Kosten dominieren die gesundheitspolitische Diskussion (Teil 1)

Vor der Corona-Krise schienen die gesundheitspolitischen Prioritäten für 2020 klar. Dann wurde die Frühjahrssession 2020 nach der zweiten Woche abgebrochen, die Eröffnung von geplanten Vernehmlassungsverfahren verschoben und die eidgenössische Volksabstimmung im Mai abgesagt – die Schweiz war auch politisch im Lockdown. Mit der Durchführung der Sommersession nach dem Ende der ausserordentlichen Lage kam wieder etwas Normalität in den politischen Alltag. Allerdings prägt die Pandemie auch weiterhin den politischen Diskurs. Zeitpläne und Gewichtungen haben sich verschoben. Ein Überblick zu den hängigen, krebspolitisch relevanten Vorlagen.

Tabakproduktegesetz und Volksinitiative Kinder ohne Tabak (1)

Bei der Tabakwerbungbeschränkung erhält die Schweiz schlechte Noten: Kein anderes Land schneidet im Rating der europäischen «Tobacco Control Scale» in dieser Kategorie so schlecht ab wie die Schweiz. Das Parlament hätte in der aktuellen Beratung des neuen Tabakproduktegesetzes die Möglichkeit, dies zu ändern. Ein schweizweites Verkaufsverbot von Tabakprodukten und E-Zigaretten für Minderjährige ist zwar vorgesehen. Ansonsten fehlen im Entwurf aber wirksame Massnahmen zur Reduktion des Tabakkonsums. Werbeeinschränkungen sind nur geringfügig geplant und auf ein Sponsoringverbot wird gar verzichtet.
Der Ständerat hatte die Vorlage bereits in der Herbstsession 2019 beraten und bekannte sich erfreulicherweise zur Erfüllung der Mindestanforderungen der WHO-Rahmenkonvention – dazu hatte sicher die kurz vorher eingereichte Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» (2) zahlreicher Gesundheitsorganisationen beigetragen. Das Zustandekommen der Initiative ist ein klarer Auftrag an das Parlament, wirksame Massnahmen gesetzlich zu verankern und umzusetzen.
Ende 2019 teilte der Bundesrat mit, dass er die Volksinitiative zur Ablehnung empfehlen wird, allerdings wolle er sich in der laufenden Beratung zum Tabakproduktegesetz (TabPG) für stärkere Einschränkungen der Tabakwerbung einsetzen. Die Botschaft zuhanden des Parlaments ist in Kürze zu erwarten. Die Beratung des TabPG in der vorberatenden Gesundheitskommission des Nationalrates (SGK-N) wurde aufgrund des Coronavirus verschoben und steht im Nationalrat frühestens in der Wintersession auf dem Programm.

Förderung von Bildung, Forschung und Innovation in den Jahren 2021-2024 (3)

Abgestimmt auf die Legislaturplanung legt der Bundesrat dem Parlament alle vier Jahre die BFI-Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation vor. Darin wird Bilanz über die laufende Periode gezogen, und es werden die Ziele und Massnahmen der neuen Förderperiode festgelegt. Das übergeordnete Ziel der BFI-Botschaft 2021-2024 ist: «Die Schweiz bleibt führend in Bildung, Forschung und Innovation und nutzt die Chancen der Digitalisierung». In elf Finanzbeschlüssen beantragt der Bundesrat für die nächsten vier Jahre 27.9 Milliarden Franken. Dies sind rund 2 Milliarden mehr als in der laufenden Vierjahresperiode. (Das entspricht bei den heutigen Teuerungsannahmen einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von nominal 2,2%.) Die Aufstockung wird unter anderem mit Vorhaben im Zusammenhang mit dem digitalen Wandel begründet.
Unter Beachtung gesetzlicher Richtwerte und Ausgabenbindungen soll eine solide Grundfinanzierung der BFI-Institutionen gewährleistet werden. Nebst den finanziellen Mitteln für die nächsten vier Jahre beantragt der Bundesrat auch punktuelle Anpassungen in den gesetzlichen Grundlagen. Das Fördervolumen und die beantragte Mittelzuteilung tragen den Prioritäten des Bundesrates für die Jahre 2021-2024 Rechnung:

  • Die Berufsbildung ermöglicht auch künftig in der Arbeitswelt attraktive Einstiegs- und Karrieremöglichkeiten.
  • Der Bund setzt sich für eine Erhöhung der Beteiligung an Weiterbildung ein.
  • Die BFI-Politik unterstützt in allen Bereichen die Akteure in der Bewältigung und in der Mitgestaltung des digitalen Wandels.
  • Die Schweizer Hochschulen bieten Höchstleistungen im Interesse von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft.
  • Die Förderagenturen des Bundes unterstützen Forschung und Innovation auf höchstem Niveau.
  • Die BFI-Politik trägt in allen Bereichen zu einer nachhaltigen Entwicklung und zur Chancengerechtigkeit bei.

Nicht beantragt hat der Bundesrat die BFI-Botschaft 2021-2024 Mittel für die Beteiligung an den EU-Programmen, insbesondere im Bereich Forschung und Innovation («Horizon Europe» u.a.m.), da zurzeit weder Umfang noch Teilnahmemöglichkeiten bekannt sind. Er schlägt vor, bis zur Klärung der Bedingungen einen Teil der Mittel zu sperren: Sollte das Mittelwachstum der BFI-Botschaft zusammen mit den Ausgaben für die Beteiligung an den EU-Programmen im BFI-Bereich jährlich 3% übersteigen, würde der Zuwachs in der BFI-Botschaft auf jährlich 1,7% begrenzt. Andernfalls könnte der Bundesrat die Kreditsperre aufheben.
Der Ständerat hat in der Sommersession die Vorlage beraten und ist in den Grundzügen einverstanden mit dem Vorschlag des Bundesrates. Er will aber 188 Millionen Franken mehr bewilligen und erhöht damit die Zahlungsrahmen und Verpflichtungskredite für die Bereiche Forschung und Innovation für 2021-2024 auf knapp 28,1 Milliarden Franken. Darin enthalten ist u.a. eine Erhöhung des Zahlungsrahmens für Forschungsaktivitäten des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF), den schweizerischen Akademien der Wissenschaften und weiterer nationaler Förderinitiativen im Bereich von Forschung und Innovation auf insgesamt 4811,6 Millionen Franken sowie eine Erhöhung des Zahlungsrahmens für die Unterstützung von Forschungseinrichtungen von nationaler Bedeutung um 39 Millionen auf 457 Millionen Franken. Abgelehnt hat der Ständerat zudem den Antrag des Bundesrates, bis zur Klärung der Teilnahmebedingungen zu «Horizon Europe» und der Nachfolgelösung für die Erasmus-Programme einen Teil der BFI-Mittel sperren zu können. Nun wird sich der Nationalrat der BFI-Botschaft annehmen.

Abgabe von Medizinalcannabis (4)

Der Bundesrat möchte den Zugang zu Behandlungen mit Medizinalcannabis erleichtern. Im Juni verabschiedete er einen entsprechenden Entwurf für die Revision des Betäubungsmittelgesetzes zuhanden des Parlaments. Heute müssen Ärztinnen und Ärzte, die eine Behandlung mit Medizinalcannabis verschreiben möchten, in den meisten Fällen eine Ausnahmebewilligung beim BAG beantragen. Dieses Verfahren erschwert den Zugang zur Behandlung, verzögert die Aufnahme der Therapie und ist angesichts der steigenden Anzahl Gesuche nicht mehr zweckmässig. Neu sollen sich Patientinnen und Patienten Behandlungen auf Cannabisbasis direkt ärztlich verschreiben lassen können. Um die Verwendung von Medizinalcannabis zu erleichtern, schlägt der Bundesrat vor, das aktuelle Verbot im Betäubungsmittelgesetz aufzuheben. Cannabis zu Genusszwecken bleibt weiterhin verboten.
Nicht behandelt wird die Frage nach der Vergütung der Behandlungen auf Cannabisbasis durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Lässt sich die Wirksamkeit der Behandlungen ausreichend nachweisen, wird eine Vergütung ins Auge gefasst werden. Der entsprechende Bericht wird voraussichtlich 2021 vorliegen.

BAG-Evaluation und Revision Art. 71a-d

In kaum einem Fachgebiet werden Therapien so häufig ausserhalb ihrer zugelassenen Indikation eingesetzt wie in der Onkologie: Rund ein Drittel aller erwachsenen Krebsbetroffenen und fast alle Kinder mit Krebs werden «off-label» behandelt. Mit der rasanten medizinischen Entwicklung und der modernen Präzisionsmedizin wird dieses als Ausnahme geplante Vorgehen aber immer mehr zur Regel. Es braucht deshalb unbestritten eine gesetzliche Regelung für die Off-label-Anwendungen – insofern ist der geltende Art. 71a-d KVV im Grundsatz begrüssenswert. Allerdings gibt die aktuelle Regelung seit der Einführung 2011 und der Revision 2017 Anlass zu massiven Beanstandungen – neben unfairen Ungleichbehandlungen in der Vergütung insbesondere auch wegen dem grossen administrativen Aufwand für alle beteiligten Akteure. Zudem kann man aufgrund der laufend zunehmenden Zahl der Kostengutsprachegesuche längst nicht mehr von einer Ausnahmeregelung sprechen und die Zukunftsfähigkeit der Verordnungsbestimmungen ist zu bezweifeln.
Seit Juni 2019 führt das BAG deshalb eine Evaluation (5) des betreffenden Artikels durch. Diese soll gesamtheitliches orientierungs- und handlungsrelevantes Wissen in Bezug auf die Umsetzung der Artikel 71a–71d KVV zusammentragen. Daraus sollen Empfehlungen abgeleitet werden, die unter anderem die Grundlage für eine geplante Revision von Art. 71a-d KVV darstellen. Aus Sicht von Betroffenen ist zu hoffen, dass mit der Klärung und Anpassung des Verordnungsartikels wirksame Massnahmen umgesetzt werden, die die aktuelle Vergütungspraxis und damit die Zugangsgerechtigkeit verbessern.

Franziska Lenz

Leiterin Politik und Public Affairs Krebsliga Schweiz

1. 15.075 Bundesgesetz über Tabakprodukte. https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20150075
2. www.kinderohnetabak.ch
3. 20.028 Förderung von Bildung, Forschung und Innovation in den Jahren 2021-2024. https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20200028
4. 20.060 Betäubungsmittelgesetz. Änderung (Cannabisarzneimittel). https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20200060 und 18.3389 Motion SGK-N. Ärztliche Abgabe von Cannabis als Medikament an Chronischkranke. Tiefere Gesundheitskosten und weniger Bürokratie. https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20183389
5. Pflichtenheft 2019-2020 Evaluation der Vergütung von Arzneimitteln im Einzelfall nach den Artikeln 71a–71d KVV. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/publikationen/evaluationsberichte/evalber-kuv.html

Erektile Dysfunktion arterieller Genese

Die Erektile Dysfunktion (ED) ist eine häufig anzutreffende Störung bei Männern, deren Prävalenz mit zunehmendem Alter ansteigt. Die betrifft aber auch viele Patienten jüngeren Alters. Betroffene Männer sprechen nicht gerne über die Krankheit, da der Urwert der Männlichkeit – die Standhaftfähigkeit – hierdurch infrage gestellt wird. Es lohnt sich aber für betroffene Patienten in mehrerlei Hinsicht, zum Arzt zu gehen. Denn in vielen Fällen ist die ED ein Indiz für weitere schwerwiegendere Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, deren Früherkennung von sekundärpräventiven Massnahmen gefolgt sein sollte.

Die ED ist somit nicht nur ein lästiges Problem für viele Männer im besten Alter, sondern sie kann die erste klinische Manifestation einer Atherosklerose sein, die bei Nicht-Beachtung zu anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen kann. Daher ist die ED ein klinisches Problem mit nicht zu unterschätzender medizinischer Tragweite und zunehmender sozioökonomischer Bedeutung.
Eine nicht auf Medikamente ansprechende arteriell bedingte ED ist heute keine Palliativsituation mehr: In den meisten Fällen liegt eine Obstruktion von an der Erektion beteiligten Arterien vor, die heute mittels Angioplastie behandelt werden kann. Die moderne endovaskuläre Therapie der ED ist klinisch sinnvoll bei Patienten, die nicht auf konservative Massnahmen ansprechen, oder bei denen diese Nebenwirkungen haben.

Definition und Epidemiologie der erektilen Dysfunktion

Die ED ist eine «andauernde oder wiederholte Unfähigkeit, eine Erektion zu erreichen oder aufrechtzuerhalten, die ausreicht, um die sexuelle Aktivität zu befriedigen» (1). Um vorübergehende Störungen auszuschliessen, muss der Patient mindestens 3 Monate lang an einer ED gelitten haben, die nicht nach einem Trauma oder einer Operation aufgetreten ist (2).
Entgegen einer häufig anzutreffenden Fehleinschätzung darf die ED nicht als Ausdruck einer im Alter nachlassenden sexuellen Aktivität fehlinterpretiert werden, sondern ist auch nach Einschätzung der WHO, des amerikanischen National Institutes of Health und der europäischen Gesellschaft für Urologie als Krankheit zu werten. Der durch die ED verursachte Leidensdruck ist somit nicht durch den behandelnden Arzt, sondern durch den Patienten selbst zu definieren. Um eine normale Erektion zu gewährleisten, sind mehrere Komponenten erforderlich, nämlich, ein funktionierendes Nervensystem, ein guter arterieller Fluss, gesunde Schwellkörper und die Fähigkeit, das Auslaufen von venösem Blut zu blockieren. Bei Vorliegen einer ED sind deshalb umfassende Abklärungen angezeigt, da Symptome ein wichtiger früher Marker für bisher unerkannte Erkrankungen sein könnten. Damit ist die ED eine sogenannte Sentinel-Krankheit (3).

Diagnostik der ED

Die notwendigen Schritte bei der Diagnostik erfolgen durch nichtinvasive, semi-invasive und invasive Abklärungsmethoden und entsprechen den Leitlinien der Deutschen Urologie Gesellschaft (DGU) und der European Association of Urology (EAU) (4).
Ein standardisierter Fragebogen, wie der International Index of Erectile Function (IIEF), kann zur besseren Quantifizierung sinnvoll sein. Der Schwellkörper Injektionstest (SKAT-Test) mit Duplexsonografie zur Evaluation der arteriellen penilen Gefässe gehört zur semi-invasiven Diagnostik. ED wird als durch arterielle Obstruktionen verursacht angesehen, wenn die arterielle systolische Spitzen-Geschwindigkeit einer oder beider Kavernosalarterien ≤ 0,3 m / s zehn Minuten nach einer intrakavernosalen Injektion von 10 μg Alprostadil (Prostaglandin E1 (PGE-1)) am proximalen Rand des Penisschafts beträgt. Heute kann eine Kontrastmittel-verstärkte Computertomografie (CT) wichtige Informationen liefern und somit für die Planung eines endovaskulären Eingriffs hilfreich sein.
Sobald die Diagnose einer arteriell bedingten ED gesichert ist, empfiehlt sich ein fachärztliches Workup. Häufig finden sich bei Patienten mit arteriell bedingter ED auch Pathologien in anderen arteriellen Stromgebieten (Abb. 1, 2).
Eine von uns kürzlich publizierte Studie zeigte, dass die meisten Befunde, die eine sofortige Behandlung erforderten, im Zusammenhang mit koronar-arteriellen Verkalkungen standen. Solche wurden bei Kontrastmittel-verstärkter CT-Untersuchung bei 37,5% der ED-Patienten beobachtet.
Insgesamt zeigten in dieser Arbeit 168/200 (84,0%) männliche Patienten mehrere zufällige CT-Befunde. Andere häufige Zufallsbefunde sind Aneurysma, Tumore, Prostata-Hyperplasien, Steatosis hepatis, Kolon-Divertikulose, Hernien, Nieren- und Leberzysten und Degeneration des Spinalkanals (5).

Therapie der ED

Medikamentöse Behandlungsansätze

Abhängig von der Ursache und dem Schweregrad der ED stehen verschiedene Behandlungsoptionen wie PDE-5-Hemmer-Therapie, Testosteronersatztherapie, PGE-1 wie Alprostadil, Penispumpen und Implantate zur Verfügung.
PDE-5-Hemmer können bei bis zu 50% der ED-Männer keine oder nur eine nicht ausreichende Wirkung entfachen, limitierende Nebenwirkungen können bei bis zu 25% der Patienten auftreten (6,7). Sofern weder PDE-5-Hemmer noch das intrakavernöse Prostaglandin wirken, steigt die Wahrscheinlichkeit für eine vaskuläre Genese deutlich an (8, 9).

Offen-chirurgische Revaskularisation erektionsabhängiger Arterien

In den 70er Jahren wurde erstmals die modifizierte mikro-chirurgische Technik (10) und ihre Ergebnisse vom Universitätsspital Zürich publiziert. Es zeigte sich jedoch rasch, dass diese Anastomosen in Kürze nicht offenblieben und thrombosierten. Heute gilt diese vergleichsweise invasive Methode in der Regel als obsolet, da sie mit Nebenwirkungen wie Wundheilungsstörungen eine hohe Morbidität aufweist und aufgrund dieser klinischen Probleme oftmals auch nicht mit einer Verbesserung der Erektion der behandelten Patienten einherging. Daher befindet sich die offenchirurgische Revaskularisation in der Schweiz auf der Negativliste der KLV.
Nicht nur semantisch, sondern auch chronologisch muss die offen-chirurgische von der endovaskulären Revaskularisation klar getrennt werden. Die erste Studie zur endovaskulären Revaskularisation begann im Jahre 2009, also 15 Jahre nach Aufführung der chirur-gischen Revaskularisation in der KLV-Negativlistung von 1994 (11).

Endovaskuläre Revaskularisation erektionsabhängiger Arterien

Zwischenzeitlich hat die Miniaturisierung des Kathetermaterials die endovaskuläre Therapie von Arterien kleinen Kalibers ermöglicht (12, 13). In Analogie zu den Entwicklungen der Kathetertherapie wagen sich heute erfahrene Interventionalisten nun immer tiefer in die Penis-versorgenden Arterien vor. Bei Obstruktionen der A. iliaca interna oder der A. glutea inferior kann neben einer arteriell bedingten ED auch eine Glutealclaudicatio vorliegen. Mit einer Katheter-Revaskularisation kann man hier häufig zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen (Abb. 3).

Die ZEN Studie beschäftigte sich mit der klinischen Effizienz der Implantation Medikamenten-beschichteter Koronarstents in Pudenda Obstruktionen (11). Die Obstruktionen waren fokaler Natur (durchschnittliche Läsionslänge 18 mm), der durchschnittliche Gefässdurchmesser betrug 2,6 mm. In allen Fällen wurde ein technischer Angioplastie- bzw. Stent-Erfolg verzeichnet, wobei sich im Nachgang herausstellte, dass bei 5 von 30 Patienten aus Versehen nicht erektions-bezogene-Arterien gestentet wurden, was die anatomische Komplexität dieser Eingriffe unterstreicht. Im Rahmen neuerer Untersuchungen zeigte eine Arbeitsgruppe, dass selbst die technisch nicht triviale Angioplastie in Händen erfahrener Interventionalisten sicher ist (14).
Eine detaillierte Studie von uns zeigte, dass die endovaskuläre Behandlung mit atherosklerotischer ED sicher und wirksam war. Der Erfolg wurde bei 49 (98%) von 50 Patienten erzielt. Nach 12 Monaten erreichten 65% der Patienten eine Verbesserung nach IIEF-6-Scores und die Veränderung des Scores war konsistent (15). So lange es noch keine randomisierten Studien gibt, sollte die Stentbehandlung für ED Patienten reserviert sein, die nicht auf konservative Therapiemassnahmen (PDE-5-Hemmer oder intrakavernöses Prostaglandin) ansprechen. Abbildung 4 zeigt eine komplexe Intervention bei einem 66-jährigen ED-Patienten mit Stenose der Penisarterien-Bifurkation. In koronarer Bifurkations-Technik wird der Abgang der A. cavernosa zunächst mit einem Sirolimus-beschichteten Stent überstentet (Abb. 4b) um den Fluss in die für die Rigidität der Eichel wichtige A. dorsalis penis zu gewährleisten. Im Anschluss wird die für die Rigidität des proximalen Penisschaftes wichtige A. cavernosa mit einem Draht sondiert und mit einem weiteren beschichteten Stent durch die Maschen hindurch gestentet (Abb. 4c).

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Dr. med. Vignes Mohan

Zentrum für Gefässmedizin Mittelland
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Prof. Dr. med. Nicolas Diehm, MBA

Zentrum für Gefässmedizin Mittelland
Zentrum für Erektionsstörungen
Aarenaustrasse 2B
5000 Aarau
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Unrestricted grant durch die Firma Endoscout, Deutschland

  • ED ist ein häufiges Problem
  • Da ED als frühzeitiger Marker für kardiovaskuläre Erkrankungen, Arteriosklerose und Diabetes mellitus erkannt wird, sollte diesem Phänomen mit grosser Aufmerksamkeit begegnet werden
  • Bei zunehmender Unverträglichkeit der Erstlinientherapie mit Phosphodiesterase-5 (PDE5) -Hemmer können heutzutage Patienten mit ED von einer vaskulären Standortbestimmung und möglicherweise von interventionellen Behandlungen profitieren.

1. Castro RP, Hernández PC, Casilda RR, García JR, Tapia MJR. [Epidemiology of erectile dysfunction. Risk factors]. Arch Esp Urol. 2010;
2. Brotons FB, Campos JC, Gonzalez-Correales R, Martín-Morales A, Moncada I, Pomerol JM. Core document on erectile dysfunction: Key aspects in the care of a patient with erectile dysfunction. International Journal of Impotence Research. 2004.
3. Uddin SMI, Mirbolouk M, Dardari Z, Feldman DI, Cainzos-Achirica M, DeFilippis AP, et al. Erectile dysfunction as an independent predictor of future cardiovascular events: The multi-ethnic study of atherosclerosis. Circulation. 2018.
4. Hatzimouratidis K, Amar E, Eardley I, Giuliano F, Hatzichristou D, Montorsi F, et al. Guidelines on male sexual dysfunction: erectile dysfunction and premature ejaculation. Eur Urol. 2010;
5. Jan S, Vignes M, Schumacher Martin C, Markus B, Keo Hak H, Heinz S, et al. Incidental findings during computed tomographic angiography diagnostic work-up in patients with arteriogenic erectile dysfunction. Swiss Med Wkly. 2019;149(49–50):1–7.
6. Chen L, Staubli SEL, Schneider MP, Kessels AG, Ivic S, Bachmann LM, et al. Phosphodiesterase 5 inhibitors for the treatment of erectile dysfunction: A trade-off network meta-analysis. European Urology. 2015.
7. Campbell HE. Clinical monograph for drug formulary review: erectile dysfunction agents. Journal of managed care pharmacy : JMCP. 2005.
8. Wespes E, Rammal A, Garbar C. Sildenafil non-responders: Haemodynamic and morphometric studies. Eur Urol. 2005;
9. Pelit ES, Dokumacı DŞ, Kati B, Yağmur İ, Arslan E, Tunçtekin A, et al. Carotid artery intima-media thickness can predict the response of patients with erectile dysfunction to phosphodiesterase 5 inhibitors. Int J Impot Res. 2019;
10. Hauri D. A new operative technique in vasculogenic erectile impotence. World J Urol. 1986;
11. Rogers JH, Goldstein I, Kandzari DE, Köhler TS, Stinis CT, Wagner PJ, et al. Zotarolimus-eluting peripheral stents for the treatment of erectile dysfunction in subjects with suboptimal response to phosphodiesterase-5 inhibitors. J Am Coll Cardiol. 2012;
12. Diehm N, Borm AK, Keo HH, Wyler S. Interdisciplinary options for diagnosis and treatment of organic erectile dysfunction. Swiss Medical Weekly. 2015.
13. Diehm N, Marggi S, Ueki Y, Schumacher D, Keo HH, Regli C, et al. Endovascular Therapy for Erectile Dysfunction—Who Benefits Most? Insights From a Single-Center Experience. J Endovasc Ther. 2019;
14. Wang TD, Lee WJ, Yang SC, Lin PC, Tai HC, Liu SP, et al. Clinical and Imaging Outcomes up to 1 Year Following Balloon Angioplasty for Isolated Penile Artery Stenoses in Patients with Erectile Dysfunction: The PERFECT-2 Study. J Endovasc Ther. 2016;
15. Diehm N, Marggi S, Ueki Y, Schumacher D, Keo HH, Regli C, et al. Endovascular Therapy for Erectile Dysfunction—Who Benefits Most? Insights From a Single-Center Experience. J Endovasc Ther. 2019;

Die chronische Insomnie

Schlaflosigkeit ist ein verbreitetes Gesundheitsproblem, das mit psychosozialen, gesundheitlichen und ökonomischen Folgen verknüpft ist. Zirka 30% der Bevölkerung beklagen Schlafstörungen und über 10% leiden an chronischer Insomnie. Wegen der überholten Meinung, dass Schlaflosigkeit bloss ein Symptom einer Grunderkrankung darstelle, wird deren Behandlung noch immer vernachlässigt. Der Artikel präsentiert die heute gültige Definition der chronischen Insomnie, erklärt ihren eigenständigen Krankheitswert und beschreibt die nicht-pharmakologische Therapie der Insomnie, die als wissenschaftlich etablierte und nachhaltig wirksame Behandlung gilt.

Mit der Einführung der nationalen Akkreditierung von Zentren für Schlafmedizin in der Schweiz (1) hat das Fachgebiet der Schlafmedizin ab 1998 vermehrte Aufmerksamkeit erhalten. Inzwischen existieren schweizweit 32 Zentren für Schlafmedizin, die durch die Schweiz. Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie (SGSSC) akkreditiert wurden. Schlafbezogene Störungen werden seit einigen Jahren vermehrt beachtet und zunehmend häufiger abgeklärt. Neue Erkenntnisse aus der Schlafforschung, eine umfangreiche klinische Erfahrung und Fachliteratur haben im Verlauf der letzten 30 Jahre die Spezialisierung auf dem Gebiet der Schlafmedizin gefördert. Aus einer anfänglich interdisziplinär gestalteten Zusammenarbeit der verschiedenen beteiligten Fachrichtungen hat sich die moderne Schlafmedizin – auch Somnologie genannt – zu einer fachübergreifenden eigenen Disziplin entwickelt. Die in Fachkreisen gebräuchliche Internationale Klassifikation der Schlafstörungen (ICSD) (2) unterteilt die mehr als 80 verschiedenen Schlaf-Wach-Störungen in sechs Kategorien (Insomnien, schlafbezogene Atemstörungen, Hypersomnien, zirkadiane Schlafrhythmusstörungen, Parasomnien und schlafbezogene Bewegungsstörungen).
Die beiden bekanntesten und häufigsten Schlafstörungen sind die Insomnie (Schlaflosigkeit) und die Schlafapnoe. Weil bei der obstruktiven Schlafapnoe Assoziationen mit Übergewicht, Hypertonie, Kreislauferkrankungen und Leistungsminderung bestehen ist die Ärzteschaft sensibilisiert für schlafbezogene Atemstörungen. Bei vermuteter Schlafapnoe ist zur Diagnostik eine Untersuchung von Atmung und Sauerstoffsättigung während des Schlafs erforderlich, und für die Therapie werden bei den meisten Schlafapnoe-Patienten Hilfsmittel während des Schlafs eingesetzt. Deshalb sind die Abklärung und Therapie der Schlafapnoe nicht nur in klinischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht attraktiv. Ganz anders sieht es bei der Insomnie aus. Für die Diagnose chronischer Schlaflosigkeit sind technische Untersuchungen nur in den wenigsten Fällen indiziert, denn die Insomnie ist ein subjektives Leiden, das nicht über messbare Körpersignale oder Parameter einer Schlafregistrierung definiert ist (Tab.1).

Chronische und komorbide Insomnie als eigene Krankheit

Die Therapie der Insomnie gehört traditionellerweise zu den Aufgaben des Grundversorgers. In der hausärztlichen Praxis können Einschlaf- und Durchschlafstörungen durch Beratung über gesunde Schlafgewohnheiten, durch Hilfe in der Stressbewältigung und durch die Behandlung von bestehenden Erkrankungen gelindert werden. In hartnäckigen Fällen werden oft Schlafmittel verschrieben. Die alternde Gesellschaft und der Trend zur Vermeidung von chronischem Schlafmittelkonsum verstärken aber den Druck, den Patienten mit chronischer Insomnie eine langfristig verträgliche Therapie anzubieten. Es ist heute unbestritten, dass eine chronische Insomnie behandelt werden soll, um negative gesundheitliche und soziale Konsequenzen der Schlafstörung zu vermeiden (3, 4). Die Einordnung von Insomniebeschwerden erfordert aber viel Erfahrung und Fachwissen, denn ohne eine fachärztliche Abklärung bleibt oft unklar, ob eine Insomnieklage klinisch relevant ist, ob die subjektiv berichtete Schlafdauer realistisch ist und ob dem verkürzten oder gestörten Schlaf eine organische Ursache zugrunde liegt. Entgegen der früher verbreiteten Ansicht, dass Insomnie bloss als Symptom einer körperlichen oder psychischen Grunderkrankung auftritt, wird die Insomnie seit über 20 Jahren in allen medizinischen Diagnosesystemen als eine eigenständige Krankheit anerkannt. Oft bleibt nämlich ein gestörter Schlaf als chronische Insomnie bestehen, selbst wenn der auslösende Stressor beseitigt oder die ursächliche Grunderkrankung vollständig ausgeheilt ist. Eine behindernde chronische Insomnie kann sich zudem auch bei sonst völlig gesunden Personen entwickeln.
Ein Vergleich mit der Depression verdeutlicht das Konzept der eigenständigen Insomnieerkrankung. Bei einer klinischen Depression gilt es als etabliert und medizinisch wichtig, dass diese zu behandeln ist, auch wenn sie durch eine Schmerzstörung, psychosoziale Belastung, Krebserkrankung oder chronische Schlafstörung ausgelöst wurde. Eine sekundäre Depression besitzt einen eigenständigen Krankheitswert und bedarf einer antidepressiven Behandlung, um die Gesamtprognose zu verbessern. Weil auch eine Insomnie sich zur unabhängigen Krankheit entwickeln kann und oft chronisch wird, soll sie ebenfalls stets behandelt werden, auch wenn sie im Rahmen einer Schmerzerkrankung, einer Depression oder anderen Störung entstanden ist. Die Prognose von psychischen und organischen Erkrankungen wird nachweislich verbessert, wenn die komorbide Insomnie gleichzeitig behandelt wird (5, 6). Bei Erkrankungen mit komorbider Insomnie ist deshalb die Frage bezüglich Therapiepriorität (Huhn oder Ei?) irrelevant, weil jede beteiligte Erkrankung eine spezifische Behandlung benötigt.

Definition und Mechanismus der chronischen Insomnie

Die Klage über einen gestörten, kurzen oder schlechten Schlaf gilt nur dann als Insomnie, wenn als Folge der Schlafstörung Beschwerden im Wachzustand wie Müdigkeit, Missstimmung, Konzentrations- oder Leistungseinbussen auftreten. Zur wichtigen Abgrenzung von chronischem Schlafmangel müssen bei der Insomnie die beklagten Schlaf- und Befindlichkeitsbeschwerden zudem in einer Situation mit ausreichend Zeit und Gelegenheit zum Schlafen bestehen (Tab.1) (2). In vielen Publikationen werden die Begriffe Schlaflosigkeit und Schlafmangel leider gerne vermischt, was eine seriöse Aufklärung über die Krankheit der Insomnie bzw. über den chronischen Schlafmangel in der Gesellschaft erschwert.
Nach dem Modell von Arthur J. Spielmann (7) entsteht eine Insomnie, wenn das Risiko für Insomnie eine bestimmte Schwelle überschreitet. Drei Komponenten tragen zum Insomnierisiko bei. Die prädisponierenden Faktoren (z.B. weibliches Geschlecht, ängstliches Temperament, familiäre Konstitution) und die auslösenden Faktoren (z.B. Erkrankungen, Todesfälle, Scheidung, Berufsstress) können in der Regel nicht beeinflusst bzw. rückgängig gemacht werden. Die dritte Risikokomponente betrifft Faktoren, die eine Schlafstörung aufrechterhalten und chronisch werden lassen. Zu diesen chronifizierenden Faktoren gehören z.B. eine Verlängerung der im Bett verbrachten Zeit, frustrierende lange Einschlafversuche, übertriebene Befürchtungen über Konsequenzen der Schlafstörung, das Verfolgen der Uhrzeit in der Nacht, eine Überbewertung kurzer Wachzeiten und die selektive Fokussierung auf Missstimmung und Fehlleistungen. Auf diese chronifizierenden Faktoren zielen die Verhaltenstherapien für Insomnie ab. Dabei ist es wichtig, dass der Patient die Mechanismen der Chronifizierung versteht um seine dysfunktionalen Gedanken und kontraproduktiven Verhaltensweisen anhaltend zu verändern.

Die Insomniebehandlung erster Wahl

Die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (CBT-I: Cognitive Behavioral Therapy for Isomnia) ist eine speziell entwickelte Therapie, die auf der Aufklärung zum Entstehungsmechanismus der Insomnie und auf der Anleitung zu Änderungen von kontraproduktiven Ansichten und Verhaltensweisen basiert. Die verschiedenen Elemente der CBT-I sind in Tabelle 2 zusammengestellt und kurz erläutert. Einzelne dieser Massnahmen können bereits wirksam sein, in der Regel werden in einer Behandlung aber mehrere Elemente kombiniert und individuell den krank machenden Ansichten und Verhaltensweisen der jeweiligen Person angepasst. Gewisse Elemente der Verhaltenstherapie können gelegentlich kontraindiziert sein. Zum Beispiel erhöht Schlafrestriktion bei vulnerablen Personen das Risiko für bipolare, epileptische oder parasomnische Störungen. Bei betagten Personen und bei Patienten mit Depression oder Angsterkrankung können gewisse Empfehlungen bezüglich Schlafgewohnheiten und Schlafhygiene zu einer Überforderung und Verstärkung der Insomnie führen. Bei einigen Patienten sind selbst Entspannungstechniken kontraindiziert, denn in 10-15% der Bevölkerung lösen diese paradoxerweise Angstreaktionen aus.
Informationsmaterial für Insomniepatienten und Artikel in Gesundheitsmagazinen enthalten meist gute Ratschläge zu Schlafhygiene und Verhaltensmassnahmen. Ohne fachkundige Anleitung und Begleitung werden diese Empfehlungen jedoch meist nicht konsequent und lange genug befolgt. Denn wegen des hohen Leidensdrucks bei chronischer Insomnie wird ein schneller Erfolg angestrebt, so dass die Ratschläge nur für wenige Tage und mit hohem Erwartungsdruck umgesetzt werden. Für eine erfolgreiche Therapie ist darum oft die Unterstützung durch eine Fachperson notwendig, obwohl die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (CBT-I) aus relativ einfachen Massnahmen besteht. Die Wirksamkeit dieser nicht-pharmakologischen Therapie ist gut etabliert (8), und es wurde gezeigt, dass sie gleich gut wirksam ist wie eine Behandlung mit Schlafmitteln (9). Ein wichtiger Vorteil besteht darin, dass mit der CBT-I eine langfristige Verbesserung des Schlafs erzielt wird (10).
International gibt es relativ wenige Fachleute, die in der Insomnietherapie geschult sind, was erahnen lässt, dass nur ein kleiner Teil der Patienten mit chronischer Insomnie in den Genuss einer Behandlung mit CBT-I kommt. Heute steht deshalb die Verbreitung der Insomnietherapie im Vordergrund der klinischen Forschung und Tätigkeit. Um viele Patienten zu erreichen werden und wurden weltweit Internet-basierte Therapieangebote entwickelt. Auch wenn diese Ferntherapien nicht immer durch eine Fachperson begleitet werden und nicht individuell auf jeden Patienten abgestimmt werden können, sind diese Therapieprogramme besser als der gänzliche Verzicht auf eine Insomniebehandlung. In vielen Ländern wird daran gearbeitet, Hausärzte und weitere Berufsgruppen im Gesundheitssektor (Pflege, Pharmazie) in der Vermittlung der verhaltensbasierten Insomnietherapie auszubilden.

Schlafmittel

Wenn schlafhygienische Massnahmen ausgeschöpft sind und Erkrankungen sowie Medikamente, die den Schlaf stören, kontrolliert sind, stellen die Schlafmittel die weitaus häufigste Behandlung von Schlafproblemen dar. Für eine akute Insomnie mit absehbarem Ende sind Benzodiazepine, Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten (Zolpidem, Zopiclon) und die neueren Schlafsubstanzen wie Melatonin-Rezeptor-Agonisten und Orexin-Rezeptor-Antagonisten eine wirksame Therapie. Eine schnelle Intervention bei Schlafstörungen ist schon deshalb angezeigt, weil damit die Entwicklung einer chronischen Insomnie verhindert werden kann. Wegen der vorübergehenden Absetzinsomnie werden Schlafmittel aber häufig dauerhaft verabreicht, um eine Schlafstörung langfristig zu kontrollieren. Das Ausschleichen von Schlafmitteln kann nur gelingen, wenn für das Schlafmittel eine alternative und wirksame Therapie angeboten wird. Dazu eignet sich die CBT-I als nicht-pharmakologische Therapie ideal. Die Verhaltensmassnahmen müssen vom Patienten aber zuerst beherrscht und verstanden werden, damit beim späteren Ausschleichen des Schlafmittels temporäre Schlafschwierigkeiten gut bewältigt werden können.

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Dr. phil. Daniel Brunner

Somnologe ABSM, ESRS, DGSM, SGSSC
Zentrum für Schlafmedizin AG
Forchstrasse 420
8702 Zollikon

d.brunner@sleepmed.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Die Definition der Insomnie basiert auf dem subjektiven Leiden eines Patienten, was eine gezielte Anamnese und klinische Einschätzung der Schlafstörung erleichtert.
  • Eine frühe Behandlung von akuten Schlafstörungen ist anzustreben, um die Entwicklung einer chronischen Insomnie zu verhindern.
  • Eine Informations- und Verhaltenstherapie oder ein Schlafmittel (Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten oder neue Substanzen) kann als initiale Insomniebehandlung dienen.
  • Bei der Langzeittherapie soll eine kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (CBT-I) an erster Stelle stehen, nötigenfalls unterstützt durch eine Pharmakotherapie.
  • Eine chronische Insomnie soll – unabhängig von Begleiterkrankungen – wenn immer möglich behandelt werden.

1. Gugger M, Bassetti C, Bloch K, Blois R, Colomb E, Wirz-Justice A, Zagury S. Richtlinien zur Zertifizierung von «Zentren für Schlafmedizin» zur Durchführung von Polysomnographien. Schweiz Ärztezeitung 1998;79:2605-9.
2. International Classification of Sleep Disorders 3rd Ed. Darien, IL USA: American Academy of Sleep Medicine. 2014.
3. Kyle SD, Morgan K, Espie CA. Insomnia and health-related quality of life. SleepMed Rev. 2010;14:69-82.
4. Siebern AT, Manber R. Insomnia and its effective non-pharmacologic treatment. The Medical clinics of North America. 2010;94:581-591.
5. Lichstein KL, Wilson NM, Johnson CT. Psychological Treatment of secondary Insomnia. Psychol Aging 2000;15:232-240.
6. Simeit R, Deck R, Conta-Marx B. Sleep management training for cancer patients with insomnia. Support Care Cancer 2004;12:176-183.
7. Spielman AJ. Assessment of Insomnia. Clinical Psychology Review 1986;6:11-25.
8. Morin CM, Bootzin RR, Buysse DJ, Edinger JD, Espie CA, Lichstein KL. Psychological and behavioral treatment of insomnia: Update of the recent evidence (1998-2004). Sleep 2006;29:1398-1414.
9. Smith MT, Perlis ML, Park A, et al. Comparative meta-analysis of pharmacotherapy and behavior therapy for persistent insomnia. Am J Psychiatry 2002;159:5-11.
10. Edinger JD, Wohlgemuth WK, Radtke RA, et al. Cognitive behavioral therapy for treatment of chronic primary insomnia: a randomized controlled trial. JAMA 2001;285:1856

Early Diagnosis of Myocardial Infarction with Point-of-Care High-Sensitivity Cardiac Troponin I

Der Viollier Preis wurde dieses Jahr zum 18. Male vergeben. Den mit CHF 10 000.- dotierten Preis durfte Dr. med. Jasper Boeddinghaus aus der Forschungsgruppe von Prof. Dr. med. Christian Müller von der Klinik für Kardiologie des Universitätsspitals Basel entgegennehmen. Die offizielle Preisübergabe durch Dr. med. Edouard H. Viollier, Verwaltungsratspräsident von Viollier, wird allerdings erst an der Frühjahresversammlung der SGAIM im Jahre 2021 erfolgen, da die diesjährige Jahresversammlung wegen der Covid-19 Pandemie nicht stattfinden konnte.

Mit dem Viollier Preis werden jedes Jahr wissenschaftliche Originalarbeiten aus Schweizer Institutionen über klinische und experimentelle Studien auf den Gebieten des Preisstifters (Klinische Labordiagnostik, Kardiologie, Pathologie und ART) ausgezeichnet. Der Preis steht unter dem Patronat der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM).

Dr. Jaspar Boeddinghaus

Die Jury durfte auch dieses Jahr aus 10 hervorragenden Arbeiten auswählen, die allesamt in hochrangigen internationalen Fachzeitschriften publiziert wurden. Die geheime Wahl fiel nach sorgfältiger schriftlicher Evaluation auf die Arbeit «Early Diagnosis of Myocardial Infarction With Point-of-Care High-Sensitivity Cardiac Troponin I», von Dr. med. Jasper Boeddinghaus und der APACE (Advantageous Predictors of Acute Coronary Syndrome Evaluation)-Forschungsgruppe, welche in der renommierten Zeitschrift Journal of the American College of Cardiology im Jahre 2020 erschienen ist.
Eines der Ziele von APACE war es, die klinische Leistung eines Point-of-Care (POC)-hs-cTnI-Tests bei Patienten mit Verdacht auf einen Myokardinfarkt (MI) zu beurteilen. Die hochempfindlichen Tests für die kardialen Troponine-(hs-cTn) waren bislang hauptsächlich den grossen Zentrallaboratorien vorbehalten. Dies bedeutet oft eine längere Turn-Around-Time als bei einem patientennahen Test (POCT), der in der Notfallstation oder im Praxislabor durchgeführt werden kann.
In die Studie wurden Patienten aufgenommen, die in der Notaufnahme Symptome zeigten, die auf einen MI hindeuteten. Zwei Kardiologen entschieden zentral unter Verwendung aller klinischen Daten einschliesslich der kardialen Bildgebung über die endgültige Diagnose. Das primäre Ziel war der direkte Vergleich der dia-gnostischen Genauigkeit von POC-hs-cTnI-TriageTrue mit den am besten validierten zentralen Laboruntersuchungen (hs-cTnT-Elecsys, Roche, hs-cTnI-Architect, Abbott). Zu den sekundären Zielen gehörte die Ableitung und Validierung eines POC-hs-cTnI-TriageTrue-spezifischen 0/1-h-Algorithmus. Dieser 0/1-h-Algorithmus, der von der Forschungsgruppe um Prof. Christian Müller und Dr. Boeddinghaus entwickelt wurde, wird von der European Society of Cardiology in ihren Guidelines empfohlen und gelangt generell heute bei Verdacht auf Herzinfarkt zur Anwendung.
In der preisgekrönten Arbeit konnten Dr. Jasper Boeddinghaus und Kollegen aufzeigen, dass die diagnostische Genauigkeit des neuen «Point-of-Care» Assays mindestens so hoch ist wie die der am besten validierten labor-basierten Assays. Zudem konnten sie feststellen, dass bei nahezu der Hälfte aller Patientinnen und Patienten, die mit einem möglichen Herzinfarkt eingeliefert werden, ein akuter Herzinfarkt mit nur einer einzigen Troponin-Messung ausgeschlossen werden kann und hierbei kein einziger Herzinfarkt verpasst wird (Sensitivität und Negativ Prädiktiver Wert von 100%). Der neue Assay, der mithilfe eines kompakten und einfach transportierbaren Geräts gemessen wird, ermöglicht demnach eine sehr schnelle Entscheidungsfindung. Innerhalb von 15 Minuten werden die Resultate rapportiert. Dies ermöglicht nicht nur eine frühere Diagnose, sondern darüber hinaus eine Anwendung des Assays in ambulanten Praxen und Notfalleinrichtungen. Die klinische Verwendung dieses neuen hochsensitiven «Point-of-Care» Assays hat somit Potentiale, die Herzinfarktdiagnostik weltweit entscheidend zu verbessern.

Quelle: Early Diagnosis of Myocardial Infarction With Point-of-Care High-Sensi-tivity Cardiac Troponin I. Boeddinghaus J, Nestelberger T, Koechlin L, Wussler D, Lopez-Ayala P, Walter JE, Troester V, Ratmann PD, Seidel F, Zimmermann T, Badertscher P, Wildi K, Rubini Giménez M, Potlukova E, Strebel I, Freese M, Miró Ò, Martin-Sanchez FJ, Kawecki D, Keller DI, Gualandro DM, Christ M, Twerenbold R, Mueller C; APACE Investigators. J Am Coll Cardiol. 2020 Mar 17;75(10): 1111-1124.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Tauchen Sie mit ganzem Herzen?

Was früher als risikoreiche Betätigung für unerschrockene Individualisten angesehen wurde, wird zu einer von vielen Erholungsmöglichkeiten für die breite Öffentlichkeit, als gäbe es mit der entsprechenden Ausrüstung in der Welt unter Wasser keine (Alters)-Grenzen mehr. Das stimmt zwar überwiegend, aber eben nicht immer. Es gibt keine andere sportliche – und übrigens auch keine berufliche – Betätigung, die mit so vielen physiologischen Veränderungen einhergeht, wie das Tauchen.

Das Tauchen mit einem Druckluftgerät beeinflusst das kardiovaskuläre System nur indirekt. Im Gegensatz zu den Atmungsorganen und den Organen des HNO-Bereichs, werden der Kreislauf und insbesondere das Herz durch die Änderungen des hydrostatischen Druckes nur geringfügig beeinflusst, da sie keine gasgefüllten Hohlräume aufweisen.
Deshalb folgen Herzprobleme beim Tauchen nicht der Logik, je tiefer umso grösser. Zutreffend ist aber: je tiefer umso länger ist der Weg nach oben. Hier liegt der wesentliche Punkt der häufigsten Tauchzwischenfälle. Was an Land kaum ein Problem darstellt, endet unter Wasser mit einer Katastrophe. Wenn es Ihrer Patientin beim Biken oder Wandern unwohl ist, weil sie Schwindel, Atemnot oder Palpitationen verspürt, setzt sie sich hin und ruht sich aus. Meist bessern die Symptome oder sind zumindest einigermassen erträglich, weil sie sich mit Begleitenden austauschen oder Hilfe anfordern kann. Unter Wasser ist dies ausgesprochen schwierig, ja praktisch unmöglich. Mit der extrem eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeit ist die Patientin allein gelassen und verspürt extreme Hilflosigkeit, was rasch zu Panik führt, auch wenn sie habituell nicht dazu neigt. 20 Meter unter dem Wasserspiegel sind dann eine extreme Tiefe, denn der Aufstieg unmittelbar kaum unbeschadet möglich.

Wechselnde intrathorakale Drucke wegen Lagewechsel

Ein Lagewechsel unter Wasser kann Druckveränderungen von –30cm H2O und +20cm H2O bewirken. Die negativen Drucke bedeuten einen Preload-Anstieg und die positiven Drucke eine Preload-Senkung sowie positiven endexspiratorischen Druck (PEEP). So wird bereits die Kopfüberlage – zum Beispiel damit die Flossen keinen Sand aufwirbeln beim Betrachten eines kleinen Seepferdchens in der seichten Seegraswiese vor dem stillen Hausriff – eine extreme Tiefe sein für eine Taucherin mit pulmonal-arterieller Hypertonie. Der kritische pulmonal-arterielle Druckanstieg bewirkt eine akute Rechtsherzdekompensation.

Immersion

Bereits das Stehen im Wasser, Schwimmen oder Schnorcheln an der Oberfläche bewirkt eine mittelschwere Volumenbelastung mit Erhöhung des Preloads durch einen relativ negativen intrathorakalen Druck. Mit einer Herzinsuffizienz können also schon 1 bis 1½ Meter eine extreme Tiefe sein.

Aufenthalt im Wasser erhöht auch beim Gesunden den Sauerstoffverbrauch und die Herzarbeit

Bei eingeschränkter Pumpfunktion ist jede Tiefe extrem und zwar auch dann, wenn sich die Pumpfunktion erst durch den Tauchgang selber verschlechtert, zum Beispiel als Folge des höheren Sauerstoffbedarfs. Da ist das Gewicht der Ausrüstung, die 20 kg und mehr schwer sein kann und unter Umständen auf einem wackeligen Boot manövriert werden muss. Die unter Wasser höheren Atemwegswiderstände erhöhen die einfache Atemarbeit. Der Aufenthalt im Wasser selbst ist unabhängig von der Tiefe für den Herzmuskel eine Mehrarbeit, der er nicht ausweichen kann. Denn Wasser ist ein sehr guter Wärmeleiter. Kälte und Absinken der Körpertemperatur verlangen zusätzliche Muskelarbeit zur Wärmegewinnung. Die Kälte führt zur Vasokonstriktion und somit zur Zunahme des peripheren Widerstandes und damit des Afterloads. Auch in warmen Gewässern kann eine relevante Unterkühlung auftreten. Ein passender Tauchanzug hilft, die Wärme zu isolieren. Passt er nicht perfekt – oder passt die Taucherin nicht mehr so gut rein –, wird er wegen seiner Enge den peripheren Widerstand zusätzlich erhöhen und damit nochmals den Afterload. Auch die stressbedingte Vasokonstriktion führt zu einer Erhöhung des Afterloads.
Hinzukommt der Tauchreflex (Diving reflex response), ein Schutzmechanismus aller lungenatmenden Lebewesen beim Eintauchen in Wasser. Durch eine Kälteeinwirkung im Gesichtsbereich, wird eine Stimulation des Parasympathikus getriggert, verbunden mit Apnoephasen, verlangsamt sich die Herzfrequenz und das zirkulierende Blutvolumen wird zentralisiert (Bloodshift). Dieser Mechanismus stellt für den Herzmuskel wechselnde Volumenlasten dar und begünstigt zudem das Auftreten von ektopen Ersatzrhythmen bei einer Prädisposition. Während eines Tauchgangs kann die Taucherin über einen halben Liter Flüssigkeit verlieren durch die physiologische Taucherdiurese, der vermehrten Harnproduktion durch den Gauer-Henry-Reflex. Durch die Dehydrierung verschlechtern sich die rheologischen Eigenschaften des Blutes, der Afterload steigt und durch die schlechtere Mikrozirkulation verzögert sich der Stickstoffabtransport in der Auftauchphase. Die Gefahr der Stickstoffübersättigung mit dem erhöhten Risiko für das Auftreten eines Dekompressions-Unfalles steigt erheblich. Es wird daher empfohlen, den Körper regelrecht auf das Tauchen mit vermehrter Flüssigkeitsaufnahme vorzubereiten, was für Herzinsuffiziente belastend wäre.
Zu all diesen Lasten kommt letztendlich noch die eigentliche Taucherarbeit dazu: das Paddeln mit den Flossen, damit eine so gemütliche Sache wie ein Unterwasserspaziergang in den Korallengärten überhaupt möglich ist.

Diese kleine Nacktschnecke (Nembrotha kubaryana) schützt sich im Korallengarten durch Toxine. Sie gehört wegen ihrer leuchtenden Farben zu den grossen Stars in tropischen Korallenriffen. Höchstens die Hälfte aller Arten ist bis heute identifiziert.

Anforderungen an das Herz-Kreislaufsystem beim Freizeittauchen

Krankheiten und Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit, die an Land meist keine Probleme verursachen, können unter Wasser fatale Auswirkungen haben. Rhythmusstörungen, manifeste Herzinsuffizienz, symptomatische oder durch Medikamente symptomfrei gewordene koronare Herzkrankheit und stenotische Vitien könnten zu einem letalen Ausgang führen. Die Hauptgefahr ist nicht unbedingt der primäre Herztod, sondern plötzliche Bewusstlosigkeit oder Handlungsunfähigkeit in einer Umgebung, die zum Ertrinken mit Asphyxie oder zu einem unkontrollierten Aufstieg zur Wasseroberfläche und in der Folge zu einer akuten Gasembolie (AGE) oder Dekompressionskrankheit (DCS) führen würden.
Die Analyse von fatalen Tauchunfällen zeigt mehrheitlich Auslöser und Ursachen, auf welche die bestehenden Sicherheitsregeln bereits ausgerichtet sind (1). Abbildung 1 zeigt, dass die meisten Todesfälle auf wenige Ursachen zurückzuführen sind (1). Bei 590 von 947 Todesfällen 1992-2003 konnten diese geklärt werden und die drei Häufigsten, die 88% der Todesfälle verursachen, sind Asphyxie (33%), AGE (29%) und Herzprobleme (26%). Die übrigen sind Traumata (5%), DCS (2.5%), unklarer Bewusstseinsverlust (2.5%) und fehlerhaftes Atemgas (2%).
Die Auswertung der Stickybeak Daten 1972-2005 von Divers Alter Network (DAN) (2), liefert ähnliche Daten mit etwas mehr Asphyxie (49%), die seltener bei älteren Tauchern vorkommt, die in den 70er und 80er Jahren im Vergleich zu heute untervertreten sind, AGE (25%) und Herzprobleme (19%). Sie konnte zusätzlich zeigen, dass letztere mit Anstrengung (besonders bei den jüngeren Tauchern), Herzerkrankungen und höherem Alter einhergingen (3).
Um nicht sich selbst oder Mittauchende zu gefährden, müssen gesundheitliche Probleme vor dem Tauchen geklärt werden. Zur Beurteilung der kardiovaskulären Tauchtauglichkeit gehört die Einschätzung der Leistungsfähigkeit. Bei Berufstauchern wird zur Objektivierung der Leistungsreserve eine symptomfreie 13fache Leistungssteigerung des metabolischen Ruhewertes (13 MET) gefordert. Mit ähnlich hohen Belastungen können auch Sporttaucherinnen jederzeit konfrontiert werden (Strömung, technische Probleme). Sie müssen auch leistungsmässig im Stande sein, ihrem Buddy (Tauchpartnerin) zu helfen, sie zu retten und aus dem Wasser zu ziehen. Bove empfiehlt als Voraussetzung zum Tauchen eine symptomfreie anhaltende 8-fache und kurzfristig sogar 13-fache Leistungssteigerung des metabolischen Ruhewertes (8 respektive 13 MET) (4). Mit einer gewissen Logik lässt sich die Tauglichkeit zum Freizeittauchen bei Herz- und Gefässerkrankungen bestimmen, wenn Zustände ausgeschlossen werden, welche die Leistungsfähigkeit oder das Bewusstsein einschränken.

Das gelbe Seepferdchen (Hyppocampus cuda) lebt weltweit in tropischen und gemässigten Meeren und bevorzugt Seegraswälder, wo die Männchen die Jungtiere gebären.

Koronare Herzkrankheit

So ist bei koronarer Herzkrankheit (KHK) eine normale Hämodynamik unabdingbare Voraussetzung sowie die Abwesenheit von (Rest)ischämie – auch eine stabile Angina pectoris, die unter Medikamenten symptomfrei geworden ist –, Rhythmusstörungen oder Herzinsuffizienz. Die Taucherin muss über Risiken informiert werden. Ihre Eigenverantwortlichkeit auch gegenüber Mittauchenden muss unterstrichen werden. Von anstrengenden Tauchgängen (Strömung, Kälte) ist abzuraten und jährliche Kontrolluntersuchungen sind zu empfehlen.
Ein grosses Problem stellt die stumme Ischämie dar. Über 75% der fatalen Ischämien folgen auf eine zuvor unbekannte KHK. In der Altersgruppe der 45-50 und 50-55-jährigen zeigt die DAN-Statistik im ‚Projekt Stickybeak‘ eine höhere Prävalenz für tödlich Tauchunfälle, wobei die KHK die Hauptursache ist (2).

Ebenso gut kann sich die koronare Herzkrankheit tarnen.

Reizleitungsstörungen

Alle Reizleitungsstörungen, die den Cardiac output vermindern oder eine rasche Erhöhung des Cardiac outputs erschweren, führen zu Dyspnoe, Leistungseinbruch, Angst, Schwindel oder gar Synkope, was unter Wasser kaum auszuhalten ist und oft fatal endet. Die Schrittmacherimplantation und ebenfalls die internen kardialen Defibrillatorsysteme (ICD) entschärfen das Problem nur teilweise. Entscheidend ist die kardiale Grunderkrankung. Zudem besteht das Problem der unter Umständen fehlenden oder ungenügenden Leistungsadaptation. Zwar sind heute viele Schrittmachermodelle nicht mehr gasgefüllt, haben eine genügende Druckfestigkeit und weisen keine druckanfällige Piezosteuerungen mehr auf. Ein unerforschtes Feld ist aber das Verhalten der Leitfähigkeit unter Druck an der mit ‚Mikroluft‘ gefüllten Konnektion zwischen Batterie und Sonde.

Shunt- und Klappenvitien

Intrakardiale Defekte wie Vorhofseptumdefekt (ASD) und Ventrikelseptumdefekt (VSD) bergen besonders die Gefahr der Volumenbelastung mit Herzinsuffizienz bei Links-Rechts-Shunt hauptsächlich auf der Ventrikelebene, unter Umständen verschärft durch Hypoxämie. Alle hämodynamisch relevanten Shuntvitien stellen daher eine absolute Kontraindikation zum Tauchen dar. Weiter kann es zu Embolisierung im systemischen Kreislauf bei Shuntumkehr und bei Rechts-Links-Shunt kommen. Ein Wechsel der Vorhofdruckverhältnisse bei Auftauchbedingungen oder durch den oro-naso-pharyngealen Druckausgleich mittels Valsalvamanöver, ist bekannt. Da auch bei korrekten Tauchgängen im venösen Blut Mikrogasblasen sich ansammeln, die regulär symptomfrei in den Lungenkapillaren zurückgehalten würden, besteht dann die erhöhte Gefahr einer paradoxen arteriellen Gasembolie bzw. neurologischen DCS. Etwas abweichend kann man aus Erfahrung das offene Foramen (PFO) beurteilen, welches bei 25-30% der Bevölkerung besteht, fast immer mit Symptomfreiheit einhergeht und unterproportional lediglich eine 2-3-fache Erhöhung des DCS-Risikos mit sich bringt (5). Hier sei nochmals angemerkt, dass daher eine präventive Suche nach offenem Foramen ovale unnötig und der Verschluss bei zufällig bekanntem PFO meistens nicht indiziert ist (6). Es besteht der europaweite Konsens zum low bubble diving. Periphere AV-Shunts sind indessen tauchspezifisch nicht relevant. Alle stenotischen Klappenvitien inklusive hypertrophe Kardiomyopathie sowie alle Vitien, die in Ruhe oder unter Belastung hämodynamisch relevant sind, bergen ein Risiko für akute Dekompensation beim Tauchen.

Herzinsuffizienz und pulmonalarterielle Hypertonie

Die pulmonalarterielle Hypertonie wie auch die Herzinsuffizienz in allen Formen – auch behandelt – sind wegen der Gefahr der akuten Dekompensation mit raschem Lungenödem in allen Fällen eine definitive absolute Kontraindikation.

Arterielle Hypertonie

Zur Rolle der arteriellen Hypertonie beim Tauchen gibt es keine kurze Antwort. Es gibt seit Jahrzehnten unzählige Case-Reports, die auf ein Risiko für plötzliches Lungenödem hinweisen (7). Wichtig sind sicher die gute Einstellung, die Abwesenheit von Zielorganschädigungen oder ungünstige Auswirkungen einer medikamentösen Therapie (8).

Medikamente

Über die veränderte Wirkung von Medikamenten ist unter hyperbaren Bedingungen wenig bekannt. Bei einer Herztherapie muss auch den allfälligen besonderen Ferien-Umgebungsbedingungen wie Hitze oder gastrointestinale Situation Rechnung getragen werden, sowie der Taucherdiurese. Medikamente können per se die physische und psychische Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Das gilt für viele Herz- und Kreislaufmedikamente, Antihypertensiva, Vasodilatantien, Diuretika, Glykoside und Bronchospasmolytika. Unbedenklich sind Antikoagulantien, Aggregationshemmer und NSAID sowie Hormone, Antikonzeptiva und H2Blocker/PPI. Hingegen sind Psychopharmaka, Tranquilizer, Neuroleptika, Hypnotika, Stimulantien, zentralwirkende Analgetika, sedierende Antihistaminika und Aethyl wegen der möglichen Bewusstseinsveränderung nicht mit Tauchen vereinbar.

Notaufstieg – ein schwieriges Verfahren – und dessen mögliche Folgen

Während des Aufstiegs wird unter Druck im Gewebe gelöster Stickstoff zu Stickstoffblasen. Bei zu raschem Aufstieg oder Überschreiten der Tauchzeiten respektive Vernachlässigung der Dekompressionsstopps können solche Stickstoffblasen in allen Körpergeweben embolisieren. Auch während eines korrekten Aufstiegs kommt es nach fast jedem Tauchgang zur Bildung von Stickstoffblasen im venösen Blut. Sie bleiben in den meisten Fällen ohne Symptome, da sie in den Lungenkapillaren zurückgehalten werden. Beim Aufstieg werden sämtliche mit Gas gefüllte Räume sich ausdehnen, entsprechend der Abnahme des hydrostatischen Druckes. Das bedeutet auch, dass die Auftriebskraft entsprechend dem grösseren Gasvolumen in den Tarierwesten immer grösser wird und damit die Aufstiegsgeschwindigkeit immer schneller. Um dies zu verhindern, was unbedingt notwendig ist, muss Luft durch das Ablassventil der Tarierweste abgelassen werden.
Bei Unregelmässigkeit der Luftzufuhr besteht öfter eine Hyperkapnie oder auch nur Angst, nicht genug Luft zu erhalten, was sich zur Panik weiterentwickelt. Da Wasser bei Aspiration zu Ertrinken führt, ist es nachvollziehbar, obwohl völlig falsch, wenn eine Taucherin in der Panik die noch vorhandene Luft in den Lungen zurückhält. Die autonome Weiterentwicklung führt dann zum Schlundkrampf. Dass dieser Notaufstieg dann nicht kontrolliert sondern fälschlicherweise mit schnellstmöglicher vertikaler Antriebskraft nach oben führt, ist angesichts der Todesangst verständlich. Wegen der fehlenden N2-Rückdiffusion entsteht dann eine zusätzliche Übersättigung, die zur endogenen Bläschenbildung führen kann. Hierauf wird in diesem Artikel nicht weiter eingegangen. Nur so viel sei gesagt: Nicht abgeatmetes N2 führt zur sogenannten Bläschenkrankheit DCS. Davon abzugrenzen ist die AGE (oder cerebrale arterielle Gasembolie CAGE), bei der es nach einem Barotrauma zur Lufteinschwemmung in die arterielle Strombahn kommt. Beim panikartigen Notaufstieg, dem sogenannten ‘Blow-up‘ kann beides vorkommen. Beides kann unter anderem zu schweren neurologischen Ausfällen und bis zum Tode führen (9).
Panikreaktionen sind immer möglich – auch ohne psychische Panik-Prädisposition. Flaschentauchen, insbesondere das Sporttauchen, ist eine Tätigkeit mit deutlich erhöhter Gefährdung. Dies einerseits wegen dem intrinsischen Problem der Bläschenkrankheit, die sich auch beim korrekten, also regelkonformen Verhalten bemerkbar machen kann, andererseits weil bei der kleinsten Unregelmässigkeit, sei es verhaltensbedingt, sei es durch technische Ereignisse bedingt, sofort die lebensbedrohliche Lage zu Panik und unkontrolliertem Verhalten führen kann.

Tauchmedizinische Untersuchung zum Sport- und Freizeittauchen

Die Notwendigkeit eines ärztlichen Tauglichkeitszeugnisses führt viele, gerade zu Beginn der Ferienzeit, zu ihrer Hausärztin. Wie ihre Beurteilung ausfallen wird, hängt stark von ihrem persönlichen Informationsstand in Bezug auf die tauchspezifischen Besonderheiten ab. Die Schweizerische Gesellschaft für Unterwasser- und Hyperbarmedizin (SUHMS) bietet wertvolle Stützen an:

  • Anamnese- und Statusblatt zur Erst- resp. Folgeuntersuchung, um allfällige Ausschlusskriterien für das Tauchen zu erfassen (10).
  • Ihr Manual zur Tauchtauglichkeit mit Richtlinien und Empfehlungen, die dem heutigen Stand des Wissens entsprechen (11).
  • Ausbildungskurse für Ärztinnen und Ärzte (10).

Die extremste Tauchtiefe eines Menschen

Zum Zustand des Herz-Kreislauf-Systems in der extremsten Tiefe, der je ein Mensch ausgesetzt war, gibt es nur die Auskunft eben dieses Menschen: «Je me sentais assez étrange» (12). Knapp zwei Stunden hielt sich am 20.11.1992 Theo Mavrostomos in «701 Meter Tiefe» – immer noch Weltrekord – auf. Die Verhältnisse der Tiefsee waren von einer Hochdruckkammer des französischen Unternehmens Comex in Marseille simuliert worden, weil Mavrostomos und andere Froschmänner ein neuartiges Beatmungsgemisch aus Sauerstoff, Helium und Wasserstoff testen sollten. Der Versuch in Marseille musste mehrfach unterbrochen werden, weil die Taucher die Grenze ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit erreichten. Bei 70fachem Erdatmosphären-Druck hantierte der französische Unterwasser-Schweisser Theo Mavrostomos in der Simulationskammer Hydra 10 mit Geräten, wie sie zur Reparatur von Erdölplattformen üblich sind (13, 14).
Théo des grands fonds – wie er sich selber gerne nennt – war am und im Wasser aufgewachsen, war damals jung und extrem gut trainiert, sowie als professioneller Taucher minutiös auf das Experiment vorbereitet worden. Wenn man seinen Berichten zuhört ist klar: Er tauchte mit ganzem Herzen!

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Sandra Torti

Fachärztin FMH für Kardiologie und Innere Medizin
Ärztin für Tauchmedizin DMP (Dive medecin physician) IIa EDTC/ECHM
Herzpraxis Bahnhofplatz 6
3123 Belp

sandra.torti@hin.ch

Die Autorin hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Es gibt keine andere Betätigung, die mit so vielen physiologischen
    Veränderungen einhergeht, wie das Tauchen.
  • Hohe Belastung durch physiologische Anpassungen unter Wasser
    und fehlende Reserven bergen beim kranken Herzen die Gefahr
    von Myokardischämie, Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen oder Dyspnoe. Das führt zu Leistungseinbruch, Kreislaufkollaps mit plötz-licher Bewusstlosigkeit, Handlungsunfähigkeit oder gar Herztod.
  • Über 75% der fatalen Ischämien folgen auf eine zuvor unbekannte KHK
  • Alle Symptome können auch bei nur geringer Ausprägung zu Panik-reaktion mit Notaufstieg führen und im Extremfall zu Bewusstlosigkeit mit stillem Ertrinken.
  • Unkontrollierter Aufstieg zur Wasseroberfläche ist oft mit akuter Gasembolie oder Dekompressionskrankheit verbunden.

1 Concannon DG. Divers Alert Network (DAN): Diving Fatality Workshop, Legal issues associated with diving fatalities. Durham, NC, April 8-10, 2010
2. www.diversalertnetwork.org. Regelmässig publizierte DAN Statistik im Jounal Diving and Hyperbaric Medicine (joint jounal of the South Pacific Underwater Medicine Society (SPUMS) and the European Underwater &Baromedical Society (EUBS)
3 Lippmann J. An analysis of the causes of compressed-gas diving fatalities in Australia from 1972-2005. UHM 2013;40(1)
4. Bove AA. Diving Medicine, 3rd edition,1997
5. Torti S. Risk of decompression illness among 230 divers in relation tu the presence and size of patent foramen ovale. EHJ 2004;25:1014-20
6. Torti S. Bedeutung des offenem foramen ovale beim Tauchen. SMF 2007;7:975-7
7. Wilmshurst et al. Cold-induced pulmonary edema in scuba divers and swimmers and subsequent development of hypertension. Lancet 1989;i:62–65
8. Mebane GY, McIver NKI. The Physiology and Medicine of Diving, 4rd edition,1993
9. Wendling J. Versicherungsmedizinische Knacknüsse beim ‚Tauchunfall‘. ASA/SVV Medinfo 2013;2:33-43
10. Schweizerischen Gesellschaft für Unterwasser- und Hyperbarmedizin: www.suhms.org
11 Wendling J et al. Tauchtauglichkeit Manual. Richtlinien für die Untersuchung von Sporttauchern, publiziert von der deutschen Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin, Schweizerischen Gesellschaft für Unterwasser- und Hyperbarmedizin, Österreichische Gesellschaft für Tauch- und Hyperbarmedizin
12. Abendessen mit Théo Mavrostomos, 42nd Annual Scientific Meeting of the European Underwater Baromedical Society Geneva;14.9.2016
13. www.zeit.de DIE ZEIT Archiv, Jahrgang 1992; Ausgabe: 51
14. www.spiegelonline.de Schwerarbeit in Rekordtiefe. Der Spiegel 51/1992

Supraventrikuläre Tachykardien

Nach 16 Jahren wurden von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) im September 2019 die neuen Guidelines für die Behandlung von supraventrikulären Tachykardien (SVT) (1) publiziert. Neu spielt die Katheterablation eine zentrale Rolle und Empfehlungen für spezielle Patientengruppen wie Schwangere oder Patienten mit angeborenem Herzfehler werden gesondert aufgeführt. In diesem Artikel werden die wichtigsten Änderungen gegenüber den Guidelines des Jahres 2003 (2) zusammengefasst.

Après 16 ans, la Société européenne de cardiologie (ESC) a publié en septembre 2019 les nouvelles lignes directrices pour le traitement de la tachycardie supraventriculaire (SVT) (1). L’ablation par cathéter joue désormais un rôle central et les recommandations pour des groupes de patients particuliers comme les femmes enceintes ou les patients souffrant de malformations cardiaques congénitales sont énumérées séparément. Cet article résume les changements les plus importants par rapport aux lignes directrices de 2003 (2).

Definition und Epidemiologie

Supraventrikuläre Tachykardien (SVT) sind Herzrhythmusstörungen mit Ursprung im oder oberhalb des His-Bündels und mit einer Frequenz von 100/min. Der QRS-Komplex ist meist schmal (QRS-Breite < 120 ms), kann aber auch breit sein, etwa bei einer Aberration beim Schenkelblock oder bei einer Leitung über eine akzessorische Bahn. In Tabelle 1 sind die häufigen Schmal- und Breitkomplextachykardien zusammengestellt.
Die SVT hat in der Allgemeinbevölkerung eine Prävalenz von 2.25 pro 1000 Personen und eine Inzidenz von 35 pro 100 000 Personen pro Jahr (3). Die häufigste SVT ist das Vorhofflimmern, dessen Behandlung in separaten Guidelines diskutiert wird und auf die in diesem Artikel nicht eingegangen wird. Frauen haben ein zwei-faches und Personen über 65 Jahren ein fünffaches Risiko, eine paroxysmale SVT zu entwickeln (3).

Diagnostik

Nebst der Anamnese, der körperlichen Untersuchung, einer Blutentnahme (Blutbild, klinische Chemie, Schilddrüsenparameter) und transthorakaler Echokardiographie, sollte ein 12-Kanal-EKG während der Tachykardie und im Sinusrhythmus geschrieben werden. Treten die Symptome nicht häufig und/oder nur kurz auf, können Langzeit-EKGs während längerer Zeit oder Gadgets via Smartphone zur Aufzeichnung der Tachykardie eingesetzt werden. Wichtig ist, falls möglich, Beginn und Ende der Tachykardie aufzuzeichnen, da dies häufig Rückschlüsse auf den Mechanismus der Tachykardie zulässt.
Ebenso hilfreich sind vagale Manöver und die Adenosingabe. Dabei wird der AV-Knoten kurzzeitig blockiert und lässt eine AVNRT oder AVRT terminieren oder eine AT oder Vorhofflattern demaskieren. Wichtig ist es, während der gesamten Zeit der vagalen Manöver oder der Adenosin-Gabe ein 12-Kanal-EKG aufzuzeichnen.

Therapie

Die Änderungen der Guidelines zur Therapie von supraventrikulären Tachykardien sind in Tabelle 2 zusammengefasst.

Akute Behandlung einer supraventrikulären Tachykardie

Abbildung 1 zeigt das Vorgehen bei einer akut aufgetretenen supraventrikulären Tachykardie. Ist die Patientin oder der Patient hämodynamisch instabil, soll primär eine synchronisierte elektrische Kardioversion erfolgen. Andernfalls können vagale Manöver versucht werden. Bei Persistenz der Tachykardie kann Adenosin intravenös verabreicht werden. Da Adenosin Vorhofflimmern induzieren kann und bei einer antidromen AVRT die Gefahr einer schnellen Überleitung des Vorhofflimmerns über die akzessorische Bahn auf die Ventrikel (präexzitiertes Vorhofflimmern) besteht, muss vor dessen Gabe eine Präexzitation im Ruhe-EKG ausgeschlossen werden. Wenn kein Ruhe-EKG vorliegt, muss die Möglichkeit einer sofortigen elektrischen Kardioversion gewährleistet sein. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit wird Adenosin als ein sicheres Medikament angesehen und in den neuen Guidelines von der IIb auf die IIa-Indikationsklasse aufgewertet. Ebenfalls als sicher und neu in die IIa-Klasse eingestuft wurde der Betablocker (IIb im 2003). Im Vergleich zu 2003 werden Amiodaron und Digoxin bei der Schmalkomplextachykardie und Sotalol und Lidocain bei der Breitkomplextachykardie zur akuten Therapie – wegen möglichen ausgeprägten Hypotonien und Bradykardien – nicht mehr aufgeführt. Kann eine ventrikuläre Tachykardie nicht ausgeschlossen werden, soll Verapamil wegen der negativ inotropen Wirkung nicht angewendet werden.

Katheterablation

Die Technik der Radiofrequenz-Katheterablation hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Bei den meisten symptomatischen Patienten ist langfristig die Katheterablation die Therapie der Wahl, insbesondere wenn die Herzfunktion durch die Tachykardie beeinträchtigt ist (Tachykardie-induzierte Kardiomyopathie). Auch besteht beim Vorhofflattern, bei fokaler AT, AVRT und AVNRT eine Klasse-I-Indikation zur Ablation. Die Katheterablation hat bei den meisten SVT eine hohe Erfolgsrate (> 85%) und die Komplikationsrate ist niedrig (Tab. 3). Die häufigsten Komplikationen sind Gefässkomplikationen in der Leiste, AV-Blockierungen oder sehr selten ein Perikarderguss. Insbesondere die AVNRT hat die höchste Erfolgs- und die niedrigste Komplikationsrate.

Sinustachykardie

Obwohl meist gutartig, kann die Sinustachykardie sehr symptomatisch sein und geht oft mit einer sekundären Ursache (z. B. Hyperthyreose, Anämie, etc.) einher, die zuerst behoben werden muss. In den früheren Guidelines wurde primär der Betablocker empfohlen (Klasse I). Jedoch muss der Betablocker häufig so hoch dosiert werden, dass dieser wegen Müdigkeit nicht vertragen wird, sodass es aktuell dafür nur noch eine IIa-Indikation besteht.
In den aktuellen europäischen Guidelines wird Ivabradin mit einer IIa-Indikation zur Behandlung von inadäquaten Sinustachykardien aufgeführt. Ivabradin ist ein für den Sinusknoten selektiver Betablocker, der die Herzfrequenz direkt senkt, kann aber durch Erhöhung des Sympathikotonus auch proarrhythmogen sein. Ivabradin kann entweder als Monotherapie oder in Kombination mit einem Betablocker (IIa) eingesetzt werden und ist bei Schwangerschaft und bei gleichzeitiger Einnahme eines CYP3A4-Hemmers kontraindiziert.

Fokale atriale Tachykardien

Als akute Therapie für fokale AT besteht bei fast allen Antiarrhythmika eine IIa-Indikation (IIb für Amiodaron) und langfristig ist bei wiederholten AT-Episoden die Katheterablation empfohlen (Klasse I). Anders ist es bei den multifokalen ATs (≥  3 verschiedene P-Wellen-Morphologien), welche meist mit einer anderen zugrundeliegenden Erkrankung (pulmonale Erkrankung, koronare oder valvuläre Kardiopathie, etc.) einhergehen, die primär behandelt werden muss. Bei einem strukturell normalen Herzen können als chronische Therapie Verapamil und Diltiazem oder selektive Betablocker eingesetzt werden. Die aktuellen Guidelines empfehlen hier die AV-Knotenablation mit Schrittmacherimplantation als pace-and-ablate-Strategie (IIa), wenn die medikamentöse Therapie nicht erfolgreich sein sollte und kein dominierender Fokus vorhanden ist.

Vorhofflattern

Die neuen Guidelines betonen die akute Effektivität der elektrischen Kardioversion (EKV) bei Vorhofflattern, mit einer niedrigeren Inzidenz für ein Rezidiv als beim Vorhofflimmern. Auch wird neu der Einsatz von Ibutilid zur Kardioversion empfohlen. Jedoch ist der Vertrieb von Ibutilid in der Schweiz seit 2018 eingestellt. Wichtig zu erwähnen ist, dass Propafenon und Flecainid aufgrund der Gefahr einer 1:1-Überleitung durch die Verlangsamung der atrialen Herzfrequenz nicht ohne Betablocker verabreicht werden dürfen. Langfristig ist auch hier die Katheterablation die Therapie der Wahl.
Neu besteht in den neuen Empfehlungen eine IIa-Indikation für die orale Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflattern und ohne diagnostiziertes Vorhofflimmern.

AV-Knoten-Reentrytachykardie (AVNRT)

Als chronische Therapie für die AVNRT empfehlen die neuen Guidelines aufgrund der hohen Erfolgsrate von 97% und des niedrigen Risikos eines totalen AV-Blocks (< 1%) klar die Katheterablation (Klasse I). Falls die Katheterablation abgelehnt wird, werden Betablocker, Diltiazem oder Verapamil als medikamentöse Therapie empfohlen. Flecainid und Propafenon und die pill-in-the-pocket-Strategie werden aktuell nicht mehr aufgeführt.

AV-Reentrytachykardie (AVRT)

Auch hier wird in meisten Fällen die Katheterablation aufgrund der hohen Effektivität und der tiefen Komplikationsrate als Langzeittherapie der Wahl empfohlen. Die medikamentöse Therapie wird in den aktuellen Guidelines als alternative Option beschrieben, wenn eine Ablation nicht möglich, ineffektiv oder von den Patienten unerwünscht ist. Neu wird bei asymptomatischen Patienten mit Präexzitation eine invasive Risikostratifizierung empfohlen, insbesondere bei kompetitiven Athleten oder Personen mit Hochrisikoberufen wie Piloten oder Berufschauffeuren. Eine akzessorische Bahn mit invasiv nachgewiesenem hohem Risiko (minimales RR-Intervall ≤ 250 ms während Vorhofflimmern, antegrade refraktäre Periode ≤ 250 ms, induzierbare durch die akzessorische Bahn vermittelte Tachykardie oder Vorliegen von multiplen akzessorischen Bahnen) soll abladiert werden.

Supraventrikuläre Tachykardie und angeborene Herzfehler

Im Bereich der angeborenen Herzfehler wird aufgrund der besseren Kenntnisse der Anatomie und des Fortschritts der Herzchirurgie und der Ablationstechnologie empfohlen, die Katheterablation früh und vor einer chirurgischen Korrektur durchzuführen. Zudem sind Klasse-I Antiarrhythmika und Sotalol nicht mehr als Firstline-Therapie aufgeführt und Amiodaron (IIb) soll nur noch nach erfolglosen oder nicht möglichen Ablationen eingesetzt werden.

Supraventrikuläre Tachykardie und Schwangerschaft

Während der Schwangerschaft können SVT – wenn möglich ab dem 2. Trimester – in erfahrenen elektrophysiologischen Zentren unter Anwendung nichtfluoroskopischer elektroanatomischer Mapping-Systeme abladiert werden. In den neuen Guidelines wird bei Frauen mit bekannten SVT und einer Schwangerschaft in Planung eine vorgängige Katheterablation empfohlen. Eine EKV kann in der Schwangerschaft bei hämodynamisch relevanten Arrhythmien sicher durchgeführt werden und ist auch die Therapie der Wahl. Ist die Patientin hämodynamisch stabil, können vagale Manöver oder Adenosin versucht werden.

Abkürzungsverzeichnis: AT = atriale Tachykardie(n), AV = atrioventrikulär, AVNRT = AV-Knoten-Reentry-Tachykardie(n), AVRT = AV-Reentry-Tachykardie(n), CTI = cavotrikuspidaler Isthmus, EKG = Elektrokardiogramm, EKV = elektrische Kardioversion, ESC = European Society of Cardiology, LV = linksventrikulär, SVT = supraventriku-läre Tachykardie(n)

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Anna Lam

Oberärztin Rhythmologie und Elektrophysiologie
Universitätsklinik für Kardiologie
Inselspital Bern
Freiburgstrasse
3010 Bern

anna.lam@insel.ch

Prof. Dr. med. Hildegard Tanner

Leitende Ärztin Rhythmologie und Elektrophysiologie
Universitätsklinik für Kardiologie
Inselspital
Freiburgstrasse
3010 Bern

Die Autorinnen haben im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte zu deklarieren.

  • Vagale Manöver und Adenosin sind bei SVT sicher und die akute Therapie der Wahl.
  • Viele bisher zur Behandlung von SVT eingesetzte Medikamente wurden in den neuen Guidelines heruntergestuft oder gar nicht mehr erwähnt.
  • Die Katheterablation hat bei SVT eine hohe Erfolgs- und niedrige Komplikationsrate und ist langfristig die Therapie der Wahl.
  • Die Katheterablation ist durch die neuen Technologien auch bei Schwangeren ohne Strahlenbelastung möglich, sollte aber, wenn immer möglich, vor oder nach der Schwangerschaft durchgeführt werden.
  • Eine invasive Risikostratifizierung soll auch bei asymptomatischer Präexzitation in Erwägung gezogen werden.

Messages à retenir

  • Les manœuvres vagales et l’adénosine sont sans danger dans la SVT et sont la thérapie aiguë de choix.
  • De nombreux médicaments utilisés auparavant pour traiter la SVT ont été déclassés ou ne sont plus mentionnés dans les nouvelles directives.
  • L’ablation par cathéter a un taux de réussite élevé et un faible taux de complication en cas de SVT et constitue la thérapie de choix à long terme.
  • Grâce aux nouvelles technologies, l’ablation par cathéter est également possible chez les femmes enceintes sans exposition aux radiations, mais elle doit être effectuée avant ou après la grossesse dans la mesure du possible.
  • La stratification du risque invasif doit également être envisagée dans le cas d’une pré-excitation asymptomatique.

1. Brugada J et al. 2019 ESC Guidelines for the management of patients with supraventricular tachycardiaThe Task Force for the management of patients with supraventricular tachycardia of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart. 2019;1–10.
2. Blomström-Lundqvist C et al. ACC/AHA/ESC guidelines for the management of patients with supraventricular arrhythmias. J Am Coll Cardiol. 2003;42:1493–1531.
3. Orejarena LA et al. Paroxysmal Supraventricular Tachycardia in the General Population. J Am Coll Cardiol. 1998;31:150–157.