Habituelles Abortgeschehen

Habituelles Abortgeschehen bzw. rezidivierende Fehlgeburten sind ein nicht sehr seltenes Ereignis mit einem breiten Spektrum möglicher Ursachen. Trotzdem gibt es nur wenige evidenzbasierte Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten und bei der Mehrheit der Betroffenen bleibt die Ursache ungeklärt. Die engmaschige und empathische Begleitung der oft auch emotional belasteten Paare vor und während einer weiteren Schwangerschaft ist in dieser komplexen Situation elementar.

Les abortus à répétition (fausses couches récidivantes) sont des événements pas très rares avec un large spectre de causes possibles. Néanmoins, les possibilités thérapeutiques et diagnostiques basées sur des preuves ne sont que peu nombreuses et chez la plupart des patientes les raisons restent obscures. L’  accompagnement étroit et empathique avant et pendant une grossesse ultérieure de ces couples souffrant d’ une charge émotionnelle importante s’ avère élémentaire dans cette situation complexe.

Eine Fehlgeburt (Abort) tritt in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft auf: jede fünfte Frau ist im Verlauf ihres Lebens davon betroffen. Wiederholte Fehlgeburten, häufig mit dem Terminus «habitueller Abort» beschrieben, treten lediglich bei 1-3% der Paare mit Kinderwunsch auf. Wiederholte Spontanaborte sind für das Paar emotional einschneidende Ereignisse, die immer einen intensiven und langanhaltenden Trauerprozess auslösen. Zudem stehen für die Betroffenen Fragen nach der Ursache, dem Wiederholungsrisiko und den Behandlungsmöglichkeiten im Vordergrund. Genau diese Fragen zu klären, ist für die betreuenden Ärzte eine Herausforderung, da es nur wenige evidenzbasierte Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten gibt. Zudem ist die Diagnostik komplex, da genetische, anatomische, endokrine, immunologische oder hämatologische Faktoren ursächlich sein können. Es ist für den Arzt entscheidend, dass systematische Ursachen für wiederholte Fehlgeburten ausgeschlossen werden, da diese oft auch einen präventiven Ansatz ermöglichen. Dennoch bleibt bei der Mehrheit der Paare trotz eingehender Diagnostik die Ursache ungeklärt. Im Umgang mit den Paaren ist darüber hinaus eine empathische und verständnisvolle Gesprächsführung mit zugleich umfassender Aufklärung der Paare über die Komplexität der Situation unabdingbar.

Definition

Habitueller Abort (HA) wird von der WHO definiert als drei oder mehr konsekutive Fehlgeburten vor der 20. Schwangerschaftswoche (ohne Molen-Schwangerschaft, Extrauterin-Gravidität und biochemische Schwangerschaft) (1). International wird die Definition nicht einheitlich verwendet. Die ASRM- und ESHRE-Guidelines definieren HA bereits nach zwei konsekutiven Fehlgeburten (2, 3).
Die Leitlinie für wiederholte Spontanborte der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) bezieht sich mit ihren Empfehlungen auf die Definition der WHO (4). Das bedeutet, dass in der Regel ab drei Spontanaborten eine umfangreiche Diagnostik angeboten wird, wobei die reproduktionsbiologische Gesamtsituation des betroffenen Paares jeweils berücksichtig werden muss. Das Wiederholungsrisiko steigt mit der Anzahl vorausgegangener Fehlgeburten und mit dem zunehmenden Alter der Frau an (Tab. 1). So kann bei fortgeschrittenem reproduktionsbiologischem Alter bereits nach zwei Spontanborten eine Diagnostik eingeleitet werden.

Diagnostik und Therapie

Eine detaillierte Anamnese ist der erste Grundpfeiler der Diagnostik.
Erfragt werden vor allem die Anzahl der vorausgegangenen Aborte, die jeweilige Schwangerschaftswoche, die erfolgten Therapien und ob Abortkürettagen erfolgt sind. Zudem interessiert, ob die Schwangerschaften immer mit demselben Partner entstanden sind und ob es auch zu Lebendgeburten gekommen ist. Die Familienanamnese bezüglich stattgehabter Aborte bei den Eltern und Vorerkrankungen wie Gerinnungsstörungen und Thrombosen sowie Lebensstilfaktoren wie Nikotinabusus oder Übergewicht beider Partner sind von Bedeutung. In der Anamnese der Frau sollte der Zyklus analysiert sowie das Vorhandensein genitaler Fehlbildungen, Voroperationen, Thrombophilie und Autoimmunerkrankungen erfragt werden.

Hormonelle Faktoren

Mögliche endokrine Ursachen für HA sind Schilddrüsendysfunktionen (sowohl Unter- als auch Überfunktion), Ovarialinsuffizienz und Diabetes mellitus (latent oder manifest).
Eine manifeste Hyper- oder Hypothyreose ist mit einem erhöhten Spontanabortrisiko assoziiert (6). Die Endocrine Society empfiehlt eine obere TSH-Konzentration von 2.5 mIU/l. Übersteigen die präkonzeptionellen TSH-Spiegel 2.5 mIU/l, soll die Schilddrüse mit l-Thyroxin substituiert werden. Es müssen auch die Schilddrüsenautoantikörper zum Ausschluss einer Autoimmunthyreoiditis oder eines Morbus Basedow kontrolliert werden (7).
Die Wirksamkeit einer vaginalen Progesteron-Supplementierung nach Spontankonzeption bei vaginaler Blutung in der Frühschwangerschaft wurde kürzlich im Rahmen einer Meta-analyse nachgewiesen. Demnach müssen Frauen mit vaginaler Blutung und mindestens einem Abort in der Vorgeschichte mit einer vaginalem Progesteronsubstitution behandelt werden (z.B. täglich 400 mg mikronisiertes Progesteron) (8).
Bei circa 8-10% der Frauen mit wiederholten Fehlgeburten wird PCOS diagnostiziert. Ein PCOS alleine verursacht kein erhöhtes Abortrisiko. Die Hyperandrogenämie beim PCOS ist häufig mit einer Insulinresistenz und/oder mit Adipositas vergesellschaftet, weshalb diese als Ursache für HA nicht voneinander abgrenzbar sind. Den wiederholten Fehlgeburten bei Adipositas und Insulinresistenz liegt ein gestörter Gewebeumbau bei der Implantation des Embryos zugrunde (9).

Antiphospholipidsyndrom (APS)

Ein generelles Thrombophiliescreening wird nicht empfohlen.
Hingegen verursacht das Antiphospholipidsyndrom wiederholt Fehlgeburten. APS ist eine Autoimmunerkrankung, die bei 2-5% der weiblichen Bevölkerung auftritt. Es kommt zur Gerinnungsstörung durch Bildung von Autoantikörpern (Lupus-Antikoagulans, Anti- Cardiolipin, Anti-β2-Glykoprotein-1) gegen Proteine der Gerinnungskaskade. Durch die folglich erhöhte Gerinnungsneigung entstehen gehäuft Mikrothrombosen mit teilweise ischämischen Veränderungen im Chorion oder in der Plazenta und diese führen wiederum so zu Aborten, Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie, HELLP, retroplazentaren Hämatomen und vorzeitiger Plazentalösung. In 50% der Fälle tritt APS sekundär zu einem systemischen Lupus erythematodes auf.
Die Prävalenz des APS bei Frauen mit wiederholten Fehlgeburten liegt bei 2-15%. Ein APS liegt vor, wenn gemäss der Definition sowohl klinische als auch laborchemische Kriterien erfüllt sind. Wichtig ist, dass die laborchemischen Kriterien zweimalig im Abstand von 12 Wochen nachgewiesen werden (Tab. 2), da dieses schwere Krankheitsbild sonst aufgrund der häufig falsch positiven Laborbestimmungen überdiagnostiziert wird.
Die Therapie bei Patientinnen mit HA und APS erfolgt primär mit niedermolekularem Heparin. Niedrigdosiertes Aspirin (100 mg täglich) kann eventuell hinzugegeben werden. Der Therapiebeginn erfolgt bereits präkonzeptionell oder frühestens ab dem positiven Schwangerschaftstest 10, 11).

Genetische Faktoren

Genetische Faktoren sind die häufigsten Ursachen für einen einzelnen Spontanabort (50-60%). Je früher in der Schwangerschaft ein Abort eintritt, desto wahrscheinlicher ist eine Chromosomenstörung.
Fetale Chromosomenstörungen, wie Aneuploidie, sind die häufigsten genetischen Ursachen für vereinzelte Aborte. Die zytogenetische Untersuchung des Abortmateriales zum Nachweis der Aneuploidie sind kaum sinnvoll, da das Wiederholungsrisiko sehr niedrig ist (12).
Strukturelle Chromosomenstörungen können wiederholte Fehlgeburten verursachen. Sie sind jedoch selten. Bei maximal 2-4% der Paare mit wiederholten Fehlgeburten wird eine balancierte Chromosomenstörung festgestellt. Diese geht mit einem erhöhten Risiko für weitere Aborte oder die Geburt eines Kindes mit einer Chromosomenstörung einher. Deshalb sollten die betroffenen Paare im Hinblick auf eine weitere Schwangerschaft über die Möglichkeit der Pränataldiagnostik informiert werden.
Die Präimplantationsdiagnostik hingegen setzt eine künstliche Befruchtung voraus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Lebendgeburtenrate bei Paaren mit strukturellen Chromosomenanomalien und Spontankonzeption höher (50-65%) ist als bei Konzeption durch IVF mit Präimplantationsdiagnostik (29-38%) (13).

Anatomische Faktoren

Die anatomischen Ursachen für HA können angeboren oder erworben sein. Die Diagnostik erfolgt mittels Hysteroskopie, ggf. kombiniert mit Laparoskopie, 3D-Ultraschall oder Magnetresonanztomographie (MRT).
Zu den angeborenen uterinen Fehlbildungen gehören Hemmmissbildungen der Müller-Gänge wie Uterus arcuatus, bicornis, didelphis, subseptus, septus (Abb. 1). Die Inzidenz ist bei Patientinnen mit wiederholten Fehlgeburten 10-25% und somit erhöht gegenüber 5% bei Kontrollgruppen. Je kleiner das Septum ausgebildet ist, desto schlechter ist die Vaskularisation des Endometriums und umso höher ist das Risiko einer gestörten Implantation auf dem Septum. Der Uterus subseptus ist die angeborene uterine Fehlbildung mit dem höchsten Abortrisiko. Das Risiko sinkt mit steigendem Grad der uterinen Hemmmissbildung und ist somit beim Uterus duplex am geringsten. Die bis anhin indizierte hysteroskopische Resektion wird aktuell kontrovers diskutiert (14).
Erworbene anatomische Ursachen für wiederholte Fehlgeburten sind das Ashermann-Syndrom, intrauterine Synechien, Corpuspolypen, submuköse oder intramurale Myome mit Cavumimpression. Alle diese Störfaktoren können operativ beseitigt werden.

Lebensstil

Das Gesundheitsverhalten und verschiedene Lebensumstände können einen erheblichen Einfluss auf die Entstehung von Spontanborten haben. Alkohol- und Nikotinabusus sowie Über-, Untergewicht, Koffein und erheblicher Stress werden mit Fehlgeburten in Zusammenhang gebracht. Sowohl der Frau als auch dem Partner muss unbedingt zum Rauchstopp geraten werden, da aktives sowie passives Rauchen mit HA assoziiert sind (15).
Der Effekt von Stress auf Spontanabort oder HA ist nicht definitiv geklärt. Es gibt Hinweise, dass Stress insbesondere im ersten Trimenon mit wiederholten Fehlgeburten assoziiert ist (16). Neben der einleitend angesprochenen professionellen Gesprächsführung und Aufklärung der Paare ist die ärztliche Begleitung im Sinne von «tender loving care» ausserordentlich wichtig.

Idiopathischer habitueller Abort

Bei der grossen Mehrzahl (50-75%) der Patientinnen mit wiederholten Fehlgeburten kann die Ursache trotz eingehender Diagnostik nicht festgestellt werden. Die Ursache des HA bleibt somit idiopathisch. Die kumulierte Lebendgeburtenrate bei idiopathischem HA ohne Therapie liegt bei 85%.
Die transvaginale Gabe von Progesteron (400 mg pro Tag) wurde bisher sehr kontrovers diskutiert. Die aktuelle Datenlage zeigt einen eindeutigen günstigen Effekt auf das Abortrisiko. Patientinnen mit vaginaler Blutung in der Frühschwangerschaft und mindestens einem Abort in der Vorgeschichte profitieren von der Gabe von mikronisiertem Progesteron (zweimal 200 mg täglich vaginal oder rektal) ab dem Zeitpunkt der Blutung bis zur abgeschlossenen 16. SSW (8).

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Bettina Keller Dühsler

Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie (RME)
Universitätsspital
Universität Basel, Vogesenstrasse 134
4031 Basel

bettina.keller@usb.ch

Prof. Dr. med. Christian De Geyter

Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie (RME)
Universitätsspital
Universität Basel, Vogesenstrasse 134
4031 Basel

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Das Spektrum der möglichen Ursachen für HA ist breit. Hormonelle, anatomische, genetische, immunologische und Lebensstil-Faktoren können ursächlich sein und trotzdem bleibt bei 50-75% der HA die Ursache ungeklärt.
◆ Die evidenzbasierten Diagnostik- und die Therapieoptionen sind beschränkt, weshalb die Betreuung der stark belasteten Paare im klinischen Alltag eine Herausforderung darstellt.
◆ Eine professionelle, empathische und aufklärende Gesprächsführung sowie die engmaschige Begleitung der Paare sind wichtig.

Messages à retenir
◆ Le spectre des possibles causes pour des abortus à répétition est large. Il peut s’ agir de facteurs anatomiques, génétiques, immunologiques ou de style de vie, cependant, dans 50 – 75% des cas la raison n’ est pas identifiée.
◆ Les options diagnostiques et thérapeutiques basées sur des preuves sont limitées. Pour cette raison, la prise en charge dans le quotidien clinique de ces couples fortement affectés représente un vrai défi.
◆ Le counselling professionnel, empathique et explicatif avec un accompagnement étroit des couples est important.

1. WHO (1977) Recommended definitions, terminology and format for statistical tables related to the perinatal period and use of a new certificate for cause of perinatal deaths. Modifications recommended by FIGO as amended October 14, 1976. Acta Obstet Gynecol Scand 56:247–253.
2. American Society for Reproductive Medicine. Definitions of infertility and recurrent pregnancy loss. Fertil Steril 2008; 90: S60.
3. ESHRE Early Pregnancy Guideline Development Group. Recurrent Pregnancy loss; Guidelines of European Society of Human Reproduction and Embryology; 2017
4. DGGG, OEGGG, SGGG. Leitlinie Diagnostik und Therapie von Frauen mit wiederholten Spontanaborten. AWMF-Registernummer 015/050 Leitlinienklasse S2k; Stand April 2018; Version 7.0
5. Magnus MC, Wilcox AJ, Morken NH, Weinberg CR, Håberg SE. Role of maternal age and pregnancy history in risk of miscarriage: prospective register based study. BMJ. 2019 Mar 20;364:l869. doi: 10.1136/bmj.l869. PMID: 30894356; PMCID: PMC6425455
6. Anselmo J, Cao D, Karrison T, Weiss RE, Refetoff S. Fetal loss associated with excess thyroid hormone exposure. JAMA. 2004 Aug 11;292(6):691-5. doi: 10.1001/jama.292.6.691. PMID: 15304465
7. Leslie De Groot, Marcos Abalovich, Erik K. Alexander, Nobuyuki Amino, Linda Barbour, Rhoda H. Cobin, Creswell J. Eastman, John H. Lazarus, Dominique Luton, Susan J. Mandel, Jorge Mestman, Joanne Rovet, Scott Sullivan, Management of Thyroid Dysfunction during Pregnancy and Postpartum: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline, The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, Volume 97, Issue 8, 1 August 2012, Pages 2543–2565, https://doi.org/10.1210/jc.2011-2803
8. Devall AJ, Coomarasamy A. Sporadic pregnancy loss and recurrent miscarriage. Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol. 2020 Nov;69:30-39. doi: 10.1016/j.bpobgyn. 2020.09.002. Epub 2020 Sep 8. PMID: 32978069.
9. Garrido-Gimenez C, Alijotas-Reig J Recurrent miscarriage: causes, evaluation and management Postgraduate Medical Journal 2015;91:151-162.
10. Bates SM, Greer IA, Middeldorp S, Veenstra DL, Prabulos AM, Vandvik PO. VTE, thrombophilia, antithrombotic therapy, and pregnancy: Antithrombotic Therapy and Prevention of Thrombosis, 9th ed: American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines. Chest. 2012 Feb;141(2 Suppl):e691Se736S. doi: 10.1378/chest.11-2300. PMID: 22315276; PMCID: PMC3278054
11. Mak A, Cheung MW, Cheak AA, Ho RC. Combination of heparin and aspirin is superior to aspirin alone in enhancing live births in patients with recurrent pregnancy loss and positive anti-phospholipid antibodies: a meta-analysis of randomized controlled trials and meta-regression. Rheumatology (Oxford). 2010 Feb;49(2):281-8. doi: 10.1093/rheumatology/kep373. Epub 2009 Dec 4. PMID:19965971
12. Rudnik-Schöneborn, S., Swoboda, M. & Zschocke, J. Genetische Untersuchungen bei wiederholten Spontanaborten. Gynäkologe 51, 286–295 (2018). https://doi.org/10.1007/s00129-018-4205-9
13. Franssen MT, Musters AM, van der Veen F, Repping S, Leschot NJ, Bossuyt PM, Goddijn M, Korevaar JC. Reproductive outcome after PGD in couples with recurrent miscarriage carrying a structural chromosome abnormality: a systematic review. Hum Reprod Update. 2011 Jul-Aug;17(4):467-75. doi: 10.1093/humupd/dmr011. Epub 2011 Apr 18. PMID: 21504961
14. Rikken JFW, Kowalik CR, Emanuel MH, et al. The randomised uterine septum transsection trial (TRUST): design and protocol. BMC Womens Health. 2018;18(1):163. Published 2018 Oct 5. doi:10.1186/s12905-018-0637-6
15. Diamanti A, Papadakis S, Schoretsaniti S, Rovina N, Vivilaki V, Gratziou C, Katsaounou PA. Smoking cessation in pregnancy: An update for maternity care practitioners. Tob Induc Dis. 2019 Aug 2;17:57. doi: 10.18332/tid/109906. PMID: 31582946; PMCID: PMC6770622
16. Li W, Newell-Price J, Jones GL, Ledger WL, Li TC. Relationship between psychological stress and recurrent miscarriage. Reprod Biomed Online. 2012 Aug;25(2):180-9. doi: 10.1016/j.rbmo.2012.03.012. Epub 2012 Apr 3. PMID:
22687324
17. Devall AJ, Coomarasamy A. Sporadic pregnancy loss and recurrent miscarriage. Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol. 2020 Nov;69:30-39. doi: 10.1016/j.bpobgyn. 2020.09.002. Epub 2020 Sep 8. PMID: 32978069

Komplementärmedizinische Alternativen zur Behandlung von Östrogen-Entzugssymptomen

Während die weibliche Lebenserwartung in praktisch allen Ländern der Welt weiter ansteigt, blieb das Durchschnittsalter der Frau bei der letzten Periode seit mehr als 100 Jahren konstant um 51, abhängig von genetischen Faktoren wie Herkunft und Familienanamnese. Dies bedeutet, dass heutzutage eine Frau in der Schweiz mehr als 40 Jahre ohne ihre von den Ovarien produzierten Sexualsteroide lebt. Dieser Beitrag zeigt Möglichkeiten, die fehlenden natürlichen Steroide zu ersetzen und damit den negativen Konsequenzen entgegenzuwirken, die den Frauen die Lebensqualität über Jahrzehnte stark einschränken.

Tandis que l’espérance de vie des femmes plus ou moins partout dans le monde continue à croître, l’âge moyen de la ménopause est resté depuis plus de 100 ans autour de 51 ans, dépendant de facteurs génétiques comme l’origine et l’anamnèse familiale. Cela signifie qu’en Suisse, actuellement, une femme vit pendant plus de 40 ans sans ses hormones sexuelles stéroïdiennes ovariennes. Le présent article décrit des possibilités de substitution des stéroïdes naturelles manquantes dans le but de contrebalancer les conséquences négatives qui diminuent fortement la qualité de vie des femmes pendant des décennies.

Die Folgen der fehlenden Sexualsteroide bestehen aus zeitlich beschränkten Symptomen der Wechseljahre und frühen Menopause sowie späteren Folgeerkrankungen des chronischen Sexualhormonmangels. Zu den Symptomen zählen vasomotorische und vegetative Beschwerden wie Wallungen, Nachtschweiss, Palpitationen, Schlaf- und Konzentrationsschwierigkeiten, Stimmungsschwankungen und Störungen der Sexualfunktion. Zu den Folgeerkrankungen gehören u.a. Osteoporose, Diabetes mellitus Typ 2 und kardiovaskuläre Erkrankungen, ebenso Störungen des zentralen Nervensystems und urogenitale Atrophie. Frühe und späte Konsequenzen des «natürlichen» Klimakteriums beeinträchtigen die Lebensqualität über Jahrzehnte und sind für einen enormen Leidensdruck verantwortlich.
Mehr aus sozialpolitischen Gründen als auf der Basis von soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen wurden die Frauen, besonders zu Beginn dieses Jahrhunderts, stark unter Druck gesetzt, die Menopause und deren Konsequenzen als natürlich, Gott gewollt und unabwendbar zu betrachten und zu erdulden. Die Autorin ist der Meinung, dass für die andere Hälfte der Gattung ein Leben ohne Testosteron über mehrere Jahrzehnte weder akzeptierbar noch zumutbar wäre.

Effektivität der menopausalen Hormontherapie

Die Wirksamkeit der menopausalen Hormontherapie (MHT) ist erwiesen und unkontrovers. Expertenbrief Nr. 42 der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) behandelt Indikationen, gängige Produkte, Dosierungen und auch relative und absolute Kontraindikationen der MHT in einer praxisorientierten Kurzfassung und auch in einer ausführlicheren, umfassend dokumentierten Version.

Sowohl die Symptome der frühen Menopause als auch die Folgeerkrankungen der späteren Menopause lassen sich durch Ersatz der fehlenden natürlichen Sexualsteroide weitgehend vermeiden.

Alle in der Schweiz gebräuchlichen pharmazeutischen MHT-Produkte enthalten spezies-spezifisches, bioidentisches Estradiol. Mikronisiertes Progesteron ist auch erhältlich. Von Apothekern zusammengemischte «bioidentische Hormone» unterstehen im Gegensatz zu den industriellen Produkten keiner Qualitätskontrolle. Wenn sie über das Internet bezogen werden, ist die Situation noch prekärer. In meiner Praxis wurden bereits mehrmals Patientinnen mit präkanzerösen Endometrium-Hyperplasien, aber auch Osteoporose vorstellig, denen von Apothekern auf der Basis von Speichelanalysen «MHT» verkauft worden war.

Wesentlich ist eine für die Spezies Homo sapiens spezifische MHT, aber «bioidentisch» ist ein irreführender Marketingbegriff ohne jegliche Evidenz.

Kontraindikationen für eine MHT

Wir sehen immer wieder Frauen in unseren Praxen, die entweder absolute medizinische Kontraindikationen für eine Therapie ihrer Menopause-Symptome mit Sexualsteroiden haben, verschiedenste Produkte und Anwendungsrouten ausprobierten, aber nicht vertrugen, oder aus sonstigen Gründen oder Präferenzen keine Kandidatinnen für eine MHT mit Sexualsteroiden sind.
Dazu gehören in erster Linie Frauen mit Östrogen-abhängigen Krebsanamnesen, wie nach Mamma- und Endometrium-Karzinom, aber auch nach endometrioiden Ovarialkarzinomen und unter Umständen nach schwerer, nicht vollständig operierter Endometriose. Eine familiäre Thrombophilie oder die Anamnese einer tiefen Venenthrombose unter Östrogeneinfluss, z.B. während der Schwangerschaft oder unter kombinierten Antikonzeptiva, stellt ebenfalls eine absolute Kontraindikation dar. Hingegen ist eine MHT nach Thrombose bei Trauma oder Operation mit anschliessender Immobilisation bei entsprechendem Leidensdruck und Nichtansprechen auf alternative Therapien vertretbar.
Für eine vollständige Liste absoluter und relativer MHT-Kontraindikationen siehe https://www.sggg.ch/fileadmin/user_upload/Formulardaten/42_Menopausale_Hormon-Therapie_2015.pdf

Absolute, relative oder präferenzielle Kontraindikationen für Sexualsteroide kommen vor, die meisten Frauen haben aber mehr Vor- als Nachteile von einer individuell angepassten MHT.

Nicht-hormonelle Behandlungen

Nicht hormonelle Behandlungen von Wechseljahrbeschwerden können diese lindern, aber sie bringen diese im Gegensatz zur Behandlung mit Sexualsteroiden meist nicht zum Verschwinden. Es ist häufig eine Kombination von verschiedenen Modalitäten erforderlich, um ein befriedigendes Resultat zu erreichen. Was ein befriedigendes Resultat darstellt, ist immer subjektiv und hängt u.a. von den Erwartungen und auch von der Motivation der betroffenen Patientin ab. Es ist deshalb wichtig, keine unrealistischen Erwartungen zu erwecken. Zum Glück helfen hier immer der in allen Studien pflanzlicher Therapien von Wallungen gefundene Placeboeffekt von bis zu 50% und die Tatsache, dass Wechseljahrbeschwerden fast immer zeitlich begrenzt sind.
Zudem bedeutet «pflanzlich» weder «sicher» noch «harmlos», wie vom Publikum allgemein angenommen wird. Sowohl Effekt als auch Nebenwirkungen und potenziell schwerwiegende Interaktionen sind möglich und dosisabhängig.

Die Wirkung pflanzlicher Produkte auf Symptome der frühen Menopause ist begrenzt, nicht immer harmlos und schützt nicht vor den Folgeerkrankungen des Hormonmangels wie Osteoporose und urogenitale Atrophie.

Einteilung der nicht-hormonellen Behandlungsalternativen von menopausalen vasomotorischen Symptomen

  • Lebensstil- und Verhaltensinterventionen
    Reduktion der Raumtemperatur, Eisbeutel, Ventilatoren, Fächer, «Zwiebelschalen»-Bekleidung, Vermeidung von Alkohol und heissen Getränken als Trigger helfen alle subjektiv, aber es gibt keine klinischen Studien dazu.
    Gewichtsabnahme von >10% hilft statistisch signifikant, aber braucht 1 bis 2 Jahre Zeit.
    Hypnose und Akupunktur reduzieren signifikant die Frequenz und Intensität von Wallungen.
    Entspannungsübungen, Atemtechnik, Yoga und Sport sind gesund, aber ohne dokumentierten Einfluss auf vasomotorische Symptome.
    Kognitive Verhaltenstherapie und achtsamkeitszentriertes Stressmanagement sind subjektiv effektiv, aber nicht statistisch signifikant.
  • Biotherapeutische Produkte/Phytopharmaka
    Traubensilberkerze (Cimicifuga) reduziert in mehreren RCT im Vergleich zu Placebo signifikant Wallungen, inklusive bei Frauen mit Brustkrebs unter Tamoxifen-Therapie. Cimicifuga wird bei Status nach Mamma-Karzinom als ungefährlich betrachtet. Eine Cochrane-Analyse hingegen zeigte keinen signifikanten Effekt gegenüber Placebo. (Leach MJ, Moore V. Black cohosh (Cimicifuga spp) for menopausal symptoms. Cochrane Database Syst. Rev, 2012 (9): CD007244). In der Erfahrung der Autorin ist die Wirkung von Cimicifuga praktisch immer auf wenige Monate begrenzt, was für einen Placeboeffekt spricht
    Phytoöstrogene/nicht-steroidale Phyto-SERMs: 50-60 mg Soja-Isoflavone oder 30 mg Genistein werden im SGGG-Expertenbrief empfohlen, haben aber keine Wirkung in vier kontrollierten Studien bei Frauen mit Brustkrebs. Die Sicherheit von Phytoöstrogenen bei Status nach Brustkrebs ist unklar.
    Für Maca und Omega-3-Fettsäuren ist die Studienlage uneinheitlich.
    Yam-Extrakte, Nachtkerzenöl, Dong Quai, Leinsamen, Ginseng, Hopfen haben sich in seriösen Studien als nicht wirksam gezeigt.
  • Konventionelle Pharmatherapeutika
    Ganglion-Stellatum-Blockade beidseits. Mehrere Studien berichten von einer Reduktion der Frequenz und Intensität von Wallungen für 6 Wochen bis zu einigen Monaten, wobei der Wirkungsmechanismus unklar ist. Dies gilt auch bei Brustkrebspatientinnen.
    SSRI und SNRI (Paroxetin 10-20 mg und Venlafaxin 37.5 -150 mg) reduzieren Wallungen signifikant in 1-2 Wochen. Bei Patientinnen mit Mamma-Karzinom ist Paroxetin wegen der möglichen Hemmung des Enzyms CYP2D6 und Reduktion der Tamoxifen-Wirkung zu vermeiden.
    Clonidin senkt Wallungen signifikant im Vergleich zu Placebo, hat aber starke Nebenwirkungen.

Gabapentin und Pregabalin reduzieren signifikant Wallungen im Vergleich zu Placebo.
Für eine umfassende Zusammenstellung nichthormoneller Behandlungsmodalitäten von Menopause-Symptomen und eine ausführliche Review der Datenlage siehe: https://www.sggg.ch/fileadmin/user_upload/Formulardaten/51_Nicht-hormonelle_Therapie_von_menopausalen_Hitzewallungen_August_2017.pdf
Für Patientinnen (mehrsprachig): https://www.hormone.org/diseases-and-conditions/menopause/menopause-treatment/alternative-medicine-for-menopause-treatment

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Regula Bürki

Gruppenpraxis Schönburg
Schönburgstrasse 19
3013 Bern

regula.buerki@hin.ch

Die Autorin hat deklariert, in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte zu haben

◆ Die Wirkung pflanzlicher Produkte auf Symptome der frühen Menopause ist begrenzt, nicht immer harmlos und schützt nicht vor den Folgeerkrankungen des Hormonmangels wie Osteoporose und urogenitale Atrophie.
◆ Nicht-hormonelle Behandlungsalternativen von menopausalen vasomotorischen Symptomen lassen sich einteilen in Lebensstil- und Verhaltensinterventionen, biotherapeutische Produkte/Phytopharmaka und konventionelle Pharmatherapeutika.
◆ Je nach Symptomen und Problemen sollten verschiedene Produkte eingesetzt werden.

Messages à retenir

◆ Les effets de produits à base de plantes sur les symptômes dans les premières années de ménopause sont limités. Ils ne sont pas toujours sans danger et ne protègent pas des maladies secondaires à long terme de la carence hormonale telles que l’ostéoporose et l’atrophie uro-génitale.
◆ Des traitements alternatifs non-hormonaux pour les symptômes vasomoteurs de la ménopause peuvent se classer en interventions sur le comportement et le style de vie, en produits bio-thérapeutiques et médicaments phyto-thérapeutiques et en produits thérapeutiques / médicaments conventionnels.
◆ Selon les problèmes et la symptomatologie, on devrait recourir à plusieurs produits.

Auf Anfrage bei der Verfasserin

Zervixinsuffizienz in der Schwangerschaft

Die Zervixinsuffizienz stellt eine geburtshilfliche Risikosituation dar, welche im klinischen Alltag der Schwangerschaftsbetreuung häufig diagnostiziert wird. Trotz des Fortschritts in deren Diagnose und Behandlung ist die Zervixinsuffizienz weiterhin mit erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken vor allem für die frühgeborenen Kinder assoziiert. Eine frühzeitige Diagnose und angepasste Betreuung bieten das bestmögliche perinatale Outcome für Mutter und Kind.

Definition

Als Zervixinsuffizienz wird die schmerzfreie Erweichung und Verkürzung der Zervix mit Eröffnung des Zervixkanals meistens im zweiten und dritten Trimester definiert. Bei fehlender Symptomatik, wie zum Beispiel Wehentätigkeit, kann eine Zervixinsuffizienz unbemerkt zu einem Spätabort bzw. zu einer Frühgeburt führen.

Ätiologie

Die Risikofaktoren für eine Zervixinsuffizienz können entweder kongenital oder erworben sein (Tab.1). Eine familiäre Häufung konnte nur in einer Studie beobachtet werden. Die Kenntnis der Risikofaktoren ist hilfreich für die frühzeitige Erkennung einer Zervixinsuffizienz. Gleichzeitig ist die Abgrenzung einer vorzeitigen Wehentätigkeit für die weitere Behandlung von Bedeutung.

Diagnostik

Anamnese

Eine ausführliche Anamneseerhebung bereits präkonzeptionell oder in der Frühschwangerschaft hat einen hohen Stellenwert, besonders wenn einer oder mehrere Risikofaktoren bestehen (Verlauf der vorhergehenden Schwangerschaften, stattgehabte Operationen, Trauma).

Klinisches Bild

Eine klinische Symptomatik besteht im Rahmen einer Zervixinsuffizienz in der Regel meist nur gering oder zuweilen gar nicht. Die Mehrheit der Schwangeren mit Zervixinsuffizienz können entweder asymptomatisch sein oder berichten über milde Symptome wie menstruationsartiges Ziehen, Rückenschmerzen, ein Druckgefühl im Unterleib und/oder veränderten vaginalen Fluor.

Spekulumeinstellung

Eine Spekulumeinstellung ermöglicht die Untersuchung der Vagina und der Portio sowie die Beurteilung des Fluors. Dadurch kann eine vaginale Infektion durch Entnahme von Sekret zur pH-Messung, Nativmikroskopie und ggf. zur bakteriellen Kultur ausgeschlossen bzw. diagnostiziert werden.

Bimanuelle Untersuchung

Durch eine bimanuelle Palpation können sowohl der Portiostand, die Länge als auch die Konsistenz und die Muttermundsweite beurteilt werden. Die Untersuchervarianz ist allerdings bei diesem subjektiv erhobenen Befund sehr gross und schwer reproduzierbar.

Sonographie

Die geeignetste Untersuchung zur Diagnosestellung einer Zervixinsuffizienz ist die sonographische Bestimmung der Zervixlänge. Es ist eine effektive, günstige und einfach reproduzierbare Untersuchung, welche der vaginalen Tastuntersuchung überlegen ist. Im Rahmen der zweiten Ultraschalluntersuchung zwischen der 20. Und 23. Schwangerschaftswoche wird unter anderen die Zervixlängemessung empfohlen (3) (Abb.1 links). Eine Zervixlänge unter 25mm wird als verkürzt definiert und ist mit einem erhöhten Risiko für eine Frühgeburt assoziiert. (Abb.1 rechts).
Neben der Zervixlänge können auch weitere Charakteristika wie die Weichheit des Zervixgewebes und die Trichterbildung sonopalpatorisch überprüft werden. Ein Trichter ist ein typisches Zusatzmerkmal einer verkürzten Zervix und das sonographische Bild kann je nach Ausprägungsgrad der Insuffizienz variieren. Ein beginnender Trichter kann ein T- oder V-förmiges Schema haben (Abb. 2 links), während eine U-förmige Zervix (Abb. 2. Mitte) bzw. eine sanduhrförmige prolabierende Fruchtblase (Abb. 2. rechts) Hinweise einer fortgeschrittenen Zervixinsuffizienz sind. Zusätzlich kann manchmal innerhalb des Trichters Sludge präzervikal nachgewiesen werden. Sludge wird als eine hyperechogene fluktuierende Ansammlung vor dem Os internum definiert und besteht aus fetalem Epithel, Vernix, Leukozyten und/oder Bakterien (Abb. 3). Sludge gilt nicht nur als zusätzlicher Risikofaktor für eine drohende Frühgeburt sondern auch für eine potenziell bereits stattgefundene mikrobielle Invasion der Amnionhöhle mit beginnender Chorioamnionitis (4).

Primäre Prävention

Progesteron

Die Applikation von Progesteron bei Schwangeren mit Einlingsgravidität und positiver Anamnese einer Frühgeburt ist zwischen der 16 0/7 und 35 0/7 Schwangerschaftswoche indiziert. Die Applikation findet in der Regel vaginal (200mg als Kapsel täglich) statt (5). Progesteron hat eine tokolytische Wirkung durch Reduzierung der Konzentration von Oxytozinrezeptoren im Myometrium. Ebenfalls hat es einen antiinflammatorischen Effekt, indem es die T-Zell und Killer-Zell gesteuerte Gewebsabstossung sowie die Prostaglandinproduktion in Amnion, Chorion und Dezidua hemmt.

Prophylaktische Cerclage

Die primäre Anlage einer prophylaktischen Cerclage kann bei Schwangeren mit Einlingsgravidität und Status nach einer oder mehreren Frühgeburt(en) bzw. Spätabort(en) in Erwägung gezogen werden (6). Die Operation wird in der Regel am Anfang des zweiten Trimesters durchgeführt. Im Rahmen einer prophylaktischen Cerclage bietet die Durchführung eines gleichzeitigen totalen Muttermundsverschlusses eine zusätzliche Option zur Prolongation der Schwangerschaft durch einen Schutz gegen aszendierende Infektionen. Am häufigsten werden die Cerclage nach McDonald oder nach Shirodkar mit oder ohne einen totalen Muttermundsverschluss angewendet (Abb. 4). Beide transvaginalen Techniken haben ein ähnlich gutes Outcome, was die perinatale Morbidität und Mortalität betrifft (7). Die Cerclage wird ca. 3 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin wieder entfernt.
Bei einer stark verkürzten bzw. amputierten Portio oder nach Versagen der vaginalen Methode in einer vorhergehenden Schwangerschaft kann alternativ ein abdominales Verfahren angewendet werden.
Eine abdominale Cerclage kann sowohl durch Laparotomie als auch laparoskopisch eingelegt werden (Abb. 5).
Das abdominale Verfahren ist mit tieferen Frühgeburtsraten assoziiert, am ehesten wegen der proximalen Lokalisation der Cerclage im Bezug zum Os internum, sowie der Absenz des vaginalen Fremdkörpers. Das laparoskopische Vorgehen scheint ein besseres perinatales Outcome zu haben, abhängig auch von der Erfahrung der Operateurs. Im Gegensatz dazu gehen die abdominalen Verfahren mit erhöhter mütterlicher Morbidität im Vergleich zu den transvaginalen Techniken einher (8).
Die peri- und postoperative Komplikationsrate einer Cerclage-Einlage beläuft sich generell auf ca. 6% der Fälle. Die häufigsten davon sind die iatrogene Frühgeburt, der vorzeitige Blasensprung, die Chorioamnionitis, die vorzeitige Wehentätigkeit oder selten eine Fistelbildung.

Sekundäre Prävention

Progesteron

Schwangere mit Einlingsgravidität sowie einer verkürzten Zervix unter 25mm und/ohne vorangegangener Frühgeburt profitieren ebenfalls von der Applikation von Progesteron vaginal bis zur 35 0/7 Schwangerschaftswoche (9).

Therapeutische Cerclage

Als sekundäre Präventionsmassnahme ist für Schwangere mit Einlingsgravidität und Status nach Spätabort oder extremer Frühgeburt sowie einer Zervixlänge unter 25mm vor der 24. Schwangerschaftswoche eine therapeutische Cerclage eine Option (10). Dadurch werden die Frühgeburtsrate und folglich die perinatale Morbidität und Mortalität deutlich gesenkt. Vor der Feststellung der Operationsindikation sollte nicht nur eine vorzeitige Wehentätigkeit sondern auch eine vaginale Infektion ausgeschlossen werden.

Pessar

Eine günstige und komplikationsarme therapeutische Methode, welche gemäss mehreren prospektiv randomisierten Studien zu tieferen Frühgeburtsraten bei Zervixinsuffizienz führen kann, ist die Anwendung eines Cerclage-Pessars (11). Durch eine Sakralisierung der Portio (Veränderung der Achse des Zervixkanals zur Achse der Vagina) wird eine Druckentlastung und mechanische Stabilisierung des Gewebes erreicht (Abb. 6).

Verhaltensempfehlungen

Bei asymptomatischen Schwangeren mit Zustand nach Frühgeburt oder sonstigen Risikofaktoren sind per se keine restriktiven Alltagsmassnahmen zu empfehlen. Beim Auftreten einer Zervixinsuffizienz ist die Abstinenz vom Geschlechtsverkehr empfehlenswert. Eine grosse Cochrane Studie hat keine Evidenz für oder gegen eine Bettruhe zur Vermeidung einer Frühgeburt ergeben(12).

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Dipl. med.Stylianos Kalimeris

Oberarzt Kantonsspital Graubünden
Department Gynäkologie und Geburtshilfe
Lürlibadstrasse 118
7000 Chur

stylianos.kalimeris@ksgr.ch

Dr. med. Carolin Blume

Chefärztin Geburtshilfe Kantonsspital Graubünden
Frauenklinik Fontana
Departement Gynäkologie und Geburtshilfe
Lürlibadstrasse 118
7000 Chur

carolin.blume@ksgr.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel.

◆ Die Zervixinsuffizienz stellt ein häufiges Krankheitsbild im geburtshilflichen Alltag dar und ist mit erhöhter perinataler Morbidität und Mortalität verbunden.
◆ Eine Vielzahl von Risikofaktoren können eine Zervixinsuffizienz verursachen. Eine ausführliche Anamnese präkonzeptionell und/oder am Anfang der Schwangerschaft sollte erhoben werden.
◆ Die Zervixinsuffizienz manifestiert sich typischerweise mit einem symptomarmen klinischen Bild. Eine routinemässige Zervixmessung wird im Rahmen der zweiten Ultraschalluntersuchung zwischen der 20. Und 23. Schwangerschaftswoche empfohlen.
◆ Sowohl konservative als auch operative Methoden stehen als prophylaktische oder therapeutische Massnahmen zur Verfügung.
◆ Aufgrund der widersprüchlichen Resultate in vielen Studien bzgl. einer adäquaten Behandlung der Zervixinsuffizienz sollte jede Schwangere mit entsprechenden Risikofaktoren oder neu aufgetretener Symptomatik in der aktuellen Schwangerschaft unter Berücksichtigung aller Parameter individuell behandelt werden.

1. Vyas NA, Vink JS, Ghidini A, et al. Risk factors for cervical insufficiency after term delivery. Am J Obstet Gynecol 2006; 195:787.
2. Leduc L, Wasserstrum N. Successful treatment with the Smith-Hodge pessary of cervical incompetence due to defective connective tissue in Ehlers-Danlos syndrome. Am J Perinatol 1992; 9:25.
3. Schweizerische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin, Sektion Gynäkologie und Geburtshilfe(SGUMGG) Empfehlungen zur Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft 4.Auflage
4. Guzman ER, Mellon C, Vintzileos AM, et al. Longitudinal assessment of endocervical canal length between 15 and 24 weeks’ gestation in women at risk for pregnancy loss or preterm birth. Obstet Gynecol 1998; 92:31.
5. Leppert PC, Yu SY, Keller S, et al. Decreased elastic fibers and desmosine content in incompetent cervix. Am J Obstet Gynecol 1987; 157:1134.
6. Berghella V, MacKeen AD. Cervical length screening with ultrasound-indicated cerclage compared with history-indicated cerclage for prevention of preterm birth: A meta-analysis. Obstet Gynecol 2011; 118: 148– 155
7. Scheib S, Visintine JF, Miroshnichenko G, et al. Is cerclage height associated with the incidence of preterm birth in women with an ultrasound-indicated cerclage? Am J Obstet Gynecol 2009; 200:e12.
8. Vissers J, van Kesteren PJ, Bekedam DJ. Laparoscopic abdominal cerclage during pregnancy: Report on two cases using a McCartney tube. J Obstet Gynaecol 2017; 37:383.
9. Romero R, Nicolaides KH, Conde-Agudelo A et al. Vaginal progesterone decreases preterm birth </= 34 weeks of gestation in women with a singleton pregnancy and a short cervix: an updated meta-analysis including data from the OPPTIMUM study. Ultrasound Obstet Gynecol 2016; 48: 308–317
10. Ehsanipoor RM, Seligman NS, Saccone G, et al. Physical Examination-Indicated Cerclage: A Systematic Review and Meta-analysis. Obstet Gynecol 2015; 126:125.
11. GoyaM,Pratcorona L,MercedCetal.Cervical pessary in pregnant women with a short cervix (PECEP): an open-label randomised controlled trial. Lancet 2012; 379: 1800–1806
12. Claudio G Sosa, Fernando Althabe, José M Belizán, Eduardo Bergel Bettruhe bei Einlingsschwangerschaften zur Vermeidung einer Frühgeburt, Cochrane Library, 30 March 2015

Veränderung der Spermienparameter nach metabolischer und antioxidativer Supplementierung

Weltweit treten bei einem Sechstel aller Paare Unfruchtbarkeitsfaktoren auf. Bei der Hälfte ist der Mann betroffen, die genaue Ursache bleibt dabei bei 40% unbekannt. Die Samenqualität kann von zahlreichen Faktoren beeinflusst werden, wie ein ungünstiger Energiestoffwechsel, ein unvorteilhaftes Milieu und/ oder oxidativer Stress, Rauchen, Adipositas u.a.m. Ein Schutzeffekt ist für die Antioxidantien Vitamin C, Selen, Zink, Coenzym Q10 und L-Carnitin am besten untersucht.

Der therapeutische Effekt von antioxidativer Nahrungsergänzung wie Proxeed®Plus auf die Spermienqualität bei männlicher Infertilität wurde in zahlreichen randomisierten klinischen Studien erwiesen. Jedoch sind Daten aus dem mitteleuropäischen Umfeld untervertreten. In einer Schweizer Studie wurde der therapeutische Effekt einer gezielten antioxidativen Nahrungsergänzung (Proxeed® Plus) auf die Spermienqualität von Männern mit Oligoasthenoteratospermie und unerfülltem Kinderwunsch (Temime RB et al. Clin Res Trials, 2020; (7)1-6) untersucht im Hinblick auch die Auswirkungen einer Vitamin- und Antioxidantien-Supplementierung auf Spermaparameter und Schwangerschaftsraten.

Experimentelles

Studiendesign

Die prospektive Beobachtungsstudie über 15 Monate verglich das Spermiogramm vor und nach 3-monatiger Supplementation mit Proxeed®Plus, mit Probenahme nach 3–5-tägiger Abstinenz. Statistisch signifikant wurden p-Werte < 0.05 eines Wilcoxon-Rang-summen-Tests definiert. Ziel der Studie war, die Untersuchung des therapeutischen Effekts von gezielter antioxidativer Nahrungsergänzung (Proxeed® Plus) auf die Spermienqualität von Männern mit Oligoasthenoteratozoospermie und unerfülltem Kinderwunsch.

Studienmedikation

Die Studienmedikation (Proxeed®Plus) bestand aus: L-Carnitin (1000 mg), Fructose (1 g), Zitronensäure (50 mg), Coenzym Q10 (20 mg), Vitamin C (90 mg), Zink (10 mg), Folsäure (200 μg), Vitamin B12 (1.5 μg), Selen (50 μg).

Patientencharakteristika

Der BMI war im Durchschnitt 25.9 mit 17.3% adipösen Patienten. 71.1% der Paare hatten eine primäre und 32.6% eine sekundäre Unfruchtbarkeit. 42.3% der Partnerinnen hatten selbst eine verminderte Fruchtbarkeit. Anamnetisch diagnostiziert war Diabetes in 7.6% und Asthma in 5.7% der Fälle. 23% der Studienteilnehmer hatten Varikozele, 9.6% operierte Leistenhernien und 7.6% eine Orchitis-Anamnese.

Studien-Endpunkte

Primärer Endpunkt: Veränderung der Spermienqualität nach Proxeed®Plus-Supplementation gemäss WHO-Kriterien 2010.
Sekundärer Endpunkt: Schwangerschaftsraten nach Proxeed®Plus Supplementation.

Resultate und Diskussion

Nach gründlichen urologischen und genetischen Untersuchungen (11 bakterielle Infektionen mit Antibiotika-Verordnung, zwei neue Varikozele-Diagnosen, ein Fall von CFTR-Polymorphismus) blieben 34.6% der Unfruchtbarkeiten idiopathisch.
Die Einnahme von Proxeed®Plus über 3 Monate führte zu einer Normalisierung der Spermienkonzentration bei 23% der Patienten und der progressiven Motilität bei 22.1% der Patienten.
Über die gesamte Studienpopulation gesehen, ergab die statistische Analyse eine signifikant erhöhte Spermienkonzentration (p = 0.05 (Tab. 1). Eine Subgruppenanalyse zeigte, dass bei idiopathischer Unfruchtbarkeit der therapeutische Effekt von Proxeed®Plus am grössten war (n = 18), verglichen mit Patienten mit Varikozelen (n = 12) oder Infektionen (n = 11). Bei der Spermienkonzentration trat bei 61.1% eine Verbesserung auf.
Die progressive Motilität verbesserte sich bei 50% der Patienten. Die begrenzte Stichprobenzahl erlaubt keine statistische Analyse.
Während den 15 Studienmonaten traten 16 Schwangerschaften auf (30.7% aller Paare), davon 5 spontan und 11 mittels assistierter Reproduktionstechniken. Die Verträglichkeit der Proxeed®Plus-Supplementation war gut: Es trat nur ein Fall von gastrointestinaler Verstimmung (1.9%) auf.

Fazit

Proxeed®Plus ist empfohlen für Männer in der Familienplanung, die ihre Fruchtbarkeit optimieren möchten, für Männer, die sich auf eine Behandlung wie IVF, ICSI vorbereiten und eine bestmögliche Spermienqualität anstreben sowie Männer, die durch eine Spermienproduktionsstörung ein eingeschränktes Spermiogramm haben und ihre natürliche Fertilität optimieren möchten. Proxeed®Plus ist nicht zur Diagnose, Behandlung, Heilung oder Vorbeugung von Krankheiten bestimmt.

Quelle: Temime RB, Fahrni AC, Attilah L, Feki A. Variation of sperm parameters after metabolic and antioxidant supplementation in infertility patients with Oligoasthenoteratospermia. Clin Res Trials, 2020; (7)1-6.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Impfen ja, aber so nicht mit uns!

Als mein Praxiskollege, Johann Batea, und ich im Dezember hörten, dass Hausärzte die Impfung gegen COVID-19 verabreichen dürfen, freuten wir uns und meldeten uns beim Ärztefon gleich an. Ohne zu wissen, was auf uns zukommt und wie entschädigt wird. Denn wir fanden es wichtig, der Pandemie ein Ende zu setzen, und der Weg aus dieser heraus führt unseres Erachtens nur über die Impfungen.

Erstaunlicherweise erhielt dann im Februar nur ich 100 Moderna-Impfdosen zugesprochen, Johann musste sich nochmals anmelden und wurde erst Monate später mit 100 Impfdosen beliefert. Der Aufwand für die Durchführung der ersten 100 Impfungen war riesig. Wir wurden förmlich überrannt von über 75-Jährigen und Hochrisikopatienten: Auf unserer Warteliste hatten sich innert 2 Tagen 600 Patienten angemeldet! Ein Gerangel entstand und viel Druck wurde auf uns ausgeübt, wer geimpft werden dürfe. Wir suchten die 100 Ältesten und alle Hochrisikopatienten heraus, doch die anderen fragten uns: «Wieso ich nicht?».

Nach Zustellung dieser ersten 100 Impfdosen wurden alle weiteren Bestellungen für Hausarztpraxen abgesagt und die ÄrztInnen vertröstet, denn wegen Lieferengpässen gingen nun spontan die Moderna-Impfdosen statt der Pfizer-Impfstoff in die Pflegeheime. So kamen meine ArztkollegInnen in die unangenehme Lage, 100 Personen kurzfristig den zugeteilten Termin ohne Verschiebedatum absagen zu müssen. Dies trug zum Unmut bei.

Der Aufwand, das Administrative zu bewältigen und die vielen Fragen der Patienten zu beantworten war enorm. Die Termin-Organisation und das Erfassen der 100 Patienten im Ärztefon-Tool benötigte 3 Arbeitstage. Die Vergütung war noch offen, es wurde verhandelt. Unglücklicherweise waren unter den 100 PatientInnen noch 3, welche auch zu einer anderen Hausärztin gehen, was zu einem interkollegialen Konflikt führte, zumal die Impftermine bei der Kollegin abgesagt wurden. Parallel musste ich die PatientInnen der Pflegeheime impfen, die ich ärztlich betreue, denn die Aufgabe des Impfens wurde den Heimärzten überantwortet. Ich erfuhr jeweils nur einige Tage zuvor den Termin der Heimlieferungen, so dass ich kurzfristig einen gefüllten Sprechstundentag umorganisieren musste.
Im weiteren Verlauf wurde das Ärztefon-Tool obligatorisch durch die kantonale Plattform VacMe ersetzt und wir mussten einige Patienten nochmals neu erfassen.
Einmal fiel meinem Kollegen aus Versehen ein Fläschchen zu Boden, es zerbrach – und 10 geplante Impfungen waren weg. Ersatz zu besorgen, bedeutete 3 Stunden Aufwand einschliesslich Weg. Wir Ärzte und unsere MPAs waren am Limit, denn all dies lief zusätzlich zum normalen Praxisbetrieb.

Nach 1000 Impfungen zogen wir die Notbremse. Wir sind raus! Von all meinen KollegInnen höre ich dasselbe. Zumal nun die Mindestbestellung auf 400 Dosen angewachsen ist. Gewünscht hätte ich mir eine Handhabung wie bei allen anderen Impfungen, mit Tarmed und Einzelspritzen. Impfen Ja, aber so nicht mit uns!

Dr. med. Dr. sc. nat. Andreas Bäbler
praxis.baebler@hin.ch

Dr. med. Dr. sc. nat. Andreas Bäbler

Herrliberg

Opioide bei älteren Patienten

Die Durchführung einer Opioidanalgesie bei älteren Patienten ist oft eine Herausforderung. Während Opioide zu gefährlichen Nebenwirkungen führen können, insbesondere bei einer gefährdeten geriatrischen Population, kann eine unzureichende Schmerzkontrolle zu einer dramatischen Abnahme des Funktionsstatus und der Lebensqualität führen. In diesem Artikel sollen diese Fragen diskutiert und die Grundsätze für eine sicherere Verschreibung von Opioiden in der Geriatrie überprüft werden.

Einsatz von Opioiden in der Geriatrie

Laut dem Bundesamt für Statistik sind Analgetika aller Klassen die am häufigsten konsumierten Medikamente in der Schweiz, insbesondere bei älteren Menschen (1). Der gesamte Opioidkonsum, ausgedrückt in Morphinäquivalenten pro Kopf, ist auch in der Schweiz in der Allgemeinbevölkerung über einen Zeitraum von 30 Jahren (1985-2015) um mehr als das 20-Fache gestiegen (2). Eine Genfer Beobachtungsstudie zeigte, dass 20% der geriatrischen Patienten, welche die Notaufnahme aufsuchten, zu Hause ein Opioid einnahmen und von diesen wiederum 1/3 wegen unerwünschter Wirkungen im Zusammenhang mit dieser Behandlung eine Konsultation beanspruchte (3). Es scheint jedoch so zu sein, dass über 65 Jahre alte Personen in der Schweiz nicht mehr starke Opioide erhalten als jüngere Patienten (4). Dies mag überraschend erscheinen, da Schmerzen ein sehr häufiges Symptom sind und ihre Prävalenz mit dem Alter zunimmt (5). Es scheint jedoch, dass die Angst vor der Verschreibung von Opioiden bei Patienten mit Polymorbidität und Multimedikation weiterhin eine wichtige Rolle spielt (6).
Das Vorhandensein von Komorbiditäten und das erhöhte Risiko von unerwünschten Wirkungen bei älteren Patienten verändern oft das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Analgetika und schränken deren Auswahl in dieser Bevölkerungsgruppe ein. Opioide sind die wirksamsten Analgetika, die für starke Schmerzen zur Verfügung stehen. Ihr Einsatz ist in der Regel mässigen bis starken akuten Schmerzen vorbehalten oder dann angezeigt, wenn andere verfügbare Behandlungen versagt haben, und in der Geriatrie werden Opioide manchmal zur einzigen medikamentösen Behandlungsoption.

Die Bedeutung einer adäquaten Schmerzbehandlung

Die geriatrische Bevölkerung wird manchmal im Verhältnis zur Intensität der vorliegenden Schmerzen unterbehandelt (7-10) und starke Opioide werden zu wenig eingesetzt. Dies kann auf eine Trivialisierung seitens der Patienten zurückzuführen sein, die Schmerzen als unvermeidlich ansehen, und seitens des Pflegepersonals, das nicht immer darin geschult ist, Schmerzen bei älteren Patienten angemessen zu beurteilen und zu behandeln, insbesondere bei eingeschränkter verbaler Kommunikation oder bei kognitiven Einschränkungen. Darüber hinaus verwenden Pflegekräfte Opioide in dieser Population häufig nicht, da sie Angst vor unerwünschten Wirkungen haben und nicht ausreichend geschult sind (6, 11).
Unzureichend behandelte Schmerzen können chronisch werden und sich bei älteren Menschen sowohl in Bezug auf die Lebensqualität als auch auf die Funktionalität nachteilig auswirken. Sie können mit Schlaf- und Appetitstörungen, Depression, eingeschränkter Mobilität, Stürzen und der Unfähigkeit, Aktivitäten des täglichen Lebens durchzuführen, einhergehen und möglicherweise zu einem Verlust der Unabhängigkeit führen (12, 13). Darüber hinaus kann eine unzureichende Kontrolle der akuten Schmerzen, insbesondere in der postoperativen Phase, zu Verwirrung führen (14).
Während die Verabreichung von Opioiden ursprünglich der Behandlung akuter nozizeptiver oder tumorbedingter Schmerzen vorbehalten war, ist die Mitverschreibung eines oralen Opioids zur Behandlung chronischer, nicht krebsbedingter Schmerzen bei geriatrischen Patienten für die kurzfristige Behandlung an-haltender mässiger bis starker muskuloskelettaler Schmerzen erlaubt, wie z.B. Arthrose-Schub oder Kreuzschmerzen und wenn andere medikamentöse oder nicht-medikamentöse Ansätze versagt haben (11, 15, 16).

Geriatriespezifisches Gefährdungspotenzial der Opioide

Die weit verbreitete Sorge hinsichtlich vermehrter unerwünschter Ereignisse mit schwerwiegenden Folgen bei älteren Patienten, die Opioide einnehmen, ist berechtigt. Altersbedingte pharmakokinetische und pharmakodynamische Veränderungen sowie Komorbiditäten und Polymedikation, die in dieser Bevölkerungsgruppe extrem häufig vorkommen, machen die Gruppe anfälliger für opioidbedingte unerwünschte Ereignisse, die in ihren Merkmalen denen der übrigen Bevölkerung ähneln (17), aber häufig schwerwiegendere Folgen haben (Tab. 1). So kann eine Opioidtherapie ohne Indikation die Lebensqualität genauso stark oder stärker einschränken als die Schmerzen, gegen die sie verordnet wird (16).
Von einer erhöhten pharmakodynamischen Empfindlichkeit bei älteren Menschen, die zu einer stärkeren Wirkung bei einer gegebenen Dosis führt, wurde bei allen Opioiden berichtet. Dies führt vor allem zu Beginn der Behandlung zu einem dosisabhängigen Sturz- und Frakturrisiko (18, 19), das sich bei der Einnahme anderer Sedativa wie Benzodiazepinen, Antipsychotika, trizyklischen Antidepressiva oder Antihistaminika weiter erhöht. Diese erhöhte Empfindlichkeit fordert zu einer sorgfältigen Titration auf und ermöglicht manchmal auch ein therapeutisches Ansprechen bei Dosen, die oft niedriger sind als die bei Erwachsenen verwendeten Durchschnittsdosen.

Grundsätze für eine sicherere Verschreibung von Opioiden

Obwohl die potenziell schädlichen Wirkungen von Opioiden bei geriatrischen Patienten eine Realität sind, gibt es einfache Möglichkeiten, ihr Auftreten in dieser Bevölkerungsgruppe zu verhindern oder zu begrenzen (Tab. 1).
In erster Linie sollten Opioide ausschliesslich bei Patienten mit mässigen bis starken Schmerzen, die die Lebensqualität und das Funktionsniveau erheblich beeinträchtigen, verschrieben werden (16).
Opioide sollten, wann immer möglich, von nicht-medikamentösen Massnahmen begleitet werden. Die Therapie sollte mit einer um 25-50% niedrigeren Dosis begonnen und vorsichtiger erhöht werden als bei jüngeren Patienten (13).
Es ist wichtig, zu Beginn der Behandlung mit dem Patienten ein realistisches Therapieziel zu definieren, wie z.B. eine 30-50%ige Schmerzreduktion oder eine deutliche Verbesserung des Schlafes, der Lebensqualität, des funktionellen Status und der Wiederaufnahme sozialer Aktivitäten. Wenn diese Ziele nach maximal 4 Wochen nicht erreicht werden, sollte das Opioid schrittweise abgesetzt werden (Reduktion um 25-50% pro Woche bis zum Absetzen). Wird die Therapie fortgesetzt, sollte spätestens nach 6 Monaten eine erneute Beurteilung der Behandlung erfolgen und eine Dosisreduktion oder ein Absetzen erwogen werden (13, 16).
Die bevorzugte galenische Form ist die orale Verabreichung, aber auch die Anwendung eines Pflasters ist manchmal möglich, insbesondere bei Schluckstörungen oder Problemen mit der Adhärenz. Eine osmotische oder reizlindernde Abführbehandlung sollte die Verschreibung systematisch begleiten (19).
Bei älteren Patienten mit Niereninsuffizienz sind die Analgetika der Wahl Buprenorphin und Hydromorphon und eventuell Fentanylpflaster, die bei eingeschränkter Nierenfunktion nicht akkumulieren (20). Es ist zu beachten, dass zur Abschätzung der Nierenfunktion bei älteren Patienten mit verminderter Muskelmasse die Cockroft-Formel unter Berücksichtigung des Gewichts verwendet werden sollte.
Liegt eine Leberschädigung vor, sind sofort glucuronidierte Opioide wie Morphin und Hydromorphon zu bevorzugen. Buprenorphin oder Fentanyl sind mögliche Alternativen (21, 22).
Aufgrund des hohen Risikos pharmakokinetischer Wechselwirkungen ist es sinnvoll, die Verschreibung von Codein und Oxycodon bei polymedizierten Patienten zu vermeiden und bei der Verschreibung anderer Cytochrom P450 (CYP)-Substrat-Opioide, wie Tramadol (CYP 2D6) oder Fentanyl (CYP 3A4/5), besonders auf das Auftreten von unerwünschten Wirkungen oder unzureichendes therapeutisches Ansprechen zu achten (23). Die Wirkung der letztgenannten Opioide kann bei Vorhandensein von Arzneimittelinteraktionen und/oder genetischem CYP-Polymorphismus verändert werden, was zum Risiko einer Überdosierung oder zu Unwirksamkeit führt.
In diesen Situationen ist Buprenorphin oder Morphin zu bevorzugen, da bei beiden einige dieser Wechselwirkungen entfallen, und das Risiko sollte abgewogen werden.
Ausserdem sollte die Polymedikation so weit wie möglich eingeschränkt werden, insbesondere sedierende Behandlungen, um das Sturzrisiko zu verringern.

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Zweitabdruck, aktualisiert und übersetzt aus «la gazette médicale» 03_2020.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Myriam El Biali

Département de médecine aiguë, HUG
Rue Gabrielle Perret-Gentil 4
1211 Genève 14

Myriam.elbiali@hcuge.ch

Prof. Dr. med. Jules Desmeules

Département de médecine aiguë, HUG
Rue Gabrielle Perret-Gentil 4
1211 Genève 14

Dr. med. Marie Besson

Département de médecine aiguë, HUG
Rue Gabrielle Perret-Gentil 4
1211 Genève 14

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

◆ Wenn die Indikation gestellt ist, sollte die Einleitung einer oralen Opioid-Analgesie einem älteren Patienten in der niedrigsten wirksamen Dosis angeboten werden, mit dem Ziel, eine Schmerzreduktion von mindestens 30% und/oder eine signifikante Verbesserung der funktionellen Kapazität zu erreichen.
◆ Eine vorsichtige Dosiseinführung und Titration ist erforderlich, ebenso wie eine regelmässige Neubewertung der Wirksamkeit und Verträglichkeit.
◆ Bei ungenügendem Ansprechen innerhalb weniger Wochen muss die Behandlung abgebrochen werden.
◆ Es ist zwar wichtig, Schmerzen in der Geriatrie angemessen zu behandeln, aber es ist auch wichtig zu vermeiden, eine Behandlung fortzusetzen, die keinen ausreichenden analgetischen Nutzen bietet und deren potenzielle unerwünschte Wirkungen in einer vulnerablen älteren Bevölkerung besonders schädlich sein können.

1. Bundesamt für Statistik.
2. Ruchat D, Suter MR, Rodondi PY, Berna C. [Opioid consumption from 1985 to 2015 : The situation in Switzerland, with an international comparison]. Rev Med Suisse. 2018;14(612):1262-6. Consommation d’opioides entre 1985 et 2015 : chiffres suisses et mise en perspective internationale.
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4. Wertli MM, Reich O, Signorell A, Burgstaller JM, Steurer J, Held U. Changes over time in prescription practices of pain medications in Switzerland between 2006 and 2013: an analysis of insurance claims. BMC Health Serv Res. 2017;17(1):167.
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12. American Geriatrics Society Panel on Pharmacological Management of Persistent Pain in Older P. Pharmacological management of persistent pain in older persons. J Am Geriatr Soc. 2009;57(8):1331-46.
13. Schuler M, Griessinger N. [Opioids for noncancer pain in the elderly]. Schmerz. 2015;29(4):380-401. Opioide bei Nichttumorschmerz im hoheren Lebensalter.
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