CMV-Screening

Kongenitale CMV-Infektionen können zu schweren kindlichen Beeinträchtigungen führen. In den letzten Jahren wurden erhebliche Fortschritte bei der Risikoeinschätzung, der frühzeitigen mütterlichen Diagnostik sowie medikamentöser Behandlungen zur Verhinderung einer transplazentaren fetalen Infektion gemacht. Dadurch erweitert sich das Spektrum der Optionen bei frühzeitig erkannter mütterlicher CMV-Infektion und die Frage, ob ein CMV-Screening sinnvoll ist, muss neu bewertet werden.

Une infection congénitale à CMV peut occasionner de graves lésions chez l’enfant. Dans les dernières années, des progrès considérables ont été réalisés dans l’évaluation du risque, le diagnostic précoce d’une infection maternelle et dans le traitement médicamenteux pour empêcher une infection transplacentaire du fœtus. Ainsi, l’éventail des options en cas d’infection maternelle à CMV reconnue rapidement s’élargit; et la question de savoir si le dépistage du CMV fait sens doit être réévaluée.

Das humane Cytomegalie-Virus (CMV) gehört zur Gruppe der Herpesviren und persistiert nach einer primären Infektion lebenslang als latente Infektion im Körper. Während die Mehrzahl der CMV-Infektionen bei immunkompetenten Menschen asymptomatisch verlaufen und somit nicht klinisch erkennbar sind, kann es seltener zu einem mononukleoseartigen Krankheitsbild mit langwierigem Fieber und Abgeschlagenheit kommen, das im Blutbild mit einer Lymphozytose und dem Nachweis atypischer Lymphozyten einhergeht. Im Gegensatz zur Epstein-Barr-Virus-Infektion dominiert jedoch das Fieber, während die klassischen klinischen Zeichen der Mononukleose, die Lymphadenopathie und Tonsillitis, signifikant seltener vorhanden sind.

Körpersekrete als Infektionsquelle

Die Infektion findet durch Kontakt mit infizierten menschlichen Körpersekreten (Speichel, Urin, Tränenflüssigkeit, Samenflüssigkeit etc.) statt und wird v.a. durch engen körperlichen Kontakt übertragen. Kleinkinder gelten als die wichtigsten Überträger was auch damit zusammenhängt, dass diese eine zeitlich lange Virusausscheidung zeigen. So haben Mütter mit einem krippenbetreuten Kleinkind ein bis zu 10-fach erhöhtes Risiko für eine CMV-Infektion (1). Frauen, die in der ersten Schwangerschaft CMV negativ waren, hatten zum Zeitpunkt der Folgeschwangerschaft eine Serokonversionsrate von 15.8%, bei einem Drittel lag eine frische Infektion perikonzeptionell oder im ersten Trimenon vor (2). Die von der Seroprävalenz abhängige Serokonversionsrate Schwangerer im Allgemeinen wird für die Schweiz im Vergleich dazu auf ca. 0.5-1% geschätzt. Das Risiko für Kleinkindbetreuerinnen ist etwa 4-fach erhöht. Für Medizinalpersonen konnte trotz relevantem Expositionsrisiko in Studien bisher keine signifikante Risikoerhöhung objektiviert werden, was mit einer erhöhten Routine bei den Hygienemassnahmen zusammenhängen könnte.
Die Rate an durchgemachten CMV-Infektionen (Seroprävalenz) von Frauen im gebärfähigen Alter ist unter anderem abhängig vom sozioökonomischen Entwicklungsstand eines Landes. Die Durchseuchung erreicht bis zu 100% in Teilen von Afrika, Asien und Südamerika. In der Schweiz und West-Europa wird die Seroprävalenz auf ca. 50% geschätzt (3). Das bedeutet, dass etwa die Hälfte der Schwangeren das Risiko trägt, sich neu mit dem CMV zu infizieren.

Risiken der CMV-Infektion

Eine mütterliche CMV-Infektion kurz vor- oder während der Schwangerschaft kann zu erheblicher Schädigung des Feten führen und ist die häufigste infektionsbedingte Ursache für neurokognitive Entwicklungsstörungen und für sensoneuronalen Gehörverlust. Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei einer mütterlicher Primärinfektion zu einer transplazentaren Infektion des Feten kommt, steigt mit zunehmendem Gestationsalter an (Tab. 1). Gleichzeitig sinkt das Risiko einer fetalen Schädigung mit fortschreitendem Gestationsalter erheblich. Aktuelle Daten beziffern das Risiko für eine relevante fetale Schädigung auf 20-30%, wenn die mütterlichen Primärinfektion perikonzeptionell- bzw. im ersten Trimenon stattgefunden hat. Hingegen fällt das Risiko auf unter 1%, wenn die Infektion nach dem ersten Trimenon stattgefunden hat (4, 5).
Neben der primären CMV-Infektion können auch Reaktivierungen der latenten Infektion und Re-Infektionen mit einem anderen CMV-Stamm zu fetalen Schädigungen führen. Da die nichtprimäre Infektion diagnostisch schwierig einzuordnen ist, sind exakte Zahlen nicht bekannt, es werden jedoch deutlich geringere Transmissionsraten zwischen 0.2-3.4% geschätzt, wenngleich manche dies für unterschätzt halten (6, 7). Wenn es jedoch zu einer fetalen Infektion kommt, ist das Schädigungspotential dem der Primärinfektion vergleichbar (8).

Erkennung nur über eine serologische Diagnostik

Da über 90% der primären CMV-Infektionen bei Schwangeren asymptomatisch oder unspezifisch verlaufen, ist die frühzeitige Erkennung einer mütterlichen CMV-Infektion eine Herausforderung und kann praktisch nur über die Bestimmung der Serologien erkannt werden. Typischerweise wird die Primärinfektion durch eine Serokonversion des CMV IgG diagnostiziert. Dies setzt jedoch voraus, dass ein negativer Serostatus vorbekannt ist. Da mit der perikonzeptionellen Phase und dem ersten Trimenon ein verhältnismässig kurzes Zeitintervall für eine Schädigung relevant ist, können eine Reihe von Immunglobulin-Konstellationen vorliegen, die interpretiert werden müssen, um die Wahrscheinlichkeit einer relevanten Primärinfektion abschätzen zu können. Wenn eine Risikoeinschätzung erfolgen soll, muss daher ein Serostatus so früh wie möglich bei der ersten Schwangerschaftskontrolle oder bereits präkonzeptionell erhoben werden. Bei negativem Serostatus in der Frühschwangerschaft sollte bei 12-14 SSW erneut eine Serobestimmung stattfinden, um das gesamte erste Trimenon abzudecken. Zu beachten ist, dass der alleinige Nachweis von CMV IgM nicht diagnosesichernd für eine frische CMV-Infektion ist, da unspezifische Kreuzreaktionen vorliegen können und es sollte zunächst eine Verlaufsserologie nach 10-14 Tagen durchgeführt werden. Erst wenn es dann zu einem IgG Nachweis kommt ist eine frische CMV-Infektion gesichert. Bei positivem IgG und negativem IgM ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer bereits früher stattgehabten CMV-Infektion auszugehen und eine erneute Bestimmung in der Schwangerschaft ohne Verdachtsmoment ist nicht empfohlen. Wenn sowohl IgG als auch IgM nachweisbar sind, muss der Zeitpunkt der Infektion besser eingegrenzt werden, da IgM für lange Zeit persistieren kann. Dies geschieht mit der Bestimmung der Ig G Avidität als Mass für den Maturitätsgrad des Antikörpers. Eine geringe Avidität spricht für eine kürzlich stattgefundene CMV-Infektion. Schwierig ist die Interpretation, wenn eine intermediäre Avidität vorliegt. Hier zeigen noch unpublizierte Daten, dass in etwa 10% es zu einer fetalen Infektion kommen kann, was bedeutet, dass diese Fälle am ehesten wie eine Primärinfektion behandelt werden sollten. Die möglichen Serokonstellationen sind in Abb. 1 zusammengestellt. Eine verlässliche Erkennung von nicht-primären Infektionen durch Re-Infektion oder Re-Aktivierung ist hingegen nicht möglich und eine weiterführende CMV-Diagnostik sollte nur bei begründetem Verdacht erfolgen.

Behandlungsoptionen bei frühzeitiger Infektionserkennung

Eine frühzeitige Erkennung einer mütterlichen CMV-Primärinfektion ist dann sinnvoll, wenn daraus therapeutische Optionen abgeleitet werden können, mit Hilfe derer eine vertikale Transmission auf den Feten verhindert werden. Hierfür stehen derzeit das Virustatikum Valaciclovir sowie Hyperimmunglobuline zu Verfügung. Beide Substanzen werden im «off-label use» angewendet. In einer aktuellen randomisierten, doppel-blind, placebo-kontrollierte Studie konnte bei Schwangeren mit einer perikonzeptionell- oder im ersten Trimenon stattgefundenen CMV-Serokonversion als Zeichen einer Primärinfektion mittels hochdosiertem Valaciclovir (8g/d) eine signifikante Reduktion der vertikalen Transmission bis zum Zeitpunkt der Amniozentese bei 21 SSW um 70% erreicht werden (11% vs. 30% in der Plazebogruppe) (9). Die Datenlage für die Hyperimmunglobuline (HIG) ist bisher uneinheitlich, während in 2 randomisierten, plazebo-kontrollierten Studien keine signifikante Transmissionsreduktion festgestellt werden konnte (10), zeigte eine aktuelle nicht-randomisierte Beobachtungsstudie mit optimierten Behandlungsmodalitäten hinsichtlich des Behandlungsbeginns, der Dosis und des Applikationsintervalls deutlich seltener eine fetale CMV-Infektion bei der Amniozentese bei 20 SSW (6.5% vs. 35.2% beim historischen Kontrollkollektiv) (11).

Ist ein Screening auf CMV sinnvoll?

Um eine effektive Transmissionsprophylaxe betreiben zu können muss eine mütterliche Primärinfektion so früh wie möglich erkannt werden, damit die transplazentare Infektion verhindert werden kann. Somit stellt sich die Frage, ob ein mütterliches Screening auf CMV in der frühen Schwangerschaft sinnvoll ist und angeboten werden sollte.
Ein systematisches Screening macht nur in Populationen mit verhältnismässig geringer Seroprävalenz, wie sie v.a. in Zentraleuropa vorliegt, Sinn. Einige Gründe sprechen für ein Screening auf CMV in der Schweiz. Etwa die Hälfte aller Schwangeren trägt ein Risiko für eine primäre CMV-Infektion. Die kongenitale CMV-Infektion ist ein relevantes Gesundheitsproblem und ein geeignetes Testverfahren (Serostatus) ist vorhanden mit einer hohen Sensitivität von 93-96% für die neuesten IgG-Aviditätstests für die Erkennung einer primären CMV-Infektion innerhalb der letzten 3 Monate (12). Ferner steht eine Behandlung zur Verfügung, die eine signifikante Risikoreduktion bewirkt. Somit sind zentrale, von der WHO aufgestellte Kriterien, welche an ein Screening gestellt werden, erfüllt (13).
Ob die Evidenz aus den bisherigen Studien hinsichtlich der Transmissionsprophylaxe ausreichend ist, um diese als anerkannte Therapie in Anlehnung an die WHO-Kriterien einzustufen und ob die mit einem Screening verbundenen Kosten in einem ausgewogenen Verhältnis zu den möglichen Kosten der medizinischen Versorgung bei kongenitalen CMV-Infektionen insgesamt steht, bleibt aktuell offen. In der Tat ist ein generelles Screening auf CMV aller Schwangeren im ersten Trimenon international umstritten und bisher in keiner nationalen Guideline empfohlen (14). Argumente gegen ein generelles Screening sind die begrenzte Datenlage hinsichtlich der therapeutischen Optionen für eine Transmissionsprophylaxe (Virustatika, Hyperimmunglobulin s.o.), eine teilweise schwierige Interpretation bei Seropositivität im Hinblick auf Primär- vs. Nicht-Primärinfektion bzw. den Zeitpunkt der Primärinfektion und damit der Risikoeinschätzung. Die Thematik wird mit zunehmender Datenlage zu Diagnostik und Therapie aber aktuell bleiben. So wurden bereits die Daten zur Valaciclovir Behandlung in einer weiteren Analyse bestätigt.

Primärprävention

Die Primärprävention ist nach wie vor die wichtigste Massnahme zum Schutz vor einer CMV-Infektion. Diese besteht in der Aufklärung über die schwangerschaftsspezifischen Risiken und Infektionswege des CMV. Mehrere Studien haben gezeigt, dass das Bewusstsein für das Risiko einer CMV-Infektion sowohl bei den medizinischen Versorgern wie auch bei den Schwangeren begrenzt ist, was dazu führt, dass Hygienemassnahmen nicht oder zu spät durchgeführt werden und somit das Risiko einer mütterlichen Serokonversion steigt. Dass Hygienemassnahmen effektiv sein können, wurde verschiedentlich gezeigt. In einer randomisierten Studie bei seronegativen Schwangeren konnte das Risiko einer Infektion um 85% gesenkt werden (15). Die Hygieneempfehlungen sind in Abb. 1 zusammengefasst. Da jedoch viele Schwangerschaften ungeplant eintreten und die erste Schwangerschaftskontrolle üblicherweise bei 6-9 SSW stattfindet, ist ein grosser Teil der vulnerablen Phase bereits überschritten, sodass diese Massnahmen zu spät kommen könnten, insbesondere wenn das Bewusstsein in der Bevölkerung hierzu gering ist.

Risikoadaptiertes Screening?

Während eine Empfehlung für ein generelles Screening noch nicht abschliessend getroffen werden kann, könnte ein risikoadaptiertes Screening zielführend sein. Dieses betrifft v.a. die Hauptrisikopopulation der Schwangeren mit Kleinkindern im Haushalt und Kleinkindbetreuerinnen in Kindertagesstätten. Nicht ausser Acht zu lassen ist auch das Recht der Schwangeren auf eine informierte Entscheidung im Sinne der Patientenautonomie. Dies setzt voraus, dass einerseits eine Einschätzung der individuellen Risikokonstellation stattfindet und andererseits über die diagnostischen Möglichkeiten inklusive deren potentiellen Unsicherheiten sowie über die Konsequenzen bzw. Optionen im Falle des Verdachts bzw. Nachweises einer Primärinfektion informiert wird. Hierfür ist ein entsprechendes Hintergrundwissen des Aufklärenden notwendig, denn ein wichtiges Argument von Gegnern eines Screening ist, dass dieses zu vermehrten Schwangerschaftsabbrüchen führen könnte, da eine Prognoseeinschätzung im ersten Trimenon schwierig ist und unklare Serologien dazu führen könnten, dass die Schwangerschaft zum Ausschluss der Eventualität einer fetalen Schädigung zu einem frühen Zeitpunkt ohne eine weitere konfirmatorische Diagnostik (Verlaufsserologie, Fruchtwasser) abzuwarten unnötig abgebrochen wird. Eine differenzierte Interpretation der Serologien und eine hohe Expertise bei der Besprechung auffälliger Resultate können dabei zu einer signifikanten Reduktion voreiliger Abbrüche führen (16).


Die fetale Infektion im ersten Trimenon wird üblicherweise durch eine Amniozentese mit PCR auf CMV im Fruchtwasser nachgewiesen, diese sollte mindestens 8 Wochen nach vermuteter Primärinfektion, aber frühestens ab 18 SSW durchgeführt werden. Dies bedeutet eine lange zum Teil für die Eltern schwer erträgliche Phase der Unsicherheit und Sorge. Ein neuer, noch nicht etablierter Ansatz ist, per Chorionzottenbiopsie bereits bei 12-14 SSW durch den CMV-Nachweis in Chorionzotten eine erste Einschätzung zu machen (17). Dies könnte insbesondere in Fällen, bei denen bereits ein Abbruch der Schwangerschaft im Raum steht, bei fehlendem CMV-Nachweis eine Entwarnung geben, dass der Fet zum Zeitpunkt der Vulnerabilität nicht infiziert war. Die Schweizerische Akademie für feto-maternale Medizin hat die Empfehlungen im neuen Expertenbief der SGGG vom Februar 2021 zu CMV in der Schwangerschaft überarbeitet, damit die Schwangere eine informierte Entscheidung treffen kann. Dies könnte auch zu einer verstärkten Sensibilisierung für die Primärprophylaxe durch Hygienemassnahmen führen. Eine vergleichbare Empfehlung wurde im Juli 21 in der kanadischen Guideline publiziert (18).

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Leonhard Schäffer

Klinik für Geburtshilfe und Pränataldiagnostik
Kantonsspital Baden AG
Im Ergel
5404 Baden

leonhard.schaeffer@ksb.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel.

◆ Eine Primärprophylaxe mittels Information und Hygienemassnahmen ist die Basis zum Schutz vor kongenitalen CMV-Infektionen und muss jeder Frau in der Frühschwangerschaft oder optimalerweise präkonzeptionell vermittelt werden.
◆ Eine individuelle Risikoeinschätzung und ein Angebot zur Erhebung des Serostatus im Sinne eines «risikoadaptierten Screenings» sollte jeder Schwangeren im Sinne einer informierten Entscheidung zu Verfügung gestellt werden.
◆ Unklare Serologiekonstellationen und Serokonversionen im ersten Trimenon bedürfen einer zeitnahen differenzierten Beratung mit dem Ziel, durch Aufzeigen der möglichen Behandlungsoptionen, der weiteren Diagnostik und der Prognoseeinschätzung voreilige Konsequenzen (für die laufende Schwangerschaft) zu verhindern.

Messages à retenir
◆ Chaque femme doit recevoir, en début de grossesse ou mieux encore avant la conception, comme prévention primaire, les informations et instructions sur les mesures d’hygiène qui sont la base de la protection contre une infection congénitale à CMV.
◆ Chaque femme enceinte devrait recevoir une évaluation de son risque individuel et l’offre d’établir son status sérologique dans le sens d’un «screening adapté au risque » pour lui permettre de prendre ses décisions en toute connaissance de cause.
◆ Une constellation sérologique ambigüe ou la séroconversion pendant le premier trimestre nécessitent un conseil différencié sans délai exposant les possibilités thérapeutiques, les mesures diagnostiques complémentaires et le pronostic, dans le but d’éviter des conclusions hâtives (pour la grossesse en cours).

 

1. Hyde TB, Schmid DS, Cannon MJ. Cytomegalovirus seroconversion rates and risk factors: implications for congenital CMV. Rev Med Virol. September 2010;20(5):311–26.
2. Leruez-Ville M, Guilleminot T, Stirnemann J, Salomon LJ, Spaggiari E, Faure-Bardon V, u. a. Quantifying the Burden of Congenital Cytomegalovirus Infection With Long-term Sequelae in Subsequent Pregnancies of Women Seronegative at Their First Pregnancy. Clin Infect Dis Off Publ Infect Dis Soc Am. 23. Oktober 2020;71(7):1598–603.
3. Manicklal S, Emery VC, Lazzarotto T, Boppana SB, Gupta RK. The „silent“ global burden of congenital cytomegalovirus. Clin Microbiol Rev. Januar 2013;26(1):
86–102.
4. Chatzakis C, Ville Y, Makrydimas G, Dinas K, Zavlanos A, Sotiriadis A. Timing of primary maternal cytomegalovirus infection and rates of vertical transmission and fetal consequences. Am J Obstet Gynecol. Dezember 2020;223(6):870-883.e11.
5. Faure-Bardon V, Magny J-F, Parodi M, Couderc S, Garcia P, Maillotte A-M, u. a. Sequelae of Congenital Cytomegalovirus Following Maternal Primary Infections Are Limited to Those Acquired in the First Trimester of Pregnancy. Clin Infect Dis Off Publ Infect Dis Soc Am. 15. Oktober 2019;69(9):1526–32.
6. Britt WJ. Congenital Human Cytomegalovirus Infection and the Enigma of Maternal Immunity. J Virol. 1. August 2017;91(15).
7. Simonazzi G, Curti A, Cervi F, Gabrielli L, Contoli M, Capretti MG, u. a. Perinatal Outcomes of Non-Primary Maternal Cytomegalovirus Infection: A 15-Year Experience. Fetal Diagn Ther. 2018;43(2):138–42.
8. Mussi-Pinhata MM, Yamamoto AY. Natural History of Congenital Cytomegalovirus Infection in Highly Seropositive Populations. J Infect Dis. 5. März 2020;221(Suppl 1):S15–22.
9. Shahar-Nissan K, Pardo J, Peled O, Krause I, Bilavsky E, Wiznitzer A, u. a. Valaciclovir to prevent vertical transmission of cytomegalovirus after maternal primary infection during pregnancy: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Lond Engl. 12. September 2020;396(10253):779–85.
10. Revello MG, Lazzarotto T, Guerra B, Spinillo A, Ferrazzi E, Kustermann A, u. a. A randomized trial of hyperimmune globulin to prevent congenital cytomegalovirus. N Engl J Med. 3. April 2014;370(14):1316–26.
11. Kagan KO, Enders M, Hoopmann M, Geipel A, Simonini C, Berg C, u. a. Outcome of pregnancies with recent primary cytomegalovirus infection in first trimester treated with hyperimmunoglobulin: observational study. Ultrasound Obstet Gynecol Off J Int Soc Ultrasound Obstet Gynecol. April 2021;57(4):560–7.
12. Sarasini A, Arossa A, Zavattoni M, Fornara C, Lilleri D, Spinillo A, u. a. Pitfalls in the Serological Diagnosis of Primary Human Cytomegalovirus Infection in Pregnancy Due to Different Kinetics of IgM Clearance and IgG Avidity Index Maturation. Diagn Basel Switz. 26. Februar 2021;11(3).
13. Wilson JMG, Junger G. Principles and practice of screening for disease. Public Health papers No. 34, Word Health Organization. 1968.
14. Hui L, Shand A. Is it time to adopt routine CMV screening in pregnancy? No! Am J Obstet Gynecol MFM. 22. März 2021;100355.
15. Revello MG, Tibaldi C, Masuelli G, Frisina V, Sacchi A, Furione M, u. a. Prevention of Primary Cytomegalovirus Infection in Pregnancy. EBioMedicine. September 2015;2(9):1205–10.
16. Guerra B, Simonazzi G, Banfi A, Lazzarotto T, Farina A, Lanari M, u. a. Impact of diagnostic and confirmatory tests and prenatal counseling on the rate of pregnancy termination among women with positive cytomegalovirus immunoglobulin M antibody titers. Am J Obstet Gynecol. März 2007;196(3):221.e1-6.
17. Faure-Bardon V, Fourgeaud J, Guilleminot T, Magny J-F, Salomon LJ, Bernard J-P, u. a. First-trimester diagnosis of congenital cytomegalovirus infection after maternal primary infection in early pregnancy: feasibility study of viral genome amplification by PCR on chorionic villi obtained by CVS. Ultrasound Obstet Gynecol Off J Int Soc Ultrasound Obstet Gynecol. April 2021;57(4):568–72.
18. Boucoiran I, Yudin M, Poliquin V, Caddy S, Gantt S, Castillo E. Guideline No. 420: Cytomegalovirus Infection in Pregnancy. J Obstet Gynaecol Can JOGC J Obstet Gynecol Can JOGC. Juli 2021;43(7):893–908.

Kongressausgabe der info@herz+gefäss

Hier finden Sie das PDF der ESC-Kongresszeitung

EDITORIAL ESC-Kongress 2021 *virtuell*– die digitale Erfahrung

Neues aus der Kardiologie

Kongress der European Society of Cardiology 2021– the digital experience

Bedingt durch die COVID-19 Pandemie konnte auch dieses Jahr der ESC Kongress nur online erfolgen. Die Organisatoren ermöglichten den zahlreichen Besuchern trotz dieser Schwierigkeit einen sowohl wissenschaftlich als auch organisatorisch hervorragenden Kongress. Auch dieses Jahr wurden zahlreiche neue Daten in «Late Breaking News» vorgestellt, es wurden neue Guidelines erstmalig präsentiert und daneben vervollständigten zahlreiche Vorträge über neue Studienresultate und Poster Sessions das wissenschaftliche Programm, welches von Prof. Dr. med. Stephan Windecker, Bern, mit einem 68-köpfigen wissenschaftlichen Komitee mit höchster Kompetenz umsichtig zusammengestellt wurde.
Der Kongress fand in 417 Sessions, 141 Industrie-Sessions und an 36 Industrieständen, mit einer Fakultät und Referenten, die 317 Personen umfasste, statt. Trotz der durch die COVID-19 Pandemie bedingten Einschränkungen bot der ESC Kongress einmal mehr eine globale Bühne für die Wissenschaft und eine massgeschneiderte Plattform zur Gelegenheit sich mit den Besten zu verbinden und von ihnen zu lernen.
Mit unserer Kongress-Zeitung möchten wir den diesjährigen ESC Kongress nochmals aufleben lassen und Ihnen die wichtigsten Erkenntnisse in Printversion näher bringen.

The Digital Experience

ESC Congress 2021 – Neues aus der Kardiologie

Auch diesmal wurden bei der Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC, 27. – 30.8.2021) zahlreiche neue Studienergebnisse präsentiert. Der virtuelle Kongress bot einen umfassenden Überblick über die wissenschaftliche Dynamik in diesem Fachgebiet.

Swisscardio ESC 2021 Update

Unter dem Vorsitz von Prof. Giovanni Pedrazzini, Lugano, dem Präsidenten der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie und Prof. Christian Sticherling, Basel, wurden in einer ersten Session Präsentation von Hotline Sessions zu den Themen akute und chronische Koronarsyndrome, Valvular und Elektrophysiologie von Schweizer Kardiologen der zusammengefasst.

MASTER DAPT

Eine einmonatige duale Thrombozytenaggregationshemmer-Therapie (DAPT) nach einer Stent-Implantation bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko bewahrt den ischämischen Nutzen und verringert das Blutungsrisiko. Das ist das Ergebnis einer bahnbrechenden Forschungsarbeit, die in einer Hot-Line-Sitzung vorgestellt wurde. Die verkürzte DAPT war der Standard-DAPT in Bezug auf unerwünschte klinische Nettoereignisse und schwerwiegende unerwünschte kardiale und zerebrale Ereignisse nicht unterlegen und in Bezug auf schwere oder klinisch relevante nicht-schwerwiegende Blutungen überlegen.


Im Gegensatz zu anderen Studien wurden keine Patienten mit akutem Koronarsyndrom ausgeschlossen oder die Anzahl, Lage oder Komplexität der behandelten Läsionen eingeschränkt. Die Ergebnisse können daher bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko ohne postprozedurale ischämische Ereignisse, einschliesslich Patienten mit klinischen oder angiografischen Merkmalen mit hohem ischämischem Risiko, die Behandlungsentscheidungen zur DAPT einen Monat nach der PCI beeinflussen, so Prof. Marco Valgimigli, Cardiocentro Lugano, der Principal Investigator dieser Studie.

AMULET DIE

Im AMULET DIE Trial wurde der Watchman-FLX (BSC) mit einfachem Dichtungsmechanismus, der 2015 von der FDA zugelassen wurde, mit dem Verschlusssystem von AMULET (FDA-Zulassung 2021) verglichen, so Prof. Raban Jeger, Basel. Der AMULET Okkluder erwies sich gegenüber dem Watchman-Gerät in sämtlichen wichtigen Outcomes als nicht unterlegen. Im Hinblick auf den Verschluss der linken Vorhofvene dem Watchman-Gerät als überlegen. Trotz der reduzierten postinterventionellen Antikoagulation beim AMULET-Gerät waren die Raten an ischämischen oder Blutungsereignissen bei einem 18 monatigen Follow-Up vergleichbar.

ATLANTIS

In der ATLANTIS-Studie war Apixaban in voller Dosierung bei Patienten, die sich einer TAVI unterzogen, bei einer Indikation für orale Antikoagulation Behandlung mit Apixaban der Standardbehandlung (VKA, vs. Apixaban oder DAPT/SAPT vs. Apixaban) nicht überlegen. In den 2021 ESC Guidelines ist die orale Antikoagulation (OAC) lebenslang für TAVI-Patienten, die andere Indikationen für OAC haben, empfohlen (I/B). Eine lebenslange SAPT ist empfohlen nach TAVI bei Patienten ohne Baseline Indikation für OAC (I/A). die Routine OAC ist bei Patienten ohne Baseline Indikation für OAC nicht empfohlen (III/B). In ENVISAGR TAVI AF war Edoxaban dem VKA in Bezug auf den primären Wirksamkeitsendpunkt nicht unterlegen. Die Inzidenz schwerer Blutungen war unter Edoxaban höher als unter Vitamin-K-Antagonisten. Patienten, die die Kriterien für eine Dosisanpassung erfüllen, und Patienten ohne gleichzeitige Thrombozytenaggregations-Hemmer können eine geeignete Behandlungsgruppe für Edoxaban sein.

LOOP


In der von Prof. Dr. med. Michael Kühne, Basel, vorgestellten LOOP Studie wurde untersucht, ob die kontinuierliche Überwachung des Elektrokardiogramms (EKG) mit einem implantierbaren Schleifenschreiber und die anschliessende Antikoagulation bei Vorhofflimmern das Risiko eines Schlaganfalls oder einer systemischen arteriellen Embolie bei Risikopatienten verringern würde. Die Schlussfolgerungen aus der Studie waren, dass die kontinuierliche EKG Überwachung – mit oraler Antikoagulation bei Vorhofflimmern – den Schlaganfall bei Personen mit Risikofaktoren nicht verringert.

DECAAF II

Der Referent besprach ferner die Daten der DECAAF II Studie, die in einer Hot Line Session präsentiert wurden. An DECAAF II nahmen 843 Patienten mit persistierendem Vorhofflimmern aus 44 Zentren weltweit teil. Die Teilnehmer wurden randomisiert und erhielten entweder Pulmonalvenenisolierung (PVI) plus bildgesteuerte Fibroseablation (Interventionsgruppe) oder PVI allein (Kontrollgruppe). Die Teilnehmer wurden im Hinblick auf den primären Endpunkt des Wiederauftretens von Vorhofarrhythmien (einschliesslich Vorhofflattern, Vorhofflimmern oder Vorhoftachykardie) 12 bis 18 Monate lang beobachtet. Das Wiederauftreten von Vorhofrhythmusstörungen wurde mit Hilfe mehrerer EKG-Methoden ermittelt, darunter 12-Kanal-EKG-Aufzeichnungen, Holter-Aufzeichnungen und ein Smartphone-EKG-Gerät, das alle Patienten nach der Ablation erhielten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die gezielte Behandlung der Vorhoffibrose bei Vorhofflimmern-Patienten mit geringem Fibrosegrad (weniger als 20 %) die Ergebnisse der Ablation verbessern kann. Darüber hinaus deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die PVI bei Vorhofflimmern mit hohem Fibrosegrad (mehr als 20 %) die gängige Ablationsstrategie bleiben sollte. Die Ablation plus kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) ist einer pharmakologischen Frequenzkontrolle überlegen, wenn es darum geht, die Sterblichkeit bei Patienten mit schwerem symptomatischem permanentem Vorhofflimmern (AF) und engem QRS zu senken. Dies geht aus einer aktuellen Studie hervor, die heute in einer Hot-Line-Sitzung auf dem ESC vorgestellt wurde.

APAF-CRT

APAF-CRT war eine zweiphasige Studie bei Patienten mit schwerem symptomatischem permanentem Vorhofflimmern und engem QRS. Die erste Phase, die sich auf die Morbidität konzentrierte, zeigte, dass die Ablation des AV-Übergangs und die CRT die Zahl der Krankenhausaufenthalte aufgrund von Herzinsuffizienz verringerte und die Symptome der Herzinsuffizienz im Vergleich zur pharmakologischen Frequenzkontrolle nach zwei Jahren Nachbeobachtung verbesserte.
Die Ergebnisse der zweiten Phase, die sich auf die Sterblichkeit konzentrierte, werden heute vorgestellt. In einer grösseren Population mit einer längeren Nachbeobachtungszeit wurde in der Studie die Hypothese getestet, dass die Ablation des AV-Übergangs und die biventrikuläre Stimulation der pharmakologischen Frequenzkontrolle bei der Senkung der Gesamtmortalität überlegen ist.

Unter dem Vorsitz von Prof. Stephan Windecker, Bern, und Prof. Christian Müller, Basel, wurden in einer zweiten Session die Hot Line Präsentationen zu Herzinsuffizienz, Diabetes, Hypertonie, Lipide und Niereninsuffizienz besprochen.

EMPEROR PRESERVED


Wir wussten, dass es keine etablierte Therapie für HFpEF gibt und dass die SGLT-2 Hemmer die Hospitalisationen infolge Herzinsuffizienz verringern und günstige Wirkungen auf linksventrikuläre bei Patienten mit erhaltener LVEF haben. Wir wussten nicht, dass SGLT-2 Hemmer die Hospitalisierung und Mortalität wegen Herzinsuffizienz bei HFpEF verringern, stellte Prof. Micha Maeder, St. Gallen, fest. In der EMPEROR PRESERVED Studie reduzierte Empagliflozin das kombinierte Risiko eines kardiovaskulären Todes oder einer Krankenhauseinweisung wegen Herzinsuffizienz bei Patienten mit Herzinsuffizienz und erhaltener Ejektionsfraktion, unabhängig davon, ob ein Diabetes vorlag oder nicht. Dies ist die erste Studie, die einen günstigen Effekt bei HFpEF gezeigt hat.

GUIDE-HF

Es war bekannt, dass das hämodynamisch gelenkte (HD)- Management die Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz bei Patienten im NYHA III Stadium mit vorheriger Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz unabhängig von der LVEF reduziert. Es war aber nicht bekannt, ob das HD-gelenkte Management auch bei NYHA II und NYHA IV Patienten und solchen mit erhöhten natriuretischen Peptiden aber ohne Herzinsuffizienz wirksam ist. Die Ergebnisse der GUIDE-HF Studie deuten darauf hin, dass die Vorteile eines hämodynamisch geführten Managements zur Verringerung der Krankenhausaufenthalte bei Herzinsuffizienz auch für Patienten mit weniger schwerer Herzinsuffizienz (NYHA-Klasse II) und für Patienten mit NYHA-II- und -III-Symptomen und erhöhten natriuretischen Peptiden, aber ohne vorherigen Krankenhausaufenthalt, gelten. Bei den Patienten mit Herzinsuffizienz der NYHA-Klasse IV wurden keine konsistenten Ergebnisse erzielt, ihre Zahl war jedoch gering. Die COVID-19-Pandemie wirkte sich eindeutig auf die Ergebnisse von GUIDE-HF aus,

FIGARO-DKD


Finerenon verbessert die Ergebnisse bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Nierenerkrankung und Diabetes, wie die in einer Hot Line Session präsentierte FIGARO-DKD-Studie zeigte. Die Daten wurden von Frau PD Dr. Qian Zhou, Basel, vorgestellt. Finerenon ist ein nicht-steroidaler, selektiver Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist (MRA) und der erste Vertreter dieser Substanzklasse, der einen Nutzen im Hinblick auf renale und kardiovaskuläre Ergebnisse bei Patienten mit CKD und Typ-2-Diabetes in der Studie FIDELIO-DKD gezeigt hat. In FIGARO-DKD senkte Finerenon die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität um 13% und ergab einen günstigen Trend für Nieren-bezogene Outcomes (senkte die Inzidenz von ESKD signifikant). FIGARO-DKD zeigte den Bedarf an früher Behandlung zur Senkung der kardiovaskulären und der Herzinsuffizient-Bel. Die Studie zeigte auch die Wichtigkeit des Monitorings des Albumin/Creatinin-Verhältnisses im Urin bei Patienten mit T2DM trotz einer eGFR>60ml/min/1.73m2 auf.

STEP

Qian Zhou kommentierte ferner die STEP Studie, die eine intensive gegenüber der Standard-Blutdruck-Kontrolle bei älteren hypertensiven Patienten untersuchte. Dabei zeigte sich, dass das intensive systolische Blutdruckziel (110 bis <130mmHg gegenüber dem Standard-Blutdruckziel 130 bis <150mmHg) kardiovaskuäre Ereignisse und 26%, Schlaganfall um 33% ACS um 33% und akute Herzinsuffizienz um 73% senkte. Die Therapie mit Olmesartan, Amlodipin und HCT wurde gut vertragen.

QUARTET

In der mutizentrischen QUARTET-Studie wurde eine Vierertablette (mit Irbesartan zu 37-5 mg, Amlodipin zu 1-25 mg, Indapamid zu 0-625 mg und Bisoprolol zu 2-5 mg) mit einer Monotherapie-Kontrolle (Irbesartan 150 mg) verglichen. Falls der Blutdruck nicht den Zielwert erreichte, konnten in beiden Gruppen zusätzliche Medikamente verabreicht werden, beginnend mit Amlodipin in einer Dosierung von 5 mg. Es zeigte sich, dass eine frühzeitige Behandlung mit einer fest dosierten Vierfach-Vierteldosis-Kombination zu einer stärkeren und anhaltenden Blutdrucksenkung als die übliche Monotherapie führte

NATURE-PCSK9

Eine weitere Studie, die von Qian Zhou vorgestellt wurde war NATURE-PCSK9. In dieser Studie wurden die Auswirkungen einer LDL-Senkung durch eine einmal jährlich verabreichte Dosis eines PCSK9-siRNA im Vergleich zur üblichen Behandlung ab einem Alter von 30, 40, 50 oder 60 Jahren auf das Lebenszeitrisiko für kardiovaskuläre Ereignisse bis zum Alter von 80 Jahren untersucht. Die Gesamtergebnisse zeigten, dass die impfstoffähnliche Strategie im Vergleich zur üblichen Behandlung zu einer anhaltenden Senkung des LDL-Plasmaspiegels um 34 % im Zeitdurchschnitt führte. Ausserdem wurde eine schrittweise Erhöhung der proportionalen Verringerung des Lebenszeitrisikos für kardiovaskuläre Ereignisse mit jedem früheren Lebensjahrzehnt, in dem mit der LDL-Senkung begonnen wurde, beobachtet. So wurde beispielsweise bei Männern, die im Alter von 60 Jahren mit der Behandlung begannen, eine 27%ige Verringerung des Lebenszeitrisikos festgestellt, während der Beginn der Behandlung im Alter von 30 Jahren mit einer 52%igen Verringerung des Risikos verbunden war. Ähnliche Ergebnisse wurden bei Frauen beobachtet.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

Wie gefährlich sind gesättigte Fette?

Gesättigte Fette gelten schlechthin als ungesund, sprich atherogen. Doch die Zusammenhänge sind weitgehend ungeklärt. Dazu kommt, dass Menschen, die sich vermehrt mit ungesättigten Fetten ernähren, in der Regel stark übergewichtig sind und ein erhöhtes LDL-Cholesterin aufweisen. Somit stellt sich die Frage, ob die gesättigten Fette direkt oder indirekt über das Gewicht bzw. das erhöhte LDL-C ihre ungünstige Wirkung an den Gefässen entfalten. Und welche Bedeutung hat die Herkunft der Fette? Sind gesättigte Fette aus Fleisch und Milchprodukten unterschiedlich zu bewerten?
Diesen Fragen ist man in einer Beobachtungsstudie nachgegangen. Insgesamt fand sich nach einer 8,5-jährigen Beobachtungszeit keine klare Assoziation zwischen der Gesamtmenge an gesättigten Fetten und dem kardiovaskulären Risiko. Doch eine um 5% höhere Menge an gesättigten Fetten an der Gesamtenergiezufuhr aus Fleisch erhöhte das kardiovaskuläre Risiko um ca. 20%. Doch nach einer Gewichtsadjustierung waren die Ergebnisse nicht mehr signifikant. «Der vermehrte Genuss von Milchprodukten verringerte zwar das kardiovaskuläre Risiko, aber nach Gewichtsadjustierung ebenfalls nicht signifikant», so Dr. Rebecca Kelly, Oxford.

PS

Akuter Herztod: Atemnot ist ein wichtiges Alarmsymptom

Viele Patienten, die einen akuten Herztod erleiden, klagen über prämonitorische Symptome wie Stenokardien oder Luftnot. Bisher war man der Meinung, dass der Brustschmerz der zuverlässigste Prädiktor sei. Doch jetzt konnte in einer Studie gezeigt werden, dass die Atemnot das drohende fatale Ereignis zuverlässiger voraussagt als ein Angina pectoris-Anfall. «Klagt der Patient über plötzlich aufgetretene starke Atembeschwerden, so müssen die Alarmglocken läuten», so Prof. Filip Gnesin, Hillerod. Einer von zehn Patienten mit einem akuten Herztod hatte in dem Zeitfenster von 24 Stunden vor dem Ereignis den ärztlichen Notdienst wegen Atembeschwerden telefonisch kontaktiert, so das Ergebnis einer dänischen Registerstudie. Von 4.071 Patienten mit einem Herzstillstand hatten 481 (11.8%) vor dem Ereignis den Arzt kontaktiert. 59,4% klagten über Atembeschwerden, 23,0% über Schwindel, 20,2% über Bewusstseinsverlust, 19,5% über Brustschmerzen und 19,1% über Blässe. Doch nur bei 68,7% der
Patienten mit Atemnot erfolgte eine notfallmässige Behandlung im Vergleich zu 83% bei Angabe von Brustschmerz. Von den Patienten mit Atemnot verstarben 81% innerhalb von 30 Tagen, bei Brustschmerzpatienten waren es 47%. «Die Daten zeigen, dass das Symptom Atembeschwerden zu selten als Alarmsymptom für den akuten Herztod wahrgenommen wird», so Gnesin.

PS

Diabetische Nephropathie: Finerenon schützt Herz und Niere

Die diabetische Nephropathie ist eine der häufigsten Folgeerkrankungen bei Diabetikern. Betroffene Patienten haben ein stark erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. «Dabei korreliert das Risiko mit dem Ausmass der Nierenschädigung», so Prof. Gerasimos Filippatos, Athen. Das Infarktrisiko sei deutlich höher als bei Diabetikern ohne Nephropathie. Dazu komme eine zunehmende Verschlechterung der Nierenfunktion. Das pathophysiologische Geschehen werde durch hämodynamische, metabolische und inflammatorische Mechanismen getriggert. Die Therapie müsse daher sowohl die Niere als auch das Herz im Auge haben, also kardiorenal protektiv wirken. Da sei Finerenon eine neue vielversprechende Option.
Finerenon ist ein selektiver nicht-steroidaler Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonist (MRA), für den in ersten Studien eine günstige Wirkung auf das kardiorenale Outcome nachgewiesen werden konnte. In der FIGARO-DKD-Studie wurden 7.437 Patienten mit einer diabetischen Nephropathie randomisiert, placebokontrolliert mit Finerenon behandelt. Die Urin-Albumin-Kreatinin-Ratio (UACR) lag bei diesen Patienten zwischen 30 und 300 bei einer GFR zwischen 25 und 90 ml/min oder > 60 /min, wenn die UACR > 300 betrug. Als primärer Endpunkt wurde die Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall oder stationärer Einweisung wegen Herzinsuffizienz definiert. Mit Finerenon konnte nach einem medianen Follow up von 3,4 Jahren eine signifikante Risikoreduktion von 13% erreicht werden. In der Finerenon-Gruppe hatten 12,4% ein primäres Endpunktereignis, in der Placebo-Gruppe waren es 14,2%. Diese Überlegenheit war vor allem der niedrigeren Rate an Krankenhauseinweisungen geschuldet. Diese wurde um 29% gesenkt.
Sekundärer Studienendpunkt war die Verschlechterung der Nierenfunktion, nämlich der GFR um 40%. Diesen renalen Endpunkt erreichten 9,5% in der Finerenon-Gruppe und 10,8% in der Placebo-Gruppe. Die Gesamtrate an Nebenwirkungen war nicht unterschiedlich. Doch unter Finerenon musste die Medikation häufiger wegen einer Hyperkaliämie unterbrochen werden (1,2% vs, 0,4%).

PS

Luftverschmutzung: Ein Risikofaktor für den akuten Herztod

Dass die Luftverschmutzung auch aus kardialer Sicht gesundheitsschädlich ist, steht ausser Zweifel. Jetzt konnte in einer italienischen Studie gezeigt werden, dass eine enge Korrelation zwischen der Konzentration an Schadstoffen und dem Risiko für den akuten Herztod besteht. An Tagen mit hoher Belastung war das Risiko für einen akuten Herztod in Städten höher als in Zeiten geringer Luftverschmutzung. «Diese Korrelation zeigte sich bei allen Schadstoffen», so Prof. Francesca R. Gentile, Pavia.

PS

Drohnen bei der Reanimation

Biei der Reanimation bedeutet Zeit Überleben. Mit Hilfe von Drohnen lässt sich die Reanimation beim plötzlichen Herztod optimieren. Dies zeigen erste Erfahrungen in Schweden bei 14 Patienten. Bei Einsatz einer Drohne konnte der automatische externe Defibrillator den Patienten schneller erreichen als mit dem Rettungswagen «Der Zeitgewinn betrug zwei Minuten», so Dr. Sofia Schierbeck, Stockholm. Die Drohne erreichte den Patienten in 64% der Fälle früher. Doch die Drohne konnte nur bei günstigen Wetterbedingungen eingesetzt werden. Man darf annehmen, dass diese Technologie auch in anderen kritischen Situationen wie Hypoglykämie oder anaphylaktischer Schock Anwendung finden könnte.

PS

Opioide und akuter Herztod

Eine Überdosis an Opioiden ist immer häufiger die Ursache des akuten Herztods. Sie ist mittlerweile ebenso häufig wie andere Ursachen wie die KHK. Nach einer aktuellen Erhebung in den USA sind 3,1% der Fälle mit einem akuten Herztod auf eine Opioid-Einnahme zurückzuführen. «Man muss aber berücksichtigen, dass bei Opioid-Patienten auch häufiger Komorbiditäten wie Alkoholmissbrauch, Rauchen und Depression vorliegen», so Dr. Senada S. Malik, Biddeford.

PS

Hämodynamisches Management verhindert Hospitalisierung

Ein hämodynamisch gesteuertes Management auch von Patienten in einem frühen Stadium der Herzinsuffizienz kann eine stationäre Behandlung verhindern. So die Ergebnisse der GUIDE-HF-Studie. Dabei wurde 1 000 Patienten in einem randomisierten Design interventionell ein kabelloser Sensor in die Pulmonalarterie implantiert, mit dem Ziel den Pulmonalarteriendruck kontinuierlich zu überwachen. Die Patienten befanden sich in NYHA II-IV und waren in den vorangegangenen 12 Monaten wegen Herzinsuffizienz hospitalisiert worden oder bei ihnen waren innerhalb von 30 Tagen vor der Intervention erhöhte BNP-Spiegel bestimmt worden. Als primärer Endpunkt wurde die Kombination aus Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz oder einer notfallmässigen Vorstellung oder Tod festgelegt. Durch das hämodynamische Monitoring wurde die Hospitalisierungsrate um 17% gesenkt. Wurden nur die Patienten vor der Corona-Pandemie ausgewertet, waren es sogar 28%. Doch die Mortalität wurde nicht beeinflusst. «Die Daten zeigen, dass ein hämodynamisches Monitoring auch bei Patienten mit NYHA II und bei Symptomen und erhöhten BNP-Werten aber ohne vorangegangene Hospitalisation sinnvoll ist», so Prof. JoAnn Lindenfeld, Nashville.

PS

Grüne Umgebung wirkt kardioprotektiv

Nicht nur Veränderungen des Lebensstils und Medikamente wirken präventiv, sondern auch die Umgebung, in der man lebt. Dies konnte jetzt in einer Beobachtungsstudie mit fast 250 000 Probanden gezeigt werden. «Personen, die in einer grünen Umgebung leben, erleiden seltener einen Herzinfarkt oder Schlaganfall», so Dr. William Aitken, Miami. Die Risikoreduktion betrug 16%. Auch das Risiko für Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz und Hypertonie war niedriger. Zugleich konnte gezeigt werden, dass auch eine neue Begrünung vorteilhaft ist. Wo eine Bepflanzung durchgeführt wurde, waren die Krankheits-Inzidenzen rückläufig. Das Pflanzen von Bäumen sollte deshalb zu einem Präventionsprojekt erhoben werden.

PS

Adhärenz verlängert das Leben

Die Sekundärprävention nach einem kardiovaskulären Ereignis umfasst Lifestyle-Änderungen und Medikamente. «Eine konsequente Umsetzung dieser Empfehlungen führt zu sieben weiteren Jahren ohne ein erneutes kardiales Ereignis»,
so Dr. Tinka Van Trier, Amsterdam. Dies ist das Ergebnis einer Registerstudie. Doch im Alltag klafft eine grosse Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Nach einem Jahr hatten nur 30% mit dem Rauchen aufgehört, 79% waren weiterhin übergewichtig, 45% waren weiterhin nicht regelmässig sportlich aktiv und nur 2% erreichten die Zielwerte für Blutdruck, Blutzucker und LDL-Cholesterin. 40% hatten weiterhin erhöhte Blutdruckwerte und 65% erhöhte LDL-C-Werte. 87% nahmen Antithrombotika, 85% Lipidsenker und 86% Antihypertensiva.

PS

Edoxaban bei Vorhofflimmern-Patienten mit TAVI

20 bis 40% der TAVI-Patienten leiden zusätzlich an Vorhofflimmern. Bei einem Teil der Patienten besteht das Vorhofflimmern bereits vor der Klappenintervention, bei anderen tritt es erst im Rahmen des Eingriffs erstmals auf. Bisher wird bei Patienten mit Vorhofflimmern, die eine TAVI erhalten, eine dauerhafte OAK mit einem VKA durchgeführt. Im Rahmen der ENVISAGE-TAVI AF-Studie wurde jetzt das NOAK Edoxaban mit dem VKA hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit verglichen, wobei mit der Antikoagulation zwischen 12 Stunden und 5 Tagen nach dem erfolgreich durchgeführten Eingriff begonnen wurde. Eingeschlossen in diese randomisierte Studie wurden 1,426 TAVI-Patienten mit Vorhofflimmern. Primärer Endpunkt war die Kombination aller unerwünschten klinischen Ereignisse: Gesamtmortalität, Myokardinfarkt, Schlaganfall, systemische Thromboembolie, Klappenthrombose und grössere Blutungsereignisse nach der ISTH-Definition. Der primäre Sicherheitsendpunkt war die Inzidenz an schweren Blutungen. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 82 Jahren, der Anteil der Frauen betrug 47,5%. Die häufigsten Komorbiditäten waren Herzinsuffizienz (87%) und KHK (42%). 17% der
Patienten hatten bereits einen Schlaganfall oder eine TIA überstanden. Das mediane Follow up lag bei 18 Monaten.
«Die Auswertung ergab keine Unterlegenheit von Edoxaban», so Prof. George Dangas, New York. Die Rate des primären Endpunkts betrug in der Edoxaban-Gruppe 17,5%, in der VKA-Gruppe 16,5% (HR 1,05; 95% KI 0,85-1,31; p = 0,01 für Nicht-Unterlegenheit). Was die Sicherheit betrifft, lag die Rate an schweren Blutungen bei Edoxaban höher als bei dem VKA, wobei der Unterschied vor allem bei den gastrointestinalen Blutungen bestand. Unter Edoxaban trat bei 9,7% eine stärkere Blutung auf vs. 7,0% unter dem VKA (HR 1,40; 95% KI 1,03-1,91). Eine sekundäre Analyse ergab, dass bei Patienten, die eine niedrigere Edoxaban-Dosis benötigten oder die zusätzlich keine Plättchenhemmer einnahmen, kein Unterschied bei der Blutungsrate bestand. «Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Reduktion der Dosis streng zu beachten und eine Kombination von Edoxaban mit Plättchenhemmern zu vermeiden», so Dangas.

PS

EMPEROR-Preserved-Studie: Empagliflozin wirkt auch bei HFpEF

Nachdem der SGLT2-Inhibitor Empagliflozin in der EMPEROR-Reduced-Studie bei Patienten mit einer systolischen Herzinsuffizienz seine günstige Wirkung unter Beweis stellen konnte, wurde die Wirksamkeit dieser Substanz jetzt auch bei herzinsuffizienten Patienten mit erhaltener Pumpfunktion (HFpEF; EF > 40%) im Rahmen einer Studie (EMPEROR-Preserved-Studie) untersucht.
Eingeschlossen wurden 9.718 Patienten. «Die Ergebnisse zeigen, dass mit Empagliflozin bei Patienten mit HFpEF ein
vergleichbarer Benefit erzielt werden kann wie bei Patienten mit HFrEF», so Prof. Milton Packer, Dallas. Das Risiko für ein tödliches kardiales Ereignis oder eine Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz wurde auch bei den Patienten mit HFpEF durch Empagliflozin um ca. 30% gesenkt. Der günstige Effekt war bei allen Patienten bis zu einer EF von < 65% nachweisbar. Die Wirksamkeit nahm bei Patienten mit einer EF > 65% ab. Bei Patienten mit einer EF von 40-60% war der Benefit des SGLT2-Inhibitors ausgeprägter als unter dem ARNI in der PARAGON-HF-Studie. Im Unterschied zur EMPEROR-Reduced-Studie wurden bei HFpEF die renalen Endpunkte nicht positiv beeinflusst, was daran liegen könnte, dass die renalen Endpunkte stringenter definiert wurden.

PS

Erweiterte Katheterablation bei Vorhofflimmern

Der Frage, ob durch eine zusätzlich zur Pulmonalvenenisolation durchgeführte Ablation von mittels MRT detektierten fibrotischen Arealen im Vorhof das Rezidivrisiko gesenkt werden kann, wurde in der DECAAF-Studie nachgegangen. Eingeschlossen wurden 843 Patienten mit persistierendem Vorhofflimmern. Insgesamt wurde die Rezidivrate durch die erweiterte Ablationsstrategie nicht gesenkt (Rezidivrate nach einem Jahr 46,1% in der Kontrollgruppe vs. 43% in der Interventionsgruppe). «Doch Patienten mit einer geringen Fibrosierung im Stadium 1 oder 2, d.h. einem Fibroseanteil von weniger als zwanzig Prozent, profitierten von der erweiterten Ablationsstrategie», so Prof. Nassir Marrouche, New Orleans. Die Rezidivrate nach einem Jahr wurde bei diesen Patienten um 16% reduziert. Bei einer Fibrosierung von > 20% brachte die zusätzliche Ablation im Vorhof keinen Nutzen.

PS

sGC-Stimulator: Ein neuer Therapieansatz bei Herzinsuffizienz

Die Therapie der chronischen Herzinsuffizienz hat in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte erfahren. Trotzdem ist dieses Krankheitsbild weiterhin mit einer sehr schlechten Prognose assoziiert, die durchaus vergleichbar ist mit der einer malignen Erkrankung. Die 5-Jahres-Mortalität liegt bei 75% und dies gilt für alle Formen der Herzinsuffizienz. So verliert ein 65-jähriger Patient mit einer Herzinsuffizienz ca. 15 Jahre an Lebenszeit.
Der Verlauf der Erkrankung ist charakterisiert durch rezidivierende Dekompensationen. Jede dieser Dekompensationen bedeutet nicht nur eine passagere Verschlechterung des klinischen Bildes, sondern führt zu einer weiteren Verschlechterung der Pumpfunktion und auch der Prognose. Nach der Dekompensation ist immer vor der nächsten Dekompensation. Das Risiko während einer Hospitalisierung oder innerhalb von 3 Monaten nach einer Hospitalisierung zu versterben ist bei
Patienten nach einer sich verschlechternden chronischen Herzinsuffizienz signifikant höher als bei einer neu aufgetretenen Herzinsuffizienz. Es ist deshalb wichtig, diese Abwärtsspirale aufzuhalten, mit anderen Worten, den Patienten zu stabilisieren.
Ein vollkommen neues Therapieprinzip ist die Stimulation des NO-sGC-cGMP-Signalwegs mit Vericiguat (Verquvo®). «Auf diese Weise wird die cGMP-Produktion auch unter Bedingungen mit niedrigen NO-Spiegeln, wie es bei der Herzinsuffizienz der Fall ist, erhöht», so Prof. Burkert Pieske, Berlin. Dies führt zu einer Verbesserung der myokardialen Funktion, zu einer Hemmung des Remodeling, zu einer Verbesserung der vaskulären Funktion, zu einer Abnahme der Fibrosierung und der Inflammation.
Dass diese Substanz bei Risikopatienten nach einer Dekompensation die Abwärtsspirale stoppen kann, dies belegen die Ergebnisse der VICTORIA-Studie. Eingeschlossen in diese randomisierte, placebokontrollierte Studie wurden Patienten mit einer symptomatischen chronischen Herzinsuffizienz NYHA-Klasse II-IV, die kürzlich dekompensiert waren und einer stationären Behandlung und Diuretika i.v. bedurften. Sie mussten zum Zeitpunkt des Studienbeginns klinisch stabil sein. Vericiguat reduzierte das Risiko für eine HF-bedingte Hospitalisierung oder CV-Tod um 4,2 Ereignisse pro 100 Patientenjahre. Die jährliche NNT betrug somit 24. Beim Gesamtüberleben ergab sich kein Unterschied. Die Substanz wurde gut vertragen, die Zieldosis von 10 mg erreichten 89,2%.

PS

Vorhofflimmern-Screening lohnt sich

Das Vorhofflimmern ist die häufigste Rhythmusstörung. Die Inzidenz steigt mit dem Alter. Angesichts der demographischen Entwicklung dürfte die Zahl der Betroffenen in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Die gefürchtetste Komplikation ist der kardioembolische Insult. Jeder vierte Insult geht auf das Vorhofflimmern zurück. Durch eine effektive Antikoagulation können zwei Drittel dieser fatalen Ereignisse verhindert werden. Dabei sollte, soweit keine Kontraindikation vorliegt, vorzugsweise ein NOAK wie Apixaban eingesetzt werden, da diese Substanzen das Management vereinfachen und sicherer machen.
Doch nicht selten geht das Vorhofflimmern ohne Symptome einher, so dass es nicht erkannt und keine OAK eingeleitet wird. Es wird dann nur zufällig entdeckt. Gelegentlich führt auch erst der ischämische Insult zur Detektion des Vorhofflimmerns. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für ein Screening. Die Leitlinie empfiehlt bisher nur ein opportunistisches Vorgehen, d.h. bei über 65-Jährigen sollte bei jedem Arztbesuch der Puls getastet werden und ab dem 75. Lebensjahr sollte zumindest jährlich ein EKG abgeleitet werden, um das Vorhofflimmern nicht zu übersehen und die betroffenen Patienten mittels OAK vor dem Insult zu schützen.

«In den letzten Jahren hat dank moderner digitaler Technologien das systematische Screening zunehmende Bedeutung erfahren», so Dr. Emma Svennberg, Stockholm. Im Rahmen der schwedischen STROKESTOP-Studie wurde die Effektivität eines Massenscreenings bei 75- bis 76-jährigen Personen untersucht und zwar mit Hilfe eines EKG-Handgerätes. Die Teilnehmer, insgesamt ca. 30 000, wurden randomisiert angehalten, über einen Zeitraum von zwei Wochen zweimal täglich ein EKG abzuleiten. Primärer Endpunkt der Studie war die Kombination aus ischämischem Insult, systemischer Embolie, Gesamtmortalität, zerebraler Blutung und Hospitalisierung wegen einer Blutung bei einem Follow-up von 5 Jahren. Mittels dieses Screenings konnte die Rate an Vorhofflimmern-Detektionen in der Interventionsgruppe von 12 auf 14% gesteigert werden. In der Interventionsgruppe traten 4,456 Ereignisse des primären Endpunkts auf, in der Kontrollgruppe waren es 4 616 Ereignisse. «Diese Daten belegen, dass ein Populations-basiertes Vorhofflimmern-Screening bei älteren Personen einen klinischen Benefit bringt», so Svennberg.

PS

Krebs-assoziierte venöse Thromboembolie:

Apixaban ist LMWH nicht unterlegen

Thromboembolische Ereignisse (VTE) sind eine häufige und zugleich gefürchtete Komplikation bei Tumorpatienten. Betroffen sind ca. 20% aller Patienten mit einem Malignom. Besonders häufig ist ein solches Ereignis bei Pankreas-, Gehirn-, Ovarial- und Magen-Darm-Malignomen. Nicht selten manifestiert sich das Malignom sogar primär als VTE. «Das VTE-Risiko wird aber nicht nur von der Lokalisation des Primärtumors sondern auch von Patientencharakteristika und der Art der Therapie bestimmt», so Prof. Stavros Konstantinides, Mainz. Wichtige Risikofaktoren sind ein höheres Alter, eine vorausgegangene VTE, eine Thrombozytose, das Vorliegen einer hereditären Thrombophilie wie ein Faktor V-Leiden und pulmonale, renale und kardiale Komorbiditäten.
Charakteristisch für die Krebs-assoziierte VTE sind das hohe Rezidiv- und Blutungsrisiko, was bei dem therapeutischen Management bedacht werden muss. So beträgt die Rezidivrate nach einem Jahr bei Nicht-Tumor-Patienten 6,8% im Vergleich zu 20,7% bei Tumorpatienten. Die Häufigkeit von schweren Blutungen steigt von 4,9% bei Nicht-Tumor-Patienten auf 12,4% bei Malignompatienten.
Die bisherige Standardtherapie ist ein niedermolekulares Heparin (LMWH) über 12 Monate. Doch diese Behandlung ist wegen der Notwendigkeit der Injektion bei Patienten sehr unbeliebt, was sich auf die Adhärenz negativ auswirkt. Nach 12 Monaten wird das LMWH nur noch von 21% der Patienten gespritzt. Da bieten NOAKs wie Apixaban wesentliche Vorteile. Die ESC-Guidelines empfehlen daher vorrangig die Gabe eines NOAK, soweit keine Kontraindikationen wie eine schwere Niereninsuffizienz vorliegen. Mit Apixaban kann im Unterschied zu Edoxaban und Dabigatran sofort ohne Vorschaltung eines LMWH, also ohne Switchen, die Therapie begonnen werden, wobei die Dosis nach 7 Tagen von 2 x 10 mg auf 2 x 5 mg reduziert wird.
Die Wirksamkeit und Sicherheit von Apixaban wurde im Rahmen der prospektiven und randomisierten CARAVAGGIO-Studie bei 1.170 Patienten mit einer Krebs-assoziierten VTE untersucht und zwar im Vergleich mit dem LMWH Dalteparin. Nach 12 Monaten konnte die Rezidivrate mit Apixaban um 37% gesenkt werden bei einer vergleichbaren Zahl an schweren Blutungen [1]. Vorausgegangene Studien mit Rivaroxaban (SELECT-D-Studie) und Edoxaban (Hokusai VTE Cancer-Studie) hatten zwar im Hinblick auf die bessere Effektivität vergleichbare Ergebnisse gezeigt, allerdings bei einem erhöhten Blutungsrisiko.

PS

Kurz und knapp

Kongresssplitter

  • Depressive Raucher, die nach einem Infarkt mit dem Rauchen aufhören, profitieren auch stimmungsmässig davon.
  • Hoch-verarbeitete Lebensmittel sind ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse.
  • Der Genuss von bis zu drei Tassen Kaffe pro Tag reduziert das Risiko für Schlaganfall und fatale kardiale Ereignisse.

NOAK auch bei kardiologischen Interventionen

Die Einführung der NOAKs hat die Antikoagulation bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern einfacher und vor allem sicherer gemacht. In den Zulassungsstudien erwiesen sich diese Substanzen einem VKA überlegen, d.h. die Rate an schweren vor allem intrakraniellen Blutungen lag um ca. 50% niedriger und dies bei einer zumindest gleichen Effektivität. Doch wie sieht es mit der Sicherheit und Wirksamkeit aus, wenn eine Intervention wie Kardioversion oder Katheterablation oder eine PCI durchgeführt wird.
Bei der Kardioversion ist eine effektive orale Antikoagulation unverzichtbar, um peri-prozedurale Schlaganfälle zu verhindern. Für Apixaban (Eliquis®) liegen Daten aus zwei Studien vor, die zeigen, dass diese Substanz in solchen Situationen einen antithrombotischen Schutz ohne erhöhtes Blutungsrisiko verspricht. «Dies ist einmal die ARISTOTLE-Substudie, zum anderen die EMANATE-Studie, in der Apixaban mit Heparin/VKA verglichen wurden», so Prof. Renato D. Lopes, Duke. Bzgl. der Endpunkte Schlaganfall und starke Blutungen war Apixaban dem Heparin/VKA überlegen.
Nach der ESC-Leitlinie 2020 ist bei einer Kardioversion eine orale Antikoagulation über mindestens 3 Wochen vor der Intervention angezeigt. Bei Patienten mit Vorhofflimmern, das über 24 Stunden anhält, sollte die Antikoagulation nach der erfolgreichen Kardioversion zumindest über
4 Wochen fortgeführt werden, bevor mittels CHA2DS2-Vasc-Score die Indikation für eine dauerhafte OAK gestellt wird. Nur bei Patienten mit einem < 24 Stunden anhaltendem Vorhofflimmern und sehr geringen Schlaganfall-Risiko kann die OAK nach 4 Wochen beendet werden.
Für den Einsatz von Apixaban bei der Katheterablation liegen Daten aus der AXAFA-AFNET vor. Auch bei diesem Eingriff war Apixaban dem Regime Heparin/VKA nicht unterlegen. Den Endpunkt aus Gesamtmortalität, Schlaganfall oder starker Blutung erreichten unter Apixaban 6,9% vs. 7,3% unter VKA. Auch hier gilt, dass vor dem Eingriff eine OAK für 3 Wochen erforderlich ist und nach der erfolgreichen Ablation sollte die OAK zumindest über 2 Monate fortgeführt werden, bei hohem Risiko aber dauerhaft.
Die KHK ist eine häufige Komorbidität bei Vorhofflimmern. Doch eine Triple-Therapie ist mit einem deutlich erhöhten Blutungsrisiko assoziiert. Im Rahmen der AUGUSTUS-Studie wurde zwei Fragen nachgegangen, nämlich ob auch in solchen Situationen das NOAK Apixaban sicherer ist als ein VKA und ob eine zusätzliche duale Plättchenhemmung mit ASS plus einem P2Y12-Inhibitor notwendig ist oder ob auf ASS verzichtet werden kann. Die Auswertung ergab eine signifikante Überlegenheit von Apixaban im Vergleich zu VKA und die duale Therapie war im Vergleich zur Triple-Therapie signifikant sicherer im Hinblick auf schwere Blutungsereignisse ohne Anstieg des Ischämierisikos.

PS

NOAK bei Vorhofflimmern:

Practical Guide hilft bei der Entscheidungsfindung

Die European Heart Rhythm Association (EHRA) hat einen aktualisierten Practical Guide für den Einsatz der NOAKs bei Patienten mit Vorhofflimmern herausgegeben, der kürzlich auf dem europäischen Kardiologenkongress vorgestellt wurde. «Obwohl die NOAKs grundsätzlich als erste Wahl empfohlen werden, gibt es Einschränkungen durch Kontraindikationen», so Prof. Hein Heidbuchel, Antwerpen. Kontraindiziert ist ein NOAK bei mechanischen Herzklappenprothesen, bei einer moderaten und schweren rheumatischen Mitralstenose und bei einer schweren chronischen Niereninsuffizienz mit einer GFR < 15 ml/min. Auch Begleitmedikationen können ein Hinderungsgrund sein. Vorsicht geboten ist auch bei einer ausgeprägten Gebrechlichkeit, bei massivem Über- oder Untergewicht, bei einer Thrombozytopenie, bei einer schweren Leberfunktionsstörung und nach einer grösseren Blutung.
Wird nach der individuellen Risikostratifizierung mittels CHA2DS2-Vasc-Score die Indikation für eine dauerhafte orale Antikoagulation gestellt, so gilt es die für den einzelnen Patienten optimale Substanz in der richtigen Dosierung auszuwählen, wobei das pharmakologische Profil der Substanzen berücksichtigt sein sollte. Dabei spielt die Nierenfunktion eine grosse Rolle. Bis zu einer GFR von 30 ml/min sind Rivaroxaban, Edoxaban und Apixaban einsetzbar, wobei die Dosis ab einer GFR von 50 ml/min reduziert werden sollte, bei Rivaroxaban auf 15 mg einmal täglich, bei Edoxaban auf 30 mg täglich. Bei Apixaban wird die Dosisreduktion auf 2,5 mg zweimal täglich dann empfohlen, wenn eines der folgenden Kriterien vorliegt: Alter ≥ 80 Jahre, Körpergewicht ≤ 60 kg, Kreatinin ≥ 1,5 mg/dl. Für ältere Patienten mit einer Niereninsuffizienz ist nach Studienergebnissen Edoxaban eine gute und sichere Wahl.
Was das Körpergewicht betrifft, so sollte man bei einem BMI von ≤ 12,5 kg/m2 und ab 40 kg/m2 mit NOAKs sehr vorsichtig sein und evtl. Plasmaspiegel-Bestimmungen durchführen. Letzteres kann auch dann sinnvoll sein, wenn Interaktionen mit Begleitmedikamenten möglich sind. «Doch bei der grossen Mehrheit der Patienten sind Spiegelbestimmungen nicht notwendig», so Heidbuchel.
Die Indikation für eine zusätzliche Gabe eines Plättchenhemmers sollte sehr streng gestellt werden. Bei einer stabilen KHK besteht dann, wenn das akute Ereignis oder die Intervention länger als 1 Jahr zurückliegt, keine Indikation dafür. Bei PCI-
Patienten sollte die Triple-Therapie so kurz wie möglich erfolgen, in der Regel reichen 4 Wochen.
Was das perioperative Bridging betrifft, so ist ein solches bei einem NOAK nicht notwendig, Es reicht eine kurze Unterbrechung der Therapie, wobei der Beginn der Therapiepause und die Zeit bis zur Wiederaufnahme der NOAK-Therapie sich am Ischämie- und Blutungsrisiko und auch an der Nierenfunktion orientiert.

PS

Neue ESC-Leitlinie für Herzinsuffizienz

Trotz gewisser Fortschritte ist das Krankheitsbild der Herzinsuffizienz weiterhin mit einer sehr schlechten Prognose assoziiert, die durchaus vergleichbar ist mit der einer malignen Erkrankung. Die 5-Jahres-Mortalität liegt bei 75% und dies gilt für alle Formen der Herzinsuffizienz. So verliert ein 65-Jähriger Patient mit einer Herzinsuffizienz ca. 15 Jahre an Lebenszeit. Der Verlauf der Erkrankung ist charakterisiert durch rezidivierende Dekompensationen. Jede dieser Dekompensationen bedeutet nicht nur eine passagere Verschlechterung des klinischen Bildes, sondern führt zu einer weiteren Verschlechterung der Pumpfunktion und auch der Prognose. Nach der Dekompensation ist immer vor der nächsten Dekompensation. Das Risiko während einer Hospitalisierung oder innerhalb von 3 Monaten nach einer Hospitalisierung zu versterben, ist bei Patienten nach einer sich verschlechternden chronischen Herzinsuffizienz signifikant höher als bei einer neu aufgetretenen Herzinsuffizienz. Es ist deshalb wichtig, diese Abwärtsspirale aufzuhalten, mit anderen Worten, den Patienten zu stabilisieren.
«Die Therapie der chronischen Herzinsuffizienz hat in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte erfahren, Zu den bereits etablierten Substanzgruppen, nämlich RAS-Inhibitoren, Betablocker und MRA, die die Prognose verbessern, sind die SGLT2-Inhibitoren und der ARNI dazu gekommen» so Prof. Theresa McDonagh, London. Dabei stellt sich die Frage, welche Substanz wann gegeben werden sollte. In der neuen ESC-Leitlinie wird empfohlen die «Big four» (ARNI, SGLT2-Inhibitor, Betablocker und MRA) möglichst früh gemeinsam einzusetzen.
Wichtig für Herzinsuffizienz-Patienten sind auch die Schutzimpfungen gegen Influenza, Pneumokokken und COVID-19, da diese Infektionen den Krankheitsverlauf und die Prognose bei Patienten mit einer Herzinsuffizienz verschlechtern.

PS

Das Cholesterin-Conundrum

Die Beziehung zwischen LDL-Cholesterin und kardiovaskulärem Risiko ist vermutlich eine der am besten untersuchten und bewiesenen Tatsachen auf dem Gebiet der Medizin. Genetische Studien haben unwiderrufbar gezeigt: Je tiefer das LDL-Cholesterin ist, desto geringer ist das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und je früher im Leben der LDL-Cholesterinwert tief gehalten wird, desto grösser ist der Effekt auf die kardiovaskuläre Risikoverminderung («the lower the better and the earlier the better») (1).

Für Menschen über 85 Jahre scheint der Effekt der LDL-Cholesterinsenkung indessen nicht mehr gültig zu sein. Dies wurde in zwei gross angelegten Studien nachgewiesen (2, 3). Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, wie niederländische Forscher berichten (2), die in der Rotterdam-Studie mit 5750 Teilnehmern den Zusammenhang zwischen dem Cholesterinspiegel und dessen Unterfraktionen und der kardiovaskulären Mortalität untersuchten. Eine Regressionsanalyse der Gesamtbevölkerung und der verschiedenen Altersgruppen 55-64, 65-74, 75-84 und > 85 Jahre zeigte nach Adjustierung für Alter und Geschlecht, dass jede Erhöhung des Gesamtcholesterins um 1 mmol/l mit einer Reduktion des Risikos für nicht-kardiovaskuläre Mortalität um etwa 12% verbunden war (HR 0,88; p<0,001). Die Assoziation blieb über das Alter von 65 Jahren hinaus signifikant und nahm für jedes weitere Jahrzehnt signifikant zu. Diese Assoziation war grösstenteils auf Nicht-HDL-Cholesterin zurückzuführen und könnte auch teilweise mit der Krebsmortalität in Verbindung gebracht werden. Im Gegensatz dazu war das HDL-Cholesterin nicht signifikant mit der nicht-kardiovaskulären Mortalität korreliert.

Eine Meta-Analyse von 12 Publikationen mit insgesamt 13622 Teilnehmern zeigte in den verschiedenen Studien unterschiedliche Assoziationen zwischen Gesamtmortalität und Cholesterinspiegel (3). Die Assoziation wird hauptsächlich als J-Kurve beschrieben, wobei niedrige Cholesterinwerte mit der höchsten Gesamtsterblichkeit bei über 80-Jährigen assoziiert sind. Andere Studien haben eine U-förmige Beziehung gezeigt, wobei hohe Cholesterinwerte mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden sind. Die meisten Studien zeigten, dass die niedrigste Sterblichkeit mit einem Gesamtcholesterinspiegel von etwa 6 mmol/l zusammenfiel.

In einer weiteren Studie (4), die sich auf die Messung des Cholesterinspiegels im Blut von 70-85-jährigen Einwohnern der Stadt Leiden stützte, wurde festgestellt, dass Menschen mit hohem Cholesterinspiegel eine niedrigere Sterblichkeitsrate hatten. Dies ist wahrscheinlich auf eine schützende Wirkung des Cholesterins gegen Infektionskrankheiten zurückzuführen. Bei über 85-jährigen Personen sind hohe Cholesterinwerte mit Langlebigkeit assoziiert, d.h. einer geringen Mortalität bei Krebs- und Infektions-Erkrankungen.

Eine neue wichtige Evidenz zugunsten einer Cholesterintherapie liefert eine prospektive, aktuelle dänische Kohortenstudie (5). Gemäss dieser war der Risikoanstieg für einen Myokardinfarkt und andere atherosklerotische kardiovaskuläre Ereignisse pro 1000 Personen-Jahre pro 1 mmol/l LDL-C-Erhöhung bei Patienten zwischen 70 und 100 Jahren am höchsten. Der Nutzen einer moderaten Statintherapie war mit einer NNT von 5 in dieser Altersgruppe besonders hoch. Allerdings handelte es sich bei dieser Studie um eine Kohortenstudie mit entsprechenden Möglichkeiten für Confounding. Die Annahme, dass auch ältere Patienten in der Primärprävention von einer LDL-Cholesterinsenkung profitieren, ist indessen zumindest plausibel, da alle Altersgruppen konsistente Ergebnisse zeigten.

Die Problematik des Lipid-Screenings und der Statintherapie bei über 80-Jährigen bleibt ein kontroverses Thema. Während in der Sekundärprävention eine Therapie zweifelsohne empfohlen ist, richtet sich die Primärprävention nach der Lebenserwartung des Patienten und der Beurteilung durch den behandelnden Arzt. Eine installierte Statintherapie sollte aber, wenn nicht zwingende Gründe vorhanden sind, niemals abgebrochen werden (6-8).

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen
riesen@medinfo-verlag.ch

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Ference BA et al. Effect of long-term exposure to lower low-density lipoprotein cholesterol beginning early in life on the risk of coronary heart disease: a Medelian randomization analysis. JACC 2012;60: 2631-2639
2. Newson RS et al. Association between serum cholesterol and noncardiovascular mortality in older age. J Am Geriatr Soc. 2011; 59: 1779-1785
3. Petersen LK et al. Lipid-lowering treatment to the end? A review of observational studies and RCTs on cholesterol and mortality in 80+ -year olds . Age and Ageing 2010 ; 39, 674–680
4. Weverling-Rjinsburger A et al. High-density vs. Low-density lipoprotein cholesterol as the risk factor for coronary artery disease and stroke in old age. Arch Intern Med 2003 ;163 :1549-1554
5. Mortensen MB, Nordestgaard BG. Elevated LDL cholesterol and increased risk of myocardial infarction and atherosclerotic cardiovascular disease in individuals aged 70-100 years: a contemporary primary prevention cohort. Lancet 2020;396(10263):1644–52
6. Gomez Sandoval YH et al. Statin discontinuation in high-risk patients : a systematic review of evidence. Curr Pharm Des 2011 ; 33 :3669-3689
7. Daskalopoulou SS et al. Discontinuation of statin therapy following an acute myocardial infarction: a population-based study.Eur Heart J. 2008;29:2083-91
8. Giral P et al. Cardiovascular effect of discontinuing statins for primary prevention at the age of 75 years : a nationwide population-based cohort study in France. Eur Heart J 2019 ;40 :3516-1525

Gedanken und Neues zu einer Pandemie

Übergewicht und Adipositas stellen die beiden wichtigsten Krankheitsmodulatoren des Risikos der chronischen Erkrankungen in der modernen Gesellschaft dar. Die Adipositas moduliert durch diverse Mechanismen die wichtigsten Risikofaktoren wie z.B. Bluthochdruck (in der Framingham-Studie kann über 70% des Blutdruck-Anstiegs mit dem Alter durch das erhöhe Körpergewicht erklärt werden), Diabetes mellitus Typ 2, Dyslipidämie und KHK, oder auch die vielfach unerkannte Schlafapnoe. Zudem zeigt sich die Bedeutung des Risikofaktors Übergewicht und Adipositas auf eindrückliche Weise in der Übersterblichkeit bei einem Covid-19 Infekt.

Le surpoids et l’obésité sont les deux plus importants modulateurs du risque de maladies chroniques dans la société moderne. Par le biais de divers mécanismes, l’obésité module les facteurs de risque les plus importants tels que l’hypertension artérielle (dans l’étude de Framingham, plus de 70% de l’augmentation de la pression artérielle avec l’âge peut être expliquée par l’augmentation du poids corporel), le diabète sucré de type 2, la dyslipidémie et les maladies coronariennes, ou même l’apnée du sommeil, souvent méconnue. En outre, l’importance du facteur de risque que constitue le surpoids et l’obésité est démontrée de manière impressionnante par la surmortalité en cas d’infection par le Covid-19.

Übergewicht und Adipositas haben in den letzten 10 Jahren pandemisches Ausmass angenommen und es gibt kaum eine Weltregion, die nicht betroffen ist. Im Jahre 2013 erlangten Übergewicht und Adipositas bei der American Medical Association den Krankheitsstatus. Dieselbe Organisation lehnte das Krankheitslabel ein paar Jahre früher wegen Nicht-Erfüllung der klassischen Krankheitskriterien ab. Dies ganz im Gegensatz zur amerikanischen Adipositas-Fachgesellschaft (The Obesity Society), welche in einem Positionspapier Übergewicht und Adipositas bereits im Jahre 2008 als Krankheit taxierte. Trotz aller Kontroverse um die Krankheitsbezeichnung (1) war dies richtig, da damit mehr Ressourcen für die Prävention und Therapie zur Verfügung stehen.

Trotz diesem Krankheitslabel und extremsten Anstrengungen der modernen Forschung wurde bis anhin keine nachhaltige, nebenwirkungsarme und günstige Therapie gefunden und die Prävalenz und Inzidenz steigen weltweit weiterhin an. Dies unterstreicht die Komplexität der Pathogenese von Übergewicht und Adipositas. Mittlerweile sind ungefähr 700 Millionen Erdenbürgerinnen (40%) und -Bürger (39%) übergewichtig oder adipös (13%). Bis im Jahre 2050 werden bei gleichbleibenden epidemiologischen Trends 60-80% der Bevölkerung in westlichen Ländern übergewichtig oder adipös sein. In diesem Zusammenhang muss man sich ernsthaft die Frage stellen, ob ein Zustand, der praktisch alle Individuen in einer Gesellschaft betrifft, tatsächlich eine Krankheit ist. So basiert das Label Krankheit der amerikanischen Obesity Society auf der Aussage «diseases are defined as deviations from the normal or healthy structure or function» (2). Was alle machen, kann doch nicht krankhaft sein. Eine nicht ganz abwegige Überlegung und Argumentation. Das hohe Krankheitspotential einer erhöhten Fettmasse bleibt trotz dieser Kontoverse ein Fakt, und viele unserer Patienten sind in der Tat schwer krank.

Eine Erkrankung der Gesellschaft

Aufgrund der aktuellen globalen epidemiologischen Trends der Adipositas muss bei kritisch realistischer Betrachtung die Adipositas vielmehr als Krankheit der modernen Konsum-Gesellschaft betrachtet werden und weniger als Erkrankung eines einzelnen Individuums. Die langfristige nachhaltige Lösung der Adipositas-Pandemie beinhaltet also nicht nur die Behandlung von einzelnen Patienten, sondern sollte im Besonderen auch die Konsum-Gesellschaft als Ganzes, oder zumindest deren Treiber, «behandeln».

Gemäss Wikipedia bezeichnet der Begriff der Konsumgesellschaft eine Gesellschaft, in der die Befriedigung verschiedenster Bedürfnisse nur durch den Konsum (selbstverständlich gegen Bezahlung) möglich ist (3). In diesem Kontext stellt sich die Gretchenfrage: Warum verfolgen denn die Menschen einen kalorischen Überkonsum bis zur Krankheit? Diese Frage wollen wir hier nicht beantworten, und viele gesellschaftliche und individuelle Einzelfaktoren sind von Bedeutung. Unser modernes zunehmend konzentriertes Ernährungssystem (Food System) mit einer Steuerung des Konsums durch einige wenige Anbieter ist pathophysiologisch von zentraler Bedeutung. Viele Konsumenten unterliegen dem Irrglauben, dass sie selbst einzig und allein bestimmen, was sie essen. Leider ist dem nicht so – der Konsument bestimmt lediglich, was er aus dem Angebot auswählt und kauft und am Ende isst. Jeder muss sich jedoch nach dem Angebot, der Verfügbarkeit und den Verkaufspreisen richten. Viele Produkte, die für die Gesundheit förderlich wären, verschwinden vom Markt, wenn diese nicht verkauft werden oder auch zu aufwändig hergestellt werden müssen. Zudem muss die Nahrung möglichst billig sein und wir wissen, dass billige rekonstituierte Nahrungsmittel den Überkonsum fördern. Der günstige Preis geht in der Regel auf Kosten der ernährungsphysiologischen Qualität der Produkte und am Ende auf Kosten der Gesundheit. Individuelle pathophysiologische Faktoren und Konstellationen mit zunehmenden vielschichtigen endogenen und exogenen Stressoren kommen dazu und machen eine grosse Anzahl der Konsumenten zu Patienten.

Die Bedeutung der Werbung wird nach wie vor unterschätzt. Die Nahrungsmittel-Verfügbarkeit ist ubiquitär – sozusagen 24h/7 Tage. «Mindless Eating» praktiziert die Mehrheit der Population. Jährlich werden Tausende neuer Produkte auf den Markt geworfen – meist auch mit neuen Geschmacksvarianten. Der Konsum wird durch modernste Neuromarketing-Erkenntnisse gefördert: die Physiologie von Hunger und Sättigung des Konsumenten wird dabei überrumpelt und kritische Stimmen fragen, wo denn der Konsumentenschutz bleibt. Neue Forschungsergebnisse bestätigen den seit langem gehegten Verdacht, dass viele dieser modernen Produkte ein hohes Abhängigkeitspotential haben könnten – vergleichbar mit den klassischen Abhängigkeitssyndromen. So wird vermutet, dass bis zu 20% der übergewichtigen und adipösen Patienten die Kriterien für «Esssucht» erfüllen und entsprechend auch spezifische therapeutische Strategien benötigen würden. Wir praktizieren eine absurde legitime Förderung des Konsums und kannibalisieren damit unsere Gesundheit und auch unser Gesundheitssystem.

China und auch viele Entwicklungsländer werden mittlerweile als «lebende Laboratorien» bezeichnet. In China steigt die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas in erschreckendem Ausmass an und die Treiber (systemische und individuelle Treiber, sowie Umgebungsfaktoren inklusive sozioökonomische Determinanten) dieser Entwicklung sind bekannt (4) und wurden in vielen anderen Weltregionen schon erfolgreich «getestet». China und andere Weltregionen unterliegen denselben Kräften und Strömungen der Konsumgesellschaft, die uns auch übergewichtig und adipös machen. Die Kontrolle der systemischen Treiber sollte Priorität haben; meist wird aber aus naheliegenden Gründen nur auf das Individuum fokussiert. Die aktuellen Trends geben unserem Arztkollegen Hippokrates recht, der sagte: «Der Mensch stirbt nicht, er bringt sich selbst um».

Eating «on the go»

«Eating on the go» ist eine typische Multitasking-Situation. Auch Gehen und Laufen erfordert eine hohe kognitive Leistung. So ist die Kombination von Laufen und Smartphone-Gebrauch – allenfalls sogar mit gleichzeitiger Nahrungszufuhr – mit nachteiligen Wirkungen. Fussgänger-Unfälle sind infolge dieser Kombination in den letzten Jahren um ein Mehrfaches angestiegen und neuere Arbeiten weisen auch darauf hin, dass sich durch dieses Verhalten auch das Gangbild in einer physiologisch nachteiligen Weise verändert. Elektromyographische Studien zeigen, dass die muskuläre Aktivität z.B. des M. tibialis anterior, gastrocnemius, rectus femoris, gluteus maximus und gluteus medius abnimmt (5) (was zumindest theoretisch in einem verminderten Energieverbrauch resultieren kann, abgesehen von diversen artikulären und muskuloskeletalen Beschwerden). Zudem wissen wir, dass Medienkonsum in Form von TV oder auch Gaming mit einem erhöhten Körpergewicht (unabhängig vom Energieverbrauch durch Bewegung) verbunden ist (6). Auch die Verwendung eines Smartphones während dem Essen ist mit einer höheren Energiezufuhr und Adipositas assoziiert (7). Auch hier schliesst sich die physiologische respektive pathophysiologische Schlaufe der Abhängigkeit: Smartphone-Abhängigkeit korreliert mit einem ungünstigen, gewichtsfördernden Essverhalten (8).

Ernährungsempfehlungen

Eine Empfehlung ist nur wirksam, wenn diese auch umgesetzt werden kann. Gerade wenn es um Gesundheitsempfehlungen geht, sollen diese, wenn immer möglich, individuell angepasst werden – eine Personalisierung der Empfehlungen ist oftmals der Grundpfeiler für den nachhaltigen Erfolg.
Eine Reduktion oder sogar Vermeidung des Konsums von ultraprozessierten (meist rekonstituierten) Nahrungsmitteln ist dabei prioritär. Die ubiquitäre, zeitlich unbeschränkte Verfügbarkeit dieser Nahrungsmittel ist eine zentrale Determinante der Adipositas-Epidemie (9) und bald stammen mehr als die Hälfte der zugeführten Kalorien von (ultra-)prozessierten Nahrungsmitteln. Diese Empfehlung erscheint für alle Patienten (aber auch Noch-Nicht-Patienten) unabhängig vom Körpergewicht als sinnvoll. Verschiedenste epidemiologische und experimentelle Studien zeigten, dass die Einnahme von ultraprozessierten Nahrungsmitteln den hedonistischen Überkonsum fördern (10) und auch die kardiovaskuläre sowie Krebs-Mortalität steigern (11). Zwischen der Zufuhr an prozessierten Nahrungsmitteln und dem Übergewicht und Adipositas besteht eine kausale Beziehung. In einer prospektiven Studie von Fazzino et al. (12) zeigte sich, dass ein Ernährungsmuster mit einem hohen Anteil an hyerpalatablen prozessierten Nahrungsmitteln zu einer ausgeprägteren Gewichtszunahme führt als bei Vermeidung dieser Nahrungsmittel. Hedonistisches Essen – induziert durch die modernen Nahrungsmittel und potenziert durch diverse individuelle und gesellschaftliche Faktoren, stellt wohl eine zentrale Hauptursache der aktuellen Adipositas-Pandemie dar. Sollte die Adipositas-Pandemie und die Belastung des Gesundheitssystems sowie der vielen Einzelschicksale kontrolliert werden, ist es wohl unumgänglich, den Markt und die Verbreitung dieser hyperpalatablen hedonistischen Nahrungsmittel zu regulieren und auch unphysiologische konsumfördernde Stressoren des Alltags anzugehen.

Neue pharmakologische Therapiemöglichkeiten

Übergewicht und Adipositas sind chronische Erkrankungen und es bedarf einer chronischen (lebenslänglichen) Therapie und Prävention. So werden unter anderem Artischocken-Supplemente, Himbeeren-Extrakt, Hoodia Gordonii oder Zichorien-Wurzeln zur Gewichtsabnahme empfohlen. In der Regel sind diese Produkte nur ungenügend geprüft und ohne nachhaltige Wirkung.

Seit ein paar Jahren stehen uns neue pharmakologische Therapieprinzipien in Form von Glukoagon-Like-Peptide-1 (GLP-1)-
Agonisten zur Verfügung. Diese Pharmaka (sogenannte Inkretin-Mimetika) wurden zur Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt und wurden bereits vor gut 15 Jahren erstmalig zugelassen. Es zeigte sich schon in den ersten Studien, dass die GLP-1-Agonisten nicht nur die diabetische Stoffwechsellage verbessern, sondern durch diverse Wirkungen (u.a. Förderung der Insulinsekretion, Hemmung der Glukagonsekretion, Förderung der Sättigung durch ZNS-Effekte, Verminderung des Hungergefühls, Modulation der Magenentleerung) auch einen Gewichtsverlust bewirken können (13). Liraglutid und Semaglutid sind die im Moment bekanntesten Vertreter dieser Pharmaka-Klasse. In verschiedenen gross angelegten Studien zeigte sich eine ausgeprägte Gewichtsreduktion durch die Verabreichung des GLP-1-Agonisten Liraglutid (tägliche Anwendung) (14) und dessen Weiterentwicklung Semaglutid (wöchentlicher Anwendung) (15) mit und ohne begleitender Lifestyle-Intervention. Die gewichtsreduzierenden Effekte dieser Pharmaka sind etwa doppelt so hoch als wir dies von früheren Pharmaka her kennen. So induzierte Semaglutid nach einem guten Jahr in adipösen, nicht-diabetischen Patienten einen Gewichtsverlust von 14.9% (-15.3 kg) im Vergleich zu 2.4% (-2.6 kg) in der Placebo Gruppe (STEP-1-Studie). Knapp ein Drittel der Teilnehmer (32%) erreichte sogar einen Gewichtsverlust von über 20% (15). Dies sind in der Tat eindrückliche Resultate, welche erwartungsgemäss auch in einer Verbesserung diverser Risikofaktoren resultierten (Blutdrucksenkung oder Verbesserung des Lipidprofils). Im Moment ist es allerdings noch unklar, ob dadurch auch die kardiovaskulären Endpunkte beeinflusst werden. Wie heutzutage aus ethischen Gründen notwendig, haben alle Patienten gleichzeitig auch noch eine klassische Lebensstil-Intervention implementiert oder zumindest versucht zu implementieren. Letztere hatte einen langfristig wohl kaum zu unterschätzenden modulatorischen Effekt auf das Ausmass der Gewichtsreduktion (sogenannte STEP-3-Studie) (16). Auch wenn es keine konkreten Hinweise auf ein Nachlassen der Wirkung bei längerer Applikation gibt, wird sich erst bei breiterer Anwendung zeigen, wie nachhaltig diese neuen Therapiestrategien sind. In den bisherigen Studien zeigte sich eine Abflachung der Wirkung nach gut einem Jahr. Es scheint, dass die nicht pharmakologischen Massnahmen während der Applikation dieser Pharmaka nicht von zu grosser Bedeutung sind, allerdings werden diese bei Sistierung der medikamentösen Therapie zunehmende Bedeutung haben.

Die Entwicklung dieser GLP-1-Agonisten und im Besonderen auch deren orale Anwendungsmöglichkeiten sind Meilensteine der pharmakologischen Technologie und Innovation. Die kurzfristigen Nebenwirkungen (im Besonderen gastrointestinale Symptome wie z.B. Übelkeit und Erbrechen) sind unangenehm und unter Umständen auch ein Teil des therapeutischen Wirkprinzips; die Bedeutung und der Stellenwert von anderen langfristigen Nebenwirkungen (Pankreatitis, Cholelithiasis, oder medulläres Schilddrüsen-Karzinom bei entsprechender Prädisposition) sind zurzeit noch ungenügend bekannt.

opyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Paolo M. Suter

Klinik und Poliklinik für Innere Medizin
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8044 Zürich

paolo.suter@usz.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die Kontrolle des Übergewichts und der Adipositaspandemie kann mit Sicherheit nicht in der ärztlichen Sprechstunde oder im Operationssaal gelöst werden.
◆ In unserer täglichen Praxis können wir Patientinnen und Patienten auf individueller Basis mit neuen pharmakologischen Strategien behandeln.
◆ Mit einer personalisierten individuellen kombinierten nicht-pharmakologischen und pharmakologischen Therapie haben wir das Potential für einen nachhaltigen Erfolg auf individueller Ebene, dürfen aber die Treiber der Epidemie in der modernen Gesellschaft nicht ausser Acht lassen.

Messages à retenir
◆ La lutte contre l’obésité et la pandémie d’obésité ne peuvent certainement pas être résolues dans le cabinet du médecin ou dans la salle d’opération.
◆ Dans notre pratique quotidienne, nous pouvons traiter les patients sur une base individuelle avec de nouvelles stratégies pharmacologiques.
◆ Grâce à une thérapie individuelle personnalisée combinant des éléments non pharmacologiques et pharmacologiques, nous avons le potentiel pour un succès durable au niveau individuel, mais nous ne devons pas négliger les moteurs de l’épidémie dans la société moderne.

1. Müller MJ, Geisler C. Defining obesity as a disease. European Journal of Clinical Nutrition 2017;71:1256-8.
2. Jastreboff AM, Kotz CM, Kahan S, Kelly AS, Heymsfield SB. Obesity as a Disease: The Obesity Society 2018 Position Statement. Obesity 2019;27:7-9.
3. . (Accessed 1. Juli 2021, 2021, at https://de.wikipedia.org/wiki/Konsumgesellschaft.)
4. Pan X-F, Wang L, Pan A. Epidemiology and determinants of obesity in China. The Lancet Diabetes & Endocrinology 2021;9:373-92.
5. Lee D-H, Jeon H-J. The effect of the use of smartphone while walking on the electromyography activity of the lower extremity in young students. J Exerc Rehabil 2021;17:138-44.
6. Stettler N, Signer TM, Suter PM. Electronic games and environmental factors associated with childhood obesity in Switzerland. Obes Res 2004;12:896-903.
7. Gonçalves R, Barreto DA, Monteiro PI, et al. Smartphone use while eating increases caloric ingestion. Physiol Behav 2019;204:93-9.
8. Kim Y, Lee N, Lim Y. Gender differences in the association of smartphone addiction with food group consumption among Korean adolescents. Public Health 2017;145:132-5.
9. Zobel EH, Hansen TW, Rossing P, von Scholten BJ. Global Changes in Food Supply and the Obesity Epidemic. Current Obesity Reports 2016;5:449-55.
10. Hall KD, Ayuketah A, Brychta R, et al. Ultra-Processed Diets Cause Excess Calorie Intake and Weight Gain: An Inpatient Randomized Controlled Trial of Ad Libitum Food Intake. Cell Metab 2019;30:67-77.e3.
11. Srour B, Fezeu LK, Kesse-Guyot E, et al. Ultra-processed food intake and risk of cardiovascular disease: prospective cohort study (NutriNet-Santé). BMJ 2019;365:l1451.
12. Fazzino TL, Dorling JL, Apolzan JW, Martin CK. Meal composition during an ad libitum buffet meal and longitudinal predictions of weight and percent body fat change: The role of hyper-palatable, energy dense, and ultra-processed foods. Appetite 2021;167:105592.
13. Drucker DJ, Habener JF, Holst JJ. Discovery, characterization, and clinical development of the glucagon-like peptides. J Clin Invest 2017;127:4217-27.
14. Lundgren JR, Janus C, Jensen SBK, et al. Healthy Weight Loss Maintenance with Exercise, Liraglutide, or Both Combined. New England Journal of Medicine 2021;384:1719-30.
15. Wilding JPH, Batterham RL, Calanna S, et al. Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity. New England Journal of Medicine 2021;384:989-1002.
16. Wadden TA, Bailey TS, Billings LK, et al. Effect of Subcutaneous Semaglutide vs Placebo as an Adjunct to Intensive Behavioral Therapy on Body Weight in Adults With Overweight or Obesity: The STEP 3 Randomized Clinical Trial. JAMA 2021;325:1403-13.