Braucht es ein Screening für das Bauchaortenaneurysma?

Das Bauchaortenaneurysma (BAA) bleibt trotz sinkender Prävalenz eine relevante Mortalitätsursache bei Männern über 65 Jahren. Entgegen der wissenschaftlichen Datenlage, welche für ein Screening spräche, konnte sich in der Schweiz bisher kein derartiges Programm etablieren. Im folgenden Artikel möchte ich eine Lanze für das Screening des BAAs in der Schweiz brechen. Auch möchte ich Ihnen die aktuellen Wissenslücken und Zweifel bezüglich des Screenings darlegen.

Männer über 65 Jahre, allen voran Raucher und ehemalige Raucher, sind am häufigsten von einem BAA betroffen. Die damit verbundene Gefahr einer Ruptur ist stark vom Aneurysmadurchmesser abhängig, welcher normalerweise über die Jahre zunimmt. Die Operationsindikation stellt man bei Symptomen, bei rascher Grössenzunahme (>1cm/Jahr) oder ab einem Durchmesser von 5.5 cm. Bei kleineren Aneurysmen ist die Gefahr einer Ruptur gering und rechtfertigt das Risiko eines Eingriffes nicht, weshalb man sonographische Kontrollen bevorzugt (1).
Leider muss man auch heute noch von einer hohen Mortalität im Falle einer Ruptur ausgehen. Ein Grossteil der Patienten verstirbt noch vor Erreichen des Spitals, und auch bei einer Notoperation ist die Sterblichkeit bei weit über 30% hoch (2). Im Jahre 2017 wurden in der Schweiz zirka 300 Personen mit der Diagnose eines rupturierten BAAs hospitalisiert (3). Im Unterschied zu anderen Europäischen Ländern wie zum Beispiel Dänemark oder Grossbritannien, verfügen wir über kein nationales Screening-Programm (4). Die Gründe hierfür sind für mich nicht offensichtlich, denken wir nur an bereits realisierte Screening-Programme für onkologische Krankheitsbilder. Gerne werde ich Ihnen in der Folge einen Einblick in die Evidenzlage des BAA-Screenings geben. Durch das Fehlen eines nationalen Screening-Programms hierzulande kommt dem Grundversorger eine zentrale Rolle bei der Früherkennung des BAAs zu.

Ein sinnvolles Screening-Programm sollte die folgenden Kriterien erfüllen (5):

  • Die Erkrankung muss einen signifikanten Einfluss auf die Lebensqualität haben.
  • Es müssen akzeptable Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sein.
  • Vorhandensein einer asymptomatischen Latenzzeit, während derer die Diagnose und Behandlung der Erkrankung zu einer Reduktion der Morbidität und Mortalität führt.
  • Die Behandlung der Erkrankung in der Latenzphase muss zu einem besseren Resultat führen als jene nach Auftreten der Symptome.
  • Die Diagnosestellung muss kostengünstig und wenig aufwendig sein.

Nun, das Screening für das BAA erfüllt diese Kriterien in idealer Weise. Vier grosse randomisierte Studien haben sich in der Vergangenheit der Frage gewidmet, ob das Screening für das BAA die Aneurysma-spezifische, und die Gesamtmortalität bei der Zielgruppe, Männern über 65 Jahren, verringern kann (6-9). Zwei dieser Studien wurden in Grossbritannien, eine in Dänemark und eine weitere in Australien durchgeführt. Nur eine dieser vier Studien hat sich derselben Frage bei Frauen gewidmet (10). Als diagnostische Methode kam jeweils der Ultraschall zur Anwendung, welcher in 98.5% der Fälle eine genaue Diagnose stellen kann (Abb. 1) (11). Die Metaanalyse der Cochrane Bibliothek konnte nach einer Nachsorge von drei bis fünf Jahren eine deutliche Reduktion um zirka 40% der Aneurysma-spezifischen Mortalität bei Männern in den Screening-Gruppen ausmachen (Odds Radio 0.95, 95% CI 0.85-1.07)(12). Dies gilt ebenfalls, wenn auch nur in geringem Ausmass, für die Gesamtmortalität, welche in den Screening-Gruppen auch nach langer Nachsorge verringert werden konnte (Risk ratio 0.987, 95% CI 0.975-0.99, p=0.03) (13). Auf der Basis der Grossbritannischen MASS (Multicentre Aneurysm Screening Study)-Studiendaten kann man folgendes Model erstellen: In der Annahme dass 80% der aufgebotenen Patienten zum Screening erscheinen, und dass die postoperative Mortalität der elektiven Aneurysma-Operation 5% beträgt, was für heutige Verhältnisse eher hoch ist, muss man 240 Männer einladen, um einen frühzeitigen Aneurysma-bedingten Tod über 10 Jahre zu vermeiden (Number needed to Screen = 240) (14). Dies wurde von mehreren nationalen Gesundheitssystemen als kosteneffektiv angesehen (z. B. U. S. Preventive Services Task Force, NICE Guidelines).
Das Screening bei Frauen wurde, wie erwähnt, nur in kleinen Studien analysiert. Aufgrund der geringeren Prävalenz des BAAs bei Frauen und vor allem wegen ihrem späteren Auftreten im Alter konnte die Chichester Studie keine Reduktion der BAA-assoziierten Mortalität feststellen. Die im hohen Alter vermehrt bestehenden Komorbiditäten, welche das Operationsrisiko erhöhen, und auch die höhere Rupturrate, die sowohl in der Kontroll- wie auch in der Screening-Gruppe zu verzeichnen war, erklären dieses Resultat (10).
Kritiker verweisen auf potentielle Schäden, welche durch das Screening verursacht werden können. Diese sind zum einen in der Morbidität und Mortalität der elektiven Eingriffe zu suchen, die durch das Screening getriggert werden. Zum anderen sehen einige Studien einen negativen Einfluss des Screenings auf die Lebensqualität und fordern, auch wenn dieser Einfluss gering ist, mehr Daten diesbezüglich (15).
Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Tatsache, dass in der Nachsorge der MASS-Studie eine Abnahme des protektiven Effekts des Screenings nach zirka acht Jahren beobachtet wurde. Dies aufgrund von Rupturen bei Patienten, welche beim Screening noch als normal beurteilt wurden. Die Hälfte dieser Patienten wies bei der Screeninguntersuchung bereits eine Aortenektasie auf (Durchmesser 2-2.9 cm). Um diesen Effekt aufzufangen tendiert man dazu, diesen Patienten nach 5-10 Jahren eine Kontrolle anzubieten. Da es sich dabei um sehr wenige Personen handelt, ist der Ressourcenaufwand gering (16).
Alle randomisierten kontrollierten Landmarkstudien wurden im letzten Jahrhundert begonnen und wir wissen, dass die Prävalenz (damals 4-7%), wie auch die Inzidenz des rupturierten BAAs eher rückläufig sind (17). Durch die breitere Anwendung endovaskulärer Techniken, welche in der MASS-Studie kaum angewendet wurde, kam es zu einer Reduktion der perioperativen Mortalität. Weiter führen CT und MRI-Untersuchungen anderer Fachgebiete zu einer steten Zunahme der opportunistischen Frühdiagnosen von BAAs. Die Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung ist gestiegen. Es fragt sich daher, ob aus den obigen Gründen die Resultate der Studien heutzutage noch gültig sind.
In Schweden konnte man dies eindrücklich zeigen. Die Abnahme der Prävalenz des BAAs auf 1.5% (CI 1.5%-1.6%) wird durch eine Abnahme der perioperativen Mortalität in der Screening-Gruppe auf 0.9% sozusagen wettgemacht. Es wird so ein Mehrkosteneffektivitätsverhältnis von 7770.- Euro pro QUALY (Quality adjusted life year gain) errechnet, was für ein Screening Programm (<25‘000.- Euro) als effektiv gilt (18). In der aktuellen Dänischen VIVA-Studie konnte darüber hinaus eine Reduktion der Gesamtmortalität durch das Screening in der Bevölkerung nachgewiesen werden (19). Es gibt somit viele Hinweise auf eine gesundheitspolitische Relevanz des BAA-Screenings in der modernen Bevölkerung. Diese beiden Studien widersprechen somit auch der geläufigen Meinung, die BAAs würden heutzutage sowieso früher oder später während einer anderen radiologischen Untersuchung (mit-)entdeckt.

Drei Subgruppen gebührt spezielle Betrachtung:

  • Seit Jahren werden familiäre Häufungen von BAA-Erkrankungen beschrieben. Wissenschaftlich belegt wurde diese Beobachtung von Emma Larsson und ihren Mitarbeitern, welche bei erstgradigen Verwandten eine Verdoppelung des Risikos einer Aneurysma Erkrankung festgestellt haben (20). Daraus resultiert für die Betroffenen die Empfehlung eines BAA Screenings ab dem Alter von 50 Jahren.
  • Wegen der häufigen Vergesellschaftung von BAAs mit peripheren arteriellen Aneurysmen, ergeht die Empfehlung zum Screening bei Patienten mit poplitealen- und peripheren Aneurysmen. Ravn et al. haben in ihrem Patientengut eine bis zu 40% Ko-Inzidenz der beiden Erkrankungen entdeckt (21).
  • Aufgrund der gemeinsamen Risikofaktoren wie Nikotinabusus, Hypertonie und Hypercholesterinämie liegt der Gedanke nahe, Patienten mit Karotisstenose, koronarer Herzkrankheit oder peripherer arterieller Erkrankung auf ein BAA zu untersuchen. Es gibt hierzu jedoch keine exakten Daten, und man muss davon ausgehen, dass die erhöhte BAA-Prävalenz in diesem Patientengut auch von vermehrten Ko-Morbiditäten und einer geringeren Lebenserwartung begleitet ist. Dies könnte den Nutzen eines Screenings vermindern. Deshalb ist es nicht bekannt, ob ein Screening dieser Subgruppe aus gesundheitsökonomischer Sicht besonders empfehlenswert ist (22).

Es sei an dieser Stelle jedoch auf den Stellenwert der optimalen sekundären Prophylaxe mittels Thrombozytenaggregationshemmer, Statinen und Blutdruckmedikation hingewiesen. Diese verbessert bei Patienten mit diagnostiziertem BAA oder Aortenektasie die Langzeitprognose deutlich (23, 24).
Fazit ist, dass es ein Screening für das BAA braucht. Ich empfehle Ihnen, bei männlichen Patienten über 65 Jahre eine einmalige Ultraschalluntersuchung der Aorta durchzuführen. Patienten mit Aorten von >5 cm im Durchmesser sollten direkt einem Gefässchirurgen vorgestellt werden. Bei normalkalibrigen Aorten von unter 2 cm im Durchmesser ergibt sich keine Empfehlung zur Kontrolle. Alle anderen sollten regelmässig sonographisch nachkontrolliert werden. Ein nationales Screening Programm hätte zweifelsohne das Potential einer Reduktion der Aneurysma-bezogenen Mortalität in unserem Land.

Dr. med. Stephan Engelberger

Gefässzentrum, Kantonsspital Baden
Im Ergel 1
5401 Baden
Stephan.engelberger@ksb.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Das BAA eignet sich aufgrund der meist langjährigen asymptomatischen Latenzzeit sowie der hohen Mortalität im Falle der Ruptur optimal für ein Screening.
  • Screening Programme vermögen die Aneurysma-bezogene Mortalität signifikant zu vermindern.
  • Bei Männern über 65 Jahren ist somit eine einmalige Ultraschalluntersuchung der Bauchaorta sinnvoll.

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10. Scott RA, Bridgewater S. G., Ashton H.A. . Randomized clinical trial of screening for abdominal aortic aneurysm in women. Britisch Journal of Surgery. 2002;89:283-5.
11. Lindholt J. S. VS, Juul S., Henneberg E. W. Fasting H. . The validity of ultrasonographic scanning as screening method for abdominal aortic aneurysm. European Journal of Vascular and Endovascular Surgery. 1999;17:472-5.
12. Cosford PA, Leng GC. Screening for abdominal aortic aneurysm. Cochrane Database Syst Rev. 2007(2):CD002945.
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21. Ravn H, Wanhainen A, Björk M. Risk of new aneurysms after surgery for popliteal artery aneurysm. Britisch Journal of Surgery. 2008;95:571-5.
22. Wanhainen A, Lundkvist J, Bergqvist D, Bjorck M. Cost-effectiveness of different screening strategies for abdominal aortic aneurysm. J Vasc Surg. 2005;41(5):741-51; discussion 51.
23. Piepoli MF, Hoes AW, Agewall S, Albus C, Brotons C, Catapano AL, et al. 2016 European Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: The Sixth Joint Task Force of the European Society of Cardiology and Other Societies on Cardiovascular Disease Prevention in Clinical Practice (constituted by representatives of 10 societies and by invited experts)Developed with the special contribution of the European Association for Cardiovascular Prevention & Rehabilitation (EACPR). Eur Heart J. 2016;37(29):2315-81.
24. Erbel R, Aboyans V, Boileau C, Bossone E, Bartolomeo RD, Eggebrecht H, et al. 2014 ESC Guidelines on the diagnosis and treatment of aortic diseases: Document covering acute and chronic aortic diseases of the thoracic and abdominal aorta of the adult. The Task Force for the Diagnosis and Treatment of Aortic Diseases of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J. 2014;35(41):2873-926.

Arteriitiden

Vaskulitiden sind in Ätiologie und Manifestation sehr mannigfaltig. Als Arteriitiden, also Grossgefässvaskulitiden, gelten die Riesenzellarteriitis und die Takayasu-Arteriitis, auf die der Artikel fokussiert. Die Polymyalgia rheumatica hat einen engen Zusammenhang mit der Riesenzellarteriitis. Arteriitiden können klinisch vermutet werden, eine bildgebende oder bioptische Sicherung ist obligat. In der Frühphase dominieren klinisch Entzündungssymptome, später können Durchblutungsstörungen auftreten. Verspätete Therapie kann fatale Folgen haben. Eckpfeiler der Behandlung bleiben Steroide. Alternative immunsupprimierende Medikamente wie Metho-trexat oder Tocilizumab reduzieren den Steroidverbrauch.

Arteriitiden sind Vaskulitiden der grossen Arterien. Die Chapel Hill Konferenz 2012 definierte eine auch heute noch gängige Einteilung der komplexen Krankheitsbilder (1). Tab. 1 zeigt diese Einteilung, die sich an der Grösse des befallenen Gefässes orientiert. Bioptisch finden sich bei Arteriitis mit Leukozyten, speziell auch Riesenzellen, infiltrierte Gefässwände. Initial aktiviert ein autoimmuner Mechanismus T-Lymphozyten. Die nachfolgende Entzündungskaskade führt unbehandelt zur Stenosierung oder zum Verschluss des betroffenen Gefässes oder zur Zerstörung der Wand mit Aneurysmabildung bis zur Ruptur.
Der vorliegende Artikel fokussiert auf die Riesenzellarteriitis (RZA) und die Takayasu-Arteriitis (TA). Die faszinierenden neuen Aspekte in der Abgrenzung von RZA und TA als auch der Stellung der Polymyalgia rheumatica (PMR) sollen kurz beleuchtet werden.

Zwei Krankheiten oder gar drei oder nur eine?

Die RZA, früher oft auch Arteriitis temporalis Horton genannt, die TA und die PMR wurden früher als 3 eigenständige Krankheitsbilder interpretiert. Diese Sicht ist in der Zwischenzeit in Frage gestellt. Der genetische Nachweis von HLA-DRB1*04 scheint ein starker Risikofaktor für die Entwicklung einer RZA zu sein (2). Bei der TA findet sich gehäuft die Konstellation HLA-B*52 (3). Möglicherweise erklärt diese genetische Differenz den unterschiedlichen Phänotyp der beiden Krankheiten bezüglich ethnischer als auch klinischer Manifestation bei praktisch gleicher Histologie der Gefässentzündung. Die PMR wirkt primär wie eine «rheumatische» Erkrankung von Synovia und gelenksnahen Strukturen (4). Allerdings teilen auch PMR und RZA einen genetischen Polymorphismus im HLA-DRB1 Gen (5). Rund 50% der RZA präsentieren sich auch als PMR, initial oder im Verlauf, resp. die PMR entwickelt sich zur RZA (6, 7). In 18FDG-PET-Untersuchungen finden sich bei 30-90 % der PMR-Patienten arteriitische Veränderungen der Wände von Aorta und der abgehenden grossen Gefässe (6, 8, 9). Es ist zu vermuten, dass die PMR eher Frühstadium resp. klinischer Ausdruck der Entzündungsmediatoren der Arteriitis denn ein eigenständiges Weichteil-Krankheitsbild ist. Dafür sprechen auch histologische Befunde, wo bei PMR aktivierte dendritische Zellen in der Adventitia, aber noch keine die Media infiltrierende T-Lymphozyten gefunden wurden (10). Zwar gibt es im klinischen Alltag durchaus noch die typischen Manifestationen der Polymyalgia rheumatica, der Arteriitis temporalis, beide bei älteren Patienten und die Takayasu-Arteriitis der jungen Frau. Die neuen Erkenntnisse und Bildgebungen aber auch unsere eigenen Beobachtungen legen indessen nahe, dass grosse Überlappungen, vor allem zwischen RZA und Polymyalgie bestehen, und die Takayasu-Arteriitis, wenn sie bei einem über 40-jährigen Patienten auftritt, durchaus Ähnlichkeiten mit einer RZA aufweist. Die Unterschiede liegen wahrscheinlich nicht in unterschiedlichen Ätiologien, sondern in einer anderen genetischen Disposition der befallenen Individuen und im Stadium, wo die Krankheit entdeckt wird.

Epidemiologie

Für RZA und PMR liegt die Inzidenz in Europa bei ca. 20/100 000 E/a. Die TA ist vor allem in Japan bekannt, die bekannten Prävalenzzahlen liegen dort um 40/1 Mio. Einwohner. In der Regel sind RZA-Patienten über 50 Jahre alt, meist zwischen 70 und 80 und etwas häufiger weiblich. Bei der TA sind Frauen 7 x häufiger betroffen und meist unter 40-jährig (11, 12).

Symptomatik

Initial sind die Symptome unspezifisch und Ausdruck der massiven Ausschüttung von Entzündungsmediatoren. In späteren Stadien entsprechen sie der Schädigung von betroffenen Organen durch die entzündlich bedingten Gefässobstruktionen, z.B. die Erblindung bei Befall der Augenarterien. Eine Frühdiagnose von PMR, RZA oder TA auf Grund einer klinischen Beurteilung gilt auch heute noch als diagnostische Meisterleistung und bringt viel Ehre. Wichtig ist, bei allen unklaren Krankheitsbildern mit Müdigkeit, Schmerzen, Fieber und AZ-Verschlechterung an die Möglichkeit einer Arteriitis zu denken. Bei der PMR weisen beim Patienten über 50 Jahre die klassischen morgendlichen Schulter- oder Beckenschmerzen, bei der RZA die temporalen Kopfschmerzen oder die Kieferclaudicatio auf die Möglichkeit dieser Diagnosen. Bei der TA gibt es diese «klassische» Symptomatik nicht. Tab. 2 listet diagnostische Merkmale der 2 Entitäten auf. Besonders wichtig ist die rasche Diagnose bei der RZA mit Temporalarterienbefall. Wenn sich der Kopfschmerz atypisch-«nicht-temporal»- manifestiert, können diagnostische Irrwege mit der verheerenden Konsequenz einer Erblindung resultieren. Eine Amaurosis fugax kann erster und letzter Vorbote des drohenden Sehverlustes sein und bedarf in Kombination mit Kopfschmerzen und Allgemeinsymptomen einer notfallmässigen Diagnostik mit dem Ziel einer Steroidtherapie am gleichen Tag. Als erste Anlaufstelle ist beim Grundversorger ein «high index of suspicion» wichtigstes Prinzip der Primärdiagnostik.

Diagnostik

Klinische Untersuchungsbefunde

Die Palpation der Pulse ist essentiell. Sind sie abgeschwächt oder fehlend, hat die Arteriitis bereits zu einer hochgradigen Stenosierung oder gar zu einem Verschluss des Gefässes geführt. Die Pulsbeurteilung ist an der A. temporalis oft schwierig. Bei Arteriitis temporalis ist vor allem die Kombination von verdicktem und lokalisiert schmerzhaftem Gefässstrang eine brauchbare klinische Spur. Die Blutdruckmessung bestätigt Stenosen oder Verschlüsse semiquantitativ, wenn Seitendifferenzen von über 10 mm Hg vorliegen. Auch ungewöhnliche Gefässgeräusche, z.B. in der A. axillaris, können auf eine entzündliche Gefässstenosierung weisen.

Laboruntersuchungen

Einen spezifischen Laborparameter gibt es nicht. Bei den einfachen Grunduntersuchungen haben CRP (C-reaktives Protein) und BSR (Blutsenkungsreaktion) den höchsten Stellenwert. Sie erreichen bei der PMR resp. der RZA eine Sensitivität von fast 90% bei aber sehr geringer Spezifität von etwa 30%. Klassisch ist die sehr hohe BSR von > 100 mm, aber rund 4 % der Patienten haben normale BSR- und CRP-Werte (13). Bei der TA ist die Sensitivität etwas niedriger mit etwa 70%. Bis 25% der Patienten haben keine Erhöhung von CRP und BSR (14). Damit eignen sich beide Parameter in der Primärdiagnostik weder für den Beweis noch den Ausschluss von RZA und TA. Ihr Platz ist vor allem in der einfachen Monitorisierung des Krankheitsverlaufes.

Bildgebungen und Biopsie

Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MR), 18FDG-Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und die Duplex-Sonographie sind die wichtigen bildgebenden Verfahren. CT und MR haben den Vorteil der guten Übersichtsdarstellung mit simultaner Erfassung vieler oder aller befallenen Gefässabschnitte inklusive Aorta. In Abb. 1 ist der Befall der A. carotis communis bds. bei TA mittels MR-Angiographie dargestellt.
Die PET, auch kombiniert mit dem CT, kann die entzündliche Aktivität der Gefässwände sehr gut erfassen und erreicht bei einer Grossgefässvaskulitis eine Sensitivität und Spezifität von 91 resp. 89% (15, 16).
Besonders elegant ist die Duplex-Sonographie. Die nicht-invasive und kostengünstige Methode kann sowohl Wandveränderungen als auch Blutflusscharakteristika darstellen und liefert über den arteriitischen Prozess morphologische und hämodynamische Informationen. (17, 18). Hypoechogene Wandpolster, sog. Halo, die das Lumen in unterschiedlichem Mass einengen können, sind typisch für die RZA. Die Sensitivität und Spezifität für die Diagnose der RZA der Duplex-Sonographie beträgt 69 resp. 91%, vergleichbar mit der MRT (19). Damit kann die Krankheit bei unauffälliger Duplexsonographie zwar nicht ausgeschlossen werden, wenn aber sonographisch arteriitische Befunde nachweisbar sind, ist die Beweiskraft hoch. Ein positiver Ultraschallbefund korreliert mit dem klinischen Verlauf einer RZA nach einer neueren Untersuchung sogar besser als die Biopsie der A. temporalis (20). Typische Klinik, passende Entzündungsparameter im Labor und eine arteriitische Wandveränderung in der Ultraschalluntersuchung sichern die Diagnose einer RZA oder einer Polymyalgie mit Riesenzell-
arteriitis und machen in der Regel eine Biopsie überflüssig (21). Abb. 2 zeigt einen typischen sonographischen Befund einer floriden RZA der Temporalarterie.
Bei der TA sind die Wandauflagerungen der etwas grösseren Gefässe in der Regel etwas echodichter (22). Auch hier kann der Prozess eine Lumeneinengung verursachen, die mit der Duplexsonographie quantifiziert werden kann. Die Sensitivität und Spezifität für die Diagnose von Stenosen bei TA beträgt 90 resp. 91% (23). Kontrastmittelverstärkter Ultraschall und spezielles Scoring der Wandveränderungen inkl. IMT sind weitere diagnostische Möglichkeiten deren abschliessende Beurteilung aussteht (24, 25).

Differentialdiagnosen

Das unspezifische Frühstadium einer Grossgefässvaskulitis kann viele Krankheiten durch Ausschüttung von Zytokinen und anderen Entzündungsmediatoren nachahmen, z.B. Infekte, Tumore, Sarkoidose, rheumatische und andere Autoimmunerkrankungen (11). Die Abgrenzung ist insbesondere bei der PMR schwierig. Ist die Wandentzündung fortgeschritten, wird die Spur, z.B. bezüglich RZA mit Temporalarterienbefall oder Subclavia-Stenose bei TA, konkreter. Im letzteren Fall ist die Abgrenzung gegen die häufige arteriosklerotisch bedingte PAVK wichtig. Alter, vorbestehende Risikofaktoren und bereits durchgemachte vaskuläre Zwischenfälle helfen bei der Unterscheidung.

Therapeutische Aspekte

Nach wie vor sind Steroide die Eckpfeiler der Behandlung von Arteriitiden (13, 26, 27, 28, 29, 30). Dabei werden 3 Régimes angewendet:
1. Hohe intravenöse Stosstherapie bei RZA mit Augensymptomen oder bereits eingetretenem Visusverlust. Hier werden 3 Tage 500-1000 mg Methylprednisolon verabreicht, dann Prednison 1 mg/kg KG pro Tag, max. 60 mg, peroral, dann Reduktion der Dosis um 10-20% pro 2 Wochen, nach Erreichen von 10 mg/Tag weitere Reduktion um 1 mg /Monat. Parallel zur Reduktion der Steroide klinische Kontrolle und monatliche Kontrollen der Entzündungswerte im ersten Jahr, alle zwei Monate im zweiten Jahr und dann alle 3-6 Monate.
2. RZA ohne Augensymptome und TA werden mit peroralem Prednison, 1 mg/kg KG/Tag behandelt, Dosisreduktion gemäss obenstehender Empfehlung.
3. Die Polymyalgia rheumatica ohne Gefässbefall lässt sich gut mit niedrigeren Dosen behandeln, in der Regel 15-20 mg Prednison/Tag während 2-4 Wochen, anschliessend 10 Wochen 10-15 mg und dann ebenfalls mg-weise Reduktion jeden Monat unter Kontrolle von Klinik, BSR und Labor.
RZA und PMR können selbstlimitierend sein. Ein Absetzversuch der Steroide nach 1-2 Jahren ist deshalb sinnvoll. Bei 30-70% der Patienten kommt es allerdings zu einem Wiederaufflackern der Symptomatik (31, 32). Bei der TA ist der Verlauf in der Regel chronisch und ein vollständiges Absetzen der Medikation nicht möglich. Über die Hälfte der Patienten mit Arteriitis braucht wegen anhaltend hoher Steroid-Dosen eine medikamentöse Alternative (33, 34).
Am häufigsten angewendet wird Methotrexat (35, 36). Azathioprin und Cyclophosphamid sind andere Alternativen (37, 38). Tocilizumab, ein Interleukin-6-Antagonist, ist das bestuntersuchte Biological bei RZA und TA und spart bei vertretbarem Nebenwirkungsprofil fast die Hälfte der Steroiddosis (39). Für TA sind auch Leflunomid und Mycophenolat in kleinen Serien untersucht (40, 41). TNF-Inhibitoren scheinen im Gegensatz zur Anwendung bei RZA eine gewisse Wirkung zu haben, bei allerdings erheblichen Nebenwirkungen (42). Die Indikation zu diesen teuren und/oder nebenwirkungsträchtigen Therapien wird in der Regel von Spezialisten mit entsprechender Erfahrung gestellt.
Diverse flankierende Massnahmen sind zu beachten. Alle Patienten mit einer geplanten Steroid-Therapie über 3 Monate müssen bezüglich Osteoporose-Risiko gescreent werden und minimal Vitamin D und Calcium bekommen. Je nach Risikokonstellation sind eine antiresorptive Therapie und entsprechende Kontrollen indiziert (43). Aspirin hat keinen Effekt in der Behandlung der Arteriitis, soll aber bei Indikation aus anderen Gründen weitergeführt werden (44, 45). Eine Prophylaxe gegen Pneumocystis jirovecii wird bei Kombinationstherapie Steroide-Methotrexat empfohlen (46, 47).
Währenddem bei RZA die Immunsuppression ausreicht, können bei TA Interventionen nötig sein. Kurzstreckige Stenosen lassen sich mit Angioplastie behandeln, die Rolle des zusätzlichen Stentings ist offen (48, 49). Bei langen, fibrotisch veränderten Segmenten ist die Bypass-Operation in der chronischen Krankheitsphase bevorzugte Methode. Bei Notwendigkeit von Überbrückungen nach brachio-kranial oder koronar sollte der proximale Anschluss wenn immer möglich in der Aorta ascendens liegen, da weiter peripher liegende Arterien häufig in den Krankheitsprozess miteinbezogen sind (50, 51).

Hausarzt oder Spezialist oder beide?

Eine typische Polymyalgie kann durch einen engagierten Grundversorger behandelt werden. Wichtig ist die rasche Reduktion der Steroide auf die minimal nötige Erhaltungsdosis und der Absetzversuch nach 1-1.5 Jahren. Zudem gehört die Abschätzung des Osteoporoserisikos zum obligatorischen Programm. Sobald Probleme auftreten, z.B. ungenügendes Ansprechen, erhebliche Steroid-Nebenwirkungen oder bei Osteoporose oder -penie, soll der Patient dem Spezialisten überwiesen werden.
Wegen der schwierigeren Diagnostik und der potentiellen Komplikationen gehören TA, RZA und die PMR mit Gefässbefall in Spezialistenhände. Nach festgelegtem Therapieplan sind diese Patienten mit einer integrierten Versorgung Hausarzt-Spezialist-Zentrum in den besten Händen.

Dr. med. Alexander von Weymarn
Gefässzentrum USGG Spital Thurgau Frauenfeld
Interventionelle Radiologie Institut für Radiologie
Kantonsspital
8500 Frauenfeld

Dr. med. Saulius Sudikas
Gefässzentrum USGG Spital Thurgau Frauenfeld
Gefässchirurgie Chirurgische Klinik
Kantonsspital
8500 Frauenfeld

Dr. med. Beat Bundi
Gefässzentrum USGG Spital Thurgau Frauenfeld
Angiologie Medizinische Klinik,
Kantonsspital
8500 Frauenfeld

Prof. Dr. med. Beat Frauchiger

Gefässzentrum USGG Spital Thurgau Frauenfeld
Angiologie Medizinische Klinik,
Kantonsspital, 8500 Frauenfeld

beat.frauchiger@stgag.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Bei unklarem Krankheitsbild mit diffuser Symptomatik an die Frühphase einer Arteriitis denken.
  • PMR ist eher Frühform einer RZA denn eigenständiges Krankheitsbild und bei allen Arteriitiden können nebst dem «klassischen» Gefässareal auch andere Arterienregionen betroffen sein.
  • Gefässgeräusche und/oder Pulsabschwächungen können auf eine Lumeneinengung durch eine fortgeschrittene Arteriitis weisen.
  • Begleiten Kopfschmerzen eine mögliche arteriitische Symptomatik, muss die Abklärung wegen der Möglichkeit der Erblindung bei Augenarterienbefall sehr rasch erfolgen.
  • Steroide sind die Eckpfeiler der Therapie, bei RZA und PMR können sie bei günstigem Verlauf nach 1-2 Jahren wieder abgesetzt werden.

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Über die Behandlung der Migräne

Im Bericht über seine zweite Reise mit der Beagle schildert Charles Darwin, dass er nach seiner Ankunft in der argentinischen Stadt Santa Fe heftige Kopfschmerzen bekommen habe, die ihn für zwei Tage zu Bettruhe gezwungen hätten (1). Eine ältere Dame habe sich um ihn gekümmert und eigenartige Behandlungsmethoden empfohlen. So habe eine Therapie darin bestanden, eine Bohne in zwei Hälften zu teilen, zu befeuchten und an die Schläfen zu kleben. Diese habe dort verbleiben müssen, bis sie von alleine abgefallen sei. Manchmal habe man Menschen in der Stadt gesehen, die auch noch Tage nach dem Ende ihrer Kopfschmerzen eine Bohne am Kopf getragen hätten.

Die Methoden, die uns heute zur Schmerztherapie zur Verfügung stehen, haben im Laufe der Zeit an Komplexität gewonnen. Auch konzentriert sich die Behandlung nicht auf äussere Anwendungen. Im Mai 2019 waren in der Schweiz 18 Wirkstoffe und 186 zugelassene Medikamente für die Indikationen Kopfschmerzen und Migräne gelistet (2) – zu diesen kommen noch zahlreiche Substanzen, die off-label wirksam sind sowie nicht-pharmakologische Therapieansätze.
Wir wollen uns im Folgenden auf die Behandlung der Migräne konzentrieren, die im klinischen Alltag die häufigste Kopfschmerzerkrankung ist. Sie hat eine relativ hohe Prävalenz und ist mit deutlichen Einschränkungen im Alltag assoziiert (3). Dabei sind Attackenbehandlung und Prophylaxe (Basisbehandlung) zu unterscheiden: Erstere versucht eine bereits eingetretene Aktivierung der Schmerzwahrnehmung zu beenden, während Letztere die Empfänglichkeit des Gehirns für Migräneanfälle soweit wie möglich verringert. Beide Ansätze sind wichtig und beide haben ihre eigenen Herausforderungen.

Akuttherapie

Zur medikamentösen Behandlung von Migräneanfällen können einfache Analgetika sowie Triptane eingesetzt werden. Zusätzlich sind Antiemetika (Domperidon und Metoclopramid) oftmals hilfreich, da diese die Gastrokinetik positiv beeinflussen und in gewissem Mass schmerzlindernd wirken (4). Opiate sollten hingegen vermieden werden.
Eine grosse Metaanalyse kam dabei zu dem Schluss, dass NSAR und Triptane insgesamt vergleichbar gut wirken (5). Eine etwas bessere Wirksamkeit wurde Eletriptan (Relpax®) bescheinigt und Ibuprofen eine bessere Verträglichkeit. Neigt ein Patient zu besonders lang andauernden Anfällen, kann dem Wiederauftreten der Schmerzen durch Triptane mit langer Halbwertszeit (Frovatriptan (Menamig®) und Naratriptan (Naramig®)) oftmals vorgebeugt werden (6).
Für eine optimale Wirkung der Medikamente ist der Einnahmezeitpunkt entscheidend: In mehreren Studien wurde festgestellt, dass Triptane umso besser wirken je früher sie eingenommen werden (7 - 10). Es wurde vermutet, dass dies auf die zentrale Sensibilisierung zurückzuführen ist, die die Wirksamkeit der Medikamente verringert (7). Diese tritt auf, wenn zentral gelegene Abschnitte des nozizeptiven Systems über einen längeren Zeitraum stimuliert werden, und wird durch das Auftreten der Allodynie spürbar (11). Andere Autoren warfen ein, dass das schlechtere Ansprechen bei späterer Behandlung in erster Linie bei oraler Behandlung zu beobachten und eher Folge der durch die Migräne verzögerten Magenpassage sei (12). Ein abschliessendes Urteil ist nicht gefällt.
Auch unabhängig von diesen Überlegungen ist die Empfehlung zur möglichst frühzeitigen Akutbehandlung zu relativieren und eine individuelle Therapieplanung zu favorisieren, da Patienten durch diese Empfehlung zu einem vermehrten Akutmedikamentenkonsum verleitet werden könnten (13).
Eine zu häufige Einnahme von Akutmedikamenten ist nicht wünschenswert, da deren Wirkung dann ins Gegenteil umzuschlagen droht. Zwar wird weiterhin kurzfristig Schmerzlinderung erzielt, die Schmerzempfindlichkeit auf kortikaler Ebene nimmt aber zu (eine weitere Form der zentralen Sensibilisierung) (14, 15), sodass häufige Migräneanfälle und tägliche unspezifische Kopfschmerzen resultieren können. Dieser Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (Tab. 1) ist äusserst häufig – eine Prävalenz von mindestens 1 bis 2% wird vermutet (16, 17) – weshalb Patienten regelmässig ermutigt werden sollten, sich bei einer Zunahme der Anfallshäufigkeit frühzeitig zu melden, damit eine Prophylaxe diskutiert werden kann.

Prophylaxe

Interessanterweise geben ca. 75% aller Migränepatienten an, dass ihre Anfälle nicht zufällig auftreten, sondern vielmehr auf benennbare Faktoren zurückzuführen sind (18). Tatsächlich ist die Erkenntnis, dass benennbare «Trigger» zu Kopfschmerzen führen nicht neu – bereits um ca. 30 n. Chr. stellte Celsus in seinem Werk «De res medicina» fest, dass Kopfschmerzen durch «Wein, Magenverstimmung, Kälte, Hitze oder die Sonne ausgelöst werden» können («vel vino vel cruditate vel frigore vel igne aut sole contrahitur») (19, 20). In Publikationen jüngeren Datums werden Stress, hormonelle Veränderungen, das Auslassen von Mahlzeiten und Wetterwechsel als häufigste Auslöser von Migräneanfällen genannt (18). Umgekehrt gelingt es aber nicht immer, durch solche Einflüsse auch tatsächlich Anfälle auszulösen (21), was darauf hindeutet, dass die Interpretation einer Migräne als Konsequenz einzelner, unabhängiger Faktoren zu kurz greift.
Grössere Einigkeit besteht hinsichtlich der Bedeutung körperlicher Aktivität. So wurde festgestellt, dass Ausdauersport im aeroben Bereich eine kostengünstige Massnahme ist, die oftmals zu einer Verringerung der Kopfschmerzfrequenz führt (22 - 24). Evidenz gibt es auch für die Wirksamkeit von Autogenem Training (25, 26) und Progressiver Muskelrelaxation nach Jacobson (27) sowie Akupunktur (28).
Oftmals genügen nichtmedikamentöse Massnahmen aber nicht, um Migräneanfällen in ausreichendem Mass vorzubeugen. Bei mehr als drei Anfällen bzw. mehr als fünf Migränetagen pro Monat sowie sehr schweren, lang andauernden Anfällen, sollte eine medikamentöse Prophylaxe erwogen werden (4). Die Entscheidung sollte aber individuell und gemeinsam mit den Patienten getroffen werden. Dabei müssen auch unrealistische Erwartungen gedämpft werden: Das Ziel ist nicht, die Migräne zu heilen – eine Therapie gilt als erfolgreich, wenn sie die Anfallshäufigkeit um mindestens 50% reduziert. In jedem Fall sollten Patienten ermutigt werden, ein Kopfschmerztagebuch zu führen, damit der Therapieerfolg überwacht werden kann. Hat sich eine Prophylaxe bewährt, darf nach ca. sechs bis zwölf Monaten eine Therapiepause erwogen werden. Da die Anfallshäufigkeit im Laufe eines Migränelebens variieren kann, ist es gut möglich, dass eine Prophylaxe nicht mehr benötigt wird.
Inzwischen stehen einige Medikamente zur Verfügung, welche sich als effektiv bei der Migränevorbeugung erwiesen haben (Tab. 2) (4, 29). Die Schweizerische Kopfwehgesellschaft (SKG) hat Anfang des Jahres eine aktualisierte Therapieempfehlung publiziert (4). Mit Ausnahme der neuen CGRP-Antikörper (s.u.) wurde jedoch keines dieser Medikamente speziell für die Migräne entwickelt. Dies kann dazu führen, dass Patienten einerseits manchen Medikamentenklassen (v.a. den Antidepressiva) sehr zurückhaltend gegenüberstehen und andererseits über «Nebenwirkungen» klagen, von denen manche der tatsächlich beabsichtigten Wirkung der Substanzgruppe entsprechen (z.B. Hypotonie bei Betablockern und ACE-Hemmern). Es ist daher zweckmässig, bei der Auswahl einer Prophylaxe zu prüfen, ob der Patient auch von anderen Wirkungen bestimmter Medikamente profitieren könnte oder zumindest nicht übermässig beeinträchtigt würde.

Ganz allgemein wird empfohlen, mit niedriger Dosis zu beginnen und die Wirksamkeit der Prophylaxe erst nach einer Therapiedauer von zwei bis drei Monaten insbesondere auf Basis des Kopfschmerztagebuchs zu beurteilen.
Der erste Vertreter der monoklonalen Anti-CGRP-Antikörper kam 2018 auf den Markt, 2019 folgte ein zweiter (30, 31). Mit der Zulassung weiterer Medikamente dieser Klasse ist in den nächsten Monaten zu rechnen. Calcitonin gene-related peptide (CGRP) ist ein Botenstoff mit stark vasodilatierender Wirkung (32), dessen Konzentration im Blut während Migräneanfällen ansteigt (33). Die nun therapeutisch eingesetzten Antikörper richten sich entweder gegen den CGRP-Rezeptor oder CGRP selbst und reduzieren die Anzahl der Migränetage um durchschnittlich drei bis vier Tage pro Monat bei episodischer Migräne (34 - 37). Sie überwinden die Bluthirnschranke wahrscheinlich nicht, haben ein günstiges Nebenwirkungsprofil und werden einmal monatlich subkutan injiziert. Die Medikamente dürfen in der Schweiz nur von einem Neurologen verordnet werden. Eine Kostengutsprache kann durch einen Vertrauensarzt für Patienten mit episodischer und chronischer Migräne erteilt werden, wenn ein grosser Leidensdruck vorliegt und mindestens zwei prophylaktische Medikamente aus unterschiedlichen Klassen keinen ausreichenden Nutzen gebracht haben oder nicht vertragen wurden (30, 31).

Abkürzungen:
ACE Angiotensin Converting Enzyme
CGRP Calcitonin gene-related Peptide
NSAR Nichtsteroidales Antirheumatikum
SKG Schweizerische Kopfwehgesellschaft

Dr. med. Heiko Pohl

Heiko Pohl
Klinik für Neurologie
Universitätsspital Zürich
Schweiz

Prof. Dr. med. Peter S. Sandor

RehaClinic Bad Zurzach und Universität Zürich
Schweiz

Prof. Dr. med. Andreas R. Gantenbein

Facharzt Neurologie
Neurologie am Untertor
Erachfeldstrasse 2
8180 Bülach
www.neurologie-untertor.ch

andreas.gantenbein@zurzachcare.ch

A.G. erhielt Honorare für Beratung oder Referate von Allergan, Almirall, Curatis, EliLilly, Novartis, MedGate, Pfizer, Streuli, SWICA & TEVA. P.S. erhielt Honorare für Beratung oder Referate von Allergan, Almirall, EliLilly, Novartis & TEVA. H.P. hat keine Interessenskonflikte.

  • Zur Akutbehandlung eines Migräneanfalls können einfache Analgetika und Triptane eingesetzt werden. Die Wirksamkeit von NSAR und Triptanen ist dabei vergleichbar.
  • Eine medikamentöse Prophylaxe sollte erwogen werden, wenn mehr als drei Anfälle oder mehr als fünf Kopfschmerztage pro Monat auftreten.
  • Monoklonale Anti-CGRP-Antikörper können von einem Facharzt für Neurologie verordnet werden, wenn zuvor zwei prophylaktische Medikamente aus unterschiedlichen Wirkstoffklassen erfolglos ausprobiert oder nicht vertragen wurden.

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Heute, morgen oder nie?

Zunehmende Evidenz belegt, dass sich mit einem Lungenkrebs-Screening-Programm mittels Niederdosis-Computertomographie (LDCT) die Mortalität in einer Risikopopulation signifikant senken lässt. Neuere Daten zeigen, dass eine strikte Selektion von Teilnehmenden in einem LDCT-Screening-Programm und Messung der Volumetrie von Rundherden die Häufigkeit falsch positiver Befunde reduziert. Eine multidisziplinäre Arbeitsgemeinschaft von Interessensgruppen und Experten für Lungenkarzinom-Screening, die «Schweizerische Lung Cancer Screening Implementation Group» (CH-LSIG), unterstützt die Etablierung eines Schweizerischen Lungenkrebs-Screening-Programms. Dieser Artikel widmet sich dem Lungenkarzinom-Screening, einem der Startprojekte des «Expertengremiums Krebsfrüherkennung», welches 2018 im Rahmen eines Pilotprojekts der Nationalen Strategie gegen Krebs eingesetzt wurde.

Mit 3 200 Todesfällen jährlich ist das Lungenkarzinom die häufigste krebsassoziierte Todessache in der Schweiz (1). Jedes Jahr werden 4 300 neue Fälle mit Lungenkarzinom diagnostiziert (4 363 in 2015, 4 252 in 2014, 4 293 in 2013). Der hauptsächliche Risikofaktor für das Lungenkarzinom ist Tabakrauchen, sodass die Inzidenz und Mortalität mit 20- bis 30-jähriger Latenz folgen. Diese Tatsache erklärt auch, warum in der Schweiz die Mortalität des Lungenkarzinoms bei Männern fällt, aber bei Frauen noch zunimmt.

Niederdosis-Computertomographie ermöglicht Lungenkrebs-Detektion im Frühstadium

Lungenkrebs hat eine detektierbare, aber häufig asymptomatische und mehrjährige präklinische Phase, sowie eine effektive chirurgische Behandlungsoption. Deshalb wurden verschiedene Methoden der Früherkennung in den letzten 20 Jahren untersucht. Niederdosis-Computertomographie (LDCT) ist ein sensitives bildgebendes Verfahren, welches die Detektion von Lungenkrebs in einem Frühstadium ermöglicht. Es gibt aktuell zunehmende Evidenz, dass eine adäquate diagnostische und therapeutische Strategie nicht nur die spezifische Mortalität von Lungenkrebs, sondern auch die Gesamtmortalität senkt. Im US National Lung Screening Trial (NLST) konnte die Mortalität von Lungenkrebs um 20% (relative Risikoreduktion) gesenkt werden, was eine «number needed-to-screen» von rund 320 entsprach (2). Die Ergebnisse der in Holland und Belgien durchgeführten NELSON-Studie wurden zum ersten Male im September 2018 an der Weltkonferenz für Lungenkrebs vorgestellt. Dabei wurde gezeigt, dass die Lungenkrebsmortalität sich um 26% reduzieren liess (3). In einer kleineren Subgruppe von Frauen verminderte LDCT-Screening die Todesrate sogar um 50%. Die NELSON-Studie ist wichtig, da sie Lungenrundherde mittels Volumetrie untersuchte, um suspekte Lungenrundherde zu beobachten und so falsch positive Befunde, verglichen mit dem NLST, deutlich vermindern konnte. Auch die kürzlich publizierten italienischen MILD- und deutschen LUSI-Studien konnten im 8- bis 10-Jahres-Verlauf einen andauernden Vorteil des LDCT-Screenings mit einer 36 bis 39%igen relativen Risikoreduktion für die Lungenkrebsmortalität und einer 20%igen relativen Risikoreduktion für die Gesamtmortalität in der MILD-Studie zeigen (4, 5).
Somit kumuliert sich die Evidenz, dass die Früherkennung von Lungenkrebs Potenzial hat, Leben zu retten. Eine kürzlich publizierte Mikro-Simulationsstudie konnte ausserdem zeigen, dass dies in der Schweiz mit grosser Wahrscheinlichkeit eine kosteneffektive Intervention ist (ca. 30 000 Schweizer Franken pro gerettetes Lebensjahr) (6). Bisher sind die USA, Grossbritannien und Polen die einzigen Länder, in denen das LDCT-Lungenkrebsscreening bereits eingeführt oder, nach Empfehlung verschiedener Fachgesellschaften, in Vorbereitung ist. In Europa warten eine Vielzahl Länder auf die Veröffentlichung der Ergebnisse der NELSON-Studie und Erneuerung der Gesundheitstechnologiebewertung, auf welchen die Einführung eines Lungenkrebs-Screening-Programms basiert sein wird. Die Verzögerung ist teilweise auch der Rate falsch positiver Untersuchungsresultate im NSLT mit potenziellen Nebenwirkungen invasiver diagnostischer Zusatzuntersuchungen oder Behandlungen geschuldet. Obwohl LDCT-Screening mit grosser Wahrscheinlichkeit kosteneffektiv sein wird (ein relativer Ausdruck), ist von substanziellen Mehrkosten (d.h. absoluten Kosten) auszugehen: Mit einer Teilnahmequote von 10% der für das Screening in Frage kommenden Personen wird der Mehraufwand mit ca. 16 Millionen Franken jährlich für die Schweiz beziffert.
Schweizer Dienstleister, unter anderem eine Stiftung (http://www.lungendiagnostik.ch/) mit assoziierten Privatspitälern, bieten bereits seit mehreren Jahren ein LDCT-Screening für asymptoma-tische Personen an.
In der Schweiz besteht gegenwärtig fürs Lungenkarzinomscreening ein Vakuum. Eine zukünftige Strategie wird für die nachhaltige Durchführbarkeit und Finanzierung eines hochqualitativen LDCT-Screening-Programms verschiedene Interessensgruppen berücksichtigen müssen, von potenziellen TeilnehmerInnen zu Leistungserbringern und verschiedenen Akteuren im öffentlichen Gesundheitswesen.

Aktuelle Daten und Evidenz

In der Schweiz wurde verschiedentlich versucht, die Auswirkung, Kosteneffizienz, Durchführbarkeit und Finanzierung von LDCT-Lungenkrebsscreening zu berechnen. Wie bereits erwähnt, konnte eine Modellierungsstudie zeigen, dass LDCT-Lungenkarzinomscreening potenziell die Mortalität in der Schweiz, einem Land mit hoher Raucherprävalenz mit akzeptablem Kosten-Risikoverhältnis reduzieren kann. Auch wenn die Durchführbarkeit bisher nicht systematisch untersucht wurde, zeigen erste Erfahrungen am Universitätsspital Zürich, dass die Integration eines Screening-Programms in die aktuelle klinische Routine mit substanziellen Personalressourcen und einer Anpassung der Prozesse sowie einer geeigneten Infrastruktur verbunden ist. So ist ein spezifisches Team in den Abteilungen für Radiologie, Pneumologie und Thoraxchirurgie notwendig, um den Anforderungen eines LDCT-Lungenkarzinom-Screening-Programms gerecht zu werden (Prof. T. Frauenfelder, mündliche Kommunikation). Diese Anpassungen betreffen im Übrigen auch nur diejenigen Menschen, welche sich tatsächlich einem Screening unterziehen möchten (vermutlich rund 10-20%). Für den ersten Schritt der Information über ein Screening-Programm und den Prozess der Entscheidungsfindung, ob man ein Screening-Zentrum aufsucht, gibt es derzeit noch keine Strukturen. In anderen Ländern (z.B. Polen) erfolgt dieser Schritt über Hausärzte, während man sich dafür in der Schweiz die Hausärzte, aber auch Gesundheitsorganisationen wie z.B. die Lungenliga, vorstellen könnte.
Die CH-LSIG, hat in einem Statement über LDCT-Lungenkrebsscreening die grundlegenden Anforderungen eines zukünftigen Früherkennungsprogramms festgehalten (7). In diesem Statement wird von 300 000 Frauen und Männern in der Schweiz ausgegangen, welche sich als Risiko-Zielgruppe potenziell für ein LDCT-Screening qualifizieren würden. Aufgrund der geographischen Verteilung von Dienstleistern und Zentren des Gesundheitswesens, welche ein Screening anbieten könnten, sowie der elektiven Natur der Untersuchung, kommt die Expertengruppe zum Schluss, dass ein landesweites Screening-Programm durchführbar wäre.
Daten zur Finanzierbarkeit eines LDCT-Lungenkrebs-Screening-Programms sind bisher unvollständig. Auch wenn die oben erwähnte Modellierungsstudie davon ausgeht, dass ein solches Früherkennungsprogramm mit grosser Wahrscheinlichkeit mit einem akzeptablen Kosten-Nutzen-Verhältnis unter 100 000 Schweizer Franken pro gerettetes Lebensjahr durchgeführt werden könnte, bestehen noch Unklarheiten über die absoluten Kosten und deren Verteilung zwischen potenziellen Kostenträgeren (Krankenversicherungen, TeilnehmerInnen im Screening-Programm, und Nicht-Profit-Organisation wie die Lungenliga).
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die Evaluierung und Entscheidung zur Etablierung eines nationalen Lungenkrebs-Screening-Programms bis zur Publikation der NELSON-Studiendaten verschoben.
Auch stehen bisher ungenügend Daten zur Verfügung über die Bereitschaft potenzieller TeilnehmerInnen im Screening-Programm, einen Teil der Kosten zu tragen oder bezüglich der Möglichkeit, dass Dienstleister die Kosten für notwendige Personalressourcen und Anpassung der Infrastruktur übernehmen würden.
Die anlässlich der Lungenkarzinom-Weltkonferenz im September 2018 präsentierten Ergebnisse der NELSON-Studie zeigten eine 26%ige relative Risikoreduktion bei Männern, was in medizi-nischen Fachgesellschaften international eine breite Unterstützung für den Aufbau nationaler Screeningprogramme ausgelöst hat (3). Dies wurde bereits im 2017 erschienen «European position statement on lung cancer screening» propagiert (8). Gegenwärtig wird in Polen ein Screening-Programm initiiert und in Grossbritannien erweitert das öffentliche Gesundheitswesen NHS das vorhandene Pilotprogramm. Auch etabliert die europäische Gesellschaft für thorakale Bildgebung (European Society for Thoracic Imaging, ESTI) einen Zertifizierungsprozess für Lungenkarzinomscreening bei Radiologen. Dieser wird von der Europäischen Gesellschaft für Radiologie unterstützt und basiert auf Webinaren sowie Kursen zur Diagnostik von Rundherden und dem Einsatz von Diagnostik-Software (computeraided diagnosis, CAD).
Trotzdem bleiben einige grundlegende Fragen bisher unbeantwortet, welche anhand des Screening-Prozesses illustriert werden können (Abb. 1). Ein wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass Lungenkrebs-Screening deutlich komplexer als die Durchführung einer einzelnen Screeninguntersuchung ist. Der Prozess beginnt mit einer Information der TeilnehmerInnen aus der Risikopopulation (z.B. 60- bis 80-jährig und mindestens 30 packyears Tabakrauchen oder zusätzliche/andere Kriterien). Ziel ist es, dass TeilnehmerInnen im Screeningprogramm eine informierte Entscheidung treffen können, ein LDCT durchzuführen. Nach dem ersten LDCT findet eine Konsultation statt, um die Untersuchungsergebnisse zu besprechen, Risikofaktoren zu thematisieren und zu entscheiden, welche Folgeuntersuchungen stattfinden sollen. Diese könnten bei einer suspekten Läsion entweder diagnostische Verfahren beinhalten oder weitere Nachkontrollen zur Folge haben. Der Screening-Prozess kann auch zu einer Behandlung führen, welche auch ein spezifisches Monitoring beinhaltet.
Es gibt zunehmend wissenschaftliche Evidenz für jeden Schritt des Screening-Prozesses. Sowohl die Studien NSLT, MILD, LUSI und NELSON, als auch die Modellierungsstudien von Tomonaga et al. werden zukünftig eine detaillierte Evaluierung des Prozesses über Nutzen, Nebenwirkungen und Kosten ermöglichen.

Relevanz des Lungenkarzinomscreenings im Schweizer Kontext

Lungenkrebs hat die höchste karzinomassoziierte Mortalität in der Schweiz und in Europa, hauptsächlich wegen der späten Diagnose im fortgeschrittenen Stadium, welches keinen kurativen Therapieansatz mehr zulässt. Mehrere Studien für Lungenkrebs-Screening mit LDCT zeigen eine klare Evidenz für eine signifikante Reduktion der Lungenkrebsmortalität.
Gegenwärtig werden in den USA Lungenkrebs-Screeningprogramme etabliert und mehrere europäische Länder folgen diesem Beispiel. In der Schweiz findet aktuell eine politische Debatte über die Kosten im Gesundheitswesen statt, mit Kritik an etablierten Präventionsmassnahmen wie das Screeningprogramm beim Mammakarzinom. Deshalb wird eine zukünftige Lungenenkrebsprävention eine evidenzbasierte Etablierung eines Screeningprogramms benötigen, unter aktivem Einbezug involvierter Interessensgruppen.
Die CH-LSIG unterstützt deshalb ein national koordiniertes Programm zur Erfassung und wissenschaftlichen Auswertung sämtlicher Daten und Outcomes. Ein «opportunistisches» Screening ausserhalb eines Programmes wird von der CH-LSIG nicht empfohlen. Wünschen Patienten trotzdem eine LDCT Untersuchung, sollten sie vorher umfassend über Risiko und Nutzen aufgeklärt werden.
Ein zukünftiges Schweizer Programm sollte über einen «bottom-
up»-Ansatz der verschiedenen Interessensgruppen etabliert und durch eine Implementierungsanalyse wissenschaftlich begleitet werden, mit dem primären Ziel, die Lungenkrebs-Mortalität zu senken und falsch positive Befunde zu reduzieren.
Eine solche breite und integrative Strategie bezweckt, alle Interessensgruppen während des Implementierungsprozesses zu integrieren, was sowohl national als auch international ein innovativer Ansatz ist. Die Schweiz kann daher eine wichtige Rolle in der Einführung eines LDCT Lungenkarzinom Screeningprogramms spielen, welches auf der besterhältlichen Evidenz basiert und die Stärken des Schweizer Gesundheitssystems nutzt.

Offene Fragen zur Durchführbarkeit

  • Welche Organisationen interagieren mit potenziellen TeilnehmerInnen aus der Risikopopulation für das Screening?
  • Welche Kriterien definieren die Risikopopulation, um eine minimale «number needed to screen» und «number harmed» zu gewährleisten?
  • Welche Aspekte behindern und welche vereinfachen die nachhaltige Etablierung eines LDCT-Screening-Programms für Dienstleister im Gesundheitswesen?
  • Welche Anbieter im Gesundheitswesen etablieren interdisziplinäre Teams und stellen die notwendige Infrastruktur zur Verfügung, um ein LDCT-Screening-Programm anzubieten?
  • Wie wird Rauchentwöhnung im LDCT-Screening-Programm integriert, um die maximale Anzahl RaucherInnen zu erreichen?
  • Welches Screening-Regime sollte die Schweiz einsetzen, welches sind die Details vom LDCT-Screening-Programm?
  • Wie und durch wen werden Rundherde detektiert, analysiert und befundet, welcher Algorithmus wird zum Management implementiert?
  • Welches sind die Optionen für die Datenerfassung, ein Register und ein begleitendes Qualitätsprogramm in der Schweiz?

Offene Fragen zur Finanzierung und Nachhaltigkeit

  • Wie werden Information, Konsultationen und Spirometrie vor dem LDCT finanziert? Sind TeilnehmerInnen bereit, einen Teil der Kosten selber zu tragen?
  • Könnte eine zusätzliche Tabaksteuer einen Teil des LDCT-Screening-Programms finanzieren?
  • Wie hoch müsste die Kostenübernahme der obligatorischen Krankenkasse sein, um eine nachhaltige Etablierung eines LDCT-Screening-Programms zu gewährleisten?
  • Wie finanzieren Dienstleister im Gesundheitswesen Personalressourcen, zusätzliche technische Ausrüstung, Ausbildung und Infrastruktur unabhängig von der Rückerstattung durch Krankenkassen?
  • Wie werden Datenerfassung, Register und Qualitätsprogramme finanziert?
  • Wie wird mit Zufallsbefunden umgegangen (z.B. kardiovaskuläre Erkrankungen), um hohe und unnötige Kosten für das Gesundheitssystem zu vermeiden?

Prof. Dr. med. Paola Gasche-Soccal, Service de Pneumologie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genève
Dr. med. Catherine Beigelmann-Aubry, Service de Radiodiagnostic et Radiologie Interventionnelle, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne
Prof. Dr. med. Thomas Frauenfelder, Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie, Universitätsspital Zürich, Zürich
Prof. Dr. med. Oliver Gautschi, Medizinische Onkologie, Luzerner Kantonsspital, Luzern
Prof. Dr. med. Isabelle Schmitt-Opitz, Klinik für Thoraxchirurgie, Universitätsspital Zürich, Zürich
Dr. med. Yuki Tomonaga, Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention, Universität Zürich, Zürich
Prof. Dr. med. Stefan Neuner-Jehle, Kollegium für Hausarztmedizin, Zürich
Prof. Dr. med. Oliver Senn, Institut für Hausarztmedizin, Universität Zürich, Zürich
Dr. med. Alexander Turk, Klinik für Innere Medizin, See-Spital, Horgen und Kilchberg
Prof. Dr. med. Milo Puhan, Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention (EBPI), Universität Zürich, Zürich

Prof. Dr. med.Christophe von Garnier

Centre Hospitalier Universitaire Vaudois
Lausanne

christophe.von-garnier@chuv.ch

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4 Pastorino U, Silva M, Sestini S, et al. Prolonged Lung Cancer Screening Reduced 10-year Mortality in the MILD Trial. Ann Oncol 2019; published online April 1. DOI:10.1093/annonc/mdz117.
5 Becker N, Motsch E, Trotter A, Heussel CP, et al. Lung cancer mortality reduction by LDCT screening-Results from the randomized German LUSI trial. Int J Cancer. 2019 Jun 4. doi: 10.1002/ijc.32486.
6 Tomonaga Y, ten Haaf K, Frauenfelder T, et al. Costeffectiveness of low-dose CT screening for lung cancer in a European country with high prevalence of smoking—A modelling study. Lung Cancer 2018. DOI:10.1016/j.lungcan.2018.05.008.
7 Frauenfelder T, Puhan MA, Lazor R, et al. Early detection of lung cancer: A statement from an expert panel of the swiss university hospitals on lung cancer screening. Respiration 2014; 87: 254–64.
8 Oudkerk M, Devaraj A, Vliegenthart R, et al. European position statement on lung cancer screening. Lancet Oncol. 2017. DOI:10.1016/S1470-2045(17)30861-6.

Protektiver Knochenumbau bei Patienten mit Multiplem Myelom

In der Schweiz erkranken ca. 570 Menschen pro Jahr an einem Multiplen Myelom oder einem Plasmozytom. Männer erkranken etwas häufiger als Frauen, über die Hälfte der Patienten sind älter als 70 Jahre. Bei Erstdiagnose sind neben der Anämie (73%) ossäre Manifestationen am häufigsten: 70% der Patienten haben Osteolysen, 26% pathologische Frakturen, 22% Kompressionsfrakturen, 23% eine Osteoporose und nur 21% haben einen unauffälligen ossären Befund (1). Im Verlauf der Erkrankung treten bei ca. 80% der Patienten Osteolysen auf und ca. 43% erleiden pathologische Frakturen (2). Die Behandlung und Prävention von ossären Komplikationen beim Multiplen Myelom ist daher ein wichtiger Baustein im therapeutischen Gesamtkonzept.

Das Multiple Myelom ist eine maligne hämatologische Erkrankung und entsteht durch eine klonale Vermehrung von Plasmazellen im Knochenmark. Nach den WHO Kriterien zählen die Multiplen Myelome zu den reifen B-Zell Neoplasien (3). Diagnostische Kriterien für das Multiple Myelom sind > 10% klonale Plasmazellen im Knochenmark, Endorganschäden durch das Myelom (CRAB-Kriterien; C: Hyperkalzämie; R: Niereninsuffizienz; A: Anämie; B: ≥ 1 Osteolyse im Röntgen, CT o. PET-CT) sowie ≥ 1 Biomarker für Malignität (SLiM-Kriterien S: ≥ 60% klonale Plasmazellen im Knochenmark, Li: Leichtkettenratio ≥ 100, M: > 1 Osteolyse im MRI) (4).
Osteolysen finden sich bei Erstdiagnose bei 70% der Patienten. Diese können zu Frakturen der langen Röhrenknochen oder Kompressionsfrakturen der Wirbelkörper führen. Im lebenden Knochen besteht ein Gleichgewicht zwischen physiologischem Knochen Ab- und Aufbau. Beim Myelom ist dieser Prozess durch eine vermehrte Osteoklasten- und verminderte Osteoblasten-Aktivität bei gleichzeitiger durch die Myelomzellen vermittelten Apoptose der Osteozyten und dadurch verändertem Micro-Environment im Knochenmark gestört. Dadurch kommt es zu einer Dysregulation des Knochenstoffwechsels und in der Folge zu einem Knochenabbau mit skelettalen Komplikationen (Schmerzen, Frakturen, Hyperkalzämie und Myelonkompression) (5).
Bisphosphonate sind Medikamente, die die Knochenresorption verhindern können. Sie binden an das Hydroxyapatit des Knochens und werden mittels Endozytose durch die Osteoklasten aufgenommen. Durch intrazelluläre Prozesse kommt es zur Apoptose der Osteoklasten (Abb. 1). Es werden zwei Gruppen von Bisphosphonaten unterschieden – ohne (z.B. Clodronat) und mit Aminogruppe (z.B. Pamidronat, Ibandronat). Bisphosphonate mit Aminogruppe haben eine 10- bis 100-fach höhere Potenz der Osteoklastenhemmung, heterozyklische Aminobisphosphonate (z.B. Zoledronsäure) weisen eine 100- bis 10 000-fach höhere Potenz auf. In der Schweiz ist beim Multiplen Myelom nur Zoledronsäure zugelassen (Tab. 1).

Der RANK-Ligand-Antikörper Denosumab (XGEVA®) bindet an den RANK-Liganden und verhindert damit die Aktivierung des Osteoklasten, indem die Bindung des RANK-Liganden an RANK auf der Osteoklastenoberfläche verhindert wird (Abb. 1). Denosumab imitiert damit die endogene Wirkung des Osteoprotegerin (6). Der RANK-Ligand Antikörper ist bisher nur bei ossären Metastasen solider Tumore in Kombination mit einer antineoplastischen Therapie zugelassen und kassenpflichtig.

Indikation für eine osteoprotektive Therapie

Eine Therapie mit Bisphosphonaten beim Multiplen Myelom ist bei Knochenbeteiligung (≥ 1 Osteolyse) klar indiziert (7). Bei Patienten ohne Osteolysen ist die Evidenz nicht klar, randomisierte Studien zu dieser Fragestellung fehlen. In den ASCO-Guidelines 2018 wird vom Expertenpanel bei Patienten mit Multiplem Myelom und Osteopenie ohne Nachweis von Osteolysen eine Bisphosphonat-Gabe unterstützt (8). In den Guidelines der International Myeloma Working Group (IMWG) ist die Bisphosphonat-Gabe für symptomatische Patienten ohne Osteolysen im konventionellen Röntgen eine «kann»-Empfehlung (IB) mit dem Hinweis, dass der Nutzen für Patienten ohne Nachweis von knöchernen Läsionen im MRT oder PET-CT nicht belegt ist (9). Für asymptomatische
Patienten mit Osteopenie ohne ossären Befall sowie für Patienten mit Smoldering Myeloma, Plasmozytom oder einem indolenten Myelom wird eine Bisphosphonat-Gabe nicht empfohlen (8, 9).

Bisphosphonate und Multiples Myelom

Bei Patienten mit Multiplem Myelom und mindestens einer ossären Läsion führt der Einsatz von Bisphosphonaten zu einer Reduktion von Schmerzen, reduziert die Gesamtzahl von Skelett bezogenen Ereignissen (SREs) und von Wirbelkörperfrakturen. Einzelne Studien konnten einen Überlebensvorteil für Zoledronsäure im Vergleich zu keiner Therapie oder Clodronat bzw. Pamidronat zeigen (10-13). Allerdings zeigte sich in einer grossen Meta-Analyse (Cochrane Gruppe 2017, 15 randomisiert-kontrollierte Studien, 4866 Patienten) durch den Einsatz von Bisphosphonaten keine Verlängerung des Gesamtüberlebens bzw. des Überlebens ohne Fortschreiten der Erkrankung. Eine Evidenz für die Überlegenheit eines Bisphosphonates für die Endpunkte: alle SREs, vertebragene Frakturen oder PFS zeigte sich ebenfalls nicht (7). Die Dauer der Bisphosphonatgabe (2 Jahre, kontinuierliche Gabe) sowie das Intervall (alle 4 oder 12 Wochen) ist Gegenstand aktueller Diskussionen. Belastbare Daten zur Dauer der Bisphosphonatgabe liegen nicht vor. Bei der Dauer der Bisphosphonatgabe spielen vor allem der Remissionsstatus der Erkrankung sowie das Ausmass der Knochenbeteiligung eine Rolle. In den Guidelines wird eine Gabe über 2 Jahre empfohlen, im ersten Jahr alle 4 Wochen, danach kann nach individueller Entscheidung bei Erreichen einer CR eine Gabe alle 12 Wochen erwogen werden. Nach zwei Jahren kann bei gutem Ansprechen das Bisphosphonat bis zum Progress pausiert werden (8, 9). Hinsichtlich des Intervalls der Bisphosphonat-Gabe konnte eine 2017 publizierte Studie zeigen, dass die Gabe von Zoledronsäure alle 12 Wochen der Gabe alle 4 Wochen bei Patienten mit Prostatakarzinom, Mammakarzinom oder mit Multiplem Myelom nicht unterlegen ist (14). Bei einer schweren Niereninsuffizienz mit einer Kreatinin-Clearance < 30 ml/min sollen Bisphosphonate nicht eingesetzt werden.

Denosumab und Multiples Myelom

Der RANK-Ligand Antikörper Denosumab ist in der Schweiz für das Multiple Myelom noch nicht zugelassen. Das liegt zum Teil daran, dass eine ad hoc Subgruppenanalyse bei Patienten mit Multiplem Myelom in der Zulassungsstudie (Henry et.al (14): Denosumab versus Zoledronsäure bei Pat. mit soliden Tumoren und Myelom) einen Überlebensvorteil in der Zoledronsäuregruppe gezeigt hatte (HR: 2.26; 95% CI 1.13–4.50; p = 0.014) (15). Dieser Unterschied wurde auf Imbalancen in den Baseline-Kriterien der Patienten zurückgeführt. Die Nachfolgestudie (Zoledronsäure versus Denosumab; ausschliesslich bei Patienten mit Multiplem Myelom)(16) ergab für die primären Endpunkte OS, PFS; AE, Zeitpunkt zum Auftreten des ersten SRE, sowie alle nachfolgenden SREs keine signifikanten Unterschiede (OS: HR 0.90, 95% CI (0.70-1.16) p=0.41, PFS: HR 0.82, 95% CI (0.68-0.99); deskriptive p=0.036, AE/SAE: 96%/53% im Denosumab-Arm, 97%/56% im Zoledronsäure-Arm). Basierend auf diesen Daten ist Denosumab der Zoledronsäure nicht unterlegen und kann auch bei Niereninsuffizienz eingesetzt werden, ist allerdings in der Schweiz für das Multiple Myelom nicht zugelassen.

Kieferosteonekrosen

Osteonekrosen des Kiefers gehören zu den seltenen, aber sehr belastenden Nebenwirkungen einer Therapie mit Bisphosphonaten oder dem RANK-Ligand-Antikörper Denosumab. Die Inzidenz liegt bei 1-3% und steigt mit der kumulativen Dosis der Bisphosphonate (Behandlungsdauer von 4-12 Monaten: 1.5%, bei 37-48 Monaten: 7.7%) (17). Patienten müssen daher vor Einleitung einer Therapie über die Gefahr aufgeklärt werden, zahnärztlich untersucht und auf die Einhaltung einer optimalen Zahn- und Mundhygiene aufmerksam gemacht werden. Sind invasive Eingriffe am Kieferknochen unter einer laufenden Therapie unumgänglich, sollte die Therapie vorher unterbrochen und erst nach Abschluss der Wundheilung wieder aufgenommen werden.

Vitamin D und Kalzium

Bisphosphonate und RANK-Ligand-Antikörper hemmen die Osteoklastenaktivität und reduzieren dadurch die Calciumfreisetzung aus dem Knochen. Daher tritt häufig eine Hypokalzämie auf (18 - 21), bei Gabe eines RANK- Ligand-Antikörpers deutlich häufiger als bei der Gabe eines Bisphosphonates (18, 20 - 22). Bei der Gabe eines RANK-Ligand-Antikörpers wird daher gleichzeitig die Substitution von Vitamin D und Calcium (400 mg Calcium, 800IE Vitamin D täglich), ausser bei bereits initial bestehender Hyperkalzämie, empfohlen. Zu beachten ist, dass bei Erstdiagnose eines Multiplen Myeloms initial bei 13% aller Patienten eine Hyperkalzämie vorliegt (1).

PD Dr. med. Karin Hohloch

Abteilung Hämatologie und Onkologie
KSGR Chur
Loëstrasse 170
7000 Chur

Karin.Hohloch@ksgr.ch

Die Autorin gibt an, dass für diese Publikation kein Interessenskonflikt vorliegt.

Ossäre Komplikationen beim Multiplen Myelom sind häufig und können die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigen.

  • Bei Osteolysen ist Zoledronsäure die Therapie der Wahl.
  • Bei Patienten mit symptomatischem Myelom ohne Osteolysen gibt es keine Evidenz für die Gabe von Bisphosphonaten, sie wird aber im Allgemeinen empfohlen.
  • Der RANK-Ligand-Antikörper Denosumab ist eine Alternative insbesondere bei Niereninsuffizienz, ist aber in der Schweiz für diese Indikation nicht zugelassen.
  • Die 12-wöchige Gabe von Zoledronsäure ist der 4-wöchigen Gabe nicht unterlegen.
  • Zur Dauer der osteoprotektiven Therapie beim Myelom gibt es keine belastbaren Daten, in der Regel wird die Therapie mindestens über
    2 Jahre fortgeführt.

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Ein Fall von Diabetes mellitus

Fallvorstellung

79-jährige Patientin stellt sich in Ihrer Hausarztpraxis wegen Müdigkeit, Appetitreduktion, trockenem Mund und vermehrtem Durstgefühl vor. Die rüstige Rentnerin fühlt sich nicht mehr fähig den Haushalt zu machen, weil sie seit etwa einer Woche so schwach auf den Beinen ist. Wegen dem vermehrten Durstgefühl meint sie selber, dass sie einen Diabetes mellitus haben könnte, weil sie das von ihrer Grossmutter und Tante so kennt. Auf Nachfragen hat sie in den letzten 10 Jahren ungewollt ca. 10 kg an Gewicht verloren. Weil sie sich quasi nie bei Ihnen meldet, war das bis anhin unbemerkt. Sie ist immer obstipiert und kann das mit «Hausmitteln» und Bulboid-Zäpfchen (Glycerin) kontrollieren. Durchfall-Episoden, Fettstühle oder Oberbauchschmerzen hat sie nie. Alkohol trinkt sie nur selten an speziellen Anlässen.

Persönliche Anamnese

Hysterektomie und Appendektomie vor vielen Jahren, sonst gesund.

Medikation

Bulboid Supp bei Bedarf
Kytta Rheumasalbe bei Bedarf
Venostasin Salbe bei Bedarf

Status:

BD 140/68 mmHg, Puls 92 regelmässig, SO2 97%,
Temperatur 36.8°C,
Gewicht 55 kg,
Grösse 153 cm, BMI 23kg/m2
Herz-, Lungen- und Abdomenuntersuchung bland.

Labor:

HbA1c 12.3%, Plasmaglucose 17 mmol/l, Kreatinin 58 µmol/l, eGFR CKD-EPI 96ml/min
HDL-C 1.3 mM, TG: 1.1 mM, LDL-C 1.8 mM, TC 3.0 mM
Ketokörper im Urin: ++
Ferritin und Transferrinsättigung normwertig
normale Pankreas-1-Elastase im Stuhl.

Fragen:

1. Was wäre die beste Therapieoption?
A. Metformin
B. DPP4-Hemmer
C. SGLT2-Hemmer
D. Insulin
E. GLP1-Rezeptor Agonist

Richtige Antworten: C, D (Insulin ist nie falsch), E (Bei GLP-1 Rezeptor Agonist braucht es einen BMI > 28kg/m2)

2. Ist die Gabe eines SGLT-2 Hemmers wirklich das beste Vorgehen?

A. Nein, damit die Kassen bezahlen, muss der SGLT-2 Hemmer mit Metformin kombiniert werden.
B. Vor Einleitung der Therapie ist die erste und wichtigste Frage: Braucht die Patientin Insulin?
C. Bei einer so guten Nierenfunktion braucht es keinen SGLT-2 Hemmer, ein DPP-4 Hemmer wäre besser.
D. Therapie mit Metformin für 3-6 Monate. Nur wenn sich das HbA1c nicht senken lässt, Zugabe eines weiteren Medikamentes.

Beste Antwort B, A ist allerdings auch richtig. Nach neusten Empfehlungen ist eine frühe Kombinationstherapie von SGLT-2 Hemmern und GLP-1 RA mit Metformin empfohlen.

3. Welche Aussagen treffen zu (mehrere richtige Antworten möglich)

A. Normwertige Anti-GAD sind nicht vereinbar mit einem Diabetes mellitus Typ 1.
B. Erhöhte Ketonkörper im Urin sind beweisend für eine Ketoazidose.
C. Ein fehlendes metabolisches Syndrom mit Fehlen von viszeraler Adipositas, normalen Triglyzeriden und normalem HDL-C und Fehlen einer arteriellen Hypertonie spricht gegen einen Typ 2 Diabetes.
D. Ein Gewichtsverlust und ein hohes HbA1c ist typisch bei Insulinmangel.
E. Ein nüchtern gemessenes C-Peptid von 250 pmol/l spricht gegen einen absoluten Insulinmangel und gegen einen Typ 1 Diabetes.

Richtige Antworten: C und D

Diskussion:

Die Anamnese vom Gewichtsverlust, Polyurie und Polydipsie ist typisch für einen Insulinmangel. Bei der schlanken Patientin spricht das für ein absolutes Insulinsekretionsdefizit, weil keine periphere Insulinresistenz zu erwarten ist. Die erhöhten Ketonkörper im Urin repräsentieren das katabole Zustandsbild. Sie sind nicht spezifisch für eine Ketoazidose und können in allen Mangelernährungssituationen, auch bei kurzfristigem Fasten, erhöht sein wie in der aktuellen Situation. Das Fehlen eines metabolischen Syndroms (normale Lipide, normales Gewicht, normaler Blutdruck), der Gewichtsverlust und das hohe HbA1c sprechen für einen Typ 1 Diabetes. Eine Insulintherapie ist in dieser Situation die einzig richtige Option. Die Therapie mit einem SGLT-2-Hemmer in diesem Fall kann zu einer, typischerweise euglykämen, Ketoazidose führen.
Bezüglich dem Diabetes Typ besteht bei normalem Ferritin/Transferrinsättigung kein Hinweis auf eine Hämochromatose. Ohne Dyslipidämie ist eine periphere Insulinresistenz im Rahmen eines Diabetes mellitus Typ 2 unwahrscheinlich. Ohne gastrointestinale Symptome (Diarrhoe, Fettstühle etc.) und bei normwertiger Pankreas-1-Elastase im Stuhl ist ein pankreatopriver Diabetes ebenfalls unplausibel.
Zum biochemischen Nachweis eines Insulinmangels kann nüchtern ein C-Peptid zusammen mit der Glukose gemessen werden. Bei Werten < 0.3 nmol/l ist ein Mangel wahrscheinlich und bei einem Wert > 0.6 nmol/l eher ausgeschlossen. Bei einem HbA1c > 7.5% kann das C-Peptid erst nach Rekompensation beurteilt werden, weil hohe Plasmaglukosewerte zu glukotoxischer Hemmung der Insulinsekretion führen und dann falsch tiefe C-Peptid-Werte gemessen werden. Im geschilderten Fall wurde nach 3 Tagen Therapie mit Basis-Bolusinsulin-Therapie ein C-Peptid von < 0.1 nmol/l gemessen.
Zusammenfassend spricht alles für eine Neudiagnose eines Diabetes mellitus Typ 1, welcher in jedem Alter auftreten kann. Die im Verlauf deutlich erhöhten Anti-GAD-Antikörper beweisen die Diagnose. Normwertige Anti-GAD und übrige Diabetes mellitus Typ 1-Antikörper (Anti-IA2, Anti-ZnT8) schliessen einen Diabetes mellitus Typ 1 nicht aus, weil es auch Fälle von Typ 1 Diabetes gibt, welche keine positiven Antikörper haben (ca. 10%).

Prof. Dr. med.Roger Lehmann

UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zurich

Roger.Lehmann@usz.ch

Dr. med. Matthias Ernst

USZ Zürich

matthias.ernst@usz.ch

RL: Teilnahme an Advisory Boards und Referentenhonorare von Novo
Nordisk, Sanofi, MSD, Boehringer Ingelheim, Servier und Astra Zeneca.
ME: Reise- und Kongressspesen von Novo Nordisk, Eli Lilly und Ipsen.

Die erste Frage hinsichtlich Therapie eines neu diagnostizierten Diabetes mellitus: Benötigt der Patient Insulin? Bei schlanken Patienten mit Gewichtsverlust, Polyurie und Polydipsie und bei einem HbA1c >10% ist Insulin die Therapie der ersten Wahl. Grundsätzlich ist Insulin als erster therapeutischer Schritt nie falsch. Danach besteht genug Zeit für die Abklärung des Diabetestyps und entsprechend optimal angepasste Therapie.