Vitamin-D-Ergänzung und Verringerung Sturzrate, ein robuster Beweis?

Ein Vitamin-D-Mangel ist mit einem erhöhten Sturzrisiko verbunden und betrifft bis zu 70% der älteren Menschen jenseits des 60. Lebensjahres (1, 2). Die Metaanalysen randomisierter, kontrollierter Studien zur Vitamin-D-Supplementierung sind jedoch divergent aufgrund unterschiedlicher Dosierungen, Verabreichungsformen und Funktionszustände.

In STURDY, einer pragmatischen randomisierten Studie (adaptiver 2-stufiger Bayesianischer Ansatz), die in einer ambulanten Population in Maryland (USA) durchgeführt wurde, verglichen die Untersucher die Wirkung von 4 Dosen einer Vitamin-D-Supplementierung (200 IE/d, 1000 IE/d, 2000 IE/d und 4000 IE/d) auf ein kombiniertes primäres Outcome von erstem Sturz oder Tod während einer zweijährigen Nachbeobachtungszeit. Die Patienten (N = 688; Durchschnittsalter 77.2 ± 5.4 Jahre) hatten einen Serumspiegel von Vitamin D zwischen 10 und 29 µg/L (25 bis 72.5 nmol/L) und ein hohes Sturzrisiko (definiert als ≥ 2 Stürze oder ≥ 1 Sturz mit Fraktur oder die Notwendigkeit einer dringenden Konsultation in den letzten 12 Monaten, Angst vor Stürzen, Gleichgewichtsstörungen oder Verwendung von Hilfsmitteln). Ausschlusskriterien waren: 1. neurokognitive Störungen (MMSE < 24), Hyperkalzämie d.h., Harnwegssteine in der Anamnese oder eine übliche Vitamin-D-Supplementierung >1000 IE/d oder Calcium-Supplementierung >1200mg/d.

In der ersten Phase erwies sich die Vitamin-D-Supplementierung von 1000 IE/d als die erfolgreichste, mit einer Outcome-Rate von 72.1 (95% CI: 53.7 – 96.9) pro 100 Personenjahre (PJ), gegenüber 108.0 PJ bzw. 99.4 PJ in den Gruppen mit 2000 und 4000 IE/d. Darüber hinaus wurde die Randomisierung in diese beiden Arme nicht abgeschlossen. Die beiden anderen Arme wurden frühzeitig gestoppt, da eine Zwischenanalyse eine höhere Rate an Krankenhauseinweisungen oder Todesfällen im Vergleich zur Kontrollgruppe mit 200 IE/d zeigte.

In der zweiten Phase zeigten die Ergebnisse keinen statistisch signifikanten Unterschied in Bezug auf das primäre Outcome der Gruppe mit 1000 IE/d und der Kontrollgruppe mit 200 IE/d (76.9 vs. 76.0 Ereignisse pro 100 PJ; HR 0.94; 95%CI 0.76 – 1.15). Im Gegensatz dazu war das Risiko eines schweren Sturzes (mit Luxation/Fraktur) (HR 1.87; 95%CI 1.03 – 3.41) sowie das Risiko eines Sturzes mit Krankenhauseinweisung (HR 2.48; 95 %CI 1.13 – 5.48) in der Gruppe mit 1000 IU/d signifikant erhöht.

Kommentare

Der Begriff «sturdy» wird im Deutschen mit «robust» übersetzt. Robust ist diese Studie methodisch in vielerlei Hinsicht: adaptives Design, das mehrere Vitamin-D-Dosierungen beinhaltet. Die Auswahl der gefährdeten bis robusten Vitamin-D-Mangelpopulation erfolgte anhand von expliziten Kriterien und wies gute Adhärenz und begrenzte Attrition auf.

Die Wahl der Dosierung der Kontrolldosis von 200 IE/d, die von den Prüfärzten gewählt wurde, kann jedoch in Frage gestellt werden. Dies aufgrund einer geschätzten durchschnittlichen täglichen Aufnahme von 725 IE/d (Nahrung und Nahrungsergänzungsmittel), was einer geschätzten täglichen Deckung von 925 IE/d entspricht. Ausgehend von dieser Annahme, warum nicht eine Placebo-Kontrollgruppe vorschlagen? Oder, in Kenntnis dieser ungleichen Aufnahme von Nahrungsergänzungsmitteln (und damit von Vitamin D und Kalzium) in der amerikanischen Bevölkerung, wäre auch die Idee interessant, die Gesamtaufnahme zu vereinheitlichen, indem man den Patienten auffordert, während der Studie keine Nahrungsergänzungsmittel zu konsumieren (oder die Dosierung entsprechend der eigenen Aufnahme anzupassen.

Insgesamt kommt die Studie nicht nur zu dem Schluss, dass eine höhere Vitamin-D-Supplementierung als die in den Richtlinien empfohlene keine Vorteile für robuste bis vulnerable ältere Patienten bringt, sondern sie liefert sogar zusätzliche Belege für die Möglichkeit von schädlichen Auswirkungen einer Substitution mit zu hohen Dosen (d.h. ≥ 50000 IE/d).

Es muss darauf hingewiesen werden, dass diese Studie nicht für unsere am stärksten abhängigen und gebrechlichen Patienten gilt, insbesondere nicht für solche mit neurokognitiven Störungen, sowie solche mit Osteoporose oder schweren Vitamin-D-Mangel-erscheinungen (< 10 µg/L).

Dr. med. Solène Mérandon, Leiterin der Klinik CUTR Sylvana
Dr. med. Sylvain Nguyen, Leitender Arzt Abteilung für Geriatrie und geriatrische Rehabilitation CHUV, Chemin de Sylvana 10, 1066 Epalinges

Quelle: Appel LJ, Michos ED, Mitchell CM et al. The Effects of Four Doses of Vitamin D Supplements on Falls in Older Adults. Ann Intern Med 2021; 174:145-156

1. Bischoff-Ferrari HA, Dawson-Hughes B, Orav J et al. Monthly High-Dose Vitamin D Treatment for the Prevention of Functional Decline, JAMA Intern Med 2016; 176(2): 175-183
2. Sakem B, Nock C, Stanga Z et al. Serum Concentration of 25-OH-Vitamin D and Immunoglobulins in an Older Swiss Cohort. BMC Med 2013 ; 11:176

Atopische Dermatitis – Mit neuen Substanzen die Behandlungslücke weiter schliessen

Etwa 2-10% der erwachsenen Bevölkerung leiden unter atopischer Dermatitis (AD). Die entzündliche Hauterkrankung kann die Lebensqualität stark beeinträchtigen, zudem sind die meisten Betroffenen mit ihrer Behandlung unzufrieden. Prof. Dr. med Peter Schmid-Grendelmeier, Universitätsspital Zürich (USZ), und PD Dr. med. Florian Anzengruber, Kantonsspital Graubünden und USZ, gingen der bestehenden Behandlungslücke an einem AbbVie-Medienevent auf den Grund und zeigten anhand aktueller Studiendaten, dass der orale Januskinase (JAK)-Inhibitor Upadacitinib eine neue wirksame und langfristige Therapieoption bei mittelschwerer bis schwerer AD sein kann.

«Es ist leicht nachvollziehbar, dass Personen mit AD mit massiven Einschränkungen zu kämpfen haben», eröffnete PD Dr. med. Florian Anzengruber seinen Vortrag und verdeutlichte seine Aussage mithilfe von Fotos, welche die typischen Ekzeme an den Handflächen, im Gesicht und am Rumpf einer schwer betroffenen Patientin zeigten. Besonders belastend: der starke Juckreiz, der allerdings nur die Spitze des Eisberges darstellt. Schlafstörungen, ein vermindertes Wohlbefinden, Hospitalisierungen sowie Angst- und Depressive Störungen sind mögliche weitere Auswirkungen der AD. Diese können wiederum die Lebensqualität und die Arbeitsfähigkeit beeinflussen und darüber hinaus zu hohen Behandlungskosten, Unfällen und einer grossen Belastung für Betreuungspersonen führen (1-4). «Je stärker und je unkontrollierter die Erkrankung, desto niedriger die Lebensqualität der Betroffenen», fasste Anzengruber die Ergebnisse einer US-amerikanischen Real-World-Studie zusammen (5).

Die meisten Betroffenen sind mit ihrer Behandlung unzufrieden

«AD darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden», so Anzengruber. Jede Patientin und jeder Patient benötigt eine angemessene Therapie. Diese reicht – abhängig vom Schweregrad der AD – von einer Basistherapie mit rückfettenden Cremes über topische Kortikosteroide (TCS) und Lichttherapie bis hin zu systemischen Behandlungen (6). Allerdings sind nur 14% der Betroffenen mit ihrer Behandlung zufrieden (7). Der Referent sieht diese ernüchternden Ergebnisse einer US-amerikanischen Umfrage u. a. im zeitaufwändigen Eincremen und in der Angst vor TCS-assoziierten Nebenwirkungen begründet (8-9). Dass nur 7-8% der Patientinnen und Patienten mit mittelschwerer bis schwerer AD systemisch behandelt werden, lege zudem eine Unterbehandlung der Erkrankung nahe (10, 11). «Ich denke, dass es im Interesse aller ist, auf diese Unmet Needs einzugehen», resümierte Anzengruber.

Upadacitinib als neue Behandlungsoption bei mittelschwerer bis schwerer AD

Im Hinblick auf die unbefriedigende Situation für die Patientinnen und Patienten sei er «sehr froh» über neue Substanzen wie Upadacitinib, äusserte Prof. Dr. med. Peter Schmid-Grendelmeier. Der selektive JAK1-Inhibitor greift gezielt in die der AD zugrunde liegenden entzündlichen und juckreizfördernden immunologischen Prozesse ein (12). Seine Sicherheit und Wirksamkeit wurden in einem umfassenden Phase-III-Studienprogramm mit insgesamt 3548 Teilnehmenden mit mittelschwerer bis schwerer AD untersucht (13-16). Upadacitinib erreichte als Monotherapie in Measure Up 1 und Measure Up 2 und in Kombination mit TCS in AD Up alle primären und wichtigen sekundären Endpunkte. In den drei pivotalen Studien erzielten 60-70% der Patientinnen und Patienten unter Upadacitinib (15 mg 1x täglich) nach 16 Wochen eine mindestens 75%ige Verbesserung im Eczema Area and Severity Index (EASI 75). Im Placebo-Arm traf dies für 13-26% der Teilnehmenden zu (13, 14). «Ein EASI 75-Ansprechen macht für Menschen, die schon jahrelang unter AD leiden, bereits einen grossen Unterschied. Inzwischen können wir aber teilweise auch schon eine Verbesserung von 90 oder sogar 100% erreichen», kommentierte Schmid die Ergebnisse.

Hautläsionen und Juckreiz schnell und anhaltend bekämpfen

Der Dermatologe hob ausserdem das für JAK-Inhibitoren typische schnelle Ansprechen hervor: «Manche Patientinnen und Patienten bemerken schon nach ein bis zwei Tagen eine starke Verbesserung des Juckreizes. Dieser ist oft das Quälendste – er raubt den Schlaf und ist sozial nicht akzeptiert.» Dass die positiven Effekte unter Upadacitinib nicht nur schnell eintreten, sondern auch langhaltend sind, zeigt eine integrierte Auswertung der beiden Measure Up-Studien über 52 Wochen (Abb. 1) (17).

Langfristige Wirksamkeit bei konstanter Sicherheit

Besonders beim Langzeiteinsatz einer Behandlung spielt die Sicherheit eine wichtige Rolle. «Unter Upadacitinib traten insgesamt etwas mehr Nebenwirkungen auf als in der Placebogruppe (18), davon sind allerdings viele minim und steuerbar. Viele Patientinnen und Patienten nehmen die Nebenwirkungen in Kauf, wenn sie die Wirksamkeit des Medikaments sehen», so Schmids Einschätzung. Besonderes Augenmerk müsse man auf Akne, Atemwegsinfekte, eine Erhöhung der Kreatinphosphokinase und Herpes Zoster legen. Insgesamt ist die Sicherheit von Upadacitinib auch nach einem Jahr vergleichbar mit der nach vier Monaten (17). Schmid schlussfolgerte: «Dank der Entwicklung neuer Therapien ist es für uns sehr viel einfacher geworden, Patientinnen und Patienten mit mittelschwerer bis schwerer AD eine Behandlung mit überschaubaren Nebenwirkungen und hoher Wirksamkeit anbieten zu können.» In Zukunft werde die personalisierte Medizin noch wichtiger werden, um für jede und jeden die optimale Behandlungsoption auszuwählen.

red

Quelle: Medienevent «Upadacitinib als Behandlungsoption für atopische Dermatitis» AbbVie AG, 19.10. 2021, Zürich.

1. Whiteley J et al. The burden of atopic dermatitis in US adults: results from the 2013 National Health and Wellness Survey. Curr Med Res Opin, 2016. 32(10): 1645-1651.
2. Simpson EL et al. Patient burden of moderate to severe atopic dermatitis (AD): Insights from a phase 2b clinical trial of dupilumab in adults. J Am Acad Dermatol, 2016. 74(3): 491-8.
3. Drucker AM et al. The Burden of Atopic Dermatitis: Summary of a Report for the National Eczema Association. J Invest Dermatol, 2017. 137(1): 26-30.
4. Silverberg JI. Associations between atopic dermatitis and other disorders. F1000Res, 2018. 7: 303.
5. Simpson EL et al. Association of Inadequately Controlled Disease and Disease
Severity With Patient-Reported Disease Burden in Adults With Atopic Dermatitis. JAMA Dermatol, 2018. 154(8): 903-912.
6. Wollenberg A et al. Consensus-based European guidelines for treatment of atopic eczema (atopic dermatitis) in adults and children: part I. J Eur Acad Dermatol
Venereol, 2018. 32(5): 657-682.
7. National Eczema Association. People with Atopic Dermatitis Want More and Better Treatment Options. May 2019. Einsehbar auf https://nationaleczema.org/in-your-words. Letzer Zugriff: Juni 2020.
8. Zuberbier T et al. Patient perspectives on the management of atopic dermatitis.
J Allergy Clin Immunol, 2006. 118(1): 226-32.
9. Retzler J et al. Process utilities for topical treatment in atopic dermatitis. Qual Life Res, 2019. 28(9): 2373-2381.
10. Pascal C et al. Therapeutic management of adults with atopic dermatitis: comparison with psoriasis and chronic urticaria. J Eur Acad Dermatol Venereol, 2020. 34(10): 2339-2345.
11. Egeberg A et al. Factors associated with patient-reported importance of skin clearance among adults with psoriasis and atopic dermatitis. J Am Acad Dermatol, 2019. 81(4): 943-949.
12. Weidinger S et al. Atopic dermatitis. Nat Rev Dis Primers, 2018. 4(1): 1.
13. Guttman-Yassky E et al. Once-daily upadacitinib versus placebo in adolescents and adults with moderate-to-severe atopic dermatitis (Measure Up 1 and Measure Up 2):
results from two replicate double-blind, randomised controlled phase 3 trials.
Lancet, 2021. 397(10290): 2151-2168.
14. Reich K et al. Safety and efficacy of upadacitinib in combination with topical corticosteroids in adolescents and adults with moderate-to-severe atopic dermatitis (AD Up): results from a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet, 2021. 397(10290): 2169-2181.
15. Blauvelt A et al. Efficacy and Safety of Upadacitinib vs Dupilumab in Adults With Moderate-to-Severe Atopic Dermatitis: A Randomized Clinical Trial. JAMA Dermatol, 2021.
16. Katoh N et al. A phase 3 randomized, multicenter, double-blind study to evaluate the safety of upadacitinib in combination with topical corticosteroids in adolescent and adult patients with moderate-to-severe atopic dermatitis in Japan (Rising Up): An interim 24-week analysis. JAAD International, 2022. 6: 27-36.
17. Simpson EL et al. Efficacy and Safety of Upadacitinib in Patients With Atopic Dermatitis: Results Through Week 52 From Replicate, Phase 3, Randomized, Double Blind, Placebo Controlled Studies: Measure Up 1 and Measure Up 2. Presented at the 2021 Dermatology Education Foundation (DEF) Essential Resource Meeting (DERM2021), August 5-8, 2021, Las Vegas NV, USA.
18. Guttman-Yassky E et al. Upadacitinib in Moderate-to-Severe Atopic Dermatitis: Short-Term Safety in Phase 2b and Phase 3 Studies (M16-048, Measure Up 1, Measure Up 2, and AD Up). Poster 27082 presented at AAD 2021 (27082).

Neue Studien zur antiviralen Wirkung von Echinacea purpurea

Respiratorische Viren umfassen nicht nur Erkältungserreger, sondern auch Influenza oder Coronaviren. Letztere können durch Zoonose vom Tier auf den Menschen springen, wie neuerlich das SARS-CoV-2 Virus. Die mittlerweile entwickelten Impfstoffe verhindern effektiv schwere Krankheitsverläufe, doch die Wandelbarkeit des Virus scheint eine langanhaltende Immunität zu untergraben, wie Impfdurchbrüche zeigen. Weitere anti­virale Präparate werden daher dringend benötigt, die weniger anfällig auf
Virusmutationen sind und möglichst unspezifischen, breiten Schutz bieten. Präklinische Daten postulierten 2020 eine solche Wirkung für Echinacea purpurea, jedoch war deren Übertragbarkeit auf den Menschen ungeklärt (1). Nun sind weitere Erkenntnisse zur Medizinalpflanze bekannt geworden.

Präventionsstudie in der Covid-19 Pandemie

Die Prävention viraler Infektionen während der Covid-19 Pandemie und das Wirkspektrum von Echinacea auf verschiedene SARS-CoV-2-Varianten wurde in zwei Forschungsarbeiten eingehend untersucht.

Eine erste randomisierte, offene, kontrollierte klinische Studie untersuchte das Potenzial von Echinacea purpurea bei der Prävention und Behandlung viraler Atemwegsinfektionen, insbesondere von SARS-CoV-2 Infektionen (2). Die Studie schloss 120 gesunde Freiwillige im Alter von 18-75 Jahren ein. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip einer Echinacea-Prävention oder einer Kontrollgruppe ohne Intervention zugeteilt. Nach einer Run-in Woche durchliefen die Teilnehmer 3 Präventionszyklen von 2-2-1 Monaten mit täglich 2 400mg Echinacea purpurea Extrakt (Echinaforce®, EF). Zwischen den Zyklen wurde die Therapie für je eine Woche unterbrochen. Akute Atemwegs­symptome wurden bis zu 10 Tage lang mit 4 000 mg EF behandelt und ihr Schweregrad in einem Tagebuch festgehalten. Nasen-/Rachenab­striche und Blutproben wurden routinemässig jeden Monat und zusätzlich während akuter Erkrankungen entnommen. Der Nachweis und die Identifizierung von Atemwegsviren, einschliesslich SARS-CoV-2, erfolgte über Serologie und RT-qPCR, welche auch die Viruslast bestimmte.

Über den Zeitraum von 5 Monaten wurden unter EF-Prävention insgesamt 21 Proben positiv auf ein respiratorisches Virus getestet gegenüber 29 Proben in der Kontrollgruppe, davon waren 5 bzw. 14 Proben SARS-CoV-2-positiv (RR = 0,37, p = 0,03). Insgesamt traten in der EF- und der Kontrollgruppe 10 bzw. 14 symptomatische Episoden auf, von denen 5 bzw. 8 Covid-19 Erkrankungen waren (RR = 0,70, p > 0,05). Die EF-Behandlung akuter Episoden reduzierte die Viruslast insgesamt signifikant um mindestens 2,12 log, respektive um über 99% (p < 0,05).

Die Zeit bis Patienten wieder Virus-negativ getestet wurden, verkürzte sich insgesamt um 8,0 Tage (p = 0,02) und um 4,8 Tage bei SARS-CoV-2 (p > 0,05) im Vergleich zur Kontrollgruppe. Schliesslich führte die EF-Behandlung zu einer signifikanten Verringerung der Fiebertage (11 Tage im Vergleich zu 1 Tag, p = 0,003), nicht aber der Gesamt­symptomatik, was mit dem ungleichen Verbrauch an Co-Medikation zu tun haben könnte. Unter Echinacea kam es zu weniger Covid-19 Hospitalisationen, wobei der Unterschied nicht statistisch signifikant war (N = 0 vs. N = 2).

Insgesamt zeigt die Studie eine breite antivirale Wirkung des EF-Extrakts, indem SARS-CoV-2 sowie andere virale Infektionen verhindert werden konnten. Die deutlich verringerte Viruslast bei infizierten Personen unterstreicht diese Wirkung und verweist auf eine zusätzliche Option zur Prävention und Behandlung. Obschon es sich um eine relativ kleine Studie handelt, stehen die Resultate im Kontext eines weiteren, neuen Reviews zur Prävention endemischer Corona­virus Infektionen durch EF-Extrakt bei Erwachsenen und Kindern (3).

Obige klinische Studie wurde im Zeitraum von November 2020 bis Mai 2021 durchgeführt, als die SARS-CoV-2 alpha, beta und gamma Varianten in Europa dominierten. Wie bei Impfungen, stellt sich auch bei Echinacea die Frage nach der Übertragbarkeit von Resultaten auf neue Varianten, wie delta oder Omicron. Eine zweite Arbeit beschäftigte sich daher mit dem antiviralen Wirkmechanismus von Echinacea purpurea und dem Wirkspektrum bei Coronaviren im Allgemeinen.

Echinacea hemmt die Endozytose von SARS-CoV-2

Ein internationales Forscherteam aus 6 Universitäten untersuchte parallel die Wirkung von Echinacea purpurea auf SARS-CoV-2 Variants of Concerns (VOC’s) und auf ein Pseudovirus, welches lediglich den Spike Rezeptor exprimiert. Echinacea inaktivierte sämtliche VOC’s etwa gleich stark, namentlich wurden alpha, beta, gamma, eta oder die delta Variante bei weniger als 25 μg/ml Echinaforce® in vitro komplett inhibiert. Als mögliche Erklärung für den breiten antiviralen Schutz wurde das Prinzip des Vielstoffgemischs pflanzlicher Extrakte angeführt, welches weniger anfällig auf virale Mutationen und dem Auftreten neuer Varianten sein könnte.

In einer früheren Publikation (Signer et al, 2020) wurde bemängelt, dass erst der direkte Kontakt von Echinacea das Virus inaktiviert, was die klinische Relevanz infrage stellen könnte. Ein neuer Ansatz ermittelte daher, welche Ergebnisse die präventive Behandlung von Epithelzellen (ohne Vorbehandlung des Virus) liefern würde: Bereits 20 μg/ ml EF konnte die sequentielle Infektion mit SARS-CoV-2 komplett inhibieren. Damit konnte erstmals ein Zell-protektiver Effekt bestätigt werden, welcher in der Prävention zentral sein könnte. Erste Untersuchungen deuten nun darauf hin, dass EF mit TMPRSS-2 interagiert, einer Serinprotease, welche für die Endozytose sämtlicher Corona-virus Varianten in gleichem Masse erforderlich ist. Dies könnte ein neuer, vielversprechender Ansatz bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2 darstellen (4).

Fazit

Echinaforce® Extrakt zeigt deutlich antivirale Wirkung und verringert das Risiko für virale Atemwegsinfekte, einschliesslich SARS-CoV-2. Durch die signifikante Verringerung der Viruslast bei infizierten Personen bietet dieser eine unterstützende Ergänzung zu bestehenden Interventionen wie Impfungen. Der Extrakt könnte zudem eine nützliche Option zur Kontrolle bestehender und zukünftiger Mutationen des SARS-CoV-2-Virus darstellen, wobei weitere Studien sicherlich angebracht sind.

red.

1. Signer J, et al. In vitro virucidal activity of Echinaforce®, an Echinacea purpurea preparation, against coronaviruses, including common cold coronavirus 229E and SARS-CoV-2. Virol J. 2020 Sep 9;17(1):136.
2. Kolev, E et al. Echinacea purpurea for the Long-term Prevention of Viral Respiratory Tract Infections during COVID-19 Pandemic: A Randomized, Open, Controlled, Exploratory Clinical Study. medRxiv 2021.12.10.21267582; doi: https://doi.org/10.1101/2021.12.10.21267582
3. Nicolussi S, Gancitano G, Klein P, Stange R, Ogal M. Echinacea as a Potential Weapon aganist Coronavirus Infections?: A Mini-Review of Randomized Controlled Trials. GA conference (Poster), 2021, Bonn, Germany.
4. Vimalanathan S, et al. Broad antiviral effects of Echinacea purpurea against SARS-CoV-2 variants of concern and potential mechanism of action.
bioRxiv 2021.12.12.472255; doi: https://doi.org/10.1101/2021.12.12.472255

Grundversorgung und Onlinelieferdienste – Wandel der Zeit

Die grossen Detailhändler machen es vor: Migros, Coop und Co. liefern nach Hause. Mittlerweile verstopfen Kolonnen von Lieferwagen unsere Autobahnen und Strassen in den Agglomerationen. Alle sprechen von einem neuen Trend, befeuert durch die Pandemie. Das ist doch ein «déjà vu». Wir Hausärzte und andere Grundversorger erbringen, seit man sich erinnern kann, medizinische Leistungen zu Hause. Der Hausbesuch ist doch die wohl älteste Form des Hauslieferdienstes, oder nicht? Mann/Frau ist ja Hausärztin, das ist eine Person die nach Hause kommt, um medizinische Leistungen zu erbringen. Tatsache, immer weniger Hausärzte machen Hausbesuche. Warum wohl? Der Zeitaufwand ist enorm, in den Städten werden die Parkplätze abgebaut, Bussen drohen uns, wenn nicht gesetzeskonform parkiert wird, Benzin und Strompreise werden immer teurer, Stau wegen der vielen Lieferwagen fordert Zeitaufwand. Das veraltete Tarifsystem erkennt diese Situation nicht. Mittlerweile sollten die Hausärzte zu Fuss mit Notfallkoffer auf dem Rücken oder mit dem Velo die Hausbesuche durchführen. Würden wir das tun, würden die Rechnungen in die Höhe schnellen, niemand wäre bereit den ökologischen Einsatz seines Hausarztes zu bezahlen.

Fazit: Können wir den Hausbesuch nicht mehr anbieten, da nicht rentabel? Hier werden wir, bedingt durch die Hemmnisse, gezwungen, uns antizyklisch zu verhalten. Es droht die Rechtfertigung für diesen Berufstand zu verlieren – eine Hausärztin, der/die keine Hausbesuche macht, ist keine Hausärztin.

Anderseits bieten die Krankenkassen online Dienste an, wo sich Versicherte beraten lassen können. Doch wer beantwortet das Telefon? Das ist doch ein Versuch, Aufträge, die genuin den grundversorgenden Ärztinnen zustehen, zu entreissen.

Trotz dem Wandel der Zeit und Trends, müssen wir weiterhin den traditionellen Hausbesuch anbieten. Wir Hausärztinnen sollen uns aber dafür einsetzen, dass er zeitgemäss tarifiert wird, und wir nicht der Willkür von Gesundheits-, Verkehrs- und anderen Politikern zum Opfer fallen.

Ein Vorsatz für das kommende neue Jahr: lasst euch nicht unterkriegen – macht auch im neuen Jahr Hausbesuche – ein Ja zur Hausarztmedizin!

Dr. med. Astrid Lyrer

Dr. med. Astrid Lyrer-Gaugler

Basel

Krebsbericht Schweiz 2021: das Risiko an Krebs zu sterben nimmt weiter deutlich ab

Die ältere Population nimmt in unserer Bevölkerung überproportional zu und damit steigen die Inzidenz- und Mortalitätszahlen betreffend Krebserkrankungen erwartungsgemäss weiter an. Aber das Risiko, an Krebs zu sterben, nimmt bei Männern und bei Frauen deutlich ab. Genauer: die Sterberaten sind im Zeitraum 1988-2017 bei den Frauen um 28% und bei den Männern gar um 39% im Vergleich zu Gleichaltrigen vor 30 Jahren zurückgegangen! Die Männer schneiden hier prozentual besser ab, weil sie in diesem Zeitraum insbesondere die tabakassoziierten Krebstodesfälle deutlich reduzieren konnten. Im Vergleich zu 9 umliegenden europäischen Ländern inklusive aller unserer Nachbarländer hat die Schweiz für die Frauen die niedrigste und für die Männer die zweitniedrigste Mortalitätsrate.

Betreffend aller Todesfälle sind bei den Männern 30% und bei den Frauen 23% auf Krebs zurückzuführen. Bei den Männern werden 21% durch Lungen-, 14% durch Prostata- und 10% durch Dickdarmkrebs verursacht. Bei den Frauen ist Brustkrebs mit 18% führend, gefolgt von Lungenkrebs mit 16% und Dickdarmkrebs mit 10%.

Wenn wir die 5-Jahres Überlebenszahlen für alle Krebskrankheiten zusammen anschauen, dann liegen diese für die Frauen mit Krebs heute bei 67% und für Männer mit Krebs bei 64%. Dies ist eine weitere Verbesserung um 3% im Vergleich zur Periode 2003-2007. Bei Kindern mit Krebs liegt diese 5-Jahres Zahl heute bei 85%. Die Mortalitätsraten haben bei Kindern und Jugendlichen in diesem Zeitraum durch verbesserte Therapien weiter abgenommen.

Bei den Männern sind 50,3% der neuen Krebsfälle durch Prostata-, Lungen- und Dickdarmkrebs, bei den Frauen sind 51,1% durch Brust-, Lungen- und Dickdarmkrebs verursacht. Das Erkrankungsrisiko für Krebs insgesamt hat im Zeitraum 2003-2017 bei den Frauen nicht mehr zugenommen und bei den Männern sogar leicht abgenommen.

Die Schere zwischen weiterhin zunehmender Krebsinzidenz und abnehmendem Risiko einer Krebserkrankung zu erliegen, wird sich wohl noch beschleunigt weiter öffnen. Wir dürfen also davon ausgehen, dass die aktuellen Zahlen 2021 bereits wieder besser sind, allerdings müssen wir immer noch 3 Jahre warten, bis die jeweils bereinigten Zahlen vorliegen. Insbesondere der Einfluss der neuen Immuntherapien ist noch nicht genügend abgebildet in diesen Zahlen bis 2017. Die hier dokumentierten eindrücklichen Erfolge sind ein wichtiger Moment in der modernen Onkologie der Schweiz.

Die Daten entstammen dem sehr lesenswerten dritten Schweizerischen Krebsbericht 2021, den das Bundesamt für Statistik (BFS), die Nationale Krebsregistrierungsstelle (NKRS) und das Kinderkrebsregister (KiKR) für die Periode 2013–2017 gemeinsam publiziert haben. Der Bericht ist spannend und wiederum graphisch exzellent präsentiert.

Mit diesem erfreulichen Editorial schliessen wir den ersten Lebensabschnitt von info@onkologie und freuen uns auf den Start von info@onco-suisse durch die Zusammenlegung mit dem traditionsreichen Schweizer Krebsbulletin.

Prof. em. Dr. med. Thomas Cerny
thomas.cerny@kssg.ch

Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny

Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen

thomas.cerny@kssg.ch

Aktuelle Diskussion: Covid-19 Triage Intensivmedizinplätze

Medial wurde diese Diskussion kürzlich anhand eines Kindes mit angeborenem Herzfehler in Linz, Österreich, öffentlich lanciert, weil für die anstehende dringende OP der nötige Intensivpflegeplatz nicht zugesichert werden konnte. Diese Diskussion hat ein grosses Echo ausgelöst und aufgezeigt in welch schwierige Lage uns die aktuelle Covid-19 Welle bringt, wenn die Impfquote die nötigen ca. 90% bei weitem verfehlt. In Anbetracht einer vergleichbaren Situation in der Schweiz mit sogar noch tieferer Impfquote als Österreich und weniger strikten protektiven Massnahmen, ist davon auszugehen, dass auch bei uns die Triage von IPS-Plätzen nun zu erwarten ist.
Die Oncosuisse hat dazu der SAMW, wie bereits vor einem Jahr, einen Brief geschrieben und die Triagekriterien zur erneuten Diskussion empfohlen im Hinblick auf die a priori ungünstige Triage-Situation vieler Krebspatienten. Und dies hat folgende Gründe:

1. Die Prognoseabschätzung für Krebspatienten für nicht onkologisch erfahrenen Medizinalpersonen ist besonders schwierig, da sie einerseits durch die bedrohliche Grundkrankheit bereits eingefärbt ist und die meisten Patienten in der zweiten Lebenshälfte stehen. Andererseits ist der prognoserelevante Fortschritt in der Onkologie-Hämatologie so rasant, dass dies von vielen Kolleginnen noch nicht perzipiert wird.

2. Kurativ intendierte Therapien von Krebspatienten können auch intensivmedizinische Behandlungen einschliessen, die weder planbar noch elektiv, aber für den Behandlungs­erfolg ausschlaggebend sind. Derzeit gibt es viele Patienten, die bereits mit solchen Therapien behandelt werden, die keinen Unterbruch erlauben und daher auch eine mögliche IPS-Behandlung einschliessen.

3. Das Immunsystem vieler Krebspatienten ist krankheits- und/oder therapiebedingt nicht in der Lage, auch durch korrekte mehrfache Impfung eine genügende Schutzwirkung aufzubauen. Damit sind diese Patienten ohne ausreichenden Schutz und doppelt gefährdet für schwere Infektionen, einerseits bereits durch die Krankheit und Therapie, andererseits neu auch durch die Pandemie. Sie sind somit besonders auf die «Impf»-Solidarität durch die Allgemeinheit angewiesen.

4. Während normalerweise Patienten einige Tage auf der IPS gepflegt werden müssen, sind ungeimpfte und eher jüngere Covid-19 Patienten, welche beatmungspflichtig und ECMO-pflichtig werden, häufig 6 – 8 Wochen auf einen Platz auf der IPS angewiesen, der zudem besonders gut ausgebildetes Personal verlangt. Ein solcher Patient belegt somit einen IPS-Platz, der für mehrere andere Patienten genutzt werden könnte bei besonders hoher Beanspruchung des Personals.

5. Die Versehrtheit der Gesellschaft mit weltweit über 5 Millionen Todesfällen von Covid-19 Erkrankten und viel weiterem Leid ist gegenüber der geringen Versehrtheit durch ein generelles Impfprogramm mit einer hochwirksamen und sicheren Impfung abzuwägen. Die Unversehrtheit des Körpers und Lebens sehr vieler Menschen wird der Unversehrheit einer kleineren Minderheit von Impfverweigerern hintenangestellt. Hier wird das Gebot der Verhältnissmässigkeit missachtet. Es ist dabei klar, dass wir unter Impfverweigerern nur Personen verstehen, welche ohne nachvollziehbare medizinische Gründe eine Impfung ablehnen.

Bei Auftreten einer krassen Mangelsituation an IPS-Plätzen sollte die selbstgewählte Ablehnung der seit einem Jahr allen Bürgern angebotenen freiwilligen und kostenfreien Mehrfachimpfung mit dem damit auch freiwillig eingegangenen Risiko einer lebensbedrohlichen Covid-Infektion ein legitimer neuer Diskussionspunkt für die geltenden Triagekriterien sein. Ein apriori Ausschluss, dass der freiwillig selbstgewählte Impfstatus zu keinem Zeitpunkt ein Kriterium sein darf, erachtet die Oncosuisse aus den erwähnten Gründen als problematisch und in einer aussergewöhnlichen Notlage wie der aktuell akzellerierten Pandemiesituation als nicht abschliessend. Die normativen Wertegrundlagen einer freien Gesellschaft wie Freiheit, Gerechtigkeit, Verantwortung, Wahrheit, Solidarität und der Schutz des Lebens geben mit diese a priori Position der SAMW der Freiheit mehr Gewicht als der Verantwortung Einzelner und dem Schutz des Lebens vieler.

Prof. em. Dr. med. Thomas Cerny
thomas.cerny@kssg.ch

Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny

Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen

thomas.cerny@kssg.ch