Kardiopsychologie in der Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen

Der Satz in Fernando Pessoas Werk «Das Buch der Unruhe» beschreibt die Verbindung von Herz und Psyche in durchschlagender Weise. Dieser Satz vermag die Bedeutung des Symbolorgans Herz und seine Verbindung zum Gefühlsleben prägnanter zu erfassen, als diese in bildhaften alltäglichen Redensarten wie «Es hat mir das Herz gebrochen», «schweren Herzens», «mein Herz springt vor Freude» oder «er hat das Herz am richtigen Fleck» zum Ausdruck gelangt.

Das Herz bringt emotionale Zustände organisch zum Vorschein. Man hält sich die Hand bei starken Gefühlsregungen davor und nicht wenige meinen, es sei der Sitz der Seele und mit ihm deshalb tatsächlich fühlen zu können. Das Herz ist zweifelsfrei nicht einfach ein Hohlmuskel, der über Jahrzehnte wartungsfrei stündlich 7000 Liter Blut durch das Gefässsystem pumpt. Es bedeutet für viele Menschen der Ort, wo das Leben pulsiert. Entsprechend sind neben den somatischen die psychischen Auswirkungen, wenn das Herz erkrankt und in seiner vitalen Funktion beeinträchtigt ist. Seit Jahrtausenden stehen Herz und Psyche in Beziehung. Angst, Wut, Ärger, Freude und Trauer sind psychische Befindlichkeitszustände, die in unmittelbarer Verbindung mit dem Organ Herz perzeptiert und apperziert werden.
Die Kardiopsychologie umfasst verschiedenste Disziplinen wie Kardiologie, Psychiatrie, Psychologie, Psychosomatik, Soziologie, Epidemiologie, Arbeitsmedizin und Gesundheitswissenschaft. Auch die Grundlagenforschung verbindet kardiopsychologische Erkenntnisse und Fragen mit epigenetischen, endokrinologischen Phänomenen und mit der Immunologie, um beispielsweise die Aetiopathogenese der Arteriosklerose besser verstehen zu können.
Trotz vielen Publikationen und Metaanalysen, die sich mit psychischen Faktoren im Zusammenhang mit Hypertonie befassen und trotz zahlreichen Studien beispielsweise über die Verschlechterung der Prognose nach Myokardinfarkt bei depressiven Patienten, fanden bis vor wenigen Jahren deren Ergebnisse nur selten den Weg in den klinischen Alltag und in die Behandlung von kardiologischen Patienten. Die Kardiopsychologie ist jedoch die Schnittstelle zwischen Herz und Psyche und das psychologisch-psychotherapeutische Instrument bei kardiologischen Erkrankungen. Sie stellt das medizinische Angebot zu deren besseren Akzeptanz und Verarbeitung und damit zur Wiedererreichung einer guten Lebensqualität dar. Sie stärkt und fördert darüber hinaus die Therapieadhärenz und entsprechend die Genesung bei Patienten mit Herz-Kreislauferkrankungen (Kasten 1).

Psychosoziale Faktoren bei kardiologischen Erkrankungen

Neben einer familiären Belastung (Kardiogenetik), erhöhtem Cholesterin, der arteriellen Hypertonie, dem Diabetes, dem Rauchen und dem Bewegungsmangel belegen zahlreiche Studien die psychischen bzw. psychosozialen Risikofaktoren für kardiologische Erkrankungen und Eingriffe und seit 40 Jahren gibt es Untersuchungen zu deren psychischen Verarbeitung.
Es gibt zwar grosse Fortschritte in der interventionellen und medikamentösen Therapie kardiologischer Erkrankungen, die auch deren psychische Risiken zu vermindern vermochten. Doch bleiben psychische bzw. psychosoziale Einflussgrössen wie die berufliche und private Lebenssituation, sozialer Status, soziale Beziehungen und vorbestehende emotionale Befindlichkeitsstörungen wie z.B. Angst und Depression für den Krankheitsverlauf bei kardiologischen Patienten unverändert von eminenter Bedeutung. Diese erfahren heute zunehmend eine adäquate medizinisch-therapeutische Berücksichtigung bei kardiologischen Patienten.
Ein erhöhtes Stressniveau bei der Arbeit mit vitaler Erschöpfung kann die Wahrscheinlichkeit einer KHK-Entwicklung begünstigen, dies gilt ebenso für Schichtarbeit und chronische berufliche Überbelastung. Distress, der sich mit Angst oder stark anhaltendem Ärger verbindet, kann über die Aktivierung von Stresshormonen, dem Immun- und Gerinnungssystem Plaquerupturen hervorrufen und so zu einem Myokardinfarkt führen. Die genauen Mechanismen dafür sind bis heute jedoch noch nicht geklärt.
Umgekehrt treten nach einem Myokardinfarkt Angst und Depression als Belastungsreaktionen gehäuft auf. Bis zu 40 Prozent der Patienten leiden nach einem Infarkt an einer depressiven Verstimmung, 20 bis 40 Prozent an einer Angstsymptomatik, 12 Prozent an einer PTBS (posttraumatischer Belastungsstörung). 55 Prozent der Bypass-Patienten zeigen klinisch relevante Angst vor dem Eingriff, 32 Prozent noch 3 Monate danach. Wiederum erhöhen Angst und Depression das 5-Jahres-Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse nach Bypass-Operationen, führen bei Infarktpatienten zu einem erhöhten Mortalitätsrisiko und bei CHF (chronic heart failure) zu einer erhöhten Rehospitalisationsrate.
Patienten mit ausgeprägterem Schweregrad eines CHF zeigen eine stärkere depressive Symptomatik und deren Lebensqualität ist entsprechend reduziert. Während akute Belastungsreaktionen innert der ersten Tage nach Bypass-Interventionen auftreten, entwickelt sich eine PTBS im Verlauf von Wochen oder Monaten. Beides erhöht die Mortalitätsrate und das Risiko einer Reinfarzierung. Auch Delirien nach Bypass-Operationen sind nicht selten. Ältere Patienten mit dementieller Entwicklung und/oder vorbestehender psychischer Symptomatik sind hier besonders gefährdet.
Primärpersönlichkeit und psychosoziale Faktoren haben Einfluss auf die Krankheitsentwicklung bei herztransplantierten Patienten, Patienten mit Schrittmacher bzw. Pacemaker und bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen sowie mit arterieller Hypertonie. Eine Wechselwirkung zwischen Affekt und elektrophysiologischen Abläufen sind bekannt, stark negative, aber auch ausgeprägt positive Gefühle vermögen Herzrhythmusstörungen auszulösen. Patienten, die medizinische Interventionen traumatisch erlebt haben, zeigen vermehrt Angst und Depression, was die Krankheitsbewältigung erschwert.
Schlechter Schlaf und anhaltend erhöhter Arbeitsstress sind Prädiktoren bei der Entstehung einer arteriellen Hypertonie, im Gegenzug bestehen bei Patienten mit erhöhtem Blutdruck öfters depressive Vorerkrankung oder eine Angststörung. Dies gilt auch für das Broken-Heart-Syndrom. Patienten mit angeborenen Herzvitien sind gefährdeter im Hinblick auf die Entstehung von psychischen Störungen. So zeigen über 30 Prozent dieser Patienten aufgrund der hier einwirkenden Stressfaktoren wie geringere Lebenserwartung und überdauernd geforderter Adaptation an die eingeschränkten und verunsichernden Lebensverhältnisse eine klinisch relevante Psychopathologie. Unter den somatoformen autonomen Störungen sind Patienten mit Symptomen des kardiovaskulären Systems besonders häufig. Psychische Belastungsfaktoren und schwierige Lebensumstände können, müssen jedoch nicht vorhanden sein, sodass die Diagnosestellung hier erschwert sein kann. Solche Patienten sind nicht durch die Aussage «Sie haben nichts» oder durch die Zuteilung zum supranasal beeinträchtigten Patientenstamm zu beruhigen, geschweige denn zu heilen. Diese Patienten bedürfen meist einer intensiven ärztlichen Langzeitbegleitung, die die Geduld und Motivationskonstanz der Behandler erfordert.

Kardiopsychologische Kompetenz und Behandlung

Um kardiologische Patienten über die rein somatische Behandlung hinaus adäquat zu therapieren, ist psychologisch-psychosoziale und psychosomatische Kompetenz Voraussetzung. Die spezifische, umfassende Anamnese und eine authentisch-professionelle Kommunikation des Behandlers mit dem Patienten geht damit einher. Unverändert ist es aber auch die insuffiziente Vergütung für ausführliche Gespräche, die bei Ärzten eine Bereitschaft, sich mit den relevanten psychosozialen Faktoren im Zusammenhang mit kardiologischen Erkrankungen auseinanderzusetzen, nicht begünstigen. Fragen nach der psychischen Befindlichkeit führen bei den Patienten oft zu erweiterten Schilderungen von Beschwerden und Lebensumständen, was die Logistik und die zeitlichen Abläufe im medizinischen Betrieb bald stört und deshalb möglichst abgewendet werden muss. Ausführlicheres Fragen zu den Lebensumständen und psychosozialen Belastungen und betreffend mögliche Ängste und depressive Phasen bedeuten immer einen höheren Zeitaufwand. Solche Informationen über die Einwirkungsmechanismen von psychischen und psychosozialen Faktoren sind jedoch von hohem Wert und Nutzen, um bei einer bedeutsamen Anzahl von kardiologischen Patienten den Therapie-Outcome und damit die Gesundheitsprognose verbessern zu können. Auch in der ärztlichen Kunst gilt, dass wir nur erkennen, was wir vorwegnehmen. Eine patientenorientierte, umfassende Gesprächsführung in der medizinisch-kardiopsychologisch ausgerichteten Behandlung berücksichtigt die heutigen Erkenntnisse der Zusammenhänge von kardiologischen Erkrankungen und psychischer Befindlichkeit. Das immer wieder so betont wichtige, vertrauensvolle Arzt-Patientenverhältnis führt sodann zu einer stärkeren Therapieadhärenz und damit zu günstigerem bzw. komplikationsfreierem Krankheitsverlauf.
Patienten profitieren von einer kardiopsychologischen Intervention nicht nur während der Rehabilitation durch eine kognitiv-verhaltenstherapeutische bzw. systemisch-lösungsorientierte Behandlung bei negativen Erlebens-, Reaktions- und Verhaltensbereitschaften. Auch in der Akutphase ist die Berücksichtigung von psychischen, psychosomatischen und psychosozialen Faktoren von erheblicher Tragweite für die Genesung. Hierfür ist kardiopsychologische Kompetenz Voraussetzung, die sich mit kardiologischer Kompetenz zu jedem Zeitpunkt einer kardiologischen Erkrankung interdisziplinär verbindet. Bei Akutpatienten, z.B. nach Myokardinfarkt, kann eine frühe medizinisch-psychotherapeutische Intervention in Form eines Konsiliums oder einer Kurzzeitbehandlung erfolgen. Die oft vorhandenen Ängste (oft auch Todesangst) werden rechtzeitig und gezielt angegangen, eine depressive Symptomatik anbehandelt, dysfunktionale Krankheitskonstrukte korrigiert, Stressreduktion erzielt und situationsgerechtes, krankheitsbezogenes Wissen beim Patienten geschaffen.
Die Kombination von Kardiologie, medizinisch-psychotherapeutischen Gesprächen und bei Bedarf Antidepressiva zeigen laut neuesten Studien z.B. bei depressiven Patienten mit KHK einen deutlich begünstigenden Effekt auf den Krankheitsverlauf und damit auf die Gesundheitsprognose. Als mögliches antidepressives und längerfristig auch angstreduzierendes Medikament kann als Vertreter der SSRI-Gruppe Sertralin zur Anwendung gelangen. Bei Kombination mit Thrombozytenaggregationshemmern besteht jedoch die Möglichkeit einer erhöhten Blutungsneigung. Andere SSRI präsentieren sich vom Nebenwirkungsprofil her weniger günstig (Hypokaliämie, QT-Verlängerung, Tachykardien, Hyper-/Hypotonie). Tetrazyklika können eine Steigerung des Appetits hervorrufen, Trizyklika haben einen anticholinergen und adrenolytischen Effekt.
Neben der Kardiologie ist die Hausarztmedizin in der Betreuung und Behandlung von kardiologischen Patienten immer mehr involviert (kürzere Hospitalisationsdauer, Altersstruktur, Multimorbidität, Lebensstil) und somit zunehmend bedeutsam. Da kardiologische Patienten oft chronische Patienten werden, ist es in deren langjähriger Begleitung gerade der Hausarzt, der die psychosozialen Einflussgrössen erfragen, ansprechen und die notwendigen sekundärpräventiven Massnahmen koordinieren und die Überweisung zu kardiopsychologisch ausgebildeten Fachärzten oder Psychologen vorschlagen kann.

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Dr. med. Michael Sacchetto-Mussetti

Zentrum für Psychiatrie und
Psychotherapie rechter Zürichsee Küsnacht
Dorfstrasse 5
8700 Küsnacht

Der Autor deklariert, in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte zu haben.

  • Die Kardiopsychologie entwickelt sich zunehmend zum state of the art in der Behandlung von kardiologischen Patienten.
  • Depression, Angst, Distress und niedriger sozialer Status gehen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko von kardialen Erkrankungen einher. Kardiologische Erkrankungen erhöhen wiederum die Entstehungswahrscheinlichkeit von psychischen Erkrankungen.
  • Interdisziplinarität von Kardiologie, Kardiopsychologie und Hausarztmedizin bedeutet moderne Medizin, indem heute vorliegendes wissenschaftlich-medizinisches Wissen in der Behandlung von kardiologischen Patienten zusammengeführt und angewendet wird.
  • Der Einsatz von Kardiopsychologie ist auch in der Akutphase bei diversen kardiologischen Erkrankungen indiziert und für deren Verlauf von Bedeutung.
  • Verhaltenstherapeutische-systemisch-lösungsorientierte Interventionen verbessern den Therapie-Outcom, führen zu stärkerer Therapieadhärenz und zu mehr Lebensqualität von kardiologischen Patienten.

beim Verfasser

Genitourinary syndrome of the menopause (GSM)

Rund 50% aller Frauen in der Peri- und Postmenopause haben Symptome des «Genitourinary syndrome of the menopause» (GSM). Dieses Syndrom umfasst, ergänzend zur vulvovaginalen Atrophie (VVA), zusätzlich die durch absinkende Hormonspiegel entstehenden Symptome der ableitenden Harn­wege. Die Lebensqualität der betroffenen Frauen kann als Folge der Gewebeveränderungen stark eingeschränkt sein. Ziel dieser Übersicht ist die Darstellung der aktuellen Therapiemöglichkeiten und deren stufenweiser Einsatz.

Zu den typischen Symptomen des GSM gehören genitale Trockenheit, Dyspareunie, Irritation des Gewebes, Brennen und Juckreiz an der Vulva und Vagina sowie Dysurie, vermehrter Harndrang und Urge-Symptomatik. Die gängigen Behandlungsmethoden sind nur bei einem Teil der Patientinnen erfolgreich. Daher hat die Entwicklung neuer Methoden eine besondere Bedeutung.

Terminologie: VVA und GSM

Das «Genitourinary syndrome of the menopause» (GSM) ist ein Komplex von Symptomen der Vulva, der Vagina und der ableitenden Harnwege, welche bei postmenopausalen Frauen auftritt (1). Der neue Begriff wurde 2014 eingeführt. Die neue Terminologie GSM beinhaltet alle urogenitalen Symptome, die in der Menopause durch den Hormonabfall hervorgerufen werden können und sich an den Labien, am Introitus, an der Vagina, der Urethra und der Blase manifestieren. Ergänzend zu den Symptomen der VVA sind Belastungsinkontinenz, Dranginkontinenz und Bakteriurie typische Symptome des GSM. Sowohl die VVA als auch das GSM sind häufig unterdiagnostiziert und auch untertherapiert. Deshalb soll im ärztlichen Gespräch gezielt nach Beschwerden des GSM gefragt werden, zumal diese von vielen Frauen nicht offen kommuniziert werden (2).

Veränderungen des Gewebes und Konzepte zur Behandlung

Infolge der menopausal absinkenden Östrogenspiegel entwickelt sich eine progrediente, chronische Involution des vaginalen Gewebes. Die daraus entstehenden Symptome sind Ausdruck der morphologischen und funktionellen Veränderungen. Die Haut der Vagina wird dünner und weniger elastisch. Die Vagina wird insgesamt enger und kürzer. Die Oberfläche der Vagina erscheint trocken und es können Blutungen nach minimalem Trauma entstehen. Die Vulva wird atrophisch und leichter vulnerabel, insbesondere im Bereich der Klitoris. Die Atrophie der Vagina kann mit der Zeit zunehmen und die Lebensqualität deutlich negativ beeinflussen. Etwa 50 % der postmenopausalen Frauen entwickeln eine VVA (3). Da die Lebenserwartung immer mehr zunimmt, können die Beschwerden für die Dauer von mehr als einem Drittel der Lebenszeit bestehen.
Zur Behandlung der Symptome der VVA werden meist folgende lokale Behandlungsoptionen genutzt (Abb. 1):
a) hormonfreie Produkte zur Lokaltherapie in Form von Gleitmitteln oder Befeuchtungsmitteln
b) lokale Hormontherapie.
Als weiteres Konzept etabliert sich momentan zunehmend die Lasertherapie der Vagina und der Vulva. Mit DHEA gibt es zudem ein neues, weiteres Konzept zur lokalen Behandlung.

Gleitmittel und Befeuchtungsmittel

Internationalen Leitlinien entsprechend sind Gleitmittel und Befeuchtungsmittel die Therapie der ersten Wahl zur Therapie der VVA. Der Hauptunterschied zwischen vaginalen Gleitmitteln und Befeuchtungsmitteln ist der Zeitpunkt der Anwendung.
Vaginale Gleitmittel sind indiziert bei Frauen, deren Hauptsorge die vaginale Trockenheit beim Geschlechtsverkehr ist. Gleitmittel können die Trockenheit kurzfristig lindern und die Dyspareunie lindern. Vaginale Befeuchtungsmittel sind nicht-lösliche hydrophile Polymere mit der Eigenschaft der Bioadhäsivität. Sie können häufiger verwendet werden als allein in Zusammenhang mit sexueller Aktivität, sind länger wirksam, verbessern die Feuchtigkeit der Vaginalhaut und reduzieren den pH-Wert.
Die initiale Dosierung besteht in der lokalen Anwendung am Abend, vor dem Schlafengehen, an 7 bis 10 aufeinanderfolgenden Tagen. Anschliessend erfolgt meist eine Erhaltungstherapie durch zwei Applikationen pro Woche. Die am häufigsten verwendeten Befeuchtungsmittel basieren auf Hyaluronsäure. Bei bestimmungsgemässer Anwendung können die auf Hyaluronsäure basierenden Produkte die Symptome der vaginalen Trockenheit lindern.

Hormonelle Behandlungen

Internationale Leitlinien empfehlen zur Behandlung der VVA, einschliesslich Dyspareunie, die lokale Hormontherapie als zweiten Schritt für den Fall, dass vaginal applizierte Gleit- und Befeuchtungsmittel nicht die gewünschte Wirkung haben  (4).

Für die lokale Therapie stehen Estriol und Estradiol zur Verfügung, die Applikation erfolgt in Form von Gels, Cremes, Ovula, Tabletten, oder Ringen. Vaginal applizierte Estrogene zeigten sich in Studien mit 6- bis 12-monatiger Dauer wirksamer als Gleit- und Befeuchtungsmittel.
Die häufigste Empfehlung zur Dosierung ist die tägliche einmalige Applikation vaginal für die Dauer von 2 Wochen und anschliessend eine Erhaltungstherapie durch die Anwendung zweimal pro Woche (5).
Bei Anwendung in niedriger Dosierung innerhalb der Empfehlung für das verwendete Präparat ist es nicht erforderlich, zusätzlich ein Progesteronpräparat zur Endometriumprotektion einzusetzen. In grossen Observationsstudien zeigte sich kein erhöhtes Risiko für ein Endometriumkarzinom bei Frauen, die Estrogene vaginal verwendeten.
Bei erhöhtem Risiko für ein Endometriumkarzinom oder bei höher dosierter vaginaler Oestrogengabe werden Kontrollen mittels Transvaginalsonographie oder der intermittierende Einsatz von Progesteron empfohlen. Vaginale Blutungen oder Spotting bei postmenopausalen Frauen unter lokaler Hormontherapie müssen unbedingt abgeklärt werden mit Ultraschall und/oder einer Histologie. Ein bestehendes oder früheres Mammakarzinom bzw. entsprechender Verdacht gelten als Kontraindikation. 12-13% der Frauen zeigen trotz lokaler Hormontherapie weiterhin Beschwerden eines GSM.

DHEA

Die Wirksamkeit von DHEA (Dehydroepiandrosteron) als Lokaltherapie ist durch mehrere Studien belegt, unter anderem durch eine prospektive randomisierte Placebo-kontrollierte Phase III-Studie (9). DHEA führt nicht zu Veränderungen am Endometrium, weder sonographisch noch histologisch. DHEA führt nicht zur Erhöhung der Estrogenspiegel. Jedoch ist auch DHEA für Frauen mit Mammakarzinom kontraindiziert. DHEA ist in der Schweiz zur Lokalbehandlung seit September 2020 zugelassen.

Vaginale Lasertherapie

Die Lasertherapie ist ein neues Konzept bei Patientinnen mit VVA, sie hat eine wachsende Akzeptanz und Verbreitung. Der grundsätzliche Mechanismus des Lasereffekts basiert auf der Bildung supraphysiologischer Hitze mit nachfolgender lokaler Hitzeschockreaktion. Zur vaginalen Lasertherapie wurden verschiedene Systeme eingesetzt. Die meisten wissenschaftlichen Daten basieren auf der CO2-Lasertechnologie. Dieser Laser besteht aus infraroten Strahlen, die Hitze erzeugen und das Wasser in den Zellen des behandelten Gewebes vaporisieren.
Die CO2-Lasertechnologie wird in der vaginalen Therapie eingesetzt, um eine Regeneration mit minimalem Aufwand zu erreichen. So werden die Elastizität und die Hydratation der Vaginalwand verbessert, was zu einer Linderung der Beschwerden führt.
Das fraktionierte Lasersystem kann in tieferen Schichten der Haut der Vagina wirken und sowohl die extrazelluläre Matrix reaktivieren als auch die Bildung von Kollagen, was zu Veränderungen des vaginalen Gewebes führt, mit nur minimalem Trauma der oberflächlichen Schicht.

Studienergebnisse zur vaginalen Lasertherapie

Salvatore et al. veröffentlichten eine Studie zur Behandlung der VVA bei postmenopausalen Frauen (6). Die Linderung der Symptome der vaginalen Trockenheit, des vaginalen Brennens und des vaginalen Juckens, der Dyspareunie und der Dysurie war statistisch signifikant (p< 0,001).
Weitere Studien zeigten ebenfalls positive Ergebnisse zur Praktikabilität und Wirksamkeit. Dies konnte durch eigene Resultate mit dem für diese Indikation zugelassenen CO2-Laser MonaLisa Touch (Fa. Lasermed AG, Roggwil) bestätigt werden (7).
Aktuell wurde die grösste Studie zur Wirksamkeit der CO2-Lasertherapie bei VVA veröffentlicht, eine Multicenterstudie mit den Daten von 645 Patientinnen. Bei allen Patientinnen fand sich nach der Laserapplikation im Vergleich zu der Situation vor der Therapie eine signifikante Verbesserung der Symptome Dyspareunie, Schmerzen im Introitus vaginae, vaginale Trockenheit, Jucken, Brennen und pH-Wert-Veränderung bei gleichzeitig guter Toleranz der Behandlung (8).
Randomisierte kontrollierte Studien mit Langzeitdaten zur Sicherheit und Wirksamkeit der Lasertherapie liegen noch nicht vor und dementsprechend machte die amerikanische FDA 2018 darauf aufmerksam, dass die Lasertherapie des GSM nicht freigegeben oder genehmigt sei (11). Dieser Hinweis war wichtig, um einer Ausweitung von Indikationen jenseits der Zulassung entgegenzuwirken. Jedoch ist er nicht sehr präzise – es gibt unterschiedliche Lasergeräte mit unterschiedlicher FDA-Zulassung. Heute wird die Warnung aufgrund von Sicherheitsdaten als fraglich begründet diskutiert (12).

Praktische Aspekte der Lasertherapie

Die Laserbehandlung wird gut toleriert. Nebenwirkungen sind selten. Die meisten Patienten erleben die vaginale Anwendung nicht als schmerzhaft. Es ist keine Vorbehandlung und keine Nachbehandlung erforderlich. Zumeist werden 3 Lasertherapien im Abstand von 4 Wochen durchgeführt, gefolgt von einer Auffrischung nach Ablauf eines Jahres in Form von einer Sitzung.
Die Lasertherapie der Vulva wird im Vergleich zu vaginaler Lasertherapie mit einem anderen Applikator durchgeführt. Um auch die Lasertherapie der Vulva schmerzfrei durchführen zu können hat sich die Vorbehandlung mit Emla® Creme 5% unmittelbar vor der Laserbehandlung bewährt. Die Lasertherapie ist aktuell noch keine Pflichtleistung der Krankenkassen, dies muss den Patientinnen unbedingt mitgeteilt werden.
Zum Schluss sei erwähnt, dass weitere nichtpharmakologische Therapieoptionen zur Verfügung stehen, wie insbesondere Sexual­therapie und Becken-Bodentherapie, welche gemäss amerikanischer Konsensusempfehlungen bei durch GSM verursachten sexuellen Beschwerden zum Einsatz kommen können (10).

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Harald Meden

Spezialarzt Gynäkologie und Geburtshilfe FMH
Praxis am Bahnhof Rüti
Dorfstrasse 43, 8630 Rüti

meden@praxisambahnhof.ch

Der Autor hat deklariert, dass in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte bestehen.

  • Ziel der Lokaltherapie bei Frauen mit vulvovaginaler Atrophie ist die Optimierung der Lebensqualität.
  • Therapie der ersten Wahl sind Gleit- und Befeuchtungsmittel.
  • Therapie der zweiten Wahl sind Hormonpräparate.
  • DHEA als Lokaltherapie ist eine neue lokale Behandlungsmöglichkeit.
  • Die Lasertherapie ist eine weitere Option, insbesondere für Frauen, bei denen eine Hormonersatztherapie kontraindiziert ist oder nicht gewünscht wird.

1. Portman DJ et al.: Genitourinary syndrome of menopause: new terminology for vulvovaginal atrophy from the International Society for the Study of Women’s Sexual Health and the North American Menopause Society. J Sex Med. 2014 Dec;11(12):2865-72.
2. Kingsberg S, Wysocki S, Magnus L, Krychman M. J. Sex Med. 2013 Jul;10(7) 1790-9
3. Nappi RE, Kokot-Kierepa M. Women’s voices in the menopause: results from an international survey on vaginal atrophy. Maturitas 2010;67:233–8.
4. The NAMS 2017 Hormone Therapy Position Statement Advisory Panel. The 2017 hormone therapy position statement of the North American Menopause Society. Menopause 2017, 24, 728–753
5. Salwowska, NM et al.: Physiochemical properties and application of hyaluronic acid: A systematic review. J. Cosmet. Dermatol. 2016, 15, 520–526
6. Salvatore S et al.: A 12-week treatment with fractional CO2 laser for vulvovaginal atrophy: a pilot study. Climacteric 2014;17:363–9.
7. Meden H, Zeller C.: Vulvovaginale Atrophie (VVA): CO2-Lasertherapie als neues Konzept. In: Rabe T (Hrsg.). Seminar in Gynäkologischer Endokrinologie – Band 6: Update, Trends & Fallberichte. Ein Praxisleitfaden, Baier Digitaldruck Heidelberg 2017, S. 300-304, ISBN 978-3-00-053173-6.
8. Filippini M et al.: Efficacy of fractional CO2 laser treatment in postmenopausal women with genitourinary syndrome: a multicenter study. Menopause. 2020 Jan;27(1):43-49.
9. Labrie, F et al. Efficacy of intravaginal dehydroepiandrosterone (DHEA) on moderate to severe dyspareunia and vaginal dryness, symptoms of vulvovaginal atrophy, and of the genitourinary syndrome of menopause. Menopause 2018, 25, 1339–1353
10. Faubion St. S et al: Consensus Recommendations: Management of genitourinary syndrome of menopause in women with or at high risk for breast cancer: consensus recommendations from The North American Menopause Society and The International Society for the Study of Women’s Sexual Health. Menopause: June 2018;25:596-608
11. https://www.fda.gov/medical-devices/safety-communications/fda-warns-against-use-energy-based-devices-perform-vaginal-rejuvenation-or-vaginal-cosmetic.
12. Guo J. et al.: Vaginal laser treatment of genitourinary syndrome of menopause: does the evidence support the FDA safety communication? Menopause 2020;27: 1177-1184

Einmal Vorhofflimmern, immer Vorhofflimmern

Vorhofflimmern ist die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung und mit einer erhöhten Mortalität und Morbidität assoziiert. Die Prävalenz dieser Rhythmusstörung nimmt im Alter stark zu. Die wichtigsten Risikofaktoren und Trigger für das Auftreten von Vorhofflimmern sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Die Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern basiert auf vier Säulen (Abb. 1) (1 - 4). Die Massnahmen zur Reduktion der Risikofaktoren wie Adipositas und Bewegungsmangel haben nicht nur einen günstigen Einfluss auf das Auftreten und die Progression des Vorhofflimmerns (4), sondern auch auf viele andere kardiovaskuläre Krankheiten. Bei der Frequenz- und Rhythmuskontrolle handelt es sich primär um symptomatische Behandlungen, deren Timing und Intensität durch die Anfallshäufigkeit und Symptomatik des Vorhofflimmerns bestimmt wird. Nach einer ersten Episode eines symptomatischen Vorhofflimmerns kann man darum in ausgewählten Fällen mit dem Beginn der Behandlung bis zum Rezidiv zuwarten, ohne dass man dadurch die Prognose des Patienten beeinträchtigt (1).

Anders sieht es bei der Thromboembolieprophylaxe aus. Hier gibt es mit der Antikoagulation eine Therapie, die nicht nur die Morbidität, sondern auch die Mortalität verbessert und dies unabhängig davon, ob der Patient ein paroxysmales oder persistierendes Vorhofflimmern hat. So beträgt die relative Risikoreduktion für einen ischämischen Hirnschlag etwa 66% und für die Gesamtmortalität etwa 25%. Dies bei einem Risiko für relevante Blutungen unter der Behandlung von ca. 3% pro Jahr (1). Aus diesem Grund stellt sich schon bei der ersten EKG dokumentierten Episode eines Vorhofflimmerns die Frage: Profitiert dieser Patient von einer langfristigen Antikoagulation?

Indikation für die Antikoagulation bei Vorhofflimmern

In den aktuellen Richtlinien findet man als Entscheidungshilfe für die Indikation zur Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern den CHA2DS2-VASc Score (Tab. 2) (1). So wird für Männer mit ≥1 und für Frauen mit ≥2 Punkten der Einsatz einer oralen Antikoagulation empfohlen. Die klinische Präsentation des Vorhofflimmerns, Erstdiagnose, paroxysmales, persistierendes oder permanentes Vorhofflimmern, wird dagegen nicht für die Indikationsstellung berücksichtigt.
Anhand der drei eingangs beschriebenen Patientenbeispiele werden in den nächsten Abschnitten die Argumente für diese Empfehlungen diskutiert.

Patienten mit primärem Vorhofflimmern

Wie beim Patienten A tritt das Vorhofflimmern in den meisten Fällen bei Patienten mit prädisponierenden Risikofaktoren, aber ohne erkennbaren Trigger auf. Gewisse Autoren sprechen von primärem Vorhofflimmern. Da es sich beim Alter und den anderen Risikofaktoren um irreversible oder chronische Gesundheitsprobleme handelt, zeigt auch das Vorhofflimmern einen chronisch progredienten Verlauf (Abb. 2) (1). Dementsprechend begann das Vorhofflimmern oft schon vor der ersten im EKG dokumentierte Episode und das Auftreten des nächsten Rezidivs ist nur eine Frage der Zeit. Basierend auf klinischen Daten (6), die bezüglich des thromboembolischen Risikos keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Stadien des Vorhofflimmerns nachweisen konnten, empfehlen die Guidelines beim Patienten A zum Zeitpunkt der Diagnosestellung die Indikation für eine Antikoagulation zu beurteilen (1).

Patienten mit sekundärem Vorhofflimmern

Bei der Patientin B wurde das Vorhofflimmern erstmals im Rahmen einer akuten Infektion dokumentiert. Man spricht in diesem Fall von einem sekundärem Vorhofflimmern oder neu von Atrial Fibrillation Occuring Transiently with Stress (AFOTS)(7). Da die in Tabelle 1 aufgeführten Trigger oft reversibel oder nur passager vorhanden sind, stellt sich die Frage, ob das Vorhofflimmern im weiteren Verlauf wieder auftreten wird und darum, wie primäres Vorhofflimmern, langfristig behandelt werden muss?
Bis jetzt gibt es zu dieser Form des Vorhofflimmerns nur wenig klinische Daten und in den aktuellen Richtlinien findet diese im Alltag häufige Form des Vorhofflimmerns keine Erwähnung (1- 4, 8). Nur für Patienten mit Vorhofflimmern nach einer Herzoperation wird eine Antikoagulation unter Abwägung von Nutzen und Risiken empfohlen (1).
In der Framingham Population hatten von den Patienten mit sekundärem Vorhofflimmern 42% nach 5 Jahren ein Rezidiv der Rhythmusstörung. Im Vergleich dazu lag die Rezidivrate bei Patienten mit primärem Vorhofflimmern nur wenig höher bei 59% (9). Auch bei den Risikofaktoren unterscheiden sich Patienten mit sekundärem Vorhofflimmern kaum von Patienten mit primärem Vorhofflimmern (9 - 12). Das Auftreten von Vorhofflimmern im Rahmen einer akuten Erkrankung oder einer Operation ist in der Regel mit einer kurz- und langfristig erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert. Es gibt aber noch keine klinischen Daten aus Interventionsstudien, die zeigen, ob und wie man diese Risiken durch therapeutische Massnahmen günstig beeinflussen kann (7, 13). Im Alltag wird man sich darum bei diesen Patienten entweder für ein engmaschiges ambulantes EKG Monitoring zur Dokumentation eines Rezidivs des Vorhofflimmerns oder direkt für eine Antikoagulation gemäss CHA2DS2-VASc Score entscheiden.

Patienten nach erfolgreicher Katheterablation des Vorhofflimmerns

Die Katheterablation mit Isolation der Lungenvenen ist heute die effektivste Behandlung zur Rhythmuskontrolle bei Patienten mit Vorhofflimmern (1 - 4, 16). Je nach Patientenpopulation, Behandlungs- und Monitoringtechnik sind 1 Jahr nach einer solchen Behandlung 50-85% der Patienten frei von einem Rezidiv des Vorhofflimmerns (14, 15). Gleichzeitig bringt die Katheterablation eine Reduktion der Zeit im Vorhofflimmern, dem sogenannten Vorhofflimmerburden, um >90%. Im Langzeitverlauf sind nach 5 Jahren und wenn nötig mehreren Katheterablationen zwischen 63% und 82% der Patienten in einem stabilen Sinusrhythmus (17 - 21).
Aus Studien mit Antiarrhythmika weiss man, dass das Risiko für thromboembolische Ereignisse nicht durch die Behandlungsstrategie, Rhythmus- oder Frequenzkontrolle, beeinflusst wird (22). Die aktuellen Richtlinien (1, 16) empfehlen darum für den Patienten C nach Abheilen der durch die Ablationen im linken Vorhof entstandenen Endothelläsionen, d.h. nach ≥ 2 Monaten, nur anhand des CHA2DS2-VASc Score und unabhängig vom Erfolg der Katheterablation über die Fortsetzung der Antikoagulation zu entscheiden.
Es gibt allerdings Hinweise, dass Patienten nach einer erfolgreichen Katheterablation des Vorhofflimmerns ein geringeres Risiko für thromboembolische Ereignisse haben als unbehandelte Patienten. In einer Metaanalyse mit > 25 000 Patienten zeigte sich, dass die langfristige Antikoagulation im Vergleich zum Stoppen der Antikoagulation nach der Katheterablation nur mit einer Zunahme der Blutungskomplikationen, nicht aber mit einer Reduktion der thromboembolischen Ereignisse assoziiert war (23). Zurzeit laufen zwei randomisierte Studien, die untersuchen, unter welchen Umständen nach einer Katheterablation des Vorhofflimmerns die Antikoagulation gestoppt werden kann. Bis zur Publikation dieser Daten dürfte sich die Mehrheit der Elektrophysiologen weiter an den aktuellen Empfehlungen orientieren und die Antikoagulation bei einem CHA2DS2-VASc Score ≥ 2 für Männer und ≥3 für Frauen nur in Ausnahmefällen absetzen (1, 16).

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Dr. med. Stephan Andreas Müller-Burri

Klinik für Kardiologie, Stadtspital Triemli
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

andreas.mueller@triemli.zuerich.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert. Unabhängig davon haben der Autor und seine Institution für Aus- und Weiterbildung finanzielle Unterstützung von Biotronik, Boston Scientific, Medtronic, Abbott und Biosense Webster, Vortragshonorare von Biosense Webster, Medtronic, Abbott, AstraZeneca, Daiichi Sankyo, Biotronik und MicroPort erhalten sowie Consultant- und Proktoring-Honorare von Biosense Webster, Medtronic und Abbott.

  • Vorhofflimmern ist eine chronisch progrediente Rhythmusstörung, deren Auftreten in Abhängigkeit von anderen Risikofaktoren (CHA2DS2-VASc Score) mit einem erhöhten Risiko für thromboembolische Ereignisse, insbesondere ischämische Hirninfarkte, assoziiert ist.
  • Zurzeit ist die Antikoagulation die einzige therapeutische Massnahme, die dieses Risiko und damit auch das Überleben der Patienten positiv beeinflussen kann.
  • Dagegen gibt es keine pharmakologische oder invasive Behandlung zur Stabilisierung des Sinusrhythmus (Rhythmuskontrolle), für die eine Reduktion des thromboembolischen Risikos nachgewiesen wurde, welche das Absetzen der Antikoagulation rechtfertigen würde.
  • Der vereinfachende Merksatz aus dem Titel «Einmal Vorhofflimmern, immer Vorhofflimmern» hat darum in Bezug auf die Antikoagulation auch heute noch seine Berechtigung.

1. Kirchhof P, Benussi S, et al. 2016 ESC guidelines for the management of atrial fibrillation. EHJ 2016;37:2893-962.
2. Craig TJ, et al. 2014 AHA/ACC/HRS Guidelines for the management of patients with atrial fibrillation. JACC 2014;64:e1-76.
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Sarkoidose – Multisystem-Erkrankung mit vielfältigem Erscheinungsbild

Die meisten Patienten mit einer Sarkoidose sind anfänglich asymptomatisch. Wenn Symptome auftreten, dann berichten die Patienten vor allem über Atemnot, Husten oder unspezifische Brustbeschwerden. Eine spontane Remission ist häufig, aber in ca. 25% der Fälle tritt eine zunehmende Lungenerkrankung auf, welche in bis 10% zu einer relevanten Lungenfunktionsstörung führen kann. Dieser Artikel präsentiert die aktuellen Therapiemöglichkeiten.

Die Sarkoidose ist eine Multisystem-Erkrankung, die durch nicht-verkäsende Granulome charakterisiert ist. Diese können in allen Organen auftreten, vor allem aber und am häufigsten sind die Lungen, Lymphknoten, die Haut, Augen und die Leber betroffen. Die Ursache ist ungeklärt, wobei ein Verdacht auf inhalative Noxen besteht bei genetischer Prädisposition. Die Prävalenz in der Schweiz beträgt 44/100 000, die Prävalenz hospitalisationsbedürftiger Sarkoidosen 16/100 000. Die durchschnittliche jährliche Inzidenz liegt bei 7/100 000. Hinweise zur Diagnostik, Differentialdiagnose und zu serologischen Markern sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Die meisten Patienten mit pulmonaler Sarkoidose brauchen keine Behandlung, da eine grosse Anzahl asymptomatisch bleibt, nicht progressiv verläuft oder sogar spontan abheilt. Für Patienten mit deutlicher Funktionseinschränkung der Lungen muss aber eine Therapie diskutiert werden, um irreversible pulmonale Organschädigungen wie Lungenfibrose oder sogenanntes Honeycombing zu vermeiden (Zur radiologischen Stadieneinteilung siehe Tab. 2).
Systemische Steroide sind die immer noch die am häufigsten verwendeten Medikamente zur Therapie der pulmonalen Sarkoidose, da Sie meistens den granulomatösen entzündlichen Prozess verringern können. Wegen der bekannten Nebenwirkungen muss der Spontanverlauf einer Sarkoidose und deren Einsatz aber immer kritisch hinterfragt werden.

Indikation für eine Therapie

Um zu entscheiden, ob eine Glucorticoid-Therapie eingesetzt werden soll, muss man berücksichtigen, dass es Patienten gibt, die meist einen benignen Verlauf zeigen, wie bei Stadium I und Fehlen von Symptomen, was also keine Therapie-Indikation darstellt! Daher abwartende Haltung aber Überwachen.
Bei Symptomen, v.a. Dyspnoe, und Beteiligung von mehr als drei Organen oder zunehmenden Lungeninfiltraten muss eine Therapie eingesetzt werden.

Pulmonale Sarkoidose

Die aktuelle Indikation einer Therapie bei der pulmonalen Sarkoidose mit Glucorticoiden besteht bei Verschlechterung der Lungenfunktion im Rahmen von 3-6 monatigen Intervallen, wenn die totale Lungenkapazität (TLC) 10% oder mehr abfällt, bei einem Rückgang der Diffusionkapazität (DLCO/VA) von 20% oder mehr oder bei Verschlechterung der arteriellen Blutgasanalyse. Zudem bei progressiven radiographischen Veränderungen mit Vermehrung der interstitiellen Infiltrate, Entwicklung von Kavernen oder Anzeichen einer Entwicklung einer Fibrose mit Honeycombing oder Zeichen einer pulmonalen Hypertonie.

Extrapulmonale Sarkoidose

Gelegentlich ist eine extrapulmonale Manifestation der Sarkoidose Grund für eine Glucorticoid-Therapie, obwohl die Lungenveränderungen stabil sind. Dies betrifft Sarkoidose-Manifestationen der Augen, des Nervensystems, des Herzens, der Nieren oder eine persistierende Hyperkalzämie. Andere potentielle Indikationen für eine Therapie sind AZ-Verschlechterung, Arthralgien oder belastende Hautbefunde. Zusätzlich Erkrankung der Nasennebenhöhlen oder der Leber.

Wann kann auf eine Therapie verzichtet werden?

Eine Glucorticoid-Therapie ist nicht indiziert bei folgenden Patienten:
Asymptomatische Patienten im radiologischen Stadium I
-60-80% dieser Patienten haben eine spontane Remission

Asymptomatische Patienten im Stadium II
-Radiologische Veränderungen und normale und nur leicht eingeschränkte Lungenfunktion (mild restriktiv oder obstruktiv mit normalem Gasaustausch). Diese Patienten werden alle 3-6 Monate untersucht, um eine Progression auszuschliessen. Bei diesen Patienten ist es wichtig, eine progressive Verschlechterung mittels grosser Lungenfunktionsprüfung oder Gasaustausch zu monitorisieren, bevor man eine Therapie beginnt. 50% der nicht behandelten Patienten im Stadium II bleiben stabil.

Asymptomatische Patienten im Stadium III und normaler oder leicht eingeschränkter Lungenfunktion
-Diese Patienten sollten ebenfalls alle 3-6 Monate nachkontrolliert werden. In dieser Gruppe zeigen 33% der nicht behandelten Patienten ein Verschwinden der Infiltrate innerhalb von
5 Jahren, die meisten Patienten brauchen aber eine Therapie.

Initiale Therapie

Orale Glucocorticoide werden weltweit am häufigsten eigesetzt, um Sarkoidose-Symptome und eine fortschreitende Lungenerkrankung zu bremsen, dies obwohl durch Steroide die Erkrankung meistens nicht vollständig abheilt. Sie verbessern meistens die Symptome wie chronischen Husten oder Atemnot. Zusätzlich bessern im Verlauf die radiologischen Veränderungen, vor allem zu Beginn. Trotzdem ist der Nachteil das Auftreten von Nebenwirkungen (Tab. 3) und der unsichere Benefit der Therapie im Rahmen einer Langzeitbehandlung. Vor Starten einer Therapie müssen die Patienten genau untersucht werden, vor allem müssen mitbeteiligte Organe erkannt und komorbide Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Thromboembolie, pulmonale Hypertonie, Diabetes mellitus oder eine Tuberkulose, welche initial ähnlich verlaufen kann, differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden. Die Abklärung umfasst eine plethysmographische Lungenfunktion, ein HRCT der Lungen, den Ausschluss einer Tuberkulose mittels bakteriologischer Methoden und Interferon-Gamma-Tests, sowie bei entsprechendem Verdacht eine Echokardiographie zum Ausschluss einer pulmonalen Hypertonie.

Eine Therapie wird normalerweise mit oralem Prednison mit einer Dosis von 0.3-0.6 mg pro Kilogramm Körpergewicht gestartet (im Normalfall bedeutet dies 20-40 mg pro Tag, je nach Schweregrad der Erkrankung). Für Patienten mit Atemnot bei Belastung bei nur langsam zunehmenden radiographischen Infiltraten genügt meistens die tiefste Dosis. Für Patienten mit schneller Progression der Erkrankung wie Sauerstoffbedürftigkeit sollte man primär schon höhere Dosen wählen. Die initiale Dosis ist für 4-6 Wochen indiziert, nachher wird der Patient wieder beurteilt. Wenn im Verlauf die Symptome und radiologischen Veränderungen inklusiv der funktionellen Lungentestung stabil bleiben oder sich verbessern, kann man die Dosis langsam reduzieren (5-10mg alle 4-12 Wochen bis zu einer minimalen Dosis von 0.2-0.4mg pro Kilo, ca. 10-15 mg pro Tag). Wenn im Verlauf die Parameter innerhalb von 6 Wochen unverändert bleiben wird die Dosis für weitere 6 Wochen verlängert. Eine hochdosierte Glucorticoid-Therapie (80-100 mg pro Tag) wird selten gebraucht, am ehesten bei akutem respiratorischem Versagen oder kardialen, neurologischen, ophthalmologischen Manifestation im Bereich der oberen Atemwege.

Klinisches Ansprechen

Patienten, welche auf eine systemische Glucorticoid-Therapie ansprechen, sollten diese über längstens 12 Monate langsam ausschleichen, wenn Symptome und radiographische Befunde bessern.

Fehlende Besserung oder Intoleranz auf Glucorticoide

Während der Grossteil der Patienten auf Glucorticoide anspricht, gibt es Patienten, welche nicht ansprechen oder schwerwiegende Nebenwirkungen entwickeln. Diese Patienten sind Kandidaten für eine immunsuppressive Therapie wie Methotrexat, Azathioprin, Leflunomid oder TNF-Alpha-Inhibitoren.

Erhaltungstherapie

Es gibt keine gut evidenzbasierte Empfehlung. Erfahrungsgemäss genügen meist Dosen von 10- 15 mg täglich, um eine erneute Verschlechterung zu verhindern. Während der Erhaltungstherapie wird der Patient bezüglich Nebenwirkungen alle 4 bis 12 Wochen kontrolliert. Meistens können Patienten die Steroide innerhalb eines Jahres ausschleichen. Ein Drittel der Betroffenen muss die Dosis wieder erhöhen und nur ein kleiner Teil der Patienten braucht eine Therapie über mehrere Jahre.

Resistente Fälle

Bei Patienten, welche relevante Nebenwirkungen einer Glucocorticoid-Therapie entwickeln oder einen Diabetes mellitus, eine Osteoporose oder andere komplizierende Erkrankungen aufweisen, versucht man eine andere Form von milder immunsuppressiver Therapie.
Medikamente mit zu erwartendem grösstem Effekt und Benefit bei einer progredienten pulmonalen Sarkoidose mit meist nur milden Nebenwirkungen sind Methotrexat, Azathioprin, Leflunomid oder Mycophenolate. Zudem zeigen Tumornekrosefaktor-Alpha (TNF-Alpha Antagonisten) gute Effekte. Gute randomisierte Studien bezüglich dieser Immunsuppressiva fehlen allerdings. All diese Medikamente haben das Risiko von Toxizität, vor allem Myelosuppression, Hepatotoxizität oder Auftreten von opportunistischen Infekten. Methotrexat ist das Medikament, das am meisten anstelle von Steroiden eingesetzt wird, allerdings ist der Einsatz bei Lebererkrankungen nicht möglich. Patienten, welche Methotrexat nicht vertragen, werden meist mit einer der oben erwähnten anderen immunsuppressiven Therapie behandelt. Falls keine der erwähnten Therapien möglich ist, wechselt man zu TNF-Alpha-Antagonisten, vor allem Infliximab oder Adalimumab. Kombination eines TNF-Alpha-Inhibitors mit Methotrexat wird mit Erfolg bei rheumatoider Arthritis eingesetzt, zeigt Wirkung und reduziert das Risiko der Entwicklung von TNF-Alpha-Inhibitor-Antikörpern. Diese Therapie wurde aber bei der Sarkoidose nie richtig untersucht und kann mit einem erhöhten Risiko eines Infektes oder Tumorentstehung einhergehen.

Verlaufskontrolle der Therapie

Genau gleich wie diese bei Glucorticoid-Therapie durchgeführt wird, wird die Wirkung regelmässig mittels Lungenfunktionstestung, Blutgasanalysen und radiologischem Verlauf beurteilt.

Inhalative Glucorticoid-Therapie

Der Einsatz inhalativer Glucorticoide zur Behandlung der pulmonalen Sarkoidose zeigt widersprechende Resultate. Die inhalativen Glucorticoide scheinen eine Alveolitis zu verbessern und können bei gewissen Patienten von Vorteil sein. Am besten wurde Budesonid in einer Dosis von 800-1600 µg 2 x täglich studiert und konnte vor allem eine gute Wirkung auf chronischen Husten bei einer Sarkoidose zeigen.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Jürg Barandun

LungenZentrum Hirslanden
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Die meisten Patienten mit pulmonaler Sarkoidose brauchen keine Therapie, da viele asymptomatisch bleiben und die Erkrankung keine Progression, sondern eventuell sogar eine spontane Remission zeigt.
  • Für asymptomatische Patienten mit pulmonaler Sarkoidose und Fehlen eines wesentlichen extrapulmonalen Befalls genügt es, die Patienten engmaschig lungenfunktionell und radiologisch zu verfolgen ohne dass eine Glucorticoid-Therapie notwendig wird.
  • Eine Indikation für die Behandlung einer pulmonalen Sarkoidose stellen Fälle mit Progression oder seltene initial schon schwere Verläufe dar.
  • Patienten mit pulmonaler Sarkoidose mit Symptomen und Zeichen einer radiologischen Verschlechterung oder Verschlechterung der Lungenfunktion werden initial mit oralen Glucorticoiden behandelt.
  • Bei Patienten mit ausgeprägten Symptomen und deutlichen radiologischen Veränderungen und Patienten mit mittelschweren bis schweren Lungenfunktionsstörungen, sollte man auch mit einer oralen Glucorticoid-Therapie behandeln.
  • Die Dosis der initialen Glucorticoid-Therapie beträgt normalerweise 0.3-0.6mg pro Kilo (meistens 20-40mg pro Tag). Diese Dosis ist für 4-6 Wochen fortzuführen. Wenn darunter weiter Symptome bestehen oder sich radiologische Veränderungen verschlechtern bzw. die Lungenfunktion abnimmt, wird die Therapie für weitere 4-6 Wochen verlängert. Falls die Symptome hingegen stabil bleiben oder bessern, kann man die Dosis sukzessive reduzieren.
  • Das Monitorisieren des Verlaufs sollte auf Symptome, klinischer Untersuchung, radiographischer Verlaufskontrollen und vor allem regelmässiger Lungenfunktionstestungen beim Pneumologen (die alleinige Spirometrie genügt dafür nicht) basieren.
  • Patienten mit chronischem Husten, Zeichen einer bronchialen Hyperreagibilität, welche nicht schon systemische Steroide brauchen, können probatorisch mit inhalativen Glucocorticosteroiden, zum Beispiel Budesonid 800-1600µg 2x täglich, behandelt werden.
  • Eine chronische systemische Glucorticoid-Therapie hat sehr viele Nebenwirkungen

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Das akute Abdomen im Alter

Das akute Abdomen ist ein Schmerzkomplex, welcher durch plötzlichen Beginn, heftige Bauchschmerzen unklarer Ätiologie und rasche Verschlechterung des Allgemeinzustandes charakterisiert ist. In den meisten Fällen präsentiert sich das akute Abdomen als chirurgischer Notfall mit limitierter Zeit für Diagnostik und Therapie. Die Diagnose «akutes Abdomen» wird gerade auch in der Patientengruppe der älteren und alten Menschen zunehmend relevant, da durch Verbesserung von Lebensstandard und Gesundheitsversorgung die Anzahl älterer Patienten zunimmt. Demographische Daten für die Schweiz 2018 zeigen, dass 18.5 % der Bevölkerung älter als 65 Jahre sind (1). Mit zunehmender Lebenserwartung steigt also die Anzahl älterer Patienten, die sich aufgrund akuter Erkrankungen des Abdomens in den Notaufnahmen präsentieren.

Als Folge der demographischen Veränderungen in den meisten Industrieländern mit einer zunehmenden Anzahl älterer und alter Menschen nimmt folgerichtig auch die Anzahl von Patienten höheren Alters mit akuten abdominalen Beschwerden zu. Die Diagnose «akutes Abdomen» bei älteren Menschen ist nicht nur für den Hausarzt und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verschiedenen Pflegeeinrichtungen eine Herausforderung, sondern auch für den betreuenden Chirurgen. Hohes Lebensalter ist assoziiert mit einer hohen Inzidenz von meist internistischen Begleiterkrankungen, die − verstärkt durch eventuell vorliegende Einschränkungen kognitiver Fähigkeiten − häufig die klassische und klare Symptomatik akuter Erkrankungen des Abdomens verschleiern und somit die Diagnostik und Therapie verzögern (2). Neben alterstypischen Veränderungen der Körperphysiologie (Einschränkungen verschiedener Organsysteme, verringerte Wärmeproduktion, reduzierte Immunabwehr, reduzierte Wahrnehmung von Schmerzen) führt diese Verzögerung in Diagnostik und Therapie zu einer klar dokumentierten Erhöhung der Morbidität und Mortalität älterer und alter Menschen nach notfallchirurgischen Eingriffen (3). Speziell bei Notfall-Eingriffen im Rahmen eines akuten Abdomens müssen wir von einem Sterberisiko von 12% ausgehen (4).

Diagnostik

Eine detaillierte Anamnese, möglicherweise gestützt durch Fremdanamnese bei Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten oder sehr schlechtem Allgemeinzustand, und eine ordnungsgemässe körperliche Untersuchung sind auch bei älteren und alten Menschen die Grundlage der Diagnostik und somit von grosser Bedeutung.

Anamnese

  • Symptome (Dauer, Lokalisation, Charakter, Ausstrahlung),
  • Komorbiditäten
  • abdominelle Voroperationen
  • Medikation

Eine Besonderheit der Anamnese in der Notfallsituation bei älteren und alten Menschen ist die Diskussion über den Umfang der seitens des Patienten oder seiner Angehörigen akzeptierten therapeutischen Interventionen unter Berücksichtigung einer eventuell vorliegenden Patientenverfügung. Die Angst vor Verlust der Eigenständigkeit und Sorge vor dauerhafter Pflegebedürftigkeit sind nachvollziehbar und sollten thematisiert werden. Dies stellt hohe Ansprüche an die Gesprächsführung in der Notfallsituation, da zum einen die Sorgen und Wünsche der betroffenen Patienten und deren Familie empathisch wahrgenommen und berücksichtigt, zum anderen aber auch Sinn, Möglichkeit und Prognose sofortiger therapeutischer Interventionen realistisch dargestellt werden müssen.

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung muss in der Notfallsituation zügig und zielgerichtet durchgeführt werden. Neben der Erfassung der Körpertemperatur gehört die schnelle Inspektion des Abdomens zu den ersten Schritten der Untersuchung. Hier interessieren insbesondere das Vorhandensein alter Operationsnarben und die Beurteilung der Bruchpforten. Die Palpation des Abdomens ist bei bretthartem, hoch druckschmerzhaftem Abdomen nicht entscheidend und verursacht nur unnötige zusätzliche Schmerzen. Wenn möglich sollte auch eine digitorektale Untersuchung erfolgen.

Laborchemische Untersuchung

Durch alterstypische Veränderung der Körperphysiologie, Multimorbidität, Polypharmazie und eventuell verminderter Organfunktion wird die Unterscheidung zwischen «altersnormalen» und pathologischen Laborbefunden erschwert (5, 6). In der Notfallsituation ist ein rascher Überblick über die verschiedenen Organfunktionen sowie eine Einschätzung der aktuellen Entzündungssituation wichtig. Additiv kann die grundlegende kardiologische Labordiagnostik (Troponin, CK) zusätzliche Informationen liefern.

Radiologische Diagnostik

Ziel der radiologischen Diagnostik muss es sein, die zeitliche Verzögerung bis zur Diagnose möglichst gering zu halten, um rasch die notwendigen therapeutischen Interventionen einleiten zu können. Bei der klinischen Diagnose eines akuten Abdomens kann auf die Durchführung einer konventionellen radiologischen Diagnostik verzichtet werden (7). Die Computertomographie des Abdomens mit Kontrastmittel ist der Goldstandard der Diagnostik und stellt die Weichen für das weitere Vorgehen (8).

Häufige Ursachen für das akute Abdomen im Alter

Die Ursachen für das akute Abdomen im Alter entsprechen im weitesten den allseits bekannten Diagnosen, wobei im Besonderen auch vaskuläre Ursachen in die Überlegungen mit einbezogen werden müssen. Bezogen auf die primäre Schmerzlokalisation ergeben sich wie in Abb. 2 dargestellt, eine Reihe von unterschiedlichen Diagnosen. Im Folgenden werden die wichtigsten viszeralchirurgischen Ursachen des akuten Abdomens beim alten Menschen kurz dargestellt:

Akute Appendizitis

Die akute Appendizitis ist bei älteren Patienten mit akuten Bauchschmerzen seltener als bei jüngeren Patienten, wobei allerdings Morbiditäts- und Mortalitätsraten höher sind (Abb.3). Zwischen 5 und 10 % der Fälle von Appendizitiden treten bei Menschen über 65 Jahren mit einer Mortalität von 10-20 % und einer Morbidität von 30-60 % auf. Dafür ursächlich sind alterstypische Komorbiditäten sowie häufig eine Therapieverzögerung durch atypische Symptome mit dadurch bedingt höherer Perforationsrate (9, 10).

Akute Darmobstruktion (Ileus)

Die Kardinalsymptome des Ileus sind abdominale Schmerzen, Erbrechen und Stuhlverhalt. Die Unterscheidung zwischen paralytischem und mechanischem Ileus ist entscheidend für einen korrekten Behandlungsansatz. Der mechanische Ileus betrifft den Dünndarm viermal häufiger als den Dickdarm und ist in der Regel durch Verwachsungen (65 %) oder eine inkarzerierte Hernie (15 %), verursacht. Für einen Dickdarmileus sind meist Tumorerkrankungen, Verwachsungen oder Stenosen nach rezidivierender Divertikulitis (bis zu 10 %) verantwortlich (11). Bei älteren bettlägerigen Menschen ist ein paralytischer Ileus als Nebenwirkung einer regelmässigen analgetischen Therapie (Opiaten) zu berücksichtigen (12).

Akute Divertikulitis

Die akute Divertikulitis des Dickdarms ist eine der häufigsten Erkrankungen, die zu einer Einweisung in den Notfall führen. Bei mehr als 50 % der über 65-Jährigen liegt eine Divertikulose vor, aus der in 10-25% eine akute Divertikulitis entstehen kann (13, 14). Auch bei einer perforierten Divertikulitis können typische Schmerzen im linken Unterbauch mit Abwehrspannung fehlen, so dass auch hier nur eine Computertomographie des Abdomens zur Klärung der Situation beiträgt. Nicht selten präsentieren sich ältere, immungeschwächte Patienten primär mit einer frei perforierten Sigmadivertikulitis, die mit einer massiven eitrigen Peritonitis und entsprechend hoher perioperativer Letalität einhergehen kann (Abb. 4)

Gastroduodenale Ulzera

Bekannte Ursachen eines Ulcus ventriculi et duodeni sind eine Infektion der Schleimhaut mit Helicobacter pylori sowie die Medikation mit NSAR oder Kortikosteroiden. Das akute Abdomen auf dem Boden eines Ulkus kann zum einen durch eine Perforation mit freier abdominaler Luft und Peritonitis, zum anderen durch eine akute, anämisierende obere gastrointestinale Blutung entstehen. Diese ist mit einer hohen Letalitätsrate bei älteren Menschen assoziiert (15).

Akute Cholezystitis

Bei älteren Menschen können die typischen Symptome einer akuten Cholezystitis auf dem Boden einer Cholezystolithiasis fehlen und sämtliche Laborparameter normal sein. Nichtsdestotrotz sind auch hier eine rasche Diagnostik und zeitnahe chirurgische Therapie indiziert. Nicht selten entwickelt sich bei Verzögerung der Operation eine komplizierende, gangränöse Cholezystitis, gelegentlich bis hin zur Gallenblasenperforation (16).

Darmischämie

Die akute mesenteriale Ischämie als Ursache eines akuten Abdomens ist seltener und wird daher gelegentlich erst spät oder gar nicht diagnostiziert. Das typische Symptom des akuten abdominalen Vernichtungsschmerzes begleitet von Übelkeit und Erbrechen kann fehlen, so dass eine frühzeitige Diagnose oft unmöglich ist. Eine mesenteriale Ischämie sollte bei jedem Patienten > 50 Jahre mit bekannten Risikofaktoren oder einer prädisponierenden Erkrankung (kardiovaskuläre Erkrankungen, Herzinsuffizienz, Herzklappenfehler, Vorhofflimmern, St. n. Hertzinfarkt, TVT) in Betracht gezogen werden. Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, da die Letalität bei bereits eingetretener Darmnekrose bei über 90 % liegt.

Rupturiertes AAA

Das führende Symptom bei einem rupturierten Aortenaneurysma ist der massive abdominale Schmerz mit Ausstrahlung in den Rücken, häufig assoziiert mit einem hämorrhagischen Volumenmangelschock. Nur etwa 50% der Patienten erreichen lebend das Spital, die posttherapeutische Letalität ist mit über 50% beeindruckend hoch (17). Der entscheidende Faktor für das Überleben des Patienten ist die rasche Einleitung der Therapie in einem Zentrum.

Therapie

Die Behandlung des akuten Abdomens ist in den meisten Fällen operativ (18). Wichtige Entscheidungshilfen für Art und Umfang der chirurgischen Therapie sind der klinische Zustand des Patienten, Alter und Komorbiditäten. Die Art der Therapie sollte sich allerdings nicht primär am technisch Machbaren orientieren. Vielmehr ist es notwendig, eine individuelle Lösung unter Berücksichtigung des Patientenwillens (und eventuell des Angehörigenwunsches), der Schwere und Prognose der Erkrankung, der Invasivität der Therapie und der Erfolgschancen der angedachten chirurgischen Intervention zu finden. Zum Zeitpunkt der Indikationsstellung für eine chirurgische Intervention ist gelegentlich das genaue operative Vorgehen noch nicht klar, da die Diagnose erst intraoperativ gestellt werden kann. Somit sind die explorative Laparoskopie oder Laparotomie mit entsprechender Erweiterung des Eingriffs die Therapie der Wahl beim akuten Abdomen. Die Patienten müssen daher intensiv über eventuelle Konsequenzen des operativen Eingriffs aufgeklärt werden. Insbesondere die mögliche Anlage eines künstlichen Darmausganges muss im Vorfeld klar kommuniziert werden.
Eine wichtige Aufgabe des Chirurgen besteht in einer intensiven und umfänglichen postoperativen Betreuung. Hierzu gehört auch, im Falle einer Verschlechterung der Gesamtsituation oder bei Auftreten von schweren Komplikationen die kurative Therapieintention zu beenden und eine suffiziente «best supportive care» Strategie einzuschlagen. Eine enge Kommunikation mit den Angehörigen ist hierbei entscheidend.

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Dipl. Ärztin Ivana Raguz

Viszeralchirurgie Spital Männedorf
Asylstrasse 10
8307 Männedorf

i.raguz@spitalmaennedorf.ch

Prof. Dr. med. Marco Büter

Viszeralchirurgie Spital Männedorf
Asylstrasse 10
8307 Männedorf

PD Dr. med. Andreas Thalheimer

Stv. Chefarzt Viszeralchirurgie
Spital Männedorf
Asylstrasse 10
8307 Männedorf

a.thalheimer@spitalmaennedorf.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Das akute Abdomen beim älteren und alten Menschen stellt uns vor ganz besondere diagnostische und therapeutische Herausforderungen.
  • Die klinische Präsentation der Patienten ist häufig nicht eindeutig, die Differenzialdiagnose vielfältig.
  • Die rasche Einleitung einer entsprechenden Diagnostik ist die Grundvoraussetzung einer erfolgreichen Therapie.
  • Art und Umfang der meist chirurgischen Therapie müssen mit dem Patienten und seinen Angehörigen unter Berücksichtigung der individuellen Lebenssituation und des Therapiewunsches besprochen werden.

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European Society of Cardiology

Wie alle anderen Kongresse fand auch die Jahrestagung der European Society of Cardiology (29.8.-1.9.2020) diesmal virtuell statt. Der reibungslose Ablauf zeigt, dass auch in Zeiten von COVID 19 die Präsentation und Diskussion neuer wissenschaftlicher Ergebnisse mittels Digitalisierung gelingen kann.

Diastolische Herzinsuffizienz

Für herzinsuffiziente Patienten mit erhaltener Pumpfunktion (HFpEF) steht bisher keine gesicherte medikamentöse Therapie zur Verfügung. Deshalb gibt es grosse Hoffnung, dass mit dem ARNI (Sacubitril/Valsartan), der sich bei der systolischen Herzinsuffizienz (HFrEF) sehr bewährt hat, ein Durchbruch erzielt werden könnte. Doch in der PARALLAX-Studie bei 2,572 Patienten mit HFpEF konnte zwar mit dem ARNI nach 12 Wochen eine Abnahme des NT-proBNP erreicht werden, aber die Belastbarkeit wurde nach 24 Wochen nicht verbessert, d.h. beim 6-Minutengehtest ergab sich keine Verbesserung. Gleiches gilt für die NYHA-Klasse (Burkert Pieske, Berlin).

Neue Leitlinie zum Thema Sport

Ein regelmässiges körperliches Training kann nicht nur kardiovaskuläre Ereignisse verhindern, sondern auch den Verlauf einer kardialen Erkrankung günstig beeinflussen, d.h. das Leben verlängern. Das Risiko dabei einen akuten Herztod oder einen Infarkt zu erleiden ist extrem niedrig. Patienten, die bisher inaktiv waren oder solche mit einer fortgeschrittenen Herzerkrankung sollten sich jedoch vor Beginn des Trainings einer ärztlichen Untersuchung unterziehen. Empfohlen wird ein Training mit moderater Intensität von 150 Minuten pro Woche, was auf mindestens 3 Tage pro Woche verteilt werden sollte und dies gilt für Schwimmen, Radfahren und Laufen gleichermassen. Moderat heisst, man sollte sich während des Trainings gerade noch unterhalten können. Sinnvoll ist es, das Ausdauertraining mit Krafttraining zu kombinieren. Diese Empfehlungen gelten auch, um Vorhofflimmern zu verhindern. Patienten mit einer Antikoagulation sollten aber Sportarten mit einem Verletzungsrisiko meiden. Grundsätzlich gilt, wenig körperliches Training ist immer noch besser als gar keines (Antonio Pelliccia, Rom).

Kardioprotektion durch SGLT2-Inhibitor

Zunächst konnte eine kardio- und nephroprotektive Wirkung für Gliflozine wie Dapagliflozin und Empagliflozin nur bei Diabetikern nachgewiesen werden. Dabei zeigte sich aber, dass diese günstigen Effekte sich unabhängig von der Blutzucker-senkenden Wirkung entfalten. Das spricht dafür, dass Gliflozine nicht nur ein Antidiabetikum sondern auch ein Kardiakum sind, d.h. auch über direkte antiatherosklerotische Wirkmechanismen verfügen.
Nach Dapagliflozin konnte jetzt im Rahmen der EMPEROR-Studie auch für Empagliflozin eine solche kardioprotektive Wirkung nachgewiesen werden und zwar auch bei Nicht-Diabetikern. Aufgenommen in diese Studie wurden 3,730 Patienten mit einer Herzinsuffizienz (EF ≤ 40%) mit und ohne Diabetes mellitus. Primärer Endpunkt der Studie war die Kombination aus kardiovaskulärem Tod oder Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz, sekundärer Endpunkt eine Verschlechterung der Nierenfunktion. In der Empagliflozin-Gruppe erreichten 361 Patienten den primären Endpunkt, in der Placebo-Gruppe waren es 462 Patienten. Dies entspricht einer Risikoreduktion von 25%. Die Rate an Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz wurde um 30% und die Häufigkeit renaler Ereignisse sogar um 50% reduziert (Milton Packer, Dallas).

Herzinfarkt bei Diabetikern

Die Achillesferse des Typ-2-Diabetikers ist der Herzinfarkt, d.h. das Risiko ist im Vergleich zu Stoffwechselgesunden um das zweifache erhöht. Die medikamentöse Therapie des Typ-2-Diabetes und die Behandlung der Begleiterkrankungen wie Hypertonie und Hyperlipidämie haben in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. So stehen jetzt mit den Gliflozinen und den GLP-1-Analoga Substanzgruppen zur Verfügung, die nicht nur den Blutzucker senken sondern auch einen von der metabolischen Wirkung unabhängigen kardio- und nephroprotektiven Effekt entfalten. Dass die insgesamt bessere Therapie sich günstig auf das Infarktrisiko bei Diabetikern ohne vorbekannte KHK auswirkt, dies zeigen die Ergebnisse einer dänischen Registerstudie. Ausgewertet wurden die Daten von 211,278 neu entdeckten Diabetikern ohne vorbekannte KHK. Während des Zeitraums von 1996 bis 2011 wurde das Risiko für einen Infarkt um 61% und für Tod um 41% gesenkt. Am Ende der Studie lag das Infarktrisiko bei Diabetikern ohne bekannte KHK nur marginal um 0.6% höher im Vergleich zu Stoffwechselgesunden. Im Verlauf der Studie stieg die Zahl der Diabetiker, die einen Lipidsenker erhielten, um das 10-fache, die mit ASS um 50% und die mit Antihypertensiva um 4-fache (Christine Gyldenkerne, Aarhus).

Neues zum Thema Vorhofflimmern

Jeder dritte Mensch entwickelt während seines Lebens Vorhofflimmern. Damit ist das Vorhofflimmern die mit Abstand häufigste Rhythmusstörung. Patienten mit Vorhofflimmern haben ein 5-fach erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall. Auch ist das Vorhofflimmern bei Frauen mit einem zweifach erhöhten Sterberisiko, bei Männern mit einem 1,5-fach erhöhten Sterberisiko assoziiert. Auch das Risiko für eine Krankenhausbehandlung ist um den Faktor zwei erhöht. Ca. 20% der Patienten mit Vorhofflimmern sind depressiv, 60% klagen über eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität, und das Risiko für eine Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit bzw. eine Demenz ist um 50% höher.
Das Management des Vorhofflimmerns orientiert sich nach der neuen ESC-Guideline an der ABC (Atrial fibrillation Better Care)-Regel:
A: Antikoagulation
B: Better symptoms management
C: Cardiovascular and Comorbidity optimisation (Hypertonie, Lifestyle, Verzicht auf Nikotin und Alkoholexzesse, Gewichtsabnahme und körperliches Training).
Auch für Schwangere ist Vorhofflimmern nicht unproblematisch. Bei einer Marcumar-Therapie ist eine vaginale Entbindung kontraindiziert wegen der Blutungsrisiken beim Kind und NOAKs sind ebenfalls verboten. Bei Sportlern ist das Risiko für Vorhofflimmern um das 5-fache erhöht, vor allem bei Ausdauersport.
Ein grosser Teil der Patienten mit Vorhofflimmern sind unentdeckt, so dass der Schlaganfall das Initialsymptom darstellt. Diese asymptomatischen Patienten gilt es früh zu identifizieren, um sie durch eine effektive Antikoagulation vor einem ischämischen Insult zu schützen. Deshalb sollt bei allen über 65-Jährigen und bei allen Hypertonikern mittels Pulskontrolle oder EKG nach Vorhofflimmern gefahndet werden (Gerhard Hindricks, Leipzig).

Schutzimpfungen schützen vor Herzinsuffizienz

Die Grippe- und Pneumokokkenimpfung schützt vor tödlicher Herzinsuffizienz. Dies ist das Ergebnis einer grossen Studie bei 3 Millionen Amerikanern mit einem Durchschnittsalter von 70 Jahren, die wegen einer Herzschwäche stationär behandelt wurden. Nur 1,4% hatten eine Influenza-Impfung, 1,4% eine Pneumokokkenimpfung erhalten. Hospitalmortalität lag bei den Influenza-Geimpften bei 1,3% im Vergleich zu 3,6% bei Ungeimpften. Bei der Pneumokokkenimpfung betrugen die Sterbedaten im Krankenhaus 1,2% vs. 3,6% (Karthik Gonuguntla, Connecticut).

Dr. med.Peter Stiefelhagen