Der monoklonale Antikörper Ocrevus® hat sowohl in Studien als auch im Alltag seine überzeugende Wirkung bei Patienten mit einer MS unter Beweis stellen können. Jetzt erstmals vorgestellte Langzeitdaten zeigen eine anhaltende Wirksamkeit bei einem günstigen Verträglichkeits- und Sicherheitsprofil.
Ocrelizumab (Ocrevus®) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der gezielt an das Oberflächenprotein CD20 auf B-Lymphozyten bindet. Dieses Protein spielt eine zentrale Rolle im Entzündungsmechanismus der Multiplen Sklerose (MS). Zugelassen ist die Substanz zur Therapie erwachsener Patienten mit schubförmiger MS (RMS) mit aktiver Erkrankung definiert durch den klinischen Befund oder die Bildgebung. Darüberhinaus ist Ocrevus® auch als einziges Medikament zugelassen für die Behandlung erwachsener Patienten mit früher primär progredienter MS (PPMS).
Ergebnisse aus den beiden Phase-3-Studien (OPERA I und OPERA II) zeigen, dass bei Patienten mit RMS die jährliche Schubrate durch Ocrelizumab im Vergleich mit hochdosiertem Interferon beta-1a signifikant um ca. die Hälfte (46% bzw. 47%) gesenkt wird (p < 0,001). Auch die Zahl der Patienten mit bestätigter Behinderungsprogression war unter dem Antikörper signifikant niedriger. Auch bei PPMS-Patienten erwies sich Ocrevus® gegenüber Placebo als überlegen. Die bestätigte Behinderungsprogression nach 12 Wochen betrug in der Ocrevus®-Gruppe 32,9% im Vergleich zu 39,3% unter Placebo. Nach 24 Wochen waren die Vergleichswerte 29,6% bzw. 35,7% (p = 0,04). Die Substanz zeigte durchgehend in beiden Studien ein günstiges Verträglichkeits- und Sicherheitsprofil. Die Nebenwirkungsrate war insgesamt sehr niedrig. Am häufigsten wurden Injektionsreaktionen und Infektionen der oberen Atemwege beobachtet.
Im Rahmen der OLE-Studie (open label extension) wurden dann die Studien-Patienten in einem offenen Design nach 24 Wochen weiter beobachtet, wobei die Patienten der Placebo-Gruppe auf Ocrevus® eingestellt wurden. Die gepoolten Daten von 80% der Patienten aus OPERA I und OPERA II konnten nach 7,5 Jahren ausgewertet werden.
Wirksam und sicher auch im Langzeitverlauf
Im Rahmen des ECTRIMS 2021 wurden jetzt erstmals diese Langzeitergebnisse präsentiert. Auch nach einem Follow up von 7,5 Jahren bei RMS und nach 8 Jahren bei PPMS war der Benefit von Ocrevus® in gleichem Masse nachweisbar und dies weiterhin bei einem günstigen Sicherheitsprofil. Das Risiko nach 24 Wochen COP-EDSS zu erreichen, war bei Patienten, die erst nach 24 Wochen von Placebo auf das Verum wechselten, signifikant höher (um 23%) als bei den Patienten, die primär auf Ocrevus® eingestellt wurden.
Was die Sicherheit betrifft, so liegen zwischenzeitlich die Daten von 5 688 Studienpatienten über 8 Jahre vor. Insgesamt wurden bisher weltweit über 200 000 Patienten mit Ocrevus® im Post-Marketing Setting behandelt. Die Analyse der Daten ergibt, dass auch im Hinblick auf die Nebenwirkungen bzw. die Sicherheit kein Unterschied zischen den Real World Daten und denen aus den kontrollierten Studien besteht. Das Infektionsrisiko ist insgesamt auch in der Real World sehr niedrig. Das Gleiche gilt für das Malignitätsrisiko insbesondere das Mammakarzinom.
Auch die 3-Jahresdaten der CASTING- und 1-Jahresdaten der LIBERTO-Studie unterstreichen die gute und anhaltende Wirksamkeit von Ocrevus® und zwar bei RRMS-Patienten mit einem suboptimalen Ansprechen auf vorangegangene ein oder zwei Disease-modifying-Therapien. Drei Jahre nach dem Switchen auf Ocrevus® waren 59,4% der Patienten ohne Krankheitsaktivität (NEDA). 68,1% zeigten keine klinische Aktivität und bei 86,6% fand sich keine MRI-Aktivität. Der EDSS-Score blieb während der drei Jahre stabil bei nur minimalen Schwankungen. Auch in dieser Studie wurde Ocrevus® gut vertragen. Der überwiegende Teil der Nebenwirkungen war gering bis moderat 79,0% Grad 1/2. Am häufigsten waren injektionsbedingte Reaktionen (44,2%), Nasopharyngitis (28,5%), Kopfschmerzen (22,8%), Influenza (18,2%) und urogenitale Infektionen (14,8). Schwere Nebenwirkungen wurden nur bei 8,4% beschrieben. Drei Patienten (0,7%) entwickelten unter der Therapie ein Malignom und 11 Patienten (2,5%) eine schwere Infektion.
Adenomyose ist durch das Vorhandensein ektopen Endometriumgewebes im Myometrium definiert. Sie ist oft mit Endometriose assoziiert (versprengtes Endometrium ausserhalb des Uterus) und tritt mit zunehmendem Alter immer häufiger auf. Adenomyose verursacht chronische Schmerzen sowie Blutungsstörungen und vermindert die Fertilität. Die Diagnose erfolgt primär sonographisch. Im Rahmen einer Behandlung mit assistierter Reproduktion gibt es Hinweise, dass eine 6-wöchige Vorbehandlung mit einem lang-wirkenden GnRH-Agonisten die Konzeptionschancen erhöht.
L’ adénomyose est la présence ectopique de tissue endometrial dans le myomètre. Souvent elle est associée à l’ endométriose (tissue endometrial ectopique en dehors de l’ utérus). Sa fréquence augmente avec l’ âge de la femme. L’ adénomyose provoque des douleurs chroniques, des troubles des règles et diminue la fertilité. Le diagnostic se pose en premier lieu par échographie endovaginale. Dans le cadre de traitements par procréation médicalement assistée (PMA) on a observé qu’un prétraitement de 6 semaines avec un analogue de la GnRH améliore les chances de conception
Unter Adenomyose versteht man ektope Lokalisationen von benignem Endometriumgewebe mit glandulären und stromalen Anteilen im Myometrium des Uterus (1). Durch die spezifische Lokalisation im Myometrium unterscheidet sich Adenomyose von Endometriose, welche durch die extrauterine Ansiedlung von endometrialem Gewebe definiert ist. Die Ausbreitung von Adenomyose im Myometrium kann entweder fokal oder diffus sein. Bei einer diffusen Ausbreitung ist gelegentlich das gesamte Myometrium von Adenomyose befallen und bewirkt in der Folge einer Vergrösserung der Gebärmutter. Sehr häufig ist Adenomyose auch mit Endometriose vergesellschaftet und in der Bildgebung ist die Abgrenzung von oftmals ebenfalls vorhandenen Leiomyomata nicht immer einfach. Adenomyose betrifft je nach Studie und je nach Altersverteilung mindestens 20% der Frauen im reproduktionsfähigen Alter und stellt somit ein wesentliches Problem in der Frauenheilkunde dar. Das Beschwerdebild einer Adenomyose ist nicht spezifisch und setzt sich aus Dysmenorrhoe, Hypermenorrhoe und azyklischen Blutungsstörungen, sowie Sterilität und Infertilität zusammen.
Der Nachweis ektopen Endometriumgewebes im Myometrium kann definitionsgemäss nur histologisch erfolgen. Dieser Nachweis setzt eine Biopsie des Befundes voraus. Jedoch ist eine Entnahme des befallenen Gewebes bei vorhandenem Kinderwunsch kaum möglich oder sinnvoll, so dass heute die Verdachtsdiagnose primär mittels der Vaginosonographie gestellt wird. Jedoch ist eine Bestätigung anhand einer Magnetresonanztomographie oftmals ratsam.
Entstehung der Adenomyose
Zwei Entstehungsmechanismen werden derzeit kontrovers diskutiert (2): 1. die Migration von Zellen aus der Lamina basalis des Endometriums durch die Basalmembran zwischen dem Endometrium und dem Myometrium in das Muskelgewebe des Uterus hinein oder 2. die Metaplasie oder Differenzierung von residualen embryonalen oder adulten Stammzellen des Müllerschen Ganges in der junktionalen Zone des Myometriums, welche sich direkt unter dem Endometrium befindet.
Ersterer Mechanismus wird heute als der häufigste betrachtet. Bei der Entstehung der Adenomyose ist eine übermässige lokale (parakrine) Östrogenwirkung entscheidend, da bei Patientinnen mit Adenomyose im Menstrualblut erhöhte Östrogenspiegel gemessen wurden (3), welche möglicherweise im Uterus auf eine verminderte enzymatische Metabolisierung des potenteren 17ß-Östradiol in weniger potenten Östrogenmetaboliten zurückzuführen ist (2, 3). Zudem ist in den adenomyotischen Endometriumzellen die sekretorische Transformation durch Gestagene aufgrund einer geringeren Progesteronrezeptordichte weniger effizient (4). Die erhöhte lokale Östrogenwirkung verursacht zudem die Bildung von Oxytozinrezeptoren im endometriumnahen Myometrium (5), welche in der Folge eine verstärkte Kontraktilität der Gebärmutter auslösen (6). Die vermehrten Kontraktionen der uterinen Muskulatur bewirken zusätzlich eine kontinuierliche Dislozierung von undifferenzierten Progenitorzellen aus der Lamina basalis des Endometriums in das Myometrium (7). Die vermehrte Kontraktilität verursacht zudem Mikrotraumata im Gewebe, welche einen chronisch-inflammatorischen Prozess auslösen. Dieser inflammatorische Prozess wurde mit erhöhten lokalen Interleukin-1-Spiegeln, mit COX-2-Aktivierung und vermehrter Prostaglandin-E2-Synthese belegt (8). Das Menstrualblut, welches sich in den adenomyotischen Krypten im Myometrium sammelt, fliesst verspätet ab, was sich wiederum typischerweise als azyklische Schmierblutungen oder Spotting bemerkbar macht. Nach und nach wird das Myometrium aufgrund der chronischen Inflammation mit Narbenbildung immer weniger elastisch und verliert seine Dehnbarkeit, was bei einem fortgeschrittenen Verlauf elastosonographisch nachgewiesen werden kann (9). So entsteht ein typischer «circulus viciosus», der im Laufe der Zeit die Entwicklung und die Verbreitung der Adenomyose zusätzlich fördert.
Obwohl die Entstehung und Weiterentwicklung der Adenomyose in den meisten Fällen auf eine lokal erhöhte Östrogenwirkung zurückzuführen ist, dürfte auch in einigen Fällen die Entstehung einer Adenomyose auf Differenzierung embryonaler Stammzellen oder Progenitorzellen der Müllerschen Gänge zurückzuführen sein. Am eindrücklichsten sind hier Fallberichte zu erwähnen, bei der Adenomyose im Myometriumrudiment bei Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom nachgewiesen wurde (10).
Adenomyose kommt häufiger bei Frauen im fortgeschrittenen reproduktionsbiologischen Alter vor. Wiederholte Traumata, wie rezidivierende Fehlgeburten, wiederholte Sectiones und vermehrte chirurgische Eingriffe an der Gebärmutter, begünstigen nachweislich die Entwicklung einer Adenomyose.
Diagnose
Obwohl das ektope Vorhandensein von endometrialem Gewebe im Myometrium einer histologischen Bestätigung bedarf, ist die dafür erforderliche Biopsie bei Patientinnen mit Kinderwunsch nur selten möglich. Heute steht deshalb die Bildgebung der Läsionen in der Gebärmutter im Vordergrund, was einem Paradigmenwechsel gleicht (11). Hier stehen zwei Methoden zur Verfügung: die Vagino-Endosonographie und das sogenannte Magnet-Resonanz-Imaging (MRI) (12, 13). Die in Tabelle 1 aufgelisteten morphologischen Kriterien wurden im Rahmen einer prospektiven Studie mit histologischer Bestätigung der Läsionen evaluiert und basieren alle auf Unterschieden in der Textur des Myometriums, besonders im sub-endometrialen Bereich. Ein wichtiges Merkmal einer Adenomyose sind Unterschiede der Dicke der Vorder- oder Rückwand des Myometriums. Die Farbdoppleruntersuchung ermöglicht zudem die Differenzierung zwischen Adenomyose und Myom, da bei Adenomyose vermehrt Blutgefässe innerhalb der Läsion nachweisbar sind, während bei einem Myom die Durchblutung eher um die rundliche Struktur umgeleitet ist.
Da die diagnostische Genauigkeit der vaginalen Endosonographie sehr abhängig von der Expertise des jeweiligen Untersuchers ist, bleibt die Bestätigung mittels MRI in vielen Fällen sinnvoll, besonders dann, wenn eine langwierige oder kostspielige hormonelle Behandlung oder ein umfangreiches chirurgisches Vorgehen geplant ist. Die Kriterien der diagnostischen Genauigkeit der vaginalen Endosonographie oder MRI, wie Spezifität und Sensitivität, sind miteinander vergleichbar (12, 13).
Infertilität
Obwohl der Zusammenhang zwischen Adenomyose und Infertilität seit langem immer wieder postuliert wurde (1), ist die verminderte Konzeptionswahrscheinlichkeit bei Adenomyose aufgrund der vorhin beschriebenen Ungenauigkeiten der diagnostischen und bildgebenden Kriterien und aufgrund der vielen Kovariablen (Alter der Betroffenen, Begleiterkrankungen wie Endometriose und Leiomyomata) unsicher und wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Erst eine Metaanalyse mit vielen kleinen Kohortenstudien hat kürzlich aufgezeigt, dass die Fertilitätschancen betroffener Frauen mit Adenomyose auch unter Berücksichtigung der vorhandenen Kovariablen signifikant vermindert sind (14).
Inwieweit Adenomyose das Ergebnis einer Behandlung mit assistierter Reproduktionsmedizin beeinflusst, ist ebenfalls nicht ganz sicher. Obwohl eine Mehrzahl von Studien geringere embryonale Implantationsraten aufweisen (15), konnte im Rahmen einer pro-
spektiven Kohortenstudie bei 4002 Paaren mit ungewollter Kinderlosigkeit nach Behandlung mit assistierter Reproduktionsmedizin in einer einzigen Institution keine statistisch signifikante Korrelation zwischen dem Vorhandensein adenomyotischer Läsionen im Ultraschallbild und der Lebendgeburtenrate festgestellt werden (16). Allerdings war die Lebendgeburtenrate nach Stimulationsbehandlung für die assistierte Reproduktionsmedizin deutlich niedriger als in der Kontrollgruppe ohne Adenomyose. Nach Auftauung und Übertragung von zuvor kryokonservierten Embryonen waren die Lebendgeburtenraten vergleichbar (16).
Adenomyose ist nicht nur für die Entstehung einer Schwangerschaft nachteilhaft, sondern auch für den späteren Verlauf der Schwangerschaft (15). Im Rahmen einer gross angelegten Metaanalyse wurden signifikant häufiger Fehlgeburten (Wahrscheinlichkeit: +3.49 - mal), Präeklampsie (Wahrscheinlichkeit: + 7.87-mal) und Frühgeburtlichkeit (Wahrscheinlichkeit: + 2.74-mal), sowie Wachstumsretardierung des Neugeborenen (Wahrscheinlichkeit: + 3.9 - mal) nachgewiesen. Betroffene Patientinnen und der Geburtshelfer müssen unbedingt über das Vorhandensein einer Adenomyose und über deren mögliche Auswirkungen auf den Schwangerschaftsverlauf und die damit einhergehenden Risiken informiert werden. Auch Plazentationsstörungen, wie Plazenta praevia und Plazenta in- und accreta, sind bei einer vorbestehenden Adenomyose häufiger.
Operative Möglichkeiten bei Adenomyose
Hysteroskopisch schimmern adenomyotische Herde oftmals unmittelbar durch das Endometrium durch und imponieren als hypervaskularierte Areale («strawberry pattern») oder als zystische Vorwölbungen. Diese können resektoskopisch exzidiert oder eröffnet werden (17). Bislang wurden allerdings keine Studien durchgeführt, welche einen fertilitätsfördernden Effekt der hysteroskopischen Resektion subendometrialer Herde aufgezeigt haben.
Bei fokal-begrenzter Adenomyose wurde die Exzision des betroffenen Areals aus dem Myometrium, ähnlich wie bei der Resektion von Leiomyomata, vorgeschlagen. Die chirurgische Vorgehensweise ähnelt derjenigen beim Uterus myomatosus (18). Die Wirksamkeit (und mögliche Komplikationen) einer solchen chirurgischen Resektion wurde bislang im Rahmen von prospektiv-randomisierten Studien nicht evaluiert.
Medikamentöse Möglichkeiten
Behandlung mit Gestagenen
Gestagene bewirken im gesunden Endometrium eine sekretorische Transformation und anschliessend eine Dezidualisierung. Eine langanhaltende Behandlung mit einem Gestagen wirkt auf dem Niveau des Endometriums mitosehemmend. So wurden sowohl ein Levonorgestrel-IUD (Mirena) sowie Dienogest (Visanne, 2 mg) erfolgreich bei Adenomyose eingesetzt (19). Sie wirken schmerzlindernd und reduzieren auch den Blutverlust. Eine langfristige vorteilhafte Wirkung von Dienogest hält bis zu 12 Monate nach Behandlungsstopp an. Allerdings treten bei einer dauerhaften Behandlung mit einem Gestagenpräparat bei Adenomyose typischerweise leichte und immer wiederkehrende Blutungsstörungen auf. Diese entstehen durch die Entleerung von altem Blut aus den adenomyotischen Läsionen in der junktionalen (subendometrialen) Zone des Myometriums.
Langwirkende GnRH-Agonisten
Bei Kinderwunsch hat sich eine 6-wöchige Downregulation mit einem langwirkenden GnRH-Agonisten bewährt (20, 21). Sie ermöglicht durch die Induktion einer Amenorrhoe über einen längeren Zeitraum ein langsames Abklingen der chronischen Inflammation im Endometrium und die Entleerung der subendometrialen Adenomyosezysten. Wichtig ist, dass die erste Dosis unmittelbar nach Beginn der Menstruation verabreicht wird und dass die Patientin mindestens über einen Zeitraum von sechs Wochen wirklich blutungsfrei ist. Erst dann kann mit dem Endometriumaufbau mit einem Östrogenpräparat (wie im Falle eines Auftauzyklus mit Transfer eines zuvor kryokonservierten Embryos) oder bei einer Ovulationsinduktion mit einem Gonadotropinpräparat begonnen werden. Die Wirksamkeit wurde im Rahmen retrospektiver Studien belegt.
Eigene Erfahrung mit der Downregulation mit einem Depot-GnRH-Agonist bei nachgewiesener Adenomyose
Das vorhin beschriebene Behandlungsprotokoll wurde in unserer Institution übernommen (20). Acht Patientinnen erhielten aufgrund wiederholten Ausbleibens einer Schwangerschaft trotz Übertragung von jeweils einem Embryo im Blastozystenstadium und bei sonographischem Verdacht auf Adenomyose eine MRI-Untersuchung der Gebärmutter (Abbildung 1). Bei sieben der acht Patientinnen wurde mittels MRI das Vorhandensein einer Adenomyose bestätigt. Bei allen Patientinnen wurde daraufhin ab Beginn der Menstruation eine sechswöchige Downregulation mit einem langwirkenden GnRH-Agonisten eingeleitet (Triptorelin Acetat, 3.75 mg, Pamorelin, Debiopharm). Die zweite Dosis des GnRH-Agonisten wurde vier Wochen nach der ersten Gabe verabreicht. Nach einem mindestens sechswöchigen blutungsfreien Intervall wurde anschliessend der Endometriumaufbau mit Östradiolvalerat (täglich 6 mg, Progynova®, Bayer) eingeleitet. Nach Sicherstellung des adäquaten Endometriumaufbaus wurde die sekretorische Transformation mit vaginaler Progesteronapplikation (600 mg, Utrogestan®, Vifor) eingeleitet. Fünf Tage später wurde jeweils ein Embryo im Blastozystenstadium aufgetaut und übertragen. Fünf der sieben bislang so behandelten Patientinnen erzielten jeweils eine Schwangerschaft (71.4%, Tabelle 2). Bei einer Patientin kam es allerdings zur Fehlgeburt.
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Prof. Dr. med. Christian De Geyter
Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie (RME)
Universitätsspital
Universität Basel, Vogesenstrasse 134
4031 Basel
Dr. med. Maddalena Masciocchi
Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie (RME)
Frauenspital
Universitätsspital Basel, Universität Basel
Vogesenstrasse 134
4031 Basel
Dr. med. Ursula Gobrecht-Keller
Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie (RME)
Frauenspital
Universitätsspital Basel, Universität Basel
Vogesenstrasse 134
4031 Basel
Die Autoren haben im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.
◆ Die Bedeutung der Adenomyose hat in der Kinderwunschsprechstunde zugenommen, zum Teil wegen des fortschreitenden Alters der Patientinnen mit Kinderwunsch, zum Teil auch aufgrund der besseren Visualisierung mit hochauflösender Vaginosonographie.
◆ Obwohl weiterhin kontrovers diskutiert, ist es wahrscheinlich, dass Adenomyose bei Kinderwunsch die Konzeptionschancen reduziert und zur Infertilität beiträgt.
◆ Immer mehr Studien zeigen, dass die Induktion einer länger anhaltenden Amenorrhoe mit einem GnRH-Agonisten vor Beginn der Endometriumproliferation die Konzeptionschancen nach assistierter Reproduktion erhöht.
◆ Bei präkonzeptionell nachgewiesener Adenomyose ist es für den Reproduktionsmediziner unerlässlich, auf höhere Komplikationsraten im Falle einer Schwangerschaft hinzuweisen.
Messages à retenir
◆ L’ adénomyose occupe une place de plus en plus importante dans les consultations pour désir de grossesse. D’une part ces patientes sont de plus en plus âgées, et d’autre part, les sondes d’ultrason endovaginales à haute résolution ont améliorée la visualisation.
◆ Il est probable que l’adénomyose diminue les chances de conception et contribue à l’infertilité, mais la discussion scientifique à ce sujet n’est pas close.
◆ Un nombre croissant d’études indique que l’induction d’une aménorrhée prolongée, initiée à l’aide d’un analogue de la GnRH avant le début de la prolifération de l’endomètre, améliore les chances de conception dans une patientèle traitée par PMA.
◆ En cas d’adénomyose avérée avant de concevoir, le médecin traitant spécialiste en médecine de reproduction se doit d’informer la patiente des risques augmentés de complications en cas de grossesse.
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Ein Behandlungsteam kann man sich wie eine gut eingespielte Fussballmannschaft mit vielen Spielerinnen und Spielern vorstellen. Was zeichnet eine gute Fussballmannschaft aus? Als erstes das Wissen, dass keiner allein gewinnen kann, und als zweites, dass für jedes Tor ein Ablauf von einfachen und manchmal genialen Pässen nötig ist. Das muss geübt sein, damit man sich aufeinander verlassen kann und damit jeder weiss, was der andere machen wird.
Das Spielfeld hierfür ist das Tumorboard. Wir als Autoren (Niko Zantl, Urologe, Urozentrum Hirslanden und Ulf Petrausch, Onkologe, Onkozentrum Zürich) dürfen die Forderung aufstellen, dass jeder Prostatakarzinompatient auf einem Tumorboard vorgestellt werden muss. Wir beide sind froh, dass wir mit Kolleginnen und Kollegen vieler Fachdiziplinen auf einem Tumorboard kollegial agieren dürfen und möchten gerne vorstellen, was zur Zeit immer wieder auf dem Spielfeld für uns interessant erscheint und kontrovers diskutiert wird. Ergebnis aller Diskussion muss ein optimales, individuelles Therapiekonzept für jeden einzelnen Patienten sein, das auf den ganz persönlichen Zielen und Wünschen des Patienten basiert.
Metastasiertes Prostatakarzinom – das klingt ja erst mal nach fortgeschrittenem Krankheitsstadium, nach bereits erfolgten Therapien und einer Metastasierung, die spät im Verlauf aufgetreten ist. Nach aktuellen Daten aus den USA präsentieren sich ca. 5% aller neu diagnostizierten Prostatakarzinompatienten bereits mit Metastasen und sind somit primär keinem lokal kurativen Therapieansatz zugänglich (lokalisiert (77%), regional lymphatisch metastasiert (11%), Fernmetastasten (5%), unbekannt (7%)). Wenn man die metastasierende Situation auf dem Tumorboard antrifft, braucht es ein gutes Zusammenspiel: Die Hausärztin, der Hausarzt macht den Einwurf: sie, er bringt den Ball, also übertragen den Patienten ins Spiel. Hier braucht es nun ein interdisziplinäres Verständnis der metastasierenden Situation. Und in den letzten Jahren ist dieses Verständnis komplexer und differenzierter geworden. Denn es gib Patienten in einer sogenannten «oligometastasierenden» Situation.
Definition der Oligometastasierung
Was ist eine Oligometastasierung? Die Idee stammt ursprünglich aus der HORRAD-Studie von 2018 (1). Hier wurden 432 Patienten randomisiert, die entweder nur eine Androgen-Deprivationstherapie (ADT) allein oder eine Androgen-Deprivationstherapie mit einer zusätzlichen perkutanen Strahlentherapie erhielten. In der Gesamtgruppe konnte für die zusätzliche Strahlentherapie kein signifikanter Überlebensvorteil nachgewiesen werden. Es zeigte sich aber bei Patienten mit weniger als fünf Knochenmetastasen ein Trend hin zu einem Überlebensvorteil.
Bis heute gibt es keine einheitliche Definition der Oligometastasierung. Zwei Studien haben versucht eine Art Definition von Oligometastasierung zu etablieren, wobei nur die STAMPEDE-Studie daraus dann auch eine therapeutische Konsequenz gezogen hat. In der CHAARTED-Studie (Chemohormonal Therapy Versus Androgen Ablation Randomized Trial for Extensive Disease in Prostata Cancer (2)) wurde zwischen hoher Metastasenlast (high Volume metastasiert, mehr als 4 Knochenmetastasen und/oder mit viszeralen Metastasen) und niedriger Metastasenlast (Low Volume metastasiert, alle anderen Patienten) unterschieden. Die STAMPEDE-Studie definierte die Situation mit der Definition low risk mittels Gleason 7 und kleiner/weniger als 4 Knochenmetastasen und keine viszeralen Metastasen (3). Mangels einer offiziellen Definition werden im klinischen Alltag aktuell in der Regel diese Kriterien angewendet: Maximal 3 Knochenmetasten, keine viszeralen Metastasen.
Eine aktuelle und vielleicht mit Evidenz niemals beantwortbare Frage ist: «Wie soll denn die oligometastatische Situation diagnostiziert werden?» Hier gibt es aktuell eine breite Diskussion über den Einsatz des PSMA PET/CTs. Alle Studien, die sich der Frage der oligometastatischen Situation gewidmet haben, haben kein PSMA PET/CT verwendet. Man kann aufgrund einer grossen australischen Studie (proPSMA Study 4) aber aktuell sagen, dass das PSMA PET/CT mit einer deutlich höheren Sensitivität Metastasen entdeckt und dass daraus in ca. einem Drittel der Patienten eine veränderte Behandlung erfolgt. Ob das zu einem verbesserten Überleben der Patienten führt, ist aufgrund der aktuellen Datenlage nicht belegbar. Derartige Ergebnisse werden aber erst – wenn überhaupt – in vielen Jahren vorliegen. Das PSMA PET/CT ist aber schon heute in der Schweiz und international ein fester Bestandteil der Diagnostik beim Prostatakarzinom.
Therapeutische Strategien
Wenn nun die oligo-metastatische Situation bestätigt ist, muss das Tumorboard sich mit zwei essentiellen Fragen beschäftigen, die immer wieder auf Basis der neuesten Studiendaten geprüft werden müssen, um nun für den Patienten die bestmögliche Therapiestrategie zu erarbeiten: 1. Wohin soll der Ball eingeworfen werden? Also: Bringt die lokale Therapie des Prostatakarzinoms einen Vorteil für den Patienten? 2. Wie soll ich den Ball werfen? Ist es die Strahlentherapie der Prostata oder die radikale Prostatektomie?
Die STAMPEDE-Studie (Systemic Therapy in Advancing or Metastatic Prostate Cancer: Evaluation of Drug Efficacy) untersuchte insgesamt 2061 Patienten prospektiv randomisiert in 117 Zentren in Grossbritannien und der Schweiz in verschiedenen Armen. Es wurde «Standard of care» (SOC) ohne Strahlentherapie (RT) gegen SOC mit RT randomisiert. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben nach 3 Jahren, sekundäre Endpunkte waren das progressionsfreie Überleben (PFS) und das Metastasen-progressionsfreie Überleben (MPFS). In der Gesamtgruppe konnte kein Überlebensvorteil durch die lokale Therapie nachgewiesen werden. In der Low-Volume-Subgruppe wurde jedoch ein Überlebensvorteil von drei Jahren nach lokaler Strahlentherapie nachgewiesen. Es überlebten 81 % der lokal behandelten Patienten gegenüber 73 % der nur hormontherapierten Patienten. Eine erneute Analyse im 2021 zeigte den grössten Effekt bei Patienten mit nur lokoregionalen Metastasen (M1a), weniger als 3 Knochenmetastasen und ohne Viszeralmetastasen (JAMA 2021, Association of Bone Metastatic Burden With Survival Benefit From Prostate Radiotherapy in Patients With Newly Diagnosed Metastatic Prostate CancerA Secondary Analysis of a Randomized Clinical Trial), wodurch hiermit aus unserer Sicht eine gute Definition für die praktische Anwendung der Oligometastasierung erarbeitet wurde.
Lokaltherapie beim oligometastasierten Prostatakarzinom
Dies hat dazu geführt, dass für das oligometastasierte Prostatakarzinom die lokale Therapie der Prostata in die europäischen Leitlinien mit aufgenommen wurde. Also ist mit einer prospektiv randomisierten Studie gesichert: Werfen Sie den Ball ins Feld – bieten Sie Patienten mit einem oligometastasierten Prostatakarzinom die Beratung zu einer lokalen Therapie der Prostata an.
Die Rolle der radikalen Prostatektomie (RP) in der lokalen Therapie wird aktuell in einer Reihe von randomisierten Studien untersucht (review in 5). Leider musste die gRAMPP-Studie, die SOC allein versus SOC + RP randomisiert untersucht hat, nach Erscheinen der STAMPEDE-Daten gestoppt werden, da der alleinige SOC-Arm ethisch nicht mehr vertretbar war. Die Daten aus einer seit 2013 rekrutierenden Studie des M.D. Anderson Centres in Houston, USA, werden in naher Zukunft erwartet. Bis dahin können wir uns auf viele retrospektive Studien stützen, die die Machbarkeit, ein verbessertes Überleben und eine Reduktion der lokalen Komplikationen der RP gegenüber dem SOC zeigen. 2019 wurde ein Vergleich von oligometastasierten Patienten mit RP gegenüber der Low-Volume-Subgruppe der STAMPEDE-Studie publiziert (78 Patienten, RP zwischen 2008 und 2018, monozentrisch (6). Die Daten zeigen, RP versus RT: Gesamtüberleben nach 3 Jahren: 91% vs. 81%, PFS: 63% vs. 63%, krebsspezifisches Überleben: 92% vs. 86%.
Zusammenfassend kann man sagen, dass eine Lokaltherapie beim oligometastasierten Prostatakarzinom gegenüber dem Standard of Care einen Überlebensvorteil und einen Vorteil bezogen auf lokale Komplikationen mit sich bringt und in den europäischen Guidelines empfohlen wird. Ein abschliessender Vergleich der Lokaltherapie zwischen RP und RT steht aktuell noch aus, wobei aktuell mehrere Studien durchgeführt werden, deren Ergebnisse erwartet werden.
Die Therapie der Metastasen wird aktuell in mehreren randomisierten Studien untersucht (z.B. PLATON, STAMPEDE). Diese werden in den nächsten Jahren Ergebnisse liefern. Bis dahin müssen wir uns auf biologische Theorien und retrospektive Datenanalysen stützen. Wir gehen davon aus, dass sich neue Metastasen aus bereits bestehenden bilden können, und dass Metastasen untereinander kommunizieren und ihr Wachstum gegenseitig fördern (7). Das legt nahe, dass die Therapie von bestehenden Metastasen die Entwicklung neuer Metastasen und das Wachstum bestehender (auch unerkannter Mikrometastasen) hemmt. Ausserdem beugt die Metastasen-gerichtete Therapie der Entwicklung lokaler Komplikationen vor (Knochenschmerzen, Frakturen). Ausserdem gibt es deutliche Hinweise, dass radikale Metastasenbehandlung, also stereotaktische Bestrahlung (SBRT, Cyberknife), das Überleben verlängern kann (8, 9, 10).
Systemtherapie
Die Rolle der Systemtherapie wird im Augenblick im oligometastasierten Prostatakarzinom noch kontrovers diskutiert und gehandhabt. Einerseits ist die Androgen-deprivierende Therapie (Hormonentzugstherapie, ADT) die Standardtherapie und somit Bestandteil der multimodalen Therapiekonzepte. Gleichzeitig wird die lokale Therapie der Prostata und der Metastasen gerade dazu genutzt, die ADT zu verzögern, um damit eine Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen (11).
Wird der Patient in einem Stadium diagnostiziert, das nicht mehr als oligometastasiert gewertet werden kann, kann eine systemische Therapie etabliert werden. Diese Entscheidung ist abhängig von sehr vielen verschiedenen Faktoren. Bei dieser Entscheidungsfindung spielt der Onkologe eine wichtige Rolle. Wir sehen den Onkologen in der Rolle des Liberos, auch wenn der moderne Fussball immer mehr auf diese Rolle verzichtet. Er zeichnet sich als defensiver Spieler ohne direkten Gegenspieler aus. Das macht die Rolle «frei» und bietet Raum für die Etablierung neuer und innovativer Therapiestrategien, die aber immer ganz speziell die verschiedenen patientenbezogenen Kriterien im Auge behalten. Die offensichtlichsten Faktoren sind hierbei allgemeine Lebenserwartung, Komorbiditäten und individuelle Wünsche des Patienten. Ganz besonders wichtig ist die Frage der Lebensqualität. In dieser «high volume» metastasierten Situation sind in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht worden. Als wichtigste Neuerung der letzten 5 Jahre ist die Aufnahme der modernen anti-androgenen Medikamente in die Behandlung des metastasierten, aber kastrations-naiven Prostatakarzinoms zu sehen. Die Evidenzlage für diese Situation ist tatsächlich sehr gross. So liegen uns die Daten der folgenden Studien vor: LATTITUDE, STAMPEDE, TITAN und ARCHES. In einer Meta-Analyse mit 7287 Patienten konnte gezeigt werden, dass alle Studien gemeinsam durch den Einsatz eines modernen Anti-Androgens in Kombination mit antiandrogener Therapie (ADT) zu einer Verbesserung des Gesamtüberlebens geführt haben (12).
Die andere Rolle, die der Libero zunehmend spielen muss, ist die des molekularen Onkologen. Das Prostatakarzinom wandelt sich nun rasch zu einer Erkrankung, die in molekulare Subgruppen unterteilt werden kann und diese Subgruppen auch speziell behandelt werden. Es gibt hierfür bereits 2 grosse publizierte Studien. Hier wurde in einer Studie der PARP-Inhibitor (PARP ist ein Protein, das in die DNA-Reparatur involviert ist) Olaparib eingesetzt bei Patienten mit kastrations-resistentem metastasiertem Prostatakarzinom, bei denen eine Mutation in Genen gefunden wurde, die im funktionalen Kontext der homologen Rekombination stehen (z.B. die aus dem Mammakarzinom als «Angelina-Jolie-Gene» bekannten BRCA1 und 2). Es konnte gezeigt werden, dass vor allem Patienten mit einer Mutation im BRCA2-Gen vom Einsatz von Olaparib profitiert haben (13). In einer weiteren Studie wurde der prädiktive Wert von PTEN (Phosphatase and Tensin homolog) für den Einsatz von Ipatasertib (AKT-Inhibitor) in Kombination mit Abiraterone (hemmt die Signaltransduktion des Testosterons in der Zielzelle) belegt werden. Ein PTEN-Verlust führte zu einer verbesserten Wirksamkeit von Ipatasertib in Verbindung mit Abirateron (14). Ausserdem gibt es Studiendaten, die zeigen, dass Patienten mit Prostatakarzinomen, die einen sogenannten MSI-high-Status haben (hohe Mikrosatelliten-Instabilität), von einer Therapie mit einem Checkpointinhibitor profitieren (15). Diese Studien haben dazu geführt, dass metastasierte Prostatakarzinome nun häufiger einer molekularen Testung unterzogen werden. Hierfür werden nun oft so genannte NGS-Panel-Tests eingesetzt. Hiermit können genetische Veränderungen zeitgleich in vielen als pathogen bekannten Genen detektiert werden (50-500 Gene). Die Auswertung dieser Ergebnisse ist eine grosse Herausforderung für das Behandlungsteam.
Rolle des Tumorboards
Als Tumorboard-Team gehört es neben der Suche nach dem optimalen individuellen Therapie-Konzept auch zu unseren Aufgaben zu überprüfen, ob bestimmte Patienten einer Studie zugeführt werden können. Hier ist das gesamte Spektrum der Versorgung abzudecken, also sind sowohl Studien wichtig, die primär die kurativen Situationen untersuchen, als auch Studien, die palliative Konzepte evaluieren. In der Schweiz gibt es im Rahmen der SAKK viele sehr interessante Studienkonzepte für das Prostatakarzinom (https://www.sakk.ch/en/cancer-types/urogenital). Diese Studien werden üblicherweise schweizweit angeboten und erlauben somit auch die Teilnahme in Wohnortnähe.
Und es gibt auch weitere Entscheidungen, die das Zusammenspiel unseres ganzen Teams benötigen: die «rauen Jobs». Dazu gehört es, auch mal auf dem Tumorboard zu sagen, dass für die Entscheidung zur korrekten Behandlung vom behandelnden und den Patienten vorstellenden Arzt noch weitere Untersuchungen eingefordert werden müssen, dass es eben «ein komplettes Staging» braucht oder dass bestimmte therapeutische Interventionen zwar im besten Interesse des Patienten gemeint sind und technisch sogar «state of the art» sein können, dass aber in der Gesamtsituation ein «best supportive care» Konzept auch eine wichtige und richtige medizinische Intervention sein kann. Hierfür gehört es auch zur Aufgabe des Boards und hier auch speziell der Onkologen, dann das passende Netzwerk und die entsprechende Versorgungsstruktur anzubieten.
Copyright Aerzteverlag medinfo
PD Dr. med. Niko Zantl
Zentrum für Urologie
Klinik Hirslanden
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich
PD Dr. med. Ulf Petrausch
OnkoZentrum Zürich
Seestrasse 259
8038 Zürich
Die Autoren haben deklariert, in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte zu haben.
◆ Ein kurativer Therapieansatz und ein langjähriges Überleben als Folge einer individuell abgestimmten Therapie ist auch in der metastasierenden Situation möglich.
◆ Mögliche Therapie-Ansätze sind in der Regel multimodal und bestehen häufig aus einer Kombination einer lokalen Therapie (Operation oder Strahlentherapie) und einer Systemtherapie (klassische Hormonentzugstherapie, intrazelluläre Hormontherapie, Chemotherapie, Immuntherapie).
◆ In ausgewählten Fällen beginnen auch genetische Staging-Untersuchungen Einzug in Therapie-Entscheidungen zu finden. Auch reine Systemtherapien oder Palliativ-Behandlungen können die richtige Lösung sein.
◆ Die Therapie-Konzepte sind vielfältig, breit gefächert und häufig sehr individuell angepasst an die Tumorausdehnung, die Tumorbiologie und an die gesundheitliche und persönliche Situation des Patienten.
◆ Daher möchten wir betonen, dass es gerade auch für metastasierte Patienten in Bezug auf die Ergebnisqualität in Bezug auf Überlebenszeit und Lebensqualität sehr wichtig ist, dass ihre spezielle Situation in einem Tumorboard im interdisziplinären Ansatz diskutiert wird.
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14. ESMO 2020, Presidential Symposium II, LBA4 – IPATential150: Phase III study of ipatasertib (ipat) plus abiraterone (abi) vs placebo (pbo) plus abi in metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC)
15. Tucker M et al. Pembrolizumab in men with heavily treated metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC). J Clin Oncol 2019:37: suppl. 172.
Übergewicht und Adipositas stellen die beiden wichtigsten Krankheitsmodulatoren des Risikos der chronischen Erkrankungen in der modernen Gesellschaft dar. Die Adipositas moduliert durch diverse Mechanismen die wichtigsten Risikofaktoren wie z.B. Bluthochdruck (in der Framingham-Studie kann über 70% des Blutdruck-Anstiegs mit dem Alter durch das erhöhe Körpergewicht erklärt werden), Diabetes mellitus Typ 2, Dyslipidämie und KHK, oder auch die vielfach unerkannte Schlafapnoe. Zudem zeigt sich die Bedeutung des Risikofaktors Übergewicht und Adipositas auf eindrückliche Weise in der Übersterblichkeit bei einem Covid-19 Infekt.
Übergewicht und Adipositas haben in den letzten 10 Jahren pandemisches Ausmass angenommen und es gibt kaum eine Weltregion, die nicht betroffen ist. Im Jahre 2013 erlangten Übergewicht und Adipositas bei der American Medical Association den Krankheitsstatus. Dieselbe Organisation lehnte das Krankheitslabel ein paar Jahre früher wegen Nicht-Erfüllung der klassischen Krankheitskriterien ab. Dies ganz im Gegensatz zur amerikanischen Adipositas-Fachgesellschaft (The Obesity Society), welche in einem Positionspapier Übergewicht und Adipositas bereits im Jahre 2008 als Krankheit taxierte. Trotz aller Kontroverse um die Krankheitsbezeichnung (1) war dies richtig, da damit mehr Ressourcen für die Prävention und Therapie zur Verfügung stehen.
Trotz diesem Krankheitslabel und extremsten Anstrengungen der modernen Forschung wurde bis anhin keine nachhaltige, nebenwirkungsarme und günstige Therapie gefunden und die Prävalenz und Inzidenz steigen weltweit weiterhin an. Dies unterstreicht die Komplexität der Pathogenese von Übergewicht und Adipositas. Mittlerweile sind ungefähr 700 Millionen Erdenbürgerinnen (40%) und -Bürger (39%) übergewichtig oder adipös (13%). Bis im Jahre 2050 werden bei gleichbleibenden epidemiologischen Trends 60-80% der Bevölkerung in westlichen Ländern übergewichtig oder adipös sein. In diesem Zusammenhang muss man sich ernsthaft die Frage stellen, ob ein Zustand, der praktisch alle Individuen in einer Gesellschaft betrifft, tatsächlich eine Krankheit ist. So basiert das Label Krankheit der amerikanischen Obesity Society auf der Aussage «diseases are defined as deviations from the normal or healthy structure or function» (2). Was alle machen, kann doch nicht krankhaft sein. Eine nicht ganz abwegige Überlegung und Argumentation. Das hohe Krankheitspotential einer erhöhten Fettmasse bleibt trotz dieser Kontoverse ein Fakt, und viele unserer Patienten sind in der Tat schwer krank.
Eine Erkrankung der Gesellschaft
Aufgrund der aktuellen globalen epidemiologischen Trends der Adipositas muss bei kritisch realistischer Betrachtung die Adipositas vielmehr als Krankheit der modernen Konsum-Gesellschaft betrachtet werden und weniger als Erkrankung eines einzelnen Individuums. Die langfristige nachhaltige Lösung der Adipositas-Pandemie beinhaltet also nicht nur die Behandlung von einzelnen Patienten, sondern sollte im Besonderen auch die Konsum-Gesellschaft als Ganzes, oder zumindest deren Treiber, «behandeln».
Gemäss Wikipedia bezeichnet der Begriff der Konsumgesellschaft eine Gesellschaft, in der die Befriedigung verschiedenster Bedürfnisse nur durch den Konsum (selbstverständlich gegen Bezahlung) möglich ist (3). In diesem Kontext stellt sich die Gretchenfrage: Warum verfolgen denn die Menschen einen kalorischen Überkonsum bis zur Krankheit? Diese Frage wollen wir hier nicht beantworten, und viele gesellschaftliche und individuelle Einzelfaktoren sind von Bedeutung. Unser modernes zunehmend konzentriertes Ernährungssystem (Food System) mit einer Steuerung des Konsums durch einige wenige Anbieter ist pathophysiologisch von zentraler Bedeutung. Viele Konsumenten unterliegen dem Irrglauben, dass sie selbst einzig und allein bestimmen, was sie essen. Leider ist dem nicht so – der Konsument bestimmt lediglich, was er aus dem Angebot auswählt und kauft und am Ende isst. Jeder muss sich jedoch nach dem Angebot, der Verfügbarkeit und den Verkaufspreisen richten. Viele Produkte, die für die Gesundheit förderlich wären, verschwinden vom Markt, wenn diese nicht verkauft werden oder auch zu aufwändig hergestellt werden müssen. Zudem muss die Nahrung möglichst billig sein und wir wissen, dass billige rekonstituierte Nahrungsmittel den Überkonsum fördern. Der günstige Preis geht in der Regel auf Kosten der ernährungsphysiologischen Qualität der Produkte und am Ende auf Kosten der Gesundheit. Individuelle pathophysiologische Faktoren und Konstellationen mit zunehmenden vielschichtigen endogenen und exogenen Stressoren kommen dazu und machen eine grosse Anzahl der Konsumenten zu Patienten.
Die Bedeutung der Werbung wird nach wie vor unterschätzt. Die Nahrungsmittel-Verfügbarkeit ist ubiquitär – sozusagen 24h/7 Tage. «Mindless Eating» praktiziert die Mehrheit der Population. Jährlich werden Tausende neuer Produkte auf den Markt geworfen – meist auch mit neuen Geschmacksvarianten. Der Konsum wird durch modernste Neuromarketing-Erkenntnisse gefördert: die Physiologie von Hunger und Sättigung des Konsumenten wird dabei überrumpelt und kritische Stimmen fragen, wo denn der Konsumentenschutz bleibt. Neue Forschungsergebnisse bestätigen den seit langem gehegten Verdacht, dass viele dieser modernen Produkte ein hohes Abhängigkeitspotential haben könnten – vergleichbar mit den klassischen Abhängigkeitssyndromen. So wird vermutet, dass bis zu 20% der übergewichtigen und adipösen Patienten die Kriterien für «Esssucht» erfüllen und entsprechend auch spezifische therapeutische Strategien benötigen würden. Wir praktizieren eine absurde legitime Förderung des Konsums und kannibalisieren damit unsere Gesundheit und auch unser Gesundheitssystem.
China und auch viele Entwicklungsländer werden mittlerweile als «lebende Laboratorien» bezeichnet. In China steigt die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas in erschreckendem Ausmass an und die Treiber (systemische und individuelle Treiber, sowie Umgebungsfaktoren inklusive sozioökonomische Determinanten) dieser Entwicklung sind bekannt (4) und wurden in vielen anderen Weltregionen schon erfolgreich «getestet». China und andere Weltregionen unterliegen denselben Kräften und Strömungen der Konsumgesellschaft, die uns auch übergewichtig und adipös machen. Die Kontrolle der systemischen Treiber sollte Priorität haben; meist wird aber aus naheliegenden Gründen nur auf das Individuum fokussiert. Die aktuellen Trends geben unserem Arztkollegen Hippokrates recht, der sagte: «Der Mensch stirbt nicht, er bringt sich selbst um».
Eating «on the go»
«Eating on the go» ist eine typische Multitasking-Situation. Auch Gehen und Laufen erfordert eine hohe kognitive Leistung. So ist die Kombination von Laufen und Smartphone-Gebrauch – allenfalls sogar mit gleichzeitiger Nahrungszufuhr – mit nachteiligen Wirkungen. Fussgänger-Unfälle sind infolge dieser Kombination in den letzten Jahren um ein Mehrfaches angestiegen und neuere Arbeiten weisen auch darauf hin, dass sich durch dieses Verhalten auch das Gangbild in einer physiologisch nachteiligen Weise verändert. Elektromyographische Studien zeigen, dass die muskuläre Aktivität z.B. des M. tibialis anterior, gastrocnemius, rectus femoris, gluteus maximus und gluteus medius abnimmt (5) (was zumindest theoretisch in einem verminderten Energieverbrauch resultieren kann, abgesehen von diversen artikulären und muskuloskeletalen Beschwerden). Zudem wissen wir, dass Medienkonsum in Form von TV oder auch Gaming mit einem erhöhten Körpergewicht (unabhängig vom Energieverbrauch durch Bewegung) verbunden ist (6). Auch die Verwendung eines Smartphones während dem Essen ist mit einer höheren Energiezufuhr und Adipositas assoziiert (7). Auch hier schliesst sich die physiologische respektive pathophysiologische Schlaufe der Abhängigkeit: Smartphone-Abhängigkeit korreliert mit einem ungünstigen, gewichtsfördernden Essverhalten (8).
Ernährungsempfehlungen
Eine Empfehlung ist nur wirksam, wenn diese auch umgesetzt werden kann. Gerade wenn es um Gesundheitsempfehlungen geht, sollen diese, wenn immer möglich, individuell angepasst werden – eine Personalisierung der Empfehlungen ist oftmals der Grundpfeiler für den nachhaltigen Erfolg.
Eine Reduktion oder sogar Vermeidung des Konsums von ultraprozessierten (meist rekonstituierten) Nahrungsmitteln ist dabei prioritär. Die ubiquitäre, zeitlich unbeschränkte Verfügbarkeit dieser Nahrungsmittel ist eine zentrale Determinante der Adipositas-Epidemie (9) und bald stammen mehr als die Hälfte der zugeführten Kalorien von (ultra-)prozessierten Nahrungsmitteln. Diese Empfehlung erscheint für alle Patienten (aber auch Noch-Nicht-Patienten) unabhängig vom Körpergewicht als sinnvoll. Verschiedenste epidemiologische und experimentelle Studien zeigten, dass die Einnahme von ultraprozessierten Nahrungsmitteln den hedonistischen Überkonsum fördern (10) und auch die kardiovaskuläre sowie Krebs-Mortalität steigern (11). Zwischen der Zufuhr an prozessierten Nahrungsmitteln und dem Übergewicht und Adipositas besteht eine kausale Beziehung. In einer prospektiven Studie von Fazzino et al. (12) zeigte sich, dass ein Ernährungsmuster mit einem hohen Anteil an hyerpalatablen prozessierten Nahrungsmitteln zu einer ausgeprägteren Gewichtszunahme führt als bei Vermeidung dieser Nahrungsmittel. Hedonistisches Essen – induziert durch die modernen Nahrungsmittel und potenziert durch diverse individuelle und gesellschaftliche Faktoren, stellt wohl eine zentrale Hauptursache der aktuellen Adipositas-Pandemie dar. Sollte die Adipositas-Pandemie und die Belastung des Gesundheitssystems sowie der vielen Einzelschicksale kontrolliert werden, ist es wohl unumgänglich, den Markt und die Verbreitung dieser hyperpalatablen hedonistischen Nahrungsmittel zu regulieren und auch unphysiologische konsumfördernde Stressoren des Alltags anzugehen.
Neue pharmakologische Therapiemöglichkeiten
Übergewicht und Adipositas sind chronische Erkrankungen und es bedarf einer chronischen (lebenslänglichen) Therapie und Prävention. So werden unter anderem Artischocken-Supplemente, Himbeeren-Extrakt, Hoodia Gordonii oder Zichorien-Wurzeln zur Gewichtsabnahme empfohlen. In der Regel sind diese Produkte nur ungenügend geprüft und ohne nachhaltige Wirkung.
Seit ein paar Jahren stehen uns neue pharmakologische Therapieprinzipien in Form von Glukoagon-Like-Peptide-1 (GLP-1)-Agonisten zur Verfügung. Diese Pharmaka (sogenannte Inkretin-Mimetika) wurden zur Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt und wurden bereits vor gut 15 Jahren erstmalig zugelassen. Es zeigte sich schon in den ersten Studien, dass die GLP-1-Agonisten nicht nur die diabetische Stoffwechsellage verbessern, sondern durch diverse Wirkungen (u.a. Förderung der Insulinsekretion, Hemmung der Glukagonsekretion, Förderung der Sättigung durch ZNS-Effekte, Verminderung des Hungergefühls, Modulation der Magenentleerung) auch einen Gewichtsverlust bewirken können (13). Liraglutid und Semaglutid sind die im Moment bekanntesten Vertreter dieser Pharmaka-Klasse. In verschiedenen gross angelegten Studien zeigte sich eine ausgeprägte Gewichtsreduktion durch die Verabreichung des GLP-1-Agonisten Liraglutid (tägliche Anwendung) (14) und dessen Weiterentwicklung Semaglutid (wöchentlicher Anwendung) (15) mit und ohne begleitender Lifestyle-Intervention. Die gewichtsreduzierenden Effekte dieser Pharmaka sind etwa doppelt so hoch als wir dies von früheren Pharmaka her kennen. So induzierte Semaglutid nach einem guten Jahr in adipösen, nicht-diabetischen Patienten einen Gewichtsverlust von 14.9% (-15.3 kg) im Vergleich zu 2.4% (-2.6 kg) in der Placebo Gruppe (STEP-1-Studie). Knapp ein Drittel der Teilnehmer (32%) erreichte sogar einen Gewichtsverlust von über 20% (15). Dies sind in der Tat eindrückliche Resultate, welche erwartungsgemäss auch in einer Verbesserung diverser Risikofaktoren resultierten (Blutdrucksenkung oder Verbesserung des Lipidprofils). Im Moment ist es allerdings noch unklar, ob dadurch auch die kardiovaskulären Endpunkte beeinflusst werden. Wie heutzutage aus ethischen Gründen notwendig, haben alle Patienten gleichzeitig auch noch eine klassische Lebensstil-Intervention implementiert oder zumindest versucht zu implementieren. Letztere hatte einen langfristig wohl kaum zu unterschätzenden modulatorischen Effekt auf das Ausmass der Gewichtsreduktion (sogenannte STEP-3-Studie) (16). Auch wenn es keine konkreten Hinweise auf ein Nachlassen der Wirkung bei längerer Applikation gibt, wird sich erst bei breiterer Anwendung zeigen, wie nachhaltig diese neuen Therapiestrategien sind. In den bisherigen Studien zeigte sich eine Abflachung der Wirkung nach gut einem Jahr. Es scheint, dass die nicht pharmakologischen Massnahmen während der Applikation dieser Pharmaka nicht von zu grosser Bedeutung sind, allerdings werden diese bei Sistierung der medikamentösen Therapie zunehmende Bedeutung haben.
Die Entwicklung dieser GLP-1-Agonisten und im Besonderen auch deren orale Anwendungsmöglichkeiten sind Meilensteine der pharmakologischen Technologie und Innovation. Die kurzfristigen Nebenwirkungen (im Besonderen gastrointestinale Symptome wie z.B. Übelkeit und Erbrechen) sind unangenehm und unter Umständen auch ein Teil des therapeutischen Wirkprinzips; die Bedeutung und der Stellenwert von anderen langfristigen Nebenwirkungen (Pankreatitis, Cholelithiasis, oder medulläres Schilddrüsen-Karzinom bei entsprechender Prädisposition) sind zurzeit noch ungenügend bekannt.
Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Zweitabdruck des in info@herz 05-2021 erschienen Originalartikels.
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Prof. Dr. med. Paolo M. Suter
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8044 Zürich
paolo.suter@usz.ch
Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Die Kontrolle des Übergewichts und der Adipositaspandemie kann mit Sicherheit nicht in der ärztlichen Sprechstunde oder im Operationssaal gelöst werden.
◆ In unserer täglichen Praxis können wir Patientinnen und Patienten auf individueller Basis mit neuen pharmakologischen Strategien behandeln.
◆ Mit einer personalisierten individuellen kombinierten nicht-pharmakologischen und pharmakologischen Therapie haben wir das Potential für einen nachhaltigen Erfolg auf individueller Ebene, dürfen aber die Treiber der Epidemie in der modernen Gesellschaft nicht ausser Acht lassen.
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Das Herpes simplex Virus Typ 1 und Typ 2 (HSV-1, HSV-2) gehört zusammen mit dem Varizella-Zoster Virus zur Gruppe der Alpha-Herpesviridae. Gemeinsam ist diesen Alpha-Herpesviren neben ihrer weiten Verbreitung die Epidermo- und Neurotropie mit Ausbildung einer individuell unterschiedlichen klinischen Symptomatik und dem Vorkommen einer Latenzphase, d.h. dem Verbleiben der viralen DNS nahezu ohne Proteinsynthese in den Nervenganglien. Aus der latenten Phase können die Viren durch Triggerfaktoren oder durch Schwächung der Immunantwort reaktiviert werden und zum klinischen Rezidiv führen. Ein gehäuftes und klinisch aggraviertes Auftreten ist folglich bei Immundefizienz zu erwarten.
Pathogenese und Epidemiologie
Herpes simplex Viren gelangen im Rahmen der häufig asymptomatischen Primärinfektion über die Haut oder Schleimhäute in den Wirtsorganismus, wo die Virusreplikation in den Epithelzellen stattfindet. Zusätzlich kommt es auch zum Befall sensorischer Hautnerven, entlang denen die Viren in die Zellen der Hinterwurzelganglien einwandern und dort eine lebenslange latente Infektion etablieren. Zahlreiche Triggerfaktoren verursachen Reaktivierungen des Virus, das wieder entlang der sensiblen Nerven deszendiert, wo entweder eine klinische Symptomatik an Haut und Schleimhäuten oder eine asymptomatische Virusausscheidung resultiert. Die Primärinfektion mit HSV-1 geschieht vorwiegend durch vertikalen Kontakt in den ersten fünf Lebensjahren und verläuft mehrheitlich asymptomatisch. Gelegentlich kann jedoch eine schwer verlaufende Gingivostomatitis eine Hospitalisation notwendig machen. Bei einer Primärinfektion im Erwachsenenalter muss häufiger mit Symptomen gerechnet werden. In der Schweiz weisen knapp zwei Drittel der Blutspender Antikörper gegen HSV-1 auf, wobei keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bestehen. Da die HSV-1 Seroprävalenz in der industrialisierten Welt rückläufig ist, ist bei uns mit einer Zunahme der Primärinfektion im Erwachsenenalter zu rechnen (Abb. 1). HSV-1 kann auch eine genitale Infektion verursachen, was in den letzten Jahren durch die zunehmenden orogenitalen Kontakte in diversen Ländern vermehrt beobachtet werden konnte.
Die HSV-2 Infektion wird meist sexuell übertragen und betrifft in der Regel die anogenitale Lokalisation. Weniger häufig kommen Infektionen an der Hand (Abb. 2), glutäal oder am Oberschenkel und sehr selten orofazial vor. Der wichtigste Risikofaktor für eine Ansteckung mit HSV-2 ist die Anzahl Sexualpartner wobei Frauen signifikant häufiger als Männer betroffen sind. Über zwei Drittel der Ansteckungen erfolgt durch eine asymptomatische Virusausscheidung und die Mehrzahl der Primärinfektionen mit HSV-2 verläuft ohne Symptome insbesondere wenn eine Infektion mit HSV-1 bereits früher an einer anderen Stelle erfolgt ist (sog. Initialinfektion).
Sowohl Infektionen mit HSV-1 als auch HSV-2 weisen eine hohe Rezidivrate auf. Das Risiko für ein genitales Rezidiv ist jedoch bei HSV-2 4-5 mal grösser.
Klinik
Herpes orofacialis
Verläuft eine Primärinfektion mit HSV-1 symptomatisch, so kann überwiegend eine Gingivostomatitis mit multiplen fibrinös-belegten Ulzerationen enoral, der Lippen und teilweise auch perioral gesehen werden. Ein Befall des harten Gaumens hilft bei der klinischen Abgrenzung gegenüber der Herpangina durch Coxsackie-Viren. Gleichzeitig bestehen schmerzhafte Lymphknotenschwellungen, Speichelfluss, hohes Fieber und Unwohlsein. Während das Fieber nach 3-4 Tagen abklingt, bilden sich die Läsionen erst nach 2-3 Wochen zurück. Nicht selten kommt es im Rahmen der Primärinfektion zur Autoinokulation des Virus anderenorts (z.B. genital oder Finger). Bei Adoleszenten manifestiert sich die Primärinfektion häufig auch unter dem Bild einer ulzerativen Pharyngitis.
Die rezidivierende Form wird durch unterschiedliche Triggerfaktoren ausgelöst (z.B. UV-Exposition, Fieber, Menstruation, lokales Trauma und längerdauernde Stresssituationen). Am häufigsten ist der Lippenrand betroffen, jedoch kann grundsätzlich jede Stelle, vorwiegend im Gesichts- und Halsbereich betroffen sein. Infekte an Nase (Abb. 3), Kinn, und Wangen machen jedoch weniger als 10% aller orofazialen Manifestationen aus. Häufig wird ein prodromales Spannungsgefühl, Juckreiz oder Kribbeln an der Lokalisation des Rezidivs verspürt. Eine asymptomatische orale Virusausscheidung ist häufig und kann zur Übertragung des Virus führen. Komplizierend kann es vor allem bei ekzematös vorgeschädigter Haut zu einer flächenhaften Ausbreitung der Infektion, einem Eczema herpeticatum kommen (Abb. 4), was eine notfallmässige systemische antivirale Therapie erfordert. Gewisse Patienten reagieren 1-2 Wochen nach einem Herpes labialis mit einem Erythema exsudativum multiforme, was nach einem Herpes genitalis nur selten vorkommt.
Herpes genitalis
Die genitale Primärinfektion mit HSV-2 verläuft mehrheitlich ohne Symptome. Beim symptomatischen Verlauf kommt es nach einer 3-10-tägigen Inkubationszeit zu gruppiert angeordneten Bläschen auf geröteter Haut oder Schleimhaut, die schnell aufbrechen und in flächenhafte Erosionen oder Ulzerationen übergehen. Beim Mann ist meist die Glans, das Präputium, oder der Penisschaft betroffen, seltener finden sich Herde glutäal, perineal, an Oberschenkeln oder anal. Bei Frauen bestehen meist symmetrische Läsionen an der Vulva (Abb. 5), perineal, vaginal und in 80% auch zervikal.
Die inguinalen Lymphknoten sind fast immer druckdolent und vergrössert. Insbesondere bei Frauen ist bereits früh im Krankheitsverlauf mit Allgemeinsymptomen zu rechnen, die an einen grippalen Infekt erinnern aber auch Symptome einer aseptischen Meningitis beinhalten können. Komplizierend kann es infolge der Dysurie und Radikulomyelitis bis zum Harnverhalten kommen, was eine suprapubische Harnableitung notwendig macht. Eine herpetische Proktitis, die typischerweise nur selten rezidiviert, kann insbesondere bei homosexuellen Männern bestehen. Ein genitaler Herpes wird von der Mehrheit der Patienten als stigmatisierende Krankheit und grosse psychosoziale Belastung empfunden.
Etwa 20% der HSV-2 seropositiven Patienten weisen charakteristische Rezidive mit gruppierten genitalen Bläschen auf gerötetem Grund auf, die im Vergleich zur Primärinfektion milder und kürzer verlaufen. Weitere 20% der Patienten weisen einen vollständig asymptomatischen Verlauf auf, der jedoch ebenfalls zu einer Übertragung führen kann. Die restlichen 60% der HSV-2 Seropositiven weisen uncharakteristische Symptome auf, die sie ohne Beratung nicht als herpetisch bedingt erkennen. Diese häufig bestehenden atypischen Manifestationen umfassen lokalisiertes Brennen bis Jucken, lokalisierte Erytheme, Schwellungen (Abb. 6), kleine Fissuren, isolierte Erosionen (Abb. 7) sowie unklare rezidivierend auftretende ziehende Unterbauchschmerzen. Auch bei einer rezidivierenden serösen Urethritis ohne anderweitigen Erregernachweis muss an die Möglichkeit einer herpetischen Form gedacht werden. Isolierte genitale Ulzera sind in der westlichen Welt ebenfalls häufig durch HSV-2 verursacht. Da das ganze Integument betroffen sein kann, muss auch bei atypischen Lokalisationen an einen HSV-Infekt gedacht werden. Generell kann bei allen HSV-2 Seropositiven eine asymptomatische Virusausscheidung entweder vor, nach oder völlig unabhängig von einem symptomatischen Rezidiv erfolgen. Diese asymptomatische Virusausscheidung ist häufiger im ersten Jahr nach der Primärinfektion und häufiger bei HSV-2 als bei HSV-1.
Therapie und Prävention
Die Therapieform des Herpes simplex wird bestimmt von der Häufigkeit und der Schwere der Rezidive, aber auch von der Bereitschaft des Patienten zur Durchführung der entsprechenden Therapieoption. Das Ziel der Therapie ist eine raschere Rückbildung der Läsionen und Schmerzen sowie eine Reduktion der Rezidivhäufigkeit.
Herpes orofacialis
Die Behandlung orofazialer HSV-Infekte ist multimodal und besteht neben der virostatischen Therapie aus schmerzlindernden und lokalen Massnahmen. Grundsätzlich können spezifische, antivirale Therapieformen in topischer oder systemischer Form von unspezifischen und symptomatischen Behandlungsstrategien unterschieden werden. Die Selbstmedikation besitzt bei Patienten mit rezidivierendem Herpes labialis einen hohen Stellenwert. Die überwiegende Zahl der Betroffenen verwenden topische Präparate, die in einer Vielzahl auf dem Markt sind jedoch existieren meist keine Studien, die ihre klinische Wirksamkeit belegen würden.
Episodische Behandlung
Eine systemische virostatische Behandlung mit Aciclovir, Valaciclovir und Famciclovir führt zu einer rascheren Rückbildung der Läsionen und geringeren Grösse der Läsionen.
Obwohl die verbesserten pharmakokinetischen Eigenschaften der neueren Virostatika (Valaciclovir, Famciclovir) zu einer klinisch kaum fassbaren Verbesserung der oben genannten Wirkungen führen, ermöglichen sie eine für den Patienten angenehmere Dosierung und fördern die Therapietreue. Die perorale virostatische Therapie erstreckt sich bei Erstinfektionen mit HSV-1 in der Regel über 5-7 Tage (Tabelle 1).
Im Gegensatz zum Herpes genitalis, bei dem die Wirksamkeit einer systemischen antiviralen Therapie (mit Aciclovir, Famciclovir oder Valaciclovir) vor allem bei Primär- und häufigen Rezidivinfektionen gut dokumentiert ist, besteht beim Herpes labialis eine spärliche Datenlage. Dies erklärt auch die teilweise von der genitalen Form abweichenden Therapieschemata. Die ursprünglich empfohlene fünftätige Therapie beim rezidivierenden Herpes labialis wird zunehmend durch eine Kurzzeit-Behandlung («short-course») ersetzt. Es konnte gezeigt werden, dass 2x2g Valaciclovir für einen Tag die Abheilungszeit signifikant verkürzt und dass eine längere Behandlungsdauer keinen zusätzlichen Nutzen erbringt. Ebenfalls konnte mit diesem Behandlungsschema der Prozentsatz an verhinderten Ausbrüchen («aborted lesions») vermindert werden. Kürzlich konnte eine signifikante Wirkung mit einer Einmaldosis Famciclovir 1.5g erzielt werden.
Diese höher dosierte Kurzzeitbehandlung ist den traditionellen Schemata mindestens ebenbürtig und wird gut toleriert. Das einfachere Behandlungsschema erleichtert den Patienten das Einhalten der Therapie («adherence») und vermag teilweise Kosten zu sparen.
Generell ist zu bemerken, dass bei der rezidivierenden HSV-Infektion trotz frühzeitigem Beginn der systemischen Therapie (wenn möglich innerhalb 24 Stunden nach Auftreten der Symptome) eine geringere Wirkung mit Verkürzung der Virusausscheidung und der Abheilungsdauer als bei der Primärinfektion erreicht wird. Angesichts dieser nur geringfügigen Wirkung und des meist problemlosen Verlaufes des Herpes labialis ist eine systemische Therapie bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten mit rezidivierendem Herpes labialis nicht gerechtfertigt. Bei Primärinfektionen, grossem Leidensdruck und bei immunsupprimierten Patienten sowie kompliziertem Verlauf (Eczema herpeticatum, Erythema exsudativum multiforme) sollte jedoch möglichst frühzeitig systemisch therapiert werden. Eine virostatische Suppressionstherapie des rezidivierenden Herpes labialis (Dosierung analog zum Herpes genitalis) kann bei sehr häufigen oder subjektiv stark belastende Rezidiven, bei Patienten mit einem Herpes- assoziierten Erythema exsudativum multiforme oder bei immunsupprimierten Patienten mit rezidivierendem Herpes labialis erwogen werden.
Herpes genitalis
Für den Herpes genitalis stehen die gleichen Therapieoptionen zur Verfügung, die jedoch in der Dosierung Unterschiede aufweisen (Tabelle 2).
Der schwerere Verlauf der Primärinfektion rechtfertigt eine antivirale Behandlung, die möglichst frühzeitig (noch bei ausstehenden Laborresultaten) eingeleitet werden soll.
Je nach Ausprägung der Rezidive erfolgt eine Therapie episodisch, suppressiv oder mit alleinigen unspezifischen Externa. Eine topische Behandlung mit antiviralen Medikamenten ist nicht von nachweisbarem klinischem Nutzen.
Beim rezidivierenden Herpes genitalis zeigen die Kurzzeittherapien ebenfalls gegenüber den Standardtherapien vergleichbare Resultate. Eine episodische Behandlung während 1-5 Tagen, die innerhalb von 24 Stunden nach Einsetzen der Symptome durch den Patienten selbst eingeleitet wird, kann die Dauer einer Episode um 1 bis 2 Tage verkürzen. Bei häufigen Rezidiven (> 6/Jahr) sowie bei sehr belastender Symptomatik kann eine Dauertherapie über 6 bis 12 Monate erwogen werden, was rund 80% der Rezidive unterdrückt und eine grössere Wirkung auf die mit dem Herpes genitalis verbundene Morbidität aufweist. Aufgrund der Kosten sowie des trendmässig leicht besseren Ansprechens ist bei der Dauersuppression Valacyclovir zu bevorzugen. Beispiele für eine symptomatische Lokaltherapie sind in Tabelle 2 ersichtlich.
Die Beratung des Patienten über Präventionsmassnahmen zur Verhinderung der Übertragung ist Bestandteil der Therapie. Da bislang kein kommerziell erhältlicher und wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht, reduziert sich die Prävention auf Abstinenz von Sexualkontakten (inkl. Oralsex) während symptomatischen Phasen bis 1-2 Wochen nach Abheilung, Verwendung von Latex-Präservativen und allenfalls eine antivirale Dauerbehandlung. Keine dieser Massnahmen bietet einen vollständigen Schutz (Abb. 8). Die Suppressionstherapie mit Valaciclovir verringert die Übertragung um 50%.
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Prof. Dr. med. Stephan Lautenschlager
Chefarzt
Institut für Dermatologie und Venerologie
Stadtspital Zürich
Herman Greulich-Str. 70
8004 Zürich
stephan.lautenschlager@triemli.zuerich.ch
Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Manuskript keine Interessenkonflikte deklariert.
◆ Infektionen mit dem Herpes simplex Virus – einem Vertreter der humanen Alpha-Herpesviridae – sind ausgesprochen häufig.
◆ Charakteristisch für diese Viren ist ihre Fähigkeit eine Latenzphase im Nervengewebe auszubilden von wo sie reaktivieren können. Primärinfektionen und Rezidive sind durch eine unterschiedliche und vielgestaltige Klinik gekennzeichnet.
◆ In seiner typischen Ausprägung ist ein Herpes simplex Infekt meist klinisch zu diagnostizieren, während die häufigen atypischen Manifestationen eine Labordiagnostik erfordern.
◆ Seroepidemiologische Studien belegen einen hohen Prozentsatz von HSV-2 infizierten Individuen, deren klinische Manifestationen nicht als Herpes genitalis erkannt werden.
◆ Um die Herpes genitalis Epidemie beeinflussen zu können, muss insbesondere primär die Diagnostik verbessert werden.
◆ In steigendem Ausmass finden sich genital auch Infektionen mit HSV-
◆ Therapeutisch zunehmend bedeutend ist die hochdosierte Kurzzeitbehandlung mit peroralen Nukleosidanaloga sowie die Dauersuppressionstherapie bei häufigen und belastenden Rezidiven.
Immer mehr Frauen äussern den Wunsch nach hormonfreier, sicherer Antikonzeption. Gleichzeitig erleben wir einen Boom im Bereich der Gesundheits- insbesondere der Zyklus-Apps. Doch können wir die nachgewiesene Sicherheit der symptothermalen Antikonzeption im Sinne der Natürlichen Familienplanung uneingeschränkt auf Zyklus-Apps übertragen? Können neue Technologien die hormonfreie Antikonzeption noch sicherer und einfacher in der Anwendung machen, und was können wir unseren Patientinnen empfehlen?
De plus en plus de femmes expriment le désir d’ une contraception sans hormones. En même temps, nous vivons un boom des applications (apps ou applis) dans le domaine de la santé, en particulier du cycle menstruel. Mais, est-il possible de transférer simplement et sans perte de fiabilité la méthode contraceptive symptothermale, méthode de planning familial naturel avec une sécurité avérée, sur une app du cycle menstruel ? Des nouvelles technologies peuvent-elles rendre la contraception sans hormones encore plus sûre et plus facile à utiliser ? Et quelles recommandations pouvons-nous donner à nos patientes ?
Aktuelle Situation
In der alltäglichen gynäkologischen Sprechstunde sowie in den allgemeinen Medien geraten die klassischen hormonellen Antikonzeptionsmethoden wie die «Pille» zunehmend in Kritik.
Der Wunsch nach Autonomie ist nun, da sichere Verhütung in der Schweiz und vielen anderen Ländern breit verfügbar ist, mehr von Selbstbestimmtheit über Wirkungsweise und Nebenwirkungen als einer reinen Vermeidung unerwünschter Schwangerschaften geprägt. Frauen wollen die Auswirkungen der verschiedenen Antikonzeptionsmethoden auf ihren Körper genau kennen und sind, sofern es sich um unerwünschte Nebenwirkungen handelt, weniger bereit diese zu tolerieren. Im Sinne eines generellen Trends zu mehr «Natürlichkeit», sei es in Bezug auf Ernährung, Kosmetik oder Kleidung, wollen immer mehr, gerade junge Frauen, auch bei Verhütungsmethoden auf Alternativen zur etablierten hormonellen Antikonzeption zurückgreifen. Immer mehr Frauen beschäftigen sich intensiv mit den physiologischen und pathologischen Veränderungen ihres Körpers, wollen ihren Zyklus verstehen und sicher verhüten ohne die Nachteile der klassischen etablierten hormonellen Antikonzeption. Die grosse Menge an verfügbaren Informationen ist jedoch für Laien meist nicht zu bewerten und einzuordnen, da das Informationsangebot oft von verschiedenen Interessen geprägt ist.
Durch Apps, Smartwatches und weitere Wearables ist es heutzutage ohne grosse Einschränkung möglich, diverse Vitalparameter zu messen und aufzuzeichnen, zu «tracken». Dies ist bei sportlichen Tätigkeiten, Schritten oder Schlafphasen bereits der Alltag vieler Frauen. Zyklus-Apps sind aktuell die erfolgreichsten Gesundheits-Apps (1). Wäre es nicht ideal, die seit den 1960er Jahren entwickelte Methode der Natürlichen Familienplanung (NFP) durch Nutzung dieser Daten präziser und verlässlicher, leichter verständlich und komfortabler in der Nutzung zu machen? Doch wie sicher sind die aktuellen Apps wirklich? Was können wir unseren Patientinnen mit Wunsch nach alternativen Verhütungsmethoden empfehlen?
Zunächst ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass bei 2/3 der Frauen die Zykluslänge um mehr als 7 Tage schwankt, und so das fertile Fenster rein rechnerisch schwer vorhersagbar ist. Auch kann die Ovulation nur indirekt über Parameter wie Veränderung des Zervixschleims oder Temperaturanstieg beobachtet werden, wobei auch diese einer gewissen Schwankungsbreite unterliegen. Bei den aktuell verfügbaren Apps müssen zudem zwei grosse Gruppen unterschieden werden:
Prognose-Apps
Prognose-Apps ermitteln die fruchtbaren Tage lediglich anhand Daten vergangener Zyklen (Eintritt der Menstruation), auch wenn im aktuellen Zyklus die Temperatur gemessen wird. Dies ist im Grunde unnötig und irreführend, da das Gefühl vermittelt wird, die Daten würden zur Vorhersage des aktuellen fertilen Fensters verwendet. Die Problematik der Prognose-Apps wird in einer Berechnung von Frank-Herrmann et al. (1) deutlich, welche in Tabelle 1 dargestellt wird. Selbst bei geringen Schwankungen in der Zykluslänge kann das fertile Fenster durch die retrospektive Auswertung der Zykluslänge nicht mit ausreichender Sicherheit berechnet werden.
Selbst bei geringen Schwankungen in der Zykluslänge (+/- 7 Tage) ist durch die retrospektive Auswertung der Zykluslänge bereits von einer deutlich eingeschränkten Vorhersage des fertilen Fensters auszugehen (1). In einer Erhebung von Johnson et al., welche 949 Zyklen in 73 Kalender-Apps auswertete, lag die Genauigkeit der Ovulationsvorhersage lediglich bei 21% (2). Die amerikanische App DOT berücksichtigt für Ihre Berechnung anstelle von Durchschnittswerten alle Schwankungen der vergangenen Zyklen, endgültige Studien sind jedoch noch ausstehend (3).
Zu den Prognose-Apps zählt auch die amerikanische App Natural Cycles®, welche durch die U.S. Food and Drug Administration (FDA) 2018 eine umstrittene Zulassung als Verhütungsmittel erhalten hat. Denn die für die Zulassung vorliegenden Studien wurden durch das Unternehmen selbst durchgeführt. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) veröffentlichte 2018 sogar eine Warnung, da diese Studien aufgrund mangelnder Qualität als unbrauchbar einzuschätzen sind (4). Bemängelt werden die hohe Drop Out Rate von 54% innerhalb des ersten Jahres, fehlende Informationen zum Grund des Drop Outs und des Sexualverhaltens der Teilnehmerinnen, eine unsichere Definition eingetretener Schwangerschaften sowie statistische und methodische Mängel, welche die verwendeten Studien als untauglich erscheinen liessen (4). Auch andere Zertifizierungen (CE, TÜV) sagen nichts über die korrekte Anzeige des fertilen Fensters innerhalb der Apps aus, sondern werten lediglich durch den Hersteller gelieferte Daten aus und beziehen sich auf technologische Sicherheit und nicht auf die korrekte Anzeige des fertilen Fensters oder die antikonzeptionelle Sicherheit.
Apps der Natürlichen Familienplanung mit assoziierten Messsystemen
Bei der zweiten Gruppe wird die Fruchtbarkeit anhand der erhobenen Parameter im aktuellen Zyklus ermittelt. Es handelt sich hierbei zum einen um NFP-Apps, «fertility awareness apps», bei denen Temperatur und Beschaffenheit des Zervixschleims dokumentiert werden, oder um Apps mit assoziierten Messsystemen wie der LH-Messung im Urin oder Speichel oder neuen Parametern, wie der nächtlichen Pulsrate oder der periphererKörpertemperatur (z.B. AVA®).
Die symptothermale Methode ist eine bewährte Verhütungsmethode, deren Sicherheit bereits bestätigt werden konnte und wird aktuell mit einem Pearl Index von 0,4 bei «perfect use» und 1,8 bei «real use» angegeben (5). Hier werden die morgendliche Körperkerntemperatur und der Zervixschleim (Farbe, Konsistenz, Spinnbarkeit) zur Ermittlung des fertilen Fensters verwendet.
Die Sicherheit der NFP-Methode kann nicht ohne Einschränkungen auf Apps übertragen werden, da eine korrekte Instruktion der Patientin zur Temperaturmessung und Zervixschleimbeobachtung sowie das Erkennen von Störfaktoren essentiell für die korrekte Berechnung des fertilen Fensters sind. Eine kontinuierliche Nachtmessung mittels vaginal einsetzbarem Sensor soll zu weniger Störanfälligkeit führen, allerdings bleiben in einer Pilotstudie unter Beobachtung von 470 Zyklen 17% der Ovulationen unentdeckt (6).
Belastbare Studien zur antikonzeptionellen Sicherheit der NFP-Apps sind bisher ausstehend. Ebenfalls experimentell ist die Benutzung des AVA®-Armbandes, welches mittels Sensoren über 3 Millionen Datenpunkte erfasst. Als erster Parameter zeigt die mediane Ruhepulsfrequenz schon vor dem Eisprung eine Veränderung und ist mit ihrem Anstieg ein vielversprechender prospektiver Faktor, welcher die hormonfreie Antikonzeption sicherer machen kann (7, 8). Studien, welche die Sicherheit dieses Parameters bestätigen, werden für 2022 erwartet.
Die Auswahl einer echten NFP-App ist für Nutzerinnen schwierig, da die Art der Auswertung selten ersichtlich ist. Viele Apps fordern die Eingabe physiologischer Parameter wie Temperatur und Zervixschleim, obwohl diese nur retrospektiv ausgewertet werden und im Grunde nicht für die Berechnung des fertilen Fensters benötigt werden, da diese anhand der letzten Menstruation erfolgt. Sie vermitteln so das Gefühl falscher Sicherheit, da sie suggerieren, die symptothermale Methode zu verwenden, obwohl es sich um reine Prognose-Apps handelt. Da die Nutzerin jedoch viele persönliche Daten angeben muss, um die App nutzen zu können, welche teilweise irrelevant für die Berechnung des fertilen Fensters sind (Grösse, Gewicht, Postleitzahl), ist jedoch auch wichtig, das Datensendeverhalten und Einhalten der Privatsphäre bei Apps im Vergleich zur analogen Methode zu berücksichtigen. Durch die Stiftung Warentest wurde 2017 der Datenschutz bei der überwiegenden Anzahl der analysierten Apps als kritisch beurteilt wurde (9). Durch In-App Käufe oder das Erwerben spezieller Thermometer werden Nutzerinnen zu zusätzlichen Ausgaben verleitet und an spezielle Apps gebunden. Andererseits bieten Zyklus-Apps mehr als reine Antikonzeption. Durch Foren und informative Beiträge wird das Gefühl einer Community erzeugt, der weibliche Körper und die physiologischen Veränderungen während des Menstruationszyklus erklärt und Hilfe bei Beschwerden vermittelt.
Fazit
Insgesamt ist zu sagen, dass die momentan angebotenen Prognose-Apps unbrauchbar sind, um das fertile Fenster ausreichend sicher vorhersagen zu können. Eine Zulassung oder Zertifizierung, z.B. eine CE-Zertifizierung, sagen nichts über die antikonzeptionelle Sicherheit der Methodik aus. Die symptothermale Methode bietet als evidenzbasiertes Verfahren ein weitgehend sicheres System zur hormonfreien Antikonzeption, welche allerdings nicht uneingeschränkt auf Apps übertragen werden kann, da eine gute Instruktion der Nutzerin für die antikonzeptionelle Sicherheit essentiell ist und unabhängige, hochwertige Studien ausstehend sind. Auch für Apps mit assoziierten Messsystemen und neue Parameter, wie die mediale Ruhepulsfrequenz, sind zum aktuellen Zeitpunkt aussagekräftige Studien ausstehend.
Es bestehen bei der Autorin keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel.
◆ Frauen haben zunehmend den Wunsch nach hormonfreier sicherer Antikonzeption.
◆ Gesundheits-Apps sind bereits fest in das Leben vieler Frauen integriert und bieten eine Chance in der Anwendung zur Antikonzeption. Leider fehlen dazu jedoch momentan noch eine evidenzbasierte Prüfung und aussagekräftige Studien.
◆ Prognose-Apps bieten keine ausreichende antikonzeptionelle Sicherheit.
◆ Für die Übertragbarkeit der bereits etablierten Sicherheit der NFP-Methode in Apps sowie für assoziierte Messysteme fehlen zum
aktuellen Zeitpunkt aussagekräftige Studien.
Messages à retenir
◆ Les femmes ont de plus en plus le désir d’ une contraception sûre sans hormones.
◆ Des apps de santé sont déjà fermement intégrées dans la vie de beaucoup de femmes, ce qui offre l’ opportunité de les utiliser dans la contraception.
◆ Malheureusement, à ce jour, il nous manque des données basées sur l’ évidence et des études fiables.
◆ Les apps dites pronostiques n’ offrent aucune sécurité contraceptive.
◆ A l’ heure actuelle, des études fiables sur l’utilisation dans une app de la méthode contraceptive naturelle avérée (méthode symptothermale) manquent. Elles manquent aussi pour les apps de planning familial intégrant des systèmes de mesures associés.
1. Frank-Herrmann P, Freis A, Freundl-Schütt T, Wallwiener L-M, Baur S, Freundl G et al. Zyklus-Apps zur Verhütung–sicher oder Gesellschaftsspiel? Der Gynäkologe 2019;52(2):90-7
2. Johnson S, Marriott L, Zinaman M. Can apps and calendar methods predict ovulation with accuracy? Current medical research and opinion 2018;34(9):1587-94
3. Jennings VH, Haile LT, Simmons RG, Fultz HM, Shattuck D. Estimating six-cycle efficacy of the Dot app for pregnancy prevention. Contraception 2019;99(1):52-5
4. DGGEF. Warnung vor FDA-zugelassener Verhütungs-App Marburg 2018 [Available from: https://www.dggef.de/2018/10/12/warnung_verhuetungs-app/]
5. Frank-Herrmann P, Freundl G, Gnoth C, Godehardt E, Kunert J, Baur S et al. Natural family planning with and without barrier method use in the fertile phase: efficacy in relation to sexual behavior: a German prospective long-term study. Advances in contraception 1997;13(2):179-8
6. Regidor P-A, Kaczmarczyk M, Schiweck E, Goeckenjan-Festag M, Alexander H. Identification and prediction of the fertile window with a new web-based medical device using a vaginal biosensor for measuring the circadian and circamensual core body temperature. Gynecological Endocrinology 2018;34(3):256-60
7. Goodale BM, Shilaih M, Falco L, Dammeier F, Hamvas G, Leeners B. Wearable sensors reveal menses-driven changes in physiology and enable prediction of the fertile window: observational study. Journal of medical Internet research 2019;21(4):e13404
8. Shilaih M, de Clerck V, Falco L, Kübler F, Leeners B. Pulse rate measurement during sleep using wearable sensors, and its correlation with the menstrual cycle phases, a prospective observational study. Scientific Reports 2017;7(1):1-7
9. StiftungWarentest. Zyklus-Apps: Fruchtbare Tage bestimmen – nur drei Apps sind gut. 2017.