Roter Urin muss abgeklärt werden

Roter Urin ist immer ein Alarmsymptom. Doch nicht immer steckt eine Blutung dahinter. Doch bei Nachweis einer Erythrozyturie muss nach der Ursache – extraglomerulär oder glomerulär – gefahndet werden.

Ein roter Urin bedeutet nicht zwangsläufig, dass es sich um Blut handelt. «Der erste Schritt bei der Diagnostik ist deshalb, mit einem Urinstix eine Blutung nachzuweisen oder auszuschliessen», so Prof. Michael Dickenmann. Ist der Stix negativ, so ist nicht nur eine Blutung sondern auch eine Hämoglobin- oder Myoglobinurie ausgeschlossen. Bei einem positiven Stix-Ergebnis könnte neben einer Hämaturie auch eine Ausscheidung von Hämoglobin oder Myoglobin die rote Farbe des Urins erklären. Es gibt aber auch falsch positive Ergebnisse.

Glomerulär oder extraglomerulär?

Im zweiten Schritt muss dann geklärt werden, ob das Blut aus den Nieren oder den ableitenden Harnwegen stammt. Dafür benötigt man zunächst den Nachweis der Erythrozyten im Urinsediment. Die Morphologie der Erythrozyten erlaubt eine Differenzierung in glomeruläre und nicht-glomeruläre Hämaturie. Bei einer nicht-glomerulären Hämaturie geht es dann um die weitere urologische bzw. gynäkologische Abklärung, d.h. dem Nachweis einer Blutungsquelle in den ableitenden Harnwegen. Häufigste Ursachen sind Harnsteine und Tumore (Nierenzellkarzinom, Prostatakarzinom, Blasenkarzinom). Seltene Ursachen sind eine Vaskulitis, Endometriose, Entzündungen der Harnwege und die Tuberkulose. «Ein Malignom muss immer ausgeschlossen werden», so Dickenmann.
Bei einer glomerulären Hämaturie sollte die Differenzierung der Proteine im Urin und ggf. eine Nierenbiopsie durchgeführt werden. Auch die Bestimmung der Nierenfunktion und die Suche nach einer Systemerkrankung sind unverzichtbar. Finden sich im Sediment keine Erythrozyten, so sollte man zunächst an eine Hämoglobin- bzw. Myoglobinurie also Hämolyse bzw. Rhabdomyolyse denken. Aber auch Lebensmittel und Medikamente können den Urin rot verfärben, ohne dass Erythrozyten im Sediment nachweisbar sind.

Dr. med.Peter Stiefelhagen

Ein diffuses Krankheitsbild

«Long Covid» ist eine Sammlung von Beschwerden im Sinne einer verzögerten Rekonvaleszenz nach einer Intensivbehandlung mit einem ungewöhnlichen Erschöpfungssyndrom ohne sicheren organischen Befund, reaktiver Depression und neurologischen oder neuropsychiatrischen Beschwerden jenseits von drei Monaten nach der Akutbehandlung.

Bei einer symptomatischen COVID-19-Erkrankung werden drei Verlaufsformen unterschieden:

  • akute Infektion: Symptome < 4 Wochen
  • anhaltend symptomatische Infektion: Symptome 4 – 12 Wochen nach der akuten Infektion
  • Post-COVID-19: > 12 Wochen anhaltende Symptomatik.

Die akute Infektion verläuft nach Meinung von Prof. Nina Khanna in drei Stadien:

  • Stadium 1: Frühe Infektion mit viraler Replikation
  • Stadium 2: Pulmonale Phase
  • Stadium 3: Hyperinflammatorische Phase.

20% der Infizierten sind asymptomatisch, 80% zeigen einen milden, 14% einen schweren und 5% einen kritischen Verlauf mit einer Mortalität zwischen 20 und 70%.

Das Long-Covid-19-Syndrom kann alle infizierten Patienten betreffen, ist jedoch häufiger und länger bei hospitalisierten Patienten. Dabei stellt sich die Frage, ob die Symptome spezifisch für COVID-19 sind oder aber unspezifisch, wie sie auch nach schweren Infektionen oder Erkrankungen mit Intensivbehandlung auftreten können; denn es gibt eine Überlappung mit dem «Chronic Fatigue»-Syndrom bzw. der so genannten «Myalgischen Encephalopathie», d. h. dem post-viralen oder post-infektiösen Müdigkeitssyndrom, das auch nach anderen Infektionen (EBV-Infektion, Borreliose, Q-Fieber) immer mal wieder auftritt. Typisch für letzteres sind eine funktionelle Einschränkung im Alltag bzw. Berufsleben, nicht erholsamer Schlaf, kognitive Einschränkungen, orthostatische Intoleranz , Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, umgrenzte Muskelschmerzen und Mehr­fachallergien. Die Abgrenzung zum Long COVID kann deshalb sehr schwierig sein.

Keine Seltenheit

Inzwischen mehren sich die Beobachtungen, die zeigen, dass bei einer gewissen Anzahl von Patienten auch nach 6 Monaten und später persistierende Beschwerden vorliegen, die nicht streng mit der initialen Krankheitsschwere und auch nicht mit dem initialen Beschwerdemuster korrelieren. So fand sich eine erhöhte Rate von organisch kaum erklärbaren Erschöpfungssyndromen und neurokognitiven Einschränkungen bei ansonsten gesunden Erwachsenen mittleren Alters, die vor ihrer COVID-19-Infektion voll im Beruf standen, jetzt aber längerfristig eingeschränkt oder sogar arbeitsunfähig sind. In einer chinesischen Studie bei 1.733 Patienten klagten nach 6 Monaten 63% über Müdigkeit, 26% über Schlafstörungen, 23% über eine ängstliche-depressive Verstimmung. Bei der Lungenfunktionsuntersuchung zeigten 22% eine Diffusionsstörung und fast 30% eine Verminderung der 6-Minuten-Gehstrecke. In einer britischen Studie fanden sich bei 14% persistierende oder episodisch rezidivierende Beschwerden, wobei drei phänotypische Cluster beschrieben werden:

  • Sensorische Störungen wie Geschmacks- und Riechstörungen, Appetitmangel, Sehstörungen
  • Neurologische Störungen wie Vergesslichkeit, Kurzzeitgedächtnisstörungen, Verwirrtheit
  • Kardio-respiratorische Symptome wie Brustenge bzw. - schmerz, Belastungsdyspnoe, Müdigkeit, Erschöpfung, Ruhe-oder Belastungsdyspnoe, Herzstolpern, Herzklopfen.

Was die Häufigkeit betrifft, so klagen bis zu 20% auch nach 3 Monaten noch über mindestens 1 Symptom, bei hospitalisierten Patienten sind es bis zu 50% und bei intensivmedizinisch behandelten Patienten sogar über 70%. Am häufigsten wird über eine anhaltende Müdigkeit, Kopfschmerzen, Husten und Thoraxschmerzen geklagt. Als Risikofaktoren für ein Long COVID-19-Syndrom erwiesen sich ein höheres Alter, weibliches Geschlecht. Komorbiditäten und ≥ 5 Symptome in der ersten Woche. Verlaufsbeobachtungen zeigen, dass bei einem Drittel der Fälle die Diffusionskapazität nach 12 Wochen noch eingeschränkt ist und bei 60% finden sich im CT noch Residuen. «Halten die Beschwerden über zwölf Wochen an, so erfordern diese Patienten eine multidisziplinäre Kontrolle», so Khanna. Bei einem unkomplizierten Verlauf sei aber eine Kontrolle nicht erforderlich.

Dr. med.Peter Stiefelhagen

Angsterkrankungen – was ist neu?

Ein Fokus des diesjährigen Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression war die erstmalige Präsentation des Updates der Schweizer Behandlungsempfehlungen Angsterkrankungen und deren Anwendung in der klinischen Praxis. Diese von der SGAD in Zusammenarbeit mit der SGPP und der SGBP er­arbeiteten Behandlungsempfehlungen werden anfangs 2022 veröffentlicht.

Die ersten Schweizer Behandlungsempfehlungen zu Angsterkrankungen wurden 2011 veröffentlicht: «Zeit für eine Revision!», startet Prof. Dr. med. Erich Seifritz, Zürich, Präsident der SGAD, sein Referat anlässlich des 12. SFMAD vom 7. Oktober 2021. Die gegenwärtige Überarbeitung, so Prof. Seifritz, wird beispielsweise die veränderte Einteilung der verschiedenen Angsterkrankungen aufzeigen. «Insgesamt müssen wir lernen, Angsterkrankungen mit Blick auf DSM 5 und ICD 11 neu zu kodieren», sagt Seifritz. Aktuell erfolgt eine Differenzierung basierend auf Diagnose, Schweregrad der Erkrankung und Alter des Patienten bzw. der Patientin, allerdings wird das Geschlecht nicht berücksichtigt, obwohl es deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede gibt.

Auf die Diagnose der verschiedenen Angststörungen geht Dr. med. Michael Colla, Zürich, in seinem Referat zur Implementierung der Behandlungsempfehlungen näher ein und betont: «Bevor wir eine psychiatrische Diagnose stellen, müssen wir u.a. Lungen-,  neurologische, endokrine und Herz- und Kreislauferkrankungen als Auslöser ausschliessen. Besonders endokrine Störungen werden im Praxisalltag oft übersehen».

Ist eine Angsterkrankung diagnostiziert, stellen sich psychotherapeutische Massnahmen zu den primären Interventionsformen, dazu gehören psychosoziale Unterstützungsmassnahmen, psychoedukative Aspekte und schliesslich Psychotherapie im engeren Sinne. Von der SGPP anerkannte Psychotherapien sind die psychoanalytisch orientierte, die verhaltenstherapeutische und die systemische Therapie. «Es gibt jedoch keine randomisierten Studien, die verschiedene Formen der Psychotherapie bei Angsterkrankungen miteinander vergleichen», so Prof. Seifritz. In randomisierten Studien zu einzelnen Psychotherapieformen zeigte einzig die kognitive Verhaltenstherapie Wirksamkeit bei Angsterkrankungen. Bemerkenswerterweise zeigen Studien eine sehr hohe Wirksamkeit von digitalen Psychotherapieverfahren auf, und Metaanalysen konnten bisher keine Unterschiede in der Effektivität zwischen Face-to-Face und digitalen Psychotherapien aufzeigen. Gemäss diesen Studien bestehen besonders wirksame Therapieformen aus einer Kombination zwischen Präsenz- und digitalen Behandlungen (sogenannte «blended» Verfahren). Auch müssen die Effektivitätsvergleiche zwischen Psychotherapie und Pharmakotherapie mit Vorsicht interpretiert werden, da Psychotherapien nicht doppelblind gegen Placebo verglichen werden können. Die meisten Psychotherapiestudien vergleichen die Behandlung mit Wartelisten, welche einen klaren Nocebo-Effekt aufweisen.

Bei der Psychopharmakotherapie haben Substanzen mit der besten Evidenzlage den grössten Einfluss auf die Behandlungsempfehlungen. So sind selektive Serotoninaufnahmehemmer (SSRI) heute oft die medikamentöse Therapie der Wahl. «Allerdings kann am Anfang der Behandlung zunächst eine Verschlechterung der Symptomatik auftreten – die aktivierende Wirkung kann zu körperlicher Unruhe («jitteriness») führen, bevor sich ein Gleichgewicht einstellt und die Angst zurückgeht», so Dr. Colla. Zur Vermeidung von Schlafstörungen unter SSRI empfiehlt er die morgendliche Einnahme. Zudem können SSRI zu Blutungsneigung führen und sind häufig mit sexuellen Funktionsstörungen assoziiert. Auch auf die Besonderheiten der anderen zur Verfügung stehenden Psychopharmaka geht Dr. Colla ein. So kann Venlafaxin sein volles Wirksamkeitspotential erst ab einer Dosierung von 150 mg entfalten und Trazodon in seltenen Fällen Priapismus auslösen. Im Hinblick auf den Einsatz von Antipsychotika warnt Dr.  Colla: «Bei atypischen Substanzen ist das metabolische Risiko zu berücksichtigen!» Zudem stellt Dr. Colla zwei Neuerungen in den Behandlungsempfehlungen vor: So kann das Antikonvulsivum Pregabalin, welches spannungsabhängige Calciumkanäle bindet, nun bei der generalisierten Angststörung eingesetzt werden. «Pregabalin wirkt hervorragend gegen Angst und Anspannung, allerdings ist das Abhängigkeitsrisiko wahrscheinlich höher als initial gedacht», resümiert er. Eine weitere Neuerung ist das Phytotherapeutikum Silexan, welches auf Lavendelölextrakt basiert und bei der Indikation «Ängstlichkeit und Unruhe» eingesetzt werden kann. «Silexan hat kaum Nebenwirkungen und ist im Gegensatz zu anderen Phytopharmaka interaktionsarm», so Dr. Colla. Es ist auch das einzige Phytotherapeutikum, welches in randomisierten Studien und Metaanalysen auf die Wirkung bei Angststörungen getestet wurde.

Die intravenöse Infusion von Ketamin, welches bei therapieresistenten Depressionen zugelassen ist, lässt gegen soziale Phobie jedoch noch keine abschliessende Beurteilung zu. Das Antidepressivum Agomelatin zeigte bei der Behandlung von Patienten mit generalisierter Angststörung eine positive Wirkung, ist allerdings in dieser Indikation nicht zugelassen. «Alles in allem haben wir gegenwärtig ein sehr vernünftiges Instrumentarium», fasst Dr.  Colla zusammen.

Prof. Seifritz widmet sich des Weiteren den Besonderheiten spezifischer Patientenpopulationen, welche neu auch ausführlich in den Behandlungsempfehlungen beschrieben sind. Bei Kindern und Jugendlichen ist die sich im Laufe der Entwicklung verändernde Phänomenologie eine Herausforderung. So ist Trennungsangst im Kindesalter ein starker Risikofaktor für die Entwicklung von Panikstörungen und Betroffene werden häufig nicht adäquat behandelt. Bei älteren Patienten ist es besonders wichtig, physiologische, metabolische und kognitive Veränderungen zu berücksichtigen. «Diese Patientengruppe erfordert eine stärkere somatische Kontrolle der medikamentösen Therapie», betont Seifritz. Auch Schwangerschaft und Stillzeit stellen besondere Anforderungen an die medikamentöse Behandlung und haben in den Empfehlungen ihren Platz.
Abschliessend betont Prof. Seifritz abermals, wie wichtig eine sinnvolle Implementierung von Behandlungsempfehlungen ist. Er zitiert hierbei den kanadischen Psychiater Dr. Roger S. McIntyre von der University of Toronto: «We do not need more guidelines, we need implementation».

Die evidenzbasierten Behandlungsempfehlungen Angst stellen eine De-novo-Ausarbeitung unter Berücksichtigung der Schweizer Verhältnisse dar – mit Einbezug der sehr aktuellen deutschen, wie auch der österreichischen Leitlinien. Eine Übersicht wird anfangs 2022 veröffentlicht. Die ausführliche Version wird unter www.sgad.ch und www.psychiatrie.ch/sgpp einsehbar sein.

red.

Genetische Werkzeuge zur Lipidsenkung: Die Zukunft ist da

Am 3. März 2021 fand ein virtuelles Symposium über genetische Wege zur Lipidsenkung statt. International renommierte Wissenschaftler nahmen Stellung zu aktuellen Themen der Lipidforschung, wobei die neue Art der LDL-Cholesterinsenkung durch Interferenz mit der mRNA des PCSK9-Gens im Vordergrund stand. Das Programm wurde durch Novartis unterstützt, aber in keiner Weise beeinflusst.

Brauchen wir Cholesterin?

Dies die Frage, der sich Prof. Dr. med. Thomas F. Lüscher, London, stellte. Der Referent erinnerte an den berühmten Pathologen Rudolf Virchow (1821-1902), der Atherosklerose als eine chronische Inflammation, die durch Cholesterin induziert wird, bezeichnete. Heute sind die Kenntnisse der Pathomechanismen, die zu dieser Krankheit führen, detaillierter und auch wesentlich komplizierter. Cholesterin, insbesondere LDL-Cholesterin, hat sich dabei weiterhin als einer der wesentlichen Driver herauskristallisiert.
Bei der Betrachtung der LDL-Cholesterinspiegel im Laufe der Evolution zeigt sich ein grosser Unterschied zwischen den bei Tieren beobachteten Werten (ca. 7 mg/dl bei der Maus bis 55 mg/dl beim Affen) und den bei Menschen üblichen Werten in der Grössenordnung von 200 mg/dl. Der Mensch ist die einzige Spezies in der Evolution, die extrem hohe LDL-Cholesterinwerte aufweist und er ist auch die einzige Spezies, die an einem Myokardinfarkt stirbt.

Ist LDL dem Lebensstil geschuldet oder ist es Schicksal: die HORUS-Studie

Kultur und Lebensweise tragen ebenfalls zur Entwicklung der koronaren Herzkrankheit bei, nicht nur die Genetik. Eine Untersuchung von Mumien aus 4 verschiedenen Kulturen, aus dem alten Ägypten, aus prähistorischen peruanischen Kulturen, Bewohnern der Aleuten und der Pueblo-Kultur aus Nordamerika ergaben Belege für atherosklerotische Veränderungen bei Vertretern aller vier Kulturen. Die Untersuchung der möglichen Faktoren ergab, dass diese Bevölkerungen von grassierenden mikrobiellen Infektionen und anhaltend von Parasiten befallen waren. Sie müssen also ständig in einem Entzündungszustand gewesen sein, was eine chronische Entzündung der Gefässwände ausgelöst haben könnte. Diese Kulturen kochten zudem über offenen Feuerstellen und lebten in unterirdischen Behausungen, in denen sich Rauch ansammelte. Während also früher vor allem Umweltfaktoren die Atherosklerose begünstigten, sind es heute die durch die Lebensgewohnheiten hervorgerufenen hohen LDL-C- und Blutdruckwerte, die atherosklerotische Veränderungen der Gefässe begünstigen.

Neben den Umwelt- und Lifestyle-bedingten Faktoren spielen aber auch genetische Faktoren, insbesondere im Hinblick auf die LDL-C-Werte, eine bedeutende Rolle, wie der Referent bemerkte. Einer dieser genetischen Faktoren, der zu autosomal dominanter Hypercholesterinämie führt, entdeckten Marianne Abifadel und Mitarbeiter im Gen der PCSK9, einem Protein, das die Ausprägung der LDL-Rezeptoren reguliert. In der Folge wurden auch Mutationen im PCSK9 entdeckt, die mit tiefen Cholesterinwerten einhergehen. Drei Jahre später wurden Sequenzvarianten im Gen der PCSK9 entdeckt, die für tiefe LDL-Cholesterinwerte kodieren. Diese gingen mit einem stark erniedrigten kardiovaskulären Risiko einher.

Der Referent erinnerte an die epidemiologischen Resultate verschiedener Länder, die zeigten, dass Länder mit niedrigeren Cholesterinwerten eine geringere Inzidenz an Koronartoten aufweisen. Dies war insbesondere bei den Jägern und Sammlern vergangener Tage, aber auch bei den Masai und den Tsimanen, die als die gesündeste Population der Welt gelten, der Fall. Die Tsimanen haben Blutdruckwerte um 116 mmHg und Cholesterinwerte um 3.9 mmol/l.

Welches ist ein normales LDL-Cholesterin und sind sehr tiefe Werte sicher?

Der Referent erinnerte an das Glagov-Konzept und die Glagov-Studie mit Evolocumab, in welcher eine Regression der atherosklerotischen Plaque bei einem LDL-Wert < 1.4 mmol/l festgestellt werden konnte. Mit den PCSK9-Hemmern können extrem tiefe LDL-Cholesterinwerte erzielt werden, wie die Studien FOURIER mit Evelocumab und ODYSSEY OUTCOMES mit Alirocumab eindrücklich zeigten. Alirocumab und Evolocumab haben sich in allen Studien als sicher und ohne zusätzliche Nebenwirkungen erwiesen. Es gilt also «the lower the better».

Brauchen wir denn überhaupt LDL im Plasma? Tiere mit ultratiefen LDL-Werten haben keine Herzinfarkte, Menschen mit einer Loss-of-Function-Mutation im PCSK9-Gen haben keine koronare Herzkrankheit. Nebennieren- und Geschlechtsdrüsen sowie Gehirnfunktion sind bei sehr tiefen LDL-C-Werten normal. Sehr tiefe LDL-C-Werte senken das Risiko für kardiovaskuläre Krankheit und erweisen sich als sicher.

Die neuen ESC Guidelines: Wie tief ist tief genug?

Es existiert eine klare Beziehung zwischen dem im Blut zirkulierenden LDL und dem Risiko für atherothrombotische Läsionen, Herzinfarkt und Schlaganfall, stellte Prof. Dr. med. François Mach, Genf, einleitend fest. Da wir länger leben und länger einem erhöhten LDL-Wert exponiert sind, sollten wir ab dem 40. Lebensjahr unseren Cholesterinwert, aber auch den Blutdruck und den Glukosespiegel messen. Dies gilt auch für gesunde Personen, so der Referent.

Wenn wir den LDL-Cholesterinwert durch eine Behandlung um 1.6  mmol/l senken, kann das kardiovaskuläre Risiko nach 5-jähriger Behandlung um 30% gesenkt werden. Durch die gleiche Senkung um 1.6 mmol/l kann in prospektiven Studien, die während 10-12 Jahren dauern, das Risiko um 50% gesenkt werden. Wenn aber durch eine genetische Mutation der LDL-Wert von Geburt auf um 1.6 mmol/l gesenkt wird, kann eine relative Risikoreduktion bis zu 70% erreicht werden. Wie niedrig ist sicher? Für den Blutdruck und auch die Blutglukose gibt es eine J-förmige Kurve. Dies gilt nicht für Cholesterin im Blut. Der Referent verwies auf die verschiedenen Studien, die zu immer tieferen LDL-Werten führten, zuletzt die Studien FOURIER mit Evolocumab und ODYSSEY OUTCOMES mit Alirocumab. In Fourier hatten 1300 Patienten Werte unter 0.4 mmol/l, ohne jegliche unerwünschte Nebenwirkungen. Gleiches wurde im Programm ODYSSEY OUTCOME festgestellt. Auch in Kindern unter 8 Jahren mit familiärer Hypercholesterinämie unter Behandlung mit Evolocumab wurde dies beobachtet. Trotz dieser hocheffizienten Therapien werden die LDL-Zielwerte nicht erreicht, wie der Referent anhand der Resultate in verschiedenen Ländern zeigte.

Der Referent verwies auf die ESC Lipid Guidelines 2019. Die fundamentalen Prinzipien für eine LDL-senkende Therapie sind: Die RELATIVE Risikoreduktion ist proportional zur ABSOLUTEN LDL-Senkung. Niedriger ist besser. Die LDL-Senkung mit Statinen, Ezetimibe oder PCSK-9-Inhibitoren ist sicher und effektiv bis <1.4 mmol/l. Die Intensität einer lipidsenkenden Therapie sollte basieren A) auf dem Risiko (unabhängig von seiner Ursache (z.B. primäre oder sekundäre Prävention, Diabetes oder chronische Niereninsuffizienz) und B) auf dem Ausgangs-Cholesterinwert (welcher bestimmt, wie viel Risikoreduktion erreicht werden kann.
Prof. Mach präsentierte anschliessend die verschiedenen Risikokategorien und die entsprechenden Ziele und Evidenzgrade gemäss den 2019 ESC/EAS Guidelines. Für Patienten in der Sekundärprävention mit sehr hohem Risiko, die trotz einer Statintherapie mit maximal tolerierter Dosis plus Ezetimibe den Zielwert < 1.4 mmol/l nicht erreichen, ist eine Kombination mit einem PCSK9-Hemmer empfohlen (I/A). In der Primärprävention kann für diese Patienten ein PCSK9-Hemmer in Betracht gezogen werden (IIb/C). Die Evidenz für die Wirksamkeit LDL-senkender Therapien bis < 1.4  mmol/l ergibt sich aus mehreren Outcome-Studien, die alle zeigten, dass tiefere Werte mit einem besseren Ergebnis einhergehen.

Der Referent nannte 3 Konzeptwechsel für eine moderne Strategie zur Lipidsenkung

I: Starte früh (weniger LDL-Exposition beugt der Bildung von Läsionen vor)
II: Behandle (sehr viel) aggressiver (von wünschbarem Zielwert zur LDL-C Eliminierung aus dem Blut)
III: Verwende Kombinationstherapie (Statin + Ezetimibe ± PCSK9 mAb induzierte LDL-C Senkung reduziert kardiovaskuläre.

Zum Schluss erinnerte Prof. Mach daran, dass der Lebensstil einen grossen Einfluss auf die Risikofaktoren hat und dass die erste Massnahme für eine Risikosenkung stets eine Änderung der Lebensgewohnheiten sein sollte.

Sind wir im Mittleren Osten auf Ziel?

Die Prävalenz der Dyslipidämie variiert in der Region Mittlerer Osten zwischen 20% und 50%, Es gibt eine grosse Variation im Hinblick auf die Art der Studienpopulationen bei den verschiedenen Studien, und eine Standarddefinition für Dyslipidämie und entsprechende Cut-Offs fehlen, stellte Prof. Dr. med. Abdallah G. Rebeiz, Beirut, fest. Die mit kardiovaskulärer Krankheit assoziierte Mortalitätsrate im Mittleren Osten ist eine der höchsten weltweit. Die meisten Studien wurden vor der Herausgabe der neuen ESC-Guidelines durchgeführt.
Die Centralized pan-Middle East Survey on the undertreatment of hypercholesterolemia (CEPHEUS)-Umfrage untersuchte die Erreichung von Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin (LDL-C)-Zielen bei Patienten unter lipidsenkenden Medikamenten (LLDs) gemäss der aktualisierten Richtlinie des National Cholesterol Education Program (NCEP)-Adult Treatment Panel (ATP-III). Die Umfrage wurde in 6 Ländern der Arabischen Golfregion durchgeführt. Es wurden Patienten im Alter von ≥18 Jahren rekrutiert, die seit mindestens ≥3 Monaten LLDs einnehmen (stabile Medikation seit ≥6 Wochen). Nüchternblutproben wurden bei einem einzigen Besuch entnommen. In dieser Studie wurden 5276 (58,2% männliche) Patienten in die endgültige Analyse aufgenommen. Das LDL-C-Ziel wurde bei 91,1% der Patienten mit niedrigem Risiko, 52,7% der Patienten mit hohem Risiko und 32,0% der Patienten mit sehr hohem Risiko erreicht. Die Zielerreichung stand in direktem Zusammenhang mit dem weiblichen Geschlecht, dem Alter unter 40 Jahren, der Vorgeschichte von Diabetes und der Familienan-amnese von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Ergebnisse dieser Umfrage verdeutlichen das suboptimale Management der Hypercholesterinämie in den Ländern der Arabischen Golfregion.
Hindernisse bei der Einhaltung von Leitlinien: Sind die Kosten schuld? Der Referent zeigte die Kosten, um ein Ereignis zu verhindern in Bezug auf das Bruttosozialeinkommen in den verschiedenen Ländern des mittleren Ostens (Bahrain, Jordanien, Kuwait, Oman KSA und Libanon. Da die Kosten Zur Verhinderung eines CV-Ereignisses zu vermeiden ansteigen, wird die Adhärenz problematischer. Die Daten im Mittleren Osten sind vereinbar mit denen in Europa und den USA, wo ebenfalls ein Mangel an Zielerreichung für LDL-C existiert. Die Daten unterstreichen die Notwendigkeit einer intensiveren lipidsenkenden Therapie und innovativer Lösungen, um die in den Leitlinien empfohlenen Ziele zu erreichen, so die Schlussfolgerungen des Referenten.

Wirkungsmechanismus der RNA-Interferenz

Daten zur Genetik der atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankung, mit einem Fokus auf atherogene Lipoproteine, präsentierte Prof. Dr. med. Ulf Landmesser, Berlin. Er zeigte, dass genetische Studien, dass Varianten in HMG-CoA-Reduktase-, NPC1L1- und PCSK9-Genen mit niedrigeren LDL-Cholesterinwerten und einem verringerten Risiko für koronare Erkrankungen assoziiert sind, was mit den Ergebnissen neuerer gross angelegter klinischer Studien übereinstimmt. Mendelsche Randomisierungsstudien legen auch nahe, dass genetische Varianten, die zu hohen Lp(a)-Spiegeln führen, kausal mit einem erhöhten Risiko für koronare Erkrankungen verbunden sind. Genetische Studien, die Varianten im Gen für endotheliale Lipase oder SR-B1 untersuchten, zeigten eine Assoziation mit erhöhten HDL-Cholesterinwerten, berichteten aber nicht über ein verringertes Risiko für koronare Erkrankungen, was mit dem Konzept vereinbar ist, dass HDL-Cholesterinwerte nicht unbedingt kausal mit koronaren Erkrankungen verbunden sind.

RNA-Interferenz (small interference RNAs – siRNAs)

Oligonukleotid-basierte Medikamente haben die Fähigkeit, die Synthese von krankheitsassoziierten Proteinen zu hemmen, indem sie auf der Transkript-Ebene eingreifen. Unter den verschiedenen Klassen von Oligonukleotid-basierten Therapien sind die siRNAs die klinisch am weitesten fortgeschrittenen Plattformen. Ihre Entdeckung geht auf A. Fire und C. Mello zurück, die dafür den Nobelpreis im Jahre 2006 erhielten. Durch die direkte Konjugation von siRNAs an den triantennären GalNAc-Zucker wurde eine gezielte Abgabe an Hepatozyten erreicht, und zwar durch rezeptorvermittelte Endozytose über den Asialoglykoprotein-Rezeptor (ASGPR), der hauptsächlich auf der Oberfläche von Hepatozyten exprimiert wird. Dieses Prinzip wurde für die PCSK9-Hemmung angewandt (Inclisiran).

Der Referent wies auf die ORION-1-Studie hin, insbesondere auf die Effekte in einer präspezifizierten Analyse auf Thrombozyten, Immunzellen und immunologische Biomarker, die alle nicht signifikante Unterschiede im Bereich von weniger als 1.8% zeigten. Der Referent schloss mit einer Zusammenfassung der Massnahmen zur Prävention von atherosklerotischer kardiovaskulärer Krankheit, die, neben der Lifestyle-Optimierung, eine Guideline-konforme medikamentöse Therapie (z.B. antithrombotische Therapie, intensiver Einsatz von Statin/Ezetimibe und antihypertensive Therapie) beinhalten.

Inclisiran – ein neues therapeutisches Prinzip

Die Senkung von Plasma LDL-C über den LDL-Rezeptor kann in verschiedener Weise erfolgen: Mit Hilfe von Statinen, die durch intrazelluläre Cholesterindepletion die Ausprägung von LDL-Rezeptoren erhöhen, durch Antikörper, die die Bindung von PCSK9 an den Rezeptor verhindern und dadurch die Anzahl der Rezeptoren erhöhen oder durch RNA-Interferenz, dem neuesten Prinzip, wie Prof. Dr. med. Kausik K, Ray, London, erklärte. Der Referent zeigte zunächst die Daten mit vierzehntäglich 140 mg Evolocumab, was zu einer stabilen LDL-C-Senkung führt. Er wies auf die RNA-basierten Technologien hin, die Antisense-Technologie und die siRNA-Technologie. Die siRNA-Technologie mit Inclisiran zeigte in einer Dosisabhängigkeitsstudie, dass die Dosis von 300 mg optimal war. Damit liess sich eine LDL-C-Senkung von über 50% erreichen, wobei die Senkung nach 180 Tagen immer noch 38.4% betrug. Die über 9 Monate Zeit bereinigte mittlere Reduktion betrug 41%, so die Resultate von ORION-1, einer Phase-II-Studie. Mittlerweile sind verschiedene Phase-III-Studien durchgeführt worden, ORION-9 in Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie, ORION-10 bei etablierter atherosklerotischer kardiovaskulärer Krankheit (ASCVD) und ORION-11 bei etablierter ASCVD oder ASCVD Risiko-Äquivalent. Die Studien bestätigten die Senkung des LDL-Cholesterinspiegels um ca 50% mit Inclisiran, das alle 6 Monate subkutan verabreicht wurde.

Fazit

  • Inclisiran, die erste und einzige Therapie, die den siRNA-Wirkmechanismus zur Senkung des LDL-C nutzt, ahmt den körpereigenen Prozess der RNA-Interferenz nach, um die LDL-Rezeptoren in der Leber zu erhöhen und damit die LDL-C-Clearance aus dem Kreislauf zu steigern.
  • Inclisiran ermöglicht eine effektive und anhaltende LDL-C-Senkung.
  • Behandlungsbezogene unerwünschte Wirkungen waren in der Inclisiran-Gruppe und der Placebogruppe ähnlich, mit Ausnahme der Reaktionen an der Injektionsstelle, die in der Inclisiran-Gruppe häufiger waren. Diese waren vorwiegend mild. Keine war schwer oder persistierend.
  • Inclisiran ist geeignet für Personen mit erhöhten LDL-C Werten, welche die von den Guidelines empfohlenen Zielwerte mit Statinen nicht erreichen.
  • Mit 2 Dosen pro Jahr ist Inclisiran eine starke Ergänzung zu Statinen, um eine effektive und nachhaltige LDL-C-Senkung zu erreichen.

Quelle: Genetic Tools in Lipid Lowering: The future is here, online Symposium, 03.03.2021, unterstützt von Novartis.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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Grundlagen der Chronobiologie – Was müssen die Ärzte wissen?

Der Schlaf ist ein wesentlicher physiologischer Prozess, der ein breites Spektrum biologischer Aktivitäten tiefgreifend beeinflusst. Es ist inzwischen bekannt, dass der Schlaf unzählige lebenswichtige Funktionen des zentralen Nervensystems unterstützt. Dazu gehören neuronale Plastizität, Lernen, Gedächtnis, Kognition und emotionale Regulierung. Darüber hinaus beeinflusst er grundlegende Prozesse wie die kardiovaskuläre, immunologische und metabolische Aktivität.

Aus zahlreichen Forschungsarbeiten geht hervor, dass eine gute Schlafqualität sowohl für das Überleben als auch für ein optimales Funktionieren des Lebens unerlässlich ist. Vieles deutet auch darauf hin, dass selbst minimale Störungen der zirkadianen Regulierung den Schlaf erheblich stören und die Körperphysiologie umfassend beeinflussen können. Infolgedessen weiss man heute, dass die Therapie von Schlafstörungen komplexer ist als man früher dachte.
Inzwischen haben mehrere klinische Disziplinen die Bedeutung der biologischen Uhr für Gesundheit und Krankheit erkannt und beziehen dieses Wissen in ihre Behandlungsprogramme ein. In den letzten Jahrzehnten sind Chronotherapien entstanden, d.h. Behandlungsstrategien, die darauf abzielen, Anpassungen der zirkadianen Uhr zu bewirken. Das eigentliche Ziel dieser Ansätze ist die Beeinflussung grundlegender zellulärer und physiologischer Prozesse, die wiederum die Ursache für Störungen der physiologischen Alterung, der Immunfunktion und Stoffwechselaktivität sowie psychiatrischer Störungen sein können. Es wird vermutet, dass die Integration chronobiologischer Perspektiven in viele gängige medizinische Disziplinen von grossem Nutzen wäre, sowohl für die Verringerung der Prävalenz von Krankheiten als auch für deren Behandlung. Eine kürzlich veröffentlichte Übersichtsarbeit befasst sich mit der Physiologie des Schlafs und der Bedeutung von Zeitmessmechanismen für die Regulierung der allgemeinen Gesundheit (1).

Die zirkadiane Uhr spielt eine wichtige Rolle für den Beginn, die Struktur, den Zeitpunkt und die Dauer des Schlafs. Diese Erkenntnis deutet darauf hin, dass eine falsche Ausrichtung der inneren Uhr zu erheblichen Schlafstörungen führen kann. Die Identifizierung von Schlafanomalien ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zur Diagnose anderer physiologischer oder psychiatrischer Störungen.

Viele Schlafstörungen sind vermeidbar und oft sind sie das Ergebnis von Lebensstilentscheidungen. Im Zeitalter der künstlichen Beleuchtungssysteme, unregelmässigen Schlaf-/Wachzeiten und einem Leben unter hohem Druck, manchmal über Wochen oder sogar Jahre, ist es dringend erforderlich, dass chronobiologische Gesichtspunkte in der medizinischen Versorgung und in der öffentlichen Bildung mehr gewichtet werden. Die Wirkung des künstlichen Lichts von lichtemittierenden elektrischen Geräten (LED), vor allem, wenn diese spät in der Nacht benutzt werden, wird weithin als unbedenklich angesehen. In Wirklichkeit können solche Geräte die zirkadiane Uhr stören und den gesamten Schlafprozess beeinträchtigen. Viele der neuesten technischen Geräte rechtfertigen, dass kritische Leitlinien für deren allgemeine Verwendung erstellt und Warnungen vor deren Risiken für die menschliche Gesundheit veröffentlicht werden. So könnten z.B. Leitlinien für die Umgebungsbeleuchtung am Arbeitsplatz oder für die Planung von Schichtarbeit festgelegt werden. Solche Massnahmen können die Schichtarbeiter dabei unterstützen, sich den Arbeitsanforderungen anzupassen. Dies ist nicht nur wichtig für die Gesundheit der Arbeitnehmer, sondern könnte auch dazu beitragen, die Kosten für die Arbeitgeber zu senken, indem es zu weniger Unfällen kommt, die durch Schläfrigkeit, Impulsivität oder schlechte Entscheidungsfindungen am Arbeitsplatz geschehen.

Eine Studie hat gezeigt, dass Arbeitnehmer, die in Wechselschichten arbeiten, sich besser an neue Zeitpläne anpassen, wenn sie die natürlichen Licht-Dunkel-Zyklen vermeiden (2). Langfristige Studien sind erforderlich, um die Auswirkungen der Störung der zirkadianen Uhr und deren Einfluss auf die Schlaf- / Wach-Prozesse zu untersuchen (3, 4). Ausserdem sollten detailliertere und umfangreichere Studien durchgeführt werden, um die Auswirkungen von künstlichem Licht auf die zirkadiane Uhr zu beschreiben und zu untersuchen, wie diese den Zeitpunkt, die Architektur, Qualität und Dauer des Schlafs beeinflussen. Die Chronotherapie erfährt eine gewisse Aufmerksamkeit, befindet sich aber noch in einem vorläufigen Stadium der Entwicklung.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass mehr Interesse erforderlich ist und Anstrengungen unternommen werden sollten, um diese Therapie weiter zu verbreiten und dass ein Erfolg in diesem Bestreben von grossem Nutzen sein wird. Die chronotherapeutischen Perspektiven wären ein wichtiger Schritt nicht nur für die medizinische Therapie, sondern auch für die Vorbeugung von Krankheiten und sind somit ein wichtiger Fortschritt in der Gesundheitsversorgung.

red.

Quelle: Zaki NFW et al. Basic chronobiology : what do physicians nee to know? Sleep Sci. 2020 Oct-Dec; 13(4): 256–266.doi: 10.5935/1984-0063.20200026

1. Zaki NFW et al. Basic chronobiology : what do physicians nee to know?
Sleep Sci. 2020 Oct-Dec; 13(4): 256–266.doi: 10.5935/1984-0063.20200026
2. Claustrat B, Leston J. Melatonin: physiological effects in humans. Neurochirurgie. 2015;61:77-84.
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Analyse der antiviralen Eigenschaften von Hexoral in vitro gegen einige Viren

Analyse der antiviralen Eigenschaften von Hexoral in vitro gegen einige Viren, die akute Infektionen der Atemwege und Herpes verursachen

Die Suche nach neuen Medikamenten, die die Vermehrung von viralen Erregern, welche akute Atemwegserkrankungen verursachen, aktiv unterdrücken (1-5), bleibt ein drängendes Problem der modernen Virologie. Zu diesen Viren gehören vor allem das pandemische Influenza A/H1N1pdm (2), das hochvirulente Influenzavirus A/H5N1 (1, 6), welches bei 60% der infizierten Personen zum Tod führt, das Synzytialvirus der Atemwege und das Herpes- simplex-Virus Typ 1 (7, 8), sowie das Epstein-Barr-Virus, welches die infektiöse Mononukleose verursacht.

Die staatliche Virensammlung des D. I. Ivanovsky Research Institute of Virologie umfasst eine Sammlung all dieser Virenstämme, die für das Screening antiviraler Arzneimittel geeignet sind. Dies war der Ausgangspunkt für Mitarbeiter dieses Instituts für eine Untersuchung zur Wirkung von Hexoral auf solche Viren (9).

Hexoral mit dem Wirkstoff Hexetidin besitzt ein breites Wirkungsspektrum gegen bakterielle Erreger von Mund- und Racheninfektionen. Gegenstand der Studie war die Untersuchung der Fähigkeit der beiden Formen von Hexoral, der 0,1%igen Lösung und des 0,2%igen Sprays zur lokalen Anwendung, die in vitro infektiöse Aktivität von den genannten Viren zu unterdrücken.

Die antivirale Aktivität der Medikamente wurde mit der routinemässig in vorklinischen Versuchen verwendeten Methode untersucht (6). Zur Bewertung der Fähigkeit der Prüfmedikamente, die infektiösen Eigenschaften der Viren abzuschwächen, wurde das virushaltige Medium mit dem Ausgangstiter 1:1 mit den untersuchten Arzneimitteln (Versuchsproben) oder mit Erhaltungsmedium (Kontrolle) gemischt und kräftig während 30 oder 60 Sekunden bei Raumtemperatur geschüttelt. Dann wurden sofort serielle 10-fache Verdünnungen dieser Mischungen hergestellt, und 100 μl jeder Verdünnung zu gewaschener Monoschicht von Zellen, die für das jeweilige Virus empfänglich sind, gegeben. Nach 72-96 Stunden Inkubation, wenn die Monoschicht in Kontrollen (unbehandelt) vollständig zerstört war, wurde der infektiöse Virustiter nach der Methode von Reed und Muench (10) bestimmt. Die antivirale Wirkung von Hexetidin (allein und in Hexoral) wurde anhand der Differenz der infektiösen Virustiter zwischen den Kontrollen und den Abnahmen unter der Therapie ermittelt.

Es wurde festgestellt, dass nicht-toxische Konzentrationen von Hexetidin die infektiösen Eigenschaften des hochvirulenten Influenza A/H5N1, des pandemischen Influenzavirus A/H1N1pdm, des respiratorischen Synzytialvirus und des Herpesvirus Typ 1 nach einer kurzzeitigen Exposition (30 Sekunden) um das 100-fache oder mehr abschwächen. Hexetidin trug am meisten zu der viruziden Wirkung von Hexoral bei.

Hexetidin, der aktive Bestandteil von Hexoral, zeichnet sich durch ein breites Spektrum an antibakterieller und antimykotischer Aktivität aus. Insbesondere gegen grampositive Bakterien und Pilze wie Candida, Pseudomonas aeruginosa, und Proteus.
Hexetidin zerstört die bakteriellen Zellwände und hemmt oxidative Stoffwechselreaktionen. In einer Konzentration von 100 μg/ml hemmt Hexetidin aktiv das Wachstum der meisten Bakterienstämme; eine Resistenz wurde nicht beobachtet. Die Analyse der antiviralen (viruziden) In-vitro-Aktivität von Hexetidin allein und als Bestandteil einer kommerziellen topischen Formulierung zeigte in dieser Studie (9) dessen zytotoxische Eigenschaften in verschiedenen Zellkulturen (PK-Zellen, Vero-E6, MDCK). So war die CD50 von Hexetidin allein und in 0,1%iger Hexoral-Lösung bei Vero-E6-, MDCK- und PK-Zellkulturen gleich (5,0  μg / ml). Die CD50 des Aerosols für diese Arten von Zelllinien betrug 10 μg / ml. Nicht-zytotoxische Konzentrationen von Hexetidin schwächten die infektiösen Eigenschaften von Viren ab, die die menschlichen Atemwege infizieren. Vergleichende Studien über die antivirale Aktivität der Hexetidin-Substanz und der Hexoral-Zubereitung gegen Influenzaviren RSV und HSV-1/L2 zeigten, dass die antiviralen Eigenschaften von Hexetidin in der Hexoral-Lösung und im Spray nicht von den Eigenschaften der Substanz allein abhängen. Ihre antivirale Aktivität war stabil und stark. In nicht-toxischen Konzentrationen unterdrückten sie die Virusaktivität um das 100-fache oder mehr. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die viruzide Wirkung von Hexoral durch Hexetidin bestimmt wird. Die Abnahme der Virenkonzentration gegenüber dem Ausgangswert betrug ≥ 99% nach Exposition mit Hexoral in einer Konzentration von 2,5 μg / ml und > 90% nach Exposition mit 1,25 μg / ml. Es zeigte sich, dass Hexetidin und Hexoral eine ähnliche Inaktivierung der untersuchten Viren zeigten. Die Präparate hatten keinen Einfluss auf die Virusreplikation in Zellen.

red.

Quelle: Deryabin PG et al. Analysis of properties of Hexoral in vitro against some viruses that cause respiratory infections and herpes. Bull. Exp. Biol and Med. 2016 ;160 :339-342

Literatur:
1. Deryabin PG et al. Vopr Virusol 2011; 56 : 21-24
2. Fedyakina IT et al., Antibiot Khimioter 2011; 56: 3-9
3. Dolin R et al., N. Engl. J. Med.1982; 307: 580-584
4. Fedorov II, et al. J Med Chem 1997; 40:486-494
5. Hayden R. et al., N. Engl J Med 1999; 341: 1336-1343
6. Deryabin PG and Galegov GA, et al in : Mironov AN and N. D. Bunatyan, Manual for Preclinical Testing of Drugs (in Russian), Moscow 2012; 356
7. De Clercq E J et al., J. Commun Dis 1980; 141: 563-573
8. Sarisky RT et al., Antimicrob. Agents Chemother 2000; 44 : 1524-1529
9. Deryabin PG et al. Bull. Exp. Biol and Med. 2016;160:339-342
10. Reed L.J.; Muench HA. The American Journal of Hygiene.1938; 27: 493–497.