Sterilitätstherapie: Letrozol versus Clomifen

Bei der Behandlung einer primären oder sekundären Sterilität sind zwei Arzneistoffe gebräuchlich: Letrozol und Clomifen. Clomifen wird als selektiver Oestrogenrezeptormodulator bereits seit 1956 in der Fertilitätstherapie verwendet. Letrozol ist ein Aromatasehemmer und wird in der Therapie von Brustkrebs eingesetzt. Der Effekt dieses Arzneimittels auf die Östrogenproduktion wird seit 2001 im Rahmen von Fertilitätsstudien untersucht. Im Folgenden werden zunächst die Fragen erörtert, welche im Rahmen der Therapie einer primären oder sekundären Sterilität entstehen, woraufhin die Therapie mittels der Arzneimittel Letrozol und Clomifen spezifiziert wird.

Pour traiter une stérilité primaire ou secondaire, deux substances sont couramment utilisés, à savoir le létrozole et le clomifène. Le clomifène, un modulateur sélectif des récepteurs aux oestrogènes, est utilisé depuis 1956 pour traiter des troubles de la fertilité. Le létrozole est un inhibiteur de l’ aromatase qui est utilisé dans le traitement du cancer du sein. L’ effet de cette substance sur la production d’  oestrogènes en cas de troubles de la fertilité est étudié depuis 2001. L’ article aborde d’ abord des questions générales qui se posent dans le cadre d’ un traitement de stérilité primaire ou secondaire. Par la suite, il spécifie les thérapies au clomifène et au létrozole.

Sterilität

Von einer primären oder sekundären Sterilität wird gesprochen, wenn innerhalb eines Jahres mit regelmässigem Geschlechtsverkehr keine Schwangerschaft eingetreten ist. Bei all diesen Paaren ist eine Basisabklärung indiziert. Diese beinhaltet eine ausführliche Anamnese mit Zyklusanamnese und eine körperliche und sonographische Untersuchung zum Ausschluss uteriner Malformationen und eine Überprüfung der Eileiterdurchgängigkeit. Eine frühzyklische hormonelle Diagnostik ist indiziert mit Beurteilung der Gonadotropine, der Androgene sowie zum Ausschluss von Schilddrüsenpathologien. Beim Partner ist neben der Anamnese eine Kontrolle des Spermiogramms zu empfehlen. Insbesondere bei einem polyzystischen Ovar-Syndrom (PCOS) sowie auch bei idiopathischer Sterilität kann eine Follikelstimulation mit sonographischem Follikelmonitoring zum optimierten Geschlechtsverkehr erfolgen, um die Schwangerschaftschancen zu verbessern.

Polyzystisches Ovar-Syndrom (PCOS)

Das PCOS gehört zu den häufigsten Ursachen einer Sterilität und betrifft bis zu 8-13% der Frauen im fertilen Alter. Gemäss den Rotterdam-Kriterien ist es definiert als Vorhandensein von mindestens zwei der drei folgenden Kriterien: Oligomenorrhoe und/oder Anovulation, klinische oder laborchemische Hyperandrogenämie und polyzystische Ovarien mit einem antralen Follikelcount AFC von > 20 (1). Neu in den ESHRE-Kriterien ist, dass bei alleinigem Vorliegen unregelmässiger Zyklen (über einen Zeitraum von mehr als 3 Jahren nach der Menarche hinaus) und eindeutigen klinischen Anzeichen der Hyperandrogenämie bereits die Diagnose des PCO-Syndroms gestellt werden kann – ohne zusätzliche Labor oder Ultraschalldiagnostik. Die polyzystische Ovar-Morphologie soll frühestens 8 Jahre nach der Menarche sonographisch beurteilt werden. Häufig ist ein Insulinresistenzsyndrom nachzuweisen, das eine entscheidende Rolle in der Pathogenese zu übernehmen scheint. Eine Therapie mittels Metformin ist in jedem Fall zu prüfen, wobei die Patientin über die Off-Label-Anwendung bei PCOS aufzuklären ist. In der Betreuung von Patientinnen mit PCOS sollte stets eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfolgen, um die Auswirkungen auf die Psyche, der Erfassung und Verringerung von kardiovaskulären Risiken und Lifestyle-Interventionen durchführen zu können. So sollen mögliche schwere gesundheitliche Folgen minimiert werden können (1).

Clomifen

Clomifen wird als selektiver östrogenrezeptormodulator bereits seit 1956 in der Fertilitätstherapie verwendet (Abb. 1A), (2). Es antagonisiert das negative Feedback von Östrogen am Hypothalamus, sodass eine gesteigerte ovarielle Stimulation aus dem Hypophysenvorderlappen durch die körpereigenen Gonadotropine erfolgt, was wiederum das Follikelwachstum stimuliert. Durch die frühzyklische orale Gabe von je 50 mg über 5 Tage ist es einfach sowie kostengünstig in der Anwendung (2). Obwohl es von vielen Frauen gut toleriert wird, sind unerwünschte Nebenwirkungen wie Stimmungsschwankungen und Hitzewallungen sowie eine erhöhte Mehrlingsrate bis 8% beschrieben (3). Durch die antiöstrogene Partialwirkung kommt es insbesondere bei wiederholten Anwendungen zu einem reduzierten Endometriumaufbau. Dies wird als Erklärung genommen für eine bescheidene Lebendgeburtrate von 22% nach der Anwendung von Clomifen über 6 Zyklen (2). Clomifen und seine Generika sind in der Schweiz nicht mehr erhältlich, können jedoch aus Deutschland bezogen werden für ca 10 CHF pro Anwendungszyklus.

Letrozol

Letrozol ist als Aromatasehemmer etabliert in der Therapie des Östrogenrezeptor-positiven Mammakarzinoms bei postmenopausalen Patientinnen (Abb. 1B). In prämenopausalen Frauen wird durch die verminderte Östrogenproduktion direkt die Hypothalamus-Hypophysen-Achse beeinflusst und die Gonadotropin-Produktion angeregt (3). Seit 2001 wird dieser Effekt im Rahmen von Fertilitätsstudien untersucht. Erklärbar durch die kurze Halbwertszeit wird kein negativer Effekt am Endometrium beobachtet (2). Weitere Vorteile zeigten sich in tieferen Mehrlingsraten durch monofollikuläre ovarielle Reaktion sowie ein günstigeres Nebenwirkungsprofil bezüglich vasomotorischen Reaktionen und Stimmungsschwankungen. Anfängliche Bedenken bezüglich eines teratogenen Effekts konnten statistisch nicht bestätigt werden (3). Die Studie von Legro (2014) zeigte weiter, dass die Gruppe der Frauen, die Letrozol erhielten, mehr kumulative Lebendgeburten hatten, als die Gruppe der Frauen, die Clomifen erhielten (103 von 374 Frauen [27,5%] vs. 72 von 376 [19,1%], p = 0,007, (Abb. 2A). Dieser Unterschied war zudem in der Gruppe der adipösen Frauen signifikant (Abb. 2B), nicht jedoch bei Normalgewichtigen, ein Phänomen, dass mit der peripheren Wirkungsweise der Aromatasehemmung assoziiert sein könnte.

Behandlungsempfehlung

Im Vergleich von Clomifen und Letrozol zeigt sich bei der Behandlung mit Letrozol eine signifikant höhere Lebendgeburtrate bei Frauen mit einem PCOS mit einer Lebendgeburtrate von bis zu 27.5% (3). Dieser Effekt zeigt sich insbesondere bei steigendem BMI ab 30 kg/m2. Dies ist durch den metabolischen Effekt durch die periphere Hemmung der Östrogenproduktion im Fettgewebe zu erklären.
Es hat sich die Behandlung mit 2.5 mg Letrozol täglich ab dem 3. Zyklustag für insgesamt 5 Tage etabliert mit anschliessendem Follikel-Monitoring um den 12. Zyklustag. Ab einer Follikelgrösse von 20 mm im Durchmesser ist mit der Ovulation zu rechnen und die Paare dementsprechend zum getimten Geschlechtsverkehr zu instruieren. Eine Lutealphasenunterstützung mit einem Progesteron ist bei stabiler 2. Zyklushälfte nicht nötig. Bei allfällig fehlendem Follikelwachstum kann die Letrozol-Dosis bis maximal 7.5 mg täglich für 5 Tage gesteigert werden. Die Patientinnen müssen vor einer allfälligen Behandlung ausführlich über das Wirkungsprofil, möglicher unerwünschter Nebenwirkungen sowie die Off-Label- Anwendung informiert werden. Deswegen erfolgt in der Schweiz keine Kostenübernahme durch die Krankenkasse, wodurch Selbstkosten von ca. 15 CHF pro Behandlungszyklus anfallen. Die restlichen Kosten werden nach unauffälliger Basisabklärung auf Gesuch bei der Krankenkasse in der Regel für 12 Monate übernommen.
Wir empfehlen die Zuweisung an ein spezialisiertes Kinderwunsch-Zentrum bei fehlendem Therapieerfolg nach maximal 5 Zyklen. Von einer frühzeitigen Zuweisung profitieren Paare mit allgemein eingeschränkter Prognose wie fortgeschrittenem Alter der Frau, bekannter Endometriose oder verminderter Spermienqualität. Dann kann mit dem Paar die Schwangerschaftschance einer monofollikulären konservativen Therapie mittels subkutaner Gonadotropine und Insemination versus weitere Kinderwunschtherapien wie In-vitro-Fertilisation oder intrazytoplasmatische Spermieninjektion ausführlich besprochen werden. Ausserdem kann bei relevanten Nebendiagnosen eine frühzeitige Vorstellung sinnvoll sein um eine Schwangerschaft im interdisziplinären Team mit präkonzeptioneller Beratung planen zu können.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Alexandra Kohl Schwartz

Frauenklinik Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern 16

alexandra.kohlschwartz@luks.ch

Pract. med. Jeannette von Holzen

Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern

jeannette.vonholzen@luks.ch

Die Autorinnen haben deklariert, dass sie in Zusammenhang mit diesem Artikel keinen Interessenkonflikt haben.

◆ Im Vergleich von Clomifen und Letrozol zeigt sich bei der Behandlung mit Letrozol eine höhere Lebendgeburtrate.
◆ Die Off-Label-Anwendung und die Selbstkosten von Letrozol müssen vor einer Therapie aufgeklärt werden.
◆ Eine Zuweisung in ein spezialisiertes Kinderwunsch-Zentrum ist sinnvoll nach maximal 5 frustranen Zyklen sowie frühzeitig bei eingeschränkter Fertilitätsprognose oder relevanten Nebendiagnosen.
◆ Clomifen und seine Generika sind in der Schweiz nicht mehr erhältlich, können jedoch aus Deutschland bezogen werden für ca 10 CHF pro Anwendungszyklus.

Messages à retenir
◆ En comparant les traitements par clomifène et létrozole, on constate pour ce dernier un meilleur taux de naissances avec enfant vivant.
◆ Avant tout traitement au létrozole, il faut expliquer (« informed consent ») son prix élevé et le fait qu’ il s’ agit d’ une utilisation «off-label».
◆ Il est judicieux d’ adresser la patiente à un centre spécialisé (de procréation médicalement assistée – « PMA », en allemand «Kinder-
wunsch-Zentrum») après au maximum 5 cycles de traitement infructueux et bien plus tôt en cas de pronostic de fertilité réduite ou en
présence de diagnostics secondaires pertinents.
◆ Pour le clomifène à signaler qu’ il n’ est plus en vente en Suisse et doit être acheté à l’ étranger (coût env. CHF 10.– par cycle traité).

1. Teede HJ, Misso ML, Costello MF, Dokras A, Laven J, Moran L, Piltonen T, Norman RJ; International PCOS Network. Recommendations from the international evidence-based guideline for the assessment and management of polycystic ovary syndrome. Hum Reprod. 2018 Sep 1;33(9):1602-1618. doi: 10.1093/humrep/dey256.
2. Palomba. Aromatase inhibitors for ovulation induction. J Clin Endocrinol Metab. 2015 May;100(5):1742-7. doi: 10.1210/jc.2014-4235. Epub 2015 Feb 24. PMID: 25710566 DOI: 10.1210/jc.2014-4235
3. Legro RS, Brzyski RG, Diamond MP, Coutifaris C, Schlaff WD, Casson P, Christman GM, Huang H, Yan Q, Alvero R, Haisenleder DJ, Barnhart KT, Bates GW, Usadi R, Lucidi S, Baker V, Trussell JC, Krawetz SA, Snyder P, Ohl D, Santoro N, Eisenberg E, Zhang H; NICHD Reproductive Medicine Network. Letrozole versus clomiphene for infertility in the polycystic ovary syndrome. N Engl J Med. 2014 Jul 10;371(2):119-29. doi: 10.1056/NEJMoa1313517.

Komplementärmedizin bei Mammakarzinom-Patientinnen

Brustkrebspatientinnen wünschen sich eine Integration von Komplementärmedizin in die ärztliche Versorgung. Dieser Artikel gibt Antworten auf eine häufig gestellte Frage: «Was kann ich noch tun, um meinen Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen oder Nebenwirkungen der Therapie zu reduzieren?» Es gibt evidenzbasierte supportive Massnahmen aus der Komplementärmedizin, die laut Praxis-Leitlinien für bestimmte Symptome oder zur Besserung der Lebensqualität empfohlen werden können.

Les patientes atteintes d’un cancer du sein souhaitent intégrer la médecine complémentaire dans leur suivi thérapeutique. Cet article répond à la question fréquente «Que puis-je faire moi-même pour influencer positivement le décours de ma maladie et/ou minimiser les effets adverses de la thérapie ?» Des mesures de soutien basées sur des preuves provenant de la médecine complémentaire existent. Et selon les lignes directrices pour la pratique elles peuvent être recommandées pour bien des symptômes et/ou pour améliorer la qualité de vie.

Die Situation

Im Juli 2021 wurde die erste S3-Leitlinie zu komplementären Therapien im deutschen Leitlinienprogramm Onkologie publiziert. Ein grosser Teil der dort zusammengestellten Studien wurde mit Brustkrebspatientinnen durchgeführt und je nach Umfrage ist mindestens jede zweite Patientin eine Nutzerin (1). Die Beweggründe der Patientinnen für das Interesse an Komplementärmedizin sind vielfältig. Es ist wichtig, diese zu erfragen, um auch passende Informationen und Empfehlungen geben zu können. Wenn die Erwartungen der Patientin und der Ärztin, des Arztes an die Inhalte des Gesprächs und an die Frage, was Komplementärmedizin leisten kann, nicht abgeglichen werden, kann dies zu Missverständnissen oder gar zu Unzufriedenheit führen.
Der Fokus dieses Artikels liegt auf der supportiven Anwendung von komplementären Therapien im Sinne einer integrativen Onkologie. Diese wurde von der internationalen Society for Integrative Oncology definiert (2) (Definition s. Box 1).
Drei Aspekte aus dieser Definition – Patientenzentrierung, Evidenz und Patientinnen als aktive Teilnehmerinnen in der Krebsbehandlung – sollen in diesem Artikel näher ausgeführt werden.
Ziel ist es auch, das Thema Komplementärmedizin in den Kontext der alltäglichen Praxis zu setzen.

Evidenz aus Leitlinien

Seit einiger Zeit liegt bereits die Praxisleitlinie der Society for Integrative Oncology (SIO) zur Komplementärmedizin bei Brustkrebs vor, die von der American Society for Clinical Oncology (ASCO) (3) anerkannt wurde. Diese wird nun durch die deutlich umfangreichere S3-Leitlinie zu Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen der AWMF ergänzt (4). Ein Auszug wichtiger Empfehlungen aus beiden Leitlinien ist in Tab. 1 dargestellt. Bei den beiden Leitlinien wird deutlich, dass hauptsächlich die nicht-pharmakologischen Therapien, wie z.B. Yoga, Achtsamkeitstraining oder Akupunktur/Akupressur empfohlen werden. Diese werden in Tab. 2 etwas näher ausgeführt. Diese Verfahren berücksichtigen zumeist den Wunsch vieler Frauen mit Brustkrebs, selber etwas aktiv tun zu können. Neben der positiven Evidenz aus wissenschaftlichen Studien haben sie auch den Vorteil, dass sie sich zumeist gut mit der antitumoralen Therapie kombinieren lassen, ohne dass man auf Interaktionen achten muss.
Hingegen liegt für Phytotherapeutika und Nahrungsergänzungsmittel weniger Evidenz vor, und diese sind eher mit einem Risiko der Interaktion mit der antitumoralen Behandlung assoziiert. In der Schweiz wird aber auch die Misteltherapie häufig von Patientinnen mit Brustkrebs nachgefragt. Nach der S3-Leitlinie kann die subkutan verabreichte Misteltherapie im Einzelfall zur Verbesserung der Lebensqualität empfohlen werden, während die Leitlinie der SIO sich aufgrund der unterschiedlichen Präparate und wenig Erfahrung mit Misteltherapie in den USA eher zurückhaltend äussert. In der S3-Leitlinie gibt es jedoch auch Therapien, von denen abgeraten wird. Diese sind in Tab. 3 zusammengefasst.

Die Patientin im Zentrum

Es ist wichtig die Empfehlungen zur Komplementärmedizin und das Gespräch dazu an die Patientin anzupassen, denn «one size fits all» widerspricht dem Prinzip einer Integrativen Onkologie. Es ist gut, die Werte und Wünsche der Patientin sowie mögliche kulturelle Einflüsse zu kennen oder zu erfragen, bevor man spezifische Empfehlungen ausspricht. Es gibt z.B. Patientinnen, denen achtsamkeitsbasierte Verfahren zu «spürig» sind, während andere sich davon stark angesprochen fühlen.
Auch Vorerfahrungen spielen eine Rolle. Viele Frauen haben bereits vor ihrer Brustkrebserkrankung Komplementärmedizin genutzt. Daraus entstehen Erwartungen, die sich auf die Auswahl und möglicherweise auch die Wirksamkeit komplementärer Therapien während der Brustkrebserkrankung auswirken können. Bisherige Forschung zu Erwartungen an das Therapieergebnis zeigt, dass positive Vorerfahrungen sich auf die Erwartungen auswirken und dass hohe Erwartungen an den Therapieoutcome den Placeboeffekt steigern können. Umgekehrt kann die Erwartung von Nebenwirkungen auch zu mehr Nebenwirkungen führen. Eine Beobachtungsstudie mit 111 Patientinnen über 24 Monate (5) weist z.B. darauf hin, dass negative Erwartungen bzgl. einer endokrinen Behandlung bei Brustkrebs das Risiko von behandlungsspezifischen Nebenwirkungen, Nocebo-Nebenwirkungen und Non-Adhärenz erhöhen können. Placebo und Nocebo spielen in der Medizin eine wichtige Rolle (6) und die Aufklärung der Patientin darüber kann helfen, Nebenwirkungen zu reduzieren (7). Es ist kein primär komplementärmedizinisches Thema, lässt sich aber im Gespräch gut damit kombinieren.
Das Interesse an Komplementärmedizin und die Vorerfahrungen mit Komplementärmedizin lassen sich gut anhand von Fragebögen erfassen. Verwendet man Fragebögen in der Praxis, ist es aber zwingend, diese auch zusammen mit den Patientinnen in der Sprechstunde zu besprechen, um die Sinnhaftigkeit des Ausfüllens aufzuzeigen.

Die Patientin zur aktiven Teilnehmerin am Behandlungsprozess machen

Die aktive Einbindung der Patientinnen in die Behandlung ist ein wichtiges Element in der integrativen Onkologie und eine Stärke einiger komplementärmedizinischer Therapien. Eine Akupressur (z.B. bei Übelkeit oder Fatigue), welche die Patientin selbst durchführen kann, hat sehr viel mehr aktiven Anteil als eine vom Behandler oder von der Behandlerin durchgeführte Akupunktur. Bei der aktiven Teilnahme geht es auch um eine Verbesserung der Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit wird von Schwarzer beschrieben als die subjektive Überzeugung, kritische Anforderungssituationen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können (8). Dabei wird an neue oder schwierige Situationen aus allen Lebensbereichen gedacht sowie an Barrieren, die es zu überwinden gilt. Dabei wird auch von der Annahme ausgegangen, dass Menschen ihre Erfolgs- und Misserfolgserfahrungen sich selbst zuschreiben und danach generalisieren. Dies zeigt auch, wie wichtig es ist, mit der Patientin realistische Ziele bei geplanten Lebensstiländerungen zu vereinbaren. Bei zu hoch gesteckten Zielen (z.B. ich mache ab morgen jeden Tag 30 Minuten Sport) ist die Gefahr einer Misserfolgserfahrung zu gross. Auch ist es wichtig, Lebensstiländerungen mit sog. «Behavioural Change Techniques» zu begleiten, um die langfristige Umsetzung zu sichern. Zu den bewährten Techniken gehören z.B. die Setzung von realistischen Zielen, die Identifikation von Barrieren, eine Umsetzungsplanung sowie die soziale Unterstützung bei der Durchführung.

Integration in die Praxis und Zugang zu Ressourcen

Komplementärmedizin kann man unterschiedlich in den gynäkologischen Praxisalltag integrieren. Man kann Patientinnen Informationen zu dem Thema geben, mit Patientinnen komplementäre Therapien auswählen oder auch Patientinnen mit komplementären Therapien behandeln (9).
Viele Patientinnen erwarten von ihrer Gynäkologin oder von ihrem Gynäkologen zumindest eine kompetente Beratung zum Thema Komplementärmedizin oder besser noch ein konkretes Angebot. Die Leitlinien zeigen, dass es dabei nicht um die Verordnung von Vitaminen und Nahrungsergänzungsmitteln geht, sondern zumeist um nicht-pharmakologische Verfahren. Es geht aber auch darum, der Patientin Zugang zu entsprechenden qualitätsgesicherten Angeboten vermitteln zu können, wenn diese in der eigenen Praxis oder Klinik nicht vorhanden sind. Unser in einem wissenschaftlichen Konsensusprozess (10) entwickelte Flyer für seriöse Anbieter kann hier heruntergeladen und mit einem Verweis auf die eigene Praxis oder Klinik versehen werden: http://www.iki.usz.ch/forschung/Seiten/kokon-kto.aspx.
Auch Online-Angebote können hilfreich sein. Laut S3-Leitlinie «Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten» sollen jeder Krebspatientin Entspannungsverfahren empfohlen werden (11). Jedoch haben nicht alle Patientinnen dazu Zugang. Auf unserer Webseite am Universitätsspital Zürich ermöglichen wir einen kostenlosen Zugang zu Audios mit Entspannungsübungen für Menschen mit Krebserkrankungen: https://www.mbm-usz.ch/krebs/.
Möchte man sich selbst fortbilden, so bietet die Kommission Integrative Medizin der Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Onkologie ein strukturiertes Fortbildungscurriculum zur integrativen Medizin (12) für Ärztinnen und Ärzte an, welches auch unser evidenzbasiertes Training beinhaltet und international abgestimmte Kompetenzen für integrative Onkologie vermittelt (13, 14).

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Claudia M. Witt, MBA

Institut für komplementäre und integrative Medizin
Universitätsspital Zürich
Sonneggstrasse 6
8091 Zürich

claudia.witt@uzh.ch

Renate Rugieri Stiftung; Schweizer Fachverband Mind Body Medicine; International Association for Mind-Body-Medicine and -Health e.V. (IAM); Arbeitsgruppe Supportive and Palliative Care der Swiss Group for Clinical Cancer Research (SAKK); Arbeitsgruppe «Interprofessionalität» der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW); Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie; Society of Integrative Oncology (SIO); Society of Acupuncture Research.

◆ Brustkrebspatientinnen wünschen sich eine Integration von Komplementärmedizin in die Versorgung und das Thema sollte besprochen werden.
◆ Es ist wichtig, die Beweggründe der Patientin zu verstehen und die Erwartungen bezüglich des Gesprächs und an die komplementären Therapien vorher abzugleichen.
◆ Die Empfehlungen zur Komplementärmedizin sollten evidenzinformiert und patientenzentriert sein.
◆ Verfahren, die eine aktive Beteiligung der Patientinnen ermöglichen, sollten bevorzugt werden und Lebensstiländerungen sollten unterstützend begleitet werden.

Messages à retenir
◆ Les patientes atteintes d’un cancer du sein souhaitent l’intégration de la médecine complémentaire dans leur prise en charge. Ce sujet devrait être abordé avec elles.
◆ Il est très important de comprendre ce qui motive la patiente et ce qu’elle attend de l’entretien et des thérapies complémentaires afin de s’accorder avec elle.
◆ Les recommandations pour la médecine complémentaire devraient être éclairées par l’évidence scientifique et centrées sur l’individualité de la patiente.
◆ Des procédures permettant une participation active de la patiente devraient être envisagées en premier lieu, et un changement du style de vie devrait être accompagné et soutenu.

1. Keene MR, Heslop IM, Sabesan SS, Glass BD. Complementary and alternative medicine use in cancer: A systematic review. Complementary therapies in clinical practice 2019;35:33-47
2. Witt CM, Balneaves LG, Cardoso MJ, Cohen L, Greenlee H, Johnstone P, et al. A comprehensive definition for integrative oncology. J Natl Cancer Inst Monogr 2017;2017(52):lgx012
3. Lyman GH, Bohlke K, Cohen L. Integrative therapies during and after breast cancer treatment: ASCO endorsement of the SIO clinical practice guideline summary. Journal of oncology practice 2018;14(8):495-499
4. Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF. Leitlinienprogramm Onkologie: Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen. 2021 (Verfügbar: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/032-055OL.html)
5. Nestoriuc Y, von Blanckenburg P, Schuricht F, Barsky AJ, Hadji P, Albert US, et al. Is it best to expect the worst? Influence of patients’ side-effect expectations on endocrine treatment outcome in a 2-year prospective clinical cohort study. Ann Oncol 2016;27(10):1909-1915
6. Schedlowski M, Enck P, Rief W, Bingel U. Neuro-Bio-Behavioral Mechanisms of Placebo and Nocebo Responses: Implications for Clinical Trials and Clinical Practice. Pharmacol Rev 2015;67(3):697-730
7. Evers AWM, Colloca L, Blease C, Gaab J, Jensen KB, Atlas LY, et al. What Should Clinicians Tell Patients about Placebo and Nocebo Effects? Practical Considerations Based on Expert Consensus. Psychotherapy and psychosomatics 2021;90(1):49-56
8. Schwarzer RJ, Jerusalem M. Allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung (SWE). 2021 (Verfügbar: www.selbstwirksam.de)
9. Witt C, Müller T. Komplementärmedizin in der gynäkologisch-onkologischen Sprechstunde: Wie mache ich mich fit dafür? Gynäkologe 2021;54:32-37
10. Rogge AA, Baur I, Blettner G, Holtkamp U, Horneber M, Jahn P, et al. Defining criteria for guiding cancer patients to find a reputable complementary medicine provider: Results of a literature review and a consensus procedure. Patient Preference and Adherence 2020;14:747-755
11. Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF. Leitlinienprogramm Onkologie: Leitlinie Psychoonkologie. 2021 (Verfügbar: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/psychoonkologie/)
12. Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie e.V. AGO. Kommission IMed (Integrative Onkologie in der Medizin). 2021 (Verfügbar: https://www.ago-online.de/ago-kommissionen/kommission-imed)
13. Witt CM, Balneaves LG, Carlson LE, Cohen M, Deng G, Fouladbakhsh JM, et al. Education Competencies for Integrative Oncology-Results of a Systematic Review and an International and Interprofessional Consensus Procedure. J Cancer Educ 2020
14. Witt CM, Helmer SM, Schofield P, Wastell M, Canella C, Thomae AV, et al. Training oncology physicians to advise their patients on complementary and integrative medicine: An implementation study for a manual-guided consultation. Cancer 2020;126(13):3031-3041

Deutlich geringere Mastektomieraten bei Patientinnen

Brustkrebs (BC) ist der häufigste Krebs bei Frauen in der Schweiz, so wie in den meisten europäischen Ländern (1), und seine Inzidenz gehört zu den höchsten weltweit. Die Daten unseres Krebsregisters zeigen, dass die 5-Jahres-Überlebens­rate von Patientinnen mit Brustkrebs bei etwa 85% liegt, was einer deutlichen Verbesserung entspricht im Vergleich zu den Raten vor einigen Jahrzehnten. Die 5-Jahres-Überlebensrate ist auch deutlich besser als in manchen asiatischen Ländern, wo sie bei etwa 40% liegt. Es ist nicht ganz klar, inwieweit dieses − international gesehen − ausgezeichnete Behandlungsergebnis der Früherkennung, der verbesserten operativen und strahlentherapeutischen Möglichkeiten, der wirkungsvolleren medikamen­tösen Therapien oder der zunehmenden Behandlung in zertifizierten Brustzentren zuzuschreiben ist.

Le cancer du sein (BC) est le cancer le plus fréquent chez les femmes en Suisse, comme dans la plupart des pays européens (1), et son incidence est parmi les plus élevées au monde. Les données de notre registre du cancer montrent que le taux de survie à 5 ans des patients atteints d’un cancer du sein est d’environ 85 %, ce qui représente une amélioration significative par rapport aux taux d’il y a plusieurs décennies. Le taux de survie à 5 ans est également nettement meilleur que dans certains pays asiatiques, où il se situe autour de 40 %. Il n’est pas tout à fait clair dans quelle mesure cet excellent résultat de traitement −en termes internationaux − peut être attribué à un dépistage précoce, à l’amélioration des options chirurgicales et de radiothérapie, à des pharmacothérapies plus efficaces ou à l’augmentation des traitements dans des centres mammaires certifiés.

In früheren randomisierten Studien konnte gezeigt werden, dass durch regelmässige Teilnahme am Screening die Mortalität im Vergleich zu einer nicht gescreenten Gruppe um ca. 20% gesenkt werden konnte (2). Über andere Auswirkungen, insbesondere auf die Lebensqualität, wird weniger berichtet. Eine Niederländische Simulationsstudie (3) kommt allerdings zu dem Schluss, dass Screening nicht nur Leben verlängert, sondern teilnehmende Frauen zusätzlich noch eine bessere Lebensqualität haben. Inwieweit solche Effekte bei uns gefunden werden können, ist Gegenstand dieser Studie. Insbesondere interessiert es uns, ob durch ein organisiertes Screening der Anteil Mastektomien gesenkt werden konnte.

Systematische Screeningprogramme in der Schweiz

Das erste Brustkrebsfrüherkennungsprogramm in der Schweiz startete 1993 mit einem Pilot im Kanton Waadt. Danach folgten weitere Westschweizer Kantone (Genf, Waadt, Neuenburg, Freiburg, Wallis, Jura und Berner Jura) und ab 2010 das erste Deutschweizerprogramm in St.Gallen, sowie in der Folge Graubünden, Thurgau, Basel-Stadt, Bern und Tessin. Die einzelnen Programme sind unterschiedlich aufgebaut, beruhen jedoch alle auf Mammographien für Frauen ab 50 Jahren in zweijährlichen Abständen.
Basierend auf einem entsprechenden kantonalen Gesetz wurde die Krebsliga Ostschweiz im Jahre 2008 durch einen Leistungsauftrag vom Kanton St. Gallen damit beauftragt, ein systematisches, qualitätskontrolliertes Brustkrebsfrüherkennungsprogramm aufzustellen und durchzuführen. Dies wurde von der Krebsliga Ostschweiz 2010 unter dem Namen donna gestartet und das gleich aufgebaute Programm wurde in den folgenden Jahren durch Leistungsaufträge der betroffenen Kantone ausgeweitet auf die Kantone Graubünden (2011), Bern (2019) und Solothurn (2020). Das Programm donna ist somit das grösste Mammographiescreening Programm der Schweiz.
Die Screeningzentrale in St.Gallen versendet auf der Grundlage von Daten des Einwohnerregisters des Kantons St.Gallen allen Frauen zwischen dem 50. und 69. Altersjahr in zweijährigen Abständen eine Einladung für eine Mammographie. Radiologen und deren Institutionen konnten sich für eine Teilnahme bewerben und wurden nach Erfüllen von Qualitätskriterien und nach einer erfolgreich durchgeführten Schulung in das Programm aufgenommen. Alle Mammographien werden jeweilen unabhängig von zwei Radiologen befundet und die Befunde standardisiert in ein Computerprogramm übertragen. Bei diskrepanter Beurteilung erfolgt eine Drittlesung durch den ärztlichen Programmleiter und Besprechung unter den Radiologen in den wöchentlichen Konsensuskonferenzen. Das Programm erstellt einen jährlichen Qualitätsbericht, der von einem Fachexpertengremium kritisch beurteilt und auch im Rahmen des nationalen Monitoring durch Swiss Cancer Screening veröffentlicht wird.
Falls aufgrund des Mammographiebefundes eine weitere Abklärung nötig wird, empfiehlt die Programmzentrale der Frau eine Abklärung möglichst innerhalb der akkreditierten Mammographieerstellungs- und Abklärungsinstitution in Wohnortnähe, aber auf Wunsch auch anderswo.
Für die Teilnehmerinnen ist die Erstellung der Screening- Mammographie kassenpflichtig und im Rahmen der kantonalen Screeningprogramme auch von der Franchise befreit und die teilnehmende Frau zahlt somit nur den Selbstbehalt von 10%.
Falls beim Screening etwas Auffälliges entdeckt wird, erfolgen weitere Abklärungen mittels Ultraschall und/oder zusätzlichen gezielten radiologischen Aufnahmen, einer Biopsie, Besprechung im Tumorboard und je nach Befund auch eine Operation. Dieses Vorgehen erfolgt in einer eingespielten, koordinierten und interdisziplinären Behandlungskette nach strikten qualitativen und zeitlichen Vorgaben nach Möglichkeit in einem zertifizierten Brustzentrum.
Die Teilnahmerate bei diesem Programm ist über die Jahre angestiegen und liegt aktuell kantonsweit bei knapp 50%. Viele Frauen in der Zielgruppe lassen sich ausserhalb dieses Screening-Programms untersuchen. Frauen mit hohem Krebsrisiko, wie genetische Prädisposition bei pathogenen Mutationen in den BRCA 1/2 Genen, PABL2 und weiteren Konstellationen werden risikoadaptiert intensiver untersucht, so unter Einsatz von MRI, und sind vom populationsbasierten Screening ausgeschlossen. Nicht im Screening sind auch Frauen nach erfolgter Brustkrebsdiagnose. Zahlenmässig sind für die Nicht-teilnehmenden allerdings in der Schweiz keine verlässlichen Angaben erhältlich, auch nicht, wie viele Frauen gar keine regelmässige Brustkrebsvorsorge durchführen.

Kleinere Tumore im donna Brustkrebsprogramm im Kanton St.Gallen

Das donna-Programm hat sein Ziel der Früherkennung erreicht: Es wurden kleinere Tumoren gefunden, als in der gleichen Altersgruppe (50 – 69 Jahre) ohne ein Screening. 61% der Screening-Teilnehmerinnen haben das vorteilhafteste Stadium I, bei Nicht-Teilnehmerinnen sind es lediglich 32%. Drei Viertel der im Programm gescreenten Tumoren sind höchstens 2 cm gross (T1). Ausserhalb des Screening-Programms misst die Hälfte der Tumoren mehr als 2 cm. Kleinere Tumoren können oft schonender behandelt werden. Bei 70% der Screening-Teilnehmerinnen ist der Tumor auf die Brust beschränkt (kein Lymphknotenbefall), bei Nicht-Teilnehmerinnen nur bei 58%. Dies ist neben der kleineren Tumorgrösse ein weiterer Vorteil für die Betroffenen, was die Prognose der Brustkrebserkrankung betrifft. Karzinome im fortgeschrittensten Stadium IV kommen im Screeningprogramm nur sehr selten vor, 1% vs. 12% ausserhalb des Programms.

Halb so viele Mastektomien mit dem donna-Programm

10% der Patientinnen, deren Krebserkrankung im donna-Programm entdeckt wurde, werden mit einer Mastektomie behandelt. Bei den Patientinnen, welche nicht am Programm teilgenommen haben, sind dies dagegen 24%. Der Effekt der niedrigeren Stadien im Screening ist dabei aber nur einer von mehreren Faktoren. Denn, überaus bemerkenswert: Selbst wenn man einzig Patientinnen mit gleichem Schweregrad der Erkrankung (Stadium, Grösse, Lymphknotenbefall) miteinander vergleicht zeigt sich, dass Patientinnen im donna-Programm viel eher brusterhaltend therapiert werden. Die Grösse eines Tumors ist ein wichtiges Entscheidungskriterium für eine Mastektomie – aber auch andere Faktoren, wie die Wünsche der Patientinnen und Einstellungen von Ärzten spielen gewichtige Rollen. Bei Tumoren kleiner als 2 cm war nur bei 6,5% der Frauen aus dem donna-Programm eine Brustamputation (Mastektomie) nötig. Bei Patientinnen ausserhalb des Programms waren es mit 13% doppelt so viele Brustamputationen. Bei Tumoren mittlerer Grösse (2-5cm) waren es 18% bei donna und 28% ausserhalb, und bei den grössten Tumoren 60% vs. 74%.
Dabei spielte das Alter der Frauen keine Rolle, wie wir mit weiteren statistischen Tests festgestellt haben. Das mittlere Alter ist bei beiden Gruppen 60 Jahre.

Diskussion

Die vorliegende Auswertung ergab, dass ein organisiertes Brustkrebsscreening mittels zweijährlichen Mammographien ab dem Alter 50 bis 69 Jahren in erwarteter Weise dazu führt, dass Tumore in einem früheren und somit auch besser kurablen Stadium diagnostiziert werden.
Die Mortalität von Brustkrebs hat in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz, aber auch im übrigen Europa und den USA stark abgenommen. In diesen Jahren sind sowohl Verbesserungen im Screening, so die Einführung der digitalen Mammographie, wie auch sehr bedeutende Änderungen in der Behandlung, vor allem auch der adjuvanten medikamentösen Therapie erfolgt. Beobachtende Untersuchungen legen nahe, dass diese hauptsächlich für die verminderte Mortalität verantwortlich ist. (4). Eine regelmässige Teilnahme am Screening reduziert die Sterblichkeit aber nach wie vor um ca. 20%, wie vor kurzem bestätigt wurde (5).
Das Screening darf jedoch keinesfalls, wie leider immer noch häufig gemacht, nur in Bezug auf einen möglichen Überlebensvorteil beurteilt werden. So ist bekannt, dass die Einführung von Screening in Zusammenhang mit Schulung und Qualitätskontrollen ganz allgemein die Qualität der Brustkrebsbehandlung erhöht. So führte die Qualitätskontrolle bei der Erstellung und Beurteilung von Screening-Mammographien gemäss Erfahrungen von betreuenden Ärzten auch bei uns dazu, dass Mammographien sogar ausserhalb der Screeningpopulation eine höhere Qualität als früher aufweisen.
Heutzutage bewertet man Screeningprogramme in Bezug auf Qualitäts-adjustierte Lebensjahre (QALY). Diese haben zudem den Vorteil, dass sie sämtliche positiven und negativen Effekte des Screening berücksichtigen können. Dadurch liess sich feststellen, dass das Screening nicht nur Leben verlängert, sondern auch insgesamt für eine höhere Lebensqualität sorgt (3).
Der Entscheid zwischen brusterhaltender Operation und Mastektomie erfolgt auf der Basis verschiedener Faktoren, wobei neben der Tumorgrösse auch die Grösse der Brust, Erfahrungen, Ausbildung und Einstellungen der beteiligten Ärzte eine Rolle spielen, wie auch der Wunsch der betroffenen Patientinnen. Eine weniger eingreifende brusterhaltende Operation bedeutet einen kleineren, weniger belastenden Eingriff für die Patientin, welcher das Körperbild weniger beeinträchtigt als eine Mastektomie, und trägt damit zu einer besseren Lebensqualität bei gleich guten Behandlungsresultaten bei. Dass dieser positive Effekt auch in unserem Kanton nachgewiesen werden konnte, ist ein wichtiges Resultat unseres Früherkennungsprogramms und ein gutes Argument, dieses Programm weiterzuführen, bzw. auch in anderen Kantonen, wo es noch nicht läuft, einzuführen. Zudem sind die Gesamtkosten für organisiertes Screening nur etwa halb so hoch gegenüber freiwilligem, sogenannten opportunistischen Screening (6).
Mit unserer Untersuchung konnten wir zeigen, dass der deutliche Unterschied in den Mastektomieraten bei Screeningteilnehmerinnen zu Nichtteilnehmerinnen nicht nur durch niedrigere Stadien erklärt wird. Vielmehr konnten wir beobachten, dass bei im Screening entdeckten Karzinomen ganz unabhängig von Stadium oder Tumorgrösse stets deutlich weniger häufig eine Mastektomie durchgeführt wird. Mögliche Faktoren können sein, dass sich die Frauen in der gescreenten Population von der nicht gescreenten in ihren Ansichten, Wünschen und Inanspruchnahme von medizinischen Dienstleistungen unterscheiden. Wir vermuten, ohne dies mit den vorliegenden Daten beweisen zu können, dass in der Screeningpopulation bei einem diagnostizierten Karzinom die weiteren Abklärungs- und Behandlungsschritte inklusive Vorstellung an einem prä- und postoperativen Tumorboard in eingespielten Teams zertifizierter Brustzentren auch wesentlich zu diesem Unterschied jenseits der Auswirkungen der Tumorgrösse beigetragen hat.
Ergebnisse einer vorherigen Studie (7) zeigen, dass Patientinnen mit Brustkrebs in Regionen der Schweiz mit einem bevölkerungsbasierten Screening-Programm generell eher brusterhaltend operiert werden, verglichen mit Regionen ohne ein Programm. Es ist also möglich, dass ein zusätzlicher, stadienunabhängiger Unterschied auch in diesen Kantonen besteht.
Um den weiteren Nutzen der Screening Programme zu dokumentieren auch unter geänderten Screening Methoden, verbesserter Behandlung und generell sinkender Mortalität bleibt eine wiederholte Überwachung und Reevaluation der laufenden Programme notwendig. Zurzeit ist jedoch die Screening Mammographie weiterhin die am besten dokumentierte und anerkannte Screeening Methode.

Dr. phil. Christian Herrmann, christian.herrmann@krebsregister-ost.ch
Dr. med. Esther Walser
Dr. med. Mohsen Mousavi
Krebsregister Ostschweiz, Flurhofstrasse 7, 9000 St. Gallen
Prof. Dr. med. Beat Thürlimann
Brustzentrum, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95, 9007 St.Gallen
Dr. med. Rudolf Morant
Tumorzentrum ZeTuP Alte Jonastrasse 24, 8640 Rapperswil-Jona
Krebsliga Ostschweiz, Flurhofstrasse 7, 9000 St. Gallen

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. phil.Christian Herrmann

Krebsregister Ostschweiz, Flurhofstrasse 7, 9000 St. Gallen

Christian.Herrmann@krebsregister-ost.ch

Dr. med.Rudolf Morant

Krebsliga Ostschweiz
Flurhofstrasse 7
9000 St. Gallen

Alle Autoren bestätigen, dass ihre Institutionen oder Dritte keinen Einfluss auf die Analysen und das Manuskript hatten. CH, EW, MM arbeiten für das Krebsregister Ostschweiz, das von der Krebsliga Ostschweiz betrieben wird und die auch das donna-Programm durchführt. RM ist Präsident der Krebsliga Ostschweiz. BT und RM waren an Institutionen beschäftigt, die Screeningaufnahmen getätigt haben.

◆ Das 5-Jahres-Überleben mit Brustkrebs verbessert sich aus mehreren Gründen kontinuierlich und liegt bei uns aktuell bei 85%.
◆ Die Mammographiescreeningprojekte führen allgemein zu einer besseren Versorgung auch bei Frauen, die nicht am Screening teilnehmen.
◆ Die Mastektomierate bei im Screening diagnostizierten Karzinomen ist halb so hoch wie bei nicht im Screening diagnostizierten Tumoren.
◆ Dieser Beitrag zu einer besseren Lebensqualität ist nur teilweise durch die früheren Stadien bei screening diagnostizierten Tumoren erklärt.

Messages à retenir
◆ Le taux de survie à 5 ans pour le cancer du sein s’améliore continuellement pour plusieurs raisons et chez nous s’élève actuellement à 85%.
◆ Les projets de dépistage par mammographie permettent généralement d’améliorer les soins, même pour les femmes qui ne participent pas au dépistage.
◆ Le taux de mastectomie pour les carcinomes diagnostiqués lors du dépistage est deux fois moins élevé que pour les tumeurs non diagnostiquées lors du dépistage.
◆ Cette contribution à une meilleure qualité de vie ne s’explique que partiellement par les stades précoces des tumeurs diagnostiquées lors du dépistage.

1. Bray, F., et al., Cancer Incidence in Five Continents, Vol. XI in IARC Scientific Publications, IARC, Editor. 2017, IARC. : Lyon.
2. Marmot, M.G., et al., The benefits and harms of breast cancer screening: an independent review. Br J Cancer, 2013. 108(11): p. 2205-40.
3. Sankatsing, V.D., et al., Cost-effectiveness of digital mammography screening before the age of 50 in The Netherlands. Int J Cancer, 2015. 137(8): p. 1990-9.
4. Autier, P., et al., Breast cancer mortality in neighbouring European countries with different levels of screening but similar access to treatment: trend analysis of WHO mortality database. BMJ, 2011. 343: p. d4411.
5. Beau, A.-B., et al., Limitations in the Effect of Screening on Breast Cancer Mortality. Journal of clinical oncology : official journal of the American Society of Clinical Oncology, 2018. 36(30): p. 2988-2994.
6. de Gelder, R., et al., Cost-effectiveness of opportunistic versus organised mammography screening in Switzerland. European Journal of Cancer. 45(1): p. 127-138.
7. Herrmann, C., et al., Regional differences and trends in breast cancer surgical procedures and their relation to socioeconomic disparities and screening patterns. Journal of Public Health, 2019.

Phytotherapeutische Optionen bei Harnwegsinfekten

Unkomplizierte Harnwegsinfekte gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen und damit zu den Spitzenreitern bezüglich der Verschreibung von Antibiotika. Die schnell steigenden Raten an antibiotikaresistenten Keimen sind gemäss WHO alarmierend, auch im ambulanten Bereich. Welche Rolle können pflanzliche Arzneimittel spielen in der Prävention und Therapie von Harnwegsinfekten im Sinne eines antibiotikasparenden Ansatzes?

Les infections urinaires non compliquées sont parmi les infections bactériennes les plus courantes et donc parmi les premières en termes de prescriptions d’antibiotiques. Selon l’OMS, l’augmentation rapide des taux de germes résistants aux antibiotiques est alarmante, y compris dans le secteur ambulatoire. Quel rôle les plantes médicinales peuvent-elles jouer dans la prévention et le traitement des infections urinaires dans le sens d’une approche d’économie d’antibiotiques ?

Gemäss den aktuellen SSI-Guidelines (1) empfehlen das BAG und die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie im Zeitalter der Antibiotikaresistenz bei unkomplizierten Harnwegsinfekten antibiotikasparende Therapieansätze, wie erhöhte Flüssigkeitsauf-nahme und NSAR (insbesondere Ibuprofen). In der Praxis werden diese Empfehlungen erweitert, indem unter anderem auch D-Mannose und ausgewählte pflanzliche Arzneimittel diskutiert werden (2). Bei unkomplizierten Harnwegsinfekten und in der Rezidivprophylaxe nimmt die Phytotherapie in vielen Praxen bereits einen festen Platz ein.
Im Folgenden werden Arzneipflanzen, welche häufig und traditionell breit abgestützt bei der Prophylaxe und Therapie von Zystitiden eingesetzt werden, aufgrund der pharmakologischen und klinischen Datenlage beurteilt.

Senfölhaltige Arzneipflanzen wie Meerrettich (Armoracia rusticana) und Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus)

Die antibakterielle Wirkung der Isothiocyanate (Senföle) – auch gegen multiresistente Bakterienstämme – ist schon lange bekannt und konnte in vitro mehrfach belegt werden. Bezüglich Reduktion der Resistenzbildung und der Rezidivrate scheint die nachgewiesene Hemmung der bakteriellen Virulenzfaktoren (Internalisierung, Beweglichkeit) sowie der gefürchteten Biofilmbildung eine wichtige Rolle zu spielen. Angocin®, ein Kombinationspräparat mit Meerrettichwurzel (Armoracia rusticana) und Kapuzinerkressenkraut (Tropaeolum majus), welches in Deutschland seit Jahrzehnten und seit einigen Jahren nun auch in der Schweiz erhältlich ist, zeigt in den zahlreichen klinischen Studien deutliche antiinfektive und antientzündliche Eigenschaften bei Infekten der Harnwege sowie eine signifikante Reduktion der Rezidivrate von Harnwegsinfekten bei einer prophylaktischen Einnahme von zwei mal zwei Tabletten pro Tag (3). Da die Tabletten keine Extrakte, sondern die getrockneten Pflanzenteile enthalten, werden für die Akuttherapie hohe Tagesdosen von bis zu fünf mal fünf Tabletten für zwei Tage empfohlen, danach wird die Dosis reduziert. Die publizierten Studien verwendeten meist tiefere Dosen, wohl aus Adhärenzgründen. Es braucht zwar für die Ausheilung mit phytotherapeutischen Ansätzen generell eine längere Therapiedauer als mit Antibiotika, hingegen sinkt die Rezidivrate sowohl bei der alleinigen als auch bei der Add-on-Therapie von Angocin® zu Antibiotika (4).

Echte Goldrute (Solidago virgaurea)

Solidago virgaurea ist in der traditionellen Phytotherapie als typische Nierenpflanze bekannt. Verschiedene pharmakologische Untersuchungen zeigen diuretische, antiphlogistische und immunmodulierende Wirkungen, welche jedoch auf keinen einzelnen Inhaltsstoff zurückgeführt werden können. Daher bieten sich Zubereitungen aus Goldrutenkraut als Ergänzung zu rein antiseptisch wirkenden Arzneipflanzen an, um die Entzündungsreaktion der Schleimhäute zu dämpfen. Die gute Verträglichkeit ermöglicht den längerfristigen Einsatz auch zur Rezidivprophylaxe. Diese Erkenntnisse basieren jedoch auf der Erfahrungsmedizin und offenen, nicht randomisierten Studien (5).

Bärentraube (Arctostaphylos uva-ursi)

Extrakte aus Blättern der Bärentraube, Wirkstoff von Cystinol®, sowie das isolierte Arbutin zeigten nach enzymatischer Spaltung zu Hydrochinon bei unkomplizierten Harnwegsinfekten in vitro antibakterielle Effekte auch gegen relevante pathogene Keime. Obwohl die Forschung über Bärentraubenblätter auf die antibakterielle Wirkung von Arbutin bzw. Hydrochinon fokussierte, dürften auch der hohe Gerbstoffgehalt sowie die Flavonoide zur antibakteriellen und in vitro nachgewiesenen antiphlogistischen Wirkung beitragen. Die immer wieder diskutierte Toxizität von Arbutin kann nach aktuellem Wissensstand bei sachgemässem Gebrauch ausgeschlossen werden (6). Offiziell empfohlen wird nach wie vor eine Einnahme von maximal fünf mal pro Jahr während je maximal einer Woche. Auch ist der pH-Wert des Urins nicht relevant für die Wirksamkeit. Während für die Therapie von Harnwegsinfekten überzeugende klinische Daten fehlen, werden in den deutschen S3-Leitlinien zur Prävention von Harnwegsinfekten Bärentraubenblätterextrakte für maximal einen Monat empfohlen basierend auf einer Studie, welche nach einmonatiger Gabe in Kombination mit Löwenzahn eine lang anhaltende Rezidivreduktion beschreibt (7).

Kranbeere (Vaccinium macrocarpon) und Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea)

In vitro konnten Proanthocyanidine aus der in Nordamerika angebauten Kranbeere (Cranberry) die Adhäsionsfähigkeit von E. coli in höheren Konzentrationen sowie die Biofilmbildung hemmen (8). In der mit der Kranbeere verwandten europäischen Preiselbeere wurden ebenfalls zahlreiche phenolische Inhaltsstoffe, auch zahlreiche Proanthocyanidine gefunden. Zwar können die klinischen Daten zur Kranbeere nicht direkt auf die Preiselbeeren übertragen werden, aber es kann davon ausgegangen werden, dass die auf den Proanthocyanidinen bzw. deren Metaboliten basierende antiadhäsive Wirkung auch analog für die Preiselbeere gelten. Zumindest scheint eine Wirkung der derzeit zur Verfügung stehenden Preiselbeersäfte (als Nahrungsergänzungsmittel) aufgrund der Rückmeldungen der Patientinnen in den Hausarztpraxen und in den Apotheken vorhanden zu sein. Eine systematische Dokumentation fehlt aber leider. Möglicherweise ist die Effektivität auch der Proanthocyanidine eine Frage der Dosierung.

Ätherische Oele

Zunehmend werden auch ätherische Öle bezüglich ihrer antimikrobiellen und antiinflammatorischen Eigenschaften untersucht. Gegen E. coli sehr gute Wirkung und zum Teil auch eine ausgeprägte Hemmung der Biofilmbildung zeigten bei in vitro-Untersuchungen die ätherischen Öle von Thymian (Thymus zygis), Majoran (Origanum majorana), Oregano (Origanum vulgare) und Rosmarin (Rosmarinus officinalis). Für Oregano-Öl konnte in vitro eine gute antimikrobielle Wirkung gegen E. coli nachgewiesen werden, welche sich in der stationären Phase und nicht in der Wachstumsphase befanden, was bezüglich Persistenz der Bakterien und Rezidive relevant sein dürfte. Die Kombination von Oregano-Öl mit Chinolonen erreichte sogar eine mit Antibiotika allein nicht mögliche vollständige Eradikation der geprüften E. coli, die Wirkung von Ni­trofurantoin wurde verstärkt (9). Solche Kombinationen bieten ganz neue therapeutische Ansätze. Denn ätherische Öle zeigen vielversprechende Optionen als Alternative oder Ergänzung zu Antibiotika, die es sich lohnt genauer in klinischen Studien zu untersuchen.

Phytotherapeutika – ungenutztes Potential

Wie zahlreiche in vitro-Untersuchungen und teilweise auch klinische Studien zeigen, liegt in Vielstoffgemischen, wie es Arzneipflanzen sind, ein interessantes antibakterielles Potential, welches die Resistenzbildung verhindern kann und auch bei multiresistenten Keimen zu greifen vermag. Es ist daher dringend notwendig, diese Erkenntnisse aus in vitro-Forschungen weiter klinisch zu prüfen. Es lohnt sich, Arzneipflanzen mit ihren diversen, auch die Virulenzfaktoren beeinflussenden Wirkprinzipien einzusetzen, um den Antibiotikaverbrauch zu minimieren. Dagegen erwähnen die aktuellen SSI-Guidelines lediglich Cranberry-Saft mit der Wertung, dass es bislang kaum Hinweise darauf gebe, dass Cranberry-Saft Harnwegsinfekte erfolgreich verhindere (1). Verschiedene Review-Artikel und die Erfahrungen aus dem Praxisalltag zeigen jedoch eine Rezidivreduktion insbesondere bei jungen Frauen (10).
Für einen erfolgreichen alleinigen therapeutischen Einsatz von pflanzlichen Arzneimitteln bei unkomplizierten Zystitiden gilt zu beachten, dass eine ausreichend hohe Dosierung gewählt werden muss, um die nötige Konzentration im Zielgewebe zu erreichen (s. Beispiel Senföle). Von Vorteil sind auch Kombinationen von Arzneipflanzen mit verschiedenen Wirkprofilen. So hat sich das Kombinationspräparat mit Tausendgüldenkraut, Liebstöckelwurzel und Rosmarinblättern (Canephron®), das seit kurzem auch in der Schweiz auf dem Markt ist, bei akuten Harnwegsinfekten bewährt (11). Individuelle Urtinkturen- oder Teemischungen – magistral zu verschreiben – mit antibakteriell, antientzündlich und aquaretisch wirkenden Arzneipflanzen wie Bärentraubenblätter (Uvae-ursi folium), Echtes Goldrutenkraut (Solidaginis virgaureae herba), Brennesselblätter (Urticae folium), Birkenblätter (Betulae folium), Schachtelhalmkraut (Equiseti herba) erweitern ebenfalls die Therapieoptionen.
Ein weiterer interessanter Ansatz ist die Kombination von Antibiotika mit pflanzlichen Zubereitungen. Erste klinische Studien mit Kombinationstherapien von Antibiotika mit Angocin® zeigten weniger Rezidive. Auch ätherische Öle in Kombination mit Antibiotika haben das Potential, die Entwicklung von Resistenzen zu hemmen. Angesichts des enormen Problems mit antibiotikaresistenten Keimen sind Forschungsansätze in dieser Richtung unerlässlich.

Urtinkturenmischung nach Rezeptur von Frau Dr. med. M. Oberholzer-von Tolnai
Tropaeoli majoris (Kaupuzinerkresse) tinctura 15 ml
Solidaginis virgaureae (Echte Goldrute) tinctura 20 ml
Urticae dioicae (Brennessel) tinctura 15 ml
D.S.: akut: 5 mal 20 gtt/d, prophylaktisch 3 mal 20 gtt/d oder vor
dem Schlafengehen 30 gtt nüchtern in etwas Wasser einnehmen.

Die Schweizerische Medizinische Gesellschaft für Phytotherapie SMGP ist der einzige Verband in der Schweiz, der eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung in Phytotherapie für die akademischen Medizinalberufe anbietet. Das Fähigkeitsprogramm Phytotherapie (SMGP) ist von den entsprechenden Gremien der Schweizer Medizin, Veterinärmedizin und Pharmazie anerkannt und seit vielen Jahren bewährt. Vermittelt werden Theorie und Praxis. Die jedes Jahr stattfindende Jahrestagung bietet einen vielfältigen Überblick zu aktuellen Themen. Die 35. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie beleuchtet das Thema «Das therapeutische Potential antientzündlicher Arzneipflanzen» und findet am 25.11.2021 in Baden statt. Das Thema Harnwegsinfekte wird am 28. Oktober 2021 im Rahmen des Fähigkeitsprogramms in Wädenswil vertieft. Informationen zur SMGP und zu den Anlässen finden Sie hier: www.smgp.ch

Ein herzlicher Dank gilt Herrn Dr. sc. nat. Beat Baumgartner, Herborama GmbH, für die zur Verfügung gestellten Fotos, sowie Herrn Prof. Dr. sc. nat. Beat Meier für die wertvolle Unterstützung.

Dieser Artikel ist ein Zweitabdruck des Originals in «der informierte arzt» 08-2021

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dorothea Staub-Helg

eidg. dipl. Apothekerin, Fähigkeitsausweis FPH in Phytotherapie
Ricketwilerstrasse 15
8405 Winterthur

dorothea.staub@gmail.com

Dr. sc. nat. Beatrix Falch

Vizepräsidentin SMGP
Hochstrasse 51
8044 Zürich

b.falch@smgp.ch

Die Autorinnen haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

◆ Senfölhaltige Pflanzen zeigen in vitro und in vivo gute prophylaktische und therapeutische antibakterielle Wirkung.
◆ Die Blätter der Bärentraube zeigen eine gute antibakterielle Wirkung bei bisher überschätzter Toxizität.
◆ Ätherische Öle bergen ein grosses antibakterielles Potential. Sie ermöglichen eine bessere Eradikation, auch von multiresistenten Keimen (hier ist auch eine Kombination mit Antibiotika denkbar).
◆ Kombinationen von antibakteriellen, aquaretischen und antiinflam­matorischen Wirkprinzipien verschiedener Pflanzen haben sich in der Praxis bewährt.
◆ Für einen Antibiotika-sparenden Ansatz bei HWI können Phytotherapeutika einen wichtigen Beitrag in der Prophylaxe und Therapie, ev. als Add-on-Therapie, leisten.

Messages à retenir
◆ Les plantes contenant de l’ huile de moutarde présentent de bons effets antibactériens prophylactiques et thérapeutiques in vitro et in vitro.
◆ Les feuilles de busserole montrent un bon effet antibactérien avec une toxicité précédemment surestimée.
◆ Les huiles essentielles ont un grand potentiel antibactérien. Elles permettent une meilleure éradication, y compris des germes multirésistants (là aussi, une combinaison avec des antibiotiques est envisageable).
◆ Les combinaisons de principes actifs antibactériens, aquarétiques et anti-inflammatoires de différentes plantes ont fait leurs preuves dans la pratique.
◆ Pour une approche permettant d’ économiser les antibiotiques dans les infections urinaires, les phytothérapies peuvent apporter une contribution importante à la prophylaxie et à la thérapie, éventuellement en tant que thérapie complémentaire.

1. https://ssi.guidelines.ch/guideline/2981 (Stand 28.4.21)
2. Altwegg O, Weisskopf S, Mattmüller M, Spieler P, Grandinetti T, Hilfiker A, Carp PC, Huttner A, Calmy A, Hasse B, Etter G, Tarr P., Akute Blasenentzündung – Behandlung ohne Antibiotika. Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2020;20(01):23-28.
3. Albrecht U, Goos KH, Schneider B., A randomised, double-blind, placebo-controlled trial of a herbal medicinal product containing Tropaeoli majoris herba (Nasturtium) and Armoraciae rusticanae radix (Horseradish) for the prophylactic treatment of patients with chronically recurrent lower urinary tract infections. Current Medical Research and Opinion. 2007;23(10):2415-2422.
4. Lau I, Albrecht U, Kirschner-Hermanns R., Phytotherapie bei katheterassoziierten Harnwegsinfekten: Beobachtungsstudie zur Wirksamkeit und Sicherheit einer fixen Kombination mit Kapuzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel. Urologe A. 2018 Dec;57(12):1472-1480.
5. HMPC Assessment Report on Soliago virgaurea L., herba., 2008;Doc. Ref. EMEA/HMPC/285759/2007
6. de Arriba SG, Naser B, Nolte KU., Risk assessment of free hydroquinone derived from Arctostaphylos Uva-ursi folium herbal preparations. Int J Toxicol. 2013 Nov-Dec;32(6):442-53.
7. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/043-044l_S3_Harnwegsinfektionen_2017-05.pdf (Stand 21.5.21)
8. Foo LY, Lu Y, Howell AB, Vorsa N. A-Type proanthocyanidin trimers from cranberry that inhibit adherence of uropathogenic P-fimbriated Escherichia coli. J Nat Prod. 2000 Sep;63(9):1225-8.
9. Xiao S, Cui P, Shi W, Zhang Y. Identification of essential oils with strong activity against stationary phase uropathogenic Escherichia coli. Discov Med. 2019 Oct;28(154):179-188.
10. Fu Z, Liska D, Talan D, Chung M. Cranberry Reduces the Risk of Urinary Tract Infection Recurrence in Otherwise Healthy Women: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Nutr. 2017 Dec;147(12):2282-2288.
11. Wagenlehner FM, Abramov-Sommariva D, Höller M, Steindl H, Naber KG. Non-Antibiotic Herbal Therapy (BNO 1045) versus Antibiotic Therapy (Fosfomycin Trometamol) for the Treatment of Acute Lower Uncomplicated Urinary Tract Infections in Women: A Double-Blind, Parallel-Group, Randomized, Multicentre, Non-Inferiority Phase III Trial. Urol Int. 2018;101(3):327-336.

Erleben wir gerade einen kollektiven «dissoziativen Stupor»?

Auf Bergwanderungen hat man Zeit und Horizont, um drängenden Gedanken Raum zu geben. So geht es mir momentan auf Höhenwanderungen im Goms.
Wir diagnostizieren zuhauf aufgeschobene nationale und globale Probleme, die für unser Land, unseren Planeten und für das Überleben der Menschheit von grösster Tragweite sind: Klimawandel, Gefährdung der Demokratie, neue Machtkämpfe in der multipolaren Weltordnung mit massivem Wettrüsten, zunehmender Gap zwischen Arm und Reich, Massenmigration vom armen Süden in den Norden, Working Poor bei uns, ebenso Altersarmut, etc.
Wir kennen viele mögliche und effiziente Lösungsoptionen, aber es gelingt uns nicht, die Leute von diesen zu überzeugen. Die lange Bank der unerledigten, bald irreparablen Probleme wird länger, quälender und sehr teuer für zukünftige Generationen.
Ja, wir scheinen hilflos vor dieser Flut an Überforderungen. Die Politik, auch bei uns, ist unfähig, nötigen Konsens zu erlangen, um auch nur eines dieser grossen Probleme erfolgreich anzugehen.
Dafür haben wir genial herausgefunden, dass wir nun ganz dringend und zwingend genderneutral sein, Gendersternchen da und dort setzen müssen. Wir haben den Hyperindividualismus just in der Zeit dringend nötiger globaler Solidarität zum Siedepunkt gebracht. Daneben brennen weltweit Wälder, Ländereien und Dörfer versinken im Wasser, massive Regengüsse reissen ganze Berghänge hinunter, Gletscher verschwinden vor unseren Augen, die sibirische Taiga und Tundra im Permafrost wacht auf und setzt riesige Methanmengen frei, die Arktis verliert ihren Eisschild und das Meer frisst sich in die Landmassen.
Eine dissoziative Störung ist ein komplexes psychologisches Phänomen: Als Reaktion auf ein unerträgliches Erlebnis blenden die Betroffenen Erinnerungen daran aus, bis hin zur Auslöschung der eigenen Identität, während gesunde Menschen ihr «Ich» als Einheit von Gedanken, Handlungen und Gefühlen empfinden. Beim dissoziativen Stupor sind die Menschen handlungsunfähig, nicht mehr ansprechbar, obwohl sie scheinbar wach und bewegungsfähig bleiben.
Die Coronakrise hat diese Befunde schlagartig verstärkt. Die Pandemie zeigt ungeschminkt unsere globale Interdependenz bei der Bewältigung der Pandemie und weiterer globaler existentieller Probleme, welche unseren Planeten zu einem einzigen und nur gemeinsam zu rettenden Lebensraum schrumpfen lässt. Eine hochwirksame Impfung ist da, aber wir kriegen es nicht hin, «Best Use» davon machen: Solidarität versus Individualität ist eine Forfait-Situation gegen die Solidarität, welche hier nur wirkt, wenn sie nicht untergraben wird. Viele Krebspatienten z.B. können auch durch eine Corona-Impfung nicht oder nicht genügend geschützt werden und viele kranke und ältere Menschen ebenso. Sie sind zwingend auf die Solidarität der gesunden Menschen angewiesen, welche sich impfen lassen. Dass es uns nicht gelingt, genügend Menschen zu überzeugen, sich impfen zu lassen, hat auch damit zu tun, dass zu viele noch meinen, dass sie wirklich eine Wahl haben.
Nun schlägt das Pendel zurück, die Wahl haben wir nicht! «Macht euch die Erde untertan» hat definitiv ausgedient. Wir wissen heute um die beschränkten planetaren Ressourcen und drohenden Kipp-Punkte des Raumschiffs Erde – unseres einzigen Lebensraums. Wir Ärzte sind erfahrene Diagnostiker, kennen die Komplexität von Umwelt, Gesellschaft und Gesundheit der Menschen. Auch wir scheinen in einem dissoziativen Stupor gefangen zu sein, sind weitgehend abwesend. Im Internet findet sich da und dort ein Positionspapier, ein Factsheet, eine Umfrage, ein Aufruf zur Mitigation (Verlangsamung der Erderwärmung) oder Adaptation (Anpassung an den Klimawandel). Aber dies sind Reaktionen und nicht Aktionen. Wir sollten dringend unsere therapeutische Rolle als «Ärzte für den Planeten» antreten und diesem lähmenden Stupor entgegenwirken!

Prof. em. Dr. med. Thomas Cerny
thomas.cerny@kssg.ch

Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny

Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen

thomas.cerny@kssg.ch

Opioidunterbehandlung bei Krebs-Patienten mit schlechter Prognose am Lebensende

Enzinger AC et al. US trends in opioid access among patients with poor prognosis cancer near the end-of-life. J Clin Oncol 2021; DOI https://doi.org/10.1200/JCO.21.00476

Zusammenfassung: Heightened regulations have decreased opioid prescribing across the United States, yet little is known about trends in opioid access among patients dying of cancer.
Between 2007 and 2017, the proportion of decedents with poor prognosis cancers receiving > 1 opioid prescription near their end of life declined by 15.5% from 42.0% to 35.5%. Overall, the total amount of opioids prescribed per decedent near EOL fell 38.0%, from 1,075 morphine milligram equivalents per decedent to 666 morphine milligram equivalents per decedent. Simultaneously, the proportion of patients with pain-related ED visits increased 50.8%, from 13.2% to 19.9%. Opioid use among patients dying of cancer has declined substantially from 2007 to 2017. Rising pain-related ED visits suggests that EOL cancer pain management may be worsening.

Tumorpatienten gegen COVID-19 zu impfen lohnt sich

Goshen-Lago T et al: Serologic status and toxic effects of the SARS-CoV-2 BNT162b2 vaccine in patients undergoing treatment for cancer. JAMA Oncol doi:10.1001/jamaoncol.2021.2675

Zusammenfassung: The efficacy and safety profile of SARS-CoV-2 vaccines were acquired from phase 3 studies where patients with cancer were not represented.
This cohort study prospectively enrolled 232 patients with cancer under active treatment after the first and second doses of the BNT162b2 vaccine (Pfizer BioNTech mRNA vaccine) and 261 healthy, age-matched health care workers as controls. After the second vaccine dose, the seropositive rate reached 86% (n = 187) in the patients. Patients undergoing chemotherapy showed reduced immunogenicity. In seronegative cancer patients, the rate of documented absolute leukopenia reached 39%. No COVID-19 cases were documented throughout the study period; however, 2 cases in the patient cohort were noted immediately after the first dose. Adverse events were similar to data from healthy individuals.
The SARS-CoV-2 BNT162b2 vaccine appeared to be safe, and seroconversion occurred in most cancer patients after the second dose. There was a pronounced lag in antibody production compared with the rate in non-cancer controls.

Sacituzumab Govitecan bei triple-negativem Brustkrebs

Bardia A, et al. Sacituzumab Govitecan in metastatic triple-negative breast cancer. N Engl J Med 2021; 384: 1529-41.

Zusammenfassung: Sacituzumab govitecan is an antibody–drug conjugate composed of an antibody targeting the human trophoblast cell-surface antigen 2 expressed in the majority of breast cancers, coupled to SN-38 (a topoisomerase I inhibitor).
In this randomized phase 3 trial, we compared sacituzumab govitecan with single-agent chemotherapy in patients with relapsed or refractory metastatic triple-negative breast cancer. The median progression-free survival (primary endpoint) was 5.6 months with sacituzumab govitecan and 1.7 months with chemotherapy. The median overall survival was 12.1 months with sacituzumab govitecan and 6.7 months with chemotherapy.
PFS and OS were significantly longer with sacituzumab govitecan than with single-agent chemotherapy among patients with metastatic triple-negative breast cancer.

Mobile Gesundheits-Apps in der Onkologie

Upadhyay VA et al. Landscape Analysis of Oncology Mobile Health Applications. JCO Clin Cancer Inform 2021; 5:579-587

Zusammenfassung: More than 325,000 mobile health applications (apps) have been developed. We sought to describe the state of oncology-specific apps.
In the Apple iOS and Google Play app stores we identified 794 oncology-specific applications; only 257 (32%) were evaluable. The most common intended audience was health care professionals (45%), with 28% being geared toward the general public and 27% being intended for patients. The intended function was education for 36%, clinical decision support for 19.5%, and patient support for 18%. Only 23% of education apps and 40% of clinical decision support apps reported any formal app content review process. Web developers created 61.5% of apps, scientific societies created 10%, and hospitals or health care organizations created just 6%.
Few oncology-related apps exist in the commercial marketplace, and there is a notable absence of key oncology stakeholders in app development.

Prof. em. Dr. med. Martin Fey

Bern

martin.fey@insel.ch

Aktien von Novartis, Roche und Johnson & Johnson