Kongressausgabe der info@onkologie

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EDITORIAL
ASCO 2020: Zukunftsweisende virtuelle Konferenz oder «Geisterspiel»?

Der «ASCO Chicago 2020» trotzte der Corona Pandemie mit einer hervorragend geplanten und durchgeführten virtuellen globalen Konferenz: Der Wissenstransfer hat prima geklappt, die Präsentationen – auch von zuhause aus – waren von hoher Qualität und es könnte durchaus der Anfang einer neuen Form von solchen globalen Riesenkongressen werden. Auch die Zeitverschiebung war problemlos und hat es allen erlaubt, die Konferenz in ihrer Zeitzone tageskonform zu erleben.
Das «ASCO in the Mountains», vielmehr diesmal «in the clouds», der SAKK hat etwas davon vorweggenommen, auch wenn es hier bereits um eine Selektion und Einordnung der wichtigsten Studienergebnisse geht und nicht primär nur um eine Abbildung des ASCO per se.

Eleonore E. Droux & Prof. em. Dr. med. Thomas Cerny

Allein schon die Einsparung an Zeit, an Flug-, Reise und Hotel-Kosten und die viel geringeren Abwesenheiten zuhause in den Praxen und in den Spitälern ist gewaltig. Ebenso die CO2-Einsparungen sind gross. Auch konnte die Gefahr von einem internationalen «Corona-Spreading» zweifellos vermindert werden.

Man kann sich somit fragen: Warum haben wir dies nicht schon früher so gemacht? Es geht doch in erster Linie ums neue Wissen für unsere Patienten und nicht primär um ein Reiseerlebnis und Marketingevent.
Vermisst haben wir jedoch das persönliche Treffen mit Kollegen, mit alten Weggefährten von hüben und drüben, die direkte Diskussion mit ihnen über die neuen Daten und ihre Relevanz für uns in der Schweiz und zusätzlich das USA-Feeling und Chicago als architektonisch spektakuläre Grossstadt mit vielfältigster Kultur geniessen zu können.

Wir freuen uns trotz der durch die Covid-19 verursachten Kollateralschäden, die uns vermutlich noch länger beschäftigen werden, in unserer alljährlichen Kongresszeitung der info@onkologie auch dieses Jahr über die wichtigsten Studien und deren interessante Ergebnisse zu berichten. Es gab deren viele und viele Patienten werden davon profitieren können!

Pädiatrische Onkologie

Kinder mit refraktären Malignomen profitieren von personalisierter Medizin

Bei pädiatrischen Hochrisiko-Malignomen, welche nicht primär kurativ behandelt werden konnten, ist die Prognose mit einem medianen OS von 9.5 Monaten und einer sekundären Heilungschance von weniger als 20% schlecht. Viele dieser Tumore weisen aber onkogene Mutationen und Fusionen wie zB NTRK1/2/3, ROS1und ALK auf, dies besonders bei hochgradigen Gliomen, infantilen Fibrosarkomen und inflammatorischen myelofibroblastischen Tumoren.
Entrectinib ist ein oraler TRK/ROS1/ALK-Tyrosinkinaseinhibitor, der auch im ZNS wirksam ist und in der Dosis von 550mg/Tag in einer Studie mit bisher 34 Kindern (median 7 Jahre alt , 4,9 M – 20 J) untersucht wurde.
Die Ansprechsrate der Patienten mit Fusions-positiver Erkrankung wurde durch ein verblindetes unabhängiges zentrales Review-Kommittee ermittelt :
Die OR (vollständiges+partielles Ansprechen insgesamt) betrug 86% bei Fusions-positiver Erkrankung vs 5% bei Fusions-negativer Erkrankung. Das PFS war 17,5 Monate bei Fusions-positiver Erkrankung vs.1,9 Monate bei Fusions-negativer Erkrankung. Die am häufigsten dokumentierten unerwünschten Wirkungen waren Gewichtszunahme (n = 14), erhöhtes Kreatinin (n = 13), Anämie (n = 13), Übelkeit (n = 11), erhöhte Alanin-Aminotransferase (n = 10), erhöhte Aspartat-Aminotransferase (n = 10), reduzierte Neutrophilenzahl (n =  9) und Knochenfrakturen (n = 7, von denen 4 behandlungsbedingt waren). 8,8% der Patienten brachen die Behandlung wegen unerwünschter Ereignisse ab, und 32,4% hatten aus dem gleichen Grund eine Dosisreduktion. Die Nutzen-Risiko Bewertung bei noch kleiner Fallzahl war besonders eindrücklich für Patienten mit hochgradigen Gliomen.
In einer weiteren Studie («Inform Study») basierend auf Daten aus dem INFORM (Individualized Therapy For Relapsed Malignancies in Childhood) Register, einer europäisch multinationalen, pädiatrisch-onkologischen Plattform mit Schweizer Beteiligung, konnte gezeigt werden, dass eine Stratifizierung der Patienten zu einer zielgerichteten Off-Label-Therapie auf Basis molekularer Signaturen (DNA- und RNA-Analysen) in der Praxis machbar ist und eine rationale Basis für Therapieverbesserungen auch bei seltenen Malignomen darstellt. Erhalten nun diese Kinder, bei denen molekulare Signaturen für bekannte zugelassene zielgerichtete Therapien identifiziert wurden, rasch die entsprechende Therapie, so haben sie ein deutlich längeres progressionsfreies Überleben als alle übrigen Patienten. Es wurden 526 pädiatrischen Patienten dokumentiert, von denen 149 eine zielgerichtete Therapie erhielten. Bei 377 Patienten fand sich keine solche molekulare Signatur. Bei 20 dieser 149 behandelten Patienten wurde eine Zielstruktur mit der Priorität «sehr hoch» (13,4 %) identifiziert. Diese Patienten überlebten median 204,5 Tage ohne Progress, alle übrigen Patienten überlebten median 114 Tage ohne Progression (p = 0,0093).

Die ASCO hat diese repräsentative Analyse der INFORM-Plattform für ein Late Breaking Abstract (LBA10503) ausgewählt: das INFORM-Konsortium repräsentiert 72 pädiatrisch-onkologische Zentren aus 8 europäischen Ländern. Targets mit hoher Priorität waren ALK-, BRAF- und NRAS-Mutationen sowie MET- und NTRK-Fusionen. Die Kinder hatten zB eine Hoch-Risiko (HR) akute lymphatische Leukämie (ALL), ein ALL-Rezidiv nach Stammzelltransplantation, ein frühes Rezidiv einer akuten myeloischen Leukämie (AML), Hoch-Risiko-ZNS-Tumore, rhabdoide Tumoren, Ependymome, Medulloblastome, Ewing-Sarkome oder Hepatoblastom. Ausserdem wurden durch die umfangreichen Genomanalysen bei einem Teil der Kinder (7,6 %) genetische Prädispositionen für Malignome entdeckt, die zuvor unbekannt waren. Diese bilden die Basis für genetische Beratungen betroffener Familien. Es wird erwartet, dass diese Datenbasis und der weitere Einschluss von zukünftigen Kindern in eine solche «Umbrella-Type-Study» einen «practice changing» Effekt haben wird und den Zugang pädiatrischer Patienten zur personalisierten Medizin erleichtern wird.
Abstract 107: Desaj AV et al. Updated entrectinib data in children and adolescents with recurrent or refractory solid tumors, including primary CNS tumors.

ThC

Quelle: van Tilburg CM et al. The pediatric precision oncology study INFORM: clinical outcome and benefit for molecular Subgroups. ASCO virtual Scientific Meeting 2020, Abstract LBA 10503 (Inform study)

Ältere Patienten > 70J mit RAS-BRAF-wt mCRC profitieren von FOLFOX-Panitumumab

Patienten ≥70 Jahre mit nicht resezierbarem und zuvor unbehandeltem RAS-BRAF-wt mCRC wurden in dieser multizentrischen, randomisierten Phase 2-Studie (PANDA-Studie) eingeschlossen. Sie wurden 1:1 randomisiert in FOLFOX-Panitumumab (Gruppe A, n=92) oder 5FU/LV-Panitumumab (Gruppe B, n=93) für bis zu 12 Zyklen, gefolgt von einer Panitumumab-Erhaltungstherapie bis zur Progression, zugeteilt. Der primäre Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS) und sekundäre Endpunkte waren die Ansprechrate (ORR) und das Sicherheitsprofil. Zwischen den Gruppen war kein direkter Vergleich geplant.

Der primäre Endpunkt nach einem medianen Follow-up von 20.5 Monaten wurde in beiden Gruppen erreicht: das mediane PFS betrug 9,6 Monate in Gruppe A und 9,1 Monate in Gruppe B. Die ORR (Gruppe A: 65%, Gruppe B: 57%) und Krankheitskontrollrate (Gruppe A: 88%, Gruppe B: 86%) waren in beiden Gruppen ähnlich.

Unter Monotherapie ohne Oxaliplatin wurden weniger Nebenwirkungen beobachtet. Die Kombínation aus 5-Fluorouracil und Leucovorin (5FU/LV)-Monochemotherapie plus Pantumumab ist somit eine attraktive wenig toxische palliative Therapie Option bei älteren Patienten mit RAS-BRAF-wt mCRC. Nun werden Phase 3 Studien folgen müssen, um diese Daten für > 70 jährige Patienten mit dieser molekularen Signatur zu bestätigen.

ThC

Quelle: Lonardi S et al. First-line FOLFOX plus panitumumab versus 5FU plus panitumumab in RAS-BRAF wild-type metastatic colorectal cancer elderly patients: The PANDA study. ASCO 2020, Abstract #4002

PROSPER-Studie

Enzalutamid verbessert auch das Gesamtüberleben

Im Rahmen der PROSPER-Studie konnte bei Patienten mit einem nichtmetastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinom durch die Gabe von Enzalutamid (Xtandi™) zusätzlich zu einer Androgendeprivationstherapie das PFS signifikant verbessert werden. Neue Daten zeigen, dass dies auch zu einer Verbesserung des Gesamtüberlebens führt.

Es handelt sich dabei um eine multinationale, 2:1 randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-III-Studie, in die 1.401 Männer mit einem nichtmetastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom, d. h. einer PSA-Verdopplungszeit von ≤ 10 Monate aufgenommen wurden. Primärer Endpunkt war das metastasenfreie Überleben, genauer gesagt die Zeit von der Randomisierung bis zu einem radiologisch nachweisbaren Krankheitsprogress oder Tod. Diese Zeit wurde durch Enzalutamid um 71% verlängert (36,6 Monate vs. 14,7 Monate; HR = 0,29).

Jetzt wurden erstmals Daten zum OS publiziert. Bei einem medianen Follow up von 48 Monaten traten insgesamt 466 Todesfälle auf, davon 288 (30,9%) in der Enzalutamid-Gruppe und 178 (38%) in der Placebo-Gruppe. Somit wurde durch Enzalutamid das OS signifikant um 27% vebessert. Das mediane OS betrug unter Enzalutamid 67,0 Monate vs. 56,3 Monate unter Placebo. Eine nachfolgende Therapie benötigten unter Enzalutamid 33%, unter Placebo 65%.Die mediane Dauer der Enzalutamid-Therapie lag bei 33,9 Monate, bei Placebo waren es nur 14,2 Monate.

Das Sicherheitsprofil von Enzalutamid entsprach dem aus früheren Studien bekannten. Grad ≥ 3- Nebenwirkungen traten unter Enzalutamid bei 48%, unter Placebo bei 27% der Patienten auf. Am häufigsten waren Stürze, Fatigue und Hypertonie. «Die Ergebnisse sprechen dafür, dass eine frühe Behandlung mit Enzalutamid für Männer von Vorteil ist, deren PSA-Wert nach einer Salvage-Behandlung und anschliessender Androgendeprivationstherapie weiter ansteigt», so Professorin Cora N. Sternberg, New York).

PS

Quelle: ASCO 2020, Abstract #5515

Metastasiertes hormonsensitives Prostatakarzinom

Enzalutamid verbessert das rPFS unabhängig vom Metastasenverteilungsmuster

Im Rahmen der ARCHES-Studie konnte gezeigt werden, dass Enzalutamid das radiografische progressionsfreie Überleben bei Männern mit einem metastasierten, aber noch hormonsensitiven Prostatakarzinom signifikant verbessert. Neue Daten zeigen, dass dieser Benefit unabhängig von der Lokalisation der Metastasen besteht.

Es handelt sich um eine randomisierte doppelblinde, placebokontrollierte Phase-III-Studie, welche die Wirksamkeit und Sicherheit von Enzalutamid (XtandiTM) plus Androgendeprivationstherapie (ADT) bei 1.150 Patienten mit einem metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinom (mHSPC) im Vergleich zur alleinigen ADT untersuchte. Der primäre Endpunkt war das radiografische progressionsfreie Überleben (rPFS). Enzalutamid plus ADT reduzierte das Risiko für rPFS oder Tod um 61% (HR = 0,39; p < 0,0001) im Vergleich mit ADT allein. Die mediane Zeit für ein rPFS-Ereignis war im Verum-Arm noch nicht erreicht und lag im Kontroll-Arm bei 19,4 Monaten.
Signifikante Verbesserungen fanden sich in allen Subgruppen (Erkrankungsmuster zu Studienbeginn, Lokalisation der Metastasen, vorherige Docetaxel-Therapie). So profitierten alle Patienten unabhängig davon, welches Metastasenmuster vorlag: Knochenmetastasen und/oder Weichteilmetastasen und/oder viszerale Metastasen. Bei Patienten ohne viszeraler Metastasierung war der Benefit etwas ausgeprägter Auch das Risiko für einen PSA-Anstieg war ebenso vermindert wie die Notwendigkeit für eine neue antineoplastische Therapie.

PS

Quelle: ASCO 2020, Abstract #5547

Ex-Raucher mit Lungenkrebs haben eine bessere Prognose: Je früher desto besser

Patienten mit Lungenkrebs und häufig auch ihre Ärzte vertreten die Meinung, dass Patienten mit Lungenkrebs von einem Rauchstopp nicht profitieren. Gerade auch im Hinblick auf ein Lungenkrebsscreening ist es relevant gute Argumente zu haben, um begleitend zum Lungenkrebs Screening Raucher möglichst früh zum Rauchstopp zu motivieren. Diese Daten liefern gute Hinweise, dass ein Rauchstopp sich immer lohnt, ganz abgesehen davon, dass auch die verminderte Lungenfunktion und die kardiovaskulären Belastungen sich zurückbilden.
Ein internationales Lungenkrebs Konsortium (ILCCO) auf drei Kontinenten hat aus 17 Studien im Zeitraum 1994-2017 insgesamt 35 428 Patienten mit Lungenkrebs bezüglich ihrer Raucheranamnese und Prognose untersucht. Davon waren je 41% zum Zeitpunkt der Diagnose Raucher und Exraucher und 18% waren Nichtraucher. Das mediane Alter betrug 66 Jahre (20-93), 52% waren Männer, 78% Kaukasier, 58% hatten ein Adenokarzinom, 55% hatten ein Stadium 3 oder 4.


Auch Patienten mit Lungenkrebs, die sogar weniger als 2 Jahre vor ihrer Diagnose das Rauchen beendet hatten, hatten ein signifikant besseres OS als aktuelle Raucher. Die Ergebnisse waren unabhängig von «pack years», Alter, Krankheitsstadium und weiteren Variablen. Bei Raucherstopp < 2 Jahre vor Diagnose war das OS +12%, Rauchstopp vor 2-5 Jahren +20% OS verbessert. Das Lungenkrebs spezifische Überleben per se war erst bei einem Raucherstopp von >5 Jahren signifikant reduziert. Insgesamt waren bei Patienten mit >30 PY (Pack Years) die Resultate am eindrücklichsten. Diese Daten legen auch den Schluss nahe, dass die Gesamtmortalität der Raucher auch wesentlich durch andere Ursachen verursacht wird als Lungenkrebs.

ThC

Quelle: Fares AF et al. Smoking cessation (SC) and lung cancer (LC) outcomes: A survival benefit for recent-quitters? A pooled analysis of 34 649 International Lung Cancer Consortium (ILCCO) patients. ASCO 2020, Abstract #1512

Hohes Ansprechen von Prembrolizumab beim Missmatch repair defizienten Kolorektalen Karzinom

Nur etwa 5% der mCRC-Patienten haben eine Mikrosatelliteninstabilität und eine Mismatch-Repair-Defizienz (MSI-H/dMMR). In dieser internationalen randomisierten Phase 3 Studie wurden 307 Patienten mit MSI-H/dMMR mCRC, die einen guten Performance Status aufwiesen, randomisiert zu einer Behandlung mit bis zu 35 Zyklen Pembrolizumab (200 mg alle 3 Wochen), oder einer Chemotherapie nach Wahl des behandelnden Arztes (z.B. modifiziertes FOLFOX mit oder ohne Bevacizumab oder Cetuximab oder FOLFIRI mit oder ohne Bevacizumab oder Cetuximab (KENOTE-177).

Die Pembrolizumab-Gruppe zeigte gegenüber der Chemotherapie-Gruppe ein längeres medianes PFS (16,5 Monate vs. 8,2 Monate; HR 0,60; P=0,0002) und höhere PFS-Raten über 12 Monate (55% vs. 37%) und 24 Monate (48% vs. 19%). Zudem hatte die Pembrolizumab-Gruppe auch eine höhere RR (43,8%; davon 11,1% komplett und 32,7% partiell) als die Chemotherapie-Gruppe (33,1%; davon 3,9% komplett und 29,2% partiell). Allerdings war die Rate stabiler Erkrankungen niedriger in der Pembrolizumab-Gruppe (20,9% vs. 42,2%) und 29,4% der Pembrolizumab-Gruppe hatte eine progressive Erkrankung verglichen mit 12,3% der Chemotherapie-Gruppe. Nach 2 Jahren lag die anhaltende Responserate bei hohen 83% in der Pembrolizumab-Gruppe vs. 35% in der Chemotherapie-Gruppe.
Unerwünschte behandlungsbedingte Ereignisse in der Pembrolizumab-Gruppe versus der Chemotherapie-Gruppe waren: ≥ Grad 3: 22% zu 66% (Kontrollgruppe) , immunologische unerwünschte Ereignisse und Infusionsreaktionen: 31% zu 13% (Kontrollgruppe). Für die OS Analyse ist es noch zu früh. 36% der Patienten aus dem Kontrollarm bekamen sekundär Pembrolizumab (cross-over). Die Verbesserung des PFS um ca. das Doppelte ist grösser als bei jeder der bisherigen mCRC-Therapien beobachteten Verbesserung und dürfte damit einen neuen Standard darstellen für Patienten, welche fit für eine Pembrolizumab Therapie sind.

ThC

Quelle: Andre T et al. Pembrolizumab versus chemotherapy for microsatellite instability-high/mismatch repair deficient metastatic colorectal cancer: The phase 3 KENOTE-177 study. ASCO 2020, Abstract #LBA4.

Muskel-invasives Blasenkarzinom

Adjuvante Gabe von Atezolizumab verbessert nicht das DFS

Der bisherige Standard beim Muskel-invasiven Blasenkarzinom ist die neoadjuvante Cisplatin-basierte Chemotherapie gefolgt von der radikalen Zystektomie. Doch die 5-Jahresrezidivrate bei diesem Vorgehen liegt bei 50-60%. Somit stellt sich die Frage, ob durch eine adjuvante Immuntherapie die Rezidivrate gesenkt werden kann.
Im Rahmen der IMvigor 010-Studie wurde die zusätzliche postoperative adjuvante Gabe des PD-L1-Inhibitors Atezolizumab untersucht, nachdem sich diese Substanz bereits bei Patienten im metastasierten Stadium des Blasenkarzinoms bewährt hat.
Aufgenommen in diese Studie wurden insgesamt 809 Patienten mit einem Muskel-invasiven Blasenkarzinom. Sie erhielten nach der neoadjuvanten Chemotherapie und anschliessender Zystektomie entweder adjuvant Atezolizumab in einer Dosierung von 1200 mg alle 3 Wochen, insgesamt also 16 Zyklen über ein Jahr, oder sie wurden nur nachverfolgt ohne adjuvante Medikation.
Die Auswertung nach einem Jahr ergab beim DFS keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Strategien. Unter Atezolizumab traten bei 52% Tumor-bedingte Ereignisse auf, ebenso viele wie bei den nur unter Beobachtung stehenden Patienten. Beim medianen DFS standen 19,4 Monate unter Atezo 16,6 Monate bei ausschliesslicher Beobachtung gegenüber, der Unterschied war nicht signifikant. Die DFS-Rate nach 18 Monaten lag unter Atezo bei 56% vs. 54% bei Beobachtung. Bei PD-L1-positiven Patienten war das DFS insgesamt günstiger und zwar unabhängig davon, ob eine adjuvante Therapie durchgeführt wurde oder nicht. Auch weitere Subgruppenanalysen ergaben keinen Benefit für die adjuvante Therapie.
Was die Sicherheit betrifft, so gab es keine neuen Gesichtspunkte. 16% entwickelten in der Atezo-Gruppe eine Therapie-induzierte Nebenwirkung Grad 3-4. Die dermatologische und gastrointestinale Toxizität waren die häufigsten Ursachen für eine Unterbrechung der Therapie.

PS

Quelle: ASCO 2020, Abstract #5000

Fortgeschrittenes hepatozelluläres Karzinom

Cabozantinib ist auch in der real world wirksam und sicher

Nachdem der Multikinase-Inhibitor Cabozantinib (Cabometyx®) bereits beim metastasierten Nierenzellkarzinom und fortgeschrittenen Leberzellkarzinom (HCC) in randomisierten klinischen Studien seine gute Wirksamkeit und Sicherheit unter Beweis stellen konnte, gibt es neue überzeugende Daten einer Kohortenstudie, die eine gute Wirksamkeit und Sicherheit dieser Substanz beim fortgeschrittenen hepatozellulären Karzinom auch in der real world bestätigen.
Offiziell zugelassen ist Cabozantinib beim fortgeschrittenen HCC als second line-Therapie nach einer Vortherapie mit Sorafenib, nachdem die Substanz in einer randomisierten Studie (CELESTIAL-Studie) überzeugen konnte. Doch lässt sich dies auch auf den praktischen Alltag, also die real world, übertragen?
Um diese Frage beantworten zu können, wurde eine retrospektive internationale Kohortenstudie durchgeführt. Ausgewertet wurden die Daten von 74 Patienten mit einem fortgeschrittenen HCC, die in der second oder third line nach Sorafenib mit Cabozantinib behandelt wurden. Die häufigsten Ursachen des HCC waren Hepatitis C und B, alkoholische Leberzirrhose und nicht-alkoholische Fettleber.
Bei 5% konnte mit Cabozantinib eine partielle Remission und bei 30% eine Stabilisierung erreicht werden. Bei 32% kam es zu einer Progression und der Rest konnte nicht ausgewertet werden. Die durchschnittliche Dauer der Cabozantinib-Therapie betrug 4,4 Monate. 47% der Patienten waren bis zum Tage der Auswertung verstorben. Das mediane OS betrug 7,7 Monate. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Fatigue und Diarrhöen. Zusammenfassend bestätigen diese Daten die Ergebnisse der Phase-III-Zulassungsstudie CELESTIAL.

PS

Quelle: ASCO 2020, Abstract #e16668

Kurz und knapp

«Borderline-resectable» Pankreaskarzinom

Abstract 9004:
Second line Mesotheliom: in der italienischen randomisierten «Rames» Phase 2 Studie (n: 164) ist die Kombination Ramucirumab/Gemcitabine der Gemcitabine Monotherapie überlegen mit einem medianen OS von 13.8 versus 7.5 Monate (HR 0.7) und nach einem Jahr waren 56.5% versus 33.9%, der Patienten am Leben.

Abstract 4505: Beim neudiagnostizierten «borderline-resectable» Pankreaskarzinom ist in dieser europäischen randomisierten ESPAC-5F Studie (n: 90) in der 1.Linien Therapie das neoadjuvante Vorgehen (2xGEMCAP oder 4xFOLFIRINOX oder 54Gy mit Capecitabine Chemoradiotherapy (CRT)) gegenüber der sofortigen Operation klar überlegen mit einem 1 Jahres OS von 77% [95%CI, 66% – 89%] für die neoadjuvante Therapie und 40% [95% CI, 26% – 62%] für sofortige Operation gefolgt von adjuvanter Therapie (HR=0.27 [95% CI, 0.13 – 0.55]).

Abstract LBA6008: In dieser französischen kleinen Phase 2 TROPHIMMUN Studie wurde Avelumab (median 8x 10 mg/kg Q2W) bei der sehr seltenen Gruppe der 15 chemoresistenten (nach Methotrexat und in einem Fall auch Actinomycin) Patientinnen mit einem gestationsbedingten Trophoblastentumor (dieser exprimierte PD-L1 in allen Fällen) eingesetzt und die Hälfte dieser Patienten konnte dadurch schliesslich geheilt werden.

Abstract 4004: Im IDEA Trial (n:12,835 Patienten aus 6 grossen Phase 3 Studien) konnte gezeigt werden, dass 3x versus 6x adjuvante Oxaliplatin/Fluoropyrimidine-basierte Therapie für die grosse Mehrheit der Patienten mit operiertem Stadium III Kolonkarzinom mit 5 Jahres OS und DFS mit viel weniger Toxizität und Kosten als ebenbürtig betrachtet werden kann.

Abstract 5001: Der neue orale GnRG-Rezptor Antagonist Relugolix (n:622) wurde in dieser grossen Phase 3 HERO Studie bei 930 Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom mit Leuprolide (n:308) verglichen und zeigte eine Überlegenheit: bei 96,7 Prozent der mit Relugolix bzw. 88,8 Prozent der mit Leuprolid behandelten Männer wurde die Kastrationswerte über 48 Wochen aufrechterhalten und die Häufigkeit relevanter unerwünschter kardiovaskulärer Ereignisse war 2,9% in der Relugolix-Gruppe und 6,2% in der Leuprolid-Gruppe (Hazard Ratio 0,46; 95% CI, 0,24 bis 0,88).

ThC

Cabozantinib in Kombination mit dualer Immuntherapie

COSMIC-313: Neue Studie beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom

Beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom sind sowohl Multikinase-Inhibitoren wie Cabozantinib (Carbometyx®) als auch Checkpoint-Inhibitoren wie Nivolumab und Ipilimumab wirksam. Experimentelle Daten sprechen dafür, dass die Kombination beider Wirkprinzipien noch wirksamer sein könnte.

Im Rahmen einer Phase-III-Studie (COSMIC-313-Studie) wird deshalb jetzt die Kombination beider Wirkprinzipien im Rahmen der first line-Therapie untersucht und zwar bei Patienten mit einem niedrigen oder intermediären Risiko.
Verglichen wird in einem randomisierten Design die Triple-Therapie mit Cabozantinib + Nivo + Ipi mit einer alleinigen kombinierten Immuntherapie mit Nivo + Ipi und auch die kombinierte Immuntherapie Nivo + Ipi mit einer Mono-Immunmonotherapie nämlich Nivo. Endpunkte der Studie sind Wirksamkeit (PFS) und Sicherheit. Das Follow up beträgt 1 Jahr. Die ersten Patienten für diese Studie wurden im Juni 2019 rekrutiert.

PS

Quelle: ASCO 2020, Abstract #TPS5102

Fortgeschrittenes NSCLC

Immunkombinationstherapie ist alleiniger Chemotherapie überlegen

In der CheckMate-9LA-Studie wurde in der First line die Kombination Chemotherapie plus duale Immuntherapie mit Nivolumab (nivo) + Ipilimumab (ipi) mit einer alleinigen Chemotherapie verglichen. Dabei zeigte sich in einer Interimsanalyse ein signifikanter OS-, PFS- und ORR-Vorteil für die Immunkombinationstherapie.

In der CheckMate-227-Studie wurde in der Erstlinientherapie bei einem fortgeschrittenen NSCLC ein OS-Vorteil bei der kombinierten Immuntherapie nivo + ipi unabhängig vom PD-L1-Status gegenüber der alleinigen Chemotherapie gezeigt. Die Hypothese, dass eine zeitlich begrenzte Chemotherapie zusätzlich zu dieser erfolgreichen Immunkombinationstherapie zu einer besseren und schnelleren Krankheitskontrolle führen könnte, wurde im Rahmen der CheckMate-9LA-Studie evaluiert.
Eingeschlossen in diese Studie wurden 719 therapienaive Patienten mit einem fortgeschrittenen metastasierten bzw. rezidivierten therapienaiven NSCLC. Eine Zwischenanalyse nach einer Mindestnachbeobachtungzeit von 12, 7 Monaten bestätigte diese Hypothese. Durch die Zugabe der Chemotherapie ( 2 Zyklen) zusätzlich zur kombinierten Immuntherapie verlängerte sich im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie (4 Zyklen) das mediane Überleben von 10,9 Monate auf 15,6 Monate (HR = 0,66). Die Ein-Jahres-Überlebensrate stieg von 47% auf 63%. Das PFS nach einem Jahr konnte durch die Immunkombinationstherapie von 18% auf 33% angehoben werden. Das mediane PFS stieg von 5,0 auf 6,7 Monate (HR  =  0.68). Auch die mediane Ansprechdauer (DOR) stieg von 5,6 auf 11,3 Monate und die Gesamtansprechrate von 25 auf 38%.
Insgesamt wurden bei 38% im Chemotherapie-Arm und bei 47% unter der Kombinationstherapie schwerwiegende therapieassoziierte unerwünschte Ereignisse dokumentiert (Schweregrad ≥ 3) dokumentiert. Dazu gehörten insbesondere Übelkeit, Anämie, Asthenie und Diarrhoe. Zusammenfassend lässt sich sagen: CheckMate-9LA hat bei der Interimsanalyse eine signifikante Überlegenheit für die Immunkombinationstherapie gezeigt und den primären Endpunkt nämlich eine Verbesserung des OS erreicht. «Die frühzeitige Trennung der beiden OS-Kurven und die niedrigen Krankheitsprogressionsdaten als beste Response haben die Hypothese dieses Studiendesigns validiert» so das Fazit des Studienautors Dr. Martin Reck, Grosshansdorf.

PS

Quelle: ASCO 2020, Abstract #9501

Fortgeschrittenes NSCLC

Auch nach drei Jahren deutliche Überlegenheit der kombinierten Immuntherapie

In der Check-Mate-227-Studie erwies sich bei Patienten mit einem fortgeschrittenen PD-L1-positiven NSCLC die kombinierte Immuntherapie Nivolumab (nivo) plus Ipilimumab (ipi) in der Erstlinientherapie einer Chemotherapie signifikant überlegen und gut verträglich. Jetzt wurden die 3-Jahresergebnisse vorgestellt.

Eingeschlossen in diese Phase-3-Studie wurden 1189 NSCLC-Patienten in einem fortgeschrittenen Stadium. Sie erhielten entweder die kombinierte Immuntherapie mit nivo + ipi oder nivo alleine oder eine Chemotherapie mit einer Platin-Douplette. 68% der Patienten waren PD-L1-positiv.
Die Auswertung nach einem medianen Follow up von 43,1 Monaten ergab ein medianes OS in der kombiniert therapierten Gruppe von 17,1 Monate im Vergleich zu nur 14.9 Monate unter der Chemotherapie (HR = 0.79). Das mediane OS bei Patienten mit einer PD-L1-Expresson von < 1% lag bei 17,2 Monate, bei PD-L1-Expression von > 1% bei 17,1 Monate. Nach 3 Jahren waren 18% der kombiniert behandelten Patienten mit einer PD-L1-Expression > 1% Progressions-frei, unter nivo allein waren es nur 12% und nur 4% unter der Chemotherapie. Schwere Nebenwirkungen (Grad 3 und 4) traten bei 36% der Patienten mit der kombinierten Immuntherapie und bei 36% der Patienten unter der Chemotherapie auf. Bei Patienten mit einer PD-L1-Expression war die Inzidenz schwerer Nebenwirkungen mit 20% niedriger als bei Patienten mit einer PD-L1-Expressin < 1%, bei denen die Rate an schwerwiegenden Komplikationen bei 56% lag. «Diese Daten zeigen, dass die Überlegenheit der kombinierten Immuntherapie unabhängig vom PD-L1-Status auch längerfristig und anhaltend besteht», so der Studienautor Suresh S Ramalingam, Atlanta.

PS

Quelle: ASCO 2020, Abstract #9500

Pembrolizumab bei Frauen mit unbehandeltem trippel negativem fortgeschrittenem Mammakarzinom (TNBC)

Pembrolizumab als Monotherapie ist aktiv bei Patientinnen mit TNBC. Diese randomisierte Phase 3 Studie KEYNOTE-355 untersuchte nun die Kombination mit gebräuchlichen Chemotherapien. Patientinnen mit einem de-novo TNBC, welche nach Diagnose mindestens 6 Monate krankheitsfrei waren, wurden 2:1 randomisiert: im Verumarm erhielten 566 Patientinnen Pembrolizuma (Pembro) + Chemo (Nab-paclitaxel; Paclitaxel; oder Gemcitabine/cCrboplatin) und im Kontrollarm 266 Patientinnen Placebo + Chemo, insgesamt bis zu 35 Pembro/Placebo Gaben bis zur Progression oder intolerablen Toxizität. Eine Stratifikation erfolgte nach der Art der Chemotherapie (Taxane vs Gemcitabine/Carboplatin), vorgängiger neoadjuvanter oder adjuvanter Therapie und PD-L1 Status (CPS ≥1 vs <1). Die beiden primären Endpunkte waren PFS und OS entsprechend gesondert für die beiden Gruppen PD-L1 Expression (CPS ≥10 und ≥1) und für alle Patientinnen. Nach einem medianen Beobachtungszeit von 17.5. Monaten für die Verum-Gruppe und 15.5. Monate für die Placebo-Gruppe war das mediane PFS für die Verum-Gruppe signifikant verbessert: für die Gruppe CPS ≥10 (Abb 1): auf 9.7 versus 5.6 Monate (HR: CI-95%, 0.65 (0.49-0.86)), für die Gruppe CPS >1 (Abb 2): 7.6 versus 5.6 Monate ( HR: 0.74 (0.61-0.90)) und für die ganze ITT Gruppe: 7.5 versus 5.6. Monate. Insgesamt spielt also der Expressionsgrad von PD-L1 eine wichtige Rolle für das Ausmass des Ansprechens.
Reife Daten für OS werden erst im deutlichen längeren Verlauf erwartet werden können. Grade 3-5 behandlungsassoziierte AE’s traten in 68.1% im Verum-Arm (2 Todesfälle) und in 66.9% im Placebo-Arm (0 Todesfälle) auf und die Rate an immunologischen AE’s Grade 3-4 war 5.5% versus 0%. Neue Sicherheitssignale traten nicht auf. Somit bestehen für die 15-20% der Patientinnen mit einem prognostisch weiterhin ungünstigen TNBC Hoffnung auf neue wirksamere Therapien.

ThC

Quelle: ASCO 2020, Abstract #1000
Clinical Trial Registry Number: NCT02819518 Citation: J Clin Oncol 38: 2020 (suppl; abstr 1000)

HNO-Karzinom T1-T2N0: Sentinel oder Neckdissektion?

Diese französische nationale Studie untersuchte die Frage ob bei operablen Patienten mit T1-T2N0 oralen oder oropharyngealen Plattenepithelkarzinomen eine weniger mutilierende Sentinel-Op (SN) basierte Therapie gegenüber einer Neckdissektion (ND) gleich wirksam ist. In der prospektiven randomisierte Multizenterstudie (inklusive einer ökonomischen Begleitstudie) wurden die neu diagnostizierten Patienten entweder in den ND-Kontrollarm oder SN-Verumarm (nur SN Biopsie wenn SN-negativ oder dann ND wenn bei SN-positiv) randomisiert. Der primäre Endpunkt war das rückfallfreie Überleben (RFS) nach 2 und 5 Jahren. Sekundär wurden funktionale Aspekte im HNO und Schulterbereich, Hospitalisationsdauer und Anzahl physiotherapeutischer Interventionen währen den ersten 24 Monaten untersucht. Es wurden an 10 Zentren insgesamt 307 Patienten eingeschlossen. Nach 2 Jahren und 5 Jahren waren 279 der 307 Patienten Rückfall frei: im ND-Arm traten 14 Rückfälle bei 139 Patienten auf und im SN-Arm 13 Rückfälle bei 140 Patienten auf. Eine OS Differenz (10%) bestand nicht und die Aequivalenz war hochsignifikant (p = 0.008) bestätigt.

Die Hospitalisationsdauer betrug 8 Tage im ND- und 7 Tage im SN-Arm. Bezüglich der funktionalen Aspekte war der ND-Arm nach 2, 4 und 6 Monaten schlechter als der SNArm und diese Differenz war nach 12 Monaten nicht mehr nachweisbar. Die Autoren schliessen daraus, dass ein Sentinel-basiertes Vorgehen gegenüber einer primären Neck-Dissektion heute das Vorgehen der Wahl darstellt.

ThC

Quelle: ASCO 2020, abstract #6501

Fortgeschrittenes Blasenkarzinom

Kosteneffektivität der kombinierten Immun-Chemotherapie

Im Rahmen der IMvigor130-Studie wurde bei Patienten mit einem metastasierten bzw. fortgeschrittenen muskelinvasiven Blasenkarzinom die alleinige Chemotherapie mit der Kombination platinbasierte Chemotherapie plus Immuntherapie (Atezolizumab) verglichen. Die Ergebnisse sprechen für die Kombination mit dem Checkpoint-Inhibitor. Doch ist die kombinierte Therapie auch Kosten-effektiv?

Aufgenommen in diese Studie wurden bisher unbehandelte Patienten mit einem fortgeschrittenen bzw. metastasierten Blasenkarzinom und zwar unabhängig davon, ob sie für eine Cisplatin-Chemotherapie geeignet waren oder nicht. Die PFS-Event-Rate lag unter der Kombination bei 74%, unter der alleinigen Chemotherapie bei 82%. Beim PFS standen 6,3 Monate unter der Chemotherapie 8,2 Monate unter der Kombination gegenüber (HR 0.82; p = 0,007). Bei der intention-to-treat-Interims-Analyse zeigte sich auch eine Verbesserung des OS, allerdings ohne statistische Signifikanz (HR 0,83; medianes OS 16,0 Monate vs. 13,4 Monate). Die Response-Rate betrug bei der Kombination 47,4% im Vergleich zu 43,8% bei der Chemotherapie. Eine komplette Remission erreichten 12,5% in der Kombi-Gruppe und 6,8% in der Chemotherapie-Gruppe Dies ist die erste Studie, die einen Vorteil der Immuntherapie in Kombination mit einer Chemotherapie bei Patienten mit einem fortgeschrittenen bzw. metastasierten Blasenkarzinom nachgewiesen hat.
Eine Analyse bzgl. Kosteneffektivität kommt zu dem Ergebnis, dass die kombinierte Therapie in der First line nicht kosteneffektiv ist, da für ein zusätzliches Lebensjahr ca. 630.000 $ aufgewendet werden müssen. Doch bei einem Preisrabatt von 33% wäre die Kosteneffektivität gegeben.

PS

Quelle: ASCO 2020, Abstract #5031

Reseziertes BRAF-mutiertes Melanom im Stadium III:  Klarer Nutzen durch adjuvant Dabrafenib/Trametinib

Dieser bisher längste follow-up einer Phase 3 Adjuvanten Melanom Studie mit Dabrafenib (D) plus Trametinib (T) über 12 Monate bei Patienten mit BRAF-mutiertem Melanom im Stadium III schloss 870 Patienten mit komplett reseziertem V600E/K-mutiertem Melanom ein. Die Patienten wurden 1:1 randomisiert zu 12 Monaten D+T oder Placebo. Der Primäre Endpunkt war rezidivfreies Überleben (RFS) und sekundäre Endpunkte waren OS und fernmetastasenfreies Überleben (DMFS). Das kürzeste Follow-up der Studie betrug 60 Monate (D+T-Gruppe) und 59 Monate (Placebo-Kontrollgruppe) .

190/438 Patienten in der D+T-Gruppe und 262/432 Patienten in der Placebogruppe waren zu diesem Zeitpunkt rezidivfrei. Das mediane RFS wurde in der D+T-Gruppe noch nicht erreicht und betrug 16,6 Monate mit Placebo (HR 0,51; 95% KI 0,42-0,61). Die RFS-Raten nach 5 Jahren waren:
52% (95% KI 48%-58%) unter D+T und 36% (95% KI 32%-41%) unter Placebo. Die RFS-Kurven für beide Gruppen zeigen ein Plateau. Der RFS-Benefit unter D+T fand sich in allen Untergruppen des American Joint Committee on Cancer (AJCC) 7 und ebenso unter den Untergruppen IIIB, IIIC und IIID des AJCC 8. Das mittlere DMFS wurde in keinem Arm erreicht, war jedoch günstiger unter D+T (HR 0,55%; 95% KI 0,44-0,70). Das OS wurde nicht neu erhoben, da die vorbestimmte Anzahl an Ereignissen bisher noch nicht eingetreten ist. Diese Studie schloss auch Schweizer Patienten ein.

ThC

Quelle: Hauschild A et al. Long-term benefit of adjuvant dabrafenib + trametinib (D+T) in patients (pts) with resected stage III BRAF V600-mutant melanoma: Five-year analysis of COMBI-AD ASCO 2010, Abstract #10001.

Neue Daten zu Sicherheit und Verträglichkeit

NSCLC: Atezolizumab ist der Chemotherapie überlegen

Im Rahmen der IMpower 110-Studie wird der PD-L1-Inhibitor Atezolizumab (Tecentriq®) in der First line mit einer platinbasierten Chemotherapie bei Patienten mit einem fortgeschrittenen NSCLC verglichen. Dabei zeigte sich eine Überlegenheit der Immuntherapie. Dies gilt nicht nur für die Wirksamkeit resp. das OS, sondern auch im Hinblick auf Sicherheit und Verträglichkeit.

Ausgewertet wurden die Daten von 572 Patienten. Sie erhielten randomisiert Cisplatin/Carboplatin + Pemetrexed oder 1200 mg Atezolizumab (Tecentriq®) alle 3 Wochen. Der primäre Endpunkt ist das OS in der wild-type-Population (WT), also bei Patienten ohne ALK- oder EGFR-Mutation. Eine Auswertung nach 6 Monaten ergab eine Verbesserung des OS um 7,1 Monate (medianes OS unter Atezolizumab 20,2 Monate vs. 13,1 Monate unter der Chemotherapie (HR 0,595; p = 0,0106)) und zwar bei Patienten mit einer hohen PD-L1-Expression. Unter Atezolizumab betrug das OS nach 6 Monate 76,3% im Vergleich zu 64,9% unter der Chemotherapie. Bei den Ansprechraten standen 38,3% unter Atezolizumab 28,6% unter der Chemotherapie gegenüber Dieser überlegene Effekt des PD-L1-Inhibitors war auch bei Patienten mit einem mittleren PD-L1-Spiegel nachweisbar, aber ohne statistische Signifikanz (18,2 Monate vs. 14,9 Monate; HR 0,717; p = 0,0416). In dieser Gruppe lag das 12-Monatsüberleben unter Atezolizumab bei 60,7% im Vergleich zu nur 56% unter der Chemotherapie.

Verbesserung der Lebensqualität

Im Rahmen dieser Studie wurden auch die Patient Related Outcomes (PROs) mit ausgewertet. Sie waren ein präspezifizierter Endpunkt. PROs-Daten sind wichtig; denn sie geben einen Einblick in die Verträglichkeit bzw. Lebensqualität aus Patientensicht unter der Therapie. Zu Beginn der Studie waren die entsprechenden Scores für die Lebensqualität (QLQ-C30 und QLQ-LC13) in beiden Gruppen vergleichbar hoch (90% in der Atezo- vs. 86% in der Chemo-Gruppe). Unter der Therapie blieb der Score in beiden Gruppen meist über 80%. Auch bei der Zeit bis zur Verschlechterung der Lebensqualität zeigte sich kein signifikanter Unterschied. Dies gilt auch für die Verbesserung der Tumor-Symptome Husten, Dyspnoe und Thoraxschmerz. Die mediane Verbesserung in Bezug auf den Global Health Status (GHS) war aber bei Woche 42 unter Atezo etwas stärker als unter der Chemotherapie. Dieser günstige Effekt auf die Tumor-Symptome war am Anfang der Studie am stärksten und hielt dann an. Auch die Symptome Fatigue und Nausea verbesserten sich sehr rasch unter Atezo und dieser günstige Effekt hielt ebenfalls bis Woche 48 an.

Günstiges Sicherheitsprofil

Auch das Sicherheitsprofil von Atezo war günstiger als bei der Chemotherapie. Dies zeigt schon die Dauer der Therapie. Während die Patienten im Durchschnitt 5,3 Monate unter Atezo blieben, lag die Therapiedauer unter der Chemotherapie nur bei 3.5 Monate. Bei einem medianen Follow up von 13,7 Monaten waren bei der Interimsanalyse noch 31,6% unter Atezo, aber nur 8,7% unter der Chemotherapie. Auch was die Nebenwirkungen der Therapie betrifft, so sprechen die Daten für Atezo. Grad 3-4 Nebenwirkungen wurden in der Atezo-Gruppe bei 30,1%, in der Chemotherapie-Gruppe bei 52,5% der Patienten dokumentiert. Dabei stehen immunvermittelte Komplikationen bei Atezo im Vordergrund. Die Rate an immuninduzierten Nebenwirkungen lag unter Atezo bei 40,2%, unter der Chemotherapie bei 16,7%. Während unter Atezo 6,3% die Therapie wegen Nebenwirkungen unterbrechen mussten, war dies unter der Chemotherapie bei 16,3% der Fall. «Insgesamt entsprach das Sicherheitsprofil von Atezo dem von bisherigen Studien bekannten», so Prof. Jacek Jassem, Gdansk.

PS

Quelle: ASCO 2020, Abstract #9594 + Abstract #e21623

Olaparib beim seltenen BRCA+ Pankreas-und Prostatakarzinom

Im Rahmen der TAPUR Phase II Basket Studie wurden zwei Kohorten von Patienten mit refraktärem Pankreasekarzinom bez. Prostatakarzinom mit Keimbahn- oder somatischen BRCA1/2 inaktivierenden Mutationen ohne sonstige Therapieoptionen Olaparib eingesetzt. Nur je einige wenige Prozent aller Patienten mit diesen Diagnosen haben diese DNA-Reparatur Defizienz.
1. In der Kohorte der Pankreaskarzinom Patienten musste der ECOG Performance Status (PS) 0-2, die Organfunktionen intakt sein und alle mussten messbare Tumormanifestationen aufweisen. Das mediane Alter betrug 60 Jahre (44-79) und 63% waren Männer. Der primäre Endpunkt war die Ansprechrate (OR) und sekundäre Endpunkte waren das PFS (eingeschlossen «stable disease» nach +16 Wochen), OS und die Verträglichkeit. Die Olaparib Dosis betrug 300 mg (n=27) oder 400 mg (n=3) zweimal täglich bis zur Progression. 20 Patienten von insgesamt 30 eingeschlossenen Patienten waren mit Platin vorbehandelt. 2 Patienten konnten nicht ausgewertet werden. Die Krankheitskontrolle (2PR und 6 SD16+) ergaben eine OR von 31% (90% CI: 18% – 40%). Grade 3 AE’s oder SAE ‘s fanden sich bei 7 Patienten (Anämie, Diarrhoe, erhöhte Transaminasen, Enterokolitis, erhöhtes Bilirubin und orale Mukositis). Das mediane PFS betrug 7.9 Wochen, das mediane OS betrug 42.9 Wochen und das 1-Jahres OS betrug 47.2 Wochen (95%CI: 19.7.-70.7.).

Angesichts der vielen Vorbehandlungen sind dies ermutigende Resultate für die kleine Gruppe der BRCA1/2 positiven Pankreaskarzinom Patienten.
2. In der Kohorte der Prostatakarzinom Patienten wurden die gleichen Einschlusskriterien und die gleiche Olaparibtherapie angewendet. Es konnten 29 Patienten eingeschlossen werden wobei 4 wegen alleinigen nicht messbaren Knochenmetastasen ausgeschlossen werden mussten. Das mediane Alter betrug 65 Jahre (40-90). Der Allgemeinzustand PS war in 44% ECOG 0 und in 56% ECOG 1. 60% der Patienten hatten mindestens 3 Vorbehandlungen erhalten. Die Krankeitskontrolle (DC) betrug 68% (53-77), die OR 36% (18-57), das mediane PFS 41 Wochen (16.3.-53.1), das mediane OS 75.4 Wochen (49.4.-noch nicht erreicht) und das Gesamtüberleben 79.4 Wochen (47.6-93.1). Somit konnte auch hier bei schwer vorbehandelten Patienten eine längerdauernde Krankheitskontrolle erreicht werden.

ThC

Quellen:
Eugene R Ahn, Olaparib (O) in patients (pts) with pancreatic cancer with BRCA1/2 inactivating mutations: Results from the Targeted Agent and Profiling Utilization Registry (TAPUR) study. Abstract #4367
Evan P. Pisick, Olaparib (O) in patients (pts) with prostate cancer with BRCA1/2 inactivating mutations: Results from the Targeted Agent and Profiling Utilization Registry (TAPUR) study. Abstract #5564

Platinsensitives Ovarialkarzinom: Erhaltungstherapie mit PARP-I verlängert das OS um mindestens ein Jahr

Olaparib ist ein bereits zugelassener oraler Poly (ADP-Ribose)-Polymerase (PARP)-Inhibitor. Dies ist die erste randomisierte Phase 3-Studie, die über reife OS Daten unter einem PARP-Inhibitor als Erhaltungstherapie bei Patientinnen mit einem rezidivierten, noch platinsensitiven Ovarialkarzinom mit einer BRCA-Mutation berichtet. Die finalen OS-Ergebnisse der randomisierten kontrollierten Studie SOLO2 zu Olaparib (300 mg zweimal täglich; n=196) vs. Placebo (n=99) zeigen bei einem mediane Follow-up für beide Gruppen von 65 Monate:
l Olaparib verlängerte das mittlere OS gegenüber Placebo um 12,9 Monate : 51,7 Monate unter Olaparib vs. 38,8 Monate unter Placebo (HR 0,74; 95% KI 0,54-1,00).

lNach 5 Jahren waren 42,1% der Olaparib-Empfänger am Leben vs. 33,2% der Placebo Empfänger.
Es wurden keine neuen unerwünschten Ereignisse (AEs) entdeckt und die häufigsten AEs waren Übelkeit, Fatigue/Asthenie und Anämie. AEs, die zu einer Dosisunterbrechung führten, traten bei 50% der Olaparib- vs. 19% der Placebo-Empfänger auf, und AEs, die zu einer Dosisreduktion führten, bei 28% der Olaparib- vs. 3% der Placebo-Empfänger.
Diese finalen Ergebnisse zeigen, dass eine Erhaltungstherapie mit Olaparib bei Frauen mit platinsensitivem rezidiviertem Eierstockkrebs mit einer BRCA-Mutation das Gesamtüberleben (OS) um beinahe 13 Monate verlängert. Ein so eindrücklicher OS-Vorteil konnte bisher noch in keiner Studie bei Patientinnen mit rezidiviertem Ovarialkarzinom erzielt werden. Olaparib als Erhaltungstherapie setzt damit einen neuen hochwillkommen Standard.

ThC

Quelle: Poveda A et al. Final overall survival (OS) results from SOLO2/ENGOT-ov21: A phase III trial assessing maintenance olaparib in patients (pts) with platinum-sensitive, relapsed ovarian cancer and a BRCA mutation. ASCO 2020, Abstract #6002 .

Tuctinib auch im ZNS wirksam bei HER2+ Mamma-Karzinom Patientinnen

Tucatinib ist ein neu von Swissmedic zugelassener hochselektiver HER2 TKI. Als Zulassungsstudie, welche parallel zum ASCO im JCO bereits als Vollpublikation erschien, diente die doppelblinde, placebo-kontrollierte, 2:1 randomisiertenPhase 2-Studie HER2CLIMB (NCT02614794). Tucatinib oder Placebo wurden als Kombination mit Trastuzumab und Capecitabine eingesetzt. Von initial total 612 eingeschlossenen Patientinnen mit HER“+ lokale fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs nach Vorbehandlung (Herceptin, Perjeta und/oder TDM1. 410 im Verumarm und 202 im Kontrolarm) ) wurden für diese Publikation alle 291 Patientinnen mit Hirnmetastasen (46% der eingeschlossenen Patientinnen) als geplante explorative Subgruppenanalyse ausgewertet. Davon waren 48% im Tucatinib Arm und 46% im Kontrollarm mit Placebo. Die mediane Dauer von der Diagnose bis zum Auftreten von Hirnmetastasen betrug 15.8 Monate (1.1 – 169.2 Monate ) und 14.5 Monate ( 0.5 -99.3 Monate) im Kontrollarm. Bei 47,3% der Patienten sprachen die Hirnmetastasen auf Tucatinib an, komplett (5,5%) oder partiell (41,8%) an. Im Placebo-Arm der Studie gab es nur bei 20% der Patienten ein partielles Ansprechen. Die Dauer des Ansprechens betrug mit Tucatinib 6,8 Monate, mit Placebo 3 Monate. Bei 30 Patienten (21 im Tucatinib- und 9 im Placeboarm) wurde bei einem ZNS Progress eine Lokaltherapie durchgeführt und danach die Studienmedikation wieder aufgenommen.Ddas Risiko für eine erneute Progression mit Tucatinib war deutlich geringer als in der Placebogruppe (HR 0,33; 95% KI 0,11–1,02; p = 0,02). Im Median vergingen vom ersten bis zur erneuten Progress ionmit Tucatinib 7,6 Monate und mit Placebo 3,1 Monate. In der Tucatinib-Gruppe war somit das Risiko einer ZNS-Progression gegenüber Placebo um 68% verringert (HR 0,32; 95% KI 0,22–0,48; p < 0,00001). 40,2% der Patienten dieser Gruppe waren nach einem Jahr weiterhin ohne ZNS-Progression, in der Kontrollgruppe keine Patientin. Das mediane ZNS-PFS lag mit Tucatinib bei 9,9 Monaten, mit Placebo bei 4,2 Monaten (Lin, JCO 2020).

Die Analyse aller eingeschlossenen Patientinnen (N 612) ergab ein mediane PFS mit Tucatinib von 7.8 Monaten (95% confidence interval [CI] 7.5, 9.6) verglichen zu 5.6 Monaten (95% CI 4.2, 7.1) für Patientinnen im Placeboarm (hazard ratio [HR] 0.54; 95% CI 0.42, 0.71; p < 0.00001). Auch das mediane Gesamtüberleben (OS) für alle eingeschlossenen Patientinnen war in der Tucatinib-Gruppe signifikant verlängert mit 20,7 Monaten (11,6 Monate in der Kontrollgruppe), die Ein-Jahres-OS-Rate betrug 71,7% und für Placebo: 41,1% (HR 0,49; 95% KI 0,30–0,80). Bei Patienten mit stabilen Hirnmetastasen bei Studienbeginn gab es dagegen keinen signifikanten Unterschied im OS. Tucatinib hat somit das Potential als neuer Standard bei Patientinnen mit vorbehandeltem metastasiertem HER2+Mammakarzinom in Kombination mit Trastuzumab und Capecitabin für Patientinnen insbesondere mit Hirnmetastasen.

ThC

Quelle: Lin NU, Borges V, Anders C et al. (2020) Intracranial Efficacy and Survival With Tucatinib Plus Trastuzumab and Capecitabine for Previously Treated HER2-Positive Breast Cancer With Brain Metastases in the HER2CLIMB Trial. ASCO 2020, Abstract #1005 Journal of Clinical Oncology DOI: 10.1200/JCO.20.00775

Codebreak 100: Neuartiger niedermolekularer Inhibitor von KRASG12C

AMG 510 bei Patienten mit fortgeschrittenem Kolorektalkarzinom

Die KRASG12C-Mutation des viralen Onkogenhomologen (KRAS) ist mit einer schlechten Prognose bei Darmkrebs (CRC) assoziiert. AMG 510 ist ein neuartiger niedermolekularer Inhibitor, der KRASG12C spezifisch und irreversibel hemmt, indem er im inaktiven Guanosindiphosphat-gebundenen Zustand festgehalten wird. In einer früheren Zwischenanalyse der Phase 1 der ersten am Menschen durchgeführten Studie mit AMG 510 wurde ein günstiges Sicherheitsprofil und eine vorläufige Antitumoraktivität bei Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren, die KRASG12C aufwiesen, festgestellt.

Experimentelles

Die wichtigsten Einschlusskriterien waren die durch molekulare Tests identifizierte KRASG12C-Mutation, die messbare Erkrankung und die Progression unter Standardtherapie. Primärer Endpunkt war die Sicherheit. Sekundäre Endpunkte waren die objektive Ansprechrate (ORR), die Krankheitskontrollrate (DCR), das progressionsfreie Überleben (PFS) gemäss RECIST 1.1 und die Gesamtüberlebenszeit (OS). In der Dosis-Eskalationsphase wurden orale Tagesdosen von 180, 360, 720 und 960 mg getestet. Für die Expansionsphase wurde eine Dosis von 960 mg gewählt.

Resultate

Bis zum 8. Januar 2020 wurden 42 Patienten mit CRC (21 weiblich [50%], mittleres Alter: 57,5 Jahre; Bereich: 33-82) erfasst und von 25 auf 960 mg dosiert. Alle Patienten erhielten vorherige systemische Therapien; 19 Patienten (45,2%) erhielten > 3 vorherige Linien. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 7,9 Monate (Bereich: 4,2-15,9). 13 Patienten (31,0%) starben, und 8 Patienten (19,0%) blieben in Behandlung. 22 (52,4%) und 8 (19,0%) Patienten waren länger als 3 bzw. 6 Monate in Behandlung geblieben. Progressive Krankheit war der häufigste Grund für das Absetzen der Behandlung. 20 Patienten(47,6%) hatten behandlungsbezogene unerwünschte Ereignisse (TRAEs): 18 (42,9%) hatten TRAEs des Grades 2 oder niedriger; 2 (4,8%) hatten TRAEs des Grades 3, bei denen es sich um Durchfall (2,4%) und Anämie (2,4%) handelte. Es gab keine dosisbegrenzenden Toxizitäten, tödliche TRAEs oder TRAEs, die zum Abbruch der Behandlung führten. Insgesamt lagen ORR und DCR bei 7,1% (3 von 42) bzw. 76,2% (32 von 42). Mit der Dosis 960 mg lagen ORR und DCR bei 12,0% (3/25) bzw. 80,0% (20/25). 3 Patienten mit PR hatten eine Ansprechdauer von 1,5, 4,2 bzw. 4,3 Monaten, und ihr Ansprechen war zum Zeitpunkt des Datenschlusses noch nicht abgeschlossen. Bei den Patienten, die mit allen Dosierungen behandelt wurden, betrug die mediane Dauer der stabilen Erkrankung 4,2 Monate (Bereich: 2,5 ±11,0).

Schlussfolgerungen

Bei Patienten mit stark vorbehandelter KRASG12C-CRC-Mutation wurde die Monotherapie mit AMG 510 gut vertragen, wobei die Mehrheit der Patienten die Krankheit unter Kontrolle brachte. Die Studie ist noch nicht abgeschlossen.

red.

Quelle: Fakih M et al. CodeBreak 100: Activity of AMG 510, a novel small molecule inhibitor of KRASG12C, in patients with advanced colorectal cancer. ASCO Virtual Meeting 2020, abstract 4018

Ewing Sarkom: Verbessertes Überleben mit modifizierter Chemotherapie: VDC/IE statt VIDE

Das Euro Ewing Konsortium ist seit Jahrzehnten erfolgreich daran die Therapien und Prognose dieser sehr jungen Menschen mit Ewing Sarkom (ES) zu verbessern. Also im 2010 zwei Standardtherapien in Europa und den USA für die Primärtherapie zur Verfügung standen und ein direkter Vergleich fehlte, und zudem keine neuen wirksamen Medikamente zur Verfügung standen, wurde ein randomisierter Vergleich vom Europäischen Standard (Arm A) von VIDE (vincristine [V], ifosfamide [I], doxorubicin [D] and etoposide [E]) Induktion und VAI or VAC (V, actinomycin D and I or cyclophosphamide [C]) Konsolidation oder der USA-Standad Arm B) mit kompimiertem VDC/IE Induktion und IE/VC Konsolidation. Es wurden 640 Patienten UAlter 5-50Jahre) mit neudiagnostiziertem lokalisiertem oder metastasiertem ES in die Studie von 2013-2019 in 10 europäischen Ländern incl Schweiz aufgenommen und 1:1 randomisiert in Arm A oder B.

Der primäre Endpunkt war das ereignisfreie Überleben EFS und der sekundäre Endpunkt das Gesamtüberleben OS. Es wurde stratifiziert nach Geschlecht, Alter, Stadium und Metastasierunsmuster, Tumorvolumen und Land. Der mediane Followup betrug 1.7 Jahre. Der Arm B war dem Arm A überlegen: HRs (95% CI) waren 0.70 (0.51, 0.95) für das EFS und 0.64 (0.42, 0.96) für das OS mit eine nachträglichen Wahrscheinlichkeit von 98% für Es und OS, das Arm B besser war. Der Unterschied war in allen Subgruppen vorhanden. Auch waren die Toxizitäten vergleichbar mit 68% AE’s in Arm A und 67% in Arm B. Zusammenfassend erwies sich der amerikanische Standard VDC/IE als klar besser gegenüber tVIDE sowohl für EFS wie OS ohne zusätzliche Toxizität und dürfte damit den neuen Standard darstellen.

ThC

Quelle: ASCO 2020, abstract #11500

Bessere Resultate durch «short course» neoadjuvante Radiotherapie bei lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom

Eine Kurzzeit Bestrahlung vor Chemotherapie und Operation könnte die Compliance verbessern und damit sowohl die lokale Kontrolle sichern als auch das Risiko für Fernmetastasen vermindern. Das krankheitsfreie Überleben beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom ist bisher <75%, weil Fernmetastasen noch häufig auftreten. Die europäischen von Holland geführte RAPIDO Phase 3 Mulitizenterstudie testet 2011-2016 dieses neue Konzept der 5-tägigen Kurzzeitbestrahlung vor präoperativer Chemotherapie und totaler Mesorektumexzision. Es wurden 920 Patienten mit MRI dokumentiertem lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom eingeschlossen (Stadium T4a oder T4b und N2, extramuraler Gefässinvasion und befallener mesorektaler Faszie oder vergrösserter lateraler Lymphknoten, welche als Metastasen beurteilt wurden): 468 wurden in die Kurzzeit Bestrahlung und 452 in den Kontrollarm mit Standard Therapie randomisiert.

Die Kurzzeit-Radiotherapie bestand aus 5 x 5 Gy, gefolgt von Chemotherapie (6 x CAPOX [oder 9 x FOLFOX4) und dann der totalen Mesorektumexzision. Der Kontrollarm bestand aus seiner capecitabinbasierten Standard Chemoradiotherapy (25–28 x 2.0–1.8 Gy) gefolgt von totaler Mesorektumexzision, optional konnte entsprechend lokaler institutioneller Gepflogenheit postoperative noch 8 x CAPOX oder 12 x oder FOLFOX4 angeschlossen werden. Insgesamt wurden 901 Patienten nach Protokoll behandelt, 460 im Verum- und 441 im Kontrollarm. 426 Patienten im Verum- und 400 im Kontrollarm erhielten eine totale Mesorektumexzision. Ein vollständiges pathologische Staging erfolgte bei 423 Patienten im Verum- und 398 im Kontrollarm. Ein komplettes pathologisches Ansprechen wurde bei 27.7% im Verum- und 13.8% im Kontrollarm erreicht (OR 2.40 (95% CI 1.70–3.39; P < .001). Nach 3 Jahren war die Wahrscheinlichkeit des Behandlungsversagens 23.7.% im Verum- und 30.4% im Kontrollarm (HR: 0.75 (95% CI: 0.60–0.96; P = .02). Die Wahrscheinlichkeit für Fernmetastasen nach 3 Jahren war 20% für die Verum- und 26.6% für die Kontrollgruppe (HR 0.69, 95% CI 0.54–0.90; P = .005). Zu diesem Zeitpunkt war die Wahrscheinlichkeit für ein lokales Rezidiv bei 6% im Verum- und 8.7% im Kontrollarm und damit statistisch nicht signifikant verschieden (HR 1.45, 95% CI 0.93–2.26; P = .09). Alle Lebensqualitäts Erfassungen waren vergleichbar ebenso die Verträglichkeit und es fanden sich keine signifikanten Zentrums-
unterschiede auch nicht bei optionaler zusätzlicher adjuvanter Behandlung (P = .37). Lediglich währen der präoperativen Kurzzeitbestrahlung wurden vermehrt > Grade 3 neurologische AES (4.3% vs 0.2%), vaskuläre AES (8.5% vs 4.1%), und Durchfall (17.6% vs 9.3%) im Vergleich zur Kontrollgruppe festgestellt. Es gab in beiden Gruppen keine Unterschiede bezüglich postoperativer Komplikationen.
Dieses neue neoadjuvante Konzept mit Kurzzeitbestrahlung, gefolgt von Chemotherapie und Operation reduziert somit das Therapieversagern um 7%, inklusive dem Risiko von Fernmetastasen und kann der neue Standard in der Therapie von Patienten mit lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom werden.

ThC

Quelle: ASCO 2020, abstract #4006 Citation: J Clin Oncol 38: 2020 (Suppl; abstr 4006) DOI: 10.1200/JCO.2020.38.15_suppl.4006

SCLC limited disease (LD):
Höhere konsolidierende Strahlendosis verbessert das Überleben

Diese nationale Studie aus Norwegen (22 skandinavische Zentren) untersucht eine alte Frage: was ist die beste konsolidierende Radiotherapie beim lokalisierten kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC)? Bisher war 45 Gy in 30 Fraktionen (2xtäglich) die am meisten angewendete konsolidierende Radiotherapie nach erfolgreicher Chemotherapie. Ob eine höhere Dosis das Überleben verlängert ist eine Hypothese, welche in einer prospektiv randomisierten Studie noch nicht untersucht ist. So wurde in dieser randomisierten Phase 2 Studie untersucht, ob 60 Gy in 40 Fraktionen gegenüber 45Gy in 30 Fraktionen (beide 2xtäglich) für die meisten Patienten machbar, tolerierbar und mit besserem Überleben einhergeht.
Es wurden 2014-2018 176 Patienten (>18 Jahre, PS 0-2) nach erfolgreicher Chemotherapie mit 4 Zyklen Platin-Etoposid randomisert 1:1 zu
60 oder 45 Gy konsolidierender Bestrahlung. Eine prophylaktische Hirnbestrahlung (PCI) von 25-30 Gy wurde allen Patienten angeboten. Der Primäre Endpunkt war das 2-Jahresüberleben, sekundäre Endpunkte waren PFS, Toxizität und gesamtes OS.
160 von 176 Patienten erhielten die ganze Radiotherapie wie geplant : 60 Gy: n = 84, 45 Gy:
n = 76. Das mediane Alter war 65 (58% Frauen, 90% PS 0-1). Keine signifikanten Unterschiede fanden sich in G 3–4 Ösophagitis (60 Gy: 19%, 45 Gy: 18%, p = .92) oder G 3–4 Pneumonitis (60 Gy: 4%, 45 Gy: 0%, p = .10). Ein Trend zu mehr Neutropenie fand sich im 45 Gy Arm
(60 Gy: 21%, 45 Gy: 36%, p = .05). Weiter fanden sich keine G3-4 Toxizitätsunterschiede. Insgesamt starben 3 Patienten in der Bestrahlungsphase (60 Gy: neutropener Infekt, Aortendissektion; 45 Gy: Blutung in Thrombopenie).

Die Ansprechraten waren statistisch nicht unterscheidlich:
60 Gy: 88% [95% CI 81-95], 45 Gy: 85% [95% CI 76-93], p = .52) ebenso das mediane PFS für 60 Gy: 20 Monate [95% CI 11-29], 45 Gy: 14 Monate [95% CI 10-19], p = .31). Nach 2 Jahren waren jedoch signifikant mehr Patienten im 60 Gy arm am Leben: 60 Gy: 73% [95% CI 63-83], 45 Gy: 46% [95% CI 36-60], p = .001), und hatten auch ein signifikant längeres medianes OS: 60 Gy: 42 months [95% CI 32-51], 45 Gy: 23 months [95% CI 17-28], HR .63 [95% CI .41-.96], p = .031).
Zusammenfassend ist die höher dosierte konsolidierende Radiotherapie beim LD SCLC wirksamer mit einem überraschend deutlich verbesserten Gesamtüberleben von 19 Monaten bei vergleichbarer Toxizität. Zu bemerken ist hier auch, dass die Frauen die Mehrheit in dieser Studie darstellten.

ThC

Quelle: ASCO 2020, abstract #9007

Mammakarzinom Stadium IV: Eine lokale Therapie zur Systemtherapie verbessert die Prognose nicht LBA2

Mit nun reifen Daten nach einer medianen Beobachtungszeit von 59 Monaten wurden die finalen Ergebnisse der ECOG Studie E2108 (ECOG-ACRIN) vorgestellt: 390 Frauen mit neu diagnostiziertem Mammakarzinom im Stadium IV wurden untersucht mit der Frage ob eine zusätzliche lokale Therapie zur Systemtherapie die Ergebnisse verbessert. Alle Patientinnen bekamen die optimale systemische Behandlung entsprechend ihrem Tumor-Biomarker-Status und ihrem Metastasen-Profil. Von den Teilnehmerinnen, welche auf die Systemtherapie ansprachen, wurden 256 Frauen 1:1 randomisiert: die Kontrollgruppe setzte die systemische Behandlung direkt fort und Verumgruppe erhielt vor der Systemtherapie eine lokale Therapie. Nach 5 Jahren zeigte sich kein Überlebensvorteil durch die zusätzliche lokale Therapie gegenüber der alleinigen systemischen Therapie (68,4% vs. 67,9%; HR 1,09; 90 % KI 0,80-1,49; P=0,63). Zudem verbesserte die lokale Therapie das 3-jährige progressionsfreie Überleben nicht (P=0,40).

Ein Unterschied zeigte sich jedoch für das Rückfall- und Progressionsrisiko: bei alleiniger Systemtherapie war das Risiko dafür signifikant höher (25,6% vs. 10,2%; P=0,003). Die Lebensqualität, gemessen am FACT-B Trial Outcome Index, zeigte indessen keinen Vorteil für die zusätzliche Lokaltherapie. Somit muss festgehalten werden, dass im Stadium IV Mammakarzinom die Patientinnen mit einer adäquaten Systemtherapie weder von einer zusätzlichen Operation noch einer Bestrahlung profitierten.

ThC

Quelle. Khan SA, et al. A randomized phase III trial of systemic therapy plus early local therapy versus systemic therapy alone in women with de novo stage IV breast cancer: A trial of the ECOG-ACRIN Research Group (E2108). ASCO Virtual Meeting, 29-31 May 2020, Abstract LBA2.

HER+ Magen- und Gastroösophageales Übergangskarzinom (GEJ) profitieren von Trastuzumab Deruxtecan

Trastuzumab Deruxtecan (T-DXd) ist ein Antikörper-Drug-Konjugat aus Anti-HER2-mAb Trastuzumab und einem Topoisomerase-Inhibitor. In Japan und den USA ist es für die Therapie des HER2-positiven Mammakarzinoms bereits zugelassen. In DESTINY-Gastric01 wurde die Wirksamkeit beim HER2-positiven Adenokarzinom des Magens getestet mit primärem Endpunkt Remissionsrate. Die Frage dieser randomisierten offenen multizentrischen Phase 2 Studie war, ob eine Therapie mit dem Antikörper-Drug-Konjugat Trastuzumab Deruxtecan bei Patienten mit HER2- positivem Adenokarzinom des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs (mit >2 Vortherapien) zu einer höheren Remissionsrate im Vergleich zu Irinotecan oder Paclitaxel führt. 187 Patienten aus Asien erhielten T-DXd (n = 125) or PC (n = 62 [55 irinotecan; 7 paclitaxel]); 79.7% waren aus Japan, 20.3% aus Korea. Von allen Patienten hatten 44.4% ≥ 3 Vorbehandlungen, die anderen Im Nov 2019 (data cutoff) waren 22.4% mit T-DXd und 4.8% der PC Patienten noch im Behandlungsarm. Die OR war 51.3% (61/119; 11 CR and 50 PR) für T-DXd und 14.3% (8/56; all PR) für PC (P< .0001); Die mediane Dauer des Ansprechsens (mDOR) betrug 11.3 vs 3.9 Monate; das mediane PFS, war 5.6 vs 3.5 Monate (HR, 0.47 [95% CI, 0.31-0.71]; P = .0003). Auch das mediane OS war signifikant länger für T-DXd mit 12.5 vs 8.4 Monaten (HR, 0.59 [95% CI, 0.39-0.88]; P = .0097; Grade ≥ 3 AEs traten in 85.6% der Patienten with T-DXd vs 56.5% with PC; auf. Am häufigsten wurde eine Neutropenie dokumentiert: 51.2%; 24.2%, Anämie 37.6%; 22.6%, und Leukopenie 20.8%; 11.3%. 12 Patienten (9.6%) hatten im T-DXd–rArm eine interstitielle Pneumopathie (ILD; 2 Grade 3, 1 Grade 4, keine Grad 5) vs 0 im PC-Arm. Ein Todesfall durch Penumonie trat im T-DXd arm auf.

T-DXd verbesserte in dieser asiatischen Studie die ORR sowie das OS gegenüber Paclitaxel oder Irinotecan signifikant für Patienten mit HER2+ fortgeschrittenem Magen oder GEJ Adenokarzinom. Inwieweit diese Daten direkt auf andere ethnische Gruppen zu übertragen sind werden weitere Studien zeigen müssen. Auch ist die Lungentoxizität weiter untersuchen. Die Daten wurden zeitgleich im NEJM (Shitara, NEJM 2020) publiziert, https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2004413?query=featured_home.

ThC

Quelle: ASCO 2020, abstract #4513

NSCLC adjuvant: Osimertinib neuer Stadard für EGF-R+ Patienten

Osimertinib, ein bereits gut etablierter 3.Generations EGF-R Inhibitor, mit guter ZNS- Aktivität und gegenüber Gefitinib und Erlotinib besserer Wirksamkeit bei unbehandeten EGF-R+Patienten mit NSCLC, ist ein guter Kandidat für eine adjuvante Therapie der erfolgreich operierten Patienten nach erfolgreicher Erstbehandlung bei Stadien I-IIIA. Eine adjuvante Therapie ist heute Standard bei Stadien II und III sowie ausgewählten Patienten mit Stadium IB, allerdings ist die Rückfallrate immer noch hoch. Diese doppelblinde randomiserte globale Phase 3 Studie (ADAURA) untersuchte, ob nach erfolgter kompletter kurativ intendierter Therapie Osimertinib versus Placebo bei 683 EGFR mutierten Patienten die Resultate weiter verbessern konnte. Gemäss dem unabhängigen Review Kommittee musste die Studie frühzeitig entblindet werden, da der Verumarm sich bereits früh als überlegen erwies. Patienten erhielten nach einer 1:1 Randomisation Osimertinib 80 mg täglich oral oder Placebo für maximal 3 Jahre. Der primäre Endpunkt war DFS und sekundäre Endpunkte waren OS und Sicherheit. Die Patientengruppen war in allen Belangen gut ausgeglichen: 339 Patienten erhielten Osimertinib und 343 Placebo. Im Stadium II und III war in dieser früher ungeplanten Interimsanalyse das DFS hochsignifikant besser mit DFS HR von 0.17 (95% CI 0.12, 0.23); p<0.0001 (156/470 events): das 2-Jahres DFS war 90% für Osimertinib und 44% für Placebo. Für die Gesamtpopulation war das DFS HR 0.21 (0.16, 0.28); p<0.0001 (196/682 events): 2-Jahres DFS betrug 89% für Osimertinib und 53% für Placebo.

Das Gesamt-OS mit 29/682 Todesfällen (Osimertinib n=9, PBO n=20) noch nicht ersichtlich. Bezüglich Sicherheit gab es keine neuen unerwarteten Signale für Osimertinib adjuvant. Diese neuen Daten zeigen eindrücklich, dass diese zielspezifische adjuvante Therapie mit Osimertinib hocheffizient ist und die Prognose in den Stadien II und III in relevantem Ausmass verbessern dürfte. Diese Studienresultate wurden zeitgleich zum ASCO im NEJM publiziert (Herbst, NEJM 2020) .

ThC

ASCO 2020, abstract LBA5

Mammakarzinom HER2+ neoadjuvant: es geht auch ohne Anthrazyklin

In dieser Phase 3-Studie TRAIN-2 wurden 438 Patientinnen von 37 niederländischen Spitälern eingeschlossen und randomisiert (1:1) zu 3 Zyklen 5-Fluoruoracil, Epirubicin-Cyclophosphamid-Trastuzumab (FEC-T) + Pertuzumab (Ptz), gefolgt von 6 Zyklen Paclitaxel-Trastuzumab-Carboplatin (PTC) + Ptz oder zu einer Behandlung mit 9 Zyklen PTC + Ptz. Primärer Endpunkt ist die Rate an pathologischen CR’s. Sekundäre Endpunkte sind ereignisfreies Überleben (EFS), Gesamtüberleben (OS) und krankheitsfreies Überleben (DFS).
Das 3-Jahres EFS betrug 93,5% ohne und 92,7% mit Anthrazyklinen, wobei kein Unterschied zu Gunsten von Anthrazyklinen in irgendeiner der folgenden Subgruppe beobachtet werden konnte: HR-Status, Alter, Grösse, Nodalstatus, histologischer Grad. Nach 3 Jahren betrug das OS 98,2% ohne und 97.7% mit Anthrazyklinen (nicht statistisch signifikant). Patienten, die nach neoadjuvanter Therapie eine pCR erreichten, waren häufiger krankheitsfrei: DFS 94,1% mit pCR und 85,1% ohne pCR (HR 0,42). Wie erwartet war die Kardiotoxizität höher in der Anthrazyklin-Gruppe, und die Abnahme der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) erholte sich in der Folge bei etwa 1/3 der Patienten nicht mehr auf Normalniveau. Weitere neue Sicherheitsbedenken wurden nicht gefunden.

Somit ist die bisherige Praxis bei HER2+ Mammakarzinom Patientinnen <Stadium II und III Anthrazykline neoadjuvant einzusetzen in Frage gestellt und eine neoadjuvante Anthrazyklin-freie duale HER2-Blockade ist eine vergleichbare aber weniger toxische Alternative. Es wird wichtig sein, dass diese Daten auch in der längerfristigen Beobachtung bestätigt werden können.

ThC

Quelle: van der Voort A et al. Three-year follow-up of neoadjuvant chemotherapy with or without anthracyclines in the presence of dual HER2-blockade for HER2-positive breast cancer (TRAIN-2): A randomized phase III trial. ASCO 2020, Abstract #501

Prostatakarzinom (nmCRPC): Aramis-Studie

Die ARAMIS-Studie ist eine randomisierte, multizentrische, doppelt verblindete, placebo-kontrollierte klinische Phase 3-Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit und Sicherheit von oralem Darolutamid, einem weiteren Androgenrezeptor Antagonist, bei Patienten mit nmCRPC, die mit ADT behandelt werden und bei denen ein hohes Risiko für die Entwicklung einer metastasierenden Erkrankung vorliegt. Sie ist damit analog angelegt zur PROSPER-Studie mit Enzalutamid. Es wurden 1.509 Patienten im Verhältnis 2:1 randomisiert und erhielten 600 mg Darolutamid oder Placebo zweimal täglich oral, jeweils zusammen mit der ADT. Krampfanfälle in der Vorgeschichte waren kein Ausschlusskriterium.
Früher veröffentlichte Ergebnisse der ARAMIS-Studie zeigten eine hoch signifikante Verbesserung des primären Endpunkts, des metastasenfreien Überlebens (MFS) mit median 40,4 Monaten für Darolutamid plus ADT im Vergleich zu 18,4 Monaten für Plazebo plus ADT (p < 0,001). Nun liegen die Daten für das Gesamtüberleben (overall survival [OS]) nach einer mittleren Beobachtungszeit von 29.1 Monaten vor. Männer, die Darolutamid plus ADT erhielten, zeigten eine signifikante Verbesserung des OS im Vergleich zu Placebo plus ADT mit einer Reduktion des Sterberisikos um 31% (HR = 0,69, 95%-KI 0,53-0,88; p = 0,003). Zudem war das Auftreten von krebsspezifischen Symptomen, die Schmerzprogression, die erste Folgebehandlung mit zytotoxischer Chemotherapie und das erste Auftreten von symptomatischen Skelettereignissen signifikant verzögert. Auch war die Inzidenz unerwünschter Ereignisse wie Stürze, ZNS-Nebenwirkungen und Hypertonie unter Darolutamid vergleichbar mit der unter Placebo.
Darolutamid scheint somit auch ein gutes Sicherheitsprofil zu haben und ist eine weitere Therapie Option für diese Patienten. Auch diese Studie wurde parallel im NEJM bereits publiziert.

ThC

Quelle: Karim Fizazi, Overall survival (OS) results of phase III ARAMIS study of darolutamide (DARO) added to androgen deprivation therapy (ADT) for nonmetastatic castration-resistant prostate cancer (nmCRPC). ASCO 2020, Abstract #5514 Citation: J Clin Oncol 38: 2020 (suppl; abstr #5514) DOI: 10.1200/JCO.2020.38.15_suppl.5514

SCLC: Pembrolizumab mit EP etwas besser als EP alleine in der 1.line

Pembrolizumab als Monotherapie ist wirksam bei vorbehandelten Patienten mit SCLC. Die Studie KEYNOTE-604, eine placebo-kontrollierte, doppelblinde Phase 3 Studie, untersuchte pembro + EP vs Placebo + EP als 1.linien Therapie beim Extensive-stage -SCLC. Insgesamt wurden 453 unbehandelte Patienten 1:1 randomisiert; sie durften ZNS-Metastasen haben, wenn diese lokale behandelt wurden. Pembrolizumab wurde in der Dosis von iv 200mg alle 3 Wochen für maximal 35 Zyklen verabreicht, EP (Cis oder Carbo) wurden in Standard Dosierungen 4x verabreicht. Der Primäre Endpunkt war das OS und PFS, sekundäre Endpunkte waren ORR, DOR, und Sicherheit. Das mediane Alter betrug 65Jahre, 14% im Pembroarm hatten ZNS -Metastasen, im Kontrollarm waren es 10%. Eine PCI erhielten 12% im Pembroarm und 14% im Kontrollarm. Nach einem medianen follow-up von 21 Monaten waren noch 9% der Patienten im Verumarm versus 1% im Placeboarm unter der Studienbehandlung. Bei der zweiten Interimsanalyse nach median 13,5 Monaten war Pembrolizumab beim PFS nummerisch signifikant besser mit median 4,5 versus 4,3 Monaten, und einer HR von 0,74 (p = 0,0023). Zum Zeitpunkt der finalen Analyse nach median 21,6 Monaten war auch das Gesamtüberleben besser mit median 10,8 versus 9,7 Monaten (HR 0,80), dies aber erreichte mit einem p-Wert von 0,0164 den festgelegten Wert für statistische Signifikanz (p = 0,0128) noch nicht.

Der Kurvenverlauf ist typisch für Checkpoint-Inhibitoren: initial zeigt sich kaum ein Unterschied, aber längerfristig separieren sich die Kurven, sodass nach zwei Jahren die Überlebensrate im Pembrolizumab-Arm doppelt sich hoch ist wie im Kontrollarm (23,0% vs. 11,3%). Alle untersuchten Subgruppen konnten von der Immuntherapie zu profitieren – mit Ausnahme der Patienten mit Hirnmetastasen zu Studienbeginn, wo kein Unterschied zwischen den beiden Therapieregimes zu erkennen war. Auch bei den Ansprechraten (letzter Analysezeitpunkt) war Pembrolizumab mit 71% versus 62% dem Placeboarm überlegen, die mediane Dauer des Ansprechens war 4,2 versus 3,7 Monaten. Das Nebenwirkungsprofil war wie erwartet: Grad-3–4- Toxizitäten traten bei 77% versus 75% der Patienten auf, Grad-5-Nebenwirkungen bei 6% versus 5%, und 15% bzw. 6% der Patienten mussten die Therapie wegen Nebenwirkungen abbrechen.
Die Kombination Pembrolizumab und Etoposid und Platin verlängert beim fortgeschrittenen noch unbehandelten SCLC das PFS und absehbar wohl auch das Gesamtüberleben.

ThC

Quelle: Rudin. ASCO 2020, Abtract #9001. J Clin Concol 2020, may 29 DOI:10.1200/JCO.20.00793

Seröses hochgradiges Ovarialkarzinom

Aussichtsreiche Updates zum Einsatz des PARP-Inhibitors Niraparib

Die Einführung von PARP-Inhibitoren, wie Niraparib und Olaparib, hat das Behandlungsrepertoire bei serösem hochgradigem Ovarialkarzinom massgeblich bereichert (1). Dabei kann Niraparib in der Schweiz unabhängig vom BRCA-Mutationsstatus zur Behandlung von Patientinnen mit rezidivierendem Platin-sensitivem Ovarialkarzinom eingesetzt werden (2).

Bereits in der randomisierten, Phase-III-NOVA-Studie verbesserte die Erhaltungstherapie mit Niraparib im Anschluss an eine platinbasierte Chemotherapie das mediane progressionsfreie Überleben (mPFS) gegenüber einer Behandlung mit Placebo signifikant (3).
Nun zeigen aktuelle Ergebnisse der randomisierten Phase-II-Studie AVANOVA2 nach einem medianen Follow-Up von 24.7 Monaten, dass eine Chemotherapie-freie Kombinationstherapie aus dem PARP-Inhibitor Niraparib und dem Angiogenesehemmer Bevacizumab das mPFS gegenüber einer Niraparib-Monotherapie bei rezidivierendem Ovarialkarzinom signifikant verlängern kann (12.5 Monate vs. 5.5 Monate; HR 0.34, p < 0.0001). Zudem war die Zeit bis zur ersten Nachfolgetherapie unter Niraparib und Bevacizumab mit median 14.3 Monaten knapp doppelt so lang wie unter Niraparib allein (7.2 Monate; HR 0.45; p = 0.0004). Das mediane Gesamtüberleben (mOS) betrug unter der Kombinationstherapie 29.4 Monate und unter der Monotherapie 27.8 Monate (HR 0.75; p = 0.30). Insgesamt konnte der kombinierte Einsatz von Niraparib und Bevacizumab das klinische Outcome bei Patientinnen mit rezidivierendem Ovarialkarzinom signifikant verbessern. Gleichzeitig wurde die Therapie gut toleriert und es konnte kein negativer Einfluss auf die Lebensqualität beobachtet werden (4).
Die Lebensqualität zu bewahren, spielt zusätzlich zur Wirksamkeit besonders im Erhaltungstherapie-Setting eine wichtige Rolle. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang ein gutes Nebenwirkungsmanagement (5]. In Bezug auf Niraparib hat eine Post-hoc-Analyse der NOVA-Studie das Ausgangskörpergewicht sowie die Thrombozytenzahl als prädiktive Faktoren für die Entwicklung einer hochgradigen Thrombozytopenie identifiziert. Dosismodifikationen konnten der Thrombozytopenie, sowie dem Auftreten von Nebenwirkungen generell, entgegenwirken, hatten jedoch keinen Einfluss auf die Wirksamkeit (6). Basierend auf diesen Beobachtungen wurde Niraparib in der Schweiz erstmalig mit einer verringerten Startdosis von 200 mg bei der Behandlung des rezidivierenden Ovarialkarzinoms zugelassen. Bei einem Körpergewicht ≥ 77 kg und einer normalen Thrombozytenzahl (≥ 150’000/ µl) ist eine Startdosis von 300 mg indiziert (2).
In der randomisierten, doppelblinden, Phase-III-PRIMA-Studie konnte diese individualisierte Startdosierung (ISD) in Hinblick auf Wirksamkeit und Sicherheit beim Einsatz von Niraparib in der ersten Therapielinie bei fortgeschrittenem Ovarialkarzinom validiert werden. Hierfür erhielten die Patientinnen entweder eine auf 300 mg Niraparib fixierte Startdosis (FSD) oder eine basierend auf Gewicht und Thrombozytenzahl individualisierte Startdosis (ISD) von 200 oder 300 mg. Dosisunterbrechungen (FSD 84.1% vs. ISD 71.0%) und -reduktionen (FSD 79.7% vs. ISD 65.7%) kamen in der ISD-Gruppe deutlich seltener vor, was auf eine verbesserte Verträglichkeit bei einer ISD hindeutet. Auch behandlungsbedingte Nebenwirkungen Grad ≥ 3, u.a. Thrombozytopenie, Anämie und Neutropenie, traten in der ISD-Patientengruppe seltener auf (FSD 75.9% vs. ISD 60.4%). Dabei war die klinische Wirksamkeit von Niraparib unter beiden Behandlungsregimen ähnlich (7).
Zusammenfassend unterstützen diese Ergebnisse den Einsatz von Niraparib mit individualisierter Startdosis in der ersten Therapielinie, wie er sich bereits bei der Behandlung des rezidivierenden Ovarialkarzinoms bewährt (6, 7).

red.

Literatur:
1. Madariaga A et al. Manage wisely: poly (ADP-ribose) polymerase inhibitor (PARPi) treatment and adverse events. Int J Gynecol Cancer, 2020. 30(7): p. 903-915.
2. Product Information Zejula (Niraparib). www.swissmedicinfo.ch. Last Access 06.08.2020.
3. Mirza MR et al. Niraparib Maintenance Therapy in Platinum-Sensitive, Recurrent Ovarian Cancer. N Engl J Med, 2016. 375(22): p. 2154-2164.
4. Mirza MR et al. Survival analysis of NSGO-AVANOVA2/ENGOT-OV24: Combination of niraparib and bevacizumab versus niraparib alone as treatment of recurrent platinum-sensitive ovarian cancer. A randomized controlled chemotherapy-free study. Presented at the ASCO Annual Meeting 2020; May 29-31, 2020.
5. DiSilvestro P et al. Maintenance treatment of recurrent ovarian cancer: Is it ready for prime time? Cancer Treat Rev, 2018. 69: p. 53-65.
6. Berek JS et al. Safety and dose modification for patients receiving niraparib. Ann Oncol, 2018.
7. Mirza MR et al. Evaluation of an individualized starting-dose of niraparib in the PRIMA/ENGOT-OV26/GOG-3012 study. Presented at the ASCO Annual Meeting 2020; May 29-31, 2020.

Editorial zum EHA 2020
Europäischer Hämatologie-Kongress:

Liebe Kolleginnen und Kollegen

Auch wenn der diesjährige EHA Kongress nur virtuell stattfinden konnte, so wurden doch einige Studien von hoher wissenschaftlicher Relevanz und auch mit direktem Einfluss auf die tägliche Praxis vorgestellt. Ich möchte Ihnen daher im Folgenden kurz einige practice changing Studien vorstellen.
In der Lymphombehandlung sind sicherlich zwei Studien zur Behandlung des klassischen Hodgkin Lymphoms (cHL) hervorzuheben. So wurden im Rahmender HD17 Studie mehr als 1100 neue diagnostizierte cHL Patienten im early unfavorable Stadium mit dem Standardregimen der GHSG Studiengruppe (2 Zyklen BEACOPPesc. gefolgt von 2 Zyklen ABVD) behandelt und die Frage gestellt, ob bei neg. Abschluss PET-CT (sog. PET4) die bisher obligate Radiotherapie mit 30 GY IF noch erfolgen muss. Bei einer medianen Beobachtungszeit von 46 Monaten ergab sich kein signifikanter Unterschied in Bezug auf das 5-Jahres PFS (95% vs. 97%). Damit sollten entsprechende cHL Patienten mit einem Deauville Socre < 3 im PET4 keine konsolidierende Radiotherapie mehr erhalten.
Die optimale Therapie des fortgeschrittenen cHL wird weiterhin intensiv studiert und die Immuntherapie mit PD1 blockierenden Antikörpern stellt sicherlich einen zunehmend bedeutsameren Bestandteil dar. Offen ist die Frage, ob bei rezidivierten bzw. refraktären cHL Patienten primär eine Immuntherapie mit Brentuximab vedotin oder PD1 blockierenden Antikörper erfolgen soll. Diese Fragestellung wurde nun in der KEYNOTE-204 Studie an 300 Patienten randomisiert getestet. Dabei zeigte sich im direkten Vergleich eine signifikante Überlegenheit des PD1 Antikörpers Pembrolizumab mit einem PFS von 13.2 vs. 8.3 Monaten. Auch aufgrund des Toxizitätsprofils sollten daher PD1 blockierende Antikörper frühzeitig im Rezidiv eingesetzt werden.
Bei den indolenten Lymphomen setzt sich der Siegeszug sog. targeted therapies fort und in verschiedenen Studien konnten insbesondere Daten zur BTK-Inhibitor (BTKi) Therapie vorgestellt werden. Aus meiner Sicht bedeutsam ist die ASPEN Studie, die den neuen BTKi Zanubrutinib vs. den bisher verfügbaren und klinisch etablierten BTKi Ibrutinib in der Erstlinientherapie von Morbus Waldenström Patienten getestet hat. Beide BTKi zeigten eine hohe Wirksamkeit mit einem nahezu identischen 12-Monats PFS von 87% (Ibrutinib) vs. 89 % (Zanubrutinib).

Klinisch auffallend war jedoch eine deutlich geringere Toxizität von Zanubrutinib und es traten insbesondere weniger kardiale Nebenwirkungen (Vorhofflimmern nur 2% für Zanubrutinib vs. 15% für Ibrutinib) und klinisch relevante Blutungsereignisse auf. Es ist zu hoffen, dass uns Zanubrutinib bald im klinischen Alltag zur Verfügung stehen wird.
Auf dem Gebiet des Multiplen Myeloms wurden verschiedene Kombinationstherapien, u.a. auch mit der Phase III ANDRMOMEDA zur Behandlung der AL Amyloidose vorgestellt. Dabei wurde randomisiert geprüft, ob die Hinzunahme von Daratumumab zur Standardtherapie CyBorDex (Cyclophosphamid, Bortezomib, Dexamethason) die Ansprechraten und insbesondere die AL-typischen Organtoxizitäten reduzieren kann. Erfreulicherweise liess sich diese Annahme bestätigen und es zeigte sich neben einer höheren hämatologischen CR Rate (53% vs. 18%) auch eine höhere Organansprechrate nach 6 Monaten (kardiologisches Ansprechen 42% vs. 22% und renales Ansprechen 54% vs. 27%). Da der Erhalt der Organfunktion wesentlich den Verlauf der AL-Amyloidose bestimmt, sollte die Dara-CyBorDex Kombination rasch Standard werden.
Als letztes noch ein paar Worte zur Behandlung des älteren Menschen mit AML, da auf diesem Gebiet wirksame Substanzen bisher fehlen und intensive Therapien nicht eingesetzt werden können. Einzig hypomethylierende Substanzen wie Azacytidine oder Decitabine erzielen marginale Erfolge. In der nun vorliegenden VIALE-A Studie wurde Azacytidine (AZA) mit Placebo respektive dem BCL2 Inhibitor Venetoclax (VEN) kombiniert und in der de-novo Therapie älterer AML Patienten getestet. Dabei zeigte sich für die AZA + VEN Kombination eine signifikante Verlängerung des medianen Überlebens mit 14,7 vs. 9,6 Monaten.
Neben dem längeren Überleben konnte zudem eine Reduktion der Supportivtherapien und hier insbesondere der Bluttransfusionen erreicht werden. Damit ist zu hoffen, dass diese Therapie möglichst rasch unseren älteren AML Patienten zur Verfügung stehen wird.

Ich hoffe, mit den kurz skizzierten Studien Ihr Interesse geweckt zu haben und verbleibe mit freundlichen Grüssen,

Prof. Dr. med. Christoph Renner

Chronische lymphatische Leukämie

Obinutuzumab als Backbone der Erstlinientherapie

Bei In der HOVON139/GIVe konnte bei therapienaiven, FCR-unfitten Patienten durch zwei Zyklen Obinutuzumab (Obi) als Prä-Induktionstherapie vor der Kombination mit Venetoclax (Ven) das Risiko für ein Tumor-Lyse-Syndrom reduziert und hohe Ansprechraten (Gesamtansprechrate nach 12 Zyklen Obi-Ven: 97%) mit einer hohen Rate an Patienten mit einer nicht mehr nachweisbaren Residualerkrankung (uMRD, 88% im Knochenmark) erreicht werden (1).
Die CLL2-GIVe Studie schloss 41 bisher unbehandelte Hochrisikopatienten [TP53-Mutation und/oder del(17p)] unabhängig von Alter und Komorbiditäten ein (2). Sie erhielten während 6 Monaten Obi, Ibrutinib (Ibr) und Ven. Beim finalen Re-Staging (Zyklus 15) zeigte sich eine beachtliche Ansprechrate und hohe Raten einer uMRD im peripheren Blut und Knochenmark.
Die multizentrische offene Phase-3-Studie CLL14 schloss 432 bisher unbehandelte Patienten mit Komorbiditäten ein. Sie erhielten entweder 6 Zyklen Ven-Obi gefolgt von 6 Zyklen Ven oder 6 Zyklen Chlorambucil-Obi (Clb-Obi) gefolgt von 6 Zyklen Clb (3). Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 39,6 Monaten ergab sich für Ven-Obi ein signifikant besseres medianes progressionsfreies Überleben (PFS) im Vergleich zu Clb-Obi (nicht erreicht vs. 35,6 Monate, HR 0.31 [0.22-0.44], p < 0.001). Im peripheren Blut wiesen 18 Monate nach Behandlungsende 47,2% der Ven-Obi Patienten und 7,4% der Patienten im Vergleichsarm eine nicht mehr nachweisbare minimale Residualerkrankung (uMRD, < 10-4) auf. Die Sicherheitsanalyse ergab eine tiefe Rate an Nebenwirkungen mit einem leichten Anstieg an sekundären Primärtumoren in der Post-Therapie-Phase (6,4% nach Ven-Obi und 1,9% nach Clb-Obi). Eine zusätzliche Analyse zeigte, dass Patienten mit einem partiellen Ansprechen und einer uMRD ein vergleichbar gutes PFS erreichten wie Patienten mit komplettem Ansprechen und uMRD (4).

red.

1. Levin MD et al. Obinutuzumab and venetoclax in untreated unfit patients with chronic lymphocytic leukemia. EP688
2. Huber H et al. CLL2-GIVE, a prospective, open-label, multicenter phase-II trial of obinutuzumab, ibrutinib, plus venetoclax in untreated patients with CLL with 17p deletion / TP53 mutation. S157.
3. Al-Sawaf O et al. Fixed-duration venetoclax-obinutuzumab for previously untreated chronic lymphocytic leukemia: follow-up of efficacy and safety results from the multicenter, open-label, randomized phase 3 CLL14 trial. S155.
4. Al-Sawaf O et al. Characteristics and outcome of patients with chronic lymphocytic leukaemia and partial response to venetoclax-obinutuzumab. EP699

Rezidiviertes/refraktäres Hodgkin-Lymphom

Pembrolizumab ist ein neuer Behandlungsstandard

Patienten mit einem rezidivierten bzw. refraktären klassischen Hodgkin-Lymphom (r/r cHL) haben eine schlechte Prognose, wenn sie aufgrund von Komorbiditäten oder Alter nicht für eine autologe Stammzelltransplantation in Frage kommen oder nach einer Transplantation ein Rezidiv entwickeln. Im Rahmen der Phase-3-KEYNOTE-204-Studie wurde der PD-1-Inhibitor Pembrolizumab bzgl. Wirksamkeit und Sicherheit mit Brentuximab Vedotin bei Patienten r/r cHL verglichen.

Die Patienten erhielten randomisiert entweder 200 mg Pembrolizumab oder 1.8 mg/kg Brentuximab Vedotin. Diese Patienten hatten entweder vor dem Rezidiv eine autologe SCT erhalten oder waren für eine solche nicht geeignet. Primäre Endpunkte der Studien waren PFS und Gesamtüberleben.
Die Monotherapie mit Pembrolizumab führte im Verglich zu Brentuximab Vedotin zu einer statistisch signifikanten Verlängerung des PFS (13,2 vs. 8,3 Monate; HR: 0,65). Neue Gesichtspunkte zum Sicherheitsprofil ergaben sich nicht. Die Überlegenheit von Pembrolizumab fand sich in allen Subgruppen auch bei Patienten mit einem primär refraktären Verlauf bzw. bei Patienten ohne vorangegangene SCT. «Pembrolizumab stellt eine bevorzugte Behandlungsoption, ja sogar einen neuen Behandlungsstandard für Patienten mit einem r/r cHL dar, die nach einer SCT ein Rezidiv entwickeln oder für die autologe SCT nicht in Frage kommen», so der Studienautor Dr. Pier Luigi Zinzani, Bologna.

PS

Akute lymphoblastische Leukämie

Chemotherapie plus Bestrahlung vor der Stammzelltransplantation

Die Behandlung der ALL im Kindesalter ist eine grosse Erfolgsgeschichte, d.h. über 90% werden durch eine moderne Chemotherapie geheilt. Doch bei 10% verläuft die Erkrankung resistent oder es kommt zu einem Rezidiv. Dann kommt die Transplantation hämatopoetischer Stammzellen von einem Spender (allogene HSZT) zum Einsatz. Dadurch können 50 – 80% der Transplantierten geheilt werden.

Der Goldstandard für die Konditionierung vor der Transplantation ist die Kombination aus Ganzkörperbestrahlung (TBI) plus Hochdosischemotherapie. Doch damit sind eine Reihe von Risiken im späteren Leben assoziiert: Sterilität, Wachstumsverzögerung, Lungenprobleme und sekundäre Malignome. Deshalb wurde im Rahmen einer Studie (FORUM-Studie) der Frage nachgegangen, ob auf eine TBI verzichtet werden kann. Doch die alleinige Chemotherapie zeigte deutlich schlechtere Ergebnisse, so dass die Studie aus ethischen Gründen vorzeitig abgebrochen wurde.

Kurz und knapp

COVID-19-Infektion

Die Sichelzellkrankheit ist ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf

Im Rahmen der COVID-19-Pandemie wurde in England ein neues Versorgungsnetzwerk geschaffen. Damit sollen nationale Daten und Verläufe einer COVID-19-Infektion bei Patienten mit einer Hämoglobinopathie insbesondere der Sichelzellanämie erfasst und ausgewertet werden.
Die Analyse bis Anfang Juni ergab, dass auch bei Patienten mit einer Sichelzellanämie die Mehrheit der Fälle einen milden Verlauf zeigt und auch Kinder keinem erhöhten Risiko zu unterliegen scheinen. Doch bei Erwachsenen mit einer Sichelzellanämie scheinen schwerere Verläufe etwas häufiger zu sein, so dass solche als Risikopatienten angesehen werden sollten.

PS

Follikuläres Lymphom

In In der laufenden Phase-IV-Studie GAZELLE wird untersucht, ob Obinutuzumab bei therapienaiven Patienten mit einem follikulären Lymphom ab dem 2. Zyklus rascher (über 90 Minuten) infundiert werden kann, ohne dass es zu einer erhöhten Rate an infusionsassoziierten Nebenwirkungen (IRR) > Grad 3 kommt (1). Die eingeschlossenen Patienten (bisher 69 von 112) müssen den ersten Zyklus ohne IRR Grad 3 oder 4 toleriert haben.
In einer Phase Ib/II-Studie wird bei rezidivierten/refraktären Patienten die Kombination aus Polatuzumab vedotin – ein gegen CD79b gerichtetes Antikörper-Wirkstoff-Konjugat – mit Obinutuzumab (Obi) und Venetoclax (Ven) als Induktionstherapie gefolgt von einer Obi-Ven-Erhaltungstherapie untersucht (2). Eine erste Interimsanalyse mit 15 hinsichtlich Wirksamkeit auswertbaren Patienten ergab am Ende der Induktionstherapie eine Gesamtansprechrate von 87%, bei 60% Komplettremissionen.

red.

1. Hübel K et al. Obinutuzumab short duration infusion in previously untreated advanced follicular lymphoma: an ongoing study. PB2191.
2. Yuen S et al. Polatuzumab vedotin + obinutuzumab + venetoclax in patients with relapsed/refractory follicular lymphoma: interim analysis of a phase Ib/I trial. EP1162.

CLL

Ein neues Erstlinien-Therapieschema bewährt sich

Die Prognose der CLL bei Hochrisikopatienten ist weiterhin trotz grosser Fortschritte ernst. Im Rahmen der CLL2GIVe-Studie wurde ein neues Erstlinienschema bei Patienten mit hohem Risiko, d.h. einer 17p-Deletion und/oder TP53-Mutation untersucht.

Bei diesem Therapieschema erhalten die Patienten in den ersten sechs Monaten die drei Wirkstoffe Obinutuzumab, Venetoclax und Ibrutinib gefolgt von der Zweier-Kombination Venetoclax und Ibrutinib über weitere sechs Monate. Anschliessend wird eine Erhaltungstherapie mit Ibrutinib dann durchgeführt, wenn bis dahin keine nicht mehr nachweisbare Resterkrankung (MRD) oder keine vollständige Remission nach IWCLL-Kriterien erreicht ist.
Das Behandlungsschema ist eine dem Ansprechen angepasste limitierte Therapie. Die Rate an vollständigen Remissionen betrug 58,5%. Bei 80,5% der Patienten war nach 15 Zyklen im peripheren Blut keine MRD mehr nachweisbar. Das Sicherheitsprofil war akzeptabel. „Demnach ist das GIVe-Schema eine vielversprechende Erstlinientherapie für CLL-Patienten mit einem hohen Risiko“, so die Studienautorin Dr. Henriette Huber, Ulm.

PS

Darutumumab

Eine neue vielversprechende Therapieoption bei der Amyloidose

Im Rahmen der ANDROMEDA-Studie wurde die Wirksamkeit des AntiCD38-Antikörpers Darutumumab bei der Leichtketten-Amyloidose untersucht. Die Ergebnisse sind vielversprechend.

Die Leichtkettenamyloidose ist eine seltene und potenziell tödliche Systemerkrankung. Sie entsteht, wenn abnorme Plasmazellen im Knochenmark abnorme Antikörperstücke, sogenannte Leichtketten, bilden, die zu Amyloid verklumpen. Dieses kann in allen Organen abgelagert werden. Besonders betroffen sind Herz, Nieren und Nervensystem.
Bisher gibt es keine zugelassenen Behandlungsmöglichkeiten. Oft werden Chemo-basierte Kombinationen eingesetzt, die aber nur eine begrenzte Wirksamkeit zeigen. Daratumumab ist der erste und einzige subkutan applizierbare AntiDC38-Antikörper, der weltweit zur Behandlung des Multiplen Myeloms zugelassen ist. Im Rahmen einer Phase-III-Studie (ANDROMEDA-Studie) wurde dieser Antikörper zusammen mit Cyclophosphamid (Cy), Bortezomib (Bor) und Dexamethason (D) bei Patienten mit einer Leichtkettenamyloidose eingesetzt und mit der Kombination CyBorD verglichen. Als primärer Endpunkt wurde Gesamtansprechrate festgelegt. Diese lag nach sechs Monaten bei der Kombination D-CyBorD bei 53% im Vergleich zu nur 18% unter CyBorD allein. Bei kardialer Amyloidose lagen die Ansprechraten bei 42% vs. 22% und bzgl. der renalen Manifestation bei 54% vs. 27%. Das Sicherheitsprofil der Kombination D-CyBorD war akzeptabel und entsprach dem in früheren Studien mit D dokumentierten. „Die ANDROMEDA-Studie ist eine neue vielversprechende Behandlungsoption für Patienten mit einer neu entdeckten Leichtketteamyloidose, die dringend neue Behandlungsmöglichkeiten benötigen“, so die Studienautorin Dr. Efstathios Kastritis, Athen.

PS

Myelodysplastisches Syndrom

Vielversprechende Behandlungsergebnisse mit Imetelstat

Im Rahmen der IMerge-Studie wurde die Wirksamkeit und Sicherheit des neuartigen Telomerase-Hemmers Imetelstat bei Patienten mit einem myelodysplastischen Syndrom (MDS) mit geringem Risiko evaluiert.

Eingeschlossen in diese Phase-II-Studie wurden 38 Patienten mit einem MDS, die nicht-del(5q) sind, auf eine Erythrozytentransfusion angewiesen sind oder nach einer Therapie mit Erythropoese-stimulierenden Substanzen einen Rückfall erreichen oder auf eine solche nicht ansprechen. Als primärer Wirksamkeitsendpunkt der Studie war die Rate an Patienten, die in den ersten 8 Wochen nach Beginn der Studie keine Erythrozytentransfusionen benötigten., definiert. Ein Follow up nach 24 Monaten ergab folgendes:
l 16 Patienten (42%) erreichten eine 8-wöchige Freiheit von Erythrozytentransfusionen, 12 dieser Responder (75%) zeigten einen Hb-Anstieg von > 3 g/dL im Vergleich zur Vorbehandlung.

  • 12 Patienten (32%) erreichten eine 24-wöchige Freiheit von Erythrozytentransfusionen.
  • 11 Patienten (29%) waren mehr als 1 Jahre lang transfusionsfrei, wobei das längste transfusionsfreie Intervall 2,7 Jahre betrug.
  • Die mediane Dauer der Transfusionsfreiheit betrug 88 Wochen, die längste bisher beobachtete Dauer bei einem Non-del(q5) LR-MDS.
  • Eine erythroide hämatologische Verbesserung wurde bei 26 Patienten (68%) nach einer medianen Dauer von 93 Wochen erreicht.
  • Die Dauerhaftigkeit der Tranfusionsfreiheit sowie die zytogenetische und die molekularbiologisch nachweisbare Reduktion maligner Klone bei einigen Patienten könnten auf eine mögliche krankheitsmodifizierende Wirkung von Imetelstat hinweisen.
  • Die am häufigsten beobachteten unerwünschten Ereignisse waren reversible Grad > 3 –Zytopenien.

PS

Das Potential des Hippo-Pfads

Dey A et al. Targeting the Hippo pathway in cancer, fibrosis, wound healing and regenerative medicine. Nat Rev Drug Discov 2020 Jun 17. doi: 10.1038/s41573-020-0070-z

Der Hippo-Pfad ist den klinischen Onkologen wohl bislang weniger vertraut als der EGFR- oder HER2-pathway. Er trägt jedoch das Potential, dass einige seiner Mitspieler mit der Zeit klinik-relevant werden könnten. Das Hippo-Gen wurde in Drosophila entdeckt (wie viele andere Gene), das Hippo Netzwerk (mit vollem Namen Salvador-Warts-Hippo pathway) besteht jedoch aus zahlreichen molekularen Signalen, die eines gemeinsam haben: sie stürzen sich alle auf die Funktion von zwei transkriptionell aktiven Faktoren, YAP («YES-associated protein», wohl ein Onkogen) und TAZ (Transcriptional co-Activator with PDZ-binding motif, auch bekannt als WWTR1, i.e. WW-domain containing Transcription Regulator 1, um es kompliziert zu machen!). Im Zellkern regulieren diese beiden Proteine weitere Transkriptionsfaktoren, die ihrerseits manches Gen an- oder abschalten, das für Zellproliferation oder Überleben von Zellen (unter anderen auch von Stammzellen) essentiell ist – vielleicht in Krebszellen unpassend aktiv oder inaktiv, wenn die Regulationsmechanismen aus dem Ruder gelaufen sein sollten. Der Name Hippo stammt daher, dass das Hippo-Gen mithilft, beim Wachstum die Organgrösse zu bestimmen; bestimmte Mutationen führen zu Organomegalie. Wer auf einer Afrika-Safari einem verärgerten Hippo begegnet ist (Abb. 1), wird es zu schätzen wissen, dass die Natur vorsieht, die Grösse von Tieren streng zu regulieren.
Wo sind denn der Zusammenhang mit molekularer Onkologie und das Potential zur Entwicklung neuer Krebsmedikamente zu sehen? YAP und TAZ weisen in menschlichen Neoplasien zwar selten spezifische Mutationen auf; sie zeigen aber oft Genamplifikation (z.B. in HNO- und Zervixkarzinomen), die mit Metastasierungspotential und Therapieresistenz (Chemotherapie, EGFR- oder BRAF-Inhibitoren) korrelieren. YAP-Expression ist erhöht bei ca 70% aller Mesotheliome; und YAP Suppression in Mesotheliom-Zell­linien hemmt deren Wachstum in vitro. Ein Fusionsgen, gebildet aus WWTR1 alias TAZ und CAMTA1 (CAlModulinbinding Transcription Activator 1) kommt in fast allen epitheloiden Hämangioendotheliomen vor; und eine derartige Häufung kann wohl kein Zufall sein. Der Hippo-Pfad ist auch in der Modulation des Immunsystems wesentlich. Patienten mit modellhaften seltenen Gendefekten im Hippo pathway zeigen Immundefekt-Syndrome oder eine Tendenz zu Autoimmunkrankheiten. YAP und TAZ können die Expression von PD-L1 stimulieren (da wären klinische Onkologen wieder auf vertrautem Territorium). Die Kombination des YAP-Blockers Verteporfin und eines anti-PD1-Antikörpers supprimiert Krebszellwachstum im Kulturfläschchen – ob auch bei unseren Patienten, wird man erst noch prüfen müssen.
Wer’s gerne gründlicher und viel komplizierter mag, der lese den ganzen Übersichtsartikel, und sei es weniger wegen der onkologischen Praxis, sondern aus reiner Neugierde, was in den nächsten Jahren vielleicht klinisch auf uns zukommen mag.
Mein Blick bei der Jagd nach info@onko Papers ist übrigens an diesem Artikel wegen des Stichworts «Hippo» hängen geblieben (Abb. 1); ich komme halt von Afrika und seiner Tierwelt nicht los. Anhand dieses Stichworts bin ich einigen Themen der zoologischen Onkologie nachgegangen. Haben Flusspferde (Hippopotamus amphibius) mehr oder weniger Krebs als Homo sapiens? Die Literatursuche in PubMed zu diesem Thema ist unergiebig, da das Suchsystem auf das Key word «Hippo» oder «Hippopotamus» ausschliesslich Literatur zum … Hippo pathway zu Tage fördert. Immerhin fand ich, dass afrikanische Elefanten (Loxodonta africana) viel seltener an Krebs sterben als wir Menschen (JAMA 2015; 314: 1850); vielleicht, weil sie pro Zelle zahlreiche Kopien des p53-Tumorsuppressor-Gens besitzen, und wir nur lumpige zwei (Abb. 2). Auf einer Reise durch die USA blieb mein Blick in einem Supermarket an einer Packung Shark Cartilage hängen – Extrakte aus Haifischknorpel waren mindestens früher in den USA ebenso beliebt gegen Krebs wie hierzulange Iscador. Grund dafür war die Behauptung, Haifische hätten kaum je Krebs (Lane IW & Comac L «Sharks don’t get cancer» Avery Publ 1992»). Eine neuere Arbeit widerlegt diese muntere Ansicht (J Fish Dis 2016; 39: 1269). Haie wurden bisher klinisch und bioptisch zu wenig genau untersucht. Tatsächlich darf man davon ausgehen, dass die Haie eher die Taucher biopsieren (mit grosszügigen Gewebeentnahmen), als die Taucher die Haie.

Stellenwert des PSMA-PET beim Prostatakarzinom

Hofmann MS et al. Prostate-specific membrane antigen PET-CT in patients with high-risk prostate cancer before curative-intent surgery or radiotherapy (proPSMA): a prospective ran-domised multicentre study. Lancet 2020; 395: 1208.

Männer mit bioptisch belegtem Prostatakarzinom und Hochrisiko-Faktoren (PSA > 20, T3 Stadium und andere) wurden vor kurativer Therapie (Chirurgie oder Radiotherapie) randomisiert in einen Standard-Staging Arm mit CT und Technetium99M-Knochenszintigramm oder in einen Arm mit prätherapeutischem PSMA-PET-CT. Wie üblich beim Vergleich zweier diagnostischer Methoden wurden Sensitivität und Spezifität der Techniken verglichen zur Frage, ob pelvine Lymphknoten-Metastasen und/oder Fernmetastasen aufgedeckt wurden. Die Annahme war, dass PSMA-PET-CT präziser wäre. PSMA-PET-CT schnitt deutlich besser ab.
In der Onkologie ist der eigentliche diagnostische Gold-Standard die histopathologische Untersuchung tumorverdächtiger Herde. Selbstverständlich wäre es in einer Studie wie der vorliegenden undenkbar, alle mit der einen oder anderen bildgebenden Technik aufgespürten Herde zu biopsieren.
Somit stellt sich die Frage, ob der aktuelle etablierte Gold-Standard der Bildgebung gut gewählt war. Anstelle eines konventionellen CT kombiniert mit einem Skelett-Szintigramm wären ein konventionelles FGD-PET-CT oder vor allem ein Cholin-PET-CT zu diskutieren (Abdom Radiol 2020; 45:2165). FDG-PET ist wohl am ehesten bei kastrationsrefraktären Prostatakarzinomen brauchbar und somit nicht bei der Erstdiagnose. Das «Cholin-Pet» wurde initial als Fortschritt gewertet. Cholin ist eine Komponente von Phospholipiden in der Zellmembran. Vermehrte Proliferation von Krebszellen impliziert höhere Cholinaufnahme, und das Enzym Cholinkinase ist bei Prostatakarzinom nicht selten überaktiv. 18F-Cholin wird durch den Urin ausgeschieden, was die diagnostische Darstellung der Prostata selber erschweren mag. Sensitivität und Spezifität sind nicht ideal, und diese Art von PET ist vor allem bei fortgeschrittenen Karzinomstadien nützlich – das entspricht nicht der vorliegenden Ausgangslage. Somit war die Wahl von CT und klassischem Knochenszintigramm wohl vertretbar – ein zusätzlicher 18F-Cholin-Arm wäre wünschenswert gewesen, hätte die Patientenzahl jedoch bestimmt deutlich erhöht. 18F-Cholin wird in der Praxis durch 68Ga PSMA-PET zunehmend abgelöst. Die Halbwertszeiten der «tracer» sind unterschiedlich (18F-Cholin und 18F-FDG 110 Min; 68Ga-PSMA ca. 60 Min). Der Nachteil des PSMA-PET, die etwas ungünstige Sensitivität bei Tumoren unter Androgen-Ablation, die zu Unterdrückung der PSA-Expression führt, ist bei der Neudiagnose nicht relevant. Ein Vergleich von 18F-Cholin und 18F-PSMA (statt 68Ga-PSMA) sprach sich ebenfalls für PSMA aus (Clin Nucl Med 2019; 44: e629).
Die ESMO Guidelines sind soeben neu erschienen (Ann Oncol 2020; https://doi.org/10.1016/j.annonc.2020.06.011). Sie sprechen sich nach wie vor für CT und Knochen-Szinti aus. Ist das richtig? Hauptargument der Spezialisten ist, dass der Einsatz der neuen
nuklearmedizinischen Techniken bisher keinen gesicherten klinischen Langzeitnutzen ergeben hat, und dem wird man wenig entgegenhalten können – fast die gesamte Literatur zum Thema erschöpft sich im Vergleich von Bildern (z.T. schwarz-weiss, z.T. farbig) ohne engen Bezug auf den klinischen Verlauf. Ein Defizit, das auch die vorliegende Arbeit aufweist.

COVID-19 – die Register-basierte TERAVOLT Studie

Garassino MC et al. Covid-19 in patients with thoracic malignancies (TERAVOLT): first results of an international registry-based cohort study. Lancet Oncol 2020 https://doi.org/10.1016/S1470-2045(20)30314-4.

Das Thoracic Cancers International COVID-19 Collaboration (TERAVOLT) Register sammelt Daten von Patienten mit Thoraxtumoren und einer Covid-19 Infektion. Die beteiligten Institutionen sind international (L’ Aquila, Alessandria, Ancona, Bergamo, Bologna, Brescia, Cremona, Firenze, Genova, Milano, Parma, Pavia, Piacenza, Ravenna, Rom, Rozzano, Varese – alle IT, Barcelona, Madrid – beide E, Grenoble, Marseille, Paris, Toulouse – alle FR, Edegem BE, Rotterdam NL, Portsmouth UK, Lausanne CH, Nashville TN, Stanford CA, Washington DC – alle US, und Guangzhou China). Auffallend ist, dass viele dieser Zentren entweder aus Ländern stammen, die sich mit der Covid-Krise besonders schwer tun (UK, USA) oder aus Spitälern, die in ihrem Einzugsgebiet einen besonders hohen Anfall von Covid-Patienten zu bewältigen hatten (IT, CH). Medianes Alter der 200 ausgewerteten Patienten 68 Jahre, Raucher 80%, NSCLC 75%. Mortalität 33%. Nur 10% aller Patienten, die potentiell auf einer IB hätten betreut werden sollen, wurden wirklich auf einer Intensivstation behandelt. Rauchen war assoziiert mit einer deutlich erhöhten Todesrate.
Eine praktisch relevante Datenkollektion. Oberflächlich betrachtet scheinen Tumorpatienten (hier praktisch alles Patienten mit NSCLC) eine besonders schlechte Prognose zu haben, wenn sie an Covid-19 erkranken. Allerdings ist der gemeinsame pathogenetische Nenner möglicherweise die Noxenexposition, die zu Gefässschäden führt UND zu NSCLC; somit ist das Lungenkarzinom ein Marker für einen ungünstigen Covid-19 Verlauf, und per se nicht der direkte Grund. Ferner ist das mediane Alter hoch als bekannter Risikofaktor für einen schweren Verlauf. Die Daten stammen aus Ländern, die sich teilweise im Umgang mit Covid-19 besonders schwer tun (UK, USA) oder besonders hart getroffen wurden (Norditalien, Spanien). Inwiefern sie für die Schweiz zutreffen, muss derzeit offen bleiben. Die geringe Zuweisungsrate auf Intensivstationen beispielsweise mag direkt durch scharfe Triage wegen IB-Kapazitätsengpässen bedingt sein. Genau diese Sorge war ja treibende Kraft bei den Entscheiden der Schweizer Behörden, die zu unserem «lockdown» im März und April 2020 führten.
Der englische Begriff «lockdown» steht übrigens im Deutschen für «Ausgangssperre», die in der Schweiz gar nicht praktiziert wurde, ferner für «Sperre» oder …. «Lockdown». Warum nicht Deutsch sprechen oder schreiben?

«Just a spoonful of sugar makes the medicine go down!» (Mary Poppins, 1964)

Pils S et al. Effect of viewing Disney movies during chemotherapy on self-reported quality of life among patients with gynecologic cancer. A randomized clinical trial. JAMA Network Open 2020; 3: e204568. doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.4568

Frauen mit gynäkologischen Neoplasien erhielten 6 Zyklen Chemotherapie von Carboplatin mit oder ohne Taxol, oder Carboplatin und liposomales Doxorubicin. Gemäss Randomisation schauten sie sich während der Chemotherapieverabreichung alte Disney Filme an («Mary Poppins», «Jungle Book», «Aristocats» und andere), oder eben nicht. Der primäre Endpunkt war die Lebensqualität erfasst mit validierten EORTC-Fragebogen. Patientinnen in der Disney-Gruppe waren weniger angespannt, zeigten weniger «fatigue» und eine geringere Beeinträchtigung ihrer sozialen Interaktionen.
Eine kleine sympathische und durchaus saubere Studie mit einem sympathischen Resultat. Was in den USA schon lange üblich ist (Filme und ein reiches TV channel Angebot in onkologischen Polikliniken), ist in Westeuropa (diese Studie stammt aus Wien) noch keineswegs etabliert. In der technischen Welt unserer Ambulatorien dürften mehr Beachtung eines «human touch» und eine Verbesserung der Atmosphäre einiges bringen – wir vernachlässigen das. Stil, Zuwendung und positive Stimmung sind aber «The bare necessities of life» für Krebspatienten; Infusionsnadeln, klickende Infusomaten in Alarmstimmung und Plastikschläuche vermitteln genau diese Aspekte nicht. Wie nachhaltig der günstige Effekt der Disney-Streifen auf die Lebensqualität war, bleibt offen. Das ist meines Erachtens kein Argument dagegen, den PatientInnen den Aufenthalt in einer onkologischen Poliklinik so angenehm und so stimmungsvoll wie möglich zu gestalten. Supercalifragilisticexpialidocious!

Prof. em. Dr. med. Martin Fey

Bern

martin.fey@insel.ch

Beratungsmandat bei Nestlé Health Sciences, Epalinges, Aktien von Novartis, Roche und Johnson & Johnson

Vier versus sechs Zyklen CHOP-Chemotherapie in Kombination mit sechs Gaben von Rituximab

Vier versus sechs Zyklen CHOP-Chemotherapie in Kombination mit sechs Gaben von Rituximab bei Patienten mit aggressivem B-Zell-Lymphom mit günstiger Prognose (FLYER): eine randomisierte, Phase 3 non-inferiority Studie

Quelle: Porschel V et al. Four versus six cycles of CHOP chemotherapy in combination with six applications of rituximab in patients with aggressive B-cell lymphoma with favourable prognosis (FLYER): a randomised, phase 3, non-inferiority trial. Lancet 2019; 394: 2271–81

Hintergrund

Sechs Zyklen R-CHOP (Rituximab plus Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednison) ist die Standardbehandlung für das aggressive B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom. In der FLYER-Studie wurde untersucht, ob vier Zyklen CHOP plus sechs Gaben von Rituximab bei einer Patientenpopulation mit B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom mit günstiger Prognose nicht schlechter als sechs Zyklen R-CHOP sind.

Methoden

Flyer ist eine zweiarmige, offene, internationale, multizentrische, prospektive, randomisierte Phase 3-non-inferiority Studie, die an 138 Standorten in Dänemark, Israel, Italien, Norwegen und Deutschland durchgeführt wurde. Es wurden Patienten im Alter von 18-60 Jahren mit Krankheitsstadium I-II, normaler Serum-Laktatdehydrogenase, ECOG-Leistungsstatus 0-1, und ohne «bulky disease» (maximaler Tumordurchmesser <7.5 cm) rekrutiert. Die Randomisierung wurde computergestützt und zentral in einem Verhältnis von 1:1 durchgeführt unter Verwendung des Pocock-Minimierungsalgorithmus nach Stratifizierung für Zentren, Stadium (I vs. II) und extralymphatischen Manifestationen (nein vs. ja). Die Patienten erhielten entweder sechs Zyklen R-CHOP oder vier Zyklen R-CHOP plus zwei Dosen Rituximab. CHOP umfasste Cyclophosphamid (750 mg/m²), Doxorubicin (50 mg/m²) und Vincristin (1-4 mg/m²), in einer maximalen Gesamtdosis von 2 mg, die alle am Tag 1 intravenös verabreicht wurden, plus orales Prednison oder Prednisolon nach Ermessen des Prüfarztes (100 mg) an den Tagen 1-5. Rituximab wurde in einer Dosis von 375 mg/m² Körperoberfläche gegeben. Die Zyklen wurden alle 21 Tage wiederholt. Mit Ausnahme der Behandlung des Hodenlymphoms war keine Strahlentherapie geplant. Der primäre Endpunkt war das progressionsfreie Überleben nach 3 Jahren. Die primäre Analyse wurde in der Intention To Treat Population durchgeführt. Die Sicherheit wurde bei allen Patienten beurteilt, die mindestens eine Dosis der zugeteilten Behandlung erhielten. Es wurde ein Nicht-Unterlegenheits-Bereich von -5.5% gewählt.

Resultate

Zwischen dem 2. Dezember 2005 und dem 7. Oktober 2016 wurden 592 Patienten eingeschlossen, von denen 295 Patienten zu sechs Zyklen R-CHOP und 297 zu vier Zyklen R-CHOP plus zwei Dosen Rituximab randomisiert wurden. Vier Patienten in der Vier-Zyklen-Gruppe zogen vor Beginn der Behandlung ihre Zustimmung zurück, so dass 588 Patienten in die Intention To Treat Analyse einbezogen werden konnten. Nach einem medianen Follow-up von 66 Monaten (IQR 42-100) betrug das 3 Jahre progressionsfreie Überleben bei Patienten, die vier Zyklen R-CHOP plus zwei Dosen Rituximab erhielten, 96% (95% CI 94-99), was 3% besser war (die Untergrenze des einseitigen 95% CI für die Differenz betrug 0%) als sechs Zyklen R-CHOP. Dies beweist die Nichtunterlegenheit des Vier-Zyklen-Regimes. 294 hämatologische und 1036 nicht hämatologische unerwünschte Ereignisse wurden in der Gruppe mit vier Zyklen im Vergleich zu 426 hämatologischen und 1280 nicht hämatologischen unerwünschten Ereignissen in der Gruppe mit sechs Zyklen dokumentiert. Zwei Patienten, beide in der Sechs-Zyklen-Gruppe, starben während der Studie.

Interpretation

Bei jungen Patienten mit aggressivem B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom und günstiger Prognose sind vier Zyklen R-CHOP nicht schlechter als sechs Zyklen R-CHOP, mit relevanter Reduzierung der toxischen Wirkungen. Somit kann die Chemotherapie reduziert werden, ohne die Ergebnisse in dieser Population zu gefährden.

Fazit

• Verschiedene Studien haben erfolglos versucht, das Ansprechen auf die Standard-Therapie mit R-CHOP beim Diffusen Grosszelligen B-Zelllymphom (DLBCL) weiter zu verbessern. Das suggeriert, dass ein Wirksamkeitsplateau erreicht wurde, insbesondere bei Patienten mit niedrigem Risiko, welche eine exzellente Prognose aufweisen.
• Die FLYER-Studie ist unseres Wissens die erste Studie, welche eine weniger intensive Immun-Chemotherapie bei jüngeren Patienten (18-60 Jahren) mit DLBCL und niedrigem Risiko (keine Risikofaktoren im age-adjusted IPI und kein Bulk; spezifisch: Ann Arbor Stadium I-II, normwertige LDH, ECOG 0-1, max. Tumor-Durchmesser <7.5 cm) untersucht. Ziel war es, die Kurzzeit- und Langzeit-Toxizität zu reduzieren, ohne das Ansprechen zu verschlechtern (Non-Inferiority-Kriterium).
• Die Studie zeigt klar, dass das progressionsfreie und das Gesamtüberleben durch eine Reduktion der Therapie von 6 auf 4 Zyklen R-CHOP-21 (bei 4xR-CHOP-21 zusätzlich 2xR) nicht abnimmt. Zudem hatten Patienten in der Gruppe mit 4 Zyklen R-CHOP weniger nicht-hämatologische Nebenwirkungen und weniger Infektionen. Um eine Aussage über die Langzeit-Toxizität zu machen, ist die Beobachtungszeit zu kurz. Neben der verminderten Toxizität verursacht die kürzere Therapiedauer natürlich auch geringere Kosten. Entsprechend könnten 4 Zyklen R-CHOP mit anschliessender Gabe von zweimal Rituximab der neue Standard für jüngere DLBCL Patienten mit niedrigem Risiko werden.
• Kein Patient in dieser Studie erlitt ein ZNS-Rezidiv. Diese Beobachtung bestätigt und validiert den sog. CNS-IPI, welcher ein null-prozentiges Risiko eines ZNS-Rezidiv in dieser Patientenpopulation voraussagt.
• Ob dieses Regimen, welches in dieser Studie bei Patienten <60 Jahre untersucht wurde, auch bei älteren Patienten eingesetzt werden kann, ohne die Resultate zu verschlechtern bleibt aktuell offen. Eine Reduktion der Toxizität wäre gerade bei älteren Patienten ein klarer Vorteil. Hierzu untersuchen aktuell zwei klinische Studien den Einsatz einer PET-basierten Reduktion der Chemotherapie bei Patienten >60 Jahre mit sonst niedrigem Risiko (siehe auch unten).
• Umgekehrt stellt sich auch die Frage, ob eine PET-basierte Stratifizierung nach 4 Zyklen R-CHOP Patienten identifizieren könnte, welche von weiteren 2 Zyklen R-CHOP oder einer zusätzlichen Radiotherapie profitieren könnten. Eine Studie, welche ein ähnliches Patientenkollektiv in dieser Hinsicht untersucht hat zeigte, dass das Ansprechen von Patienten, welche nach 4 Zyklen PET-positiv waren und eine Radiotherapie erhielten im Vergleich zu Patienten mit einer kompletten Remission (nach 4 Zyklen R-CHOP) nicht schlechter war (1). Das würde eine PET-basierte Stratifizierung nach 4 Zyklen unterstützen. Zwei weitere Studien untersuchen aktuell eine solche Risiko-adaptierte Strategie (LNH 2009-1B9: NCT01285765 und OPTIMAL>60: NCT01478542).

1. Lamy T, Damaj G, Soubeyran P, et al. R-CHOP14 with or without radiotherapy in nonbulky limited-stage diffuse large B-cell lymphoma. Blood 2018; 131: 174–81.

Prof. Dr. med.Markus G. Manz

Zentrum für Hämatologie und Onkologie
UniversitätsSpital Zürich

PD Dr. med. Alexandre Theocharides

Zentrum für Hämatologie und Onkologie
UniversitätsSpital Zürich

Alexandre.Theocharides@usz.ch

Fortgeschrittenes Prostatakarzinom

In diesem 40-seitigen frei zugänglichen Paper – Resultat der Advanced Prostate Cancer Consensus Conference, APCCC 8.2019 – sind zahlreiche ausdiskutierte Empfehlungen und zusammenfassende Diskussionen zu den 10 wichtigsten Themen zur Diagnose und Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom sorgfältig und übersichtlich zusammengestellt.

Dans ce document de 40 pages en libre accès, résultat de la Conférence de consensus sur le cancer avancé de la prostate, APCCC 8.2019, de nombreuses recommandations discutées et résumant les discussions sur les 10 sujets les plus importants pour le diagnostic et le traitement des patients atteints d’ un cancer avancé de la prostate sont soigneusement et clairement compilées.

Ein Panel von 72 international anerkannten Prostatakarzinom Experten aus allen Weltgegenden haben das Programm und die entscheidenden 123 zu diskutierenden Fragen für den abschliessenden Konsensus der 3-tägigen Konferenz nach einem Delphi-Verfahren vorbereitet. Das Panel mit Stimmrecht («Panelists») bestand aus 61 Experten mit klinischer Expertise (44% Medizinische Onkologen, 30% Urologen, 14% klinische Onkologen, und 12% Radioonkologen. 35% praktizieren in Europa, 42% in Nord Amerika, und 23% in anderen Regionen der Welt), die nicht klinisch tätigen Panelmitglieder ohne Stimme waren Nuklearmediziner, Radiologen, Pathologen, Statistiker und ein Patientenvertreter. Der Kongress selber wurde von ca. 800 Teilnehmern besucht. Im Gegensatz zur Entwicklung von Guidelines ist bei diesem Konsensus-Verfahren hier nicht die vorhandene Evidenz alleine der ausschlaggebende Massstab, sondern was die Panelists selber dazu meinen, tun und auch empfehlen. Dies ist analog zum Verfahren beim internationalen St.Galler Brustkrebs Konsensus, der dies mit Erfolg seit 30 Jahren so praktiziert. Gerade dort, wo die Evidenz noch fehlt oder auch gar nicht beigebracht werden kann, sind von Experten begründete Meinungen und Erfahrungen ein wertvoller «best estimate» für die Praxis.

Die 10 Hauptthemen

Die folgende 10 Themen wurden als prioritär ausgewählt für die Fragen an die Panelists, da hier weiterhin wichtige klinisch relevante Probleme zur Diskussion bestehen. Dabei wird auch aufgezeigt, wo die zukünftige Forschung bestehende störende Wissenslücken zu schliessen hat.
1. Das lokal fortgeschrittene Prostatakarzinom
2. Das Biochemische Rezidiv des Prostatakarzinoms nach lokaler Therapie
3. Das Management des Primärtumors beim metastasierenden Prostatakarzinom
4. Das Management des neu diagnostizierten hormon-sensitiven Prostatakarzinoms (mHSPC) inklusive oligometastatischem Stadium
5. Das Management des nicht metastasierten kastrations-resistenten Prostatakarzinoms (CRPC)
6. Das Management des metastasierten CRPC
7. Fragen der Knochengesundheit und Knochenmetastasen
8. Molekulare Charakteristika des Tumorgewebes und im Blut
9. Heterogenität zwischen den Patienten
10. Nebenwirkungen der hormonellen Therapie und deren Management
Um exemplarisch aufzuzeigen, wie hier konkret vorgegangen wurde und in welcher Detaillierung zu diesen > 100 gemeinsam vorbereiteten Fragen Stellung bezogen wurde, möchten wir Themen aus 2 Bereichen herausgreifen: aus dem Thema 2, «Biochemisches Rezidiv nach lokaler Therapie» sowie Thema 7, «Fragen der Knochengesundheit und Knochenmetastasen». Als konsensfähige Entscheidung des Panels wurde eine mindestens 75% Übereinstimmung festgelegt.

Beispiel Thema 2:

Biochemischer Rückfall nach lokaler Therapie

Einleitend wird festgehalten, dass sich zurzeit durch sensitivere PSA Tests und neue bildgebende Verfahren wie das PSMA PET/CT das therapeutische Procedere verändert. Es wird auf eine Review von 20 406 Patienten mit biochemischem Rückfall hingewiesen:
Bei Patienten mit vorangehender Prostatektomie war die PSA-Verdoppelungszeit und ein höherer Gleason-Score mit einem schlechteren OS korreliert, wohingegen nach radikaler Bestrahlung die Zeitdauer bis zum biochemischen Rückfall nach Bestrahlung und auch ein höherer Gleason-Score ein schlechteres OS anzeigte. Die Leitlinien 2019 der European Association of Urology EAU empfahlen deshalb diese prognostischen Faktoren zur Stratifikation in eine Niedrig- und Hochrisikogruppe zu integrieren wie folgt:

  • Niedrigrisiko nach radikaler Prostatektomie sind eine PSA Verdoppelungszeit von >12 Monaten und eine pathologischer ISUP Grade < 4,
  • Niedrigrisiko nach radikaler Radiotherapie ist definiert durch ein > 18 Monate dauerndes Intervall nach radikaler Radiotherapie oder nach der letzten LHRH Analog Spritze und einem pathologischen ISUP Grad < 4.

Diese Kriterien wurden in einer weiteren unabhängigen retrospektiven Kohortenstudie mit 1125 Patienten mit biochemischem Rückfall validiert.
In den EAU und ASTRO/American Urological Association Leitlinien wurde ein biochemischer Rückfall nach RP bisher definiert als ein PSA > O.2 ng/ml. Die aktuelle EAU Leitlinie aber gibt keinen PSA-Schwellenwert mehr an bei einem PSA-Rückfall, vielmehr sollen dann weitere klinische Faktoren wie z.B. pathologischer ISUP, PSA-Verdoppelungszeit, pT und pN Status sowie Abstand der tumorfreien Ränder einbezogen werden, um klinische Entscheidungen zu fällen.

Folgende Fragen wurden u.a. hierzu gestellt:

Frage 10: Welche bildgebende Untersuchung wird bei ansteigendem PSA nach vorangehender radikaler Prostatektomie empfohlen?
Konsensuspanel: 80% votierten für das PSMA PET-CT
Bei Patienten mit PSA Rückfall nach radikaler Prostatektomie empfiehlt die RTOG und die American Society for Therapeutic Radiology and Oncology (ASTRO) die Definition von PSA-Zunahme von > 2ng/ml über dem PSA-Tiefstwert (Nadir), sowohl für Patienten mit wie ohne hormonelle Therapie. Für Hochrisiko-Patienten empfehlen sie nicht zuzuwarten bis eine PSA-Zunahme von > 2ng/ml erfolgt, sondern plädieren bei fitten Patienten für eine sofortige Salvagetherapie, wenn das Rezidiv bioptisch gesichert ist. Für Patienten mit niedrigem Risiko nach EAU Definition kann zugewartet werden und die Salvage Therapie aufgeschoben werden. Daten für Salvage Therapie nach Rückfall bei vorgängiger Radiotherapie sind nur wenige vorhanden und sind allenfalls geeignet für fitte Patienten mit einer noch kurativen Chance.

Frage 12: Welche bildgebende Untersuchung wird bei ansteigendem PSA nach vorangehender radikaler Radiotherapie empfohlen?
Konsensuspanel: 87% votierten für das PSMA PET-CT
Frage 15: Gesetzt es wurde dabei eine hormonelle Massnahme empfohlen in Kombination mit einer Salvage Radiotherapie, welche?
Konsensuspanel: 91% votierten für einen LHRH Agonisten oder Antagonisten.
Frage 16: Wie lange soll die systemische Hormontherapie in Kombination mit der Salvage Radiotherapie dauern?
Konsensuspanel: 79% votierten für eine Dauer von 4-12 Monaten
Frage 19: Wann soll die ADT Therapie bei Patienten ohne Metastasen und bestätigtem PSA Anstieg nach lokaler Therapie (mit oder ohne Salvage Radiotherapie) begonnen werden?
Konsensuspanel: 80% befürworteten den Start einer ADT in dieser Situation nur für ausgewählte Patienten und nicht für die Mehrheit der Patienten mit biochemischem Rezidiv.

Beispiel Thema 7:

Knochengesundheit und Knochenmetastasen

Zur Knochengesundheit und Knochenmetastasen hielt das APCCC-Panel 2017 fest, «dass bezüglicher einer Osteoklasten hemmenden Therapie sowohl der Zeitpunkt, die Dosis wie auch die Dauer ebenso wie die Ausgewogenheit von Risiko und Benefit angesichts neuer Behandlungs-Optionen des mCRPC noch umstritten sind».
Zwischenzeitlich wissen wir aber, dass mit dem ERA-223-Trial dokumentiert wurde, dass bei chemonaiven Patienten mit mCRPC einer erhöhten Rate nicht-pathologischer Frakturen unter der Kombinationstherapie mit Abiraterone-Prednison mit Radium-223 Behandlung auftrat im Gegensatz zur alleinigen Abiraterone-Prednison Gabe.
Das Thema der Knochengesundheit ist dadurch insbesondere bei HSPC (hormon-sensitiven PC-Patienten) in den Fokus gerückt gerade bei langfristiger ADT Therapie häufig heute zusammen mit Docetaxel oder Abiraterone-Prednison. Natürlich ist die langfristige Steroideinnahme per se ein wichtiger Risikofaktur für nicht-pathologische Frakturen, ebenso wie eine aktive oder zurückliegende Raucheranamnese, eine belastete Familienanamnese mit gehäuften Hüftfrakturen, Rheumatoider Arthritis, regelmässigem Alkoholkonsum von > 3 Einheiten/Tag und/oder einem hohen oder tiefen BMI.
Webbasierte Risiko Scores wie der FRAX Score (Fracture Risk Assessment) können hier hilfreich sein. Die Androgen-Deprivations-Therapie (ADT) selbst ist ebenso entsprechend dem funktio­nalen Hypogonadismus ein Risikofaktor und muss beim FRAX zusätzlich einbezogen werden.
2017 noch empfahlen nur 62% der Panelists eine basale Messung der Knochendichte (BMD) bei Start einen langdauernden ADT Therapie. Sie diskutierten, ob in dieser Situation eher Bisphosphonate (oral oder iv) oder Denosumab vorzuziehen sei zur Verhinderung von CTIBL (cancer treatment induced bone loss). Dabei muss unbedingt darauf hingewiesen werden, dass zur Reduktion des Risikos von SRE’ s (skeletal-related events) bei mCRPC Patienten eine 10mal höhere Dosis an Osteoklasten-hemmender Therapie benötigt wird als zur Verhinderung von CTIBL bei Patienten mit HSPC und langdauernder ADT-Therapie. Wie das Panel nun 2019 entschied, ist anhand einiger Fragen hier angeführt:

Frage 85: Routine Screening für Osteoporose Risikofaktoren (z.B. Raucheranamnese, Steroidbehandlungen, familiäre Belastung mit Hüftfrakturen, Anamnese mit Knochenfrakturen, Rheumatoide Arthritis, regelmässiger Konsum von > 3 Alkoholeinheiten. BMD) bei Patienten mit Prostatakarzinom und beginnender langfristiger ADT?
Konsensuspanel: 77% waren für ein routinemässiges Screening für Osteoporose-Risikofaktoren.
Frage 86: Bei Patienten mit Beginn einer langdauernden ADT Therapie gaben 65% der Panelisten an, dass sie routinemässig die Knochendichte (BMD) messen. 30% gaben an, dass sie nur bei Risikopatienten die Knochendichte messen. Die verbleibenden 5% gaben an, keine Knochendichtemessung zu machen. Es gab keine Enthaltungen.
Kein Konsens für eine dieser Optionen
Frage 91: Eine Osteoklasten-hemmende Therapie wird in der höheren Dosierung und Frequenz zur Reduktion der skelettalen Ereignisse (SRE) empfohlen, wenn eine Radium-223 bei Patienten mit mCRPC vorgesehen ist.
Konsensuspanel: 86% befürworten eine Osteoklasten-hemmende Therapie für die Mehrheit der Patienten in dieser Situation.
Frage 96: Empfehlen Sie, dass die Mehrheit der symptomatischen Patienten mit mCRPC und vorwiegend Knochenmetastasen (ohne viszerale Metastasen und grosse Lymphknotenmetastasen > 3cm) eine Radium-223 Therapie im Verlauf der Erkrankung erhalten sollen?
Konsensuspanel: 87% bejahten diese Empfehlung für eine Radium-223 Therapie bei mCRPC Patienten mit Knochenmetastasen dominantem Verlauf ohne viszerale und grosse Lymphknotenmetastasen.

Abschliessende Bemerkungen

Das strukturierte Vorgehen beim APCCC hilft gerade dort wichtige Lücken für die Praxis zu schliessen, wo die aktuelle Literatur nicht oder noch nicht klare Evidenz liefert und somit ausdiskutierte Meinungen und Empfehlungen von international anerkannten Experten weiterhelfen können. Auch zeigt der APCCC auf, wo noch weiter grosse Lücken bestehen und auch die Experten sich nicht auf ein überwiegend einheitliches Vorgehen einigen können. Auch wird klar, dass mit jeder neuen diagnostischen oder therapeutischen Verbesserung oder Innovation die Empfehlungen zu überdenken sind und somit ein solcher Prozess in regelmässigen Abständen nachjustiert werden muss.
Auch haben nicht alle Länder gleiche Voraussetzungen um diagnostische oder therapeutische Empfehlungen umsetzen zu können. Wichtig ist aber zu wissen, welches die aktuell besten Optionen überhaupt sind, welche letztlich ja alle anstreben möchten. Wir alle habe erfahren, dass das aktuelle Können und Wissen immer wieder überprüft werden muss, dass wir auch im Experten-Kollektiv falsch liegen können, auch dort wo ein sehr klarer Konsens erreicht wurde. Somit ist der APCCC mit seinen Empfehlungen eine Momentaufnahme dieser weltweiten Expertendiskussion zu sehr praxisrelevanten Fragen notabene zum häufigsten Malignom der Männer weltweit, welches lange Zeit wenig Beachtung in der akademischen Welt fand und nun mehr und mehr auch das Interesse der forschenden Industrie und der Gesundheitspolitik findet.

Gillessen S, et al. Management of Patients with Advanced Prostate Cancer: Report of the Advanced Prostate Cancer Consensus Conference 2019. Eur Urol (2020), https://doi.org/10.1016/j.eururo.2020.01.012

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Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny

Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen

thomas.cerny@kssg.ch

PD Dr. med. Aurelius Omlin

Onkozentrum Zürich
Seestrasse 259
8038 Zürich

Prof. Dr. med. Silke Gillessen

Oncologia, Ospedale Regionale di Bellinzona
Via Ospedale
6500 Bellinzona

silke.gillessen@eoc.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Patienten mit fortgeschrittenem kastrations-resistentem Prostatakarzinom haben eine ungünstige Prognose und viele diagnostische und therapeutische Fragen sind offen.
  • Die Consensus-Konferenz APCCC ruft alle 2 Jahre die Topexperten weltweit in der Schweiz zusammen, welche den Wissens- und Erfahrungsstand diskutieren und in einem elaborierten Konsensusverfahren Empfehlungen formulieren und frei zugänglich publizieren.
  • Zur Prognose Verbesserung werden heute Abiraterone, Cabazitazel, Docetaxel, Enzalutamid, Radium 223 und Sipuleucel-T (USA) ein­gesetzt.
  • Die medikamentöse Knochengesundheit spielt eine zunehmend
    wichtige Rolle.

Messages à retenir

  • Les patients atteints d’ un cancer de la prostate avancé résistant à la castration ont un pronostic défavorable et de nombreuses questions diagnostiques et thérapeutiques restent sans réponse.
  • Tous les deux ans, la conférence de consensus de l’ APCCC réunit en Suisse des experts de haut niveau du monde entier pour discuter de l’ état des connaissances et des expériences. Dans le cadre d’ un processus de consensus élaboré, des recommandations sont formulées et publiées dans un format librement accessible.
  • L’  abiratérone, le cabazitazel, le docétaxel, l’ enzalutamide, le radium 223 et le sipuleucel-T (USA) sont actuellement utilisés pour améliorer le pronostic.
  • La santé osseuse induite par les médicaments joue un rôle de plus en plus important.

Efficacy-Effectiveness Gap

Wenn Onkologen* Patienten über eine Therapie informieren, so werden sie zumeist die Evidenz (Datenlage) von klinischen Studien heranziehen und hierauf basierend einen Eindruck zum Verhältnis von Nutzen und Risiken (insbesondere unerwünschte Wirkungen) vermitteln. Da im Alltag behandelte Patienten im Durchschnitt häufig älter und gebrechlicher sind als Studienpatienten und oft eine geringere Leistungsfähigkeit (Performance Status) und mehr Komorbiditäten aufweisen (1), stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit von Studienergebnissen auf den klinischen Alltag.

Lorsque les oncologues* informent les patients sur une thérapie, ils utilisent généralement les preuves (données) issues d’ études cliniques et, sur cette base, donnent une impression de la relation entre les avantages et les risques (en particulier les effets indésirables). Étant donné que les patients traités dans la vie quotidienne sont en moyenne souvent plus âgés et plus fragiles que les patients de l’ étude et qu’  ils présentent souvent un statut de performance inférieur et plus de comorbidités (1), la question de la transférabilité des résultats de l’ étude à la vie clinique quotidienne se pose.

Die in Studien ermittelte Wirkung einer Behandlung (Medikament oder Intervention) wird als Efficacy bezeichnet. Dies im Gegensatz zur Effectiveness, welche die Wirkung im Alltag, d.h. unter real world Umständen bezeichnet. Nachfolgend werden Beispiele und Implikation für den efficacy-effectiveness gap (EEG) dargestellt und diskutiert.
In der Tabelle 1 werden Beispiele für die unterschiedliche Prognose (Gesamtüberleben) von Patienten aufgeführt, welche (i) für eine bestimmte Indikation in einer Studie behandelt wurden, (ii) welche die Ein-/Ausschlusskriterien der entsprechenden Studie erfüllt haben, aber im Alltag behandelt wurden und (iii) für Patienten, welche im Alltag behandelt wurden und die Ein-/Ausschlusskriterien nicht erfüllten (2-7).
Auch ist davon auszugehen, dass im Alltag mehr Toxizitäten zu erwarten sind wie in klinischen Studien berichtet: so lag z.B. die Rate an febrilen Neutropenien durch Zytostatika in Observationsstudien um 74 % höher im Vergleich zu randomisierten Studien mit derselben Therapie (8).
Ein EEG kann nicht nur im Bereich der Onkologie beobachtet werden: Im Rahmen der randomisierten TIMI 9 Studie (9), welche bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt (STEMI) den Einsatz von Hirudin mit Heparin verglich, wurden in einem parallelen Register Patienten mit Herzinfarkt nachverfolgt, welche nicht in die Studie eingeschlossen werden konnten: Diese waren tendenziell älter, häufiger Frauen oder hatten bereits früher einen akuten Myokardinfarkt gehabt oder nahmen weniger oft Aspirin ein. Patienten, welche die Studienkriterien erfüllten, aber ausserhalb der Studie behandelt wurden, wiesen eine deutliche höhere (in hospital) Mortalität auf (8%) wie Studienpatienten (5%). Noch höher war die Mortalität bei Patienten, die nicht für die Studie geeignet waren, jedoch behandelt wurden (13%) und bei Patienten, die nicht für die Studie geeignet waren und nicht behandelt wurden (24%).
Wie lassen sich die Unterschiede erklären? Der Hauptgrund für ein EEG liegt in der Selektion von Studienpatienten. Die Einschlusskriterien für randomisierte kontrollierte Studien (RCT) setzen zumeist einen guten Performance Status, nahezu normale Organfunktionen und wenig Komorbiditäten voraus. Nur ein Teil der Patienten in der täglichen Praxis erfüllt diese Einschlusskriterien. Ältere Patienten und solche mit Komorbiditäten und/oder eingeschränktem Performance Status oder gebrechliche Patienten sind in RCT untervertreten. Aus diesem Grund wurden bereits vor Jahren weniger restriktive Selektionskriterien für klinische Studien gefordert (10). Eine Analyse von 86 onkologischen Studien, die zwischen 1987 und 2012 publiziert wurden, hat jedoch ergeben, dass über die Zeit tendenziell mehr Patienten auf Grund von Komorbiditäten und herabgesetzten Altersgrenzen von einer Studienteilnahme ausgeschlossen wurden (11).

Ein Vorteil enger Ein- und Ausschlusskriterien ist gewiss, dass in einer homogenen Population eher ein Wirksamkeitsnachweis für ein neues Medikament möglich ist. Um zu untersuchen, ob eine Intervention dann auch in der täglichen klinischen Praxis ein vergleichbares Risiko/Nutzen-Verhältnis aufweist, sind pragmatische randomisierte «Real-World» Studien hilfreich. Die Studienteilnehmer solcher Studien sollten ein ähnliches Profil aufweisen wie die Patienten in der täglichen Praxis und die Studien sollten auch im Alltagssetting durchgeführt werden. Bespiele für erfolgreiche pragmatische randomisierte Studien mit sehr einfachen Einschlusskriterien (z.B. «wenn der Patient fit genug ist für die Therapie, kann er eingeschlossen und randomisiert werden») gibt es aus dem Vereinigten Königreich: In der ICON1 Studie konnten praktisch alle Frauen mit Ovarial-Karzinom eingeschlossen werden, bei denen «Ungewissheit zum Nutzen einer postoperativen Chemotherapie» bestand. Die Studie zeigte einen absoluten Overall Survival Benefit von 8 % nach 8 Jahren durch die postoperative Chemotherapie (12). Ein anderes Beispiel ist die internationale randomisierte ATLAS-Studie, die untersucht hat, ob bei frühem Brustkrebs eine verlängerte adjuvante Tamoxifen-Gabe von 10 Jahren im Vergleich zu 5 Jahren einen Benefit bringt. Eingeschlossen werden konnten im Grund alle Frauen, bei denen nach 5 Jahren adjuvanter Therapie mit Tamoxifen klinisch kein Rezidiv vorlag und sowohl Patientin und behandelnder Arzt unsicher waren, ob Tamoxifen gestoppt oder für ein paar weitere Jahre fortgeführt werden sollte. Das Studienprotokoll sah explizit keine absoluten Ausschlusskriterien (wie geplante oder bestehend Schwangerschaft, Retinopathie, endometriale Hyperplasie) vor, sondern überliess den Prüfärzten die Risiko-Nutzen-Abwägung für eine verlängerte Therapie mit Tamoxifen. Mit verlängerter Tamoxifen-Einnahme zeigte sich eine Reduktion des Rezidivrisikos von 25.1 auf 21.4 % sowie der Brustkrebs-spezifischen Mortalität von 15.0 auf 12.2 % (13).
Auch wenn randomisierte, kontrollierte Studien den Goldstandard für den Wirkungsnachweis einer neuen Therapie darstellen, können Populations-basierte Beobachtungsstudien helfen, die effictiveness einer Intervention zu untersuchen oder das Vorhandensein eines EEG abzuschätzen. Ein Beispiel hierfür ist eine Studie basierend auf dem Ontario Cancer Registry (Kanada) und Spitalakten von allen Patienten (N=2944) mit muskel-invasivem Urothelkarzinom der Harnblase, die zwischen 1994 bis 2008 eine Zystektomie mit oder ohne adjuvante oder neoadjuvante Chemotherapie erhielten (14). Die 5 Jahres Krebs-spezifischen Überlebensraten und die Gesamt-Überlebensraten (Overall Survival) lagen bei 33% bzw. 29%. Diese Ergebnisse sind deutlich schlechter als die Werte von 63% bzw. 56% von Patienten nach einer Zystektomie aus einer Metaanalyse von klinischen Studien und Single Institution Serien (15). Diese Unterschiede deuten auf einen substantiellen EEG hin. Im Gegensatz dazu hatten die 20% der Patienten aus der oben genannten Serie, die zusätzlich zur Zystektomie eine prä- oder postoperative Chemotherapie erhielten, einen vergleichbaren Gesamt-Überlebens-Benefit. Die Hazard Ratio für Tod (nach Adjustierung für Krankheitscharakteristika oder mit Propensity Scores) betrug ca. 0.7 (14). Dieses Resultat ist vergleichbar mit den Resultaten von randomisierten Studien, was auf einen nur minimalen EEG für diejenigen Patienten hindeutet, die als fit genug eingeschätzt wurden, um eine prä- oder postoperative Chemotherapie zu erhalten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein substantieller EEG für viele Therapien in der täglichen Praxis existiert. Dies bedeutet, dass der Umfang des Nutzens einer Therapie vermutlich kleiner, und das Ausmass der Toxizität grösser ist, als in den Zulassungsstudien berichtet. Oftmals ist die tatsächliche Effektivität einer neuen Krebstherapie nicht bekannt. Dies entweder wegen Fehlens geeigneter Postmarketing Studien oder wegen deren Anfälligkeit für methodische Bias. Die Schlussfolgerungen über den wahren Nutzen der Therapie bleiben dann limitiert. Dieses Problem sollte anerkannt werden, und es sollte in jede Besprechung mit dem Patienten über die Vorzüge einer vorgeschlagenen Therapie einbezogen werden. Dies könnte für den Arzt und/oder den Patienten den Ausschlag für oder gegen eine Therapieeinleitung geben. Die Zulassungsbehörden und Kosten­träger könnten Erstzulassungen überdenken, wenn nachträgliche Daten aus der täglichen Routine Praxis verfügbar werden. Die Weiterentwicklung medizinischer Evidenz muss auch nach dem Erscheinen der Zulassungsstudien anhalten. Erkenntnisse, die aus randomisierten Studien gewonnen wurden, sollten ergänzt werden durch Beobachtungs-Studien, welche Daten für die Allgemeinbevölkerung sammeln. Dies würde zum Verständnis beitragen, wie die Einführung/Umsetzung von neuen Therapien in der realen Welt zu verbesserten Ergebnissen für den Patienten führen kann – oder auch nicht.

Dr. med. Thomas Schmid

Tumorzentrum St. Claraspital
4016 Basel

Thomas.Schmid@claraspital.ch

Prof. Dr. med. Arnoud Templeton

Medizinische Onkologie, St. Claraspital, Basel, Schweiz;
St. Clara Forschung, Basel, Schweiz;
Medizinische Fakultät, Universität Basel, Basel, Schweiz

Arnoud.Templeton@claraspital.ch

Die Auoren haben in Zusammenhang mit disem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Efficacy bezeichnet die Wirkung einer Intervention unter Studienbedingungen; effectiveness unter Alltagsbedingungen. Ein Efficacy-Effectiveness Gap (EEG) bezeichnet die Differenz und existiert für viele Therapien in der täglichen Praxis.
  • Ein substantieller EEG bedeutet, dass der Nutzen einer Therapie vermutlich kleiner und das Ausmass der Toxizität grösser ist als in den Zulassungsstudien.
  • Der Hauptgrund für einen EEG liegt in der Selektion von Studienpatienten.
  • Um zu untersuchen, ob eine Therapie auch in der täglichen Praxis ein vergleichbares Nutzen-/Risiko-Verhältnis aufweist, sind pragmatische randomisierte «Real-World» Studien mit einfachen Einschlusskriterien hilfreich.
  • Populations-basierte Beobachtungsstudien, welche Daten für die Allgemeinbevölkerung sammeln, können helfen, das Vorhandensein eines EEG abzuschätzen.

Messages à retenir

  • L’ efficacité se réfère à l’ effet d’ une intervention dans des conditions d’ étude ; l’ efficacité dans les conditions de la vie quotidienne. Un écart d’ efficacité (EEG) décrit la différence et existe pour de nombreuses thérapies dans la pratique quotidienne.
  • Un EEG important signifie que le bénéfice d’ une thérapie est probablement plus faible et la toxicité plus importante que dans les études d’ enregistrement.
  • La raison principale d’ un EEG est la sélection des patients de l’ étude.
  • Afin de déterminer si une thérapie présente également un rapport bénéfice/risque comparable dans la pratique quotidienne, des études pragmatiques randomisées du «monde réel» avec des critères d’ inclusion simples sont utiles.
  • Les études observationnelles basées sur la population, qui collectent des données pour la population générale, peuvent aider à estimer la présence d’ un EEG.

1. Kennedy-Martin T, Curtis S, Faries D, et al: A literature review on the representativeness of randomized controlled trial samples and implications for the external validity of trial results. Trials 16:495, 2015
2. Mol L, KoopmanM, van Gils CW, et al: Comparison of treatment outcome in metastatic colorectal cancer patients included in a clinical trial versus daily practice in the Netherlands. Acta Oncol 52:950-955, 2013
3. Templeton AJ, Vera-Badillo FE, Wang L, et al: Translating clinical trials to clinical practice: Outcomes of men with metastatic castration resistant prostate cancer treated with docetaxel and prednisone in and out of clinical trials. Ann Oncol 24:2972-2977, 2013
4. Heng DY, Choueiri TK, Rini BI, et al: Outcomes of patients with metastatic renal cell carcinoma that do not meet eligibility criteria for clinical trials. Ann Oncol 25:149-154, 2014
5. Westgeest HM, Uyl-de Groot CA, van Moorselaar RJA, et al: Differences in trial and real-world populations in the Dutch castration-resistant prostate cancer registry. Eur Urol Focus 4:694-701, 2018
6. Karim S, Zhang-Salomans J, Biagi JJ, et al: Uptake and effectiveness of FOLFIRINOX for advanced pancreatic cancer: A population-based study. Clin Oncol (R Coll Radiol) 30:e16-e21, 2018
7. Aspinall SL, Zhao X, Geraci MC, et al: Use of targeted therapies for advanced renal cell carcinoma in the Veterans Health Administration. Cancer Med 8: 6651-6661, 2019
8. Truong J, Lee EK, Trudeau ME, et al: Interpreting febrile neutropenia rates from randomized, controlled trials for consideration of primary prophylaxis in the real world: A systematic review and meta-analysis. Ann Oncol 27:608-618, 2016
9. Bahit MC, Cannon CP, Antman EM, et al: Direct comparison of characteristics, treatment, and outcomes of patients enrolled versus patients not enrolled in a clinical trial at centers participating in the TIMI 9 Trial and TIMI 9 Registry. Am Heart J 145:109-117, 2003
10. George SL: Reducing patient eligibility criteria in cancer clinical trials. J Clin Oncol 14:1364-1370, 1996
11. Srikanthan A, Vera-Badillo F, Ethier J, et al: Evolution in the eligibility criteria of randomized controlled trials for systemic cancer therapies. Cancer Treat Rev 43:67-73, 2016
12. Colombo N, Guthrie D, Chiari S, et al: International Collaborative Ovarian Neoplasm trial 1: A randomized trial of adjuvant chemotherapy in women with early-stage ovarian cancer. J Natl Cancer Inst 95:125-132, 2003
13. Davies C, Pan H, Godwin J, et al: Long-term effects of continuing adjuvant tamoxifen to 10 years versus stopping at 5 years after diagnosis of oestrogen receptor positive breast cancer: ATLAS, a randomised trial. Lancet 381:805-816, 2013
14. Booth CM, Siemens DR, Li G, et al: Perioperative chemotherapy for muscle-invasive bladder cancer: A population-based outcomes study. Cancer 120:1630-1638, 2014
15. Vashistha V,Wang H,Mazzone A, et al: Radical cystectomy compared to combined modality treatment for muscle-invasive bladder cancer: A systematic review and meta-analysis. Int J Radiat Oncol Biol Phys 97:1002-1020, 2017

Droht uns auch in der Schweiz eine Opioidkrise ?

Die Opioidkrise in den USA gipfelte 2015 in einem starken Anstieg von Opioidabhängigen und damit verbundenen Todesfällen. Ein aggressives Marketing mit einer Opioid-verharmlosenden Strategie einiger Pharmafirmen führte dazu, dass schnell anflutende Opioide einer breiteren Patientenklientel verschrieben wurden. In diesem ersten Teil des Artikels werden der Stellenwert einer Opioidtherapie sowie das rationale und praktische Vorgehen bei einer analgetischen Therapie mit Opioiden in Bezug auf Schweizerische Verhältnisse kritisch diskutiert. In einem zweiten Teil werden hierzulande zugelassene Opioide vorgestellt, Überlegungen zur Opioid-Sicherheit in der Schweiz präsentiert sowie die Eingangsfrage nach einer drohenden Opioidkrise in der Schweiz eingehend erörtert.

La crise des opiacés aux États-Unis a culminé en 2015 par une forte augmentation de la dépendance aux analgésiques opioïdes et des décès qui en découlent. Le marketing agressif de certaines sociétés pharmaceutiques, utilisant une stratégie qui banalisait les opiacés, a abouti à la prescription d’ opiacés à action rapide à une plus large population de patients. Dans cette première partie de l’ article, l’ importance de la thérapie aux opiacés et l’ approche rationnelle et pratique de la thérapie analgésique aux opiacés sont examinées de manière critique par rapport aux conditions suisses. Dans une deuxième partie, les opiacés autorisés et des réflexions sur la sécurité de ceux-ci en Suisse sont présentés, et la question initiale concernant une crise imminente des opioïdes en Suisse est discutée en détail.

Die Opioidkrise in den USA gipfelte 2015 in einem starken Anstieg von Opioidabhängigen und damit verbundenen Todesfällen durch Überdosierung (2016: 42.000) (1, 2). Die meisten Opfer waren abhängig geworden von zunächst legal verschriebenen kurzwirksamen Opioiden. Chronischer Schmerz ist häufig: 2018 waren hiervon in den USA 25 Millionen Menschen betroffen (1, 2). Ein aggressives Marketing mit einer Opioid-verharmlosenden Strategie einiger Pharmafirmen führte dazu, dass schnell anflutende Opioide einem breiteren Patientenklientel verschrieben und die Indikationen für diese Analgetikaklasse, welche vormals schweren oder präfinalen Krankheitsverläufen vorbehalten waren, auf leichtere, nozizeptive Schmerzen ausgeweitet wurden. Des Weiteren waren die «Pill Mills», also Kliniken oder Apotheken, welche niederschwellig Opioide abgeben, wegbahnend für die Opioidkrise (3, 4).
Zahlreiche so abhängig gewordene Patienten wichen in der Folge auf billigere und z.T. auch illegal erworbene Opioide wie Fentanyl oder Heroin aus. Heute konsumieren geschätzt eine Million US-Amerikaner Heroin. Bei 80 Prozent von ihnen soll die Sucht mit legal oder illegal erworbenen Schmerzmitteln begonnen haben (1). Weltweit sollen 2016 gemäss WHO 275 Mio. Menschen opioid-abhängig sein, der grösste Teil davon abhängig von illegalen Drogen (2). Täglich sterben in den USA 130 Menschen an einer Überdosis eines verschriebenen Opioids. Als Reaktion wurde am 26. Oktober 2017 in den USA der medizinische Notstand ausgerufen.
Es stellt sich nun die Frage, ob eine Globalisierung der Opioid-Krise droht. Besteht eine ähnliche Gefahr auch für die Schweiz? In den USA hatten die Pharmariesen leichteres Spiel als hierzulande: Regularien sind laxer, das Versicherungswesen anders strukturiert. Zudem versuchen Mediziner dort häufiger, unrealistische Therapieziele wie z.B. das Versprechen auf völlige Schmerzfreiheit bei chronischen Schmerzerkrankungen zu erfüllen. Und nicht zuletzt wird in den USA betont auf pharmakologische Therapieoptionen gesetzt; für ein multimodales und interdisziplinäres Therapieregime fehlt häufig das Geld.
Schauen wir uns vor diesem Hintergrund also die aktuelle Handhabung der Opiodverschreibung in der Schweiz an. Eine USA-analoge Opioidkrise scheint sich hier bisher nicht abzuzeichnen: Die Anzahl der an Opioid- Überdosis verstorbenen Menschen ist in der Schweiz von 2000 bis 2016 signifikant gesunken (5). Doch auch wie im restlichen Europa sind die Verbrauchzahlen von Opioiden seit Publikation der WHO-Schmerzleiter 1986 gestiegen. Zwischen 1985 und 2015 ist der schweizerische Opioidverbrauch von 18 zu 421 mg/Person/Jahr angestiegen. Dies macht die Schweiz zum weltweit siebtgrössten Opioidkonsumenten (6).

Opioide: Nur ein Puzzleteil in einer multimodalen Schmerztherapie

Der Stellenwert einer Opioidtherapie im Rahmen eines analgetischen Therapieregimes ist unbestritten; idealerweise kommen hier gezielt Substanzen zum Einsatz, welche in ihrer Pharmakokinetik und Galenik auf das zugrundeliegende Schmerzsyndrom eingehen. So können orale, buccale oder transdermale Applikationsformen, retardierte oder rasch freisetzende Substanzen gewählt und auch kombiniert werden. Im Therapieverlauf wird die Indikation dann wiederholt reevaluiert, die Pharmakotherapie den aktuellen Bedürfnissen angepasst und möglicherweise auch rotiert werden, um Gewöhnung und Dosiseskalation zu vermeiden.
Ein breites Spektrum an Nicht-Opioidanalgetika und Koanalgetika steht uns zur Verfügung und sollte primär oder additiv zum Zuge kommen. Evidenzbasiert sind hier vor allem der Einsatz von Antidepressiva und Antiepileptika bei chronisch neuropathischem Schmerz − diese Substanzen erzielen bei vielen Schmerzerkrankungen hervorragende Ergebnisse und die Datenlage darf als sehr gut bezeichnet werden. Auch Nicht-Opioidanalgetika wie Paracetamol, Metamizol und NSAR werden breit eingesetzt, wobei auch für diese Analgetikaklassen weitestgehend Langzeitstudien zur Sicherheit bei chronischer Anwendung fehlen. Trotz breitem Einsatz bestehen zahlreiche Risiken auch unter diesen Substanzklassen (7).
Weitere Säulen eines analgetischen Therapiemanagements werden zum Zuge kommen. Multimodale Konzepte berücksichtigen Optionen wie physikalische Massnahmen, Physiotherapie, die interventionelle Schmerztherapie sowie ein breites Spektrum an verhaltenstherapeutischen Massnahmen und Coping-Instruktionen. Ein breites Abstützen auf mehrere Therapiesäulen sollte helfen, den Analgetikabedarf zu minimieren. Ziel einer multimodalen Schmerztherapie bleibt dabei – ausserhalb palliativer Indikation − die Wiederherstellung und Erhaltung der Funktionalität im Alltag. Dabei gilt als realistisches und erfolgreiches Therapieziel, wenn bei der Hälfte der chronischen Schmerzpatienten eine Schmerzreduktion um 50% erreicht wird.

Rationale Opioidtherapie nach Indikation

Unbestritten und wahrscheinlich am wenigsten problematisch ist der Einsatz von Opioiden bei palliativen Patienten. Hier sind Schmerzreduktion und Verbesserung der Lebensqualität oberstes Therapieziel und eine allfällige Abhängigkeit tritt in diesem Kontext eher in den Hintergrund.
Karzinomschmerzen zählen zu den etablierten Indikationen für Opioide. Auf diese zielte die Publikation der WHO Schmerzleiter, gemäss der in einem Stufenschema zunächst Nicht- Opioid Analgetika, dann leichte und letztlich potente Opioide verabreicht werden. Nicht-Opioid Analgetika, Antiepileptika, Antidepressiva und Steroide werden bei Bedarf und indikationsgerecht in allen Stufen kombiniert (8).
Die Langzeitanwendung von Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzen hingegen stellt behandelnde Ärzte und die Betroffenen vor zahlreiche Herausforderungen. Hier gilt es, transparent und indikationsgerecht in Zusammenarbeit mit dem Patienten und den beteiligten Spezialisten eine sichere und wirksame Medikation zu etablieren. Von beeinträchtigenden, chronischen nichttumor-bedingten Schmerzen waren 2013 7,4% einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe betroffen (9). Nichttumorbedingte Schmerzen führen bei einem grossen Patientenanteil zu Einschränkung von physischem und psychischem Wohlbefinden, der Lebensqualität, der Arbeitsfähigkeit sowie zu hohen direkten und indirekten Gesundheitskosten. Als Reaktion wurden auch in Europa schwache und starke opioidhaltige Analgetika vermehrt und über einen längeren Zeitraum verschrieben.
Die Langzeitanwendung von opioidhaltigen Analgetika bei nicht­tumorbedingten Schmerzen wird bei einer Diskrepanz zwischen breiter klinischer Anwendung und gleichzeitig lückenhaft vorhandener Evidenz kritisch diskutiert (9, 10, 11).
Opioidhaltige Analgetika gelten als eine medikamentöse Therapieoption bei kurzfristiger, d.h. ein bis drei Monaten währenden Behandlung von Arthroseschmerzen, diabetischer Neuropathie, postherpetischer Neuralgie sowie chronischem Rückenschmerz. Von einer Langzeittherapie (> 26 Wochen) profitiert nur ein Viertel aller Patienten.
Mögliche Indikationen für eine Langzeittherapie mit opioidhaltigen Analgetika, zu denen eine ausreichende Evidenz besteht, umfassen Schmerzen bei Arthrose, diabetischer Polyneuropathie, Postzosterneuralgie und chronischen Rückenschmerzen. Für andere Schmerzsyndrome fehlt der Expertenkonsens und eine Behandlung müsste als individueller Therapieversuch bewertet werden.
Als Kontraindikationen gelten primäre Kopfschmerzen, Opioid-Abhängigkeit, Fibromyalgie-Syndrom, entzündliche Darmerkrankungen, chronische Pankreatitis sowie funktionelle und psychische Störungen mit dem Leitsymptom Schmerz. Der niedrigste Evidenzlevel existiert für die Behandlung von Schmerzen nach Gehirnläsionen, nach Wirbelfrakturen bei manifester Osteoporose, bei rheumatischen Erkrankungen ausser rheumatoider Arthritis, chronischen postoperativen Schmerzen, Schmerzen bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit, bei Dekubitus oder Kontrakturen bei pflegebedürftigen Patienten. In diesen Fällen kann allenfalls ein individueller Behandlungsversuch mit Opioiden unternommen werden (9).
In der Betrachtung zu Langzeitstudien mit dem Thema opioidhaltige Analgetika bei nichttumorbedingten Schmerzen müssen neben dem Studiendesign und dem Beobachtungszeitraum folgende Endpunkte berücksichtig werden: Wirksamkeit (in Bezug auf Ausmass der Schmerzreduktion, verbessertem Befinden und Erhalten der Funktionalität), Verträglichkeit (Anzahl der Patienten, die die Studie wegen unerwünschter Wirkungen abbrechen mussten) und Sicherheit (Anzahl der schweren unerwünschter Wirkungen und Anzahl der Todesfälle).

Praktisches Vorgehen einer Therapie mit opioidhaltigen Analgetika bei nichttumorbedingten Schmerzen

Bei der Behandlung chronischer Schmerzpatienten gibt es vieles zu beachten. Die Wahl des eingesetzten Pharmakons richtet sich dabei nach der vorliegenden Erkrankung und der wissenschaftlichen Evidenz zum Opioideinsatz in diesem Kontext, den Begleiterkrankungen, eventuellen Kontraindikationen, der individuellen Erfahrung des Patienten mit bisher eingesetzten Analgetika und dessen Präferenzen. Meist wird das Opioid nicht als Monotherapeutikum, sondern in Kombination mit anderen zentral oder auch peripher wirksamen Analgetika und Koanalgetika eingesetzt werden.
Eine alleinige medikamentöse Therapie bei nichttumorbedingten Schmerzen wird in der Schweiz in der Regel nicht durchgeführt. Zu einem tragfähigen integrativen Behandlungskonzept zählen verschiedene Behandlungspfeiler, die in ihrer Kombination eine optimale Schmerztherapie bei minimalen unerwünschten Wirkungen erzielen sollten.
Zu diesen Behandlungspfeilern zählen physiotherapeutische und physikalische Therapien, Patientenedukation und Psychotherapie, gegebenenfalls Lifestyle-Modifikationen, Aufklärung über Möglichkeiten und auch Grenzen der analgetischen Therapie. Von Wichtigkeit ist hier, beim Patienten realistische Erwartungen an die Therapie mit opioidhaltigen Analgetika zu erwecken resp. unrealistischen Erwartungen entgegenzuwirken. Zu erwartende und häufige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Obstipation, Übelkeit, Libidoverlust etc.) sowie potenziell schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Sucht, Sturzgefahr, Atemdepression bei Überdosierung, erhöhte Mortalität bei geriatrischen Patienten) sowie der Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit müssen vor Behandlungsbeginn kommuniziert werden. Um unerwünschte Wirkungen frühzeitig zu erkennen sowie Sicherheit und Wirksamkeit der Behandlung zu gewährleisten, müssen regelmässige Kontrolluntersuchungen vereinbart werden. In diesen werden eine regelmässige Indikationsüberprüfung sowie Dosisanpassungen oder Substanzwechsel vorgenommen werden.
In der klinischen Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzen (9) werden u.a. folgende Schlüsselempfehlungen gegeben (zusammengefasst):

1. Differenzialindikation opioidhaltiger Analgetika: Je nach Krankheitsbild und individuellen Bedürfnissen des Patienten wird das Analgetikum nach seinen pharmakodynamischen, kinetischen und galenischen Eigenschaften ausgewählt.
2. Langwirksame Präparate mit retardierter Galenik sollten kurzfristig anflutenden Substanzen vorgezogen werden.
3. Einnahmeschema: Die Einnahme sollte nicht «on demand», sondern nach einem vorher festgelegten Schema erfolgen.
4. Dosierung: Therapiebeginn mit niedrigen Dosen, Erhaltungsdosis nach Erreichen der zuvor formulierten Therapieziele. Die Höchstdosis von >120mg/d orales Morphinäquivalent soll nicht überschritten werden.
5. Therapiedauer: Eine Therapie >3 Monate soll nur bei Therapierespondern durchgeführt werden.
6. Dosisreduktion und Medikamentenpausen sollen nach einem halben Jahr angestrebt werden, um die Wirksamkeit der parallel durchgeführten Therapiemassnahmen zu überprüfen.
7. Eine regelmässige Therapieüberwachung mit den Endpunkten Sicherheit, Verträglichkeit und Fehlgebrauch sollte unter Langzeittherapie mit Opioiden durchgeführt werden.

Mechanismus-basierte Schmerztherapie

Ein brauchbares Werkzeug in der Entscheidungsfindung, wie ein Schmerzsyndrom pharmakologisch optimal behandelt werden kann, bietet eine Mechanismus-basierte Schmerztherapie. Hier erfolgt zunächst eine Identifikation des Schmerzcharakters: Sind Muskel- und Skelettsystem betroffen und liegt ein belastungsabhängiger Schmerz ohne Entzündungszeichen vor, handelt es sich um einen nozizeptiven Schmerz. Beispiele wäre eine Arthrose oder ein myofasziales Schmerzsyndrom. Pharmakologisch kommen hier zunächst periphere Analgetika wie NSAR, Metamizol oder Paracetamol zum Einsatz. Der Einsatz von Opioiden kann in einem zweiten Schritt überlegt werden.
Ist das Muskel- und Skelettsystem betroffen und liegen Entzündungszeichen vor, handelt es sich um einen nozizeptiv / entzündlichen Schmerz mit Nozizeptoraktivierung und -sensibilisierung sowie zentraler Sensitivierung und Ausweitung rezeptiver Felder. Beispielerkrankungen wären eine Arthritis oder aktivierte Arthrose. In diesem Kontext sind eher NSAR, Glucokortikoide und kurzfristig evtl. auch transdermale Opioidsysteme sinnvoll.
Sind nervale Strukturen betroffen, ist der Schmerz einschiessend, ausstrahlend und liegen neurologische Begleitsymptome vor, redet man von neuropathischem Schmerz. Beispiel wäre eine diabetische Neuropathie oder eine Post- Zoster Neuralgie. Hier werden neue, Schmerzintensivierende Kanäle und Rezeptoren an nervalen Strukturen synthetisiert, es kommt zu nervaler Spontanaktivität und zentraler Sensitivierung mit reduzierter endogener Schmerzhemmung. Neuropathischer Schmerz wird lokal (Lidocain, Capsaicin), mit Antidepressiva und Antiepileptika sowie mit Opioiden angegangen.
Zeigt ein Patient schliesslich eine allgemeine Hyperalgesie, vegetative und evtl. psychische Symptome ohne passende radiologische oder laborchemische Befunde handelt es sich am ehesten um multilokulären Schmerz. Beispiele wären somatoforme Schmerzen oder das Fibromyalgiesyndrom. Pathophysiologisch liegen eine reduzierte endogene Schmerzhemmung und veränderte Schmerzverarbeitung zugrunde. Antidepressiva aus der Gruppe der Trizyklika und SNRI sind in diesem Fall indiziert (12).

Abhängigkeit von Opioiden beim chronischen Schmerzpatienten

Wir unterscheiden die physische von der psychischen Abhängigkeit. Eine chronische Verabreichung von Opioiden führt zu Toleranz-entwicklung – diese tritt im klinischen Kontext jedoch selten auf und kann durch ein entsprechendes Medikamentenmanagment meist verhindert werden (z.B. eine Opioidrotation). Zudem kommt es zu einer physischen Abhängigkeit. Ein plötzliches Sistieren führt zu einer Hyperaktivität des sympathischen Nervensystems (mit z.B. Diarrhoe, Schwitzen, Mydriasis, Blutdruckanstieg), gleichzeitig Verlangen nach dem Opioid, verstärkten Schmerzen, Magen- und Knochenschmerzen sowie Myalgien. Diese Symptomatik kann durch langsames Ausschleichen der Dosis verhindert werden.
Eine psychische Abhängigkeit ist charakterisiert durch negative Konsequenzen, die mit dem Opioidgebrauch einhergehen, wie Kontrollverlust, Tendenz zu inadäquater Dosissteigerung, Eingrenzung von Denken und Verhalten auf die Beschaffung. Wie hoch bei Schmerzpatienten in Europa das Risiko einer Abhängigkeit ist («Prescription Opioid Use Disorder, POUD»), ist bisher nicht bekannt (13, 14). Geschätzt wird, dass ca. 10-15% chronischer Schmerzpatienten eine Sucht entwickeln.
Für eine psychische Abhängigkeit werden genetische und epigenetische Ursachen postuliert (14). Solange keine spezifischeren pharmakologischen Behandlungsoptionen für einzelne Schmerzsyndrome existieren, an denen aktuell wegen der Opioidkrise rege geforscht wird, muss der Schmerztherapeut sein analgetisches Armamentarium kennen und einsetzen können.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Zweitabdruck des in «der informierte arzt» 04-2020 erschienen Originalartikels.

Dr. med. Antje Heck

Fachärztin für Klinische Pharmakologie und Toxikologie FMH
Fachärztin für Anästhesie FMH, Schmerzspezialistin SGSS
Leiterin Sprechstunde Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit
Oberärztin Psychiatrische Klinik Königsfelden
Postfach 432
5201 Brugg

antje.heck@pdag.ch

Prof. Dr. med. Eli Alon

Facharzt für Anästhesiologie FMH, Schmerzspezialist SGSS
Professor für Anästhesiologie und Schmerzmedizin an der
Universität Zürich
Praxis für Schmerztherapie
Arzthaus Zürich City
Lintheschergasse 3
8001 Zürich

eli.alon@arzthaus.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Auch wenn in der Schweiz innert 30 Jahren der durchschnittliche Opioidverbrauch von 18 auf 421 mg/Person/ Jahr angestiegen ist, konnte in den letzten 20 Jahren ein signifikanter Rückgang der an Opioid- Überdosis verstorbenen Menschen registriert werden.
  • In der multimodalen Schmerztherapie werden Optionen wie physikalische Massnahmen, Physiotherapie, die interventionelle Schmerztherapie sowie ein breites Spektrum an verhaltenstherapeutischen Massnahmen und Coping-Instruktionen berücksichtigt. Ein Abstützen jeder analgetischen Therapie auf mehrere dieser Therapiesäulen hilft, den Analgetikabedarf zu minimieren.
  • Die Wahl geeigneter Analgetika erfolgt mit Vorteil aufgrund des dem Schmerz zugrunde liegenden Schmerzmechanismus, ja nach dem,
    ob ein nozizeptiver Schmerz ohne oder ein nozizeptiv/entzündlicher Schmerz mit Nozizeptoraktivierung und -sensibilisierung vorliegt, ob eine zentrale Sensitivierung mit Ausweitung rezeptiver Felder besteht, oder ein neuropathischer oder multilokulärer Schmerz besteht.
  • Opioide nehmen heute einen unverzichtbaren Stellenwert in einer modernen, multimodalen Schmerztherapie ein.

Messages à retenir

  • Bien que la consommation moyenne d’ opiacés en Suisse soit passée de 18 à 421 mg/personne/an en 30 ans, une diminution significative du nombre de personnes mourant d’ une surdose d’ opiacés a été enregistrée au cours des 20 dernières années.
  • La gestion multimodale de la douleur comprend des options telles que les mesures physiques, la physiothérapie, la gestion interventionnelle de la douleur et un large éventail de mesures comportementales et d’ instructions pour y faire face. Le fait de soutenir chaque thérapie analgésique sur plusieurs de ces piliers thérapeutiques permet de minimiser le recours aux analgésiques.
  • Il est avantageux de choisir des analgésiques appropriés sur la base du mécanisme de la douleur sous-jacente, selon qu’ il s’ agit d’ une douleur nociceptive sans ou d’ une douleur nociceptive/inflammatoire avec activation et sensibilisation des nocicepteurs, d’ une sensibilisation centrale avec expansion des champs récepteurs, ou d’ une douleur neuropathique ou multiloculaire.
  • Les opiacés jouent aujourd’ hui un rôle indispensable dans la thérapie moderne et multimodale de la douleur.

1. Uhlmann B: Opioid-Krise in den USA: Ein Land unter Drogen. Süddeutsche Zeitung 26. Oktober 2017.
2. Verhamme KMC, Bohnen AM. The Lancet: Are we facing an opioid crisis in Europe? August 20, 2019.
3. Lyapustina T, Rutkow L, Chang HY, et al. Effect of a »pill mill” law on opioid prescribing and utilization: the case of Texas. Drug Alcohol Depend 2016; 159: 190–97.
4. hhs.gov/opioids. What is the U.S. opioid epidemic? United States Department of Health and Human Services. Jan 22, 2019. https://www.hhs. gov/opioids/about-the-epidemic/index.html.
5. Global Health Estimates 2016: Deaths by Cause, Age, Sex, by Country and by Region, 2000-2016. Geneva, World Health Organization; 2018.
6. Ruchad D et al: Opioid consumption from 1985 to 2015 : The situation in Switzerland, with an international comparison. Rev med. Suisse 2018 Jun 20;14(612):1262-1266.
7. Heck A, Alon E: Nicht-Opioid-Analgetika in der Geriatrie. Der Informierte Arzt; Sept 2019.
8. World Health Organization. Traitement de la douleur cancéreuse. Geneva, Switz: World Health Organization; 1987.
9. Häuser W eta al: Clinical practice Guideline: Long- term opioid use in non- cancer pain. Dtsch Arztebl. Int 2014; 111: 732-40.
10. Häuser W et al: Untying chronic pain: prevalence and societal burden of chronic pain stages in the general population- a cross- sectional survey. BMC Public Health 2014;14: 352.
11. Kissin I: Long-term opioid treatment of chronic nonmalignant pain: unproven efficacy and neglected safety? Journal of Pain Research 2013:6 513–529.
12. Alon E: Opioide sind nicht 1. Wahl, aber häufig unverzichtbar. Beilage Medical Tribune 49/2018.
13. Kraus M et al: Consensus and Controversies Between Pain and Addiction Experts on the Prevention, Diagnosis, and Management of Prescription Opioid Use Disorder. J Addict Med. 2020 Jan/Feb;14(1):1-11.
14. The Opioid Crisis and the Future of Addiction and Pain Therapeutics. J Pharmacol Exp Ther 371: 396-408; Nov 2019.