Back to the roots? 20 Jahre Women’s Health Initiative Study

2022 jährt sich die erste Publikation zur Women’s Health Initiative-Studie (WHI-Studie) zum 20. Mal. Diese Studie wurde bei asymptomatischen Frauen mit einem mittleren Alter von 63 Jahren durchgeführt, von denen rund ein Drittel mit vorbestehenden Risikofaktoren belastet war. Diese Population ist für jüngere symptomatische peri- und früh postmenopausale Frauen nicht repräsentativ. Bei der Datenanalyse waren deshalb Subanalysen bei der jüngsten Altersgruppe zwischen 50-59 Jahren notwendig. Dies beeinträchtigte die statistische Power, führte aber zu neuen Erkenntnissen wie dem «Window of Opportunity». Die WHI-Studie muss immer im Zusammenhang mit anderen Studien interpretiert werden. Eine individualisierte transdermale E2-Gabe, wenn nötig kombiniert mit mikronisiertem Progesteron oder Dydrogesteron, kann auch nach der WHI-Studie als sicher gelten. Die Menopausale Hormon-Therapie deckt als einziges Therapieprinzip gleichzeitig die Behandlung des klimakterischen Syndroms und die Frakturprävention ab.

2022 marks the 20th anniversary of the first publication on the Women’s Health Initiative study (WHI study). This study was conducted in asymptomatic women with a median age of 63 years, about one-third of whom had pre-existing risk factors. Such a population is not representative for younger symptomatic peri- and early postmenopausal women. Therefore, subanalyses were essential in the youngest age group between 50-59 years. This affected the statistical power, but allowed the discovery of new therapeutic laws such as the «window of opportunity». The WHI study must always be interpreted in the context of other studies. Transdermal estradiol, if needed combined with micronised progesterone or dydrogesterone is considered to be safe. Menopause Hormone Therapy is the only therapeutic principal that covers at the same time the treatment of the climacteric syndrome as well as fracture prevention.
Key Words: WHI Study – menopause – estrogens – climacteric syndrome – osteoporosis – cardiovascular diseases

Das späte Eingeständnis von WHI-Investigatoren, dass nach der Erstpublikation aus der WHI-Studie wissenschaftliche und ethische Regeln verletzt worden waren, erlaubt es, die Daten­lage zur Menopausalen Hormon-Therapie (MHT) objektiv in ihren methodischen Grenzen zu sehen. Die WHI-Studie hat neue Erkenntnisse gebracht wie die Existenz eines «günstigen Fensters» innerhalb dessen der Nutzen die Risiken überwiegt. Jede MHT erfordert eine klare individualisierte Indikation. In die Nutzen-Risiko-Abwägung müssen die günstigen Nebenwirkungen einer MHT ebenso wie die evidenzbasierten nicht-hormonalen Alternativen mit einbezogen werden. Eine individualisierte transdermale E2-Gabe, wenn nötig kombiniert mit mikronisiertem Progesteron oder Dydrogesteron, kann auch nach der WHI-Studie als sicher gelten. Diesen Sommer jährt sich die erste Publikation zur Women’s Health Initiative-Studie zum 20. Mal. Seither wurden die durch diese Studie aufgeworfenen Fragen weitgehend geklärt. Es ist daher zulässig, eine Bilanz zu ziehen.

Indikationen der Hormon-Ersatz-Therapie bis 2002

Vor 2002 galt, dass eine Hormonersatztherapie (HET) die Symptome des klimakterischen Syndroms lindert, die Lebensqualität nach der Menopause verbessert und die Abnahme der Knochendichte reduziert. Ein «International Position Paper on Women’s Health and Menopause» (1) hielt diese Punkte gestützt auf die bereits damals solide Evidenz (2-9) als Indikationen fest. Die Reduktion der gesamten und der kardiovaskulären Mortalität wurde im Lorenzini-Report als günstige Nebenwirkungen, aber nicht als Indikation aufgeführt.

Ziele der Women’s Health Initiative-Studie

Die WHI-Studie wollte zeigen, dass die Prävention weiterer estrogenmangel-bedingter Krankheiten, insbesondere der kardiovaskulären Erkrankungen, zu den Indikation einer HET gehören soll. Wegen der Vorgabe einer niedrigen Drop-Out-Rate in der Placebo­gruppe und einer raschen Rekrutierung schlichen sich folgende Biases in die Studie ein:
1. Die Behandlung des klimakterischen Syndroms war kein Studien­ziel. Symptomatische Frauen wurden ausgeschlossen. Das mittlere Alter betrug daher bei Studieneinschluss 63 Jahre, der mittlere Abstand zur Menopause 12 Jahre. Aus heutiger Sicht hätte in dieser älteren asymptomatischen Population eine HET nicht mehr begonnen werden dürfen.
2. Es wurden überproportional viele Frauen mit vorbestehenden Erkrankungen rekrutiert. Die Volontärinnen wiesen in 34% einen BMI ≥ 30kg/m2, waren in 50 % Raucherinnen und litten in 36 % an einer arteriellen Hypertonie; knapp 13 % nahmen bereits Statine und 20 % eine Aspirintherapie ein.
Somit wurde für den WHI-Trial eine Studienpopulation selektioniert, die nicht der Normalpopulation entsprach, bei der in der Praxis eine HET verschrieben wird. Ungünstig wirkten sich auch die Wahl einer ausschliesslich peroralen HET mit konjugierten equinen Estrogenen (CEE) und Medroxyprogesteron-Azetats (MPA) aus, ein Gestagen mit glucocorticoider Partialwirkung. CEE und MPA waren 2002 Marktführer in den USA und wurden von einem Sponsor der Studie produziert.

Erste Analyse zur WHI-Studie und deren Folgen

Die erste Publikation zum WHI-Trial von 2002 (10) umfasste die Gesamtpopulation im Alter von 50-79 Jahren (mittleres Alter:
63 Jahre). Nur die Senkung des Frakturrisikos und der Anstieg venöser thrombo-embolischer Ereignisse waren signifikant (Abb. 1), alle andern Parameter veränderten sich nicht signifikant. Durch gezielte Leaks vor dem Erscheinen des Artikels bekamen Laienmedien einen Vorsprung vor den nicht informierten Experten (Abb. 2), was sich auf die Wahrnehmung der Studienresultate verheerend auswirkte (11).
Leider wurde nicht nur in den Laienmedien übersehen,

  • dass sich diese Daten auf ältere und mit Krankheiten vorbelastete Frauen bezogen,
  • dass nicht zwischen korrigierten und unkorrigierten Resultaten unterschieden und dass nicht-signifikante Risikoveränderungen wie diejenige von Brustkrebs hochgespielt wurden.
  • dass die Risiken überschätzt und falsche Schlüsse zur Indikation der HET bei gesunden symptomatischen Frauen im Alter von 50-59 Jahren gezogen wurden.

Als direkte Folge dieses Artikels lehnten viele Frauen eine HET ab. Nach 2002 litten in den USA 20 % der Frauen unter 55 Jahren an starken klimakterischen Beschwerden, da die noch eingesetzten alternativen Methoden nicht wirksam genug waren. Dies liess nach 2002 auch Morbidität und Mortalität ansteigen:
◆ Zwischen 2002-2011 verstarben in den USA 58’000 Frauen im Alter von 50-59 Jahren mit Estrogenmangel vorzeitig. Diese vermeidbare Exzess-Mortalität betraf 13/10,000 Frauen/Jahr. 12 der 13 vorzeitigen Todesfälle waren kardiovaskulär bedingt (12, 13).
◆ Eine Abnahme der HET um 50 % führte in den USA zu einem um 50 % erhöhten Frakturrisiko, entsprechend 43’000 vermeidbaren zusätzlichen Frakturen/Jahr (14).

Erkenntnisse aus den Subanalysen zur WHI-Studie

Erst die ab 2007 publizierten Subanalysen in der Altergruppe von 50-59 Jahren erlaubten ein differenziertes Bild zu Nutzen und Risiken einer Menopausalen Hormon-Therapie (MHT = HET). Dies wurde mit einem Verlust an statistischer Power erkauft.

Totale Mortalität

Die Subanalyse von 2007 ergab für Frauen von 50-59 Jahren unter MHT eine um 30% verminderte totale Mortalität (p<0.05). Bei Frauen von 70-79 Jahren stieg sie an (15). Dies stimmte mit einer älteren Metaanalyse überein, welche für die totale Mortalität bei Frauen ≤ 60 Jahren unter MHT einen signifikanten Abfall der Odds Ratio (0,61; VI 0,39-0,95; 9) gefunden hatte. Die kumulativen 13-Jahres-Daten (27) zeigten unter CEE als einzigen Risikoanstieg eine nicht-signifikante Zunahme des Todes an Lungenembolien (Tab. 1). Alle andern in der Erstanalyse von 2002 (10) vermuteten Risiken sanken in absoluten Fallzahlen ab. Die kumulativen 18-Jahres-Daten zeigten für die gesamte Studienpopulation, alle Altersgruppen und beide Studien (CEE allein und CEE+MPA) zusammengenommen, für die Interventionsphase und den kumulativen Follow-Up keine Veränderungen der totalen, der kardiovaskulären und der krebsbedingten Mortalität (28). In der Interventionsphase kam es für Frauen zwischen 50-59 Jahren im Gegenteil zu einer signifikanten Reduktion der Mortalität (Hazard Ratio 0,69 (p = 0,01) (28).
Diese Ergebnisse bestätigen ältere Langzeitresultate (29, 42). Auch die NHS (30) fand bis zu einer Beobachtungszeit von 36 Jahren keinen Anstieg der Gesamtmortalität.

Kardiovaskuläre Mortalität

Der Tod an koronaren Herzkrankheiten nahm in der WHI-Studie unter MHT signifikant ab (Tab. 1). Dies überrascht nicht, da perorale und transdermale Estrogene unter anderem die Inzidenz von Diabetes mellitus senken (28, 31-33) und einen günstigen Effekt auf die Arterienwand ausüben (34). Nach Absetzen der MHT steigt das Risiko wieder an (13).

Das Brustkrebs-Risiko

Unter CEE fiel das Risiko für Morbidität und Mortalität an Brustkrebs nach einem medianen Follow-Up von 11,8 Jahren signifikant (37). Die kumulativen 13-Jahres Daten fanden eine nicht-signifikant gesenkte Mortalität an Brustkrebs, die auch nach 18 Jahren erniedrigt blieb (38). Dies könnte auch dadurch erklärt werden, dass Frauen mit metabolischem Syndrom und Adipositas in der WHI-Studie überrepräsentiert waren.

In einem RCT bei einer dänischen Normalpopulation fand sich nach 16 Jahren für Brustkrebs keine Risikoveränderung (29). Die NHS (30) beobachtete erst bei einer HET-Einnahme von >20 Jahren einen Anstieg des relativen Risikos auf 1,42. (95% VI 1,13–1,77). Bei Beginn innerhalb des «günstigen Fensters» ist nach der Internationalen Menopausegesellschaft (IMS; 20) das Risiko eines mit einer MHT assoziierten Mammakarzinoms klein und wird auf weniger als 0.1 % pro Jahr oder auf eine Inzidenz von <1.0 per 1000 Frauen pro Anwendungsjahr geschätzt. Dies ist vergleichbar oder niedriger als alltägliche Risiken wie geringe körperliche Aktivität, Adipositas oder Alkoholeinnahme (20, 21).
Dennoch hält sich das Misstrauen gegenüber einer MHT weiter, obwohl in der Schweiz sechsmal mehr Frauen an Herz-Kreislauf-Krankheit als an einem Brustkrebs sterben (Abb. 3).

Das Eingeständnis von 2016

Das offizielle Eingeständnis der Schwächen der WHI-Studie kam erst 2016 über eine Review mit dem Titel ««Getting Clinical Care back on Track» (25). Sie wurde von WHI-Investigatoren verfasst und enthält folgende Kernaussagen:

  • Die Resultate aus der WHI-Studie bei älteren Frauen wurden auf unangemessene Weise dazu benützt, um therapeutische Entscheide für jüngere Frauen in ihren 40-ern und 50-ern zu treffen. Damit wurden wissenschaftliche und ethische Regeln verletzt.
  • Die systemische MHT ist die wirksamste heute verfügbare Behandlung der klimakterischen Symptome und sollte bei
    Fehlen von Kontraindikationen bei mittelstarken bis schweren vasomotorischen Symptomen empfohlen werden.
  • Unbehandelte menopausale Symptome sind mit höheren Gesundheitskosten und einem Verlust an Leistungsfähigkeit verbunden.
  • Das Widerstreben gegen die hormonelle Behandlung klimakterischer Beschwerden ist nach der WHI-Studie entgleist und führte zu einer grossen und unnötigen Last an Leiden und zur Propagierung von ungeprüften und unregulierten Ersatzbehandlungen, welche die Gesundheit von peri- und postmenopausalen Frauen nachhaltig schädigen können.
  • Es hat sich der Konsensus herauskristallisiert, dass der Nutzen einer MHT die Risiken überwiegt

Mit dieser Review schlossen sich die WHI-Autoren den internationalen und nationalen Empfehlungen an (Global Consensus, Empfehlungen der IMS, Schweizer Expertenbrief) (20, 21, 26).

Erkenntnisse zur modernen MHT aus anderen Studien

Gleichzeitig zum WHI-Trial wurden vor allem in Europa Studien zu nicht-oralen Präparaten und zu metabolisch günstigen Gestagenen vorangetrieben.

Transdermal oder peroral?

Eine transdermale Gabe von E2 vermeidet den Anstieg von thrombo-embolischem Risiko und CVI einer oralen MHT, solange die Standarddosis von 50µg E2/Tag nicht überschritten wird (16-19). Orale und transdermale MHT unterscheiden sich nicht in ihrer Wirkung auf das klimakterische Syndrom, das Skelett und auf die Brust.

Welches Gestagen?

Gestagene beeinflussen das Risiko einer Estrogentherapie. Nicht alle Gestagene haben das gleiche metabolische Risikopotential. Ein Klasseneffekt für Gestagene existiert nicht.
Die Zugabe von mikronisiertem Progesteron oder Dydrogesteron zu E2/EV besitzt ein signifikant niedrigeres Risiko für das kardiovaskuläre System, Bustkrebs und thrombo-embolische Ereignisse als diejenige anderer Gestagene (16-19, 22-24); weiterführende Literatur in (20, 21).

Wie lange behandeln?

In Europa geben im Mittel 74% (Range 60%-88%) aller Frauen klimakterische Symptome an. Oft wird unterschätzt, wie lange VMS andauern können (39-41):

  • rund 25 % aller Frauen leiden noch mit > 65 Jahren unter VMS
  • Bei 85-jährigen Frauen litten noch 16 % tagsüber und/oder nachts an VMS, 10 % litten stark bis mittelstark darunter
  • in dieser Gruppe benötigten 6,5 % noch regelmässig eine MHT

Die Fortführung einer MHT nach dem Alter von 65 Jahren darf somit nicht willkürlich limitiert werden. Die Indikation muss jährlich auf das Auftreten von Kontraindikationen überprüft werden. Bei Frauen ≥ 60 Jahren wird bei Verdacht auf fortgeschrittene Athero­sklerose eine Messung der Carotis-Intima-Media-Dicke empfohlen.

Indikationen für eine MHT 2022

Behandlung des klimakterischen Syndroms

Die MHT bleibt die wirksamste Behandlungsmöglichkeit schwerer klimakterischer Beschwerden, die auf nicht-hormonale Möglichkeiten nicht ansprechen (Abb. 4).
Oft reicht für klimakterische Symptome eine niedrigere als die Standard-Dosierung aus (2mg E2 peroral, 50µg E2 transdermal, 1,0–1,5mg E2 als Gel pro Tag).
Bei symptomatischer vaginaler Atrophie ist die lokale niedrig dosierte Gabe von Estrogenen oder DHEA der systemischen MHT überlegen.

Frakturprävention

Die Wahrscheinlichkeit einer Fraktur an einer der vier Hauptlokalisationen (Wirbelsäule, Schenkelhals, Vorderarm, proximaler Humerus; «Major Fractures») liegt bei 40 % oder mehr, das lebenslängliche Risiko bei einer gesunden 50-jährigen Frau bei 52.3 %. Die verbleibende Ueberlebenszeit nach einer «Major Fracture» ist weniger günstig als nach einem Mammakarzinom. (43, 44). Die fatale erste Fraktur muss daher vermieden werden. Nur für eine Estrogengabe wurde auch bei gesunden Frauen (≤60 Jahre) ohne erhöhtes Frakturrisiko eine signifikante Senkung um 25–40 % für einen Knochenbruch an allen Lokalisationen nachgewiesen (Tab. 2) (44). Eine MHT verbessert zudem die «Stossdämpferfunktion» der Zwischenwirbelscheiben (46, 47). Sie ist wirksam, sicher und kosteneffektiv (NNT = 7) (45). Ihr Schutzeffekt hält bis zu 15 Jahre nach Absetzen an (45). Frakturdaten gibt es nur für die obige Standard-Dosierung. Beim Einsatz einer niedrigen oder ultraniedrigen E2-Dosierung zur Frakturprävention sollte deren Wirksamkeit durch die Messung der Knochendichte mittels DXA oder allenfalls durch die Bestimmung von Knochenmarkern überprüft werden.
Raloxifen, das einzige in der Schweiz zugelassene SERM, ist bei Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko eine Alternative zur MHT. Sein osteoprotektiver Schutz ist nur an der Wirbelsäule, aber nicht am nicht-vertebralen Skelett gesichert (48).

Prämature Ovarialinsuffizienz (POI)

Bei jeder POI besteht zumindest bis zum Alter des normalen Menopauseneintritts eine absolute Indikation für eine MHT (49, 50)

Relevante günstige Nebenwirkungen

Die Verminderung des kardiovaskulären Risikos durch eine MHT wird heute als Zusatznutzen, aber nicht als selbstständige Indikation für eine MHT anerkannt (11, 20, 21, 27-28, 42). Eine weitere günstige Nebenwirkung der MHT scheint auch eine Neuroprotektion zu sein (11, 20, 21, 27, 28, 35, 36). Günstige Nebenwirkungen können bei der Individualisierung einer MHT einbezogen werden.

Schlussfolgerungen

Das Eingeständnis von WHI-Investigatoren, dass nach der Erst­publikation aus der WHI-Studie (10) wissenschaftliche und ethische Regeln verletzt worden sind, erlaubt es uns heute, die Datenlage zur MHT objektiv in ihren methodischen Grenzen zu sehen. Nicht immer ist ein RCT die beste verfügbare Evidenz. Dies kann auch eine solide und gut geplante Beobachtungsstudie sein, wenn diese als einzige bei derjenigen Population durchgeführt wurde, die später mit dem untersuchten Präparat behandelt werden soll. Nach Jahren von Hybris und Fehlschlüssen sind wir zu den schon im Lorenzini-Report von 2002 (1) empfohlenen und seit vier Jahrzehnten gesicherten Indikationen zurückgekehrt: back to the roots!
Die WHI-Studie ist dennoch eine wichtige Studie. Sie hat uns zu neuen Erkenntnissen geführt wie der Existenz eines «günstigen Fensters». Innerhalb dieses «günstigen Fensters» (Beginn der MHT bei Frauen < 60 Jahre oder weniger als 10 Jahre von der Menopause entfernt) überwiegt der Nutzen die Risiken. Eine individualisierte transdermale E2-Gabe, wenn nötig kombiniert mit mikronisiertem Progesteron oder Dydrogesteron, kann auch bei älteren gesunden Frauen als sicher eingestuft werden.
Jede MHT erfordert eine klare individualisierte Indikation. Bis heute ist die MHT das einzige therapeutische Prinzip, das gleichzeitig beide Indikationen abdeckt, klimakterisches Syndrom und Frakturprävention. In die Nutzen-Risiko-Abwägung müssen die günstigen Nebenwirkungen einer MHT ebenso wie die evidenzbasierten nicht-hormonalen Alternativen mit einbezogen werden.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. em. Dr. med. Martin Birkhäuser

Gartenstrasse 67
4052 Basel

martin.birkhaeuser@bluewin.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Auch 20 Jahre nach der Erstpublikation bleibt der WHI-Trial eine der wichtigsten Studien zur Menopause und zur MHT. Seine Resultate müssen aber wegen der ungünstig ausgewählten Studienpopulation vor der Praxisanwendung immer mit den Ergebnissen aus andern RCTs, grossen prospektiven Beobachtungsstudien und soliden
Registerstudien abgeglichen werden.
◆ Beim klimakterischen Syndrom bleibt die MHT die wirksamste Behandlung. Sie verbessert die gesundheitsbezogene Lebensqualität und ist als einzige therapeutische Option gleichzeitig auch osteoprotektiv. Bei individualisierter Indikation und Beginn der MHT innerhalb des «günstigen Zeitfensters» überwiegt der Nutzen die Risiken
◆ Eine transdermale Gabe von Estradiol vermeidet das unter oraler Gabe erhöhte Risiko für thromboembolische Ereignisse und kann als sicher gelten.
◆ Zur Behandlung des klimakterischen Syndroms ist oft eine niedrigere als die früher übliche mittlere Dosierung («Standard») ausreichend. Dies gilt nicht für die Osteoprotektion, wo Frakturdaten unter niedriger Dosierung fehlen.
◆ Die Behandlungsdauer ist nicht starr nach oben begrenzt. Eine MHT kann ohne Kontraindikationen über das günstige Fenster hinaus
weitergeführt werden.
◆ Die MHT ist keine moderne Variante des alten Traums vom Jungbrunnen.

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50. Rivera CM, Grossardt BR, Rhodes DJ et al. Increased cardiovascular mortality after early bilateral oophorectomy. Menopause 2009;16:15–23.

Akuter Hirnschlag – Diagnostik und Behandlung

Die Akutbehandlung des Hirnschlages beginnt in der Prähospitalisationsphase und endet mit dem Festlegen einer individuell angepassten Sekundärprophylaxe, der auf die erfolgten Diagnostik beruht. Es handelt sich somit um ein Continuum von Erkennen der Symptome, Handeln unter Auswahl der besten Opportunitäten zur Therapie und Erarbeiten einer Hypothese zur Pathogenese, die schliesslich in der Sekundärprävention und Rehabilitation mündet. All dies erfordert eine individuelle Evaluation der Sekundärprophylaxe basierend auf allen relevanten Kriterien, individueller Co-Morbidität sowie bestehender und notwendiger Co-Medikation und daraus resultierenden individueller Nutzen-Risiko-Abwägung.

Acute treatment of cerebral stroke begins in the prehospitalization phase and ends with the establishment of an individualized secondary prophylaxis based on the diagnosis made. Thus, it is a continuum of recognizing the symptoms, acting by selecting the best opportunities for therapy, and elaborating a hypothesis on the pathogenesis, which finally leads to secondary prevention and rehabilitation. All this requires an individual evalu­ation of secondary prevention based on all relevant criteria, individual co-morbidity as well as existing and necessary co-medication and the resulting individual benefit-risk assessment.
Key Words: cerebral stroke, secondary prevention, cardio embolism

Die Behandlung des akuten Hirninfarktes ist zeitkritisch. Alle nötigen Prozesse und Entscheidungen müssen so schnell wie möglich getroffen werden. Mitentscheidend für das klinische Ergebnis ist bereits das Erkennen durch Laien. Die Hirnschlag-Differentialdiagnose beginnt beim ersten Kontakt mit der Rettung. Hier wird ein erster Verdacht auf einem Hirnschlag gestellt und das Zielspital bereits vor Ankunft alarmiert (1).

Bei Ankunft in der Notfallaufnahme des vorinformierten Spitals wird die Patientin/der Patient vom Arzt- und Pflege-Stroke Team direkt in Empfang genommen. Hier finden gleichzeitig eine fokussierte Anamnese sowie die erste klinische Beurteilung und laborchemische Analysen statt. Wichtig ist das Erheben der Uhrzeit des Symptombeginns, und falls die Patientin/der Patient nicht kommunikationsfähig ist, von der Rettung oder den Angehörigen zu erfragen ist.

Die klinische Untersuchung auf der Notfallstation hat das Ziel, die Vermutungsdiagnose zu bestätigen und andere potenzielle Diagnosen festzustellen oder auszuschliessen. Damit wird auch eine erste Schweregradbeurteilung des Hirnschlages bestimmt. Vor allem steht eine zeitnahe Beurteilung des Allgemeinzustandes, der Vitalparameter, sowie die gezielte neurologische Untersuchung im Vordergrund. Bei einem Hirnschlag ist die National Institutes of Health Stroke Skala (NIHSS) die bevorzugte erste neurologische Evaluation, damit der Patient schnell und standardisiert auf die wichtigsten hirnschlagrelevanten Befunde untersucht wird. Mit diesen Informationen und der aktuellen Medikamentenliste lässt sich auch eine erste ätiopathologische Beurteilung erstellen. Diagnosen von koronarer oder rhythmogener Herzkrankheit, Hypertension, Diabetes und Dyslipidämie oder eine aktuelle medikamentöse Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern oder Antikoagulanzien sind Hinweise. Parallel dazu ist eine Überwachung der Vital-Parameter mittels Monitoring entscheidend. Eine erste Blutentnahme zur Bestimmung von Elektrolyten, Glucose, Blutbild, Entzündungsparametern und Gerinnungswerten, insbesondere des INR-Wertes respektive der Heparin-Aktivität bei oraler Antikoagulation, sind mitentscheidend.

Wenn nach der ersten anamnestischen und klinischen Beurteilung die klinische Vermutung auf einen akuten Hirnschlag vorliegt, ist im Hinblick auf eine revaskularisierende Therapie der Ausschluss einer intrakraniellen Blutung sowie einer nicht vaskulären Pathologie wichtig. Gleichzeitig beginnt auch die Abklärung der Schlaganfall-Ätiologie. Dazu ist eine erste Bildgebung mittels CT- oder MRI-Untersuchung notwendig. Die Entscheidung zwischen CT oder MRI in der akuten Phase ist stark von Klinikressourcen und Zeit-Effizienz des entsprechenden Behandlungsprotokolls abhängig. Eine Vorgehensweise mit CT-Scan beinhaltet erst ein natives CT (ohne Kontrastmittelgabe), um eine intrakranielle Blutung als Ätiologie des Ereignisses auszuschliessen. Dafür ist das CT-Scan sehr zeiteffizient und präzise. Danach folgt die Kontrastmittel-Gabe mit CT-Angiographie, um den Status der hirnversorgenden Gefässe zu beurteilen und einen potentiellen Gefässverschluss zu diagnostizieren. Zuletzt dient die Perfusions-Untersuchung dazu, das Volumen des möglichen rettbaren Hirngewebes zu bestimmen und eine revaskularisierende Therapie zu indizieren (Abb. 1a). Eine MRI-Erstbildgebung ist sensitiver für die Hirnschlagdiagnose, da sehr früh das ischämische Gewebe erkannt werden kann. Die kernspintomographische Vorgehensweise beinhaltet diffusionsgewichtete (DWI) und suszeptibilitätsgewichtete (SWI) Aufnahme-Protokolle, die jeweils zwischen einem ischämischen und hämorrhagischen Ereignis differenzieren und eine genaue Lokalisation der Läsion geben können. Ergänzend dazu geben die ADC und FLAIR Protokolle hilfreiche Informationen bezüglich des zeitlichen Verlaufs der Läsion. Der Gefäss-Status kann im Hinblick auf signifikante Stenosen oder anderen Gefässerkrankungen wie Dissektionen, Vaskulitiden etc. mittels einer MR-Angiographie beurteilt werden (Abb. 1b, 2) (2, 3).

Das therapeutische Ziel nach der ersten Beurteilung und Diagnose eines drohenden ischämischen Hirninfarktes ist die Wiedereröffnung der durch Thromben okkludierten Arterien.

Bei mittelschweren und schweren (behindernden) Schlaganfällen ist, in Abwesenheit von Kontraindikationen, eine intravenöse Thrombolyse mittels Alteplase, rtPA (recombinant tissue Plasminogen Activator) indiziert. Wichtig ist, dass der Patient innerhalb von 4,5 (und in bestimmten Fällen von 6) Stunden nach Symptombeginn in einer entsprechend ausgerüsteten Institution behandelt wird. Eine gewichtsadaptierte Lyse-Therapie ist unmittelbar nach klinischer und bildmorphologischer Evaluation, insbesondere nach Ausschluss einer intrakraniellen Blutung, einzuleiten (4).

Der Verdacht auf Okklusion einer proximalen Hirnbasisarterie ist auf dem klinischen Syndrom und der nicht invasiven Gefässdarstellung mittels CT oder MR Angiographie basiert. Zudem ist die Bestimmung der ischämischen Penumbra wichtig. Die Penumbra ist das potenziell rettbare Hirngewebe, das in hypoxämischen Zustand, aber noch nicht infarziert ist. Je nach Ausdehnung wird zusätzlich eine mechanische Thrombektomie mittels Katheter-Technik indiziert (5,  67777).

Gleichwertig mit der akuten Behandlung ist die frühzeitige und gezielte supportive Behandlung in einer Stroke-Unit entscheidend. In der Stroke-Unit sind Hirnschlagpatientinnen/-patienten durch das Pflege- und ärztliches Personal eng überwacht. Dort beginnt die gleichzeitige Behandlung von Abweichungen des Blutdrucks, der Glucose, der Temperatur und das Erfassen von Rhythmusstörungen. Ferner werden die erkannten Komorbiditäten therapiert (1).

Ursachendiagnostik

Die ätiologische Abklärung auf Hirnschlag ist entscheidend für die sekundäre Prävention. Diese bildet die Grundlage einer wirkungsvollen evidenz-basierten Rezidivprophylaxe und führt zur messbaren Verminderung des Risikos für rezidivierende ischämische Ereignisse. Dies trifft nicht allein in den ersten Tagen zu, sondern gilt auch langfristig.

Die Grundlage bildet die klinische Untersuchung, indem aufgrund der neurologischen Ausfallssyndrome eine topische Zuordnung zu einer okkludierten Arterie getroffen werden kann. Die initiale Bildgebung mit nativen CT, CT-Angiographie und potenziell CT-Perfusion oder einem MRI mit DWI Protokoll, kann Hinweise für die Morphologie und Lokalisierung der Hirnläsionen geben, die zu den erhobenen klinischen Befunden passen müssen. Mit der ersten Bildgebung des Zerebrums ist auch die Unterscheidung zwischen ischämischen Läsionen und intrakranialen Blutungen möglich. Ferner können Befunde wie Arteriosklerose der zuführenden Halsarterien und intrakranialen Arterien erkannt werden. Mikroangiopathische Läsionen lassen sich im nativen zerebralen CT als Lakunen erkennen. Dies ist auch in der MR-Darstellung so, wo bereits in der Akutphase Läsionen als sog. DWI-positive Läsionen erscheinen. Chronische ischämische Läsionen erscheinen in den CTs als sog. Leukoaraiosis, währenddessen in der MR-Darstellung auf FLAIR-Sequenzen weisse Läsionen erkennbar sind, die dem gliotischen Gewebeumbau entsprechen. Zusätzlich können bei Hypertonie oder zerebraler Amyloidangiopathie Mikroblutungen erkannt werden. Ein EKG in der akuten Phase, das ein Vorhofflimmern/Vorhofflattern erkennen lässt, ist wegweisend für eine Embolie.

Wenn allein eine CT-basierte Bildgebung in der akuten Phase gemacht wurde, dann könnte eine MRT zur Bestätigung der Hirnpathologie und zur weiteren diagnostischen Abklärung wichtige Informationen erkennen lassen.

Die ätiologische Klassifizierung unterscheidet zwischen 5 Hauptgruppen ischämischer Hirninfarkte mit der sog. TOAST-Klassifikation (2, 3, 7).

1) Makroangiopathie durch Arteriosklerose grosser intra- und extrakranieller Hirngefässe, durch Thrombose im Bereich der arteriosklerotischen Plaques, hämodynamische Insuffizienz im post-stenotischen Stromgebiet oder arterio-arterielle Embolien
2) Kardiogene / aortogene Embolie: v. a. bei Vorhofflimmern, aber auch als Komplikation infolge Myokardinfarkt, Klappenersatz, Endokarditis, Kardiomyopathie
3) Mikroangiopathie: Erkrankungen/Arteriolosklerose kleiner Hirngefässe, meist hypertensiv, hereditär und altersbedingt
4) andere Ursachen, z. B. Vaskulopathien, Dissektionen oder Arteriitiden, Koagulopathien, paradoxe Embolien über Rechts-Links-Shunt
5) Hirninfarkte ohne geklärte Ätiologie – kryptogene Hirninfarkte

Zur Klärung der Ätiopathogenese und zum Erfassen indi­vidueller Co-Morbiditäten können folgende diagnostische Untersuchungen vorgenommen werden:

  • CT oder MRT Schädel, sofern nicht bereits auf der Notfall-Station erfolgt. MRI 24h nach Symptombeginn. Das Läsions-Muster kann für die mögliche Hirnschlag-Pathophysiologie hinweisend sein.
  • 12-Kanal-EKG und Langzeit-Elektrokardiogramm (Mindestens 72h und ggf. bis 7 Tage bei erhöhtem Verdacht auf kryptogenen Infarkt, evtl. Event-Recording mit Event-/Loop-Recorder oder Langzeitregistrierung) zum Nachweis von Herzrhythmusstörungen (8).
  • Neurovaskuläre Ultraschalldiagnostik: Doppler-/Duplexsonographie der extra- und intrakraniellen hirnversorgenden Arterien. Dient zusammen mit der CT-Angiographie oder MR-Angiographie zum Beweis einer Gefässpathologie
    (Stenosen, Okklusion, Kollateralen).
  • Transthorakale (oder Transösophageale) Echokardiographie: gemäss Indikation zum Nachweis von Emboliequellen im Herzen, Aortenbogen, Herzklappenpathologie oder akinetischen Herzwandabschnitten bei chronischen oder akuten Myokardinfarkten (möglicher Hinweis auf ein kardioembolisches Geschehen).
  • Blutentnahme: Blutbild, Gerinnung, Chemogramm, Herzinfarkt-Marker, Lipidstatus, TSH und ggf. gezielte Laboruntersuchungen für Vaskulitis oder Thrombophilie.
  • Weitere diagnostische Abklärungen und gezielte Labor- Untersuchungen erfolgen gemäss Indikation. Vor allem zum Erfassen von Risikofaktoren, entzündlichen Erkrankungen, metabolischen Störungen und Koagulopathien.

Gleichzeitig mit der ätiologischen Abklärung erfolgt auch eine kontinuierliche, nicht-invasive Überwachung (Monitoring) der Patienten, die mindestens Blutdruck, Herzfrequenz, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung, Temperatur und Herzrhythmus erfasst und dokumentiert.

Nach erfolgreichem Abschluss der Ursachendiagnostik kann eine frühe und gezielte sekundärprophylaktische Therapie erfolgen, um das Risiko eines Hirnschlag-Rezidivs maximal zu senken (Abb. 2).

Nachbehandlung aufgrund der ätiologischen Diagnosestellung

Genauso wichtig wie die akute Behandlung ist die rechtzeitige und zielorientierte Nachbehandlung nach ischämischen Hirnschlag. Die Sekundärprophylaxe fängt parallel mit dem Einsatz von akuten Massnahmen an und sollte langfristig weitergeführt werden, um Rezidive zu vermeiden. Die prophylaktische Nachbehandlung basiert zuerst auf der vermuteten oder der bisher durchgeführten Diagnostik einer schon erwiesenen Hirnschlag-Ursache, sollte jedoch auch auf die engmaschige Einstellung von vaskulären Risiko-Faktoren und Komorbiditäten achten. Eine rationale Therapie ist oft erst nach vollständiger ätiologischer Abklärung möglich und wird im Rahmen des intensiven Monitorings der Patienten in einer Stroke-Unit oft reevaluiert und angepasst. Es folgt eine Listung von Grundsätzen (2,  3,  9).

Arteriosklerose

Nach einem ischämischen Hirnschlag ist der frühzeitige Einsatz von antithrombotischen Substanzen empfohlen. Acetylsalicylsäure (ASS) ist die erste Wahl bei Hirnschlägen einer arterio- oder arteriolosklerotischen Genese, oder auch bei noch unbekannter Ätiologie. Ohne vorbestehende Plättchenhemmung erfolgt der Beginn der Behandlung (nach Ausschluss einer intrazerebralen Blutung, insbesondere nach Thrombolyse) für die ersten 14 Tage mit ASS 300mg tgl. mit anschliessender Weiterbehandlung mit 100mg tgl. Bei Auftreten des ischämischen Ereignisses unter bestehender Blutplättchenhemmung mit ASS kann eine Umstellung auf Clopidogrel erfolgen (einmalig 300mg als «loading dose», anschliessend 75mg tgl.). Eine duale Blutplättchenhemmung (Aspirin 100mg + Clopidogrel 75mg tgl.) kann bei TIA mit ABCD2-Score ≥4 Punkten oder Hirnschlägen mit NIHSS ≤ 3 zeitlich begrenzt (3 Wochen) verabreicht werden, gefolgt von Aspirin 100mg oder – falls das Ereignis unter ASS auftrat – Clopidogrel 75mg (10, 11). Bei hochgradigen intrakraniellen Arterienstenosen kann die duale plättchenhemmende Therapie bis 3 Monate nach Ereignis weitergeführt werden.

Je nach Berücksichtigung der Hirnschlagätiologie, des Ausmasses der Arteriosklerose an den hirnversorgenden Arterien sowie bei Anwesenheit einer koronaren Herzkrankheit oder anderen Komorbiditäten ist nach einem Hirnschlag/einer TIA das Ziel des gemessenen LDL-Cholesterinwertes <1.8mmol/l zu setzen (in bestimmten Fällen <1.4mmol/l oder <1.0mmol/l). Erstlinientherapie sind die Statine, z.Bsp. Atorvastatin oder Rosuvastatin. Bei Interaktionen oder Unverträglichkeit gegenüber Statinen könnte Ezetimib (NPC1L1 Inhibitor) alleine oder zusätzlich verwendet werden. Eine neue Kategorie von LDL-senkenden Medikamenten sind die PCSK9 Inhibitoren, die bei Patienten verwendet werden, bei denen das Ziel-LDL von <1.8mmol/l mit einer Kombinationstherapie mit Statin+Ezetimibe nicht erreicht werden kann. Bei hochgradigen Stenosen der Karotiden ist immer auch eine Revaskularisationstherapie mit Dilatation und Stenting oder operativ mittels Thrombendarterektomie zu evaluieren.

Kardioembolie

Bei Hirnschlägen mit einer kardioembolischen Genese wird meist Vorhofflimmern als Ursache diagnostiziert. Zu unterscheiden ist zwischen nicht-valvulärem und valvulärem Vorhofflimmern, die beide eine unterschiedliche sekundärprophylaktische Therapie benötigen. Bei nicht-valvulärem VHF ist ein direktes orales Antikoagulans (DOAK) mit einer auf die Nierenfunktion adaptierten Dosis indiziert (direkte Thrombininhibitoren Dabigatran/Pradaxa® oder Faktor Xa-Antagonisten Rivaroxaban/Xarelto®, Apixaban/Eliquis®, Edoxaban/Lixiana®). Bei valvulärem VHF, wobei es sich um eine mechanische Herzklappe oder eine schwergradige Mitralklappenstenose handeln kann, ist eine Antikoagulationstherapie mittels einem Vitamin K Antagonisten (VKA, Phenprocoumon/Marcumar®) indiziert. Bei einer solchen Therapie ist ein Ziel INR 2.0-3.0 zu erreichen. Dies muss regelmässig, mindestens monatlich, kontrolliert werden, sodass das Blutungsrisiko nicht deutlich erhöht ist. Bei allen Patienten sollte eine Bestimmung des Hirnschlag-Risikos mittels des CHA2DS2-VASc-Score sowie des Blutungs-Risikos mittels des HAS-BLED Score erfolgen. Der Beginn einer oralen Antikoagulation nach Hirnschlag richtet sich nach der Grösse des Infarktareals und dem Stroke-Risiko (CHA2DS2-VASc-Score). Die Entscheidung für den optimalen Beginn der oralen Antikoagulation bleibt jedoch immer eine individuelle Entscheidung, könnte aber auf der Basis der 1-3-6-12 Tage-Regel eingesetzt werden: 1=TIA, 3=Minor Stroke, 6=Moderate Stroke, 12=Severe Stroke. Eine besondere Form eines kardio-embolischen Hirnschlags ist die paradoxe Embolie bei offenen Foramen ovale (PFO). Hier ist es wichtig zu beurteilen, ob eine medikamentöse prophylaktische Therapie oder ein PFO-Verschluss zu empfehlen ist (1, 11).

Mikroangiopathie

Bei mikroangiopathisch-bedingten Hirnschlägen ist nebst der sekundärprophylaktischen Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmung auch die Korrektur der zugrundeliegenden kardiovaskulären Risiko-Faktoren, vor allem Blutglukose und Blutdruck, entscheidend. Bezüglich der Blutglukose ist bei einem Schlaganfall weder eine Hyperglykämie noch eine Hypoglykämie zu tolerieren, da beides mit einem schlechteren Ergebnis verbunden ist. Eine Behandlung ist mit oralen, oder in der Akutphase parenteralen Massnahmen zu implementieren. Hinsichtlich des Blutdrucks in den ersten 24-48 Stunden seit Symptombeginn und in Abwesenheit von Endorganschädigung, sind hypertensive systolische Blutdruck-Werte bis 220/120mmHg ohne, 185/100mmHg mit Thrombolyse, noch zu tolerieren. Nach den ersten 24-72 Stunden ist graduell eine anti-hypertensive Behandlung, mit dem Ziel systolisch <140mmHg und diastolisch <90mmHg, einzuleiten (12,  13).

Abkürzungen:
ABCD2: Age ≥ 60 years, BP ≥ 140/90 mmHg, Clinical features,
Duration of symptoms, History of Diabetes
ADC: Apparent Diffusion Coefficient
ASS: Acetylsalicylsäure
CHA2DS2-VASc: Congestive heart failure, Hypertension, Age>=75, Diabetes Mellitus, prior Stroke or TIA or Thromboembolism, Vascular disease, Age 65-74, Sex Category – female
CT: Computed Tomography
DOAK: Direkte Orale Antikoagulanzien
DWI: Diffusion Weighted Imaging
FLAIR: Fluid-Attenuated Inversion Recovery
HAS-BLED: Hypertension, Abnormal renal and liver function, Stroke, Bleeding, Labile INR, Elderly, Drugs or alcohol
INR: International Normalized Ratio
MRI: Magnetic Resonance Imaging
NIHSS: National Institutes of Health Stroke Scale
PFO: Patent foramen ovale
rtPA: recombinant tissue Plasminogen Activator
SWI: Susceptibility Weighted Imaging
TIA: Transient Ischemic Attack
VHF: Vorhofflimmern

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

MMed, MScSymeon Nikolaos Avramiotis

Universitätsspital Basel
Neurologie, Stroke Center
Petersgraben 4
4031 Basel

Prof. Dr. med. Philippe Lyrer

Universitätsspital Basel
Neurologie, Stroke Center
Petersgraben 4
4031 Basel

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Kägi Georg, Schurter David, Niederhäuser Julien, De Marchis Gian Marco, Engelter Stefan, Arni Patrick, Nyenhuis Olivier, Imboden Paul, Bonvin Christophe, Luft Andreas, Renaud Susanne, Nedeltchev Krassen, Carrera Emmanuel, Cereda Carlo, Fischer Urs, Arnold Marcel, Michel Patrik. Prähospitalphase beim akuten Hirnschlag Swiss Med Forum. 2021;21(1920):322-328
2. Powers WJ, Rabinstein AA, Ackerson T, Adeoye OM, Bambakidis NC, Becker K, Biller J, Brown M, Demaerschalk BM, Hoh B, Jauch EC, Kidwell CS, Leslie-Mazwi TM, Ovbiagele B, Scott PA, Sheth KN, Southerland AM, Summers DV, Tirschwell DL. Guidelines for the Early Management of Patients With Acute Ischemic Stroke: 2019 Update to the 2018 Guidelines for the Early Management of Acute Ischemic Stroke: A Guideline for Healthcare Professionals From the American Heart Association/American Stroke Association. Stroke. 2019 Dec;50(12):e344-e418. doi: 10.1161/STR.0000000000000211. Epub 2019 Oct 30. Erratum in: Stroke. 2019 Dec;50(12): e440-e441. PMID: 31662037.
3. Kurzlehrbuch Neurologie. Mattle H, Fischer U, Hrsg. 5., überarbeitete Auflage. Stuttgart: Thieme; 2021. doi:10.1055/b000000093
4. Neurologie compact. Hufschmidt A, Lücking C, Rauer S, Glocker F, Hrsg. 8., unveränderte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2020. doi:10.1055/b-007-170972
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6. Turc G, Bhogal P, Fischer U, et al. European Stroke Organisation (ESO) – European Society for Minimally Invasive Neurological Therapy (ESMINT) Guidelines on Mechanical Thrombectomy in Acute Ischaemic StrokeEndorsed by Stroke Alliance for Europe (SAFE). European Stroke Journal. 2019;4(1):6-12. doi:10.1177/2396987319832140
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10. Ahmed N, Audebert H, Turc G, Cordonnier C, Christensen H, Sacco S, Sandset EC, Ntaios G, Charidimou A, Toni D, Pristipino C, Köhrmann M, Kuramatsu JB, Thomalla G, Mikulik R, Ford GA, Martí-Fàbregas J, Fischer U, Thoren M, Lundström E, Rinkel GJ, van der Worp HB, Matusevicius M, Tsivgoulis G, Milionis H, Rubiera M, Hart R, Moreira T, Lantz M, Sjöstrand C, Andersen G, Schellinger P, Kostulas K, Sunnerhagen KS, Keselman B, Korompoki E, Purrucker J, Khatri P, Whiteley W, Berge E, Mazya M, Dippel DW, Mustanoja S, Rasmussen M, Söderqvist ÅK, Escudero-Martínez I, Steiner T. Consensus statements and recommendations from the ESO-Karolinska Stroke Update Conference, Stockholm 11-13 November 2018. Eur Stroke J. 2019 Dec;4(4):307-317. doi: 10.1177/2396987319863606. Epub 2019 Sep 2. PMID: 31903429; PMCID: PMC6921948.
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14. Sandset EC, Anderson CS, Bath PM, et al. European Stroke Organisation (ESO) guidelines on blood pressure management in acute ischaemic stroke and intracerebral haemorrhage. European Stroke Journal. 2021;6(2):XLVIII-LXXXIX. doi:10.1177/2396987321101213314

Update CAR-T-Zellen – welches CAR-Produkt für wen?

In diesem Artikel wird der aktuelle Stand der CAR-T-Zelltherapie im klinischen Alltag erörtert, wobei neben dem Einsatz bei hämatologischen Malignomen auch das Potenzial für breitere Anwendungen betrachtet werden soll. Hintergrund ist der zunehmende Einsatz von modifizierten Immunzelltherapien (ICT) in der klinischen Praxis und der Bedarf an weiterer Forschung zur Optimierung und Ausweitung ihres Einsatzes.

This article discusses the current status of CAR-T cell therapy in clinical practice, looking at its potential for broader applications in addition to its use in hematologic malignancies. The background is the increasing use of modified immune cell therapies (ICT) in clinical practice and the need for further research to optimize and expand their use.
Key Words: CAR-T-cells, maamtological nmalignancies, genetically modified immune cells.

CAR-T-Zellen im klinischen Alltag

Zelluläre Immuntherapien haben mittlerweile Eingang in die klinische Routine gefunden (1-3). Als «lebende genetisch veränderte Therapieform» können modifizierte Immunzelltherapien (ICT) in unterschiedlichen Krankheitsentitäten eingesetzt werden (4,5). Derzeit laufen zahlreiche präklinische und klinische Studien mit dem Ziel, verschiedene Strategien zur Veränderung von Immunzellen nicht nur für onkologische Indikationen, sondern auch für entzündliche und Infektionskrankheiten zu entwickeln (6-9).

T-Zellen, die gentechnisch so verändert wurden, dass sie mit Hilfe eines Chimären Antigenrezeptors (CAR) gegen Tumoroberflächenstrukturen gerichtet werden können, haben sich als ein grosser Erfolg in der Behandlung von hämatologischen Malignomen erwiesen (10). In den letzten vier Jahren hat Swissmedic sechs verschiedene CAR-T-Zell Konstrukte in der Schweiz zugelassen (Abb. 1).

Hierbei handelt es sich um eine CAR-T-Zell Therapie für hämatologische Malignome wie refraktäre oder rezidivierende (r/r) akute lymphatische Leukämien der B-Zell Reihe (r/r B-ALL), diffuses grosszelliges B-Zell-Lymphom (DLBCL), follikuläres Lymphom (FL), Mantelzell-Lymphom (MCL) und seit Kürzerem auch das Multiple Myelom (MM). Derzeit laufen zahlreiche klinische Studien, in welchen verschiedene Strategien mit dem Ziel untersucht werden, diese zellulären therapeutischen Anwendungen zu verbessern. Es werden grosse Anstrengungen unternommen, um Abläufe und CAR-T-Zell Konstrukte zu optimieren, welche bereits aus der erfolgreichen CAR-T-Zell-Behandlung von hämatologischen Tumorerkrankungen implementiert wurden. Das Ziel besteht darin, CAR-T-Zellen so anzupassen und zu nutzen, um die Anwendung auf solide Tumorarten und nicht-bösartige Erkrankungen, insbesondere lebensbedrohliche systemische Autoimmunerkrankungen, auszuweiten (12).

Das übergeordnete Ziel, eine grössere Anzahl von Patienten von diesen neuartigen zellulären Therapieformen profitieren zu lassen, indem der Zugang zu dieser Behandlungsoption verbessert wird, bleibt bestehen. Im Januar 2019, nur kurz nach erfolgter Zulassung von Swissmedic, fand am Inselspital als erstem Standort in der Schweiz die erste Infusion von CAR-T- Zellen statt. Dies bei einer jungen erwachsenen Patientin mit (r/r) B-ALL. Seither wurden in der Schweiz mehr als 332 Patient/-innen mit verschiedenen Indikationen wie Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), ALL und MM behandelt. 2023 erhielten in der Schweiz 174 Patient/-innen in total 10 Zentren eine CAR-T-Zelltherapie, mit 54 am meisten im Inselspital.

Update anti-CD19 gerichtete CAR-T-Zellen

Die erste Zulassung von Swissmedic für CAR-T-Zellen erhielt Tisa-cel (Kymriah®) für B-ALL bei Kindern und jüngeren Erwachsenen (vor dem vollendeten 25. Altersjahr). Die hierfür zugrunde liegende Phase II Studie (ELIANA-trial) bestätigte vor kurzem in einem 3-Jahres-Update, dass Tisa-cel weiterhin eine kurative Behandlungsoption darstellt. Dies mit einem Gesamtüberleben von 63% nach 3 Jahren bei dieser stark vorbehandelten Patienten-Population von pädiatrischen und jungen Erwachsenen mit r/r B-ALL (13, 14).

Kurz nach der Veröffentlichung des ELIANA-trials für B-ALL folgten weitere wegweisende Studien für CAR-T-Zellen (Tisa-cel – JULIET Studie und Axi-cel – ZUMA-1-Studie) zur Behandlung von grosszelligen B-Zell-Lymphomen (DLBCL) bei Erwachsenen nach mehr als 2 Therapie-Linien. Im Mai dieses Jahres wurde ein 5-Jahres-Follow-up der ZUMA-1 Studie veröffentlicht. Dabei konnte ein 5-Jahres-Gesamt-Überleben von 42.6% festgehalten werden. Das mediane Gesamtüberleben in der Patienten-Gruppe mit einer kompletten Remission (CR) wurde auch nach 5 Jahren noch nicht erreicht (3, 15). Diese Daten untermauern das Heilungspotential von Axi-cel bei Erwachsenen mit stark vorbehandelten grosszelligen B-Zell-Lymphomen (DLBCL).

Aufgrund des grossen Erfolges hat man weitere klinische Studien durchgeführt, mit dem Ziel CAR-T-Zellen gegen die Standardtherapie in der 2. Therapielinie (Hochdosis-Chemotherapie mit anschliessender autologer Stammzelltransplantation – HDCT/ASZT) zu vergleichen. Es wurden nur Patienten zugelassen, bei welchen ein Rezidiv des DLBCL innerhalb eines Jahres diagnostiziert wurde oder Patienten, die bereits primär refraktär auf die initiale Therapie waren. Zu der entsprechenden Phase 3 Studie für Axi-cel (ZUMA-7) wurden kürzlich Gesamtüberlebensdaten präsentiert. Dabei konnte eine 27.4% Reduktion des Risikos zu versterben in der CAR-T-Zellgruppe (Axi-cel) im Vergleich zur Kontrollgruppe (HD/ASZT) festgehalten werden (HR 0.73). Weiter wurde über einen Gesamtüberlebensvorteil von 8.6% berichtet (16, 17). In der kürzlich veröffentlichten ALYCANTE Studie (Phase II, multi-center, single-arm) wurden Patienten untersucht, welche zwar primär refraktär oder ein Rezidiv des DLBCL innerhalb eines Jahres hatten, jedoch nicht für eine HDCT/ASZT qualifizierten. Auch in dieser Patienten-Population wurde der primäre Endpunkt einer kompletten metabolischen Remission nach 3 Monaten erreicht. Das Progressionsfreie Überleben (PFS) belief sich auf 11,8 Monate und das mediane Gesamtüberleben wurde nicht erreicht (18). Diese Daten in dieser Patientenpopulation, welche eine sehr tiefe Heilungschance aufweisen, lassen doch aufhorchen. Auch wenn direkte Studienvergleiche nicht möglich sind, konnten Daten aus der TRANSFORM Studie, welche derselben Fragestellung nachging wie ZUMA-7 (2. Line bei r/r DLBCL) bis anhin ähnliche Resultate (ORR, Overall Response Rate und CR, Complete Response, Raten) mit dem CAR T Produkt Liso-cel liefern (19, 20). Ein Unterschied und Diskussionspunkt zwischen TRANSFORM und ZUMA-7 ist die Möglichkeit des Crossovers. Crossover von Patienten war nur in der TRANSFORM Studie möglich. Während die Studien ZUMA-7 (für Axi-cel) und TRANSFORM (für Liso-cel) ihre Endpunkte erreichten, konnte dies in der BELINDA Studie mit Tisa-cel (Kymriah®) nicht erreicht werden (21).

Zusammenfassend konnte damit gezeigt werden, dass fitte Patienten mit einer primär refraktären DLBCL Erkrankung oder einem Rezidiv eines DLBCL innerhalb eines Jahres nun primär mit den CAR-T-Zell Produkten Axi-cel und Liso-cel behandelt werden sollten. Falls es sich um weniger fitte Patienten handelt, muss Axi-cel oder eine alternative Behandlung beispielsweise mit einem bispezifischen Antikörper evaluiert werden (20).

Update anti-BCMA gerichtete CAR-T-Zellen

Seit Mai 2022 ist in der Schweiz Ide-cel (Abecma®) zur Behandlung des rezidivierten, refraktären Multiplen Myeloms nach mindestens 3 Vortherapien verfügbar. Auf Grund der initial limitierten Therapieslots wurden die Slots für alle Patienten im Rahmen eines nationalen Tumorboards vergeben (SBST-MM-CAR-T-Board) (22). Seit Juli 2023 stehen nun genügend Therapieslots zur Verfügung, sodass eine vorgängige Besprechung am nationalen Board nicht mehr notwendig ist. Die kürzlich am ASH gezeigten Daten zur Behandlung mit Ide-cel bestätigen einen PFS Vorteil gegenüber einer Standardbehandlung mit einem PFS von 13.8 Monaten im Vergleich zu 4.4 Monaten (HR 0.49), jedoch konnte bis anhin keine signifikante Verbesserung des overall survivals gezeigt werden (OS in beiden Gruppe noch nicht erreicht, HR 0.83) (23).
Die Therapie mit Cilta-cel (Carvikty®) ist von Swissmedic zwar zugelassen, aber in der Schweiz bis anhin noch nicht verfügbar. In der CARTITUDE-4 Studie konnte für Cilta-cel ein PFS Benefit gegenüber der Standardbehandlung (Pomalidomid, Bortezomib und Dexamethason oder Daratumumab, Pomalidomid und Dexamethason) gezeigt werden (noch nicht erreicht vs. 11,8 Monate, HR 0.26) (24). In der CARTITUDE-1 Studie wurde kürzlich ein eindrückliches PFS von 34,9 Monaten publiziert (25). Auch für Cilta-cel gibt es jedoch bis anhin keine Daten, die eine signifikante Verbesserung des overall survivals zeigen würden (25).

Beide CAR-T-Produkte konnten zudem – im Gegensatz zu den Erfahrungen mit CARs bei der Behandlung von Lymphomen – kein kuratives Potential zeigen. Die CAR-Produkte stehen daher sicherlich in grosser Konkurrenz zu den ebenso zwischenzeitlich verfügbaren bispezifischen Antikörpern. Für die Zukunft ist eine weitere Verbesserung der CARs für die Behandlung von Multiplen Myelomen sicherlich zu erhoffen.

Ausblick

Autologe CAR-T-Zellen haben ihre Berechtigung bei hämatologischen Erkrankungen bewiesen. Das Feld hat sich in den letzten 5 Jahren rasant entwickelt. Es stellt sich die Frage, ob in Zukunft noch weitere Indikationen auch bei soliden Tumoren oder bei inflammatorischen Systemerkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis dazukommen (26, 27). Zudem ist die Anwendung von allogen-generierten «allo-CAR T Zellen» noch nicht geklärt. Es macht den Anschein, dass noch weitere Optimierungsschritte auf diesem Weg benötigt werden.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo

Dr. med. Marc Wehrli

Inselspital, Universitätsspital Bern,
Universitätsklinik für Medizinische Onkologie,
Lory-Haus
Freiburgstrasse 41
3010 Bern

Dr. med. Barbara Jeker

Inselspital
Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Medizinische Onkologie
Loryhaus
3010 Bern

PD Dr. med. Urban Novak

Inselspital
Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Medizinische Onkologie
Loryhaus
3010 Bern

urban.novak@insel.ch

Die Autoren erklären, keine Interessenkonflikte zu haben.

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2. Jacobson CA, Hunter BD, Redd R, et al. Axicabtagene Ciloleucel in the Non-Trial Setting: Outcomes and Correlates of Response, Resistance, and Toxicity. J Clin Oncol 2020;38(27):3095-106. doi: 10.1200/JCO.19.02103 [published Online First: 20200715]
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Pollenallergie: Pharmakologische und spezifische Therapie

Die Therapieoptionen bei Pollenallergie werden auf der Grundlage von Kosten-Nutzen- und Kosten-Wirksamkeits-Analysen bewertet. Die Behandlung der Pollenallergie sieht zunächst, soweit möglich, die Vermeidung einer starken Pollenexposition und eine wirksame medikamentöse Therapie mit weniger Nebenwirkungen vor. Bei fortbestehenden Symptomen soll eine allergenspezifische Immuntherapie (ASIT) in Betracht gezogen werden, die derzeit die einzige kausale Therapie mit guten Ansprechraten ist. Der Erfolg der ASIT hängt letztlich von der richtigen Auswahl des Patienten, der Wahl des Extrakts und geeigneter Therapieschemata durch mehrjährige oder kurzfristige Verabreichung sowie dem Management des Patienten ab. Ziel muss es sein, die Symptome zu reduzieren und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Während im ersten Teil dieses Artikels die Pathogenese, die Epidemiologie, die Klinik und Diagnostik thematisiert wurden, geht es in diesem zweiten Teil um die Behandlung der Pollenallergie.

The pollen allergy therapy options are assessed on the basis of cost-benefit and cost-effectiveness analyses. As far as possible the treatment of pollen allergy initially provides for the avoidance of a strong pollen exposition and an effective drug therapy with fewer side effects. If symptoms persist an allergen-specific immunotherapy (ASIT) should be considered, which is currently the only causal therapy with good response rates. The success of the ASIT, ultimately, depends on the correct selection of the patient, the choice of the extract and suitable therapy schemes through perennial or short-term administration as well as the management of the patient. The aim must be to reduce the symptoms and improve the patient’s quality of life. While the first part of this article focused on the pathogenesis, epidemiology, clinic and diagnostics, this second part deals with the treatment of pollen allergy.
Key Words: Hay fever, pollen allergy, pharmacological treatments, allergen-specific immunotherapy

Behandlung der Rhinokonjunktivitis pollinosa

Die therapeutische Strategie muss einerseits auf die Verbesserung der Lebensqualität des Patienten und die Möglichkeit der Prävention einer pollenabhängigen Symptomatik ausgerichtet sein, mit dem Ziel, den spezifischen Allergenkontakt oder etwaige unspezifische Reizfaktoren möglichst vermeiden zu können, andererseits muss sie sich auf eine adäquate medikamentöse Behandlung oder gegebenenfalls eine allergen-spezifische Immuntherapie stützen. Im Vordergrund der medikamentösen Therapie steht die Bekämpfung der allergischen Entzündung, um die mögliche Entwicklung von Komplikationen zu verhindern, d.h. Risiko für Rhinosinusitis oder Otitis oder Etagenwechsel mit Befall der unteren Atemwege (14). Die rezidivierende, zunächst isolierte pollenabhängige Konjunktivitis ist häufig das erste Warnzeichen eines Etagenwechsels, weshalb eine allergologische Abklärung schon in dieser Phase indiziert ist (Abb. 1)

Umweltprävention und Allergenkarenz

Die Vorbeugung einer Pollinosis ist sicherlich schwierig. Es empfiehlt sich, möglichst auf Ausflüge ins Grüne zu verzichten, insbesondere an sonnigen und windigen Tagen, lange draussen zu bleiben und bei offenem Fenster zu schlafen. Urlaub sollte man besser im Hochgebirge verbringen oder am Meer. Empfehlenswert wäre auch der Einbau geeigneter Filter im Auto sowie die Beseitigung der Pollenbelastung durch tägliches Haarewaschen. Dazu sollte immer eine häufige und reichliche Nasenspülung mit Kochsalzlösung empfohlen werden, um die Entfernung von Allergenen, Reizstoffen und insbesondere von überschüssigem Schleim zu erleichtern. Als Nützliches über die Information des Pollenfluges hat sich die Konsultation von verschieden Internet-Plattformen in Kooperation mit MeteoSuisse bewährt, unter Berücksichtigung der Zeitperioden des allergenen Pollenfluges (www.pollenundallergie.ch).

Medikamentöse Therapie

Es gibt eine Vielzahl von Medikamenten, die zur Behandlung und Kontrolle der verschiedenen Symptome geeignet sind. Ihre Wahl richtet sich nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis und der Verbesserung der Lebensqualität des Patienten.

Antihistaminika

Antihistaminika sind die erste therapeutische Wahl, da sie den Hauptmediator des allergischen Prozesses (Histamin) daran hindern, an seinen Rezeptor zu binden. Es gibt eine erste und zweite Generation von Antihistaminika. Antihistaminika der ersten Generation sind für den H1-Rezeptor schlecht selektiv und weisen eine Affinität zu anderen Rezeptoren wie serotonergen, cholinergen und alpha-adrenergen Rezeptoren auf. Dabei kann, je nach individuellem Ansprechen, eine Vielzahl von Nebenwirkungen auftreten, wie Mundtrockenheit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung, Anorexie, Pollakisurie, Dysurie, Harnverhalt und Appetitanregung. Dank Entwicklung von Antihistaminika der zweiten Generation wurde dieses Problem umgangen, wobei selbst die sedierende Wirkung praktisch nicht mehr vorhanden war. Es handelt sich, nach chronologischer Reihenfolge ihrer kommerziellen Einfuhr, um Terfenadin, Cetirizin, Desloratadin, Fexofenadin, Levocetirizin, Loratadin und zuletzt Bilastin. Das letztere hat sich bei der Behandlung von Rhinokonjunktivitis und Urtikaria als hochwirksam erwiesen und dank seiner ausgezeichneten Verträglichkeitsrate nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern zwischen 2-11 Jahren sehr gut bewährt (15). Die Antihistaminikawahl sollte sich an der persönlichen Erfahrung des Patienten orientieren. Es ist wichtig, dem Patienten zu erklären, dass er das Antihistaminikum während der gesamten Pollensaison als prophylaktische Therapie einnehmen muss, um dem Medikament zu ermöglichen, die H1-Rezeptoren zu sättigen und so zu verhindern, dass sich Histamin nach der Freisetzung an diese bindet. Es ist auch von zentraler Bedeutung, diesen wichtigen Zusammenhang den Müttern/Vätern betroffener Kinder gut zu erklären, da diese häufig abgeneigt sind, ihren Kindern Medikamente wie Antihistaminika (nur Chemie!) zu geben.

Steroide

Intranasale Kortikosteroide sind entzündungshemmende Medikamente, welche in Kombination mit Antihistaminika zu einem besseren klinischen Resultat führen. Sie sind in der Lage, die Anzahl antigenpräsentierender Zellen zu reduzieren und die Freisetzung von Zytokinen und Chemokinen zu hemmen sowie das Infiltrat von Entzündungszellen deutlich zu verringern (16). Die klinische Wirksamkeit der eingesetzten lokalen Kortisonpräparate ist seit langem belegt. Auf dem Markt sind verschiedene nasale Steroide erhältlich: Mometasonfuroat, Beclometasondipropionat, Flunisolid, Triamcinolon, Budesonid, Fluticasonpropionat, deren Wirksamkeit von Präparat zu Präparat variiert. Pharmakologisch wird die maximale Wirksamkeit nach einer Mindestanwendungszeit von ein bis zwei Wochen erreicht. Dies unterstreicht, dass es sich nicht darum handelt, diese Medikamente nach Bedarf zu verwenden, sondern sie kontinuierlich, auch in Zyklen, zu benutzen. Nasale Kortikosteroide sind gut verträglich, weshalb systemische Nebenwirkungen, besonders bei saisonaler Anwendung, kaum zu befürchten sind. Brennende, trockene Schleimhäute beruhen meist auf einer falschen Anwendung des Präparates.

Alternative Präparate

Anticholinergika wie Ipratropiumbromid werden bei vasomotorischer Rhinitis und bei anderen Formen der Rhinitis, die durch eine ausgeprägte sekretorische Komponente gekennzeichnet sind, eingesetzt und wirken folglich nicht auf die anderen Symptome der allergischen Rhinitis wie Juckreiz und Niesen.

Nasale Dekongestionsmittel (z.B. Otrivin®: Xylometazolin) wirken, indem sie eine schnelle, aber vorübergehende Behebung der nasalen Obstruktion durch kapillare Vasokonstriktion via α-adrenerge Rezeptoren bewirken. Ihr längerer Gebrauch kann zu einer reaktiven und anhaltenden Hyperämie der Nasenschleimhaut führen. Systemische Nebenwirkungen auf das Herz-Kreislauf-System aufgrund einer systemischen Aufnahme des Arzneimittels über die Schleimhaut sind häufig, besonders bei Kleinkindern, bei welchen aufgrund möglicher Nebenwirkungen wie Zittern, Schlaflosigkeit und Tachykardie die Anwendung dieser abschwellenden Mittel nicht empfohlen wird.

Chromone hemmen die Mastzellfreisetzung von Histamin und anderen Mediatoren und werden als Mastzellstabilisatoren bezeichnet. Es gibt reine Präparate in Tropfenform oder in Kombination mit Antihistaminika-H1 (Tab. 1). Sie sind weniger wirksam als Antihistaminika und typische Steroide und haben eine durchschnittliche Wirkung von 2 bis max 4 Stunden, wobei sie eine höhere tägliche Verabreichung erfordern. Antileukotriene (z.B. Singulair®: Montelukast) haben sich bei der Behandlung von Asthma und allergischer Rhinitis als besonders wirksam erwiesen. Wenn sie in Kombination mit Antihistaminika der zweiten Generation angewendet werden, kann das klinische Ergebnis bei Rhinitis in den ersten 24 Stunden verbessert werden (17). Als weitere Therapieansätze kommen Präparate mit Pestwurzblättern (Tesalin®) in Frage, die antiallergisch und antiinflammatorisch wirken. Zu Therapiealternativen gehören Bioresonanz, Homöopathie und Akupunktur, die zwar subjektiv teilweise positive Aspekte zeigen, aber wegen fehlender wissenschaftlicher Studien keine weltweite Akzeptanz haben.

Die allergen-spezifische Immuntherapie (ASIT)

Die Allergen-spezifische Immuntherapie (ASIT), wurde im Jahre 1911 von Noon und Freeman empirisch zur Behandlung der Pollinose eingeführt. Sie besteht darin, dem Patienten steigende Dosen eines Allergens zu verabreichen, auf das er sensibilisiert ist. Eine AIST sollte erwogen werden bei Patienten, die für eine pharmakologische Therapie ungenügend qualifizieren sowie um einen Etagenwechsel zu verhindern oder zu minimieren (18). Die ASIT reduziert nachweislich die allergischen Symptome, verbessert die Lebensqualität und reduziert die erforderliche Pharmakotherapie (19). Eine hohe Chance für eine erfolgreiche ASIT besteht bei nachgewiesener IgE-vermittelter Sensibilisierung auf Majorallergene und beruht somit auf der Wahl von geeigneten Allergenextrakten und Therapieschemen sowie auf der Compliance, d.h. auf der richtigen Selektion und Führung des Patienten.

Der Einsatz von rekombinanten Pollenallergenen in der Diagnostik hat bei der ASIT bessere Therapieerfolge ermöglicht. Tatsächlich hat sich bei Patienten mit einer Sensibilisierung für Majorallergene wie Bet v 1 bei Birken oder r Phl p 1, rPhl p 5 bei Gräsern die spezifische Immuntherapie als sehr wirksam erwiesen (Abb. 2 – siehe auch Tab. 1 und Tab. 2 im ersten Teil dieser Arbeit in «der informierte arzt» 02/22, S. 22). Auch die Modalität der Durchführung der ASIT, ob subkutan oder sublingual, sollte sorgfältig abgewogen werden, da die Kosten der Pollenpräparate in Tabletten-Form höher sind. Bei einer 3-jährigen perennialen Behandlung betragen die Gesamtkosten 5303 Franken bei der SLIT (sublinguale Immuntherapie) und 4077 Franken bei der SCIT (subkutane Immuntherapie) (20). Die ASIT sollte in der allergenfreien Saison begonnen werden.

Subkutane Immuntherapie

Die Behandlung kann prä- und cosaisonal sowie ganzjährig durchgeführt werden. Die SCIT beginnt immer zwischen 3-4 Monaten vor Start des Pollenflugs, damit baldmöglichst die Erhaltungsdosis erreicht werden kann. Vor der Therapie wird der Patient auf die wichtigsten Massnahmen hingewiesen. Vor jeder Injektion ist es empfohlen, ein Antihistaminikum einzunehmen (bei ausgeprägter Sensibilisierung sogar 1 Tabl. am Vorabend und 1 Tabl. am Tag der Behandlung). Die Injektion erfolgt subkutan am Oberarm, eine Handbreite oberhalb des Olecranon. Je nach Sensibilisierungsspektrum dürfen gleichzeitig zwei Allergen-Extrakte am Oberarm rechts bzw. links verabreicht werden. Für die «Schritt-für-Schritt-Anleitung» verweisen wir auf die CK-Care-Massnahmen (www.ck-care.ch). Nach der Injektion soll der Patient Jeweils 30 Minuten lang in der Arztpraxis zur Beobachtung warten. Häufig treten lokale Reaktionen auf, welche sich mit einem topischen Kortison oder einfach mit einem Antihistaminikum typischerweise komplett zurückbilden. Der Patient soll auch über Verhaltensmassnahmen bei iatrogenen Nebenwirkungen informiert werden: Da infolge der langsamen Freisetzung der Allerge aus den Extrakten innerhalb von 24 Stunden allergische Symptome auftreten können, sollte jeder Patient ein Notfall-Set mit insgesamt 4 Tabletten (2 Antihistaminika, z.B. 10 mg Cetirizin, und 2 Kortisonstabletten, z.B. 50 mg Prednisolon) erhalten. Im Falle von Prodromi einer anyphylaktischen Reaktion (Juckreiz an Kopfhaut und Fusssohlen, Übelkeit, Erbrechen, Drehschwindel, verschwommenes Sehen) soll der Patient sofort alle 4 Pillen einnehmen und so schnell wie möglich den Notfallarzt aufsuchen. Falls Atemnot dazukommt, muss unverzüglich ein Adrenalin-Autoinjektor (z.B. EpiPen®) verwendet werden.

Ein grosses Spektrum von Halbdepot- (z.B. Alutard SQ®) sowie Allergoide-Präparaten (Allergovit® und Polvac®) steht zur Verfügung. Die Wirksamkeit der ganzjährig durchgeführten Applikation der Allergen-Extrakte ist seit vielen Jahren gut belegt (21), weshalb sie in den Arztpraxen als erste Wahl noch angewendet werden. Allergoide sind vorteilhafter bei Patienten, die eine «schnelle» und dennoch gleichbleibende «Therapieeffizienz» verlangen. Eine solche Kurzzeittherapie sieht ein präsaisonal progressiv steigendes Aufdosierungsschema vor, mit der schwächsten Dosis zu Beginn und der stärksten Menge vor der Allergen-Saison.

Bei Allergovit® fängt man mit der niedrigsten Dosis der schwächsten Konzentration (Stärke A) an und fährt in der Steigerungsphase mit der stärksten Konzentration (Stärke B) weiter. In der Einleitungsbehandlung muss die Dosis im Abstand von 7-14 Tagen gesteigert werden. Falls der Abstand mehr als ein paar Wochen beträgt, muss man die Dosis anpassen, d.h. bei Abstand > 2 Wochen auf 50% reduzieren oder bei Abstand > 4 Wochen wieder von vorne beginnen. Nach Erreichen der Höchstdosis (0,6 ml mit der Stärke B) erfolgen drei Injektionsintervalle von 5 Wochen je bis ca. 1 Woche vor der erwarteten Pollenflugsaison.

Bei Polvac® (Bäume oder Gräser/Roggen) besteht die Basisbehandlung in 3 Injektionen, welche in Abständen von mindestens 7, höchstens jedoch 14 Tagen in steigender Dosierung (erst Spritze Nr. 1, dann Spritze Nr. 2, dann Spritze Nr. 3) zu verabreichen sind. Zur Konsolidierung des Therapieerfolgs sollte direkt im Anschluss an die Basisbehandlung eine präsaisonale Fortsetzungsbehandlung mit 3 Spritzen Nr. 3 (Höchstdosis) durchgeführt werden. Die 1. Injektion der Fortsetzungsbehandlung erfolgt etwa 14 Tage nach der letzten Injektion der Basisbehandlung. Die weiteren 2 Injektionen erfolgen dann in je 2- bis 4-wöchigem Abstand. Im Unterschied zu Allergovit® und anderen Allergen-Extrakten enthält Polvac® als Depotträger kein Aluminiumhydroxyd, sondern Glutaraldehyd/L-Tyrosin, welches vollständig metabolisiert wird und zu keiner Granulombildung führt. Im Allgemeinen müssen Patienten mit Komorbiditäten (kardiovaskuläre Erkrankung, unkontrolliertes Asthma), die ihre Überlebenswahrscheinlichkeit nach einer systemischen Reaktion oder Behandlung einer solchen verringern würden, darauf verzichten, sich einer ASIT zu unterzuziehen (22).

Sublinguale Immuntherapie

Studien haben gezeigt, dass der Wirkmechanismus der SLIT und SCIT vergleichbar ist (23). Bei Verabreichung hoher Dosen werden Immunoglobuline IgG4 in signifikanten Mengen produziert, die als blockierende Antikörper gegen die Aktivierung und Degranulation von Effektorzellen (Mastzellen, Basophile) wirken und deren Wirksamkeit nach Absetzen der Behandlung bestehen bleibt (24), wohingegen in Studien, in denen niedrige SLIT-Dosen verwendet wurden, dies nicht der Fall war. Die häufigsten Nebenwirkungen der SLIT sind lokale Reaktionen des Oropharyngealtrakts (Pruritus, Schwellung im Mundbereich), gefolgt von gastrointestinalen Symptomen (Erbrechen und Durchfall), während systemische Reaktionen wie Urtikaria oder anaphylaktische Reaktionen eher selten sind (25). Spezifische Kontraindikationen für eine SLIT sind Verletzungen oder chirurgische Eingriffe in der Mundhöhle, akute Gastroenteritis, eosinophile Ösophagitis, schwere systemische Reaktionen auf irgendeine Form der Immuntherapie, schwere lokale Reaktionen auf die SLIT oder Überempfindlichkeit gegenüber einer der inaktiven Zutaten der Zubereitung (26). Warum hat sich die SLIT im Laufe der Jahre progressiv durchgesetzt? Obwohl klare Schlussfolgerungen aus dem direkten Vergleich zwischen SLIT und SCIT aufgrund der Heterogenität der Studiendesigns und der geringen Anzahl rekrutierter Patienten schwierig zu ziehen waren (20), haben die einfache Anwendung der SLIT sowie immer mehr neue Sicherheitsstudien (27-29) zu einem grösseren Publikumsinteresse geführt. Dazu beigetragen haben auch das minimale Risiko der SLIT und die Möglichkeit, Kinder schonend, unter Vermeidung jeglicher Traumatisierung behandeln zu können. Die SLIT sieht die Applikation des Allergens in Tropfen- oder Tablettenform und ca. 3 Monate vor der Pollensaison vor. Unabhängig vom Präparat erfolgt die Erstdosis unter ärztlicher Aufsicht (mit Vorzug bei einem Spezialisten in Allergologie) und der Patient wird für ca. eine Stunde klinisch monitoriert. Für die weitere Behandlung kann der Patient die orale Therapie problemlos zuhause einnehmen. Falls zwischenzeitlich Nebenwirkungen dazugekommen sind, muss sich der Patient erneut vorstellen, ansonsten erfolgen nur Routinekontrollen (nach einem Monat und zu Beginn der Pollensaison). Grazax® (ALK-Abelló, Volketswil) ist als «Gräsertablette» seit 2009 auf dem Schweizer Markt für Patienten ab dem 5. Lebensjahr zugelassen. Es handelt sich um einen Extrakt aus Lieschgras (Phleum pratense), formuliert in einer einzigen Formel von 75 000 SQ-T-Einheiten. Die Einnahme erfolgt täglich morgens unter die Zunge, wo sich die Tablette auflöst. Nach der Einnahme muss der Patient für ca. 5 Minuten auf Essen und Trinken verzichten. Die Behandlung fängt mindestens 8 Wochen vor der Gläserpollen-Saison bis Saisonende an. Bei Oralair® (Stallergènes, AG Dietikon) handelt es sich um eine Sublingualtablette aus 5 Gräserpollen (Knäuelgras, Dactilys glomerata, Ruchgras, Anthoxanthum odoratum, Lolch, Lolium perenne, Wiesenrispengras, Poa pratensis und Wiesenlieschgras, Phleum pratense), wobei die Einleitungspackung 3 Tabletten in der Konzentration von 100 IR und 28 Tabletten à 300 IR enthält. Am ersten Tag wird unter Aufsicht eine Tablette à 100 IR mindestens 1 Minute unter der Zunge behalten, am zweiten Tag sind es 2 Tabletten, um anschliessend die SLIT mit einer Erhaltungsdosis von 1 Tablette à 300 IR täglich bis zum Ende der Pollensaison fortzusetzen. Bei beiden Präparaten hat sich eine statistisch signifikante Besserung der Rhinokonjunktivitis-Symptome schon in der ersten Pollensaison gezeigt (30-31). Für Birken- oder Baumpollenallergiker (Birke, Hasel, Erle) stehen Staloral® Birke 300 IR/ml und Staloral® 3 Bäume 300 IR/ml (Stallergènes, Trimedal AG, Brüttisellen) in Tropfenform via Dosierpumpe zur Verfügung. Die Allegen-Extrakte sind als sublinguale Lösung in der schwächsten (10 IR/ml, blauer Verschluss) und in der stärksten Dosis (300 IR/ml, violetter Verschluss) erhältlich. Die Therapie sieht zwei Schritte vor. Die Einleitungsbehandlung beginnt mit progressiver Dosissteigerung, gemäss dem Therapieschema, bis zum Erreichen der optimalen Dosis (Erhaltungsdosis). Die Höchstdosis wird entweder täglich oder jeden 2. Tag bzw. mit 2 oder 4 Hüben erreicht. Wie bei jeder oralen Verabreichung, kann es zu einer lokalen Reaktion im Mund- oder Rachen-Bereich (Pruritus, Schwellung) oder gastrointestinalen Beschwerden kommen, die normalerweise spontan abklingen. Einzige Indikation zur sofortigen Therapiesistierung ist das instabile Asthma. Itulazax® (ALK-Abelló, AG, Volketswil) ist seit 2020 in der Schweiz zugelassen und entspricht der erst ab 12 Jahren zugelassenen oralen Behandlung einer allergenspezifischen Immuntherapie im Rahmen einer durch Birkenpollen oder Pollen einer Birken-ähnlichen Gruppe (Erle, Hasel, Eiche) induzierten Rhinokonjunktivitis pollinosa (32). Die Effizienz und Sicherheit von Itulazax® wurde in zwei randomisierten, doppelblind-placebo-kontrollierten multinationalen Studien belegt. Die Rate der Verbesserung der Symptome während der Pollensaison war im Vergleich zu Placebo um 40% höher (33). Wie jede andere orale SLIT hat Itulazax® die gleichen Nebenwirkungen und Kontraindikationen.

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Dr. med. Roberto Lo Presti

HautZentrum Zürich
Schaffhauserstrasse 355
8050 Zürich

lopresti.roberto@outlook.com

Prof. em. Brunello Wüthrich

Facharzt FMH für Allergologie und Immunologie
Facharzt FMH für Dermatologie
Langjähriger Leiter der Allergiestation am Universitätsspital Zürich
8125 Zollikerberg

bs.wuethrich@bluewin.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im
Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die symptomatische Therapie der Pollinosis sollte stufenweise und entsprechend der zugrundeliegenden Pathophysiologie adaptiert werden. Prophylaktisch empfiehlt man, nicht sedierende Antihistaminika während der gesamten Pollensaison regelmässig alle 24 Stunden einzunehmen (keine gelegentliche Anwendung!). Ggf. können diese für ein optimales Outcome mit intranasalen Kortikosteroiden kombiniert werden. Allergenspezifische Immuntherapie ist sinnvoll bei Patienten mit chronischen Symptomen, die nicht mehr durch symptomatische
Therapie kontrollierbar sind. Zudem eignet sie sich zur Prävention
(Etagenwechsel, Polysensibilisierung) mit eindeutiger Kosteneinsparung.
◆ Voraussetzung für eine erfolgreiche ASIT ist der Nachweis von IgE-Antikörpern gegen Majorallergene im Serum. Im Fall einer Frühjahrspollinose (Hasel, Erle, Birke) reicht wegen hoher Kreuzreaktivität eine ASIT nur mit dem Birkenpollenextrakt. Da Eschen innerhalb einer anderen botanischen Familie liegen, muss man immer separat testen und nötigenfalls mitbehandeln.
◆ Die ASIT zeigte sich seit mehr als 100 Jahren als die einzige kausale Therapie bei Pollenallergien, mit optimalen und praktisch vergleich­baren Resultaten, die mit sublingualer (SLIT) und subkutaner Verabreichung (SCIT) erreicht werden können.
◆ Die Wirksamkeit alternativer Behandlungsverfahren ist nicht durch kontrollierte Studien belegt.

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32. Fachinformation Itulazax® 12 SQ-Bet Lyophilisat zum Einnehmen. ALK-Abelló Arzneimittel GmbH, Oktober 2015.
33. Biedermann T, et al.The SQ tree SLIT-tablet is highly effective and well tolerated: Results from a randomized, double-blind, placebo-controlled phase III trial. Allergy Clin Immunol. 2019 Mar;143(3):1058-1066.e6.

Differentialdiagnose der Creatinkinaserhöhung

Die asymptomatische Erhöhung der Creatinkinase (CK) ist ein häufiger Befund, der zur Beunruhigung sowohl der Patienten als auch der behandelnden Ärztinnen und Ärzte führen kann. Die CK setzt sich aus 3 Isoenzymen zusammen, CK-MM, CK, BB und CK-MB. CK-MM findet sich vor allem im Skelettmuskel, CK-BB im ZNS und CK-MB im Mykoard. Daneben existiert eine mitochondriale CK-Isoform, die in zwei Typen vorkommt. CK-Erhöhungen können muskuläre Erkrankungen oder einen Herzinfarkt anzeigen; sie können aber auch bloss auf erhöhte körperliche Tätigkeit zurückzuführen sein. Erhöhte CK-BB-Werte treten bei Hirnschäden auf. Die mitochondrialen CK-Werte sind bei Erkrankungen der Mitochondrien erhöht.

The asymptomatic elevation of creatine kinase (CK) is a common finding that may cause concern for both patients and treating physicians. CK is composed of 3 isoenzymes, CK-MM, CK, BB and CK-MB. CK-MM is found mainly in skeletal muscle, CK-BB in the CNS and CK-MB in the myocardium. In addition, there is a mitochondrial CK isoform that occurs in two types. CK elevations can indicate muscular diseases or a heart attack, but they can also be due to increased physical activity. Elevated CK-BB levels occur with brain damage. The mitochondrial CK values can be elevated in mitochondrial diseases.
Key Words: Creatine kinase, CK isoforms, musculoskeletal diseases, myocardial infarction.

Das Enzym Creatinkinase findet sich in der Skelettmuskulatur und im Gehirn. Es setzt sich aus 3 Isoenzymen zusammen, CK-MM, die vorwiegend im Skelettmuskel vorhanden ist, CK-BB die hauptsächlich im Gehirn vorkommt und CK-MB, die vor allem im Herzmuskel vorkommt (1). Daneben existiert ein weiteres Isoenzym, CK-MiMi oder mt-CK (Mitochondrientyp) (2). Diese tritt in zwei Formen auf: Mitochondriale Creatinkinase 1, auch ubiquitäre mitochondriale Creatinkinase (umtCK) genannt, mitochondriale Creatinkinase 2, auch sarkomerische mitochondriale Creatinkinase (smtCK) genannt.

CK-MB hat im Myokard einen Anteil von 15 bis 30% der gesamten CK, die restlichen 70 bis 85% entfallen auf die CK–MM. Die CK-MB kommt allerdings in geringerer Konzentration auch im Skelettmuskel vor. Hier beträgt ihr Anteil 5 bis 7%. Bei Gesunden ist praktisch die gesamte CK-Aktivität auf die Isoform CK-MM zurückzuführen. Der häufigste Grund für eine CK-Erhöhung bei Gesunden sind körperliche Anstrengungen.

Eine CK-Erhöhung ist häufig ein Zufallsbefund und sollte, insbesondere bei asymptomatischen Patienten, zunächst nach mehrtägiger Vermeidung körperlicher Belastung kontrolliert werden. Sie ist in der Regel ein Indikator für eine Muskelschädigung.

Eine Erhöhung der Gesamt-CK wird aber auch bei einer Reihe von Erkrankungen beobachtet, die mit akuten Muskelverletzungen einhergehen. Die Gesamt-CK ist auch nach Muskeltraumata, Myositis, Muskeldystrophie, Delirium tremens oder Krampfanfällen erhöht. Auf neurologischem Fachgebiet können Myopathien und Neuropathien mit Beteiligung des 2. Motoneurons Ursache für eine symptomatische CK-Erhöhung sein, wobei CK-Werte über 1000 U/L eher für eine primäre Muskelerkrankung sprechen.

Erhöhte Werte können auch häufig nach intramuskulären Injektionen festgestellt werden. Eine CK-Erhöhung kann auch als Nebenwirkung bei zahlreichen Medikamenten, einschliesslich Statinen, auftreten. Bei asymptomatischen Patienten kann eine Statin-assoziierte CK-Erhöhung bis zum 5-Fachen des oberen Grenzwertes toleriert werden. Bei höheren CK-Werten und/oder assoziierten muskulären Beschwerden sollte die LDL-Cholesterin-senkende Therapie neu festgelegt werden. Eine Rhabdomyolyse ist ein potentiell lebensgefährlicher Zustand und geht mit deutlichen CK-Erhöhungen einher. Zur Therapie in der akuten Phase gehört eine Sicherstellung der Nierenfunktion und ein Ausgleich von metabolischen Störungen.

CK-MB und Herzinfarktdiagnostik

Der CK-MB kommt Bedeutung im Rahmen der Herzinfarktdia­gnostik zu. Die CK-MB steigt 3-4 Stunden nach einem Herzinfarkt an, mit einem maximalen Anstieg innerhalb von 24 Stunden, worauf sich die Werte wieder normalisieren. Die Herzinfarktdiagnostik ist aber durch das viel spezifischere kardiale Troponin abgelöst worden. Troponin T steigt innerhalb von 4-6 Stunden nach einer Myokardverletzung an, es erreicht seinen Höchstwert nach ca. 10 Stunden und kehrt nach 4 Tagen wieder in den Referenzbereich zurück. Während früher die CK-MB als relativ früher Marker noch einige Bedeutung hatte, ist heute durch die Einführung des High-sensitivity-Troponins eine frühe und spezifische Herzinfarktdia­gnostik möglich (3).

Makro-CK

Eine weitere Isoform der Creatinkinase ist die Makro-CK (4). Es werden zwei Typen von Makro-CK unterschieden: Makro-CK Typ 1 und Makro-CK Typ 2. Typ 1 entsteht durch Bindung eines CK-Isoenzyms (meistens die Isoform CK-BB, weniger oft CK-MB oder CK-MM), an ein Immunglobulin. Dies ist meistens IgG, es kann aber auch IgA oder IgM sein. Die Isoform Makro-CK Typ 2 entsteht durch Polymerisierung des mitochondrialen Isoenzyms.

Die Prävalenz der Makro-CK Typ 1 beträgt 0.43% bis 2.5% (4, 5). Makro-CK Typ 1 tritt mit bestimmten Krankheiten auf, wie Myositis, Hypothyreose, Colitis ulcerosa und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (4). Sie kann aber auch bei Gesunden nachgewiesen werden (4). Die Prävalenz der Makro-CK Typ 2 wird mit 0.5% bis 3.7% angegeben (5, 6). Sie tritt bei Patienten mit onkologischen Erkrankungen, vor allem Kolonkarzinom, Lungenkarzinom sowie hepatozelluläre und urologische Karzinome, Mamma- und Magenkarzinom häufig in der metastasierten Phase auf (7). Makro-CK Typ 2 kann ferner auch bei Lebererkrankungen und bei HIV-positiven Personen nachgewiesen werden (4).

Abklärung der CK-Erhöhung

Ausschlaggebend für Reihenfolge und Ausmass der Abklärung sind Anamnese (Symptome, Familienanamnese, körperliche Aktivität, Medikamente, Alkohol, Drogen) und Status mit Zusatzbefunden (Hinweise für Myopathie, Systemerkrankung wie Vaskulitis etc.). Routinelabor BSR, CRP, Blutbild (evtl. Leukozytose), Kreatinin, Transaminasen, Kalium, Kalzium, Natrium, Phosphat.

Die Gesamt-CK-Aktivität steigt meist 2-8 Stunden nach schädigender Einwirkung an, erreicht den maximalen Wert meist innerhalb 24 Stunden (evtl. 1-3 Tage) und fällt nach Sistieren der Schädigung über 3-5 Tage ab. Einen ähnlichen Anstieg zeigt die CK-MB, sie fällt jedoch früher wieder ab.

Die Bestimmung der CK sollte nach einem genügend grossen Intervall nach körperlicher Tätigkeit durchgeführt werden.
Das erweiterte Labor umfasst Harnsäure, LDH (kommt in beinahe allen Zellen des Organismus vor), Aldolase (v.a. im Skelettmuskel, Leber und Gehirn vorhanden), CK-Isoenzym-Elektrophorese im Serum: Definitiver Nachweis von CK-MM und Ausschluss einer Makro-CK. Myoglobin im Plasma (die Bestimmung sollte nach einem genügend grossen Intervall nach körperlicher Anstrengung durchgeführt werden).

Weitere Abklärungen richten sich nach der vermuteten Ursache. Sie können ein EKG, eine Elektromyographie bei Hinweisen auf eine Myopathie, Bildgebung des Muskels mittels MRT oder Ultraschall umfassen. Neue Medikamente wie z.B. Checkpoint-Inhibitoren können als Nebenwirkung eine Myopathie bedingen, was bei der Anamnese bedacht werden muss. Der Stellenwert der Bildgebung des Muskels mittels MRT oder Ultraschall hat zugenommen.

Die Identifikation des Gendefekts gewinnt immer mehr an Bedeutung, da bei hereditären Myopathien zunehmend genspezifische therapeutische Ansätze bestehen (8).

Interpretation

Erhöhte CK-Werte werden bei den folgenden Erkrankungen beobachtet:

  • Herzmuskelerkrankungen (Myokardinfarkt, Endokarditis, Myokarditis, Perikarditis, KHK
  • Skelettmuskelerkrankungen (Myositis, Muskeldystrophie, Myopathien Dermatomyositis, Rhabdomyolyse, intensives Kraft- oder Ausdauertraining)
  • intramuskuläre Injektion
  • Entbindung (Wehentätigkeit), Sectio (Muskelschaden
  • Hämolyse
  • Krampfanfall
  • Verbrennungen
  • Akute Intoxikation
  • Endokrinopathien (Hypothyreose)
  • Medikamente (Statine)
  • Makro-CK

Bei Erkrankungen der Skelettmuskulatur ist der CK-Wert meist deutlich (auf über 25000 U/l) erhöht. Bei einem Herzinfarkt bleibt der CK-Wert meistens unter 7500 U/l.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel.

◆ Die Creatinkinase tritt in 3 Isoformen auf, CK-MM, CK-MB und CK-BB, deren Hauptlokalisationen der Skelettmuskel, der Myokardmuskel und das Zentralnervensystem sind.
◆ Daneben gibt es 2 mitochondriale CK-Formen, die mtochondriale Creatinkinase 1, auch ubiquitäre mitochondriale Creatinkinase genannt, und die mitochondriale Creatinkinase 2, auch sarkomerische mitochondriale Creatinkinase genannt.
◆ Die meisten CK-Erhöhungen sind auf das Isoenzym MM zurückzuführen und sind bei Gesunden auf erhöhte körperliche Aktivität oder die Einnahme gewisser Medikamente zurückzuführen.
◆ Die Herzinfarktdiagnostik mittels CK-MB ist durch das spezifischere und sensitivere kardiale Troponin abgelöst worden.
◆ Eine Makro-CK muss in Betracht gezogen werden, wenn die CK-Aktivität ohne erkennbare Ursache über einen längeren Zeitraum erhöht bleibt oder wenn der CK-MB-Wert über 50% der gesamten CK-Aktivität übersteigt.

1 Lackner KI und Peetz D In A. Gressner, T. Arndt (Hrsg.), Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik, Springer Reference Medizin 2018, https://doi.org/10.1007/978-3-662-49054-9_1780)
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8. Deschauer M et al. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie © DGN 2021.

Herpes Zoster Ophthalmicus – zuerst Hautausschlag oder Kopfschmerzen?

Herpes Zoster wird durch die Reaktivierung und Vermehrung des Varizella-Zoster-Virus (VZV) ausgelöst und betrifft die sensorischen Hirnnerven- und Spinalnervenganglien, die peripheren Nerven und die Haut. Ein Herpes Zoster Ophthalmicus (HZO) wird durch eine VZV-Reaktivierung im Ganglion trigeminale ausgelöst und kann mit oder ohne Augenbeteiligung auftreten. HZ ist durch einen in der Regel auf ein Dermatom beschränkten unilateralen Ausschlag mit Bläschen gekennzeichnet. Einseitige Schmerzen im vom sensorischen Ganglion versorgten Bereich sind typisch (1). Im von der VZV Reaktivierung betroffenen Ganglion tritt eine intensive Entzündung mit hämorrhagischer Nekrose auf, was einen Nervenzellverlust und die Fibrose der afferenten Nervenfasern zur Folge hat. Deshalb gehen die Schmerzen dem Ausschlag normalerweise voraus oder begleiten diesen (2).

Herpes zoster is caused by reactivation and multiplication of the varicella zoster virus (VZV) and affects the sensory cranial and spinal ganglia, peripheral nerves, and skin. Herpes zoster ophthalmicus (HZO) is caused by VZV reactivation in the trigeminal ganglion and may occur with or without ocular involvement. HZ is characterized by a unilateral rash with vesicles usually confined to one dermatome. Unilateral pain in the area supplied by the sensory ganglion is typical (1). Intense inflammation with hemorrhagic necrosis occurs in the ganglion affected by VZV reactivation, resulting in nerve cell loss and fibrosis of afferent nerve fibers. Therefore, pain usually precedes or accompanies the rash.
Key Words: Herpes zoster, ganglion, hemorrhagic necrosis

Anamnese

Die notfallmässige Vorstellung eines 71-jährigen Patienten erfolgte aufgrund stärkster rechtsseitiger, stechender Kopfschmerzen seit drei Tagen. Die Dynamik der Kopfschmerzen charakterisierten sich mit schlagartigem Auftreten mehrmals am Tag und in der Nacht, unilateral mit einer Dauer von weniger als 1-2 Stunden. In der Eintrittsanamnese erwähnte der Patient ein gerötetes rechtes Auge mit vermehrter Epiphora (Tränenfluss) und kontinuierlichem okulären Druckgefühl, begleitet von persistierender Nausea. Er beklagte Schmerzintensivierung beim Öffnen des rechten Auges, eine Zunahme bei körperlicher Belastung oder ein Ruhebedürfnis wurde nicht angegeben. Als Triggerfaktor bestand eine leichte Photophobie. Lärmempfindlichkeit und Zeichen einer Aura wurden verneint. Bei chronischem Alkoholkonsum von einigen Gläsern Wein täglich wurde seit Beginn der Kopfschmerzen kein Alkohol konsumiert. Der Nikotinkonsum (kumulativ 30py) war ebenfalls in den letzten Tagen sistiert.

Eine Bedarfsanalgesie mit Metamizol und Paracetamol brachte keine Besserung.

Relevante persönliche Anamnese: Zustand nach Exzision eines gut differenzierten, invasiven, verhornenden Plattenepithelkarzinoms der Ohrhelix rechts (pT1 L0 Pn0 R0 G1) im November 2015. Anamnestisch fand im Oktober 2016 eine erneute Exzision einer solitären Lymphknotenmetastase eines mässig/wenig differenzierten verhornenden Plattenepithelkarzinoms zervikal Level V rechts statt. Ein Fuorodeoxyglucose (FDG)-Ganzkörper- PET/CT und die Nachkontrolle 2017 zeigten kein Rezidiv.

Als regelmässige Medikamente wurden ein Antihypertensivum (Candesartan cilexetil), Betablocker (Propranolol Hydrochlorid), Acetylsalicylsäure sowie ein Protonenpumpen-Inhibitor (PPI) eingenommen. Es wurde von Allergien durch Bienen- und Wespengift berichtet.

Status und Befunde

Bei der Erstvorstellung präsentierte sich ein 71-jähriger, afebriler (Temperatur 36.0°), schmerzgeplagter Patient in deutlich reduziertem Allgemeinzustand, der zeitlich, örtlich, situativ und zur eigenen Person orientiert war, mit einem GCS von 15 Punkten. Der Blutdruck war mit 155/113 mmHg hyperton und der Puls mit 101 bpm grenzwertig tachykard. Neurologisch zeigten sich keine Auffälligkeiten bis auf einen druckdolenten Bulbus oculi rechts und starkem Schmerz beim Blick nach oben rechts. Der restliche neurologische Status der Hirnnerven war unauffällig. Nackensteifigkeit und Zeichen eines Meningismus bestanden nicht. Die übrige körperliche Untersuchung war inklusive Lymphknoten unauffällig. Es zeigten sich eine leichte okuläre Injektion rechts und eher trockene Schleimhäute. Es zeigten sich keine Hautveränderungen am Kopf und im Gesicht.

Die Leukozyten, CRP und BSR waren normwertig. Es bestanden eine leichte normochrome, normozytäre Anämie mit einem Hb von 130 g/l (Norm 120-160 g/l), sowie eine moderate Hyponatri-ämie (Natrium 128 mmol/l, Norm 135-150 mmol/l) und eine leichte Hypokaliämie (Kalium 3.4 mmol/l, Norm3.5-5.5 mmol/l). Für eine diagnostische Liquorpunktion zeigte sich der Patient zurückhaltend. Initial wurden computertomographisch eine intrakranielle Blutung sowie eine akute territoriale Ischämie ausgeschlossen. Bei hochgradigem Verdacht auf ein Tumorrezidiv oder Metastasen bei Status nach Plattenepithelkarzinom der Ohrhelix wurde ergänzend eine unauffällige Magnetresonanztomographie (MRT) des Neurokraniums durchgeführt. Der Patient wurde unter symptomatischer Therapie mit Analgetika und Opioiden stationär aufgenommen. Unter der Differentialdiagnose eines Clusterkopfschmerzes wurde Sauerstoff bei Bedarf eingesetzt. Am ersten Tag der Hospitalisation präsentierte er eine zunehmende Photophobie sowie zunehmende stechende, blitzartige Schmerzen beim Öffnen des rechten Auges, begleitet von okulärer Injektion. Erst in den folgenden Tagen der Hospitalisation traten ausgeprägte, wasserklare, vesikuläre Haut-effloreszenzen auf erythematösem Grund zwischen den Augenbraunen im Bereich der ersten Trigeminusastes V1 und an der Grenze des Trigeminusastes V2 rechts auf. Zudem waren der rechte Lidrand und die rechte Seite des Nasenrückens (Hutchinson-Zeichen positiv) betroffen und es zeigte sich eine Ptose des rechten Oberlides.

Diagnose

Das klinisch nun eindeutige Zustandsbild eines HZO konnte durch den Nachweis von VZV in der PCR aus dem Bläscheninhalt gesichert werden. Die VZV-Serologie war, wie zu erwarten, positiv (VZV IgG 206 IU/L, Referenzbereich >100 IU/l).
Eine zeitnahe ophthalmologische Mitbeurteilung ergänzte die bereits bestätigte Diagnose mit Konjunktivitis und epithelialer Zoster-Keratitis («Pseudodendritica»). Eine intraokuläre Beteiligung im Sinne einer Uveitis oder Keratitis konnte ausgeschlossen werden.

Therapie und Verlauf

Therapeutisch etablierten wir eine antivirale systemische Behandlung mit Valacyclovir 1000 mg 3x/24h p.o. für insgesamt 10 Tage, lokal Acyclovir Augensalbe sowie eine lokale antibiotische Therapie mit Ofloxacin Augensalbe 3x/tägl. für ebenfalls 10 Tage. Mittels einer analgetischen Therapie mit Oxycodon und Pregabalin konnten die Schmerzen suffizient kontrolliert werden. Leichter Schwindel und Benommenheit besserten sich nach Pregabalin -Dosisreduktion von 150 mg auf 125 mg pro Tag.

Die Elektrolytstörung wurde im Rahmen eines Syndroms der inadäquaten ADH-Sekretion bei akuter HZ-Infektion interpretiert sowie im Verlauf entsprechend korrigiert. Die leichte normochrome, normozytäre Anämie normalisierte sich spontan im Verlauf.

In der ophthalmologischen Verlaufskontrolle nach drei Tagen bestätigte sich eine beginnende Zoster-Keratouveitis, weswegen die Therapie mit topischen Steroiden (Pred forte Gtt Opht 1%) ergänzt wurde. Die Photophobie, der heftige Druck okulär rechts sowie die streng unilateralen Kopfschmerzen nahmen an Intensität ab und waren bis zum Austritt komplett regredient.
Die Zoster-Uveitis zeigte sich innert drei Wochen nach Beginn der Lokaltherapie komplett regredient, ebenso zeigte die Oberlidptose eine langsame Regredienz innert Wochen. Auffällig blieb eine bis dato persistierende Mydriase, welche am ehesten ein Ausdruck der herpesvirus-assoziierten Irisatrophie sein dürfte. Nach Absetzen der lokalen Steroidtherapie (zwei Monate nach der Erkrankungsepisode) trat ein Uveitisrezidiv auf, welches eine erneute Lokaltherapie mit Prednison sowie eine systemische Therapie mit Valacyclovir erforderlich machte. Rezidivierende Uveitiden sowie Keratitiden sind im Zusammenhang mit Herpesviren keine Seltenheit und weisen auf eine prolongierte Persistenz von Virusantigen in der Hornhaut und den sonstigen okulären Strukturen hin. Lange andauernde Verläufe mit Rezidivepisoden sind leider keine Seltenheit.

Diskussion:

Beim vorliegenden Fall handelt es sich um eine typische klinische Manifestation des Herpes Zoster ophtalmicus. Bei der HZ-Infektion besteht keine saisonale Prävalenz. Jährlich erkranken mehr als 1.7 Millionen Menschen in Europa an HZ, wobei zwei Drittel der Erkrankten älter als 50-jährig sind (3). In der Schweiz zeigten sich im Rahmen des schweizerischen Sentinella-Meldesystems von 1998 bis 2001 ca. 17 000 Fälle pro Jahr (9). Die HZO-Fälle betragen etwa 10-20 % aller HZ-Erkrankungen. Das Lebenszeitrisiko für die Entwicklung einer HZO-Infektion beträgt ca. 1 % (5). Eine frühe Diagnose und Therapie ist wichtig, um schwerwiegende Komplikationen wie die postherpetische Neuralgie (PHN), oder auch ophthalmologische Komplikationen zu vermeiden (siehe Tabelle 1).

Der typische Hautausschlag beim beschriebenen Fall kam am 4. Tag nach Beginn der akuten Kopfschmerzen. Die ophthalmologischen Komplikationen im Sinne einer Zoster-Keratouveitis traten am 9.  Tag auf. Im vorliegenden Fall kam es zu drei okulären Befunden (Uveitis, Keratitis, Irisatrophie/persistierende Mydriase). Die typischen Augenkomplikationen für HZO können auch ohne sichtbaren Ausschlag auftreten (d.h. Zoster sine herpete) (4).

Die Diagnose bei dieser Krankheit stützt sich vor allem auf das phänomenologische Bild sowie den klinischen Verlauf. Die Diagnose wird durch die VZV-PCR Untersuchung aus dem Bläschenabstrich bestätigt. VZV kann ausserdem mittels PCR in der Hornhaut und den Tränen auch ohne Augensymptome oder Hautausschläge nachgewiesen werden (5, 6). Die Serologie ist hierfür weniger gut geeignet, da sie bei durchgemachten Windpocken ohnehin positiv ist für VZV-IgG (ev. kann ein erneuter Titeranstieg bei einer Reaktivierung des HZO die Diagnose weiter bestätigen, ist aber nicht üblich).

Eine antivirale Therapie mit Beginn innerhalb der ersten 72 Stunden kann das Risiko von schweren Verläufen reduzieren (8). Der Frühbeginn einer kombinierten Schmerztherapie aus verschiedenen Medikamenten (Analgetika, Opioide, Antikonvulsiva, trizyklische Antidepressiva) ist wichtig, um das Risiko einer Chronifizierung der neuropathischen Schmerzen zu verringern. Im Falle einer eingetretenen Chronifizierung können die oben genannten Therapien nur in rund 50 % der Fälle eine zufriedenstellende Schmerzlinderung bewirken (10).

Zur Prävention von rezidivierenden HZ/HZO-Episoden und Komplikationen gibt es seit einigen Jahren in der Schweiz einen attenuierten Lebendimpfstoff (Zostavax®). Für die Impfung ist nur eine Impfdosis erforderlich. Dieser Impfstoff wird zurzeit noch nicht von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zurückerstattet und kostet ca. 160.- CHF. Der Impfstoff gegen Gürtelrose enthält das VZV in sehr starker Dosierung. Dadurch soll die Immunität der Personen reaktiviert werden, die in der Vergangenheit an Varizellen erkrankt waren. Gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) wird die Impfung bei den folgenden 2 Zielgruppen empfohlen:
1.) Immunkompetente Personen im Alter von 65 bis 79 Jahren und 2.) Patienten im Alter von 50 bis 79 Jahren, die in naher Zukunft voraussichtlich bzw. wahrscheinlich immungeschwächt sein werden (9). Durch die Impfung werden ungefähr 51 % der Herpes-zoster-Fälle und 67 % der PHN-Fälle bei gesunden 60-jährigen oder älteren Personen für einen Zeitraum von drei Jahren vermieden, danach nimmt die Wirksamkeit weiterhin stetig ab (Shingles Prevention Study) (10). Alternativ zu Zostavax® gibt es einen Totimpfstoff (Shingrix ®), welcher sogar eine höhere und länger andauernde Wirksamkeit (90%) aufweist und auch an immunsupprimierten Patienten verabreicht werden kann (11,12). Dieser Impfstoff braucht 2 Dosen und wird vom Bundesamt für Gesundheit BAG und die Eidgenössische Kommission für Impffragen EKIF für gesunde Personen ab 65 Jahren sowie für Patientinnen und Patienten mit Immundefizienz ab 50 bzw. mit schwerer Immundefizienz ab 18 Jahren empfohlen. Shingrix® wurde durch Swissmedic im Oktober 2021 in der Schweiz zugelassen, seit dem 1. Januar ist der Impfstoff in der Schweiz verfügbar und seit 1. Februar wird die Impfung von der obligatorischen Krankenkasse erstattet. Die bisherigen Empfehlungen vom November 2017 für den Lebendimpfstoff Zostavax® gelten nur noch für Personen im Alter von 65 bis 79 Jahren ohne Immundefizienz, die Zostavax® gegenüber Shingrix® vorziehen.

Aufgrund des Alters unseres Patienten (71-jährig) und des Tumorleidens mit in Zukunft nicht ganz auszuschliessender Immunsuppression ist in dieser Situation deshalb eine HZ-Impfung emfpehlenswert.

Dr. med. Borislava Spasova , Department of internal Medicine, Klinik Arlesheim, Arlesheim Switzerland
Dr. med. Jens Oliver Krüger,
Augenzentrum Bahnhof Basel, Basel, Switzerland
Dr. med. Stefan Erb, Praxengemeinschaft Warteckhof, Basel, Switzerland

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Dr. med. Borislava Spasova

Klinik Arlesheim
Pfeffingerweg 1
4144 Arlesheim

b_spasova@yahoo.com

Die Autoren deklarieren keine Interessenskonflikte oder finfanziellen Support im Zusammenhang mit diesem Artikel.

◆ HZO wird in erster Linie klinisch diagnostiziert, sobald der Haut­ausschlag aufgetreten ist. Vor dem Auftreten eines Hautausschlags und in atypischen Fällen kann die Diagnose durch eine PCR-Analyse gesichert werden.
◆ Eine ophthalmologische Mitbeurteilung sollte aufgrund des hohen Risikos ophthalmologischer Komplikationen unbedingt und zu einem möglichst frühen Zeitpunkt erfolgen.
◆ Mit einer frühzeitig begonnenen systemischen, antiviralen Therapie bei Patienten mit HZ/HZO können 1) okuläre Spätschäden verhindert, 2) Schweregrad und Dauer der Schmerzen im Rahmen der akuten Neuritis und PHN verringert und 3) eine schnellere Heilung der Hautläsionen erreicht werden.
◆ Die Zoster-Impfung Zostavax® reduziert das Risiko eines HZ und/oder einer PHN um 51%, rsp. 67% bei gesunden 60-jährigen oder älteren Personen innerhalb der ersten 3 Jahre.

1. Oxman MN. Zoster vaccine: current status and future prospects. Clinical infectious diseases an official publi-cation of the Infectious Diseases Society of America 2010;2010(51(2)):197–213.
2. Kimberlin DW, Whitley RJ. Varicella-zoster vaccine for the prevention of herpes zoster. New England Journal Med 2007;2007(356(13)):1338–43.
3. Pinchinat S., Cebrián-Cuenca A.M. et al.. Similar herpes zoster incidence across Europe: results from a sys-tematic literature review. BMC Infectious Disease 2013.
4. Liesegang T. (2008) Herpes zoster ophthalmicus natural history, risk factors, clini cal presentation, and morbidity. Ophthalmology 115: S3–S12.
5. Pitkaranta A., Piiparinen H., Mannonen L., Vesaluoma M., Vaheri A. (2000) Detection of human herpesvirus 6 and varicella-zoster virus in tear fluid of patients with Bell’s Palsy by PCR. J Clin Microbiol 38: 2753–2755.
6. Van Gelderen B., Van der Lelij A., Treffers W., van der Gaag R. (2000) Detection of herpes simplex virus type 1, 2 and varicella zoster virus DNA in recipient corneal buttons. Br J Ophthalmol 84: 1238–1243.
7. Herpes zoster epidemiology, management, and disease and economic burden in Europe: a multidisciplinary perspective: Robert W. Johnson, Marie-José Alvarez-Pasquin, Marc Bijl, Elisabetta Franco, Jacques Gaillat, João G. Clara, Marc Labetoulle, Jean-Pierre Michel, Luigi Naldi, Luis S. Sanmarti, and Thomas Weinke; Therapeutic Advences in Vaccines 2015 Jul; 3(4): 109–120.
8. https://www.uptodate.com/
9. https://www.bag.admin.ch/ Evaluation der Impfung gegen Herpes zoster gemäss den Analysekriterien für nationale Impfempfehlung in der Schweiz; Version 14.12.2015; Seite 4/34; Empfehlungen zur Impfung gegen Herpes Zoster 47/17
10. Shingles prevention study Oxman MN, Levin M and the Shingles Prevention Study Group. Vaccination against Herpes Zoster and Postherpetic Neuralgia. J Infect Dis. 2008 Mar 1;197 Suppl 2:S228-36. doi: 10.1086/522159. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18419402
11. Schmader KE1, Oxman MN, Levin MJ et al. Persistence of the efficacy of zoster vaccine in the shingles prevention study and the short-term persistence substudy. Clin Infect Dis. 2012 Nov 15;55(10):1320-8. doi: 10.1093/cid/cis638. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22828595
12. Morrison VA, Johnson GR, Schmader KE, et al. Long-term persistence of zoster vaccine efficacy. Clin Infect Dis. 2015 Mar 15;60(6):900-9. doi: 10.1093/cid/ciu918. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25416754