Sill MW, Darcy KM, et al.: Phase II trial of bevacizumab in recurrent or persistent endometrial cancer: a Gynecologic Oncology Group study. J Clin Oncol. 2011; 29(16): 2259–65.
22. Rubinstein M, Halpenny D, Makker V, et al. Retreatment with carboplatin and paclitaxel for recurrent endometrial cancer: a retrospective study of the Memorial Sloan Kettering Cancer Center experience. Gynecol Oncol Rep 2019;28:120–3.
23. Longoria TC, Eskander RN: Immunotherapy in endometrial cancer – an evolving therapeutic paradigm. Gynecol Oncol Res Pract. 2015; 2: 11.
24. Ott PA, Bang YJ, Berton-Rigaud D, et al.: Safety and Antitumor Activity of Pembrolizumab in Advanced Programmed Death Ligand 1-Positive Endometrial Cancer: Results From the KEYNOTE-028 Study. J Clin Oncol. 2017; 35(22): 2535–41.
25. Mittica G, Ghisoni E, Giannone G, et al. Checkpoint inhibitors in endometrial cancer: preclinical rationale and clinical activity. Oncotarget 2017;8:90532–44.
26. Makker V, Taylor MH, Aghajanian C, et al. Lenvatinib plus pembrolizumab in patients with advanced endometrial cancer. J Clin Oncol 2020;38:2981–92.
27. Oaknin A et al. Clinical Activity and Safety of the Anti–Programmed Death 1 Monoclonal Antibody Dostarlimab for Patients With Recurrent or Advanced Mismatch Repair–Deficient Endometrial Cancer JAMA Oncol. 2020;6(11):1766-1772.

HPV-Impfung – Update für die Beratung in der gynäkologischen Praxis

2007 wurde die erste Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) in der Schweiz eingeführt. Sie galt in der Bevölkerung als «Gebärmutterhalskrebs-Impfung» und die ganze Impfstrategie war auf die Impfung aller 11- bis 14-jährigen Mädchen ausgerichtet. In der Zwischenzeit haben wir Gardasil 9, die Jungs und jungen Männer werden ebenso geimpft, das Impffenster ist erweitert worden und wir wissen, dass die Impfung gegen weit mehr als nur den Gebärmutterhalskrebs wirksam ist und mehr als 20 Jahre wirksam sein dürfte.

In 2007, the first vaccination against human papillomavirus (HPV) was introduced in Switzerland. It was considered by the population as «cervical cancer vaccination» and the whole vaccination strategy was focused on vaccinating all 11-14 year old girls. In the meantime we have Gardasil 9, the boys and young men are vaccinated as well, the vaccination window has been extended and we know that the vaccination is effective against much more than just cervical cancer and that it should be effective for more than 20 years.
Key Words: vaccination, human papillomavirus, Gardasil 9

Einleitung

Seit Einführung der ersten HPV-Impfung mit Gardasil® hat sich einiges getan. Die Durchimpfungsrate bei den Mädchen steigt zwar langsam, aber stetig an und lag in der Zeitperiode 2017-2019 bei den 16-Jährigen durchschnittlich bei 59% (19-74 %). Seit 2015 besteht die Impfempfehlung auch für die Jungs und jungen Männer. Bei ihnen lag die durchschnittliche Rate der geimpften 16-Jährigen bei 17 % (0-55 %) in der gleichen Zeitperiode. Das vom Bundesamt für Gesundheit angesetzte Ziel von 80 % ist jedoch sicher noch nicht erreicht (Abb. 1).

Die World Health Organisation (WHO) hat 2020 die globale Strategie definiert, mit der Vision, das Zervixkarzinom zu eliminieren (1). Hierfür soll die Inzidenzrate auf 4/100 000 Frauenjahre gesenkt sein und bis 2030 sollen folgende Ziele erreicht sein: 90 % aller Mädchen bis 15 Jahre sollen geimpft sein. 70 % aller Frauen sollen mit einem qualitativ guten Test (Zytologie oder HPV) bis zum Alter von 35 Jahren und nochmals mit 45 Jahren gescreent sein. 90 % aller Frauen mit einer Zervixerkrankung (Vorstufe oder Karzinom) erhalten eine Therapie. Diese Strategie hat dazu geführt, dass die EU Cancer Mission von jedem Land einen nationalen Beitrag fordert. In der Schweiz hat sich die HPV-Allianz Schweiz dieser Aufgabe verpflichtet. Sie erstellte eine nationale Strategie zur Elimination HPV-assoziierter Krebserkrankungen bis 2030. Braucht es das in der Schweiz? Die Inzidenzrate liegt altersstandardisiert bei 4/100 000 und die meisten Frauen erhalten eine Therapie. Jedoch haben wir das Ziel, dass 90 % der Mädchen geimpft sind, noch lange nicht erreicht.

Welches ist mein Beitrag als Ärztin zur Steigerung der Durchimpfungsrate?

Das Wissen vieler Mädchen, Jungs, Frauen und Männer in Bezug auf die HPV-Impfung reicht von «keine Ahnung» bis zu sehr differenzierten Fragen. Impfungen werden in der aktuellen Zeit sehr kritisch hinterfragt und deshalb ist es wichtig, eine sachliche und fundierte Antwort auf die Fragen der Kundinnen und Kunden zu haben. Ein lesenswerter Artikel erschien 2019 im schweizerischen Medizinforum, mit ausführlichen Informationen über die HPV-Impfung für die Impfberatung (2).
Vor einer Impfberatung soll eruiert werden, welche Einstellung die Patientin in Bezug auf die HPV-Impfung hat. Hat sie keine Vorbehalte gegenüber einer Impfung, ist sie eine Impfskeptikerin? Zu letzterer Gruppe gehören gemäss BAG ca. 30 % der Bevölkerung. Ist sie eine Impfgegnerin? Dies sind etwa 3 % der Bevölkerung. Es ist sehr wichtig, Impfskeptiker und Impfgegner voneinander zu trennen.

Denn Impfskeptiker lassen sich durchaus nach einem eingehenden Gespräch und Beantwortung ihrer kritischen Fragen impfen. Sie wollen sich selektiv impfen und impfen sich meistens später als offiziell empfohlen ist (3). Um diese kritischen Fragen beantworten zu können, ist ein gutes, aktuelles Basiswissen indiziert. Deshalb ist ein Update über die HPV-Impfung zu dem im 2015 in dieser Zeitschrift erschienenem Artikel nötig (4). Ich konzentriere mich dabei auf die Fragen, die mir auch von FachärztInnen und Weiterzubildenden öfters gestellt werden.

1. Kann ich verhindern, mich mit HPV anzustecken?

80 % der sexuell aktiven Personen stecken sich nach Beginn der sexuellen Aktivität mit HPV an. Es gibt für sexuell aktive Menschen keinen sicheren Schutz vor HPV. Die Viren liegen in der Haut und können durch Petting und Küssen ebenso übertragen werden wie durch penetrativen Sex. Die Viren können von der Mutter auf das Kind bereits transplazentar und unter der Geburt, unabhängig vom Geburtsmodus, übertragen werden.

Es ist nicht die Virusinfektion an sich, die den Krebs verursacht. Die Persistenz des Virus in Verbindung mit dem körpereigenen Immunsystem, das diese Viren nicht eliminiert, führen zu einer Zellveränderung. Ob und wann es zu einer Persistenz kommt, ist schwierig vorauszusagen. Sicher sind Faktoren wie Immunsuppression, Suszeptibilität, Nikotinabusus im Spiel.

Es ist sehr wichtig, dass den jungen Menschen nicht Angst gemacht wird, sondern dass sie wissen, dass es diese Viren gibt, eine Ansteckung häufig ist, die Infektion in 95 % der Fälle nach zwei bis drei Jahren wieder verschwindet und dass es einen ausserordentlich guten Schutz gegen die häufigsten Hochrisiko-HPV gibt.

2. Sind die Impfstoffe immer noch wirksam, ist eine Boosterimpfung nötig?

Die Immunogenität und Wirksamkeit bleiben auch nach mehr als 20 Jahren für alle Impfstoffe gegenüber HPV 16/18 und zervikalen Krebsvorstufen, aber auch Krebs gleichbleibend gut. Ebenso ist Gardasil 9 gut wirksam gegenüber Krebsvorstufen und Karzinomen, die durch weitere HP-Impfviren (31, 33, 45, 52 und 58) verursacht werden. Für diese HP-Viren liegen Daten über > 10 Jahre vor. Auch gegenüber diesen Viren zeigt sich kein Absinken der Wirksamkeit. Eine Boosterimpfung ist nicht notwendig.

3. Sind im Impfstoff die Viren vorhanden, gegen die wir uns schützen sollen?

Eine vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern und dem BAG durchgeführte Studie konnte zeigen, dass die in Gardasil 9 enthaltenen Viren (16, 18, 31, 33, 45, 52 und 58) auch in der Schweiz am häufigsten vorkommen (Abb. 2).

4. Gilt der Impfstoff weiterhin als sicher?

Die Sicherheit ist weiterhin gegeben. Über 270 Millionen Impfstoffdosen wurden bei Gardasil verimpft und es konnten keine schweren Impfreaktionen festgestellt werden. Die häufigsten systemischen Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen mit 14 %, Fieber 5 %, Nausea 4 %, Schwindel 3 %, Müdigkeit 2 %. Sie unterscheiden sich nicht zwischen Gardasil und Gardasil 9. Die lokalen Reaktionen sind bei Gardasil 9 etwas höher als bei Gardasil: Schmerz 89 % (mild bis schwer), Schwellung 40 % und Erythem 34 %. Dies hat vermutlich mit dem höheren Anteil an Adjuvans und dem höheren Anteil an L1-Proteinen zu tun. Die anfänglich in Zeitungsartikeln erwähnten Häufungen neurologischer Erkrankungen oder Todesfälle wurden nicht häufiger festgestellt als in der ungeimpften Population. Eine zeitliche Koinzidenz solcher Vorkommnisse hat keinen kausalen Zusammenhang mit dem Impfstoff.

5. Die Patientin ist bereits mit Gardasil geimpft, soll sie noch eine oder mehrere Dosen Gardasil® 9 erhalten?

Das BAG empfiehlt keine Nachimpfung mit Gardasil® 9, wenn die Impfwilligen bereits vollständig mit Gardasil oder Cervarix geimpft wurden. Eine Nachimpfung ist nicht kostenfrei. Ist die Impfung mit Gardasil oder Cervarix nicht vollständig erfolgt, darf mit Gardasil® 9 die Reihe fertig geimpft werden. Diese Impfungen sind, sofern die Imfpwillige/der Impfwillige noch nicht 27-Jährig ist, im Rahmen der kantonalen Impfprogramme abgedeckt.

6. Für wen ist die Impfung zugelassen?

Im Alter von 11-14 Jahre reichen zwei Dosen Impfstoff im Abstand von 6 Monaten. Diese Grundimmunisierung im Alter von 11-14 Jahren gilt bei Mädchen als Basis-, bei Jungen als ergänzende Impfung. Dies hat verschiedene Gründe. In der praktischen Umsetzung löst diese Situation jedoch den Eindruck aus, dass die Knaben/jungen Männer nicht unbedingt geimpft werden sollen. Das ist ein Trugschluss: Für sie ist die Impfung genauso wichtig! Als ergänzende Impfung sind sowohl bei Mädchen und jungen Frauen als auch bei Jungen und jungen Männern im Alter von 15 – 26 Jahre 3  Impfungen im Abstand von 0,2 und 6 Monaten zugelassen. Bis zum Alter von 26 Jahren ist die Impfung von Franchisen und Kosten befreit, falls sie im Rahmen kantonaler Impfprogramme durchgeführt wurde. Gardasil® 9 ist ebenfalls für Frauen bis 45 Jahre zugelassen. Hier ist die Impfung eine Selbstkostenleistung, ausser die Frau hat eine Zusatzversicherung für Präventionsleistungen. (Siehe auch Punkt 8).

7. Verhindert die HPV-Impfung auch das Zervixkarzinom?

Ja, wie eine schwedische Studie eindrücklich aufzeigt (5). Bisher gab es nur Studien die zeigten, dass die frühe Impfung sehr wirksam vor Krebsvorstufen schützt. Nun zeigt die Studie von Lei et al. (5), dass abhängig vom Alter, in dem die Frauen mit Gardasil (HPV 16, 18, 6 und 11) geimpft wurden, die Inzidenz des Zervixkarzinoms von 94/100 000 bei ungeimpften Frauen auf 4/100 000 sinkt bei Frauen, die vor dem Alter 17 Jahren die Impfung erhalten hatten. Bei Frauen, die die Impfung im Alter von 17-30 Jahren erhalten hatten, lag die kumulative Inzidenz bei 54/100 000 Frauen. Insgesamt wurden 1 672 983 Frauen im Alter von 10 – 30 Jahren eingeschlossen und die Beobachtungsdauer war von 2006 – 2017 (Abb. 3).

8. Soll eine Frau auch nach einer behandelten Dysplasie geimpft werden?

Die HPV-Impfungen sind prophylaktische Impfungen. Es hat sich gezeigt, dass die Impfung auch bei Menschen, die bereits sexuell aktiv sind, sehr wirksam ist. Gardasil® 9 ist seit dem Jahr 2021 deshalb auch für Frauen bis 45 Jahre zugelassen. Die Immunogenität bei diesen Frauen liegt nur minim unter derjenigen der jüngeren Frauen bis 24 Jahre.

Soll nun die Impfung auch nach der Behandlung einer Dysplasie zur Verhinderung einer weiteren Erkrankung verabreicht werden? Verschiedene Studien und eine Metaanalyse zeigten, dass die Impfung das Risiko für eine erneute hochgradige Dysplasie um 59 % senkt (5).

Was bedeutet diese Reduktion? Nach einer Konisation erkranken ca. 5-6/100 Frauen erneut an einer höhergradigen Dysplasie. Bei den kurz vor oder bis ein paar Wochen nach der Konisation geimpften Frauen erkranken nur 3 / 100 Frauen (6). In absoluten Zahlen gesehen, ist diese Reduktion weniger eindrücklich, doch eine Reduktion ist da. Die meisten Frauen müssen diese Impfung selber bezahlen und die Kosten sind mit total 840 CHF für viele Frauen viel Geld. Das soll in einem Gespräch ausführlich besprochen werden. Gewisse Krankenkassen bezahlen einen Teil an diese Kosten. Mit einem vom Arzt unterschriebenen Formular «Anfrage zur Kostenübernahme der HPV-Impfung» kann die Patientin dieses Formular an ihre Krankenkasse einreichen (Formular kann bei MSD angefordert werden).

Informierte Ärztinnen und Ärzte, die im Sinne eines Informed Consent mit aktuellen Informationen die impfwillige Person aufklären und beraten und auf deren Fragen ruhig und sachlich eingehen können, haben einen grossen Einfluss auf die Steigerung der Impfrate und damit indirekt einen Einfluss auf die Reduktion von HPV-bedingten Erkrankungen. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir in ein paar Jahren die Impfrate bei Jungen und Mädchen weiter gesteigert sehen. Weitere Informationen über die HPV-Impfung finden sich auch im Expertenbrief Nr. 74 der SGGG (7).

Zweitabdruck aus «der informierte arzt» 03_2022

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Brigitte Frey Tirri

Frauenklinik Baselland
Rheinstrasse 26
4410 Liestal

brigitte.frey@ksbl.ch

Teilnahme an HPV Advisory Board von MSD

1. Global strategy to accelerate the elimination of cervical cancer as a public health probem, World Health Organization 2020
2. Dietrich L et al. HPV-Impfung: Update 2019 für die Impfberatung. Swiss Med Forum, 2019; 19(13-14): 220-6.
3. Demi MJ et al.: Determinants of vaccine hesitancy in Switzerland: study protocol of a mixed-methods national research program. BMJ Open 2019; 9(11): e032218.
4. Frey Tirri B. Aktuelles zur HPV-Impfung. Info@gynäkologie_01_2015.
5. Lei J et al.: HPV Vaccination and the risk of invasive cervical cancer. N Engl J Med 2020; 383:1340-8.
6. Jentschke M et al.: Prophylactic HPV vaccination after conizsatin: A systematic review and meta-analysis. Vaccine 38 (2020) 6402-6409.
6. Frey Tirri B. et al. Expertenbrief Nr. 74 HPV-Impfung, www.sggg.ch