Pollenallergien – auch während der COVID-19-Pandemie aktuell !

Aktuell werden wir alle durch die Corvid-19-Pandemie massiv tangiert und stehen sicher einer der grössten Herausforderungen unseres Gesundheitssystems, ja unserer gesamten Gesellschaft und Wirtschaft gegenüber. Sei es durch betroffene Patienten, Erkrankte im eigenen Umfeld oder auch einfach durch die vom BAG angeordneten Massnahmen – das SARS-CoV-2 Virus tangiert uns alle. In diesem Artikel möchten wir auf Patienten mit einer Pollenallergien eingehen mit besonderer Berücksichtigung der Bedrohung durch SARS-COVID-19.

Nach den Ergebnissen der SAPALDIA-Studie ist jeder sechste Schweizer pollenallergisch, und 40% der 15-jährigen Schulkinder sind auf mindestens ein Allergen sensibilisiert (www.sapaldia.ch). Diese Patienten gehören zwar nicht zwingend zu den vom BAG definierten sogenannten Risikogruppen – durch Beschwerden wie Niesen, Husten, brennende Augen oder Geruchs-/Geschmacksverlust kann aber die Abgrenzung von Pollenallergie und Corona-Infekt schwierig sein. In einem ersten Teil möchten wir auf einige Fortschritte bei Pollenallergien in Bezug auf Diagnose und Therapie eingehen; in einem zweiten Teil möchten wir einige Besonderheiten im Zusammenhang von Atemwegsallergien und dem SARS-CoV-2 diskutieren.

Fortschritte bei der Diagnostik der Pollenallergie

Die Abklärung von Pollenallergien erfordert zunächst immer eine umfassende Anamnese. Es folgen Hautteste wie zum Beispiel der Prick-Hauttest und/oder Bluttests in Form von Messung spezifischer IgEs im Serum gegen einzelne relevante Pollen (1). Die in-vitro Diagnostik konnte in den vergangenen Jahren durch die sogenannte molekulare oder komponenten-basierte Diagnostik wesentlich verfeinert werden. Damit können sehr viel präzisere Aussage bezüglich möglicher Kreuzreaktivitäten etwa zu anderen Pollen oder kreuzreagierenden Nahrungsmitteln oder auch des möglichen Erfolgs einer spezifischen Immuntherapie mit Pollenallergenextrakten gemacht werden (Abb. 1, 2) (2, 3).

Die häufigsten Auslöser: Sechs Pollenarten

In der Schweiz sind bisher vor allem sechs Pollenarten für rund 95% der Pollenallergien verantwortlich: Hasel-, Erlen-, Birken -, Eschen -, Gräser- und Beifusspollen. (Siehe Pollenflugkalender unter www.pollenundallergie.ch). Da die Beschwerden stark von der Blütezeit der entsprechenden Pollen abhängig sind, sind sie jahreszeitlich sehr verschieden. Sie beginnen mit dem Pollenflug von Hasel und Erle ab Januar bis Februar und enden bei entsprechender Allergie meist im Spätsommer mit den letzten Beifusspollen Ende August.
Naturgemäss ist die Pollenbelastung auch von klimatischen und geographischen Bedingungen und der entsprechenden Vegetation abhängig.
Durch Untersuchungen des Landarztes und Allergologen Markus Gassner in Grabs konnte gezeigt werden, dass die Purpurerle (Alnus späethii), eine ursprünglich aus Sibirien und Japan stammende importierte Hybridzüchtung teils gar schon Mitte Dezemwegsallergien. Weiterhin bedroht auch der Neophyt Ambrosia, das Traubenkraut, dessen Pollen bereits das wichtigste Allergen in Kanada und den USA darstellen, unsere Allergiker. Da die Flugzeit von Ambrosiapollen sich bis weit in die Herbstmonate erstreckt, kann sich damit die Heuschnupfenzeit um mehrere Monate bis in den November hinein verlängern In Grenzgebieten wie dem Tessin und der Genferseeregion sind diese Pollen auch relevante Allergene; dank einer konzentrierten Aktion von BAG und verschiedenen Gruppierungen auch mit breit angelegten Ausreissaktion vor einigen Jahren konnte die Ausbreitung erfreulicherweise jedoch stark gebremst werden. Nach den Ergebnissen einer gross angelegten Studie an acht Orten mit über 5800 Patienten (SAPALDIA-Studie II) sind in der Schweiz bereits ca. 8% der untersuchten Bevölkerung auf Ambrosia-Pollen sensibilisiert. Bei Patienten mit vorbestehender Pollenallergie sind es sogar 21% (5).
Grosses Potential bei der Erfassung der Pollenbelastung bietet die Echtzeitmessung, welche aktuell von Meteo Schweiz untersucht wird (www.pollenundallergie.ch). Sehr nützlich sind auch digitale Hilfsmittel etwa zur Erfassung der Pollensymptome; so erlaubt etwa die App «Allyscience» eine einfache und rasche Dokumentation der Beschwerden und der auslösenden Pollen im jeweiligen Aufenthaltsgebiet über die relevante Pollensaison (www.allyscience.ch).

Fortschritte bei der Behandlung

Die Allergiebehandlung basiert weiterhin auf drei Pfeilern: Allergenreduktion, Pharmakotherapie und spezifische Immuntherapie (SIT). Basis ist und bleibt es, den Allergenkontakt soweit wie möglich zu vermeiden. Doch dies ist bei einer Pollinose meist nur sehr beschränkt möglich. Einfache Massnahmen wie das Ausbürsten oder Waschen der Haare und das Tragen von Sonnenbrille wie auch Pollenschutzfilter können helfen (siehe unter www.aha.ch )
Bei der symptomatischen Behandlung hat es in den vergangenen Jahren grosse Fortschritte gegeben. Und zwar durch die Einführung neuerer nicht-sedierender Antihistaminika sowie einer grossen Zahl neuer topisch einzusetzender Präparate wie der nasalen und inhalatativen Steroide bei Rhinitis, respektive asthmatischen Beschwerden. Bei konjunktivalen Beschwerden bieten sich Kombinationspräparate mit Sympathomimetika, Antihistaminika und Cromoglykate an; topische Steroide sollten hier nur zurückhaltend, bzw. in Absprache mit dem Ophthalmologen eingesetzt werden. Systemische Steroide können ausnahmsweise bei sehr starken Beschwerden notwendig sein – hier ist die kurzfristige orale Gabe über einige wenige Tage zur Kupierung der Spitzen oft ausreichend und der Depotsteroidgabe in jedem Fall vorzuziehen.
Eine allergenspezifische Immuntherapie, kurz SIT mit Pollenextrakten – auch Hypo- oder Desensibilisierung genannt – stellt weiterhin die einzige kausale Therapie dar. Sie ist sinnvoll bei mittelschwerer bis schwerer allergischer Rhinokonjunktivitis sowie bei leichtem bis mittlerem Asthma, wenn die Beschwerden über mehrere Jahre bestehen und eine Pollenallergie eindeutig nachgewiesen ist. Bei guter Indikationsstellung und sorgfältiger Extraktauswahl liegen die Erfolgschancen einer solchen Immuntherapie bei ca. 80%, wobei eine deutliche Verbesserung, Verkürzung der Dauer der Beschwerden und/oder Reduktion des Medikamentenbedarfs erreicht werden kann. Die subkutane SIT mit wöchentlicher Steigerung vor der Pollensaison und allenfalls Erhaltungsdosen alle paar Wochen erlaubt nach wie vor die breiteste Auswahl an Allergenen. In den letzten Jahren kann mit der sublingualen Therapie mittels täglich applizierter Tabletten (Gräserpollen) oder Tropfen (Birkenpollen) eine gut dokumentierte weitere Option angeboten werden. Beide Verfahren erstrecken sich üblicherweise über 3-jährige Zyklen (Tab. 1) (7).

Besondere Aspekte von Pollenallergien während der Covid-19 Pandemie

Hier sind v.a. zwei Aspekte besonders zu erwähnen:

  • Differentialdiagnostische Abgrenzung einer Pollenallergie von einer Infektion mit dem SARS-CoV-2Virus (Abbildung 1) und
  • Therapeutische Massnahmen einer Pollinose in der aktuellen Situation.

Selbstverständlich gelten auch für Allergiker und betreuendes Personal die allgemeinen vom BAG-empfohlenen Verhaltensregeln (www.bag.admin.ch). Die bisherigen Untersuchungen v.a. aus China deuten darauf hin, dass Patienten mit vorbestehender Atemwegsallergie und auch bei einem gut eingestellten Asthma bronchiale an keinem erhöhten Risiko für einen schwereren Verlauf bei einer allfälligen Corona-Infektion leiden – diese gehören wohl somit nicht zu den eigentlichen Risikogruppen (8). Andererseits leiden Patienten vor allem mit einer Baumpollenallergie typischerweise in diesen Monaten an Niesattacken, Kratzen im Hals und bei Beteiligung der unteren Atemwege auch an Husten und allenfalls Atemnot – alles Symptome, die auch bei einer akuten Corona-Infektion auftreten können. Das kann zur Verunsicherung sowie einerseits zu einer unzureichenden Behandlung von Pollenallergien durch die Angst vor einer Corona-Infektion, andererseits zum Verpassen einer Corona- Infektion und dem damit verbunden Risiko der weiteren Ausbreitung führen (Abb. 3).

Zum einen hilft die Anamnese, sind Pollinosebeschwerden doch oft auch schon in den letzten Jahren aufgetreten und verstärkt bei sonnigem, windigem Wetter. Bei einer Infektion mit SARS-CoV- 2 sind oft Fieber und als sehr typisches Symptom ein plötzlicher Verlust des Geruch- und Geschmacksinns zu beobachten (in bis zu 50% der Fälle). Aktuell ist eine vorgängige telefonische Konsultation beim betreuenden Arzt sowieso in jedem Fall empfehlenswert und erlaubt oft schon eine weichenstellende Beratung für die von Allergien betroffenen Patienten. Da natürlich auch beide Erkrankungen gemeinsam auftreten können, empfiehlt sich hier die grosszügige Indikation zum Nachweis des SARS-CoV-2 Virus aus dem Nasen- oder Rachenabstrich, auch dies selbstverständlich unter Wahrung der entsprechenden Schutzmassnahmen vor einer Tröpfchenübertragung.
Die Behandlung von Atemwegsallergien kann in den allermeisten Fällen wie bisher erfolgen – sowohl Antihistaminika wie auch topische Medikamente können weiterhin eingesetzt werden. Gerade die Behandlung von asthmatischen Beschwerden mit topisch inhalativen Steroiden und/oder Betamimektika kann und soll fortgeführt werden (9, 10). Falls Patienten wegen ganzjährig schwerem Asthma eine Therapie mit Biologika (etwa mit Omalizumab, Mepolizmab oder Benralizumab) durchführen, kann diese nach bisherigen Erkenntnissen ebenfalls weitergeführt werden (11). Zurückhaltung ist geboten mit dem Einsatz von systemischen Steroiden oder eigentlich immunsuppressiver Medikamente (wie z.B. Cyclosporin, Azathioprim oder Methotrexat), da diese die Anfälligkeit respektive Komplikationen bei Corona-Infekt erhöhen dürften.
Eine bereits laufende allergenspezifische Immuntherapie v.a. mit Hymenopterengift oder ganzjährigen Schemata mit Inhalalationsallergenen kann fortgesetzt werden, allenfalls bei subkutaner Applikation idealerweise mit verlängerten Abständen, um die Arztbesuche zu vermindern (11). Von der Neueinleitung einer subkutanen Immuntherapie mit Pollenextrakten raten wir aus demselben Grund hingegen aktuell ab. Die sublinguale Immuntherapie kann weiterhin durchgeführt werden. Im Falle einer manifesten Covid-19-Infektion hingegen sollte jegliche SIT wie auch bei sonstigen fieberhaften Infekten bis zur Abheilung in jedem Fall unterbrochen werden.

Dr. med. Claudia Lang

Allergiestation, Dermatologische Klinik
UniversitätsSpital Zürich
Gloriastrasse 31
8031 Zürich

Prof. Dr. med. Marie-Charlotte Brüggen

Allergiestation, Dermatologische Klinik des Universitätsspitals Zürich
Universität Zürich, medizinische Fakultät
Hochgebirgsklinik Davos-Wolfgang

Prof. Dr. med. Peter Schmid-Grendelmeier

Universitätsspital Zürich
Allergiestation, Dermatologische Klinik
Rämistrasse 100
8091 Zürich
www.dermatologie.unispital.ch

peter.schmid@usz.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

1. Hasler S et al. Allergiediagnose -wann und wie? Ther Umsch. 2019 Nov;76(6):293- 299
2. Steering Committee Authors; Review Panel Members.. A WAO – ARIA – GA2LEN consensus document on molecular-based allergy diagnosis (PAMD@): Update 2020. World Allergy Organ J. 2020 Mar 7;13(2):1
3. Matricardi PM et al. EAACI Molecular Allergology User’s Guide. Pediatr Allergy Immunol. 2016 May;27 Suppl 23:1-250
4. Gassner M, Gehrig R, Schmid-Grendelmeier P. Hay fever as a Christmas gift.N Engl J Med. 2013 Jan 24;368(4):393-4
5. Imhof K et al Ash pollen allergy: reliable detection of sensitization on the basis of IgE to Ole e 1.Allergo J Int. 2014;23(3):78-8
6. Wüthrich B et al. Prevalence of atopy and respiratory allergic diseases in the elderly SAPALDIA population. Int Arch Allergy Immunol. 2013;162(2):143-8
7. Pfaar O et al-Perspectives in allergen immunotherapy: 2019 and beyond. Allergy. 2019 Dec;74 Suppl 108:3-25
8. Zhang JJ et al. Clinical characteristics of 140 patients infected with SARS-CoV-2 in Wuhan, China.Allergy. 2020 Feb 19.
9. Bousquet J et al. Intranasal corticosteroids in allergic rhinitis in COVID-19 infected patients: An ARIA-EAACI statement. Allergy. 2020 Mar
10. Shaker MS et al COVID-19: Pandemic Contingency Planning for the Allergy and Immunology Clinic.J Allergy Clin Immunol Pract. 2020 Mar 26.: S2213-2
11. Halpin DMG et al. Do chronic respiratory diseases or their treatment affect the risk of SARS-CoV-2 infection? Lancet Respir Med. 2020 Apr 3. pii: S2213- 2600(20)30167-3
12. Klimek L. Handhabung der Allergen Immuntherapie in der aktuellen COVID-19 Pandemie: Ein Positionspapier von ARIA, EAACI, AeDA und DGAKI. 2020 (im Druck

Angststörungen

In der November-Ausgabe von «der informierte arzt» erschien der 1. Teil mit dem Titel «Angststörungen: Häufigkeit, Klassifikation und Diagnostik». Daran anknüpfend beschreiben wir in diesem 2. Teil einige Therapieoptionen. Patienten mit einer beeinträchtigenden Angststörung (Panikstörung/Agoraphobie, Soziale Phobie, Generalisierte Angststörung (GAS), «Angst und depressive Störung, gemischt») sollten psychotherapeutisch oder medikamentös behandelt werden. Langfristig zeigen psychotherapeutische und medikamentöse Interventionen eine vergleichbar starke Wirksamkeit. Eine beeinträchtigende Spezifische Phobie sollte mit Expositionstherapie behandelt werden. Im Folgenden werden die verschiedenen Behandlungsansätze genauer beleuchtet.

Die folgenden Therapieempfehlungen beziehen sich hauptsächlich auf die S3-Leitlinien, die 2014 veröffentlicht wurden (1). Die Beschreibungen zu den Evidenz- und Empfehlungsgraden sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Als Therapieindikation für eine Angststörung gelten die Diagnose nach ICD-10 (2, 3), sowie ein mittelgradiger bis schwerer Leidensdruck des Patienten, psychosoziale Einschränkungen und/oder negative Konsequenzen durch die Angststörung. Typische negative Konsequenzen wären eine sekundäre Depression, Suizidgedanken oder Alkoholmissbrauch (1, 4). Allgemeine Ziele einer Behandlung sind die Reduktion von Angstsymptomen, Vermeidungsverhalten und der Rückfallwahrscheinlichkeit, sowie die Verbesserung der Bewegungsfähigkeit, der Lebensqualität, der sozialen Integration und die Wiederherstellung der beruflichen Leistungsfähigkeit. Die meisten Angststörungen können ambulant behandelt werden. Indikationen für einen stationären Aufenthalt wären Suizidalität, ein mangelnder Behandlungserfolg im ambulanten Setting oder bedeutsame Komorbiditäten, wie eine mittelgradige bis schwere Depression, Persönlichkeitsstörungen oder Substanzmissbrauch (4).
Prinzipiell sollte ein Patient mit Panikstörung/Agoraphobie (Ia/A), Generalisierter Angststörung (Ia/A) und Sozialer Phobie (Expertenkonsens/KKP) über die Möglichkeit der Behandlung mittels Psychotherapie und Pharmakotherapie informiert werden. Dabei sollte die Präferenz der Patienten berücksichtigt werden, nachdem sie über folgende Aspekte informiert wurden: Wirkeintritt, Nachhaltigkeit, unerwünschte Wirkungen und Verfügbarkeit. Ist eine Therapieform unzureichend wirksam, sollte die jeweils andere, beziehungsweise eine Kombination, angeboten werden (Expertenkonsens/KKP).

Empirische Evidenz für Psychotherapie versus Pharmakotherapie

Eine Metaanalyse mit 234 Studien zeigte beim Vergleich von Prä-Post-Veränderungen starke Effekte bei der Pharmakotherapie und der Psychotherapie, wobei die Effekte der Pharmakotherapie signifikant grösser waren (5). Die durchschnittliche Dauer für die Pharmakotherapie in dieser Metaanalyse war 9.2 Wochen, für die Psychotherapie 12.4 Wochen. Eine Metaanalyse mit 91 Studien, welche die Langzeiteffekte von Angstbehandlungen untersuchte, zeigte, dass es 26-104 Wochen nach Beendigung der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) zu einer weiteren signifikanten Verbesserung der Symptomatik kam (6). Die Effekte der Pharmakotherapie waren über den Beobachtungszeitraum hinweg stabil und wurden auch nach Absetzen des Medikaments beibehalten. Über den längeren Beobachtungszeitraum unterschieden sich die Effekte zwischen Pharmakotherapie und Psychotherapie nicht signifikant. Die Wirksamkeit von KVT und von Pharmakotherapie war hierbei im Vergleich zu Medikamentenplacebo über alle Angststörungen hinweg moderat (5). Kombinationsbehandlungen waren der jeweiligen Monotherapie meist nicht überlegen (1).

Psychotherapie bei Angststörungen

Grundlage jeder Psychotherapie ist der Aufbau und die Aufrechterhaltung einer guten, tragfähigen therapeutischen Beziehung, welche den Therapieerfolg positiv beeinflusst. Allen Patienten mit einer Angststörung sollten Psychoedukation zu ihrer Diagnose, der möglichen Ätiologie und Information zu den verschiedenen Behandlungsformen angeboten werden (4). Da die KVT zurzeit die beste empirische Evidenz (Ia/A) für die psychotherapeutische Behandlung von Angststörungen hat (1, 4), wird diese im Folgenden genauer beschrieben. Sollte sich die KVT als nicht genügend wirksam, nicht erwünscht oder nicht verfügbar erweisen, sollte eine psychodynamische Psychotherapie angeboten werden (IIa/B; Soziale Phobie: Ib/B).

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

Grundlage kognitiver Therapien ist, dass Gedanken unsere Gefühle beeinflussen und die Reaktion eines Individuums auf eine Situation von deren Interpretation abhängt (1). So kann ein Vortragender das Gähnen einer Person im Publikum als «mein Vortrag ist langweilig» oder als «die Person hat letzte Nacht wenig geschlafen» interpretieren. Je nach Interpretation wäre die darauffolgende emotionale Reaktion unterschiedlich. Im Laufe der Sozialisation werden gewisse Grundannahmen (Schemata) herausgebildet, welche die Interpretation von Situationen beeinflussen. Beck geht davon aus, dass maladaptive Gedanken, welche die Gefühle und das Verhalten von Patienten beeinflussen, ein gemeinsames Merkmal von psychischen Störungen sind (7). Dementsprechend kann eine Modifikation des Denkens zu einer Verbesserung der Stimmung und des Verhaltens führen. Neben den kognitiven Aspekten ist ein wesentlicher Anteil der KVT die Konfrontation mit angstauslösenden Situationen bzw. Stimuli. Während der Konfrontation ist es das Ziel, zu lernen, dass die gefürchtete Reaktion nicht eintritt (z.B. «die Spinne beisst mich nicht”), oder dass die gefürchtete Reaktion ausgehalten werden kann (z.B. «ich kann auch ängstlich einen Vortrag halten»). Die Konfrontation kann in der echten Situation (in vivo), in der Vorstellung (in sensu) oder in der virtuellen Realität (in virtuo) erfolgen (1).
Auch modernere Formen der KVT im Rahmen der sogenannten «dritten Welle der Verhaltenstherapie», wie Achtsamkeitsbasierte Therapie, Acceptance and Commitment Therapy (ACT) und Compassion Focused Therapy (CFT), sind vielversprechend in der Behandlung von Angststörungen (8, 9, 10, 11). Achtsamkeitsbasierte Therapie und ACT fokussieren im Vergleich zur klassischen KVT mehr auf die Akzeptanz von maladaptiven Gedanken als darauf, diese zu verändern (12). Im Rahmen der CFT lernen Patienten sich selber zu beruhigen, wenn sie Angst empfinden, indem sie sich selber mit Mitgefühl begegnen (13).

In Tabelle 2 werden die Therapieelemente der KVT bei Panikstörung/Agoraphobie genauer beschrieben. In der Psychoedukation zur Panikstörung wird erklärt, dass Panikattacken als besonders dramatisch ablaufende Alarmreaktionen des Körpers auf Stress verstanden werden können. In Phasen eines allgemein hohen Anspannungsniveaus kann schon eine alltägliche Stresssituation zum Auslöser einer Panikattacke werden («Stress Modell» der Panikstörung; 1). Aufgrund der stark furchterregenden Wirkung einer Panikattacke kommt es in der Folge häufig zu einer Sensibilisierung gegenüber den erlebten körperlichen Reaktionen (z.B. Herzrasen, Schwitzen), was in der Folge erneute Panikattacken auslösen kann (14). Die dabei auftretenden katastrophisierenden Missinterpretationen der körperlichen Empfindungen (z.B. «Ich habe einen Herzinfarkt») führen über die Symptome zu einem Gefühl der Gefährdung und damit zu weiteren Körpersymptomen («Teufelskreis der Angst»; 15).

Tabelle 3 beschreibt die Elemente der KVT bei GAS, welche in der Therapie bearbeitet werden. Laut kognitiven Modellen (16) wird die GAS aufrechterhalten durch den Gebrauch des «Sich-Sorgen-Machens» als inadäquate Bewältigungsstrategie sowie die anschliessende negative Evaluation derselben (z.B. «Sich-Sorgen-Machen macht mich krank») und die als mangelhaft wahrgenommene Kontrolle hierüber. Zudem wenden Patienten mit GAS häufig Sicherheitsverhalten an (z.B. Rückversicherungsanrufe), welches zur Aufrechterhaltung der Störung beiträgt.
In Tabelle 4 werden die Therapieelemente der KVT bei Sozialer Phobie genauer beschrieben. Aufrechterhaltende Faktoren der Sozialen Phobie sind neben Vermeidungsverhalten eine stärkere Selbstaufmerksamkeit, Sicherheitsverhalten und negativ gefärbte kognitive Verarbeitungsprozesse während und nach sozialen Situationen (17). Sicherheitsverhalten kann oft kontraproduktiv sein (wie z.B. keinen Blickkontakt halten und auf den Boden blicken), da Personen, die dieses Verhalten zeigen, mehr auffallen. Manchmal führt das Sicherheitsverhalten auch zu der befürchteten Reaktion (z.B. Arme andrücken, um Schwitzen nicht zu sehen, was zu verstärktem Schwitzen führt) (18).
Zur Behandlung der Spezifischen Phobie wird vor allem die Expositionstherapie eingesetzt. Für die effektive Behandlung von spezifischen Phobien sind nur wenige Sitzungen notwendig (4). In Studien werden 1-5 Sitzungen zu 1-3 Zeitstunden beschrieben. Wenn eine in-vivo-Exposition nicht möglich ist, sollte eine Virtuelle-Realität-Expositionstherapie angeboten werden (Expertenkonsens/KKP). Derzeit existieren diverse Szenarien zur Behandlung von spezifischen Phobien (z.B. Höhensituationen zur Behandlung von Höhenphobie, Szenarien mit virtuellen Spinnen zur Behandlung von Spinnenphobie etc.) (19).

Pharmakotherapie bei Angststörungen

Für die pharmakologische Behandlung von Angststörungen (keine Empfehlung für die Spezifische Phobie) bestehen die höchsten Evidenzkategorien (Ia) und Empfehlungsgrade (A) für die SSRIs (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) und SNRIs (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer). Je nach Angststörungen werden auch andere Substanzklassen empfohlen wie z.B. Trizyklische Antidepressiva (TZAs) (Ia/B).
Beim Einsatz von SSRIs/SNRIs und TZAs wird der Patient über eine Wirklatenz von ca. 2 Wochen (1-6 Wochen) und über mögliche unerwünschte Nebenwirkungen informiert (bei SSRIs/SNRIs z.B. Unruhe / Schlaflosigkeit in den ersten Tagen, sexuelle Dysfunktionen, Absetzphänomene; bei TZAs/Opipramol: z.B. anticholinerge Wirkung, Sedierung, Gewichtszunahme, kardiovaskuläre Wirkung). Darüber hinaus zeigte eine Studie 2017 (20), dass rund ein Viertel einer Patientenpopulation, die wegen Angst oder Depression mit z.B. Escitalopram, Sertralin, Desvenlafaxin (aktiver Hauptmetabolit von Venlafaxin) behandelt wurde, innerhalb der ersten 6 Behandlungswochen eine ängstlich-agitierte Symptomatik mit motorischer Unruhe («jitteriness syndrome») entwickelte. Bei den SSRIs und SNRIs besteht eine flache Dosis-Response-Kurve, d.h. dass ca. 75% der Patienten bereits auf eine initiale/niedrige Dosis reagieren. Bei bestehenden Leberfunktionsstörungen können Dosierungsanpassungen erforderlich sein (z.B. Citalopram). Für einige Präparate bestehen Empfehlungen für altersbedingte Dosis-anpassungen (z.B. TZAs, Citalopram, Escitalopram). Um Überstimulierungen und Schlaflosigkeit zu verhindern, sollte die Dosis morgens oder mittags gegeben werden. TZAs sollten in niedriger Dosierung begonnen und alle 3-5 Tage erhöht werden.
Um Rückfälle zu vermeiden wird empfohlen die Psychopharmakotherapie nach eingetretener Remission noch mindestens 6-12 Monate weiterzuführen. Eine Verlängerung der Dauer kann u.a. dann erwogen werden, wenn ein Absetzversuch zu einem Wiederauftreten der Angstsymptomatik führte oder der Krankheitsverlauf besonders schwer war.
Benzodiazepine sind zwar wirksam (Ia/Ib), sollen jedoch aufgrund gravierender Nebenwirkungen (Abhängigkeitsentwicklung, Toleranz, Verlängerung der Reaktionszeit, Stürze etc.) nicht angeboten werden (KKP). In Ausnahmefällen (z.B. bei schwerer kardialer Erkrankung, bestehenden Kontraindikationen für die jeweiligen Standardmedikamente oder Suizidalität) können sie unter sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung angewendet werden. Sie sollten dann aber in der Regel nur für wenige Wochen eingenommen und nach längerer Behandlung sehr langsam ausgeschlichen werden (ggf. über mehrere Wochen).
Gemäss den S3-Leitlinien gibt es für die Wirksamkeit homöopathischer oder pflanzlicher Präparate bislang keine wissenschaftlichen Nachweise. In einer jüngeren Studie zeigte sich bei Patienten mit subsyndromaler Angst oder Generalisierter Angststörung nach 2 Wochen unter Einnahme einer Substanz aus Lavendelöl eine deutliche Besserung der Symptome bei sehr guter Verträglichkeit (21).
Bei der Panikstörung/Agoraphobie (siehe Tabelle 5) sollten Citalopram, Escitalopram, Paroxetin, Sertralin oder Venlafaxin angeboten werden (Ia/A). Bei deren ungenügendem Ansprechen oder bei Unverträglichkeit soll Clomipramin angeboten werden (Ia/B).
Bei der GAS (siehe Tabelle 6) sollte eine Behandlung mit Escitalopram, Paroxetin, Venlafaxin oder Duloxetin angeboten werden (Ia/A). Zudem sollte der Kalziummodulator Pregabalin (Ia/B) angeboten werden, jedoch nicht bei Patienten mit aktivem oder früherem Substanzmissbrauch (z.B. Opioidmissbrauch oder multipler Substanzgebrauch) (22). Für Quetiapin besteht keine Zulassung für Angststörungen. In einer Übersichtsarbeit von 2019 (23) zeigten sich für die GAS unter Quetiapin zwar hohe positive Effekte bei jedoch gleichzeitig bestehender schlechter Verträglichkeit. Bei Unwirksamkeit oder Unverträglichkeit dieser Strategien kann Opipramol (Ib/0) oder Buspiron (Ib/0) angeboten werden.
Bei der Sozialen Phobie (siehe Tabelle 7) sollte Escitalopram, Paroxetin, Sertralin oder Venlafaxin angeboten werden (Ia/A). Bei deren Unwirksamkeit/Unverträglichkeit kann gemäss Expertenkonsens der reversible Monoaminooxidase A Inhibitor (RIMA) Moclobemid angeboten werden.

Weitere ausgewählte Behandlungsansätze

Internetbasierte Psychotherapie

Zunehmend gibt es auch mehr Studien zu Internetbasierter Psychotherapie mit nur geringem oder keinem Therapeutenkontakt (4). Bis zum heutigen Zeitpunkt gibt es noch nicht genug Evidenz darüber, ob diese so effektiv ist wie die «face-to-face» KVT. Für die Soziale Phobie besteht zurzeit die beste empirische Evidenz für internetbasierte Psychotherapie. Für die anderen Angststörungen sind die Resultate weniger konsistent (24).

Sport

Nebst der psychotherapeutischen und psychopharmakologischen Behandlung hat sich in unserer klinischen Praxis die Wichtigkeit von körperlichem Training in der Verminderung von Angstsymptomen gezeigt. Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse zeigte einen moderaten Effekt in der Verbesserung von Angstsymptomen bei Patienten mit einer diagnostizierten Angststörung (25).

Biofeedback

Zudem bestehen vielversprechende Verfahren in Form von Biofeedback-Therapie, bei welcher Veränderungen biologischer Zustandsgrössen (z.B. Herzrate/Herzratenvariabilität, Atemfrequenz/tiefe, muskuläre Anspannung, Hautleitwert) mittels elektronischen Hilfsmitteln in Echtzeit am Bildschirm sichtbar und so dem eigenen Bewusstsein zugänglich gemacht werden können. Hier zeigte eine Meta-Analyse 2017 z.B. dass Herzratenvariabilitäts-Biofeedback-Training mit einer starken Reduktion bezüglich Angst- und Stress-erleben einhergeht (26).

Dr. phil. Olivia Bolt

Eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin
Sanatorium Kilchberg AG und eigene Praxen in Zürich
Selnaustrasse 6
8001 Zürich

olivia.bolt@hin.ch

Dr. med. Lucas Krug

Psychiatrie und Psychotherapie FMH
Sanatorium Kilchberg AG und eigene Praxen in Zürich
Selnaustrasse 6
8001 Zürich

l.krug@hin.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Zur Behandlung von Panikstörungen (inklusive Agoraphobie), Generalisierter Angststörung und Sozialer Phobie sollten Psychotherapie oder Pharmakotherapie angeboten werden und die Präferenz des Patienten einbezogen werden. Bei Spezifischer Phobie hat Expositionstherapie die beste Wirksamkeit
  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist die Psychotherapie erster Wahl. Ist diese nicht wirksam oder vom Patienten nicht erwünscht, sollte eine psychodynamische Therapie angeboten werden
  • Bei der Psychopharmakotherapie von Angststörungen haben SSRIs (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) und SNRIs (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) die beste Evidenz. Benzodiazepine sind zwar wirksam, sollen jedoch aufgrund gravierender Nebenwirkungen nicht angeboten werden
  • Kombinationsbehandlungen sind den Monobehandlungen meist nicht überlegen

1. Bandelow, B., et al., Deutsche S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen. 2014. www.awmf.org/leitlinien.html
2. World Health Organisation (WHO), Tenth Revision of the International Classification of diseases, Chapter V (F): Mental and Behavioural Disorders (including disorders of psychological development). Clinical Descriptions and Diagnostic Guidelines. 1991, Geneva: World Health Organisation.
3. DIMDI, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification (ICD-10-GM). 2020.
4. Bandelow, B., Michaelis, S., Wedekind, D. (2017). Treatment of anxiety disorders. Dialogues in Clinical Neuroscience, 19(2): p. 93-106.
5. Bandelow, B., Reitt, M., Röver, C., Michaelis, S., Wedekind, D. (2015). The efficacy of treatments for anxiety disorders: a meta-analysis. Int Clin Psychopharmacol, 30: p. 183-192
6. Bandelow, B., Sagebiel, A., Belz, M., Görlich, Y., Michaelis, S., Wedekind, D. (2018). Enduring effects of psychological treatments for anxiety disorders: meta-analysis of follow-up studies. Br J Psychiatry, 212: p. 333-338.
7. Beck, J. Praxis der Kognitiven Therapie. Weinheim: PVU, 1999.
8. Gharraee, B., Tajrishi, K.Z., Farani, A.R., Bolhari, J., Farahani, H. (2018). A randomized controlled trial of compassion focused therapy for social anxiety disorder. Iran J Psychiatry Behav Sci, 12(4): e80945.
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10. Hofmann, S.G., Sawyer, A.T., Witt, A.A., & Oh, D. (2010). The effect of mindfulness-based therapy on anxiety and depression: a meta-analytic review. J Consult Clin Psychol, 78(2): p. 169-183.
11. Twohig, M. & Levin, M.E. (2017). Acceptance and commitment therapy as a treatment for anxiety and depression: a review. Psychiatr Clin M Am, 40: p. 751-770.
12. Hofmann, S., & Gomez, A.F. (2017). Mindfulness-based interventions for anxiety and depression. Psychiatr Clin N Am, 40(4), p. 739-749.
13. Bolt, O. (2015). Learning self-compassion and forgiving yourself. https://www.anxiety.org/how-self-compassion-can-help-anxiety
14. Craske, M. G., & Barlow, D. H. (2008). Panic disorder and agoraphobia. In D. H. Barlow (Ed.), Clinical handbook of psychological disorders: A step-by-step treatment manual (pp. 1-64). New York, NY, US: The Guilford Press.
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16. Wells, A. (1999). A cognitive model of generalized anxiety disorder. Behav. Modif. 23(4), p. 526-555.
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20. Sinha , P., Shetty, D. J., Andrade, C., Bairy, L. K. (2017). Antidepressant-related jitteriness syndrome in anxiety and depressive disorders: incidence and risk factors. Asian Journal of Psychiatry, 29: p. 148-153.
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Neue Therapiemöglichkeiten beim lokalisierten Prostatakarzinom?

Im Bestreben, die Invasivität und Nebenwirkungsquote der aktuellen Behandlungsoptionen des Prostatakarzinoms zu reduzieren, werden aktuell verschiedene fokale Therapieverfahren entwickelt und kommen heute zunehmend als experimentelle Behandlung v.a. im Rahmen von klinischen Studien zum Einsatz. In diesem Artikel werden die Verfahren im Einzelnen vorgestellt. Es sei aber betont, dass die EAU Guidelines (European Association of Urology) all diese fokalen Therapien als klinisch experimentell betrachtet und nur in prospektiv kontrollierten Studien zur Anwendung empfiehlt. Aktuell stellt einzig die radikale Prostatektomie, die Radiotherapie oder die LDR-Brachytherapie eine leitliniengerechte onkologische Therapie mit vertretbaren Nebenwirkungen dar.
Da es sich hauptsächlich um prospektive klinische Studien handelt mit nur kurzem Follow-up sind keine Zahlen bezüglich des tumorfreien Überlebens oder PSA free survival vorhanden.

Prostatakrebs ist die zweithäufigste Krebserkrankung bei Männern. Weltweit wurden 2012 schätzungsweise 1,1 Millionen diagnostiziert. Das sind 15% aller diagnostizierten Krebserkrankungen. Schweizweit sind es ca. 6000 Neuerkrankungen pro Jahr und 1300 Todesfälle aufgrund der Erkrankung.
Ein Hinweis für das Vorliegen einer Prostatakrebserkrankung kann das Abtasten der Prostata und die Bestimmung des PSA Wertes geben. Die Diagnose wird schlussendlich durch eine Gewebeentnahme (Biopsie) gesichert, heutzutage wird diese meistens mittels MRT-TRUS fusionsgesteuert durchgeführt.
Aufgrund eines wachsenden Bewusstseins für das Prostatakarzinom (PCa) zeigte sich in den letzten zwei Dekaden ein Trend zur früheren Diagnose durch Screening-Strategien und laufend verbesserte Bildgebungen. Die Folge davon ist, dass Männer in einem früheren Stadium mit kleineren Tumoren, die nur einen geringen Teil des Prostatavolumens ausmachen (meistens unifokal oder unilateral), identifiziert werden (1, 2). Daher sind in den letzten Jahren immer mehr neue Therapiemodalitäten entwickelt worden, die mit den Standardverfahren zur kurativen Therapie konkurrieren. Das Ziel ist, mit einem minimal invasiven Verfahren eine gleichwertige onkologische Sicherheit, eine verringerte Toxizität und verbesserte funktionelle Ergebnisse zu gewährleisten, indem sie nur die Indexläsion, also den klinisch relevanten Tumorherd, eliminieren (3, 4). Im Folgenden werden ausgehend von den Standardtherapieverfahren die neuen fokalen Therapiemodalitäten, die in der Literatur beschrieben sind, aufgeführt.

Standardtherapieverfahren

Beim klinisch lokalisierten Prostatakarzinom sind die nachfolgend aufgeführten Standardtherapieverfahren bekannt, es sei nochmals darauf hinzuweisen, dass diese bis heute als einzige Therapieverfahren gelten, die zur Kuration der Tumorerkrankung führen können. Alle Standarttherapieverfahren sind mit einer gewissen Morbidität insbesondere erektiler Dysfunktion oder Kontinenzproblemen verbunden, die auch die Lebensqualität der Patienten einschränken können.
Eine Lebenserwartung von mindestens zehn Jahren sollte vorhanden sein, um von einer lokalen Behandlung zu profitieren. Bei Männern mit PCa sind die Komorbiditäten wichtiger als das Alter, um die Lebenserwartung vorherzusagen.

Radikale Prostatektomie (RP): offen retropubische oder heutzutage meistens roboterassistierte laparoskopische Prostatektomie (RALP). Das Ziel dieser Therapiemethode ist die totale Entfernung des Tumors, wobei die Kontinenz und Potenz erhalten bleiben, wann immer dies möglich ist. Das Verfahren umfasst das Entfernen der gesamten Prostata mit intakter Kapsel und Samenbläschen, gefolgt von einer vesiko-urethralen Anastomose. Zur Erhöhung der postoperativen Kontinenz- und Potenzraten kann bei der Operation je nach Tumorstadium meist eine Nervschonung angeboten werden. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass das CSS (cancer specific survival) beim low risk und intermediate risk Karzinom (Tab. 1) 80-99% beträgt, bei einem medianen follow-up von, je nach Studie, 120-283 Monaten (5, 6, 7).

Radiotherapie (EBRT, External Beam Radiation Therapy)
Bei der perkutanen Strahlentherapie, das heisst der Bestrahlung von ausserhalb des Körpers, werden hochenergetische Röntgenstrahlen eingesetzt, um die Krebszellen abzutöten. Patienten mit einem Tumor mit niedrigem Risiko sollen mit mindestens 70-72 Gray (Gy; ggf. 74-80 Gy bei intensitätsmodulierter Strahlentherapie, IMRT) bestrahlt werden. Patienten mit einem Tumor mit mittlerem Risiko sollten dagegen eine höhere Strahlendosis (74- 80 Gy) erhalten. Die Bestrahlung dauert je nach Einzeldosisapplikation (ca. 2.5 Gy) 4-6 Wochen. Zudem folgt konkomitierend je nach Aggressivität des Prostatakarzinoms eine Androgendeprivation für 6-24 Monate. Häufige Nebenwirkungen sind irritative Miktionsbeschwerden. Je nach Studie zeigt sich eine 5-Jahres-Überlebensrate von 85% beim low risk oder intermediate risk Karzinom.
Bei der Low-dose rate (LDR) Brachytherapie werden Titanstifte mit niedriger Dosisrate permanent in die Prostata implantiert. Meistens wird für die radioaktiven Samen Iod-125 (I-125) oder auch Palladium (PD-103) verwendet. Die Strahlendosis wird über Wochen und Monate abgegeben. Die Samen können problemlos in der Prostata belassen werden. Akute Nebenwirkungen wie obstruktive oder irritative Miktion klingen über Monate ab. Es gibt bestimmte Kriterien, die über die Möglichkeit der Verwendung dieser Therapieoption entscheiden. Das 5 bis 10 Jahre tumorfreie Überleben bei low risk Karzinom liegt je nach Studien, zwischen 71%-93% bzw. 65%-85% (8).

Fokale Therapiemodalitäten

Der Hauptzweck der Fokaltherapie besteht darin, Tumore selektiv abzutragen und gleichzeitig die Toxizität zu begrenzen, indem die neurovaskulären Bündel der Prostata, der Schliessmuskel und die Harnröhre geschont werden (Tab. 2) (9, 10).
Die Hauptunterscheidung zwischen den Ablationsmodalitäten besteht darin, ob die Ablation auf einer thermischen Schädigung des Gewebes oder nicht-thermischen Veränderungen beruht, die auf zellulärer Ebene zu Apoptose führen.

Unter Kryotherapie versteht man die kontrollierte Abtötung von Tumorgewebe durch Gefrieren und Auftauen, wodurch der Zelltod durch Dehydratisierung induziert wird. Über Denaturierungsprozesse führt dies zur ischämischen Apoptose. Das Einfrieren der Prostata wird durch die Platzierung von Stiften unter TRUS (Transrektaler Ultraschall)-Führung, durch den Damm in das Prostatagewebe, durchgeführt. Es erfolgen Einfrier-Auftau-Zyklen, die zu einer Temperatur von -40 ° C führen (11). Häufigste Nebenwirkungen sind erektile Dysfunktion und Harninkontinenz. Die Behandlung erfolgt in Teil- oder Vollnarkose.
Hochintensiver fokussierter Ultraschall (HIFU) besteht aus fokussierten Ultraschallwellen, die von einem Wandler ausgesendet werden und Gewebeschäden durch mechanische und thermische Effekte sowie durch Kavitation verursachen (12). Das Ziel von HIFU ist es, Tumorgewebe über 65° C zu erhitzen, so dass es durch koagulative Nekrose zerstört wird. Zu den Nachteilen von HIFU gehören Schwierigkeiten bei der Erzielung einer vollständigen Ablation der Prostata, insbesondere in Drüsen, die grösser als 40 ml sind, und bei der Bekämpfung von Krebserkrankungen in der vorderen Zone der Prostata (13). Nebenwirkungen, die kurz nach Intervention auftreten können, sind Miktionsprobleme oder Erektionsstörungen. Die Behandlung erfolgt in Teil- oder Vollnarkose.
Unter photodynamischer Therapie (PDT) versteht man eine Behandlungsmethode, bei der eine Substanz intravenös appliziert wird. Der Wirkstoff (Photosensibilisator) reichert sich im Tumor an und schädigt diesen, sobald er mit Licht, über eine transperineal eingeführte Laser-Faser, in der Prostata aktiviert wird. Dabei überträgt sich die Lichtenergie auf das Medikament, es entsteht aktiver Sauerstoff, der die Tumorzelle zerstört (14). Nebenwirkungen können Prostatitis und Miktionsprobleme sein.
Laser-induzierte Thermotherapie (LITT), auch fokale Laserablation genannt, ist ein weiteres thermisches Verfahren, das zur Ablation führt. Es wird Wärmeenergie in Form von Laserlicht anstelle von heissen Drähten oder elektrischem Strom, verwendet. Im Gegensatz zu PDT ist LITT eine direkte Wärmeenergie und verwendet keine Photosensibilisatoren. Die Laserfasern sind transperineal oder transrektal direkt im Tumor positioniert. Die Anzahl der Fasern hängt vom Volumen des Zielgewebes ab (15). Eine lokale Betäubung ist möglich.
Radiofrequenzablation (RFA) ist ein weiteres thermisches Verfahren, das mittelfrequenten oder hochfrequenten Wechselstrom liefert, um im Zielgebiet Wärme zu erzeugen, die zum Zelltod führt. Ähnlich wie bei allen anderen Energiequellen, ausser HIFU der Prostata, wird es durch transperineales Einführen bestimmter Nadeln abgegeben (15). Der Eingriff erfolgt in Vollnarkose.
Die PAE (Prostatic Artery Embolization, dt. Prostataembolisation) ist ein Verfahren, welches in örtlicher Betäubung durchgeführt wird. Es wird die prostatische arterielle Versorgung mittels selektiver Arteriographie identifiziert. Danach die Prostatagefässe selektiv katheterisiert und die Arterien, welche die Prostata mit Blut versorgen, selektiv mit kleinen Kunststoffpartikeln verschlossen. In einer Pilotstudie wurde gezeigt, dass durch das Verfahren in einige Läsionen Tumorregression induziert wurde, ohne allerdings den vitalen Krebs vollständig zu eliminieren (16).
Die irreversible Elektroporation (IRE) ist eine neuartige bildgesteuerte Gewebeabtragungstechnologie, die den Zelltod durch sehr kurze, aber stark gepulste elektrische Spannung, die durch im Tumor applizierte Nadeln (transperineal eingeführt), induziert wird, hervorruft. Der Hauptunterschied zu anderen Ablationsmodalitäten besteht darin, dass es nicht thermischer Natur ist (17). Der Eingriff erfolgt in Vollnarkose. Es zeigen sich weniger Nebenwirkungen als bei thermischen Verfahren, trotzdem können Entzündung des Einstichkanals oder Blutungen auftreten.
Bisher ist die onkologische Wirksamkeit für die meisten Fokaltherapien angesichts des Mangels an zuverlässigen prospektiven Daten noch nicht belegt und muss weiter untersucht werden, bevor Empfehlungen für die klinische Routinepraxis gegeben werden können.
Eine leitliniengerechte onkologische Therapie mit vertretbaren Nebenwirkungen stellt aktuell einzig die radikale Prostatektomie, die Radiotherapie oder die LDR-Brachytherapie dar.

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Dr. med. Christa Babst

Klinik für Urologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstr. 95
9007 St. Gallen

Dr. med. Charlotte Düwel

Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München
Klinik und Poliklinik für Urologie
Ismaninger Strasse 22
D-81675 München

Prof. Dr. med. Hans-Peter Schmid

Klinik für Urologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstr. 95
9007 St. Gallen

Die Autoren haben im Zusammenhang mit diesem Beitrag keine Interessenskonflikte zu deklarieren.

  • Der Hauptzweck jeder invasiven Therapie des Prostatakarzinoms besteht in der Tumorfreiheit und einem anhaltenden tumorfreien Überleben, was mit der fokalen Therapie bis heute noch keinesfalls der Fall ist, denn Tumore können nicht selektiv abgetragen werden, um das Karzinom zu heilen.
  • Das Rationale für eine fokale Therapie besteht darin, Tumore selektiv abzutragen und gleichzeitig die Toxizität zu begrenzen unter Schonung des neurovaskulären Bündels, des Schliessmuskels und der Harnröhre.
  • Aufgrund der aktuellen Datenlage handelt es sich um klinisch experimentelle Verfahren und können daher nicht gleichwertig wie die Standardtherapieverfahren in Bezug auf Kuration des Prostatakarzinoms gesehen werden.

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Wie und mit welchem Gerät misst der Hausarzt den Blutdruck?

Der frühzeitigen Diagnosestellung durch den Hausarzt / die Hausärztin kommt, aus prognostischer Sicht, eine enorme Bedeutung zu. Doch so trivial die Blutdruckmessung heutzutage im klinischen Alltag sein mag, gilt es, einige zentrale Punkte zu beachten und einzuhalten, um Patienten mit einer arteriellen Hypertonie zu erkennen und die Diagnose korrekt zu stellen.

Im Wissen um die pathophysiologische Bedeutung der arteriellen Hypertonie (und natürlich auch der Hypotonie) werden Blutdruckmessungen im klinischen Alltag seit über 100 Jahren durchgeführt und wissenschaftlich untersucht (1-4). Und auch wenn immer wieder über adäquate Ziel- und Grenzwerte diskutiert wird, sind die Folgen eines zu hohen Blutdrucks unbestritten: Als eine der häufigsten internistischen Erkrankungen überhaupt ist die arterielle Hypertonie einer der wichtigsten und gefährlichsten kardiovaskulären Risikofaktoren (5-7). Aber Bluthochdruck führt auch zu weiteren kardialen Erkrankungen und stellt so beispielsweise die häufigste Ursache für Vorhofflimmern dar (8). Gefürchtet sind aber auch verursachte Endorganschäden, wie sie bei über Jahre unerkannter Erkrankung leider häufig auftreten (9). Die möglichst frühzeitige Erkennung und entsprechende Behandlung der Hypertonie ist deshalb entscheidend: So führt beispielsweise eine Blutdrucksenkung um nur 1 mmHg zu einer Abnahme des Hirnschlagrisikos um 3% pro Jahr (10).

Definition der arteriellen Hypertonie

Entscheidend für eine frühzeitige und adäquate Therapie der arteriellen Hypertonie ist die korrekte Diagnosestellung. Diese erfordert wiederum vor allem ein korrektes Messvorgehen. Fehlerquellen bei der Blutdruckmessung sind entweder «patientenbedingt» (Bewegung, Nervosität, zeitnahe Nahrungsaufnahme), «geräte-bedingt» (Verwendung von nicht-kalibrierten/validierten Geräten) oder «prozedere-bedingt» (Cuff-Position/-Grösse, Messmethode) (2-4). In den letzten Jahren wurden aber auch die Normalwerte immer wieder angepasst und vor allem im Rahmen der Publikation der aktuellen Amerikanischen Richtlinien heftig diskutiert (3, 11). In der Schweiz, wie im restlichen Europa richten sich die Diagnosekriterien nach den aktuellen Europäischen Richtlinien der ESC, welche grundsätzlich nicht vom traditionellen Grenzwert von 140/90 mmHg abweichen (2, 12).
Der systolische Blutdruck ist hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse ein vom diastolischen Blutdruck unabhängiger Risikofaktor, wobei in einzelnen Publikationen auch dem diastolischen Blutdruck prognostische Relevanz zukommt (5, 13). Weitere Blutdruckmessparameter, wie etwa der Pulsdruck (Differenz zwischen systolischem und diastolischem Blutdruck als Surrogatmarker für den pulsatilen Stress und die arterielle Steifigkeit) und der mittlere Blutdruck ergänzen die Evaluation, wobei diese in der hausärztlichen Praxis eher weniger verwendet werden (14, 15).
Diese Definitionen zeigen die diagnostischen Herausforderungen auf, denen wir uns im klinischen Alltag zu stellen haben. Und dahinter verbergen sich insbesondere auch zwei Subgruppen der arteriellen Hypertonie, welche relevante prognostische Folgen haben können: Es sind dies die «Weisskittelhypertonie» und die «Maskierte Hypertonie», auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll.

«Weisskittel-Hypertonie»

Die «Weisskittel-Hypertonie» ist ein sehr häufiges Phänomen. Ihre Prävalenz wird mit etwa 20-30% angegeben (16-18). Besonders häufig tritt sie bei älteren Patienten auf (16-18). Definiert wird sie dadurch, dass im ärztlichen Setting gemessene Blutdruckwerte zwar erhöht imponieren, diese im häuslichen bzw. privaten Umfeld aber normal sind (16-18). Die prognostischen Folgen der «Weisskittel-Hypertonie» sind umstritten (wie beispielsweise auch die der Belastungshypertonie), doch spricht die Datenlage für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko (16-21), zudem werden viele Patienten quasi «unnötig» behandelt. Eine, durchaus berechtigterweise, gefürchtete Folge davon sind klinisch relevante, medikamentös bedingte Hypotonien.

«Maskierte Hypertonie»

Im Gegensatz zur Weisskittel-Hypertonie zeigen sich bei der potentiell gefährlicheren «Maskierten Hypertonie» in den Messungen von Fachkräften, in der Regel, normotone Blutdruckwerte, während sie in der übrigen Zeit, ausserhalb der Praxis, in einem zu hohen Bereich liegen. Gefährlich ist diese Art von arterieller Hypertonie dadurch, dass die Diagnose und somit Therapie meist relevant verzögert wird. Mit einer Prävalenz von 15-30% ist auch die «Maskierte Hypertonie» relativ häufig (22-25).
Sowohl die «Weisskittelhypertonie», wie auch die «Maskierte Hypertonie» werden durch regelmässige Blutdruckmessungen ausserhalb der Hausarztpraxis, im «häuslichen» Umfeld, diagnostiziert («ambulatory blood-pressure measurement» ABPM). Hierbei bieten sich primär zwei Strategien an: Es sind dies die «Automatisierte Blutdruckmessung», welche in regelmässigem Abständen über eine Dauer von 24 Stunden erfolgt oder die «Selbstmessung» mit automatischen oder halbautomatischen Geräten, welche von den Patienten selbstständig durchgeführt wird (4). Die 24-Stunden-ABPM zeigt interessanterweise eine bessere Korrelation zu Endorganschäden, als die Praxismessung (26). Ausserdem gibt dieses Vorgehen klinisch und prognostisch enorm wichtige Auskünfte über das zirkadiane Blutdruckverhalten. Der nächtliche Blutdruckabfall («Dipping») oder eben das «Non-Dipping» sind wichtige prognostische Parameter (27-29). Ein adäquates nächtliches Dipping liegt vor, wenn der Blutdruck um mindestens 10% im Vergleich zum Tagesdurchschnitt absinkt. Beim «Reverse-Dipping» liegen die nächtlichen Blutdruckwerte sogar über dem Tagesdurchschnitt. Non-Dipper und Reverse-Dipper haben ein erheblich erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Organschäden (27-29).

Adäquate Messmethoden für die Hausarztpraxis

Wie soll nun aber die Hausärztin/der Hausarzt vorgehen, um eine arterielle Hypertonie akkurat zu diagnostizieren und dabei auch spezifischen und individuellen klinischen Situationen gerecht zu werden?
Auch komplexe Problemstellungen beginnen im Detail, bei den Grundlagen. Und so sind einige generelle Punkte zu beachten, die sowohl seitens Patienten, als auch des Praxisteams berücksichtigt werden sollten. Tabelle 1 gibt diesbezüglich einen Überblick.
Stellt sich der Patient zur Blutdruckmessung in der Praxis vor, sollten mindestens zwei zeitlich versetzte Messungen in einem ruhigen Umfeld (nach mindestens 5 Minuten Ruhephase) gemessen werden (2-4). Eine sehr elegante und empfehlenswerte Option, um etwa einen «Weisskittel-Effekt» zu umgehen, sind automatisierte Blutdruckmessungen in der Praxis. Arzt und Pflegekraft verlassen den Raum vorübergehend und das entsprechend programmierte Blutdruckmessgerät misst 2 bis 3 Werte über 5 bis 10 Minuten (30).
Zumindest bei einer Erstvorstellung sollte der Blutdruck an beiden Armen gemessen werden und bei Auftreten eines Blutdruckunterschieds der Arm gewählt werden, an dem die höheren Werte vorliegen (2). Blutdruckdifferenzen von 10-15 mmHg sind keine Seltenheit. Grössere Seitenunterschiede können bedingt sein durch eine Coarctatio oder andere Gefässstenosen und sollten gegebenenfalls weiter abgeklärt werden.
Die Blutdruckmessung in sitzender Position wird derjenigen beim liegenden Patienten, aufgrund der möglichen Messfehler im Liegen und der besseren Datenlage, bevorzugt (31). Zusätzliche Messungen im Stehen sind vor allem zur Abklärung der orthostatischen Dysregulation angezeigt. Bei älteren Patienten sollten sie routinemässig durchgeführt werden. Dabei ist auf eine genügende Zeitdauer der Messungen (z.B. in 1-Minuten-Intervallen) zu achten (mindestens 5 – 10 Minuten) (32).
Der Einfluss der Körperposition und Körperhaltung auf die Blutdruckmessung ist bemerkenswert. Die diesbezüglich wichtigsten Punkte sind in Tabelle 2 zusammengestellt.

Oszillometrische versus auskultatorische Methode (Sphygmomanometer)

Bis vor 10-20 Jahren galt für Fachkräfte die auskultatorische Methode als klassische Methode, bei Ihren Patienten den Blutdruck zu messen. Dabei wird ein aufblasbarer «Cuff» am Oberarm, über der zuvor palpierten A. brachialis, möglichst hautanliegend so platziert, dass das untere Ende des Cuffs ca. 2-3 cm über der fossa cubitalis zu liegen kommt. Der Cuff wird sodann bei auf der cubitalen A. brachialis liegendem Stethoskop rund 30 mmHg über den geschätzten systolischen Blutdruck aufgepumpt und langsam, mit einer Geschwindigkeit von etwa 2 mmHg pro Sekunde oder pro Herzschlag abgelassen. Die Korotkoff Töne werden bis zum vollständigen Verschwinden («Phase 5») verfolgt, was letztendlich dem diastolischen Blutdruckwert entspricht (2-4).
Es wurden und werden verschiedene Arten von Sphygmomanometern verwendet, wobei die klassischen quecksilberhaltigen Geräte aufgrund der potenziellen Toxizität der Substanz meist durch so genannte Aneroid- oder Hybrid-Sphygmomanometer ersetzt wurden (34).
Im Gegensatz dazu beruht die oszillometrische Methode technisch darauf, Oszillationsamplituden auf der lateralen Seite des Oberarms zu detektieren und mit einem Algorithmus, welcher je nach Anbieter variiert, primär auf den mittleren (maximale Amplitude) und dann auf den systolischen und diastolischen Blutdruck zu extrapolieren (35). Die meisten Geräte messen den Blutdruck in der Ablassphase des Cuffs, wobei auch Devices zur Verfügung stehen, die während der Aufblasphase messen (4, 34). Entscheidend ist letztendlich die korrekte Validierung der oszillometrischen Geräte. Ist diese jedoch adäquat erfolgt, sprechen die aktuellen Daten dafür, dass die oszillometrische Messart der auskultatorischen überlegen zu sein scheint (34, 35). Dies wird vor allem dadurch erklärt, das die «computerisierte» Technik weniger subjektiven Fehlerquellen im Sinne einer «Untersucher-Bias» unterworfen ist. Ausnahmen bestätigen aber, wie üblich, die Regel. Und so wird, vor allem aufgrund noch fehlender Validationsdaten, bei älteren Menschen, Kindern und Schwangeren weiterhin die auskultatorische Methode vorgezogen (2-4).
Ein weiterer Vorteil der oszillometrischen Messmethode ist die Möglichkeit, Messintervalle auf dem Messgerät zu programmieren. Dieses Vorgehen kommt, wie oben erwähnt, auch zunehmend in der Arztpraxis zur Geltung (automatisierte «Office» Blutdruckmessung – AOBP).

Messung am Oberarm versus Handgelenk

Bei automatisierten, oszillometrischen Systemen stellt sich die Frage, ob ein Oberarm- oder Handgelenks-Cuff verwendet werden soll. Obwohl Handgelenks-Cuffs, aufgrund ihrer problemlosen Verwendbarkeit bei sehr adipösen Patienten mit grossem Ober-armumfang sehr populär sind, birgt die Methode einige Nachteile: Der Blutdruck wird nur dann adäquat gemessen, wenn der Sensor des Cuffs genau über der A. radialis positioniert wird (2-4, 36). Um falsch hohe bzw. falsch tiefe Messwerte zu vermeiden, muss das Handgelenk bzw. der Cuff während der Messung genau auf Herzhöhe gelagert werden (2-4). Dies ist oft schwierig zu bewerkstelligen, wenn gleichzeitig eine entspannte Arm- und Körperhaltung beibehalten werden muss.
Messungen mit einem Oberarm-Cuff entsprechen heute der Methode der ersten Wahl. Doch auch bei dieser Methode müssen gewisse Grundsätze eingehalten werden (Tab. 2). Dennoch stellen (akkurat ausgeführte) Messungen am Handgelenk eine adäquate Alternative zur Oberarmmessung dar, falls dies der klinische Kontext verlangt (2-4, 37).
Messungen mit Finger-Cuff und Smartphone basierten Technologien sind wissenschaftlich nur oder noch ungenügend belegt, um im routinemässigen klinischen Alltag eingesetzt zu werden (38, 39).

Wahl der Cuff-Grösse

Bei Messungen am Oberarm kommt der Wahl der Cuff-Grösse eine sehr entscheidende Rolle zu: Eine zu kleine Manschette führt zu falsch hohen, eine zu grosse Manschette zu falsch tiefen Blutdruckwerten (36). Als Anhaltspunkt für die Grössenwahl dient der Oberarmumfang (Messung in der Mitte zwischen Akromion und Olecranon). Die Länge des Cuffs sollte 75-100% des Armumfangs entsprechen, die Breite 35-50% davon (Längen-/Breitenverhältnis etwa 2:1) (2-4, 36).

PD Dr. med. David Niederseer

Prof. Dr. med. Christian Schmied

Universitäres Herzzentrum Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

christian.schmied@usz.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Entscheidend für eine frühzeitige und adäquate Therapie der arteriellen Hypertonie ist die korrekte Diagnosestellung, welche wiederum vor allem ein korrektes Messvorgehen erfordert.
  • Fehlerquellen bei der Blutdruckmessung sind entweder «patientenbedingt» (Bewegung, Nervosität, zeitnahe Nahrungsaufnahme), «geräte-bedingt» (Verwendung von nicht-kalibrierten/validierten Geräten) oder «prozedere-bedingt» (Cuff-Position/-Grösse, Messmethode).
  • Nicht nur um die prognostisch wichtigen Diagnosen «Weisskittel-Hypertonie» und «Maskierte Hypertonie» zu detektieren, werden neben den Praxismessungen regelmässige Messungen im häuslichen Umfeld empfohlen.
  • Die mehrfach wiederholte oszillometrische Messung am Oberarm, mit korrekter Cuff-Grösse und nach adäquater Patienteninstruktion, wird gegenüber der sphygmomanometrischen Messung bevorzugt.

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Die Kristallarthropathien

Die Prävalenz der Hyperurikämie und der Gicht steigt in allen industrialisierten Ländern in den letzten Jahren stetig an. Eine Hyperurikämie führt nicht nur zur Urat-Ablagerung in Gelenken, gelenknahen Strukturen (z.B. Sehnenscheiden, Bursen) und seltener auch inneren Organen, sondern geht auch mit einer Erhöhung des kardiovaskulären Risikos, wahrscheinlich einer Verschlechterung der Nierenfunktion und möglicherweise auch einer Blutdruckerhöhung einher. In diesem Artikel werden die aktuellen Abklärungs- und Behandlungsmassnahmen zusammengestellt und auch die Differentialdiagnose der Pseudogicht erläutert.

Im Lauf der Evolution – beim Übergang vom Leben im Wasser zum Leben an Land – muss eine höhere Harnsäure Vorteile mit sich gebracht haben. Dementsprechend fehlt einigen höhergradigen Reptilien und allen Primaten das Enzym Uricase, das bei allen anderen Lebewesen die Harnsäure zu Allantoin abbaut. Gleichzeitig werden in unseren Nieren 90% der filtrierten Harnsäure rückresorbiert.
Veränderte Ernährungsgewohnheiten, steigende Lebenserwartung (abnehmende Nierenfunktion) und weitere Faktoren führen aber heute dazu, dass wir primär mit negativen Folgen einer Hyperurikämie konfrontiert sind. Als Hyperurikämie wird in den meisten Labors ein Harnsäurewert über 420 µmol/l definiert. Das Löslichkeitsprodukt liegt aber bei 360 µmol/l, d.h. bei höheren Werten beginnt die Harnsäure auszufallen. Deshalb wird bei der harnsäuresenkenden Behandlung ein Wert unter 360 µmol/l angepeilt.

Klinik und Diagnose

Die akute Gichtarthritis ist meist eine perakut auftretende Monarthritis (mit starken Schmerzen, Rötung und Schwellung), die bevorzugt an der unteren Extremität auftritt. Je typischer die Klinik, desto wahrscheinlicher ist die Diagnose. Allerdings müssen differentialdiagnostisch stets ein Infekt oder eine Pseudogicht (Chondrokalzinose) in Erwägung gezogen werden. Goldstandard für die sichere Diagnose bleibt weiterhin der mikroskopische Nachweis von Uratkristallen im Gelenkpunktat (Abb. 1.) (oder Gewebe) oder von Uratablagerungen im hochauflösenden Ultraschall (Abb. 2.) oder allenfalls Dual-Energy-CT (beide bildgebenden Methoden sind sehr spezifisch, erfordern aber eine gewisse Menge an Uratablagerung für den Nachweis, und können somit gerade im Frühstadium auch falsch negativ sein).
Die Bestimmung der Serumharnsäure ist im Anfall diagnostisch weniger hilfreich (sie kann sogar tiefer sein als ausserhalb eines Anfalles), hingegen ist sie wichtig für die Steuerung der harnsäuresenkenden Basistherapie. Erhöhte Entzündungszeichen (CRP, BSR) und eine Leukozytose passen gut zu einer akuten Gichtentzündung, sind aber natürlich nicht spezifisch dafür.

Behandlung

Behandlung der akuten Gicht

Nebst lokaler Kühlung möglichst rasch potente entzündungshemmende Medikamente, d.h. nicht-steroidale Antirheumatika (falls keine Kontraindikation besteht) oder Steroide systemisch oder (besser) intraartikulär (falls kein Infektverdacht besteht) oder Colchicin (in der CH allerdings nicht offiziell zugelassen). In besonderen Fällen kann ausnahmsweise in Zusammenarbeit mit einem Rheumatologen off-label ein Interleukin-1-Hemmer subkutan eingesetzt werden.

Basisbehandlung der Hyperurikämie

Nicht-medikamentöse Massnahmen (Lifestyle) sollen bei jedem Patienten empfohlen werden. Bezüglich Ernährung ist bei Übergewicht eine Reduktionsdiät sehr hilfreich (die Harnsäure und das Gichtrisiko steigen mit dem BMI linear an). Weiter bei allen Patienten Einschränkung des Konsums von tierischem Eiweiss zu Gunsten von mehr Milchproteinen und möglichst Verzicht auf fruktosehaltige Süssgetränke, Fruchtsäfte und Bier. Zum allgemeinen Management eines Patienten mit Hyperurikämie gehört auch das Beachten der meist assoziierten kardiovaskulären Risikofaktoren.
Eine medikamentöse (d.h. harnsäuresenkende) Basisbehandlung soll je nach Situation schon nach dem ersten Gichtanfall erwogen werden, ist aber sicher indiziert bei mehreren Anfällen pro Jahr, bei gleichzeitiger Niereninsuffizienz oder wenn bereits Tophi bestehen oder Urat-Nierensteine. Die Behandlung wird nach Abklingen des akuten Schubes eingeleitet und soll zu einer zuverlässigen Senkung der Harnsäure < 360 µmol/l (beim Vorliegen von Tophi, bereits Gelenkdestruktionen oder häufigen Attacken < 300 µmol/l) führen. Dementsprechend wird die Dosierung schrittweise gesteigert und die Harnsäure regelmässig überprüft bis zum Erreichen des Zielwertes («treat to target»). Zu beachten (und dem Patienten zu erklären!) sind die Tatsachen, dass es einerseits beim Beginn der Harnsäuresenkung nochmals zu akuten Gichtanfällen kommen kann (deshalb entweder begleitende Anfallsprophylaxe mit niedrig dosiert NSAR, Steroiden, z.B. 5 mg Spiricort, oder 0,5 mg Colchicin für die ersten Wochen oder zumindest Reservemedikamente für die Anfallsbehandlung verschreiben!) und dass andererseits auch bei korrekter Basisbehandlung eine vollständige Anfallsfreiheit erst nach vielen Monaten erwartet werden kann. Das Risiko von Nebenwirkungen ist geringer, wenn die Harnsäuresenker einschleichend dosiert und schrittweise erhöht werden («start low and go slow»). Medikamente der ersten Wahl bleiben die Xanthinoxidase-Hemmer Allopurinol oder Febuxostat. Letzteres ist in der CH nur kassenzulässig, wenn unter Allopurinol Nebenwirkungen auftreten, eine Kontraindikation dafür besteht oder die Wirkung ungenügend ist. Bei normaler Nierenfunktion wird eine Startdosis von 100 mg Allopurinol empfohlen mit schrittweiser Dosissteigerung um 100 mg z.B. alle 4 Wochen bis Erreichen des Harnsäure-Zielwertes. Falls erforderlich kann Allopurinol ohne Probleme bis auf 600 mg/Tag dosiert werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss die Startdosis der Kreatinin-Clearance angepasst werden. Oft erfolgt bei diesen Patienten aus Angst vor Nebenwirkungen keine oder nur eine ungenügende Harnsäuresenkung; aber sowohl die klinische Erfahrung wie auch zunehmend die wissenschaftlichen Daten zeigen, dass durch eine adäquate Harnsäuresenkung nicht selten die Nierenfunktion besser wird bzw. sich die Progression der Niereninsuffizienz verlangsamt.
Führt Allopurinol zu Nebenwirkungen oder ist die Wirkung ungenügend, kann Febuxostat eingesetzt werden, ebenfalls einschleichend dosiert mit vorerst 40 mg/d, dann Steigerung auf 80 mg/d. Im Gegensatz zu Allopurinol ist bei Niereninsuffizienz keine Dosisanpassung notwendig. Hingegen soll Febuxostat bei Patienten mit ischämischer Herzkrankheit vorsichtig eingesetzt werden.
Eine dritte Möglichkeit ist die Gabe von Urikosurika (nur bei normaler Nierenfunktion!), entweder Probenecid (cave Interaktionen) oder Lesinurad (nur in Kombination mit Allopurinol).
Wie bei allen medikamentösen Langzeitbehandlungen sind für eine möglichst optimale Compliance und Therapieadhärenz eine gute Information des Patienten ebenso entscheidend wie regelmässige Kontrollen. Idealerweise kennt der Gichtpatient seinen Harnsäurewert (und den Zielwert) ebenso wie jeder Diabetiker sein HbA1C.

Calciumpyrophosphat-Ablagerungs-Erkrankung («Chondrokalzinose», «Pseudogicht»)

Mit zunehmendem Alter steigt die Prävalenz von Ablagerungen von Calcium-Pyrophosphat-Kristallen im hyalinen und faserigen Knorpel (sogenannte Chondrokalzinose). Die genauen Ursachen und Mechanismen dieser sog. primären Chondrokalzinose sind weiterhin unbekannt. Epidemiologisch sind Frauen etwas häufiger betroffen; beschrieben sind auch familiäre Häufungen. Bereits bei jüngeren Patienten (d.h. vor 50-jährig) kann eine Ablagerung von Calciumpyrophosphat-Kristallen auftreten bei bestimmten Stoffwechselerkrankungen (z.B. Hämochromatose, Hypomagnesiämie, Hyperparathyreoidismus – sog. sekundäre Chondrokalzinose).

Klinik und Diagnose

Diese Kristallablagerungserkrankung gilt auch als «Chamäleon» der Rheumatologie, da sie sich ganz verschiedenartig äussern kann:

  • asymptomatischer Röntgenbefund («Chondrokalzinose»)
  • akute Arthritis («Pseudogicht») (Abb. 3.)
  • progrediente Arthrose an Gelenken, die nicht primär von Arthrose befallen werden (typisch: Handwurzel, MCP, Schulter, Knie, Hüfte); Meniskusläsionen
  • rasch progrediente destruktive Arthropathie (v.a. Hüftgelenk, Schultergelenk)
  • chronisch verlaufende Oligo-Polyarthritis («Pseudo-rheumatoide Arthritis»)
  • Polymyalgie-artig
  • Crowned-dens-Syndrom («Pseudomeningitis» zufolge Kalkeinlagerungen in den atlantoaxialen Bändern)

Nebst dem jeweiligen klinischen Bild gehört zur Diagnose auch hier der mikroskopische Nachweis von Calciumpyrophosphatkristallen in der Gelenkflüssigkeit oder der pathognomonischen Knorpel-Verkalkungen im konventionellen Röntgen (Abb. 4.), hochauflösenden Ultraschall (oder Computertomogramm beim Crowned-dens).
Beim Auftreten einer Chondrokalzinose vor 50-jährig soll eine sekundäre Form erwogen und nach den entsprechenden Grunderkrankungen gesucht werden.

Behandlung

Für die Behandlung der akuten Arthritis («Pseudogicht») gelten dieselben Prinzipien wie bei der Gichtarthritis. Eine eigentliche Basistherapie (oder Kausalbehandlung) steht hingegen nicht zur Verfügung. Bei häufigen Attacken kann Colchicin versucht werden oder allenfalls eine Magnesium-Supplementation. Bei mehr chronisch verlaufender Oligo- bis Polyarthritis soll eine Basisbehandlung mit Methotrexat versucht werden.

Dr. med. Andreas Krebs

Rheuma- und Osteoporose-Zentrum Kloten
Kalchengasse 7
8302 Kloten

andreaskrebs@hin.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Goldstandard der Diagnose bleibt der mikroskopische Kristallnachweis. Moderne Bildgebung kann helfen, da sehr spezifisch, allerdings nur beschränkt sensitiv
  • Harnsäure-senkende Basistherapie mit Allopurinol bzw. (bei Nebenwirkungen oder Kontraindikation) mit Febuxostat. Einschleichend beginnen und konsequente, schrittweise Dosissteigerung bis Harnsäure-Zielwert von 360µmol/l bzw. 300µmol/l erreicht ist (treat-to-target)
  • Nicht-medikamentöse Massnahmen und Co-Morbiditäten nicht vergessen
  • Häufige Ursache einer akuten Monarthritis beim alten Patienten ist die Chondrokalzinose. Ein konventionelles Röntgenbild hilft oft diagnostisch weiter.

Beim Autor

Wann muss der Nephrologe beigezogen werden?

Dieser Artikel bietet einen Überblick über das Erkennen von renalen Risikopatienten, die einer fachärztlich nephrologischen Mitbetreuung bedürfen, und zeigt deren Ziele und Vorteile auf.

Die chronische Niereninsuffizienz (CKD) ist eine chronisch-progressive Krankheit, die mit steigendem Alter und Zunahme der sogenannten Zivilisationskrankheiten wie Diabetes mellitus, Adipositas und arterieller Hypertonie stetig an Häufigkeit zunimmt (1 - 5, 12).
2016 lag die CKD-Prävalenz in der Schweiz bei 10.4 %, bei Personen über 60 Jahre sogar bei 25.4 % (1). Damit ist insgesamt ca. 1 von 10 erwachsenen Personen in der Schweiz von der chronischen Niereninsuffizienz betroffen.

CKD (chronische Niereninsuffizienz) und AKI (akute Nierenschädigung)

2012 wurden durch KDIGO (kidney disease: improving global outcome) und 2014 durch NICE (national institute of health and care excellence) internationale Guidelines zur Beurteilung und Behandlung der CKD und AKI resp. die Definition der CKD und auch des AKI entworfen (7, 8, 14).
Eine chronische Niereninsuffizienz besteht, wenn eine eingeschränkte Nierenfunktion (eGFR < 60 ml/min/1.73 m2) oder -struktur (z.B. Albuminurie > 30 mg/d) länger als 3 Monate besteht (7, 8). Die chronische Niereninsuffizienz wird gemäss glomerulärer Filtrationsrate in 5 resp. 6 Stadien eingeteilt und nach Schweregrad der Albuminurie in 3 Stadien (Tab. 1) (7, 8). Gemessen wird die Albuminurie als uACR = Albumin-Kreatinin/Ratio im Spoturin. Die uACR im Spoturin (in mg/mmol) multipliziert mit 10 ergibt in etwa die Albuminausscheidung pro Tag, da ein gesunder Mensch durchschnittlich 10 mmol Kreatinin pro Tag ausscheidet.
Um die chronische Niereninsuffizienz zu klassifizieren, sollte man die Ätiologie angeben (sofern diese bekannt ist), z.B. chronische Niereninsuffizienz KDIGO G3a A2 bei diabetischer Nephropathie oder membranöse Nephropathie G1 A3 (7, 8, 10). Ein fixiertes GFR-Level (< 60 ml/min/1.73 m2) zur Definition einer CKD führt v.a. bei älteren Menschen (> 65 Jahre) zu einer Überdiagnose der CKD, sodass bei diesen Patienten die Schwelle der CKD bei einer GFR < 45 ml/min/1.73 m2 angesetzt werden sollte (15).
Eine akute Nierenschädigung wird definiert als Anstieg des Serumkreatinins > 26.5 µmol/l innerhalb 48 h oder Anstieg des Basis-Kreatinins um > 1.5 innerhalb der letzten 7 Tage oder Abnahme der Urin-Ausscheidung < 0.5 ml/kg Körpergewicht pro Stunde für 6 h (14). Die akute Nierenschädigung wird in 3 Stadien eingeteilt je nach Anstieg des Kreatinins resp. Abnahme der Urinausscheidung (Tab. 2) (14).

Überweisungskriterien zur fachärztlichen Beurteilung:

Die (Früh)Erkennung und Prävention von Nierenkrankheiten liegt im Wesentlichen im Fokus der hausärztlichen Versorgung. Es ist wichtig, Patienten mit Risikofaktoren (z.B. Diabetes mellitus, hereditäre Nierenkrankheiten usw.) zu erkennen und diese bezüglich Nierenkrankheiten abzuklären (2, 7 - 12), da ein routinemässiges Abklären der Allgemeinbevölkerung nicht empfohlen wird.
Je schwerer die Nierenfunktionseinschränkung resp. Albuminurie desto häufiger sollten die Retentionswerte kontrolliert werden (Tab. 3) (7 - 13).
Wenn eine Nierenkrankheit vorliegt, stellt sich häufig die Frage: soll dieser Patient dem Nephrologen zugewiesen werden? Hierzu gibt es von allen renalen Fachgesellschaften als auch von KDIGO/NICE Empfehlung (7, 8) (Tab. 3 und Abb. 1).

Die Überweisungskriterien (Abb. 1) sind:
1) eGFR< 30 ml/min/1.73 m2
2) uACR > 300 mg/d in 2 verschiedenen Bestimmungen
3) eGFR-Verlust > 25 % resp. > 5-10 ml/min/1.73m2 pro Jahr
4) akute Nierenschädigung
5) glomeruläre Mikrohämaturie in 2 verschiedenen Bestimmungen
6) genetische Nierenkrankheiten (z.B. Alport-Syndrom oder ADPKD)
7) strukturelle Nierenveränderungen (z.B. Hufeisenniere oder Zystennieren)
8) rezidivierende Nephrolithiasis (zur Steinmetaphylaxie)
9) therapierefraktäre Hypertonie (> 4 Antihypertensivas)
10) schwere Elektrolytstörungen (z.B. metabolische Azidose oder Hyperkaliämie).

Ziele der fachärztlichen Beurteilung:

Nicht jeder „nierenkranke“ Patient muss von einem Nephrologen (mit)betreut werden, der Grundversorger kann viele der laborchemischen und klinischen Kontrollen in der hausärztlichen Praxis durchführen (2).
Die Vorteile/Ziele einer zeitgerechten Zuweisung zum Nephrologen sind vielfältig, einerseits als Hilfe in der Diagnosestellung resp. Findung der Ätiologie und andererseits in dem Erkennen und Behandeln der sekundären renalen Folgekrankheiten.
Die Mehrzahl der CKD ist durch Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie bedingt (10) und bedürfen meistens keiner weiteren Abklärung (z.B. Nierenbiopsie) jedoch sind bei einigen Nierenkrankheiten wie z.B. schwere Proteinurie oder glomerulärer Mikrohämaturie eine Nierenbiopsie zur Klärung der Ätiologie nötig, um eine zielgerichtete/spezifische Therapie einzuleiten.
Die renalen Folgekrankheiten sollten rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Die renale Anämie sollte ab einem Hämoglobin < 100 g/l behandelt werden. Primär sollte der Eisenstatus optimiert werden (Ferritin ≥ 300-500 µg/l, Transferrinsättigung ≥ 30 %), persistiert weiterhin ein Hb < 100 g/l sollte mit einem Erythropoietinpräparat begonnen werden. Ebenso sollte die metabolische Azidose ab einem Bicarbonat < 20 mmol/l mit oralem Bicarbonat therapiert werden, da die Azidosekorrektur die CKD-Progression verlangsamt. Die Elektrolytstörungen (Hyperkaliämie u/o -phosphatämie) sollten primär mittels Ernährungsumstellung resp. Diät optimiert werden, sollte dies nicht gelingen (Kalium permanent > 5.5 mmol/l resp. Phosphat > 1.5 mmol/l) sollte mit einem Kaliumbinder resp. Phosphatbinder begonnen werden.
Die Ernährungsberatung stellt in der Behandlung von Nierenkrankheiten einen wichtigen Pfeiler dar. Besonders in den höheren CKD-Stadien droht die Malnutrition, sodass häufig eine erhöhte Kalorien- und Proteinzufuhr (z.B. mittels Proteindrinks) gewährleistet werden muss.
Der sekundäre Hyperparathyreoidismus ist auch eine wichtige renale Folgekrankheit – aufgrund der geringeren renalen Bildung des Cholecalciferols muss dieses ersetzt werden. Primär mit 25-OH Vitamin D, bei unzureichender Korrektur des Parathormons und des Calciums kommen dann aktive Vitamin D-Supplemente (Cholecalciferol) sowie Calcimimetika zum Einsatz.
Ebenfalls kontrolliert der Nephrologe die bereits verschriebenen Medikamente und passt diese wenn nötig der Nierenfunktion an, potentiell nephrotoxische Medikamente (NSAR) werden abgesetzt und nephroprotektive Medikamente (wie z.B. ACE-Hemmer oder Sartan) sollten begonnen werden (2, 7, 8, 10, 12).
Ein weiterer Vorteil der fachärztlichen Zuweisung ist das frühzeitige Planen und Vorbereiten eines Nierenersatzverfahrens (Peritonealdialyse, Hämodialyse und Transplantation) mit zeitgerechter Anlage einer arterio-venösen Dialysefistel, sodass nicht notfallmässig ein Hämodialysekatheter mit erhöhter Infektgefahr eingelegt werden muss (5 – 7, 11, 12).
Erwiesenermassen sind Patienten, die vom Facharzt betreut werden, weniger lange im Spital, es können auch Hospitalisationen verhindert werden und die Kosten sind ebenfalls tiefer (1, 6, 7, 9, 13).
Ziel aller obengenannten Massnahmen sollte sein, die Progression der Krankheit zu verhindern resp. zu verzögern (2, 7,  13).

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Priska Schneider

Nephrologie
Spital Zollikerberg
Trichtenhauserstrasse 20
8125 Zollikerberg

priska.schneider@spitalzollikerberg.ch

Dr. med. Jörg Bleisch

Nephrologie
Spital Zollikerberg
Trichtenhauserstrasse 20
8125 Zollikerberg

Die Autoren haben im Zusammenhang mit diesem Beitrag keine Interessenskonflikte zu deklarieren.

  • KDIGO und NICE haben Guidelines für die Definition CKD sowie AKI gestaltet und auch Guidelines für die Behandlung von renalen Folgekrankheiten entwickelt (https://kdigo.org/guidelines/).
  • Eine CKD liegt vor, wenn eine eingeschränkte Nierenfunktion und/oder -struktur länger als 3 Monate andauert (eGFR < 60  ml/ min/1.73 m2 u/o uACR > 30 mg/d) (Tab. 1). Je nach Schweregrad der Niereninsuffizienz u/o der Albuminurie sollte die Häufigkeit der Konsultationen angepasst
    werden, s. Tabelle 3 (7, 8).
  • Eine akute Nierenschädigung wird definiert als Anstieg des Serumkreatinins > 26.5 µmol/l innerhalb 48 h u/o Abnahme der Urinproduktion < 0.5 ml/kg Körpergewicht/h für mind. 6 h (Tab. 2) (14).
  • Besonders bei älteren Patienten (> 65 Jahre) sollte die Schwelle zur CKD nicht bei einer eGFR < 60 ml/min/1.73 m2 angesetzt werden, sondern vielmehr bei einer eGFR < 45 ml/min/1.73 m2 (15).
  • Nicht jeder «nierenkranke» Patient muss dem Nephrologen zugewiesen werden. Der Grundversorger sollte Risikopatienten erkennen (z.B. schwere Albuminurie oder hereditäre Nierenkrankheiten) und diese dem Facharzt zuweisen (Abb. 1).
  • Ziele der fachärztlichen (Mit)Betreuung sind: Erkennen und Behandeln der renalen Folgekrankheiten (z.B. renale Anämie, metabolische Azidose usw.) sowie wenn nötig weiterführende Diagnostik zur Klärung der Ätiologie einzuleiten (Nierenbiopsie), Anpassung der Medikation an die Nierenfunktion, Vermeiden von Nephrotoxinen, das Planen und Durchführen von Nierenersatzverfahren und v.a. die Krankheitsprogression zu verhindern resp. zu verlangsamen.

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