Kryoglobulinämie und erhöhte Kreatinkinase

Am 6. Januar fand ein Online-Workshop zu rheumatologischen Themen unter der Leitung von Prof. Dr. med. Oliver Distler, Klinikdirektor der Klinik für Rheumatologie am USZ, statt. Die Themen waren Kryoglobulinämie-Vaskulitis, MR-Neurographie, Abklärung von Creatinkinase-Erhöhungen, «Reaktive» Arthritis und Fasciitis plantaris. Dieser Bericht fasst die Referate über die Kryoglobulinämie und die Differentialdiagnose von Creatinkinase-Erhöhungen zusammen.

Kryoglobulinämie-Vaskulitis

Kryoglobuline sind Immunkomplexe, Verbindungen aus (Auto)-Antikörpern und Antigenen. Die Kryoglobulinämie ist eine Verbindung von Kryoglobulin und Antigen, z.B. HCV-Proteine. Kryoglobuline sind Antikörper, die bei Kälte ausfallen und In-vivo-Immunkomplexe bilden. Bei der rheumatoiden Arthritis sind es Rheumafaktoren und andere Antikörper. Diese Komplexe lagern sich an den Wänden kleiner Gefässe ab und führen zur Entzündung, im Gegensatz zu keinen oder kaum nachweisbaren Immunkomplexen, ANCA-assoziierten Vaskulitiden (sog. Pauci-immun-Vaskulitiden). Davon müssen die Kälteagglutinine unterschieden werden. Sie bestehen v.a. aus IgM (Auto-)-Antikörpern, die Erythrozyten binden (agglutinieren) und zur Hämolyse (bei 15-18 °C) führen (Mykoplasmen, EBV, HIV, B-NHL). Nach dieser Einführung ins Thema Kryoglobulinämie-Vaskulitis übergab Prof. Distler das Wort dem Referenten, Dr. med. Mike Becker, Oberarzt an der Klinik für Rheumatologie des USZ.

Die kryoglobulinämische Vaskulitis gehört zu den Vaskulitiden kleiner Gefässe, erklärte Dr. med. Mike Becker, Oberarzt Klinik für Rheumatologie USZ. Der Referent unterschied 3 Typen von Kryoglobulinen. Typ I: monoklonales Immunglobulin, tritt bei B-Zell-lymphoproliferativen Krankheiten auf; Typ II: monoklonales Ig + polyklonales Ig und Typ III: polyklonales Ig. «Die gemischten Kryoglobulinämien vom Typ II und Typ III treten bei chronischen Infekten – vor allem Hepatitis-C-Virus, bei B-Zell-lymphoproliferativen und Autoimmunkrankheiten – und als «essentielle» Kryoglobulinämien auf», ergänzte Dr. Becker.

Fallbeispiel: 51-jähriger Patient, wegen V.a. Kollagenose nach Ischämie Dig. III re. zugewiesen. ANA pos., RF neg.
2019 Diagnose einer demyelinisiernden PNP/c. 01/2020 Diagnose kryoglobulinämische Vaskulitis Typ II nach Brouet (IgM Kappa), keine Hepatitis, Quantiferon neg., Lues neg. Immunfixation neg., Patient möchte keine Therapie.
05/2020 Zuweisung Neurologie wg. Verschlechterung PNP (u.a. Grosszehenerhebung M1 li.) Therapie Rituximab – zwischenzeitlich krit. Ischämie re. Fuss → PTA

Fallbeispiel: 48-jähriger Patient, Hepatitis C (1b) ED12/2018 bei St.n. Polytrauma als Kind mit Transfusion (Mitbeurteilung aus Gastroenterologie).
Symmetrische, axonale PNP seit 2015, 4/2019 progredient; Gelenkschmerzen und Morgensteifigkeit, bei Erstvorstellung abgeblasste Purpura an den Beinen. Zunächst Therapie mit Maviret (Glecaprevir/Pibrentasvir) 8 Wochen, dann zeigt sich laborchemisch eine Remission.

Therapie der Kryoglobulinämie

Therapiestrategie bei gemischten kryoglobulinämischen
Vaskulitiden:

  • Mild bis moderat: Arthralgien, Purpura, Polyneuropathie
    HCV neg.: Kortikosteroide? Azathioprin? Rituximab?
    HCV pos.: Antivirale Therapie
  • Schwer: Nierenbeteiligung, Mononeuritis multiplex, Hautnekrosen
    HCV neg.: Rituximab, Kortikosteroide, Ilomedin®
    HCV pos.: Antivirale Therapie
  • Katastrophal: Rapid-progressive Glomerulonephritis, ZNS-
    gastrointestinale, Herz- oder Lungenbeteiligung
    HCV neg.: Rituximab, Plasmaaustausch vs. Kortikosteroide
    HCV pos.: Antivirale Therapie

Optionen für die Zukunft sind: Belimumab, Ibrutinib, Daratumumab/ Bortezomib/ Lenalidomid.

Erhöhte Kreatininkinase (CK): Abklärungen

Welches sind die ersten Überlegungen bei der Feststellung einer erhöhten Kreatinkinase? Die Referentin, Frau Dr. med. Katja Göhner, Oberärztin an der Klinik für Rheumatologie des USZ, empfahl ihrem Publikum, bei betroffenen PatientInnen wie folgt nachzufragen: Muskuläre Anstrengungen am Vortag? (Arbeit auf Baustelle? Marathonlauf? Gartenarbeit?); Grippeimpfung intramuskulär vorgestern? Drogen? Klinische Abklärung mittels ENMG oder Operation letzte Woche? Die Kreatinkinase kann elektrophoretisch in drei Isoenzyme aufgeteilt werden, CK-MM, CK-MB und CK-BB. Häufig begleitend mit CK sind AST, ALT und LDH. CK-MB ist ein Marker für Myokardschaden, allerdings sind die kardialen Troponine spezifischer und sensitiver. Eine weitere Ursache für erhöhte Kreatinkinase ist die Makro-CK, eine Komplexbildung mit Immunglobulin. Man kann sie elektrophoretisch aufgrund des höheren Molekulargewichts unterscheiden.

Erhöhte Kreatinkinase: Differentialdiagnose Teil 1

1. Anstrengende körperliche Aktivität v.a. exzentrisch
2. Trauma (EMG, i.m. Injektionen), Operationen, epileptischer Anfall
3. Medikamente
4. Toxine (Alkohol, Heroin, Kokain)
5. Endokrinoloisch (Hypothyreose, Hypoparathyreoidismus,
Akromegalie)
6. Virusinfektionen
7. Metabolische Störungen (Hypokaliämie, Hyponatriämie)
8. Geschlecht, Herkunft, idiopathisch
9. Obstruktive Schlafapnoe
10. Chronische Kardiopathie
11. Makro-CK
12. Malignes Hyperthermiesyndrom

Medikamente, die mit CK-Erhöhung einhergehen

Statine, Fibrate, Colchicin, Anti-Psychotika (eingeschlossen Malignes Neuroleptika-Syndrom), Zidovudine, Beta-Blocker, Isoretinoin, Antimalaria, Penicillamin, u.a.
Anti-HMGCR-assoziierte immunmediierte Myopathie
Therapie: Prednison mit jeweils deutlicher Verbesserung. MTX/AZA nicht vertragen, Privigen, RTX abgelehnt wegen Sorge vor
Nebenwirkungen.

Statin-assoziierte immunvermittelte nekrotisierende Myopathie (IMNM)

Prävalenz 2-3/100’000, proximale Muskelschwäche +/- Schmerzen und stark eröhte CK (zumeist über 5000U/l). Beschwerden und CK bleiben nach Sistieren des Statins. Meist kein zusätzlicher Organbefall. Mittlere Dauer der Statinexposition betrug in einer Fallkontrollstudie 38 Monate. HMG-CoA-Reduktase-Autoantikörper sind in der Regel positiv.
Histopathologische Muskelbiopsie: prominente Muskelnekrose und Zeichen der Regeneration mit sehr wenig Entzündungszellen/Infiltraten. Aufregulation der MHCI-Expression.
Therapie: Steroide, MTX, AZA oder MMF, in schweren Fällen IVIG oder RTX. Eher schlechtes Ansprechen.

Erhöhte Kreatinkinase: Differentialdiagnose Teil 2

Entzündliche Myopathien

  • PM, DM, IMHM, juvenile Myositis
    Begleitmyositis
    bei Sjögren-Syndrom, Lupus, SS, RA
    bei Sarkoidose/M. Behçet/Vaskulitiden
  • Dystrophinopathien
    Duchenne, Becker, Fazio-scapulo-humeral
    Limb-Girdle, Myotone Dystrophie
  • Metabolische Myopathien
    Enzymmangel im KH-Lipid-Purin-Metabolismus
  • Motoneuronenerkrankungen
    Amyotrophe Lateralsklerose, spinale Muskelatrophie

Polymyositis/Dermatomyositis. Abklärung nach Anamnese und Klinik: Untersuchung Integument, Kapillarmikroskopie, erweiterte Laboranalyse mit Antikörperprofil, MRI Myositis Protokoll, ENMG, Muskelbiopsie. Bei der Polymyositis ist die Kreatinkinase i.d.R deutlich erhöht. Die Höhe variiert jedoch beträchtlich. Bei der Dermatomyositis ist eine amyopathische DM möglich oder DM sine Myositis Einschlusskörperchenmyositis: oft erhöhte CK, aber milde, nicht über 1000U/l.
Klassifikationskriterien für adulte und juvenile, idiopathische, inflammatorische Myopathien und Hauptsubgruppen (www.imm.ki.se/biostatistics/calculators/iim).

Fallbeispiel: 68-jährige Patientin mit Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2. HbA1c 8.8%, hohe Insulindosen, Osteoporose, Atorvastatin. Multilokuläre Muskelschmerzen, Probleme beim Treppensteigen und Greifen/Halten von Gegenständen (Mutilation der Hände bei Nabelschnurvorfall).

Labor: CK 800U/l, Myoglobin 260µg/l, Troponin T 159mg/l. ANA und Differenzierung, Myositis Screen negativ.
Bisherige Therapie: Prednison 10-20mg – Besserung subjektiv
Ganzkörper-MRI: Ödeme M. vastus medialis links, keine Atrophien.
CT Hals/Thorax/Abdomen unauffällig, keine Hinweise auf Neoplasien.
MRI Herz: keine Hinweise auf Myokarditis, keine Narbe oder Fibrose des LV-Myokards.
Adenosin-Kardio-MRI 04/2020 (extern): keine Hinweise auf Myokarditis, keine Ischämie.
Kapillarmikroskopie 07/20: unauffällig. Antikörper CN-1A-AK 5.4 (<1) deutlich erhöht.
Biopsie M. vastus medialis links 07/20: CD-8 Infiltration, MHC-I Aufregulierung, deutliche mitochondriale Pathologie, pTOP43 und p62 positiv.

Einschlusskörperchenmyositis (IBM)

Charakteristische Klinik: Langsam progrediente zumeist schmerzlose Schwäche besonders der Knieextensoren und Fingerflexoren.
Labor: milde CK-Erhöhung in ca. 80%. Anti-CN-1A (90-95% spezifisch, 40-70% sensitiv)
Muskelbiopsie: Endomysiale lymphozytäre Infiltrationen (CD 8 T-Zellen), mitochondriale Abnormalitäten, Proteinaggregate, Rinmed Vacuoles.
MRI: z.B. Ödeme im Bereich Knieextensoren
Therapieoptionen: keine evidenzbasierte wirksame Therapie. Steroide verbessern allein die CK, MTX und IVIG (insbesondere bei Schluckproblemen).

Fazio-Scapulohumerale Dystrophie

(kommerzieller Gentest – wie in 95% der Fälle – war positiv)
Dritthäufigste Muskeldystrophie ca. 1:20’000, autosomal dominant vererbt, 30% Spontanmutationen.
Muskeldystrophien: Defekte/Fehlen bestimmter Muskelproteine. Beginn häufig um das 20. Lebensjahr, langsam progredient. Bis zu 50% entzündliche Infiltrate in der Biopsie.

Quelle: Online-Rheumaworkshop USZ, 06.01.2022

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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Trockene Pulverinhalatoren mit inhalativen Kortikosteroiden und langwirksamen Beta-Agonisten

Trockene Pulverinhalatoren mit inhalativen Kortikosteroiden und langwirksamen Beta-Agonisten für die kleinen Atemwege

Weltweit ist das tägliche Leben von Millionen von Menschen durch Asthma beeinträchtigt, einer komplexen Erkrankung, mit chronischer Entzündung der gesamten Atemwege, die sich klinisch sehr unterschiedlich darstellt (1, 2). Die Inhalationstherapie ist die Hauptstütze der Behandlung und bietet im Vergleich zur systemischen Verabreichung spezifische Vorteile, z.B. schnellen Wirkungseintritt, hohe Medikamentenkonzentrationen in den Atemwegen und weniger systemische Nebenwirkungen (1). Leider ist das Asthma bei einem grossen Teil der Patienten mit den derzeit verfügbaren Therapien immer noch unzureichend kontrolliert (3).

Die periphere Deposition von inhalierten Medikamenten ist wichtig, da die Erkrankung der kleinen Atemwege eine Schlüsselrolle bei Asthma spielt. In einer kürzlich veröffentlichten Studie (4) wurde die Lungenablagerung bei unterschiedlichen mittleren Flussraten von drei inhalativen Kortikosteroid (ICS)/langwirksamen Beta2-Agonisten (LABA)-Kombinationen, verglichen, die mit einem Trockenpulverinhalator (DPI) verabreicht werden, nämlich Foster®(NEXThaler, extrafeine Formulierung von Beclometason/Formoterol), Relvar® Ellipta® (Fluticasonfuroat/Vilanteroltrifenat) und Symbicort® Turbohaler® (Budesonid/Formoterol).

Experimentelles

Die In-vitro-Parameter für die Medikamentenabgabe wurden mit Hilfe der funktionellen Atmungsbildgebung (FRI) auf Computertomographie-Scans der Lunge von 20 Asthmapatienten angewendet. Die Ablagerungsmuster des Aerosols in den Atemwegen wurden als prozentualer Anteil (Standardabweichung) der intrathorakalen gegenüber der extrathorakalen Ablagerung, als prozentualer Anteil der peripheren Ablagerung und als Verhältnis zwischen zentraler und peripherer Ablagerung (C/P) bei verschiedenen mittleren Inspirationsraten berechnet.

Ergebnisse

Bei 60 und 40 L/min war die intrathorakale Deposition von ICS/LABA mit Foster® signifikant höher als mit Ellipta®. Die periphere Ablagerung (60 L/min) war mit Foster® höher als mit Ellipta® für ICS (24,7% [3,5%] vs. 5,0% [2,0%]; p < 0,001) und LABA (25,3% [3,5%] vs. 13,0% [3,0%]; p < 0,001). Das C/P-Verhältnis war bei Foster® niedriger (was auf eine höhere periphere Ablagerung hinweist) als bei Ellipta® (ICS: 0,63 vs. 1,63; LABA: 0,63 vs. 0,99). Die Inspirationsrate hatte weder bei Foster® noch bei Ellipta® einen Einfluss auf die Lungenablagerung. Im Gegensatz dazu wurde die Leistung bei Turbohaler® durch eine Verringerung des Inspirationsflusses negativ beeinflusst. Obwohl die Lungenablagerung mit Turbohaler® bei 60 L/min ähnlich war wie mit Foster, war die Lungenablagerung mit Turbohaler® sowohl bei 40 L/min (30%) als auch bei 30 L/min (50%) signifikant niedriger als mit Foster®.

Konklusionen

Mit FRI konnte eine bessere periphere Deposition und ein besseres C/P-Verhältnis von ICS/LABA mit Foster® im Vergleich zu Ellipta® nachgewiesen werden. Foster® zeigte im Vergleich zu Turbohaler® eine Unabhängigkeit der Lungenablagerung von der inspiratorischen Flussrate (höhere intrathorakale Ablagerung aufgrund eines grösseren FPF). Darüber hinaus war die Deposition in der Lunge bei Foster® relativ unabhängig von der Flussrate, im Gegensatz zu Turbohaler®, der bei niedrigeren Flussraten eine deutlich geringere Deposition zeigte. Somit ist die DPI-Verabreichung einer extrafeinen Formulierung effizienter als Formulierungen mit grösseren Partikeln, wenn es darum geht, ICS und LABA bei Asthma nicht nur in die zentralen, sondern auch in die peripheren Atemwege zu bringen. Diese Vorteile von Foster® könnten potenziell zu verbesserten klinischen Ergebnissen bei Asthmapatienten führen (5-7).

Quelle: Watz H et al. Targeting the Small Airways with Inhaled Corticosteroid/Long-Acting Beta Agonist Dry Powder Inhalers: A Functional Respiratory Imaging Study. J Aerosol Med Pulm Drug Deliv. 2021; 34: 280–292

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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1. Global Initiative for Asthma: Global strategy for asthma management and
prevention, updated 2020. https://ginasthma.org/gina-reports. Accessed May 1, 2020.
2. Papi A et al. Asthma. Lancet. 2018;391:783–800.
3. Munoz-Cano R et al. Follow-up of patient with uncontrolled asthma: Clinical features of asthma patients according to the level of control achieved (the COAS
study). Eur Respir J. 2017;49:1501885.
4. Watz H et al. Targeting the Small Airways with Inhaled Corticosteroid/Long-Acting Beta Agonist Dry Powder Inhalers: A Functional Respiratory Imaging Study.
J Aerosol Med Pulm Drug Deliv. 2021; 34: 280–292
5. Terzano C et al. PRISMA (PRospectIve Study on asthMA control) Study Group: 1-year prospective real life monitoring of asthma control and quality of life in Italy. Respir Res. 2012;13:112.
6. Price D et al. Clinical and cost effectiveness of switching asthma patients from fluticasone-salmeterol to extra-fine particle beclometasone-formoterol: A retrospective matched observational study of real-world patients. Prim Care Respir J. 2013;22:439–448.
7. Müller V et al. Asthma control in patients receiving inhaled corticosteroid and long-acting beta2-agonist fixed combinations. A real-life study comparing dry powder inhalers and a pressurized metered dose inhaler extrafine formulation. BMC Pulm Med. 2011;11:40.

OM-85 reduziert Expression von SARS-CoV-2-Rezeptoren

Das Bakterienlysat OM-85 wird zur Prophylaxe rezidivierender Atemwegsinfekte eingesetzt. In-vitro-Untersuchungen und tierexperimentelle Studien zeigten unter anderem, dass OM-85 auch die Expression von SARS-CoV-2-Rezeptoren zu reduzieren vermag.

Aus aktuellem Anlass beschäftigten sich verschiedene Forschergruppen in jüngerer Zeit mit der Frage, ob das Bakterienlysat OM-85, das zur Prophylaxe rezidivierender Atemwegsinfektionen eingesetzt werden kann, allenfalls auch einen Effekt auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 haben könnte.

OM-85 reduziert Expression von SARS-CoV-2-Rezeptoren

Eine Infektion von Wirtszellen durch SARS-CoV-2 hängt von der Interaktion des viralen Spikeproteins (S-Protein) mit Membranproteinen der Wirtszelle ab. Während ACE2 (Angiotensin-Converting Enzyme 2) als Hauptrezeptor für die Bindung des S-Proteins an die Wirtszellen dient, spaltet TMPRSS2 (Transmembrane Protease Serine 2) das Spike-Protein und ermöglicht dadurch die Fusion zwischen der viralen und der zellulären Membran (1). Eine in Basel durchgeführte Arbeit untersuchte an humanen Bronchial­epithelzellen den Einfluss von OM-85 auf die Expression von ACE2, TMPRSS2 und weitere relevante Wirtsproteine und -glykosaminoglykane (2). Die Zellen wurden dazu während fünf Tagen mit OM-85 behandelt. Es zeigte sich, dass die Expression der für die Bindung des Virus relevanten Membranstrukturen bei den mit OM-85 behandelten Zellen signifikant reduziert war. Zudem fanden sich in der Studie Anzeichen dafür, dass die mit OM-85 behandelten Zellen vermehrt Substanzen bildeten, die den Schweregrad einer COVID-19-Erkrankung womöglich reduzieren würden.

Ähnliche Beobachtungen machten auch Pivniouk et al. bei ihren Untersuchungen (3). Sie behandelten verschiedene epitheliale Zelltypen von Mäusen sowie humane Bronchialepithelzellen mit OM-85. Sie stellten dabei fest, dass dies zu einer Downregulation der für eine Infektion mit SARS-CoV-2 notwendigen Rezeptor­proteine führte.

Salzmann et al. schliesslich untersuchten am Mausmodell den Effekt einer prophylaktischen Behandlung mit OM-85 auf den Verlauf einer murinen Coronavirus-Infektion (4). Sie zeigten, dass die Behandlung mit OM-85 eine Akkumulation von Makrophagen im Lungengewebe und dadurch eine raschere antivirale Typ-1-Interferon-Produktion bewirkte. Das Lungengewebe war dadurch besser vor der Virusinfektion geschützt.

red.

1. Hoffmann M et al. SARS-CoV-2 Cell Entry Depends on ACE2 and TMPRSS2 and Is Blocked by a Clinically Proven Protease Inhibitor. Cell 2020;181:271-80.e8.
2. Fang L et al. OM-85 (Broncho-Vaxom®), a Bacterial Lysate, Reduces SARS-CoV-2 Binding Proteins on Human Bronchial Epithelial Cells. Biomedicines 2021;9(11):1544.
3. Pivniouk V et al. The OM-85 bacterial lysate inhibits SARS-CoV-2 infection of
epithelial cells by downregulating SARS-CoV-2 receptor expression. J Allergy Clin Immunol 2021;S0091-6749(21)02581-1.
4. Salzmann M et al. Innate Immune Training with Bacterial Extracts Enhances Lung Macrophage Recruitment to Protect from Betacoronavirus Infection. J Innate
Immun 2021;12:1-13.

Lebensqualität von Hypothyreose-Patienten, die mit Levothyroxin behandelt werden – ein kritischer Überblick

Lebensqualität von Hypothyreose-Patienten, die mit Levothyroxin behandelt werden – ein kritischer Überblick

Die Schilddrüsenhormonersatztherapie (THRT), in der Regel auf der Basis von oralem Levothyroxin (LT4), ist ein sicheres und wirksames Mittel zur Behandlung von Hypothyreose (1-5). Das klinische Ziel besteht darin, die Symptome zu lindern und anschliessend den Schilddrüsenhormonspiegel zu normalisieren. TSH gilt als der empfindlichste und spezifischste Marker für den Schilddrüsenstatus (6). Bei den meisten mit LT4 behandelten Patienten treten bei einem TSH-Serumspiegel zwischen 0,4 und 4,0 mU/L weniger Symptome einer Hypothyreose auf. Dennoch klagt ein kleiner Teil der mit LT4 behandelten Patienten (je nach Studie etwa 5 bis 10%) über anhaltende Symptome einer Schilddrüsenunterfunktion, Stimmungsstörungen und eine schlechte gesundheitsbezogene Lebensqualität, selbst wenn die Schilddrüsenfunktion biochemisch normal ist (7-9).

Wohlbefinden und Lebensqualität sind nicht einfach gleichzusetzen mit einem angemessenen materiellen Lebensstandard oder dem Fehlen von Krankheiten. Die Lebensqualität ist definiert als die Art und Weise, wie das Wohlbefinden einer Person im Laufe der Zeit durch eine Krankheit, Behinderung oder Störung beeinträchtigt wird (7-9), kann aber auch als die Differenz zwischen den Hoffnungen einer Person und ihrem tatsächlichen Zustand betrachtet werden (10). Daher ist die Lebensqualität eine subjektive Variable, die affektive, kognitive und verhaltensbezogene Bereiche umfasst (11-12). Diese Subjektivität bedeutet, dass Vergleiche der Lebensqualität zwischen Individuen und Gruppen (z.B. zwischen aktiv behandelten und mit Placebo behandelten Patienten oder bezüglich Stichproben in der Allgemeinbevölkerung) problematisch sind (13). Forscher haben versucht, die Lebensqualität mit psychometrisch gültigen generischen oder krankheitsspezifischen Instrumenten zu kodifizieren. Die Tatsache, dass eine grosse Anzahl von Instrumenten zur Erfassung der Lebensqualität entwickelt wurde, spiegelt die Komplexität dieser Variable und die Unterschiede in ihrer Definition wider.

Die Ziele dieser kritischen, narrativen Literaturübersicht waren (i) die Identifizierung von Studien zur Lebensqualität bei Erwachsenen und Kindern mit Hypothyreose (einschliesslich subklinische Hypothyreose), die mit LT4 behandelt wurden, (ii) die Untersuchung der Instrumente, die zur Messung der Lebensqualität in den identifizierten Studien verwendet wurden, (iii) die Bestimmung, ob die normale Lebensqualität durch die THRT wiederhergestellt wird, und (iv) die Identifizierung physiologischer, genetischer, demografischer und verhaltensbezogener Faktoren, die mit der Lebensqualität bei Patienten mit Hypothyreose in Verbindung stehen. Zu diesem Zweck suchten die Autoren in der Literatur nach quantitativen Berichten über die Lebensqualität von Patienten, die sich einer Langzeittherapie mit LT4 allein oder in Kombination mit anderen Schilddrüsenhormonen unterzogen und sie konzentrierten sich auf die Ergebnisse randomisierter klinischer Studien, schlossen nicht-randomisierte Studien jedoch nicht aus.

Resultate

Die PubMed-Datenbank wurde vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2020 durchsucht. Insgesamt wurden 809 Veröffentlichungen gesichtet, 129 Volltextartikel wurden gefunden und 58 wurden analysiert. In den Studien zur offenen Hypothyreose wurde eine Verbesserung des psychologischen und emotionalen Wohlbefindens nach einer drei- bis sechsmonatigen Therapie mit LT4 festgestellt, während bei Patienten mit subklinischer Hypothyreose widersprüchliche
Ergebnisse gefunden wurden.

Eine Kombinationsbehandlung mit LT4 + LT3 scheint nicht zu einer Verbesserung der Lebensqualität zu führen. Es wurden nur sehr wenige prognostische Faktoren für die Lebensqualität identifiziert, die Gewichtszunahme, körperliche Aktivität, Autoimmunität und Ernährung umfassen, aber nicht unbedingt mit dem endokrinen Status der Schilddrüse zusammenhängen. Die Faktoren, die die Lebensqualität bei Hypothyreose beeinflussen, insbesondere die «behandlungsresistente» schlechte Lebensqualität, die bei symptomatischer Schilddrüsenunterfunktion beobachtet wird, müssen jedoch weiter charakterisiert werden. Zu den Perspektiven für die weitere Erforschung der Lebensqualität bei Hypothyreose gehören (i) gleichzeitige Bewertungen mit einem schilddrüsenspezifischen Fragebogen und einem allgemeinen HR-QoL-Fragebogen, (ii) Studien zur Lebensqualität in nicht-älteren Bevölkerungsgruppen mit subklinischer Hypothyreose, (iii) die Auswahl von Kontrollpatientengruppen als Anhaltspunkt für die «normale» Lebensqualität, (iv) Untersuchungen darüber, warum sich die Werte für die Teilbereiche der Lebensqualität manchmal in entgegengesetzte Richtungen verändern (z.B. eine Verbesserung der körperlichen LQ und eine Verschlechterung der psychischen LQ) und (v) die Untersuchung der Beziehungen zwischen LQ-Fragebögen, Symptomen und anderen von den Patienten berichteten Ergebnissen (z.B. die offensichtliche Präferenz der
Patienten für eine LT4 + LT3-Kombinationstherapie (14).

Schlussfolgerungen

Die THRT bringt die Lebensqualität oft innerhalb von 3 bis 6 Monaten auf ein nahezu normales Niveau zurück. Vor allem bei Patienten mit subklinischer Hypothyreose wurden allerdings widersprüchliche Ergebnisse gefunden. Dies gilt für die Behandlung mit T4 und mit T3, die zu keiner Verbesserung der Lebensqualität zu führen scheint. Es wurden aber nur sehr wenige prognostische Faktoren für die Lebensqualität identifiziert, die Gewichtszunahme, körperliche Aktivität, Autoimmunität und Ernährung einschliessen und nicht unbedingt mit dem Schilddrüsenstatus zusammenhängen. Die Faktoren, die die Lebensqualität bei Hypothyreosen beeinflussen – insbesondere die «behandlungsresistente» schlechte Lebensqualität, die bei symptomatischer Schilddrüsenunterfunktion beobachtet wird – müssen weiter charakterisiert werden, so die Autoren.

Quelle: Borson-Chazot F et al. What Is the Quality of Life in Patients Treated with Levothyroxine for Hypothyroidism and How Are We Measuring It? A Critical, Narrative Review. J Clin Med. 2021; 10: 1386. Published online 2021 Mar 30. doi: 10.3390/jcm10071386

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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1. Hennessey JV Endocrine. 2017;55:6–18
2. Jonklaas J et al. Thyroid. 2014;24:1670–1751
3. Mateo RCI, Hennessey J.V. Endocrine. 2019;66:10–17
4. Biondi B, Cooper D.S. Endocrine. 2019;66:18–26
5. Villar HC et al. Cochrane Database Syst. Rev. 2007:CD003419
6. Sheehan M.T. Clin. Med. Res. 2016;14:83–92
7. Winther KH et al. PLoS ONE. 2016;11:e0156925
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14. Appelhof B.C et al. J. Clin. Endocrinol. Metab. 2005;90:2666–2674

Zusammenhang zwischen Rivaroxaban und Apixaban und schweren ischämischen oder hämorrhagischen Ereignissen bei Vorhofflimmern

Die vergleichende Wirksamkeit von Rivaroxaban und Apixaban, den am häufigsten verschriebenen oralen Antikoagulanzien zur Prävention ischämischer Schlaganfälle bei Patienten mit Vorhofflimmern, ist ungewiss. Eine kürzlich publizierte Studie (1) verglich die wichtigsten ischämischen und hämorrhagischen Ergebnisse bei Patienten mit Vorhofflimmern, die mit Rivaroxaban oder Apixaban behandelt wurden.

Design, Setting und Teilnehmer

Es handelt sich um eine retrospektive Kohortenstudie unter Verwendung computergestützter Registrierungs- und Leistungsdateien für US-amerikanische Medicare-Patienten, die 65 Jahre oder älter sind. Zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 30. November 2018 begannen insgesamt 581451 Patienten mit Vorhofflimmern eine Behandlung mit Rivaroxaban oder Apixaban und wurden über 4 Jahre bis zum 30. November 2018 nachbeobachtet. Mit Rivaroxaban wurden 227572 Patienten behandelt, mit Apixaban 353879. Sie erhielten entweder eine Standard- oder eine reduzierte Dosis.

Hauptergebnisse und Messgrössen

Das primäre Ergebnis war ein Kompositum aus schwerwiegenden ischämischen (Schlaganfall/systemische Embolie) und hämorrhagischen (intrazerebrale Blutung/andere intrakranielle Blutung/tödliche extrakranielle Blutung) Ereignissen. Sekundäre Endpunkte waren nicht tödliche extrakranielle Blutungen und die Gesamtmortalität (tödliches ischämisches/hämorrhagisches Ereignis oder sonstiger Tod während der Nachbeobachtung). Die Raten, Hazard Ratios (HRs) und Ratenunterschiede (RDs) wurden für Unterschiede in der Komorbidität bei Studienbeginn mit inverser Wahrscheinlichkeitsgewichtung der Behandlung angepasst.

Resultate

Die Patienten der Studie (Durchschnittsalter 77,0 Jahre; 291966 [50,2%] Frauen; 134 393 [23,1%], die eine reduzierte Dosis erhielten) hatten eine Nachbeobachtungszeit von 474605 Personenjahren (Median [IQR] von 174 [62-397] Tagen). Die bereinigte primäre Outcome-Rate für Rivaroxaban betrug 16,1 pro 1000 Personenjahre gegenüber 13,4 pro 1000 Personenjahre für Apixaban (RD, 2,7 [95% CI, 1,9-3,5]; HR, 1,18 [95% CI, 1,12-1,24]). Die Rivaroxaban-Gruppe hatte ein erhöhtes Risiko sowohl für schwere ischämische Ereignisse (8,6 gegenüber 7,6 pro 1000 Personenjahre; RD, 1,1 [95% CI, 0,5-1,7]; HR, 1,12 [95% CI, 1,04-1,20]) als auch für hämorrhagische Ereignisse (7,5 gegenüber 5. 9 pro 1000 Personenjahre; RD, 1,6 [95% CI, 1,1-2,1]; HR, 1,26 [95% CI, 1,16-1,36]), einschliesslich tödlicher extrakranieller Blutungen (1,4 vs. 1,0 pro 1000 Personenjahre; RD, 0,4 [95% CI, 0,2-0,7]; HR, 1,41 [95% CI, 1,18-1,70]).
Patienten, die Rivaroxaban erhielten, hatten ein erhöhtes Risiko für nicht tödliche extrakranielle Blutungen (39,7 vs. 18,5 pro 1000 Personenjahre; RD, 21,1 [95% CI, 20,0-22,3]; HR, 2,07 [95% CI, 1,99-2,15]), tödliche ischämische/hämorrhagische Ereignisse (4.5 vs. 3,3 pro 1000 Personenjahre; RD, 1,2 [95% CI, 0,8-1,6]; HR, 1,34 [95% CI, 1,21-1,48]) und Gesamtsterblichkeit (44,2 vs. 41,0 pro 1000 Personenjahre; RD, 3,1 [95% CI, 1,8-4,5]; HR, 1,06 [95% CI, 1,02-1,09]). Das Risiko für den primären Endpunkt war unter Rivaroxaban sowohl in der Gruppe mit reduzierter Dosis (27,4 gegenüber 21,0 pro 1000 Personenjahre; RD, 6,4 [95% CI, 4,1-8,7]; HR, 1,28 [95% CI, 1,16-1,40]) als auch in der Gruppe mit Standarddosis (13,2 gegenüber 11,4 pro 1000 Personenjahre; RD, 1,8 [95% CI, 1,0-2,6]; HR, 1,13 [95% CI, 1,06-1,21]) erhöht.

Schlussfolgerungen und Relevanz

Bei Medicare-Patienten ab 65 Jahren mit Vorhofflimmern war die Behandlung mit Rivaroxaban im Vergleich zu Apixaban mit einem signifikant erhöhten Risiko für schwere ischämische oder hämorrhagische Ereignisse verbunden.

Fazit

In dieser retrospektiven Kohortenstudie, die 581451 in Medicare eingeschriebene Patienten mit Vorhofflimmern im Alter von 65 Jahren oder älter umfasste, betrug die bereinigte Inzidenz schwerer ischämischer oder hämorrhagischer Ereignisse 16,1 pro 1000 Personenjahre für Rivaroxaban gegenüber 13,4 pro 1000 Personenjahre für Apixaban, ein statistisch signifikanter Unterschied. Das bedeutet, dass bei älteren Erwachsenen mit Vorhofflimmern die Behandlung mit Rivaroxaban im Vergleich zu Apixaban mit einem signifikant erhöhten Risiko für schwere ischämische oder hämorrhagische Ereignisse verbunden war.

Quelle: Ray WA et al. Association of rivaroxaban vs. Apixaban with major ischemic or hemorrhagic events in patients with atrial fibrillation. JAMA 2021; 326 :2395-2404.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Burnout – eine schwere psychische Erkrankung ohne ICD-11-Diagnose-Code

Das Burnout-Syndrom, erstmals 1974 vom deutsch-amerikanischen Psychologen Herbert J. Freudenberger beschrieben, ist in den letzten Jahrzehnten zu einem häufigen Beschwerdebild in unserer Gesellschaft geworden. Die Fallzahlen des stressinduziertes Erschöpfungssyndroms zeigen unverändert eine starke Zunahme. Burnout ist auch bereits in leichterer Ausprägung deutlich beeinträchtigend und geht regelhaft mit einer depressiven Symptomatik einher. Kardiovaskuläre sowie Stoffwechsel- und Schmerzerkrankungen sind mögliche Folgen. Burnout und Depression sind auch als Konsequenz der anhaltenden Forderung nach mehr und besser, egal zu welchem Preis, verstehbar. Sie sind definitiv keine Modebegriffe. Sie werden jedoch gesellschaftlich immer noch als Ausdruck von Schwäche und von persönlichem Versagen bewertet und passen als Makel nicht in eine Biographie, die einzig die Version «höher, schneller, stärker» verfolgt. Wenn jedoch unreflektiert das olympische Motto gelebt wird, führt das eine immer grössere Anzahl von Menschen in die Sackgasse. Die stets drängendere Frage stellt sich, wie es gelingt, trotz permanentem Erfolgsdruck körperlich und psychisch einigermassen gesund zu bleiben.

Burnout syndrome, first described in 1974 by the German-American psychologist Herbert J. Freudenberger, has become a common complaint in our society in recent decades. The number of cases of stress-induced exhaustion syndrome continues to rise sharply. Burnout is also clearly impairing even in its milder form and is regularly accompanied by depressive symptoms. Cardiovascular, metabolic and pain disorders are possible consequences. Burnout and depression can also be understood as a consequence of the continuing demand for more and better, regardless of the price. They are definitely not fashionable terms. However, they are still socially evaluated as an expression of weakness and personal failure and do not fit as a flaw into a biography that only pursues the version «higher, faster, stronger». If, however, the Olympic motto is lived unthinkingly, it leads an increasing number of people into a dead end. The increasingly urgent question is how to remain physically and psychologically healthy despite the permanent pressure to succeed.

Key Words: Burnout syndrome, stress-induced exhaustion syndrome, chronic stress, life value balance

Burnout als «occupational phenomenon»

Das neue ICD-11 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) sollte gemäss Vorankündigungen in vielen Medien Burnout als anerkannte gesundheitliche Störung klassifizieren. Doch dann blieb die Einführung der Diagnose Burnout aus. Burnout ist demnach weiterhin keine psychiatrische Diagnose, sondern wird als «qualifying diagnosis», die in Verbindung mit einer anderen Diagnose im ICD-11 stehen kann, aufgelistet. Burnout bleibt sodann ein gesundheitsschädlicher Faktor, der ausschliesslich als Folge von chronischem Arbeitsstress auftritt und folgendermassen definiert wird:

  • Gefühl von Energieverlust und Erschöpfung
  • mentale Distanz von der Arbeit, Negativismus und Zynismus im Zusammenhang mit der Arbeit
  • herabgesetzte berufliche Leistungsfähigkeit.

Bisher war Burnout unter «Problemen verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung» als «Erschöpfungssyndrom» (Z73.0) erfasst. Nun hat die WHO das Burnout als ein exklusiv arbeitsbedingtes Syndrom festgelegt. Das ist nicht neu, denn bereits 1982 wurde Burnout von Maslach und Jackson sehr ähnlich beschrieben. Die beiden Entwicklerinnen des Maslach Burnout Inventory lieferten damals jedoch weniger missverständliche Beschreibungen für die von ihnen vorgeschlagenen Hauptmerkmale des Burnout. Dessen Definition im ICD-11 erscheint insofern problematisch, als dass es bei Arbeitnehmern auftritt, die «den chronischen Arbeitsstress nicht erfolgreich bewältigen konnten». Hierdurch wird impliziert, dass es die Arbeitnehmer gibt, die chronischer Stress bei der Arbeit eben nicht krank macht und die trotz Arbeitsüberlastung unverändert und auch zeitlich unbegrenzt weiter performen können, also keine allostatische Überlast entwickeln. Gleichzeitig bleiben die Begriffe mentale Distanz, Negativsmus und Zynismus in der jetzt vorliegenden Definition unkommentiert. Gelesen werden kann das auch so, dass ein Arbeitnehmer sich wegen der subjektiv erlebten Überlastung einfach einmal dazu entscheidet, abzuhängen, sich im Beruf aus der Verantwortung nimmt, den Anstand verliert und im Büro miese Stimmung verbreitet. Zynismus galt einmal als philosophische Haltung und war gekennzeichnet durch einfachen Lebensstil und Skeptik und bekam erst spät in der sprachlichen Anwendung die Bedeutung von Spott und Menschenverachtung. Eine spöttische oder auch zynische Haltung der Arbeit bzw. dem Arbeitskontext gegenüber ist aber bei Menschen, die unter einem Burnout leiden, meist nicht vorhanden. Den Zynismus im Zusammenhang mit Burnout gilt es hier klar von der Arbeitsunzufriedenheit durch chronische Überlastung bei gleichzeitig ungenügender Wertschätzung abzugrenzen. Auch zeigt sich im Gegensatz zur mentalen Distanz bei Burnout-Betroffenen regelhaft eine viel zu nahe Beziehung zur Arbeit, eine ausbalancierte Haltung zum Beruf fehlt meist über die gesamte berufliche Laufbahn hinweg und selbst in stark ausgeprägter psychophysischer Erschöpfung geben sie sich oft noch selbst die Schuld am Kranksein. Mentale Distanzierung kann wohl ein Aspekt des Burnout sein, lässt sich aber mehr im Sinne einer Derealisation als Ausdruck völliger Erschöpfung und als Versuch der Schadensbegrenzung begreifen. Die Distanz zur Arbeit und beruflichen Inhalten entsteht nicht selten erst durch die nicht mehr verhinderbare Krankschreibung, wogegen sich viele Patienten mit Burnout wehren, weil sie sich eben damit schwer tun, die Absenz von der Arbeit zu akzeptieren. Negativismus, als das entgegengesetzte Verhalten zum Verlangten definiert, ist bei Patienten mit Erschöpfungssyndrom zudem hypotroph ausgebildet. Sie sind stark dem Leistungsprinzip verpflichtet und hinterfragen die eigenen und die Arbeitsanforderungen zu lange nicht, sodass der Prozess der zunehmenden Überlastung nicht rechtzeitig aufgehalten wird. Patienten mit Burnout müssen somit den Negativismus in der Therapie erst einmal erlernen. Die Burnout-Definition gemäss WHO lässt aber auch alle Dimensionen der psycho-physischen Erschöpfung aus, die zum Beispiel bei nicht-berufstätigen Menschen in der Familie durch die Belastung bei der Kindererziehung oder in der Pflege von Angehörigen ausgelöst werden. Auch die Kombination von arbeitsbedingter und privater psycho-physischer Überlastung bleibt unberücksichtigt.

Burnout als Resultat gelebter Werte

Wie entsteht die Symptomatik, die bei Patienten in ein Burnout konfluieren? Sie kann in einem individuen-zentrierten Ansatz als Resultat der Bewertungen der eigenen Person, des eigenen, des Tuns Anderer und der gesamten Welt erklärt werden. Etablierte Wertehaltungen und tradierte Vorstellungen werden in der Sozialisierung durch deren Übernahme zum Leitstrahl der Lebensvollzüge. Gute Werte werden klar von schlechten und hohe von niedrigen Werten abgegrenzt. Ein Resultat davon ist das Urteil über sich selbst und der korrespondierende gute oder mangelhafte Selbstwert.

Patienten mit Burnout haben einen hohen Anspruch an sich selbst, sind perfektionistisch und geben nie schnell auf. Sie sind stark leistungsorientiert, pflichtbewusst und leben in der Überzeugung «Arbeit gibt mir sehr viel, produktiv sein gibt mir sehr viel, gebraucht zu werden gibt mir sehr viel». Sie meinen in ihrem Leben, aber v.a. in ihrer beruflichen Funktion, stets noch bessere Resultate liefern zu können und zu müssen. Mit zunehmend unerfüllbaren Selbstansprüchen durch ein immer stärker forderndes Arbeitsumfeld, steigt die gesundheitliche Bedrohung durch das anhaltende Überstrapazieren der Ressourcen, durch die Manifestation von übermächtigen Versagensängsten und final mit dem Erschöpfungszustand und der depressiven Dekompensation. Die persönliche und berufliche Laufbahn erleidet Schiffbruch. Mit dem Burnout kommen dann die grosse Verunsicherung im Leben, die Leere, das Misstrauen den eigenen Fähigkeiten gegenüber sowie die Erschütterung des Selbstverständnisses und der Selbstwertverlust. Patienten beschreiben sich dann als inkompetent, sie wissen und können nichts mehr, erleben sich eigentlich traumatisiert durch den erlebten Kontrollverlust, spüren ihre bereits vorbestehende Ungeduld noch stärker und treiben sich weiter vor sich her, je grösser die subjektiv erlebte Abweichung zwischen dem Soll- und dem Ist-Wert ausfällt. In vielen Arbeitssituationen ist die Möglichkeit, an einem Burnout zu erkranken, seit vielen Jahren vor dem Hintergrund der «Wirtschaftskriege» und des «Preiskampfes» vorgegeben. Eine stets rauer werdende Arbeitsatmosphäre mit hohem Kompetitionsgrad, die Optimierung von Kosten sprich u.a. Personaleinsparung mit gleichbleibender oder steigender Arbeitslast, andauernde Verfügbarkeit, fragliche Garantie des Arbeitsplatzes, um nur einige Faktoren aufzuzählen, perpetuieren und amplifizieren bei ambitionierten Arbeitnehmern die entsprechenden Verhaltens- und Reaktionsbereitschaften, die für die Entstehung eines Burnout Vorsetzung sind.

Handlungsbedarf und professionelle Therapie

Kein Burnout kommt also unerwartet über Nacht. Niemand steht eines Morgens auf und die psychische Störung ist da. Burnout resultiert aus einem kontinuierlichen Prozess, bei dem sich die betroffenen Patienten, oft erst bei erheblicher Ausprägung der Symptome und nach langem, nicht selten jahrelangen Ringen mit bewährten Konzepten und Strategien, zum Handeln entscheiden und medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Leichte Stimmungs- und Motivationsschwankungen oder gelegentlich unruhiger Schlaf sind nichts Aussergewöhnliches, vor allem nicht in anforderungsreichen Lebens- und Berufsphasen. Wenn jedoch ausgeprägte psychische oder körperliche Beeinträchtigungen in Form von chronischem Energiemangel sowie Freud- und Schlaflosigkeit auftreten, die über mehrere Wochen anhalten und der Leidensdruck stetig weiter ansteigt, genügt «es wird schon irgendwie schief- und weitergehen» nie. Beobachtendes Abwarten, Verdrängen, Bagatellisieren oder das Hoffen auf bessere Zeiten verschlechtern die Heilungsaussichten. Erschöpfung, Versagensängste, innere Anspannung und Nervosität und v.a. lang andauernde Schlafstörungen sind kräftezehrend und zermürbend. Sie führen in einen Teufelskreis, der allein nicht zu überwinden ist und sie werden regelhaft auch für das persönliche Umfeld zu einer Herausforderung.

Ärzte sind oft nicht adäquat auf die Behandlung von Burnout-Patienten vorbereitet, durch die diagnostische Unschärfe verunsichert und zuweilen bezüglich Patienten, die sich als ausgebrannt vorstellen, auch mit Vorurteilen behaftet, obwohl nicht wenige selbst den Zustand des drohenden oder bereits vorhandenen Ausgebranntseins leben. Darüber hinaus besteht oft ein Informationsmangel betreffend der Wirtschaftswelt und den dort vorherrschenden Bedingungen. Dem initialen Einsatz von Anxiolytika, Antidepressiva und Hypnotika sowie der Attestierung einer kurzzeitigen Arbeitsunfähigkeit folgt nachfolgend regelhaft die Zuweisung zum Psychiater, da professionelle fachspezifische Unterstützung unabdingbar wird. Fachärzte, die über die entsprechende medizinische und problemspezifische Ausbildung für die Behandlung des Burnout verfügen, sind mehr als schlichte Sparringpartner für Patienten mit Problemen im Beruf. Sie nehmen die sorgfältige Abklärung und Anamnese vor, erkennen genau, wie die emotionale Mechanik beim Betroffenen funktioniert, können den vorliegenden Symptomenkomplex zu- und einordnen und schätzen die Arbeitsunfähigkeit adäquat ein. Oft sind Patienten mit Burnout, die aufgrund der aufgetretenen psychosomatischen Symptomatik somatisch vollständig abgeklärt, jedoch dadurch nicht minder beunruhigt, weil die Beschwerden weiterhin persistieren. Auch hier braucht es entsprechend viel Zeit und wiederholte Aufklärung seitens des Behandlers, bis die Patienten die Symptomatik als nicht mehr bedrohlich bewerten und sich Entwarnung und damit eine massgebliche emotionale Beruhigung einstellen kann.

Immer wieder wird heute auch im Zusammenhang mit Burnout unkritisch von der Verbesserung der Resilienz gesprochen, sodass in der Konfrontation auch mit noch so ernsten Problemen keine Schwächung mehr auftreten und für alles eine Lösung gefunden werden möge. Selbst gewisse Arbeitsmediziner verfangen sich in dieser Strategie und vertreten die Ansicht, dass Patienten mit Burnout effizient und zielgerichtet an ihrer psychischen und körperlichen Gesundung arbeiten müssen (sic!). Es geht jedoch im Gesundungsprozess von Burnout-Patienten nicht um Selbstoptimierung und Aufbau von Resilienz, sondern um Sicht und Einsicht, die der Patient im Verlauf der Behandlung entwickeln wird. Die professionelle Behandlung des Burnout-Patienten, die im optimalen Fall in der Auflösung der Symptomatik und der Rückfallprophylaxe resultiert, arbeitet v.a.auf die Reduktion der Ansprüche an sich selbst und an die Welt sowie auf eine bessere Akzeptanz von Limitationen hin, damit dieser in Zukunft der monomythischen Atrophie i.S. des allein gültigen «Alles oder nichts» das «Weder nichts noch alles» entgegenzusetzten in der Lage ist. Möglicherweise führt dies dann folgerichtig auch zu einem Wechsel der Arbeitstelle oder in ein alternatives Berufsfeld mit geringerer Toxizität.

Der Ansatz von Maslach, die in ihrem 2001 veröffentlichten Buch «Die Wahrheit über das Burnout» die Position vertritt, dass der Ursprung dieses Krankheitssyndroms nicht beim Arbeitnehmer liege, sondern die Arbeitgeber in der Pflicht sind, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Burnout verhindert wird, ist konsequent. Wenn die Arbeitswelt sich jedoch nicht in diese Richtung verändert, und dafür gibt es mehr als genügend Anzeichen, so muss weiter am anderen Ende, sprich beim Arbeitnehmer angesetzt werden. Hinführen zu einer vernunftsgemässen life-value-balance, zu genügend Schlaf und gutem Rhythmus, zu regelmässiger Bewegung in der Natur und gesunder Ernährung, der Mässigung des Alkoholkonsums, der Pflege von Partnerschaft und Freunden etc. haben in der professionellen Behandlung des Burnout eminente Bedeutung. Ob im Falle einer notwendigen stationären Therapie Schlagstock-Training und Klettern, wie es gewisse Burnout-Kliniken heute im Angebot haben, zum Behandlungskatalog gehören müssen, bleibt zu diskutieren. Spezialisierte Kliniken sind durch die Versicherer, die vermehrt das Behandlungskonzept mitbestimmen wollen, aber unter Druck und erklären als oberstes Behandlungsziel die möglichst schnelle Rückkehr an den Arbeitsplatz, sodass unterdessen zuweilen eng mit den Kostenträgern und deren Case-Management zusammengearbeitet wird. Eine solche Phalanx und der frühe Auftritt des Case-Managers im Therapieverlauf erhöhen auch den Druck auf Patienten, möglichst rasch gesund zu werden und prolongieren damit allzu oft den Heilungsprozess. Ärzte werden heute zunehmend in die Pflicht genommen, keine längeren Arbeitsunfähigkeiten mehr zu attestieren, da dies die Prognose von Betroffenen verschlechtere. Vor längeren Phasen im Krankenstand wird gewarnt, da solche die Chance der Heilung negativ beeinflussen würden. Doch meistens ist die bedeutsamste initiale therapeutische Intervention die Expositionsprophylaxe gegenüber der krankheitsinduzierenden beruflichen Situation, die bei Patienten erst die notwendige Entlastung und in der Folge eine weitere Therapie- und Auseinandersetzungsbereitschaft hervorzurufen vermag. Auch Patienten mit Burnout können sich nicht selbst überholen und eine beschleunigte Behandlungsstrategie, die durch die vorherrschende Position der Versicherer in eine vermeintlich bessere Therapieeffizienz münden und damit geringere Fallkosten bringen soll, führt in vielen Fällen auch zu einem erhöhten Rückfallrisiko.

Überleben unter verschärften Bedingungen durch Vernunft

Das professionelle Betrachten in der Behandlung des Burnout von tiefgreifenden Fragen, die zur Überprüfung des eigenen Lebensentwurfs und der Entwicklung von neuen Denkansätzen führen, stellt für Patienten mit Burnout eine existentielle Erhellungsmöglichkeit dar. Es gilt in der therapeutischen Auseinandersetzung gesundheitsgefährdende Ansichten zu identifizieren, ein mentales Alternativ-Instrumentarium zu entwickeln, das über die heute so oft genannte Achtsamkeit hinausgeht. Es besteht hierzu keine Notwendigkeit, das ganzes Leben in Frage zu stellen und selten braucht es den radikalen Neuanfang. Auch das kritische Hinterfragen des Mainstream, allgemein gültiger gesellschaftlicher Normen oder das bewusste Fokussieren auf positive Entwicklungen statt auf den Skandal und den Boulevard zeigen bereits einen wichtigen entlastenden Effekt. Darüber hinaus sind Freiräume, die durch Nichterreichbarkeit und leere Stunden erschaffen werden, von grosser Relevanz für die Heilung vom Burnout, da sie Kreativität und Gedankenvielfalt überhaupt erst ermöglichen und wieder erlebbar werden lassen.

Ein «gesunder Lebensstil» setzt ein angepasstes Wertesystem voraus. Er bedeutet nicht, der heute ausgerufenen Pflicht zur Selbst­optimierung nachzukommen und auch keine übertriebene Gesundheitsprophylaxe in Form von Höchstleistungen im Sport oder Extremdiäten. Die bedeutsamste Aufgabe in der Selbstfürsorge bleibt die stete Überprüfung des persönlichen Lebenskonzepts und der idealerweise daraus resultierenden realistischen Einschätzung der eigenen Möglichkeiten. In der unerbittlichen Ausrichtung auf das «altius, citius, fortius» ist der Erfolg bald durch den Misserfolg gefährdet. Immer mehr bedeutet nicht besser, sondern beinhaltet ein erhebliches Risiko, den zu hohen Selbstanspruch nicht mehr erfüllen zu können, sich psychisch und körperlich zu erschöpfen und damit dem Burnout sowie der Depression den Boden zu ebnen.
Auch für viele Burnout-Patienten stirbt die Hoffnung zuletzt, was allein meint, dass man vor ihr den Tod findet. Hoffnung ist seit jeher ein passives Prinzip und regelhaft mit der Furcht vor Enttäuschung verbunden. Nicht selten aus der Bequemlichkeit heraus angewendet, wirkt es lähmend auf das Denken und negativ auf das eigene Veränderungspotential ein. Starke Hoffnung führt zu überhöhtem Optimismus, ein Zeitgeist, der die Vernunft regelhaft anästhesiert. Als Wegweiser der Vernunft bewährt sich vielmehr fester Realitätssinn in Verbindung mit zuversichtlicher Bescheidenheit. Herausfinden aus dem Burnout bedeutet denn, in gesundem Mass Grenzen wahrzunehmen und zu akzeptieren, stark vergleichendes, kompetitives Verhalten zu hinterfragen, um es dann möglichst zu vermeiden. Burnout-Patienten, die mit Hilfe der professionellen Behandlung die Fähigkeit zur Selbstberuhigung und Relativierung entwickeln, haben deutlich bessere Chancen, um auch in anforderungsreichen Zeiten mental und körperlich nicht erneut zu dekompensieren.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Michael Sacchetto-Mussetti

Zentrum für Psychiatrie und
Psychotherapie rechter Zürichsee Küsnacht
Dorfstrasse 5
8700 Küsnacht

Der Autor hat keinen Interessenskonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Dem Burnout-Syndrom fehlt auch 2022 eine allgemeingültige
Definition, Burnout ist jedoch keine gesellschaftliche Mode­erscheinung sondern eine schwere psychische Erkrankung.
◆ Burnout ist die Folgeerkrankung von chronischem Stress. Sie führt zu weiteren Folgeerkrankungen und langen Arbeitsausfällen und zeigt meist einen protrahierten Verlauf.
◆ Die Entwicklung eines Burnouts hängt neben den Arbeitsbedingungen von den Wertevorstellungen und Bewertungsmodellen des Patienten ab.
◆ Die erfolgreiche Behandlung und Prophylaxe des Burnouts beinhaltet u.a. die Entwicklung einer alternativen value-life-balance.

Auf Anfrage beim Verfasser