Angststörungen

Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und gehen mit einem hohen Leidensdruck einher. Nur wenn eine Angststörung als solche erkannt wird, kann sie erfolgreich behandelt werden. Wie Angststörungen sich manifestieren und wie diese diagnostisch eingeordnet werden können, soll im folgenden Artikel beleuchtet werden. Die psychotherapeutischen und psychopharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten werden in einem späteren Artikel dargestellt werden.

Kulturunabhängig und universell gültig werden sogenannte Basis-
emotionen beschrieben. Ekman (1) unterscheidet dabei Ekel, Furcht/Angst (fear), Freude, Traurigkeit, Überraschung und Wut. Diese Emotionen haben eine wichtige Funktion und geben uns eine bewusst wahrnehmbare Rückmeldung darüber, ob ein Bedürfnis gerade erfüllt oder eben nicht erfüllt ist. Während befriedigte Bedürfnisse zu angenehmen Gefühlen führen, lösen unbefriedigte Bedürfnisse unangenehme Gefühle aus.
Die American Psychological Association (APA www.apa.org) definiert Angst als eine Emotion, die mit einem Gefühl der Anspannung einhergeht und durch Sorgengedanken, sowie physische Veränderungen charakterisiert ist. Angst tritt in Situationen auf, die als bedrohlich eingeschätzt werden, sprich, wenn das Bedürfnis nach Sicherheit nicht genügend erfüllt ist. Das Ausmass der Angst hängt dann von der Bewertung der Gefahr und der Einschätzung eigener Bewältigungsmöglichkeiten ab (2). Das Wort Angst ist urverwandt mit dem lateinischen «angustus» = «eng». So fühlt sich eine angstgeplagte Person häufig in die Enge getrieben und empfindet Beklemmung.
Wird eine Angstreaktion ausgelöst, werden über das sympathisch-autonome Nervensystem verschiedene adaptive Prozesse in Gang gesetzt. Diese führen zum Zwecke einer Energiemobilisierung zu körperlichen Reaktionen (z.B. Herzrasen, Schwitzen, schnellere und flachere Atmung), zu psychischen Symptomen (z.B. Unruhe, Angespanntheit), sowie zu gedanklichen Veränderungen (z.B. Gedankenkreisen und Katastrophisierungen). Im Verhalten können Vermeidung, Rastlosigkeit oder Hektik auftreten. Diese Adaptationsprozesse befähigen unseren Körper und Geist auf die Gefahrensituation zu fokussieren und auf die Bedrohungssituation adäquat zu reagieren (fight-flight or fright-Reaktion (3)).
Die Grenze zwischen angemessener und pathologischer Angst kann nicht immer eindeutig definiert werden. Allgemein kann man sagen, dass die pathologische Angst in Situationen auftritt, in denen keine reale Bedrohung besteht. Diese erscheint dann Nichtbetroffenen unbegründet und unangemessen.

Epidemiologie

Die World Health Organisation (WHO) schätzt, dass 2015 weltweit rund 264 Millionen Menschen an einer Angsterkrankung (inklusive Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), welche in diesem Artikel nicht beschrieben werden) litten. Hierbei sind Frauen ca. zweimal häufiger betroffen als Männer. Die Years Lived with Disability (YLD) beträgt in der europäischen Region 1.2 Millionen Jahre (4). Es wird geschätzt, dass jedes Jahr 38.2% der EU-Population (EU-27 plus Schweiz, Island und Norwegen) an mindestens einer psychischen Erkrankung leidet, was 164.8 Millionen Betroffenen entspricht. Angsterkrankungen gehören dabei zu den häufigsten psychischen Erkrankungen mit rund 69.1 Millionen Betroffenen (5). In der Schweiz litten im Jahr 2010 893 000 Personen an Angststörungen. Die häufigsten Angststörungen waren die Spezifischen Phobien (39.2%), gefolgt von den Sozialen Phobien (17.2%), der Generalisierten Angststörung (GAS; 15.1%), der Agoraphobie (15%) und der Panikstörung (13.4%). Für die Behandlung wurden dabei rund 1.3 Milliarden Euro aufgewendet (6).
In einem systematischen Review wird für die Angststörungen über eine 1-Jahres-Prävalenz von 10.6% und eine Lebenszeitprävalenz von 16.6% berichtet (inklusive Zwangsstörungen und PTBS). Dabei war die GAS die Angststörung mit der höchsten Lebenszeitprävalenz (6.2%), gefolgt von Spezifischen Phobien (5.3%), Agoraphobie (3.8%), Sozialen Phobien (3.6%), und Panikstörung (1.2%) (7).

Taxonomie

Die Angststörungen werden in der ambulanten und stationären Versorgung gemäss der 10. Version der Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) diagnostiziert (8, 9). Für einen Überblick über die Klassifikationen siehe Tab. 1.
Grob werden die Phobischen Störungen (F40.-) und die Anderen Angststörungen (F41.-) unterschieden.
Bei den Phobischen Störungen tritt Angst in eindeutig definierten, eigentlich ungefährlichen Situationen auf. Dies löst dann entweder Vermeidungsverhalten aus oder die Situation wird mit Furcht ertragen. Die Befürchtungen des Patienten können sich auf Einzelsymptome wie Herzklopfen oder Schwächegefühl beziehen. Zudem treten häufig sekundäre Ängste auf, wie die Angst vor dem Sterben oder Kontrollverlust, oder das Gefühl, wahnsinnig zu werden. Bei den Phobischen Störungen werden die Agoraphobie ohne (F40.00) und mit (F40.01) Panikstörung, die Sozialen Phobien (F40.1) und die Spezifischen (isolierten) Phobien (F40.2) (vor z.B. Tieren, Höhe etc.) unterschieden.
Bei den Anderen Angststörungen besteht Angst als Hauptsymptom ohne auf eine bestimmte Umgebungssituation bezogen zu sein. Hier werden im Wesentlichen die Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst; F41.0), die GAS (F41.1) und die «Angst und depressive Störung, gemischt» (F41.2) unterschieden.
In der kommenden ICD-11, die 2022 in Kraft treten soll, werden in der Kategorie «anxiety and fear-related disorders» zusätzlich zu den oben aufgezählten Angststörungen der Selektive Mutismus («selective mutism», 6B06) und die Trennungsangststörung («separation anxiety disorder», 6B05) aufgenommen. Somit wird der Wichtigkeit dieser bislang in der Kinder- und Jugendpsychiatrie diagnostizierten Krankheitsbilder für den späteren Krankheitsverlauf im Erwachsenenalter Rechnung getragen. Es zeigte sich, dass bei 43.1% einer Stichprobe von 38 993 Erwachsenen das Ersterkrankungsalter bezüglich der Trennungsangststörung über 18 Jahre lag (10).

Diagnostik und Differentialdiagnostik von Angststörungen

In der Praxis kann es Schwierigkeiten bereiten Angststörungen zu erkennen, da Patienten häufig nicht über ihre Ängste, sondern über Schmerzen, Schlafstörungen oder andere somatische Beschwerden berichten (11, 12). Bei Verdacht auf eine Angststörung können in der Primärversorgung Fragen gestellt (siehe Tabelle 2 (13)) oder wissenschaftlich validierte kurze Screening-Fragebogen eingesetzt werden, zum Beispiel der Generalized Anxiety Disorder Assessment Fragebogen (GAD-7 (14); siehe Abb. 1). Der GAD-7 Fragebogen wurde ursprünglich für die GAS entwickelt. Es hat sich aber gezeigt, dass er auch sensitiv und spezifisch für andere Angststörungen ist (15). Beim GAD-7 Fragebogen deutet ein Summenwert ab 8 auf eine mögliche Angsterkrankung hin.

Erhärtet sich der Verdacht auf eine Angststörung, sollte eine Überweisung in eine Fachinstitution erfolgen, wo eine Diagnosestellung nach ICD-10 (8, 9) stattfindet (siehe Tabelle 1) und dem Patienten die Therapieoptionen ausführlich dargestellt und erklärt werden. Eine Angststörung sollte fachärztlich-/psychologisch-psychotherapeutisch behandelt werden (13).
Zur präzisen Erfassung von Angststörungen können strukturierte und halbstrukturierte Interviews verwendet werden (z.B. das Mini-International Neuropsychiatric Interview (M.I.N.I.; DSM-IV; ICD- 10) (16).
Angststörungen müssen differentialdiagnostisch von anderen psychischen Störungen mit ähnlichen Symptomen unterschieden werden. Tab. 3 gibt einen Überblick über die wichtigsten psychiatrischen Differentialdiagnosen wieder. Nebst den gemäss ICD-10 diagnostizierbaren eigentlichen Angststörungen gibt es einige nichtpsychiatrische Ursachen, die «Angstsymptome» auslösen können (siehe Tab. 4). Die Therapie der Angststörungen wird in einem weiteren Artikel beschrieben.

Dr. med. Lucas Krug

Psychiatrie und Psychotherapie FMH
Sanatorium Kilchberg AG und eigene Praxen in Zürich
Selnaustrasse 6
8001 Zürich

l.krug@hin.ch

Dr. phil. Olivia Bolt

Eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin
Sanatorium Kilchberg AG und eigene Praxen in Zürich
Selnaustrasse 6
8001 Zürich

olivia.bolt@hin.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Angst ist eine Emotion, die auftritt, wenn eine Situation als bedrohlich wahrgenommen wird. Pathologische Angst tritt in Situationen auf, in denen keine reale Bedrohung und Gefahr besteht.
  • Angststörungen sind häufig und beeinträchtigend mit einer durchschnittlichen 1-Jahresprävalenz von 10.6% und einer Lebenszeitprävalenz von 16.6%.
  • Die ICD-10 unterscheidet zwischen folgenden Angststörungen: Agoraphobie (mit und ohne Panikstörung), Soziale Phobie, Spezifische (isolierte) Phobien, Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst), Generalisierte Angststörung und «Angst und depressive Störung» gemischt.
  • Angstpatienten präsentieren sich häufig mit Schmerzen, Schlafstörungen und anderen somatischen Symptomen. Spezifische Fragen bezüglich Angst oder ein Screening Fragebogen können helfen, Angststörungen in der Primärversorgung zu erkennen.
  • Angststörungen sollten in einer Fachinstitution abgeklärt werden und fachärztlich-/psychologisch-psychotherapeutisch und/oder psychopharmakotherapeutisch behandelt werden.

1. Ekman, P., Facial expression and emotion. Am Psychol, 1993. 48(4): p. 384-92.
2. Lazarus, R.S., Stress und Stressbewältigung – ein Paradigma, in Kritische Lebensereignisse, S.H. Fillipp, Editor. 1981, Urban & Schwarzenberg: München.
3. Cannon, W.B., Bodily changes in pain, hunger, fear, and rage. 1932, New York: Appleton-Century-Crofts.
4. World Health Organisation (WHO), Depression and other common mental disorders: Global health estimates. 2017.
5. Wittchen, H.U., et al., The size and burden of mental disorders and other disorders of the brain in Europe 2010. Eur Neuropsychopharmacol, 2011. 21(9): p. 655-79.
6. Maercker, A., et al., The costs of disorders of the brain in Switzerland: an update from the European Brain Council Study for 2010. Swiss Med Wkly, 2013. 143: p. w13751.
7. Somers, J.M., et al., Prevalence and incidence studies of anxiety disorders: a systematic review of the literature. Can J Psychiatry, 2006. 51(2): p. 100-13.
8. World Health Organisation (WHO), Tenth Revision of the International Classification of Diseases, Chapter V (F): Mental and Behavioural Disorders (including disorders of psychological development). Clinical Descriptions and Diagnostic Guidelines. 1991, Geneva: World Health Organisation.
9. DIMDI, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification (ICD-10-GM). 2020.
10. Silove, D., et al., Pediatric-Onset and Adult-Onset Separation Anxiety Disorder Across Countries in the World Mental Health Survey. Am J Psychiatry, 2015. 172(7): p. 647-56.
11. Knaster, P., et al., Psychiatric disorders as assessed with SCID in chronic pain patients: the anxiety disorders precede the onset of pain. Gen Hosp Psychiatry, 2012. 34(1): p. 46-52.
12. Wittchen, H.U., et al., Generalized anxiety and depression in primary care: prevalence, recognition, and management. J Clin Psychiatry, 2002. 63 Suppl 8: p. 24-34.
13. Bandelow, B., et al., Deutsche S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen. 2014. www.awmf.org/leitlinien.html
14. Löwe, B., et al., Validation and standardization of the Generalized Anxiety Disorder Screener (GAD-7) in the general population. Med Care, 2008. 46(3): p. 266-74.
15. Plummer, F., et al., Screening for anxiety disorders with the GAD-7 and GAD-2: a systematic review and diagnostic metaanalysis. Gen Hosp Psychiatry, 2016. 39: p. 24-31.
16. Sheehan, D.V., et al., The Mini-International Neuropsychiatric Interview (M.I.N.I.): the development and validation of a structured diagnostic psychiatric interview for DSM-IV and ICD-10. J Clin Psychiatry, 1998. 59 Suppl 20: p. 22-33;quiz 34-57.
17. Neu, P., Akutpsychiatrie: Das Notfall Manual. 3. Auflage, 2017, Stuttgart: Schattauer.

Unruhe im Altersheim

Verhaltensstörungen bei gerontopsychiatrischen Patienten sind häufig multifaktoriell bedingt und benötigen eine systematisierte und multiprofessionelle Abklärung. Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung möglicher psychischer oder somatischer Ursachen kann diese attenuieren und die Gefahr der Entwicklung eines Delirs verhindern.

Mit Zunahme des Alters und durch Entwicklung von Multimorbiditäten ist, je nach Individuum und eigenen psychosozialen Ressourcen, eine adäquate Versorgung von gerontopsychiatrischen Patienten nur noch in spezialisierten Einrichtungen realisierbar. Störungen des Verhaltens wie eine schwere psychomotorische Unruhe, Weglauftendenzen und lautes Rufen kommen vermehrt im Alltag eines Altersheims vor. Diese stellen häufig eine schwierige Betreuungs- und Behandlungskonstellation für das jeweilige fachspezifische Personal dar. Als Folge werden niedergelassene Kollegen um Rat gebeten und die Suche nach dem eigentlichen Fokus kann sich herausfordernd gestalten. Verhaltensstörungen sind nicht nur Begleiter einer Demenzerkrankung, vielmehr besitzen sie oft nachvollziehbare und potentiell reversible Ursachen.

Verhaltensstörungen bei Demenz und affektiven Erkrankungen

Störungen des Verhaltens bei Demenzpatienten werden auch als «Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia» (BPSD) genannt. Diese können sich in Form einer motorischen Überaktivität, einer verbalen oder tätlichen Aggressivität als auch durch Tag-Nacht Rhythmusstörungen präsentieren. Häufig kommt es auch zu einem sogenannten «Sundowning» Phänomen, bei dem man eine Akzentuierung von Unruhezuständen gegen die abendlichen Stunden sieht. Diese nichtkognitiven Symptome stehen häufig im Zusammenhang mit diffusen Ängsten, Sinnestäuschungen (Halluzinationen) und Wahn sowie Schwankungen des Affektes. Schröder et. al (1) beschrieb das psychotische und aggressive Verhalten als das häufigste Symptom unter den oben genannten. Hiergegen wird in weiteren Studien beschrieben, dass die Agitiertheit mit 55% die häufigste Verhaltensstörung des gerontopsychiatrischen Patienten darstellt (2). Mit diesem Terminus wird ein unspezifischer Symptomkomplex beschrieben, welcher als mögliche Ursache sowohl psychiatrische Erkrankungen, wie affektive und psychotische Störungen, als auch neurodegenerative Prozesse, wie Demenz oder Morbus Parkinson, beinhaltet. Ursächlich für Verhaltensstörungen können mit einer Prävalenz von bis zu 2/3 bei Demenzpatienten auch Depressionen vorliegen (3). Schweizerische Guidelines zur Diagnostik und Therapie der BPSD wurden bereits 2014 von Savaskan et al. veröffentlicht (4).

Mögliche psychiatrische Ursachen

Im Rahmen einer neurodegenerativen Erkrankung können bis zu 96% der Betroffenen ein sogenanntes «herausforderndes Verhalten» mit Symptomen wie Unruhe, Apathie und Hostilität entwickeln (5). Die Auslöser hierfür können multifaktoriell und potentiell reversibel sein (Tab. 1).
Laut zahlreicher Studien können diese möglicherweise aufgrund eines Ungleichgewichts auf Hypophysen-Hypothalamus-Nebennierenrinden Ebene mit der Folge einer Störung des Neurotransmittersystems (sogenannte metabolische Hypothese, 6, 7) entstehen. Bereits im Frühstadium einer Alzheimerdemenz werden Atrophien im Bereich des lymbischen- und paralymbischen Systems beschrieben, welche eine Störung der Dopaminregulation verursachen können. Infolgedessen können Symptome wie Aggression und Wahn vorkommen. Dagegen, wie bei der frontotemporalen Demenz, sind Unruhezustände vorrangig mit Enthemmungsphänomenen erklärbar. Schwankung des Affektes mit einem fluktuierenden Verlauf und einer «treppenförmigen» Verschlechterung werden bei Demenzen vaskulärer Genese häufig beobachtet. Weitere neurologische Erkrankungen wie linksführende cerebrovaskuläre Insulte führen oft zu organisch-affektiven Störungen mit Symptomen wie Depressivität, Psychose und Aggressivität (8). Viele weitere Patienten, die an einer Demenz oder einer neurologischen Erkrankung mit Störung des Sprachsystems leiden, können primordiale Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Harndrang oder Schmerzen nicht mehr adäquat äussern und reagieren in der Folge mit vermehrter Unruhe und Aggressivität. Ein weiterer wichtiger Punkt stellt der Schwergrad einer vorbestehenden affektiven und psychotischen Erkrankung dar sowie das Vorliegen einer bereits prämorbiden Persönlichkeitsakzentuierung. Mit zunehmendem Alter und daraus entstehenden hirnorganischen Veränderungen, können diese zu einer Akzentuierung oder gar Exazerbation der Grunderkrankung führen.

Somatische Differentialdiagnosen bei Unruhe

Somatische Erkrankungen wie beispielweise entgleiste Stoffwechselstörungen (Diabetes oder Hypo/Hyperthyreosen), akute Infekte (meistens urogenitaler oder pulmonaler Genese) eine Exsikkose oder eine Störung der Elektrolyte können auch die Ursache für die Entstehung von Verhaltensstörungen darstellen. Unter den gerontopsychiatrischen Patienten kommt in der Praxis häufig eine Multimorbidität vor und Polypharmazie kann delirante Exazerbationen begünstigen. Auf mögliche Wechselwirkungen oder Anpassungen der Medikation, sowohl psychiatrisch als auch somatisch, sollte gezielt geachtet werden. Besonders Medikamente, die eine anticholinerge Wirkung aufweisen, führen oft zu einer deliranten Symptomatik. Auch Präparate wie Antiparkinsonmittel, Antikonvulsiva, Opiate und Antibiotika (Tab. 2) können Unruhezustände auslösen. Ebenso stellen neurologische Erkrankungen wie epileptische Anfälle (nonkonvulsiver Status epilepticus, postiktale Zustände), zerebrale Insulte, Enzephalitiden und Subduralhämatome wichtige Differentialdiagnosen für Unruhezustände dar.
Zusammenfassend ist eine frühzeitige Erkennung und Behandlung möglicher instabiler somatischer Konstellationen häufig hilfreich, deliranten Zuständen entgegen zu wirken.

Wichtige psychosoziale Faktoren

Rasche und wiederholte Änderungen der Umgebung sind für gerontopsychiatrische Patienten aufgrund mangelnder kognitiver Verarbeitung und ebenso häufig ursächlich Risikofaktoren für die Entstehung von Unruhe und Verwirrtheitszuständen. Demzufolge ist eine medizinische und pflegerische Versorgung in der gewohnten Umgebung zu bevorzugen. Ebenso können Trennungen sowie schwierige Interaktionen mit Angehörigen oder Mitbewohnern prinzipiell eine mögliche Verstärkung von akuten Verhaltensauffälligkeiten auslösen.

Das Delir

Das Delir stellt eine der möglichen und häufig vorkommenden Ursachen für die Manifestation akuter Verwirrtheits- und Unruhezustände dar. Bei diesem meist reversiblen Akutsyndrom kommt es zu erheblichen Fluktuationen und Tagesschwankungen der Symptomatik. Für die Diagnose eines Delirs ist jedoch die alleinige Feststellung einer schweren Unruhe mit Verwirrtheit nicht ausreichend; vielmehr müssen nach den aktuellen ICD-10 Kriterien sämtliche Merkmale der Tab. 3 erfüllt werden.

Zu den typischen Symptomen eines Delirs zählen Bewusstseinsänderungen (sowohl quantitativ als auch qualitativ), schwere Einschränkung der Kognition sowie psychomotorische Unruhezustände.
Auf biochemischer Ebene kommt es beim Delir sowohl zu einem zentralen hyperdopaminergen- als auch zu einem peripheren anticholinergen Zustand. Zu den nicht zentralen Symptomen gehören beispielsweise Exsikkose, erhöhte Temperaturen, ein Harnverhalt, Obstipation sowie kardiovaskuläre Störungen (9), welche potentiell lebensbedrohliche Folgen verursachen können. Zur quantitativen Messung von deliranten Zuständen stehen bereits fest etablierte neuropsychometrische Testungen zur Verfügung wie die «Confusion Assessment Method» oder CAM (Tab. 4), die «Confusion Assessment Method for the ICU» (CAM-ICU) oder zur Feststellung des Schweregrades eines Delirs die «Delirium Rating Scale» (DRS). Diese können bei der Unterscheidung zwischen üblichen Verhaltensstörungen und einem Delir hilfreich sein.
Delirante Symptome können sowohl im Rahmen einer Demenz als auch bei nicht degenerativen Erkrankungen, wie bei einem Entzug oder einer Medikamentenintoxikation vorkommen. Die Abgrenzung eines Delirs gegenüber einer fortschreitenden dementiellen Erkrankung kann gelegentlich schwierig ausfallen. Die Progression einer neurodegenerativen Erkrankung zeigt, im Gegenteil zu einem Delir, eine schleichende Verschlechterung der Verhaltensstörungen; das Bewusstsein imponiert weitgehend klar und, wenngleich Wahnvorstellungen und Halluzinationen vorkommen können, stehen diese nicht im Vordergrund. Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung von möglichen Risikofaktoren und Symptomen einer deliranten Symptomatik können eine rasche Besserung von Verhaltensstörungen bei älteren Patienten bewirken.

Dr. med. Michele Heinz Marchese

Sanatorium Kilchberg AG
Alte Landstrasse 70
8802 Kilchberg

micheleheinz.marchese@sanatorium-kilchberg.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Unruhe- und Verwirrtheitszustände bei gerontopsychiatrischen
    Patienten kommen häufig vor und betreffen bis zu zwei Drittel alle Bewohner in den meisten Alterseinrichtungen (10).
  • Als Ursache der Symptomatik können sowohl psychische als auch somatische Erkrankungen vorliegen. Im psychischen Bereich stellen Demenzen und affektive/psychotische Störungen die häufigsten
    Auslöser dar.
  • Delirante Zustände sollen bei schweren Verhaltensauffälligkeiten auch differentialdiagnostisch evaluiert werden. Diese unterscheiden sich von den übrigen psychiatrischen Erkrankungen u.a. durch einen plötzlichen Beginn und eine schwankende Symptomatik.
  • Prinzipiell kann jede Erkrankung sowie jegliche Änderung von äusseren Faktoren (z.B. ein Ortswechsel) ein Delir auslösen.
  • Die Abgrenzung einer psychischen oder somatischen Ursache von unklaren Verhaltensstörungen kann häufig schwer ausfallen. Aufgrund der inadäquaten und mangelnden Verbalisierung von möglichen somatischen Beschwerden bei älteren Patienten ist eine gründliche somatische Abklärung stets notwendig und häufig zielführend. Hierbei sind, neben klinischen und laborchemischen Untersuchungen, auch Medikamentenanalysen auf Interaktionen, mögliche prodelirogene Wirkungen und Intoxikationen zu berücksichtigen.

1. Schröder, S. G. (1998) Psychopathologie der Demenz, Symptomatologie und Verlauf dementieller Erkrankungen. Habilitationsschrift zur Erlangung der Venia legendi für das Fach Psychiatrie, Ruhr-Universität Bochum
2. Rainer, M., Mucke, H., Masching, A., Haushofer, M. (1999) Nichtkognitive Symptomprofile bei Demenzpatienten. Erfahrungen aus Psychiatrie, Ambulanz und Memory-Clinic. Psychiatr. Prax. 26, 71-75
3. Lyketsos, C. G. & Lee, H. B. (2004). Diagnosis and treatment of depression in Alzheimer’s disease. A practical update for the clinician. Dementia and Geriatric Cognitive Disorders, 17(1–2), 55–64.
4. Savaskan et al. (2014) Empfehlung zur Diagnostik und Therapie der behavioralen und psychologischen Symptome der Demenz (BPSD) Praxis 2014;103(3):135-148
5. Hessler JB, Schäufele M, Hendlmeier I, et al.: Behavioural and psychological symptoms in general hospital patients with dementia, distress for nursing staff and complications in care: results of the General Hospital Study. Epidemiol Psychiatr Sci 2017; 9: 1–10.
6. Hoyer S: The brain insulin signal transduction system and sporadic (type II) Alzheimer disease: an update. J Neural Transm 2002; 109: 341–60.
7. Diagnostik und Therapie von Verhaltensstörungen bei Demenz Torsten Kratz Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 447–54. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0447
8. Huff W, Steckel R, Sitzer M: [Poststroke depression: risk factors and effects on the course of the stroke]. Nervenarzt 2003; 74: 104–14.
9. Adam, C., Quabach, R. & Standl, T. (2010). Neurologische Komplikationen in der Anästhesiologie- Teil 1. Anästhesiologie Intensivmedizin Notfallmedizin Schmerztherapie, 45(7-8), 440-447.
10. Cohen-Mansfield J, Marx MS, Rosenthal AS. A description of agitation in a nursing home. Journal of Gerontology: Medical Sciences. 1989;44(3):M77–M84.
Tabellenverzeichnis:
Tab. 1 Differentialdiagnose akute Verwirrtheitszustände Stanga Z et al. (2002).akute Verwirrtheitszustände, Schweiz Med Forum 43:1021-1028
Tab. 2 Mögliche delirogene Medikamente Modified from Jenewein, Josef & Büchi, S. (2007). The neurobiology and pathophysiology of delirium. Schweizer Archiv fur Neurologie und Psychiatrie. 158. 360-367.
Tab. 3 ICD-10 Kriterien für ein Delir Internationale statistische Klassifikation der Krankheit und verwandter Gesundheitsprobleme, 10- Revision. H. Dilling, W. Mombour, M.H. Schmidt, Hogrefe.
Tab. 4 CAM Kurzversion, Inouye SK et al., Clarifying Confusion: The Confusion Assessment Method. A New Method for Detection of Delirium. Ann Intern Med. 1990; 113;941-8

Abkürzungen:
Bspw.: Beispielweise
U.a.: Unter anderem
O.g.: Oben genannte

ESMO 2019 Barcelona

EDITORIAL (R)Evolution durch innovative Strategien

In diesem Jahr fand die Tagung der European Society for Medical Oncology (ESMO, 27.9.-1.10.2019) in Barcelona statt. Auch diesmal wurde dem aufmerksamen Publikum eine unüberschaubare Flut an neuen Studienergebnissen präsentiert. Doch insgesamt war der Kongress mehr von Weiterentwicklungen sprich Evolution anstatt von revolutionär Neuem geprägt. Im Mittelpunkt stand, wie nicht anders zu erwarten, die Immuntherapie mit den Checkpoint-Inhibitoren. Ihr Siegeszug durch die Onkologie ist ungebrochen. Für das malige Melanom liegen jetzt die 5-Jahresdaten vor. Nach dieser Zeit ist noch jeder zweite mit einem fortgeschrittenen malignen Melanom am Leben (CheckMate 067-Studie). Vor 10 Jahren war es nur jeder zwanzigste Betroffene (5%). Das ist ein gewaltiger Fortschritt.
Beim NSCLC konnte jetzt wie schon beim malignen Melanom gezeigt werden, dass die duale Checkpoint-Blockade im Vergleich zur Monotherapie das Überleben verbessert. Und auch beim kleinzelligen Bronchialkarzinom, wo sich in den letzten Jahrzehnten wenig getan hat, kann mit einem Checkpoint-Inhibitor, nämlich Atezolizumab, die Lebenszeit verlängert werden (IMpower 133-Studie). Beim fortgeschrittenen Plattenepithel des Ösophagus punktete der Checkpint-Inhibitor Nivolumab im Vergleich zur bisherigen platinbasierten Chemotherapie hinsichtlich PFS und vor allem Verträglichkeit bzw. Lebensqualität (ATTRACTION 3-Studie). Und beim triple-negativen Mammakarzinom kann durch die zusätzliche Gabe von Pembrolizumab die Rate an kompletten pathologischen Remissionen gesteigert werden, was einen Indikator für ein besseres Überleben darstellt (KEYNOTE-522-Studie).
Bei den zielgerichteten Substanzen überzeugt Osimertinib beim NSCLC als First line auch im Langzeitverlauf im Vergleich zu den TKIs der ersten und zweiten Generation (FLAURA-Studie). Sogar das Ansprechen auf die Folgetherapie war nach einer primären Gabe dieser Substanz günstiger.
Beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom drängen die PARP-Inhibitoren in die Frontline. Neben Olaparib (PAOLA-1-/ENGOT-ov25-Studie) hat sich auch Veliparib in der Erhaltungstherapie bewährt (VELIA/GOG-3005-Studie). Auch scheint die Wirksamkeit selbst dann gegeben zu sein, wenn keine genetischen Biomarker wie BRCA1/2mut vorliegen. Beim Prostatakarzinom gibt es ebenfalls eine Reihe von Genmarkern wie BCRA1/2mut. Jetzt konnte erstmals gezeigt werden, dass ein PARP-Inhibitor, nämlich Olaparib auch bei Patienten mit einem BRCA1/2mut wirkt (PROfound-Studie). Dies dürfte der Einstieg in eine individualisierte an Genmarkern orientierte massgeschneiderte Therapie auch beim Prostatakarzinom sein, wie sie beispielsweise heute schon beim NSCLC der Standard ist.
Für Patientinnen mit einem fortgeschrittenen bzw. metastasierten ER+ HER2- Mammakarzinom stellen die CDK4/6-Inhibitoren eine wertvolle Bereicherung dar. In der MONARCH 2-Studie konnte für Abemaciclip, in der MONALEESA-Studie für Ribociclip in Kombination mit Fulvestrant eine Lebensverlängerung im Vergleich zur alleinigen Hormontherapie dokumentiert werden.
Eine individualisierte Therapie beim NSCLC erfordert ein umfassendes Genprofiling, wobei auch ein ALK-Arrangement erfasst werden sollte. Doch die Gewinnung einer Biopsie ist nicht immer einfach und ausserdem für den Patienten belastend. Da bietet die Blutanalyse, aus der Tumor-DNA-Bruchstücke mittels NGS analysiert werden können, einen wesentlichen Fortschritt. Jetzt konnte erstmals im Rahmen einer prospektiven Studie (BFAST) anhand von Therapieergebnissen gezeigt werden, dass mittels einer solchen Liquid Biopsy die ALK-Mutation zuverlässig nachgewiesen werden kann.
Ich hoffe, dieser kleine Ausschnitt hat Ihr Interesse geweckt, sich umfassend über das Neue zu informieren. Die Redaktion von info@onkologie war wieder vor Ort und hat das Wichtigste und Interessanteste für Sie, liebe Leser, zusammengetragen.

Viel Spass bei Lesen der spannenden Inputs!
Eleonore E. Droux,
Verlegerin & Publizistische Leitung

Osimertinib beim NSCLC

Auch das OS wird verlängert

In der FLAURA-Studie konnte gezeigt werden. dass der TKI-Inhibitor der dritten Generation Osimertinib (Tagrisso®) beim EGFR-mutierten NSCLC das PFS im Vergleich zu den TKI-Inhibitoren der ersten Generation (Erlotinib und Gefitinib) signifikant verlängert. Jetzt wurden auch Daten zum OS vorgestellt.

Osimertinib ist ein EGFR-spezifischer Tyrosinkinaseinhibitor der 3. Generation, der nicht nur bei EGFRmut sondern auch bei der EGFR T790M-Resistenzmutation eine Wirksamkeit zeigt. Im Rahmen der FLAURA-Studie wurde Osimertinib (Tagrisso®) mit den TKI-Inhibitoren der 1. Generation Erlotinib und Gefitinib bei Patienten mit einem EGFRmut fortgeschrittenen NSCLC verglichen. Dabei zeigte Osimertinib bzgl. PFS einen signifikanten Vorteil, so dass diese Substanz heute als Standard in der First line bei dieser Indikation gilt. Später zeigte sich, dass die Patienten von Osimertinib in der Erstlinie auch nach einem Progress profitieren und zwar in Form einer deutlich längeren Zeit bis zum Zweitlinienprogress. Hinweise, dass Resistenzen unter Osimertinib zu einer aggressiven Tumorbiologie bzw. vermehrt zu Resistenzen unter einer Zweitlinientherapie führen, ergaben sich nicht.
Die jetzt vorgestellten Daten zum OS bestätigen die Überlegenheit von Osimertinib. Die OS-Rate lag nach einem Jahr bei 89% unter Osimertinib im Vergleich zu 83% unter den Komparatoren. Die Vergleichszahlen nach 2 Jahren waren 74% vs. 59% und nach 3 Jahren 54% vs. 44%. Das mediane PFS betrug unter Osimertinib 38,6 Monate, unter den Komparatoren dagegen nur 31,8 Monate (HR 0,799; p = 0,0462). Die Überlegenheit von Osimertinib fand sich in allen Subgruppen. «Die finalen OS-Daten unterstreichen den Stellenwert von Osimertinib als Standard in der First line beim fortgeschrittenen EGFRmut-NSCLC», so der Studienautor Prof. Suresh Ramalingam, Atlanta.

PS
LBA5_PR , ESMO 2019, 28.9.2019 in Barcelona

Fortgeschrittenes Blasenkarzinom

Kombination Atezolizumab plus Chemotherapie verbessert das PFS

Im Rahmen der IMvigor130-Studie wurde bei Patienten mit einem metastasierten bzw. fortgeschrittenen muskelinvasiven Blasenkarzinom die alleinige Chemotherapie mit der Kombination platinbasierte Chemotherapie plus Immuntherapie (Atezolizumab) verglichen. Die Ergebnisse sprechen für die Kombination mit dem Checkpoint-Inhibitor.

Aufgenommen in diese Studie wurden bisher unbehandelte Patienten mit einem fortgeschrittenen bzw. metastasierten Blasenkarzinom und zwar unabhängig davon, ob sie für eine Cisplatin-Chemotherapie geeignet waren oder nicht. Die PFS-Event-Rate lag unter der Kombination bei 74%, unter der alleinigen Chemotherapie bei 82%. Beim PFS standen 6,3 Monate unter der Chemotherapie 8,2 Monate unter der Kombination gegenüber (HR 0.82; p = 0,007). Bei der intention-to-treat-Interims-Analyse zeigte sich auch eine Verbesserung des OS, allerdings ohne statistische Signifikanz (HR 0,83; medianes OS 16,0 Monate vs. 13,4 Monate). Die Response-Rate betrug bei der Kombination 47,4% im Vergleich zu 43,8% bei der Chemotherapie. Eine komplette Remission erreichten 12,5% in der Kombi-Gruppe und 6,8% in der Chemotherapie-Gruppe «Dies ist die erste Studie, die einen Vorteil der Immuntherapie in Kombination mit einer Chemotherapie bei Patienten mit einem fortgeschrittenen bzw. metastasierten Blasenkarzinom nachgewiesen hat», so der Studienautor Prof. Enrique Grande, Madrid.

PS
LBA14_PR, ESMO 2019, 30.9.2019 in Barcelona

Fortgeschrittenes HR+ HER2- Mammakarzinom

CDK4/6-Inhibitor verlängert das Leben um über 9 Monate

Im Rahmen der MONARCH 2-Studie konnte für den CDK4/6-Inhibitor Abemaciclip (Verzenios®) in Kombination mit Fulvestrant im Vergleich zur alleinigen Gabe von Fulvestrant bei Patientinnen mit einem fortgeschrittenen HR+HER2- Mammakarzinom eine deutliche Lebensverlängerung dokumentiert werden und auch der Beginn einer Chemotherapie konnte um über 2 Jahre verschoben werden.

Die Daten zum OS geben die Antwort auf die Frage, ob die Überlegenheit sich nicht nur beim kurzfristigen PFS sondern auch langfristig beim OS zeigt. Nach 3 Jahren wurde das mediane PFS durch die zusätzliche Gabe von Abemaciclip von 9,3 Monate unter Placebo auf 16,9 Monate verlängert und das PSF-freie Überleben von 10,1% auf 29,9% angehoben. Das OS stieg von 37,3 Monate auf 46,7 Monate, dies bedeutet eine Lebensverlängerung um 9,4 Monate (HR 0,757; p = 0,0137). Die Zeit bis zum Beginn einer Chemotherapie wurde von 22,1 Monate auf 50,2 Monate verlängert. Die Überlegenheit von Abemaciclip fand sich in allen Subgruppen. Auch Patientinnen mit einer ungünstigen Prognose (viszerale Metastasierung, primäre Resistenz gegenüber einer hormonellen Therapie) profitierten in gleichem Mass von dem CDK6/9-Inhibitor. Das Sicherheitsprofil der Substanz entsprach dem in früheren Studien. «Wichtig im Hinblick auf die Lebensqualität der Patientinnen ist, dass der Beginn einer Chemotherapie durch Abemaciclip um über zwei Jahre nach hinten verschoben werden kann», so der Studienautor Prof. George W. Sledge, Stanford.

PS
LBA6_PR, ESMO 2019, 29.9.2019 in Barcelona

Metastasiertes, kastrationsresistentes Prostatakarzinom

Cabazitaxel ist Abirateron bzw. Enzalutamid überlegen

Im Rahmen der CARD-Studie wurde untersucht, welche Strategie bei Patienten mit einem kastrationsresistenten metastasierten Prostatakarzinom nach einer vorangegangenen Therapie mit Docetaxel und einem Androgenrezeptor-Inhibitor die effektivste ist? Cabazitaxel oder der andere Androgenrezeptor-Inhibitor?

Frühere Studien haben gezeigt, dass bei Patienten mit einem metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom, welches mit einem Androgenrezeptor-Inhibitor (Abirateron oder Enzalutamid) behandelt wurde, im Falle einer Progression die Umstellung auf die andere Substanz nicht unbedingt sinnvoll ist. Doch bei Patienten, die unter Docetaxel eine Progression zeigen, entfaltet Cabazitaxel noch eine Wirksamkeit.
Im Rahmen der CARD-Studie wurde bei 255 Patienten mit entsprechender Vorbehandlung mit Docetaxel und einem Androgenrezeptor-Inhibitor die Wirksamkeit von Cabazitaxel oder dem anderen Androgenrezeptor-Inhibitor (Abirateron statt Enzalutamid der vice versa) miteinander verglichen. Unter Cabazitaxel war der primäre Endpunkt nämlich das radiografische PFS (rPFS) um 4,3 Monate länger (8,0 Monate vs. 3,7 Monate; HR 0,54; p < 0,0001). Die Überlegenheit des Chemotherapeutikums war in allen Subgruppen nachweisbr und auch unabhängig davon, in welcher Reihenfolge die Androgenrezeptor-Inhibitoren eingesetzt wurden. Beim PFS standen 4,4 Monate unter Cabazitaxel 2,7 Monate unter dem Androgenrezeptor-Inhibitor gegenüber (HR 0,52; p < 0,0001). Aber nicht nur das PFS sondern auch das OS war unter Cabazitaxel länger (13,6 Monate vs. 11,0 Monate; HR 0,64; p = 0,0078). Signifikante Unterschiede zugunsten von Cabazitaxel gab es auch bei der Abnahme des PSA-Wertes (35,7% vs. 13,5%), beim objektiven Tumoransprechen (36,5% vs. 11,5%) und bei der Schmerzkontrolle (45,0% vs. 19,3%). Die Zeit bis zum Auftreten einer ossären Komplikation betrug bei dem Androgenrezeptor-Inhibitor 16,7 Monate und wurde bei Cabazitaxel nicht erreicht. «Diese Daten sprechen eindeutig für Cabazitaxel in dieser Situation», so der Studienautor Prof. Ronald de Wit, Rotterdam.

PS
LBA13_PR, ESMO 2019; 30.9.2019 in Barcelona

Fortgeschrittenes Cholangiokarzinom

IDH1-Inhibitor verlängert das PFS

Ivosidenib (Tibsovo®) ist ein niedermolekularer Inhibitor des IDH1-Enzyms, dessen Gen bei einer Reihe von malignen Erkrankungen wie der AML, aber auch beim Cholangiokarzinom mutiert ist. Im Rahmen der ClarlDHy-Studie wurde die Substanz erstmals bei Patienten mit einem Cholangiokarzinom geprüft.

Aufgenommen in diese Phase-III-Studie wurden 185 Patienten mit einem fortgeschrittenen bzw. metastasierten Cholangiokarzinom, bei denen eine IDH1-Mutation nachgewiesen werden konnte und die bereits mindestens eine Chemotherapie erhalten hatten. Sie erhielten randomisiert Ivosidenib oder Placebo. Das mediane PFS konnte mit dieser Substanz von 1,4 Monate auf 2,7 Monate verlängert werden. Die PFS-Rate lag nach einem Jahr unter dem Medikament bei 22%, unter Placebo bei 0% (HR 0,37; p < 0,001). Auch die Disease Control Rate stieg von 28% unter Placebo auf 53% unter Ivosidenib. «Dies ist die erste Studie, die einen Fortschritt bei diesem sehr aggressiven Tumor durch eine orale Substanz zeigt», so der Studienautor Prof. Ghassan Abou-Alfa, New New York.

PS
LBA10_PR, ESMO 2019, 30.9.2019 in Barcelonan

Fortgeschrittenes kleinzelliges Lungenkarzinom (SCLC)

Atezolizumab verlängert das Leben

Nach 3 Jahrzehnten gibt es erstmals einen Fortschritt beim SCLC. Durch die zusätzliche Gabe des PD-L1-Inhibitors Atezolizumab (Tecentriq®) zusätzlich zur Chemotherapie wird nicht nur das PFS sondern auch das OS relevant verlängert.

15% der Lungenkarzinome sind kleinzellig. Diese Tumoren haben eine sehr schlechte Prognose, d.h. die durchschnittliche Lebenserwartung liegt unter einem Jahr. Und daran hat sich in den letzten 3 Jahrzehnten nichts geändert. Die bisherige Standardtherapie in einem fortgeschrittenen Stadium ist eine platinbasierte Chemotherapie (Cis- oder Carboplatin) plus Etoposid für 4 bis 6 Zyklen. Da das SCLC häufig eine hohe Mutationslast zeigt, die mit der Expression von Neoantigenen assoziiert sind, dürfte eine Immuntherapie eine vielversprechende Therapieoption darstellen.
Im Rahmen der IMpower 133-Studie wurde die Gabe des monoklonalen Anti-PD-L1-Antikörpers Atezolizumab zusätzlich zur Chemotherapie prospektiv und randomisiert mit der alleinigen Chemotherapie verglichen. Eingeschlossen wurden 403 Patienten mit einem fortgeschrittenen SCLC. Als primäre Endpunkte wurden das PFS und das OS definiert. Das mediane PFS wurde durch den Checkpoint-Inhibitor verlängert, nämlich von 4,3 Monate auf 5,2 Monate (HR 0,77: p = 0,02). Das 1-Jahresüberleben lag unter Atezolizumab bei 51,7% im Vergleich zu nur 38,2% bei der alleinigen Chemotherapie und das 1-Jahres-PFS betrug 12,6% in der Atezolizumab-Gruppe und 5,4% unter der alleinigen Chemotherapie.
Jetzt wurden die OS-Daten vorgestellt. Das mediane OS lag bei einem medianen Follow-up von 22,9 Monaten unter der Kombination bei 12,3 Monate im Vergleich zu 10,3 Monate unter der alleinigen Chemotherapie (HR 0,76; p = 0,0154). Nach 1 Jahr lebten noch 51,9% unter der Kombination mit Atezolizumab und 39% unter der alleinigen Chemotherapie, nach 18 Monaten waren es 34% bzw. 21%. «Das ist ein wesentlicher Fortschritt bei diesem Tumor, zumal der Gewinn an Lebenszeit nicht zu Lasten der Lebensqualität ging», so Prof. Martin Reck, Grosshannsdorf.

PS
ESMO 2019, 28.9.2019 in Barcelona

Kombinierte Immuntherapie beim malignen Melanom

Nach fünf Jahren lebt noch jeder zweite Patient

Im Rahmen der CheckMate 067-Studie wurde die kombinierte Immuntherapie (Nivolumab (Opdivo®) + Ipilimumab) mit der Nivolumab-Monotherapie und der Ipilimumab-Monotherapie bei Patienten mit einem fortgeschrittenen malignen Melanom verglichen. Jetzt wurden die 5-Jahresergebnisse vorgestellt.

Aufgenommen in diese Studie wurden 945 Patienten mit einem malignen Melanom im Stadium III oder IV. Sie wurden randomisiert placebokontrolliert entweder mit der Kombination Nivolumab + Ipilimumab oder nur mit Nivolumab oder nur mit Ipilimumab behandelt.
Die 5-Jahresüberlebensrate betrug bei der Kombination 52% im Vergleich zu 44% bei der Nivolumab-Monotherapie bzw. 26% bei der Ipilimumab-Monotherapie. «Das ist der grösste Fortschritt, den wir jemals beim malignen Melanom gesehen haben», so der Studienleiter Professor James Larkin, London. Vor zehn Jahren habe die 5-Jahresüberlebensrate noch bei ca. 5% gelegen. Bei Ipilimumab vergingen 8 Monate, bis die Therapie umgestellt werden musste, aber 25,2 Monate bei der Nivolumab-Monotherapie. Bei der Kombination war dieser Endpunkt noch nicht erreicht. Nach 5 Jahren betrug der Anteil der Patienten ohne Folgetherapie bei Ipilimumab 45% und bei Nivolumab 58%, bei der Kombination aber 74%.
In beiden Nivolumab-Gruppen war die Lebensqualität unter der Therapie nicht beeinträchtigt. Bei Patienten, die wegen Nebenwirkungen die Therapie unterbrechen mussten, wurde durch eine solche Therapiepause der Therapieerfolg nicht beeinträchtigt. «Die Überlegenheit von Nivolumab war unabhängig von der PD-L1-Expression und dem BRAF-Mutationsstatus», so Larkin. Bei der grossen Gruppe von Patienten mit einer BRAF-Mutation lag die 5-Jahresüberlebensrate unter Ipilimumab bei 30%, unter der Nivolumab-Monotherapie bei 46% und unter der Kombination bei 60%.
«Der Vorteil der Nivolumab-Therapie stieg mit jedem Follow-up-Jahr auf zuletzt 8%», so die Kommentatorin Dr. Teresa Amaral, Tübingen. Doch die Frage, ob bei einer BRAF-Mutation primär die kombinierte Immuntherapie oder eine kombinierte Targeted-Therapie eingesetzt werden sollte, könne nur in einer direkten Vergleichsstudie beantwortet werden. In der COMBI-d- und COMBI-v-Studie lag die 5-Jahresüberlebensrate unter der kombinierten zielgerichteten Therapie allerdings nur bei 34%, was für die primäre Gabe von Nivolumab spricht.

PS
ESMO 2019, 27.9.2019 in Barcelona

Fortgeschrittenes ER+ HER2- Mammakarzinom

Ribociclip verbessert signifikant das Überleben

Die Daten der MONALEESA-3-Studie belegen die überzeugende und anhaltende Wirkung des CDK4/6-Inhibitors Ribociclip (Kisqali®) in Kombination mit Fulvestrant bei Frauen mit einem fortgeschrittenen ER+ HER2- Mammakarzinom. Diese ist unabhängig davon, ob der CDK4/6-Inhibitor in der First line oder Second line eingesetzt wird.

Eingeschlossen in diese Studie wurden 726 Patientinnen, die randomisiert entweder Fulvestrant plus Placebo oder Fulvestrant plus Ribociclip erhielten. Bei einer Auswertung nach im Durchschnitt 40 Monaten war das OS in der Ribociclip-Gruppe noch nicht erreicht, in der Placebo-Gruppe betrug dieses 40,0 Monate. Das geschätzte Überleben nach 42 Monaten lag bei 57,8% unter Ribociclip vs. 45,9% unter Placebo. 25% der Patientinnen waren bei der Auswertung nach 42 Monaten noch unter dieser Therapie, aber nur 13% in der Placebo-Gruppe. Die relative Risikoreduktion betrug 28%. Die Überlegenheit von dem CDK4/6-Inhibitor war unabhängig davon, ob die Substanz in der First line oder bei einem frühen Relapse bzw. in der Second line eingesetzt wurde. «Diese Daten unterstreichen den Stellenwert von Ribociclip beim fortgeschrittenen ER+ HER2- Mammakarzinom, d.h. die Substanz führt zu einer signifikanten Lebensverlängerung», so Prof. Denis J. Slamon, Los Angeles.

PS
LBA7_PR, ESMO 2019, 29.9.2019 in Barcelona

Neoadjuvante Therapie beim Triple-negativen Mammakarzinom

Mehr komplette pathologische Remissionen unter Pembrolizumab

Erstmals konnte in einer Studie (KEYNOTE-552) gezeigt werden, dass bei Frauen mit einem triple-negativen Mammakarzinom der neoadjuvante Einsatz eines Checkpoint-Inhibitors, nämlich Pembrolizumab (Keytruda®), die Rate an pathologisch bestätigten kompletten Remissionen erhöht. Dies dürfte von prognostischer Relevanz sein.

Patientinnen mit einem Triple-negativen Mammakarzinom sind eine Problemgruppe bzgl. des therapeutischen Managements. Sie haben auch eine deutlich schlechtere Prognose. In der Regel erhalten diese Patientinnen eine neoadjuvante Chemotherapie mit einem Taxan bzw. Anthracyclin. Darunter erreichen ca. 40% eine komplette, auch patholoisch nachweisbare Remission (pCR). Durch die Hinzunahme eines Platin-Präparates kann diese Rate auf 50 bis 55% gesteigert werden. In mehreren Studien incl. Metaanalysen konnte zweifelsfrei gezeigt werden, dass das Erreichen einer pCR auch längerfristig das EFS und auch das OS deutlich verbessert.
Im Rahmen der KEYNOTE-522-Studie ist man der Frage nachgegangen, ob die neoadjuvante Gabe des Checkpoint-Inhibitors Pembrolizumab (Keytruda®) die Rate an pCR steigern kann. Patientinnen mit einem Triple-negativen Mammakarzinom erhielten nach einer 2 : 1-Randomisierung entweder Chemotherapie plus Placebo oder Chemotherapie plus Pembrolizumab 200 mg alle 3 Wochen. Mit dem Immuntherapeutikum konnte die Rate an pCR von 51,2% auf 64,8% gesteigert werden. Dieser Benefit kam alle Patientinnen unabhängig vom PD-L1-Status zugute. Bei PD-L1-positiven wurde die pCR-Rate sogar von 54,9% auf 68,9%, bei PD-L1-negativen von 30,3% auf 45,3 % erhöht. Und dies war auch prognostisch relevant. Das Event-freie Überleben lag nach 18 Monaten in der Pembrolizumab-Gruppe bei 91,3%, in der Placebo-Gruppe nur bei 85,3%. «Dies bedeutet einen wesentlichen Fortschritt für diese Patientinnen mit ungünstiger Prognose», so der Studienautor Prof. Peter Schmid, London.

PS
LBA8_PR, ESMO 2019, 29.9.2019 in Barcelona

ESMO-Präsentation SAKK-Studie 17/16

Lurbinectedin as second or third line palliative chemotherapy in malignant pleural mesothelioma (MPM): A multi-center, single-arm Phase II trial

Während dem ESMO in Barcelona hatte die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) das Privileg die 17/16 Studie in einem mündlichen Vortrag zu präsentieren. In dieser einarmigen, multi-zentrischen, internationalen Phase II Studie wurden insgesamt 42 Patienten mit Mesotheliom, progredient auf einer Erstlinien-Chemotherapie mit Platinum-Pemetrexed, mit dem neuen Molekül Lurbinectedin als Zweitlinie (oder Drittlinie, falls vorher auch Immuntherapie verabreicht worden war) behandelt. Der primäre Endpunkt war auf progressionsfreies Überleben (PFS) nach 12 Wochen gesetzt, und sekundäre Endpunkte waren progressionsfreies Überleben, Gesamtüberleben (OS) und Toxizität. Nach einer medianen Beobachtungszeit von 14.9 Monaten haben insgesamt 22/42 (52.4%) Patienten den primären Endpunkt erreicht und somit konnte die Null-Hypothese abgelehnt werden (p=0.015). Das Gesamtansprechen war 4.8% (1 komplette und 1 partielle Remission) und die Krankheitsstabilisierungsrate betrug 52.4%. Das mediane PFS war 4.1 Monate und 6.6 Monate für diejenigen Patienten, welche zumindest eine Stabilisierung ihrer Erkrankung nach 12 Wochen erreicht hatten. Das mediane OS erreichte 11.1 Monate mit einer 12-Monate Überlebenswahrscheinlichkeit von 44.9%. Der Vergleich von Patienten mit epithelioidem vs. nicht-epithelioidem Mesotheliom oder Patienten mit vorheriger Immuntherapie vs. keine, zeigte keinen Unterschied hinsichtlich der Endpunkte der Studie. Diejenigen Patienten mit einer raschen (innerhalb von 6 Monaten) Progression auf Erstlinien-Chemotherapie zeigten mit Lurbinectedin ein verlängertes medianes OS aber ähnliches PFS gegenüber dem Rest (13.3 vs. 8.8 Monate, p=0.023 für OS; 4.3 vs. 3.0 Monate, p=0.349 für PFS). Alle Patienten hatten an Nebenwirkungen gelitten. Grad 3-4 Toxizität von Lurbinectedin wurde in 20/42 (47.66%) beobachtet, hauptsächlich Neutropenie (23.8%) und Fatigue (16.7%). Die Therapie wurde bei keinem Patienten wegen Toxizität abgebrochen.
Diese Resultate machen Lurbinectedin zu einer vielversprechenden Option für Patienten mit progredientem Mesotheliom und sollen nun in einer grösseren, randomisierten Studie evaluiert werden.

Dr. med. Yannis Metaxas

ENZAMET (ANZUP 1304), eine von ANZUP geleitete, internationale, kooperative Gruppenstudie

Gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQL) in einer randomisierten Phase-III-Studie zu Enzalutamid mit Standard-Erstlinientherapie bei hormonempfindlichem Prostatakrebs (mHSPC) mit Metastasen

Bereits früher wurde berichtet, dass die Behandlung mit Enzalutamid (ENZA) eher zu einem längeren Gesamtüberleben bei mHSPC führt, wenn es zur Standardbehandlung bei der Erstlinienbehandlung hinzugefügt wurde, als die Behandlung mit einem älteren nicht-steroidalen Anti-Androgen (NSAA: Bicalutamid, Nilutamid oder Flutamid), mit oder ohne gleichzeitigem frühem Docetaxel, (Hazard Ratio 0,67, 95% CI 0,52; 0,86, p=0.002, NEJM 2019). Im Folgenden wird über die Auswirkungen auf Gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQL) berichtet.
Die HRQL wurde mit dem EORTC QLQ-C30 und PR25 in den Wochen 0, 4 und 12 gemessen und dann 12-wöchentlich bis zur klinischen Progression. Es wurden gemischte Modelle für wiederholte Messungen zur Berechnung der kleinsten quadratischen mittleren Differenz (LSMD), dem 95% CI und dem p-Wert für Vergleiche der zufällig zugeordneten Gruppen für alle Bewertungen von Woche 4 bis Woche 156 verwendet. Für jede Analyse des verschlechterungsfreien Überlebens wurde der Endpunkt a priori definiert als Endpunkt für frühesten Todesfall, klinischen Verlauf, Beendigung der Studienbehandlung oder ein 10-Punkte-Wert für Verschlechterung gegenüber dem Ausgangswert (minimaler klinisch wichtiger Unterschied in den Skalen von 0 bis 100) erfasst, der in der entsprechenden HRQL-Skala erzielt wurde: physikalische Funktion (PF), globale Gesundheit und Lebensqualität (GHQL), kognitive Funktionen (CF) und Müdigkeit; die p-Werte basieren auf dem Log-Rank-Test.

Resultate

Die Vervollständigung der HRQL-Formulare bei 1016 Männern mit einer Basisbewertung von HRQL (1125 randomisiert) reichten von 94% in Woche 12 bis 78% in Woche 156. Die zufällige Zuordnung zu ENZA vs. NSAA war mit leichten Beeinträchtigungen von Woche 4 bis 156 verbunden (LSMD, 95% CI). Diese umfassten Ermüdung (5.0, 3.3 bis 6.7, p <0.0001), CF (3.9, 2.4 bis 5.4), p <0.0001) und PF (2.5, 1.2 bis 3.8, p=0.0002), aber nicht GHQL (1.1, -0.4 bis 2.6), p=0.16). Verschlechterungsfreie Überlebensraten nach 3 Jahren begünstigten ENZA gegenüber NSAA bei der GHQL (32% vs. 18%, p<0,0001), CF (33% vs. 21%, p=0.0003) und PF (31% vs. 22%), p=0.001), aber nicht Fatigue (26% vs. 18%, p=0.1). Die Auswirkungen von ENZA auf die HRQL waren relativ stabil über die Zeit und unbeeinflusst von der Behandlung mit gleichzeitigem frühem Docetaxel.

Fazit

Die Zugabe von ENZA behielt die globale Gesundheit und Lebensqualität bei und verbesserte das verschlechterungsfreie Überleben, weil frühe Beeinträchtigungen in bestimmten Aspekten der HRQL nicht ausreichen, um die späteren Vorteile einer verzögerten klinischen Progression zu überwiegen.

WFR
Quelle: Stocker MA et al. LBA53 Health-related quality of life (HRQL) in a randomized phase III trial of enzalutamide with standard first-line therapy for metastatic, hormone-sensitive prostate cancer (mHSPC): ENZAMET (ANZUP 1304), an ANZUP-led, international, co-operative group trial. Annals of Oncology 2019; 30: Supplement 5, October 2019

ARCHES – Die Rolle der Androgen-Deprivationstherapie (ADT) mit Enzalutamid (ENZA) oder Placebo (PBO) bei metastatischem hormonsensitivem Prostatakrebs (mHSPC): Post hoc-Analysen von Patienten mit hohem und niedrigem Krankheitsvolumen und Risikogruppen

ENZA, ein potenter Androgenrezeptor-Inhibitor, bietet Vorteile bei Männern mit kastrationsresistentem Prostatakrebs (CRPC). In Post-hoc-Analysen wird die Rolle von ENZA + ADT bei randomisierten mHSPC-Patienten innerhalb der multinationalen, doppelblinden, PBO-kontrollierten Phase-3-Studie ARCHES bestimmt durch Krankheitsvolumen und Stratifizierung der Risikogruppe.
Patienten mit mHSPC wurden im Verhältnis 1:1 nach ENZA (160 mg/Tag) + ADT oder PBO + ADT randomisiert. Der primäre Endpunkt war das radiographische progressionsfreie Überleben (rPFS). Sekundäre Endpunkte waren die Progression des prostataspezifischen Antigens (PSA), das Ansprechen in der radiologischen Untersuchung, Gesamtüberleben (OS) und Lebensqualität (QoL). Die Analysen wurden durch nach CHAARTED definiertes Krankheitsvolumen und LATITUDE definierte Risikogruppen komplettiert.
Es wurden 1150 Patienten randomisiert (ENZA +ADT, n=574; PBO +ADT, n=576).
Die mediane Nachbeobachtung betrug 14,4 Monate. ENZA + ADT verbesserte das rPFS signifikant (HR 0.39 [95% CI] 0,39[0,30, 0,50]; p<0,0001). ENZA+ ADT Patienten profitierten deutlich von verlängerten rPFS in allen Untergruppen (Tabelle 1). Signifikante Behandlungseffekte wurden mit ENZA + ADT in mehreren sekundären klinischen Endpunkten in der Gesamtbevölkerung beobachtet und sowohl bei hohem als auch bei niedrigem Krankheitsvolumen und bei Risikogruppen (Tabelle 1). Hohe QoL bei Beginn wurde im Laufe der Zeit beibehalten. OS-Daten sind noch unfertig. Unerwünschte Ereignisse (AEs) wurden beobachtet bei 85,1% der ENZA + ADT vs. 85,9% der PBO + ADT Patienten, wobei keine unerwarteten AEs eintraten.

Fazit

Die ENZA+ADT-Behandlung zeigte einen Wirksamkeitsvorteil bei allen mHSPC-Patienten, unabhängig von Krankheitsvolumen und Risikogruppe. Ähnliche Verlängerungen traten auf bei rPFS, symptomatischem Skelett. Es wurden ähnliche Verlängerungen in der PSA-Progression, Kastrationsresistenz und Verbesserungen im radiographischen Ansprechen und PSA-Senkungen, bei Aufrechterhaltung einer hohen QoL über die Zeit, beobachtet.
Die vorläufige Sicherheitsanalyse erscheint im Einklang mit dem Sicherheitsprofil von ENZA in früheren klinischen Studien über CRPC.

WFR
Quelle: Stocker MA et al. LBA53 Health-related quality of life (HRQL) in a randomized phase III trial of enzalutamide with standard first-line therapy for metastatic, hormone-sensitive prostate cancer (mHSPC): ENZAMET (ANZUP 1304), an ANZUP-led, international, co-operative group trial. Annals of Oncology 2019; 30: Supplement 5, October 2019

Erhaltungstherapie beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom

Zusätzliche Gabe von Olaparib verlängert das PFS

In der PAOLA-1/ENGOT-ov25-Studie wurde die zusätzliche Gabe von Olaparib (Lynparza®) mit der alleinigen Gabe von Bevacizumab im Rahmen einer Erhaltungstherapie bei Frauen mit einem fortgeschrittenen Ovarialkarzinom untersucht.

Eingeschlossen in diese randomisierte placebokontrollierte Studie wurden 806
Patientinnen mit einem fortgeschrittenen Ovarialkarzinom (FIGO-Stadium III oder IV), wobei im Durchschnitt mit der Erhaltungstherapie 7 Monate nach Beginn der Chemotherapie begonnen wurde. Sie erhielten nach der Operation eine Primärtherapie mit einer platinbasierten Chemotherapie plus mindestens 3 Zyklen Bevacizumab. Anschliessend wurde mit einer zweijährigen Erhaltungstherapie begonnen, wobei Olaparib in einer Dosierung von 300 mg zweimal täglich plus Bevacizumab mit Placebo plus Bevacizumab verglichen wurde.
Durch die zusätzliche Gabe von Olaparib wurde das mediane PFS von 16,6 Monate auf 22,1 Monate verlängert (HR 0,59; p < 0,0001). «Die Überlegenheit der dualen Erhaltungstherapie war unabhängig vom BRCAmut- und HRD-Status», so die Studienautorin Prof. Isabelle Ray-Coquard, Lyon. Auch wurden die Verträglichkeit von Bevacizumab und auch die Lebensqualität durch Olaparib nicht verschlechtert.

PS
LBA_2 ESMO 2019, 28.9.2019 in Barcelona

Metastasiertes Prostatakarzinom

PARP-Inhibitor eröffnet Möglichkeit für eine individualisierte Therapie

Bisher spielen Genmutationen beim therapeutischen Management des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms keine Rolle. Doch auch bei diesem Tumor gibt es eine Reihe von genetischen Biomarkern insbesondere HRR (homologous recombination repair) –Genmutationen wie die BRCA1/2-Mutationen. In der PROfound-Studie konnte erstmal gezeigt werden, dass eine gezielt am BRCA-Status orientierte Therapie mit einem PARP-Inhibitor eine bessere Wirkung verspricht als die alleinige Gabe eines Androgen-Rezeptor-Inhibitors. Damit öffnet sich auch beim Prostatakarzinom die Tür für eine individualisierte Therapie.

Im Rahmen dieser randomisierten placebokontrollierten Studie wurden die Patienten mit einem kastrationsresistenten fortgeschrittenen Prostatakarzinom zunächst umfassend genetisch analysiert im Hinblick auf das Vorliegen von HRR-Genmutationen. Die ATM-, BRCA1 oder -2 mutierten Patienten wurden anschliessend randomisiert entweder nur antihormonell mit einem Androgen-Rezeptor-Inhibitor nämlich Abirateron bzw. Enzalutamid behandelt oder sie erhielten zusätzlich den PARP-Inhibitor Olaparib (Lynparza®). Unter Olaparib betrug das mediane PFS 7,39 Monate im Vergleich zu 3,55 Monate unter Placebo (HR 0,34; p 0,0001).Die PFS-Rate lag nach 12 Monaten im Olaparib-Arm bei 28,11% im Vergleich zu 9,40% unter Placebo. Die ORR betrug bei Olaparib 33,3%. Die Interims-OS lag bei 18,50 Monate im Olaparib-Arm und bei 15,11 Monate im Placebo-Arm. “Die Studie ist bahnbrechend; denn sie konnte erstmals zeigen, dass eine an Biomarkern, die ein therapeutisches Target darstellen, orientierte Therapie auch beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom ein sinnvolles und vielversprechendes Therapiekonzept darstellt”, so der Studienautor Prof. Maha Hussain, Chicago.

PS
LBA12_PR, ESMO 2019, 30.9.2019 in Barcelona

Erhaltungstherapie beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom

Niraparib bewährt sich in der PRIMA-Studie

Zum ersten Mal konnte in einer Studie für eine Mono-Erhaltungstherapie, nämlich Niraparib bei Frauen mit einem fortgeschrittenen Ovarialkarzinom eine signifikanter Benefit bzgl. PFS dokumentiert werden.

Das Ovarialkarzinom ist der gynäkologische Tumor mit der schlechtesten Prognose. Durch die primäre Therapie mit Operation und platinbasierter Chemotherapie plus Bevacizumab ist nur selten eine Heilung möglich. So entwickelt sich nach der kompletten standardisierten First line-Therapie in über 85% der Fälle ein Rezidiv. Deshalb kommt einer Erhaltungstherapie ein grosser Stellenwert zu. Dafür standen bisher nur Olaparib und Bevacizumab zur Verfügung. Doch Olaparib kann nur bei einer BRCA-Mutation eingesetzt werden. Das betrifft aber nur ca. 20% aller Patientinnen. Bei Bevacizumab ist häufig die Verträglichkeit ein Problem. Deshalb wird nicht selten nach der Primärtherapie ein wachtful waiting, d.h. eine active surveillance praktiziert.
Im Rahmen der PRIMA-Studie wurde der erste oral verfügbare PARP-Inhibitor Niraparib (Tesaro®) in Form einer Mono-Erhaltungstherapie untersucht und zwar sowohl bei Patientinnen mit als auch bei solchen ohne eine BRCA-Mutation. Ausgewertet wurden die Daten von 733 randomisierten Patientinnen, davon 370 (51%) mit einer positiven Testung für HRD (homologous recombination deficiency). «Unter Niraparib kam es in der Gesamtstudienpopulation zu einer Reduktion des kombinierten Endpunktes Relaps oder Tod um 48% im Vergleich zu Placebo», so der Studienleiter Prof. Antonio Gonzalez Martin, Madrid. Das mediane PFS stieg von 10,5 Monaten auf 21,9 Monate (HR 0,62; p < 0,001). Nach 18 Monaten lebten noch 59% der Patientinnen ohne Relaps in der Niraparib-Gruppe, in der Placebo-Gruppe waren es dagegen nur 35%. Die Überlegenheit von Niraparib zeigte sich in allen Biomarker-Subgruppen (BRCAmut, BRCAwt, HR-proficient). In der HR-proficient-Subgruppe betrug die Risikoreduktion bzgl. PFS 32%, bei HRD-Defizienz 57% (HR 0,43; p < 0,001).
Der sekundäre Endpunkt OS wurde nach einer Interimsanalyse nach 2 Jahren durch Niraparib von 77% auf 84% gesteigert, bei Patienten mit HR-Defizienz von 85% auf 91% und bei HR-proficient von 59% auf 81%. Bzgl. unerwünschter Wirkungen bestätigten sich die Daten aus anderen Studien mit einem PARP-Inhibitor. 4,3% mussten Niraparib wegen einer Thrombozytopenie absetzen. Bei der Gesamtabbrech-Quote gab es aber keinen Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen. «Zum ersten Mal konnte für eine Monotherapie nämlich für Niraparib quer durch alle Biomarker-Subgruppen eine Verlängerung des PFS dokumentiert werden», so Martin.

PS
LBA1_PR ESMO 2019, 28.9.2019 in Barcelona

PARP-Inhibitor Veliparib beim Ovarialkarzinom

Bewährung als Kombinationspartner in der Primärtherapie bestanden

Im Rahmen der VELIA/GOG-3005-Studie wurde erstmals ein PARP-Inhibitor, nämlich Veliparib in Kombination mit der etablierten Chemotherapie eingesetzt und später als Erhaltungstherapie fortgeführt.

Aufgenommen in diese Phase III-Studie wurden 757 Patientinnen mit einem Ovarialkarzinom, davon 26% mit einer BRCA-Mutation. Sie erhielten primär randomisiert nur eine platinbasierte Front line-Chemotherapie (Paclitaxel/Carboplatin) oder zusätzlich zur Chemotherapie den PARP-Inhibitor Veliparib. Nach Ende der Primärtherapie wurde Veliparib als Mono-Erhaltungstherapie fortgeführt. Durch den PARP-Inhibitor wurde das PFS statistisch signifikant von 17,9 Monate auf 23,5 Monate verlängert (HR 0,68; p < 0,001). In der Gruppe mit einer BRCA-Mutation war der Benefit noch ausgeprägter (PFS: 34,7 Monate vs. 22,0 Monate; HR 0,44; p < 0,0001). «Die PARP-Inhibitoren drängen in die Primärtherapie und dies mit Erfolg», so der Studienautor Prof. Robert Coleman, Sheffield.

PS
LBA3_PR, ESMO 2019, 28.9.2019 in Barcelona

Fortgeschrittenes NSCLC

Atezolizumab ist in der First line der Chemotherapie überlegen

Im Rahmen der IMpower 110-Studie wird der PD-L1-Inhibitor Atezolizumab (Tecentriq®) in der First line mit einer platinbasierten Chemotherapie bei Patienten mit einem fortgeschrittenen NSCLC verglichen. Eine Interimsanalyse zeigt eine Überlegenheit der Immuntherapie.

Ausgewertet wurden die Daten von 572 Patienten. Sie erhielten randomisiert Cisplatin/Carboplatin + Pemetrexed oder 1200 mg Atezolizumab (Tecentriq®) alle 3 Wochen. Der primäre Endpunkt ist das OS in der wild-type-Population (WT), also bei Patienten ohne ALK- oder EGFR-Mutation. Eine Interimsanalyse ergab eine Verbesserung des OS um 7,1 Monate (medianes OS unter Atezolizumab 20,2 Monate vs. 13,1 Monate unter der Chemotherapie (HR 0,595; p = 0,0106) und zwar bei Patienten mit einer hohen PD-L1-Expression. Bei den Ansprechraten standen 38,3% unter Atezolizumab 28,6% unter der Chemotherapie gegenüber Dieser überlegene Effekt des PD-L1-Inhibitors war auch bei Patienten mit einem mittleren PD-L1-Spiegel nachweisbar, aber ohne statistische Signifikanz (18,2 Monate vs. 14,9 Monate; HR 0,717; p = 0,0416). In dieser Gruppe lag das 12-Monatsüberleben unter Atezolizumab bei 60,7% im Vergleich zu nur 56% unter der Chemotherapie. «Die Studie wird fortgeführt, um auch die Daten von Patienten mit einer niedrigen PD-L1-Expression auswerten zu können» so der Studienautor Prof. David R. Spigel, Nashville.

PS
ESMO 2019, 27.9.2019 in Barcelona

Duale Immuntherapie beim NSCLC

Eine neue Option statt Chemotherapie

Die beiden Checkpoint-Inhibitoren Ipilimumab und Nivolumab (Opdivo®) haben unterschiedliche Angriffspunkte und können somit komplementär wirken. Das ist die Rationale für die Kombinationstherapie, wie sie im Rahmen der Checkmate 227-Studie als First line im Vergleich zur Chemotherapie beim fortgeschrittenen NSCLC geprüft wurde.

Dabei handelt es sich um eine randomisierte Phase III-Studie, wobei das PFS und das OS bei Patienten mit einer TMB ≥ 10 unabhängig von der PD-L1-Expression und bei einer PD-L1-Expression ≥ 1% als Endpunkte festgelegt wurden. Insgesamt wurde das OS unter der dualen Immuntherapie im Vergleich zur alleinigen Nivolumab-Therapie bzw. einer platinbasierten Chemotherapie analysiert. Nivolumab wurde in der Standarddosierung, Ipilimumab dagegen in einer niedrigeren Dosierung verabreicht. Verglichen wurden insgesamt vier Patientengruppen, nämlich die duale Immuntherapie mit einer alleinigen platinbasierten Chemotherapie und der Kombination Nivolumab + Chemotherapie und einer Nivolumab-Monotherapie. Bei Patienten mit einer PD-L1-Expression ≥ 1% betrugt das mediane OS 17,1 Monate unter Nivo/Ipi im Vergleich zu nur 14,9 Monaten unter der Chemotherapie (HR 0,79; p = 0,007). Nach 2 Jahren lebten noch 40% unter Nivo/Ipi im Vergleich zu 33% unter der Chemotherapie. Bei der alleinigen Nivolumab-Therapie waren es noch 36%. Die Vergleichszahlen bei der DOR nach 2 Jahren betrugen 49% unter Nivo/Ipi vs. 40% unter Nivo vs. 11% unter der Chemotherapie. Bei Patienten mit einer PD-L1-Expression < 1% lag das OS nach 2 Jahren bei 40% unter der Kombination im Vergleich zu nur 23% unter der Chemotherapie. Bei der Kombination Nivo + Chemotherapie betrug das OS nach 2  Jahren 35%, lag also unter dem Wert der dualen Immuntherapie. Wurden alle Patienten unabhängig von ihrem PD-L1-Status ausgewertet, so waren die OS-Raten nach 2 Monaten 40% bei Nivo/Ipi vs. 30% bei alleiniger Chemotherapie. Die Vergleichswerte für das mediane OS waren 17,1 Monate vs. 13,9 Monate (HR 0,73). «Nach diesen Ergebnissen ist die duale Immuntherapie eine neue First line-Option statt Chemotherapie für Patienten mit einem fortgeschrittenen NSCLC», so die Stu-dienautorin Prof. Solange Peters, Lausanne.

PS
LBA4_PR, ESMO 2019, 28.9.2019 in Barcelona

Fortgeschrittenes BRCAmut- HER2neg-Mammakarzinom

PARP-Inhibitor bewährt sich in Kombination mit Chemotherapie

Im Rahmen der BROCADE 3-Studie wurde erstmals bei Patientinnen mit einem fortgeschrittenen BRCA1/2mut, HER2neg – Mammakarzinom die, zusätzliche Gabe eines PARP-Inhibitors, nämlich Veliparib plus Chemotherapie mit der alleinigen Chemotherapie verglichen.

Bei Vorliegen einer BRCA1/2-Mutation zeigt das Mammakarzinom eine erhöhte Sensitivität gegenüber einer platinbasierten Chemotherapie. Gleichzeitig verhalten sich solche Tumore sehr sensibel gegenüber PARP-Inhibitoren. Dies ist die Rationale für die BROCADE3-Studie, in die 513 Patientinnen mit einem fortgeschrittenen BRCA1/2mut HER2neg Mammakarzinom randomisiert placebokontrolliert entweder nur die Carboplatin/Paclitaxel-Chemotherapie oder zusätzlich den PARP-Inhibitor Veliparib erhielten.
Durch die zusätzliche Gabe von Veliparib wurde das mediane PFS von 12,6 Monate auf 14,5 Monate erhöht. Die PFS-Rate lag nach 24 Monaten unter der Kombination bei 34% im Vergleich zu 20% bei alleiniger Chemotherapie. Nach 36 Monaten waren die Vergleichszahlen 26% vs. 11%. Die Überlegenheit der Kombination zeigte sich in allen Subgruppen mit Ausnahme der Gruppe von Patienten mit Hirnmetastasen. Beim medianen OS ergab eine Interimsanalyse 33,5% unter der Kombination vs. 28,2 Monate unter der alleinigen Chemotherapie. Bei der Clinical Benefit Rate und bei der objektiven Response-Rate ergab sich kein signifikanter Unterschied, doch bei der Dauer des Ansprechens (14,7 Monate unter der Kombi vs. 11,0 Monate unter der alleinigen Chemotherapie). Auch beim PFS2, definiert als Zeit von der Randomisierung bis zur Progression unter der Folgetherapie oder Tod, schnitt die Veliparib-Gruppe besser ab (21,3 Monate vs. 17,4 Monate). «Durch die zusätzliche Gabe des PARP-Inhibitors wurde das Toxizitätsprofil der Chemotherapie auch nicht ungünstig beeinflusst», so die Studienautorin Prof. Veronique Dieras, Paris.

PS
LBA 9_PR, ESMO 2019, 29.9.2019 in Barcelona

Fortgeschrittenes Ösophaguskarzinom

Nivolumab verbessert das Gesamtüberleben

Im Vergleich mit der Chemotherapie verbessert Nivolumab (Opdivo®) bei Patienten mit einem fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinom des Ösophagus das Gesamtüberleben. Ausserdem ist der Checkpoint-Inhibitor sehr viel verträglicher. Dies sind die Ergebnisse der ATTRACTION-3-Studie.

Das fortgeschrittene Ösophagus-Karzinom hat eine sehr schlechte Prognose. Die 5-Jahresüberlebensrate liegt bei ca. 8%. In über 90% der Fälle handelt es sich um ein Plattenepithelkarzinom. Der bisherige Standard ist eine Chemotherapie, deren Wirksamkeit allerdings sehr schlecht ist und die mit einer hohen Toxizität assoziiert ist. In der Phase II ATTRACTION-2-Studie zeigte Nivolumab bei Patienten, die gegenüber der Chemotherapie refraktär waren oder diese nicht vertrugen, eine antitumoröse Wirksamkeit Im Rahmen der ATTRACTION-3-Studie, einer Phase III-Studie, wurde jetzt die Nivolumab-Immuntherapie mit der Chemotherapie verglichen. Im Vergleich zur Chemotherapie sank das Sterberisiko unter Nivolumab um 23% und das mediane OS nahm um 2,5 Monate zu (10,9 Monate vs. 8,4 Monate; HR 0,77; p = 0,019). Das OS nach 12 Monate betrug unter Nivolumab 47% und nach 18 Monaten 31%, die Vergleichszahlen bei der Chemotherapie lagen bei 34% bzw. bei 21%. Der Überlebensvorteil war unabhängig vom PD-L1-Expressionslevel. Bei der ORR fand sich kein signifikanter Unterschied, doch bei der DoR (6,9 Monate bei Nivolumab vs. 3,9 Monate bei Chemotherapie). Auch erwies sich die Immuntherapie als deutlich verträglicher (Nebenwirkungsrate unter Nivolumab 66% vs. 95% Chemotherapie). «Die Immuntherapie mit Nivolumab stellt einen grossen Fortschritt beim fortgeschrittenen Ösophaguskarzinom dar», so der Studienautor Prof. Chul Co, Yonsei.

PS
LBA11_RP, ESMO 2019, 30.9.2019 in Barcelona

Geschlechterspezifische Medizin in der Onkologie:

Sind wir bereit zu einem Paradigmawechsel?

In der Podiumsdiskussion «Sex- and gender-sensitive medicine: are we ready to switch paradigm?», die am 29. September im Rahmen der ESMO Women for Oncology Initiative stattfand, erkundete das Panel der 4 Expertinnen neue Vorgehensweisen, die in der Patientenbetreuung geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigen – darunter zwei Onkologinnen und eine Kardiologin aus der Schweiz. Ziel der Veranstaltung war ein Appell, die Qualität der Betreuung aller Patienten zu verbessern und die Auseinandersetzung mit der Frage, wie und bis wann die Genderaspekte in der Onkologie praktisch umgesetzt werden können.

Im Zeitalter der Präzisionsmedizin, die sowohl Männern als auch Frauen eine massgeschneiderte Behandlung anbieten kann, hat die Untersuchung geschlechterspezifischer Unterschiede das Potential, sich als Meilenstein zu erweisen. Das Wissen über Unterschiede zwischen den Geschlechtern wächst stetig und weist darauf hin, dass diese Unterschiede nicht nur die Tumorbiologie, sondern auch die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Medikamenten beeinflussen können. Dennoch werden biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Krebsforschung und klinischen Praxis auch noch heutzutage selten berücksichtigt. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären?
Mit dieser Frage und wie das Thema der Gendermedizin die nötige Aufmerksamkeit erlangen kann, eröffnete das Panel die Diskussion. Die Expertinnen waren Dr. Sabine Oertelt-Prigione, Strategic Chair for Gender in Primary and Transmural Care an der Radboud-Universität, Nijmegen (NL) sowie Prof. Solange Peters, Vorsitzende des ESMO Women for Oncology Committee, welche die Diskussion leitete und Dr. Anna Dorothea Wagner, beide vom Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV), und als dritte Schweizer Ärztin die Kardiologin Dr. Susanna Grego aus Lugano-Paradiso.
«Es gibt häufig Widerstand dagegen, die Debatte über Genderaspekte in der Gesundheitsversorgung in den Vordergrund zu rücken, da sie häufig nur für Frauen und nicht für alle Patienten von Interesse sind», erklärte Dr. Sabine Oertelt-Prigione und verwies auf den Umstand, dass der Umgang mit medizinischen Sachverhalten und politischen Angelegenheiten nicht gleich ist. Sie ergänzte, dass in letzter Zeit die Geldgeber vermehrt verlangen, dass Forscher biologische Unterschiede in die Planung ihrer Forschung einbeziehen, was dem Anliegen helfen könne, voranzukommen.
In der Gesprächsrunde wurde weiter darüber diskutiert, welchen Einfluss Geschlechtsunterschiede auf die Prävention, Diagnose und Behandlung haben können. Die Expertinnen wiesen darauf hin, dass das Wissen über geschlechtsspezifische Unterschiede in der Kardiologie schon früher bestand, wodurch zum Beispiel erkannt wurde, dass – entgegen vormaliger Annahme – auch junge Frauen einen Herzinfarkt erleiden können. «Das war ein Moment des Erwachens, der die Diskussion wirklich in Gang gesetzt hat», bekräftigte Dr. Oertelt-Prigione. In der Onkologie sei dieser Durchbruch trotz diverser bekannter geschlechtsspezifischer Unterschiede leider noch nicht erreicht.
«Was wirklich hinterher hinkt, sind die medizinischen Fachgesellschaften selbst!», sind sich die Expertinnen einig. Arbeitsgruppen und Task Forces existieren zwar über mehrere medizinische Disziplinen hinweg, aber die Unterstützung durch die Fachgesellschaften, indem diese die Führung in diesem Prozess übernehmen, sei im Allgemeinen begrenzt. Das grösste Hindernis sei, dass das vorhandene geschlechtsspezifische Wissen noch nicht in den Leitlinien verankert sei und noch nicht genügend evidenzbasierte Daten vorhanden seien, damit die Richtlinienausschüsse Empfehlungen unterstützen könnten. Um diesen Zustand zu überwinden, ist ein geschärftes Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede erforderlich, so dass bei einer Studie Daten nach Geschlecht gesammelt und analysiert werden, betonen die Expertinnen und fordern dazu auf, diese praktischen Aspekte durch gemeinsame Anstrengungen besser zu unterstützen. Durch die Einbindung von medizinischen Fachgesellschaften, wie z.B. die ESMO, zählen die Expertinnen darauf, dass der Umsetzungsprozess beschleunigt wird. Die neulich gegründete ESMO Gender Medicine Task Force sei ein klares Signal in diese Richtung, schliesst das Panel.
Mit Appell ans Publikum wünschte sich das Gremium der Expertinnen eine Vertiefung der Themen und forderte zum Austausch mit dem Netzwerk der ESMO Women for Oncology auf.

Eleonore E. Droux

Prise en charge après une opération bariatrique

Les patients ayant subi une intervention bariatrique ont besoin de contrôles réguliers afin de détecter et de traiter les complications et les progressions défavorables à un stade précoce. Comme le nombre de patients recevant une chirurgie bariatrique pour traiter l’ obésité et ses comorbidités augmente rapidement, il devient de plus en plus important pour les médecins d’ avoir une connaissance pratique des principales conséquences de la chirurgie bariatrique. Les thèmes importants lors de ce suivi comprennent la perte de poids, la détection précoce d’ une évolution défavorable, la détection et le traitement des carences en macro- et micronutriments, les symptômes gastro-intestinaux tels que la douleur, le dumping, etc. L’ article suivant donne un aperçu de ces sujets et décrit les options de traitement.

L’ augmentation de l’ obésité au cours des dernières décennies a mené, entre autres, à une utilisation accrue des opérations bariatriques. L’ étude SOS (Swedish Obese Subjects) (1) a documenté de manière impressionnante les succès continus en matière de perte de poids, d’ amélioration de la comorbidité et de réduction de la mortalité chez les patients ayant subi une chirurgie, ce qui a conduit à une utilisation encore plus importante de ces opérations. Il est donc de plus en plus important que les médecins en pratique se familiarisent avec les questions et les problèmes pouvant survenir après une chirurgie bariatrique. L’ article suivant donne un aperçu des questions relatives à la pratique et vise à fournir des conseils sur la façon de procéder dans des situations typiques.
En Suisse, des directives pour le traitement chirurgical de l’ obésité et les soins de suivi après une chirurgie bariatrique ont été élaborées par la SMOB (Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders), sont disponibles sur la page d’ accueil www.smob.ch et sont régulièrement actualisées. Selon ces directives, les centres bariatriques sont tenus d’ assurer le suivi de leurs patients tout au long de leur vie. Ce suivi est assuré par les centres bariatriques en collaboration avec les médecins de famille. Selon les directives du SMOB, les centres doivent pouvoir démontrer un taux de suivi d’  au moins 75  % dans les 5 premières années postopératoires. Les contrôles de suivi doivent être effectués deux, quatre, huit et 12 semaines après l’ opération, puis tous les trois mois, dans la deuxième année postopératoire tous les six mois, puis tous les ans, avec dans chaque cas un contrôle en laboratoire de la situation des micronutriments, ou plus fréquemment en cas de problèmes particuliers. Les consultations doivent inclure une évaluation et des conseils concernant l’ évolution du poids, la situation nutritionnelle et de l’ activité physique, ainsi que des comorbidités, en plus de questions individuelles qui doivent aussi être abordées.

L’ opération bariatrique la plus fréquente est le bypass (ou pontage) gastrique, généralement sous la forme du pontage gastrique proximal Roux-Y (Fig. 1), qui agit à la fois de manière restrictive et malabsorptive. L’ effet restrictif est particulièrement marqué après la gastrectomie longitudinale ou gastrectomie sleeve (Fig. 2) ou après l’ implantation d’ un l’ anneau gastrique. Cette dernière était l’ opération standard jusqu’ en 2005 mais n’ est plus utilisée aujourd’ hui en raison de l’ intolérance, de la dysmotilité œsophagienne et des symptômes de reflux. La perte de poids la plus importante survient après une opération de diversion biliopancréatique (DBP) (Fig. 3). Cette opération entraîne une forte malabsorption. En plus des effets restrictifs et malabsorbtifs, ces opérations agissent toutes en modifiant les composantes neuroentéro-humorales, c’ est-à-dire en modifiant les hormones peptidiques gastro-intestinales et en influençant les boucles de contrôle centrales pour réguler la saturation et la récompense. La modification du microbiote après l’ intervention chirurgicale joue également un rôle dans la perte de poids.

Courbe de poids et évolutions défavorables

La perte de poids moyenne 5 ans après le pontage gastrique est de 70 % de perte du poids excessif (LEF), d’ environ 60 % après la gastrectomie longitudinale et d’ environ 80 % après la dérivation biliopancréatique, le nadir étant atteint 12-18 mois après la chirurgie. Par la suite, le but devrait être la stabilisation du poids. Un gain de poids secondaire d’ environ 5 % à 10 % est considéré comme normal et multifactoriel. Toutefois, il convient de noter qu’ il n’ y a pas de limite claire à ce qui constitue une perte de poids suffisante. L’ évolution du poids doit également être évaluée dans le contexte des comorbidités.
Le tableau 1 donne un aperçu des facteurs et des approches thérapeutiques en cas de perte de poids insuffisante ou d’ augmentation du gain de poids secondaire.
Un risque accru de perte de poids supérieure à la moyenne avec détérioration de l’ état général, de la masse musculaire et une perte de force peut survenir dans le cadre d’ une dépression, d’ une adhésion insuffisante aux recommandations alimentaires, en particulier un apport insuffisant en protéines, du développement d’ un trouble alimentaire anorexique secondaire, d’ un abus d’ alcool, d’ une toxicomanie, de tumeurs ou de maladies chroniques, en particulier la BPCO. Un risque accru de malnutrition et de développement d’ une insuffisance pondérale existe surtout après les interventions fortement malabsorptives, surtout après le détournement biliopancréatique.

Carences en micronutriments

Après la chirurgie bariatrique, il existe un risque de carence en micronutriments dû aux faibles quantités d’ aliments ingérées et à la malabsorption, c’ est pourquoi une supplémentation en micronutriments à vie est essentielle (2,  3, 4). Pour répondre aux besoins des patients obèses, des préparations spécialement développées pour les patients obèses (par exemple WLS forte® de FitForMe ou Multi® de Bariatric Advantage) ou une préparation multivitaminée telle que Supradyn® peuvent être prises en alternance avec une vitamine complexe B. Des contrôles réguliers en laboratoire sont toujours indiqués afin de détecter et de traiter les défauts à un stade précoce. Il est important de noter que le risque de symptômes de carence dépend du type d’ opération, c’ est-à-dire que les opérations avec une forte composante malabsorptive, en particulier la chirurgie de dérivation biliopancréatique, mais aussi les opérations de dérivation excluant des sections plus longues de l’ intestin grêle (OAGB, BGRY avec une boucle bilio-pancréatique extra longue) ont un risque considérablement accru de carences en micronutriments. En particulier, le risque de carence en vitamines liposolubles (vitamines A, D, E, K) et de carences en sélénium ou en cuivre par ailleurs rares augmente considérablement. Après une intervention chirurgicale avec des composants purement restrictifs, comme par exemple une gastrectomie longitudinale ou une gastroplastie, le risque est nettement plus faible quoique toujours présent.
D’ autres raisons pour lesquelles les carences surviennent fréquemment après les opérations bariatriques sont les aversions gustatives, la mauvaise compliance des patients dans la prise de suppléments, l’ information insuffisante des patients, peut-être aussi un besoin accru pour d’ autres causes, par exemple une perte supplémentaire de fer due à l’ hyperménorrhée. Un autre problème est le fait que les suppléments ne sont pas pris en charge par l’ assurance maladie obligatoire. Les carences en micronutriments sont déjà fréquentes avant les opérations bariatriques et doivent être traitées déjà avant l’ opération.
Les carences les plus importantes après une opération bariatrique, y compris les symptômes et les conséquences, sont énumérées au tableau 2.
L’ obésité est en soi associée à une carence en vitamine D, de sorte qu’ une carence doit déjà être recherchée et traitée déjà avant l’ opération. L’ absorption du calcium chute fortement après un pontage gastrique. Pour la prophylaxie de l’ ostéoporose après un pontage gastrique et une chirurgie de dérivation biliopancréatique, une supplémentation en calcium-D3 est nécessaire pour couvrir le besoin accru et éviter le développement d’ une hyperparathyroïdie secondaire. Selon les directives de l’ American Society of Metabolic and Bariatric Surgery (ASMBS), un apport total en calcium de 1500 mg/jour après une gastrectomie sleeve, de 1500 à 2000 mg/jour après un pontage gastrique et de 1800 à 2400 mg après une dérivation biliopancréatique est recommandé, étant bien entendu que l’ apport alimentaire devrait continuer à couvrir autant que possible les besoins (2, 3). Il est important que la supplémentation en calcium D3 soit prise avec un certain décalage par rapport aux autres suppléments, en raison du risque d’ une inhibition mutuelle de l’ absorption.

La carence en zinc est fréquente après une chirurgie bariatrique. Dans une étude, 9 % des 324 patients présentaient déjà une carence en zinc en phase préopératoire, contre 42.5 % 12 mois après l’ opération. Les raisons en étaient, d’ une part, le manque de compliance à la supplémentation et, d’ autre part, une absorption de zinc fortement réduite. L’ absorption fractionnée du zinc diminue après pontage de 32,3  % en préopératoire à 13,6 % 6 mois en postopératoire et à 21  % 12 mois après l’ opération. Pour cette raison, des contrôles réguliers en laboratoire doivent également déterminer la teneur en zinc comme marqueur de l’ apport en oligo-éléments. Il convient de noter que le taux de zinc dans le sérum n’ est pas une méthode fiable pour diagnostiquer une carence en zinc, car seulement 0,1 % de la teneur totale en zinc est dissous dans le sérum et la concentration sérique en zinc peut également être affectée par une réaction de phase aiguë (5).
La carence en vitamine B1 mérite une attention particulière. Les réserves de vitamine B1 sont faibles, c’ est pourquoi une carence en vitamine B1 peut survenir après seulement 2 semaines environ si l’ apport est insuffisant et en cas de vomissements à répétition. La triade classique de Wernicke avec ataxie motrice, parésie des muscles oculaires et confusion n’ est pas toujours entièrement présente, mais une carence en vitamine B1 non traitée peut provoquer des déficits neurologiques irréversibles. Si une carence en vitamine B1 est suspectée, le traitement approprié (thiamine 100 mg iv) doit donc être initié avant que les résultats de laboratoire soient disponibles (6).

Carences en macronutriments

Une instruction nutritionnelle détaillée est indispensable après la chirurgie bariatrique, en particulier en ce qui concerne l’ apport en protéines, car une perte de masse musculaire supérieure à la moyenne est à craindre en cas d’ apport insuffisant. L’ objectif est un apport protéique de 1 g de protéines/KG de poids normal. La prise de boissons protéinées (shakes) est généralement nécessaire dans les premiers mois postopératoires afin d’ atteindre cet objectif et de répondre à la demande. Surtout après des opérations avec une malabsorption accrue, une malnutrition protéique sévère avec perte de force, une diarrhée chronique et un œdème généralisé peuvent encore survenir des années après l’ opération. Une hypalbuminémie est souvent observée en laboratoire. Sur le plan thérapeutique, un apport protéique à forte dose peut être obtenu, selon la situation clinique, par des suppléments alimentaires, des compléments protéiques, dans les cas graves également par l’ administration de protéines par une sonde gastrique, ou, si nécessaire, par voie parentérale (4).

Symptômes gastro-intestinaux après une chirurgie bariatrique

Les symptômes gastro-intestinaux après une chirurgie bariatrique sont fréquents, le plus souvent avec plus d’ une diarrhée par semaine chez 23 % des patients, le dumping chez 13 %, des douleurs abdominales chez 10 %, une dysphagie chez 5  %, des vomissements chez 4 %. Une fréquence > 1 x mois est rapportée pour la diarrhée chez 24 % des patients, le dumping chez 27 %, les douleurs abdominales chez 15 %, les vomissements chez 15 %, la dysphagie chez 7 % (7). Les causes particulières de la douleur après une chirurgie bariatrique et le syndrome de dumping sont brièvement expliquées ci-dessous.

Douleurs

Des douleurs survenant après une chirurgie bariatrique peuvent avoir des causes multiples. Une anamnèse précise et l’ examen clinique est généralement utile et capitale. Une clarification précise est importante afin de ne pas rater d’ éventuelles complications graves. Le tableau 3 montre le diagnostic différentiel des douleurs abdominales après une chirurgie bariatrique.
Sur la base de la clinique et de l’ anamnèse, un diagnostic suspect est posé, ce qui détermine la suite de la clarification (tableau 4).
La cause la plus dangereuse de douleurs abdominales est l’ apparition d’ une obstruction des parties exclues de l’ intestin grêle avec accumulation dans l’ estomac exclu, ce qu’ on appelle l’ obstruction du pontage. Les patients éprouvent d’ importantes nausées, mais ne peuvent pas vomir, de même que des douleurs dans la partie supérieure de l’ abdomen ou du dos. Les patients sont extrêmement stressés et donc tachycardes. Le diagnostic est fait par CT abdominal, une radiographie abdominale conventionnelle pouvant être faussement négative en raison d’ un manque de niveau liquides. Dans cette situation une intervention chirurgicale est indiquée sans délai. Une cause beaucoup plus fréquente de douleur abdominale est la hernie interne. Cette complication est favorisée par la réduction de la graisse mésentérique et ne se produit donc généralement qu’ après une perte de poids importante. Une anse de l’ intestin grêle est herniée au niveau des lacunes mésentériques, soit entre le mésocôlon transverse et le méso de l’ anse montée, soit au niveau de l’ espace dit de «Petersen», ce qui peut entraîner une obstruction et une ischémie de l’ intestin grêle. Les symptômes typiques sont des douleurs sévères épigastriques ou de l’ abdomen moyen avec exacerbation postprandiale, dans certains cas des vomissements; en phase précoce les symptômes sont souvent spasmodiques, évoluant par la suite dans une douleur permanente. Une hernie interne peut cependant également se présenter de manière atypique, c’ est-à-dire avec seulement une douleur intermittente. La fréquence indiquée dans la littérature est d’ environ 2,5 à 10 % (8). Le CT abdominal est utile pour le diagnostic, avec une attention particulière accordée à une composante de rotation des vaisseaux mésentériques («whirl sign»). Une intervention chirurgicale rapide par un chirurgien expérimenté en bariatrie est indiquée.

Les ulcères de la muqueuse gastrique sont divisés en ulcères précoces et tardifs (9). Habituellement, les ulcères sont situés dans la zone de l’ anastomose. Les ulcères précoces apparaissent jusqu’ à 10 mois après l’ opération. La cause la plus probable est l’ ischémie ou l’ inflammation. Les facteurs de risque pour le développement d’ un ulcère tardif sont la contamination acide du jéjunum, par exemple par l’ élargissement de la poche, l’ abus de nicotine, la prise d’ AINS et le diabète sucré. La clinique typique pour les ulcères est une douleur épigastrique sévère pendant l’ alimentation. Pour établir le diagnostic, une endoscopie doit être effectuée, le traitement consiste en un traitement par inhibiteur de la pompe à protons (IPP) pendant des mois. Une étude a montré que les formulations solubles, c’ est-à-dire les capsules ouvertes permettent une guérison plus rapide de l’ ulcère que les capsules non ouvertes (10). Une infection par Helicobacter pylori, éventuellement aussi une persistance malgré l’ éradication préopératoire, doit être recherchée et traitée si elle est présente. L’ abstinence de nicotine est fortement recommandée.

Dumping

Un symptôme courant après un pontage gastrique est l’ apparition de symptômes de dumping. Nous faisons la distinction entre le dumping précoce et le dumping tardif. Les mécanismes physiopathologiques du syndrome du dumping ne sont pas bien élucidés. Un des mécanismes possibles est une vidange rapide de la poche de l’ estomac. Le transfert rapide d’ aliments hautement osmolaires, en particulier de glucides isolés, dans l’ anse jéjunale montée déclenche un afflux de liquide dans la lumière intestinale et donc une hypotension, parfois jusqu’ au collapsus, des étourdissements, de la fatigue, des crampes et de la diarrhée. Ce dumping précoce se produit de 0 à 30 minutes après le début du traitement. Le dumping tardif se produit 90 à 120 minutes après un repas contenant des glucides et est causé par une réponse insulinique excessive à la forte concentration de glucides dans l’ intestin grêle, entraînant une hypoglycémie avec les symptômes classiques de la transpiration, des tremblements, une altération de la vision et une diminution de la concentration.
Si les symptômes ne sont pas clairs, il est utile d’ obtenir un protocole de l’ alimentation et des symptômes, combiné avec mesure de glycémie. La surveillance continue de la glycémie peut également être utile en cas d’ incertitude. Sur le plan thérapeutique, il est très important de suivre les recommandations diététiques (pas de repas de glucides purs, intervalle de 30 minutes entre les repas, petits repas réguliers, augmentation de la consommation de fibres, éventuellement de fibres solubles, par ex. Optifiber®). Si les symptômes persistent, on peut essayer un traitement médicamenteux à l’ acarbose pour stabiliser la glycémie ; dans les cas de résistance au traitement, l’ utilisation de liraglutide ou d’ octréotide est également recommandée. En cas de perte de poids insuffisante et de symptômes de décharge, l’ insertion d’ un anneau en silicone, appelé anneau de Fobi, autour de la poche gastrique peut être envisagée. Il en résulte une restriction accrue, une vidange plus lente de la poche et donc une amélioration des symptômes de dumping. Dans le cas d’ un dumping résistant au traitement et d’ une perte de poids supérieure à la moyenne, les experts croient que l’ administration d’ une alimentation entérale continue par le biais d’ un cathéter de gastrostomie dans l’ estomac exclu constitue une option thérapeutique. La dernière option thérapeutique est la réversion du pontage, mais il faut écarter les rares diagnostics différentiels d’ hypoglycémie, comme la présence d’ un insulinome ou d’ une insuffisance surrénalienne. Les médicaments, en particulier la venlafaxine, peuvent également augmenter l’ incidence de l’ hypoglycémie.

Dr Martina Gebhart

Médecin-cheffe Médecine interne / Endocrinologie
Claraspital Centre de Nutrition / Clarunis Bariatric Reference Centre
Lukas Legrand-Strasse 4
4058 Bâle

martina.gebhart@claraspital.ch

L’ auteur n’ a déclaré aucun conflit d’ intérêts en rapport avec cet article.

  • Les opérations bariatriques nécessitent un suivi tout au long de la vie, qui a lieu dans des centres spécialisés en coopération avec les médecins traitants.
  • Les éléments importants pour le suivi comprennent la progression du poids, la détection et le traitement des carences en macro et micronutriments, la détection et l’ évaluation de problèmes spécifiques tels que la douleur et le dumping.
  • Les carences les plus courantes après l’ obésité sont la carence en vitamine D3, la carence en fer, la carence en vitamine B12 et la carence en zinc.

1. Sjöström L. A Review of the key results from the Swedish Obese Subjects (SOS) trial – a prospective controlled intervention study of bariatric surgery. J Intern Med 2013;273:219-234.
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Un symptôme fréquent impactant la santé et la qualité de vie

La nycturie chez la personne âgée est un symptôme fréquent avec des conséquences importantes sur l’  état de santé et la qualité de vie. L’  étiologie est souvent multifactorielle et il est important d’  avoir une vision globale qui va conduire à des démarches diagnostiques et thérapeutiques appropriées.

Selon la définition de la société internationale de continence, la nycturie est le besoin de se réveiller la nuit pour uriner, chaque miction étant précédée et suivie d’  une période de sommeil (1).
La définition a varié, ce qui rend difficile l’ établissement d’ un chiffre de prévalence précis. Environ 60 % des sujets de plus de 70 ans se lèvent au moins deux fois la nuit (2) et les personnes qui urinent trois fois ou plus durant la nuit ont un excès de mortalité significativement plus élevé (3). La nycturie est-elle une maladie ou une conséquence du vieillissement physiologique? L’   approche de la nyct-
urie comme une maladie a l’  intérêt d’  inciter le médecin à réaliser une recherche étiologique.
L’  étiologie est souvent multifactorielle et comprend des maladies systémiques, des affections de voies urinaires basses, des troubles du sommeil et des facteurs comportementaux rendant complexe la prise en charge. Les différents spécialistes (urologues, gynécologues, endocrinologues, neurologues) ont souvent une approche spécifique basée sur leur domaine de compétence. Pour la prise en charge d’  un patient âgé souffrant de nycturie, il est important d’  avoir une vision globale du problème. Après une anamnèse soigneuse et un examen physique, en particulier cardio-vasculaire et urogénital, le calendrier mictionnel représente un outil de base validé par l’   ICUD-SIU (International Consultation on Urological Diseases-Société Internationale d’  Urologie) pour le bilan de la nycturie qui nous permet de récolter les informations précises sur les symptômes urinaires dans les conditions de vie quotidienne. Il est nécessaire de bien définir les éléments qui participent à la nycturie et sont renseignés par le calendrier mictionnel (tab.1).

Un calendrier mictionnel inclut :
– Le volume et le nombre de mictions sur 24-48h
– Le début et la fin du sommeil
– L’  apport hydrique : type, volume et temps

Pathophysiologie et classification

Selon le calendrier mictionnel de 24 h et le mécanisme de la nycturie, nous catégorisons les maladies déclenchantes en quatre groupes (fig. 1, 4, 5, 6):
1. Polyurie globale
2. Polyurie nocturne
3. Diminution de la capacité vésicale fonctionnelle
4. Mixte

Polyurie globale signifie une augmentation de débit urinaire à plus de 40 ml / kg / 24 h (1). La cause la plus fréquente est la polydipsie primaire. La polyurie est un mécanisme compensatoire dans le cadre d’  une décompensation diabétique hyperosmolaire, elle représente la cause la plus fréquente d’  une polyurie globale chez les personnes âgées. Le diabète insipide se manifeste également par une polyurie. Chez les personnes âgées, cette pathologie est relativement rare.

Polyurie nocturne

La polyurie nocturne est présente chez 80 % des patients souffrant d’  une nycturie et peut être facilement ratée si le calendrier mictionnel n’  est pas complété (4, 5, 6).
Chez les personnes âgées de plus de 65 ans, nous parlons de polyurie nocturne lorsque la diurèse nocturne représente plus de 33 % de la diurèse totale sur 24 h. Chez les individus jeunes une polyurie nocturne est significative quand la diurèse nocturne représente 20 % de la diurèse totale (1, 4).
Différentes situations peuvent conduire à la polyurie nocturne. Chez les personnes âgées souffrant de nycturie, les taux d’  ADH nocturne sont souvent diminués en raison de la perte ou l’  atténuation du rythme nycthéméral de production d’  ADH et de la diminution de la réponse hypothalamique aux variations de l’  osmolarité (7).
La sécrétion d’  ADH peut être altérée également par des lésions du système nerveux central (SNC) avec atteinte de l’ axe hypothalamo-pituitaire et altération du rythme circadien (8). L’ augmentation de la diurèse nocturne peut également être provoquée par une inhibition de l’  effet de l’  ADH au niveau rénal induite par prostaglandines E-2, l’  hypercalcémie, l’  hypokaliémie, le lithium et les tétracyclines (6).
D’  autres pathologies, telles que l’ in-suffisance cardiaque, l’ insuffisance veineuse, l’ hypo-albuminémie, le syndrome néphrotique, peuvent induire une nycturie.
L’  augmentation significative de BNP (brain natriuretic peptide) et ANP (Atrial natriuretic peptid) chez l’ insuffisant cardiaque stimule la natriurèse et l’  excrétion d’  eau dans les urines. Dans ce contexte, une place à part doit être faite au syndrome de l’  apnée obstructive du sommeil (SAOS). L’  hypoxémie chronique induit une vasoconstriction pulmonaire qui augmente la pression intra-murale de l’  oreillette droite et provoque la sécrétion d’  ANP (4, 5). La prise de diurétiques et d’ anticalciques le soir provoque une augmentation de la diurèse nocturne et favorise la nycturie.

Diminution de la capacité vésicale fonctionnelle

Le vieillissement de l’  appareil urinaire peut se manifester par une dénervation du muscle de la vessie, une prolifération des fibres collagènes au niveau de la paroi vésicale et une diminution des fibres musculaires lisses, entraînant une perte d’  élasticité de la vessie et une perte de contractilité.
Les pathologies des voies urinaires basses se manifestent souvent avec une pollakiurie, accompagnée ou non d’ autres symptômes. Toutes les pathologies générant une hyper-activité vésicale (AVC, lésion médullaire, alcool, caféine), ou au contraire une hypoactivité vésicale (lésion médullaire, queue de cheval) et une vessie neurogène ainsi que les pathologies structurelles (fibrose, néoplasie, calculs, et obstacles sous vésicaux) (fig. 1) vont créer une diminution de la capacitance vésicale et se manifester par une nycturie. En cas d’une vessie hyperactive ou d’un détrusor fortement épaissi avec une compliance réduite, la perte de capacité de la vessie peut être absolue. Une diminution fonctionnelle est également observée en cas de trouble de vidange et d’urine résiduelle.

Nycturie mixte

Les patients présentant une nycturie ont souvent plusieurs étiologies. Beaucoup sont atteints de polyurie nocturne et de pathologies provoquant la diminution de la capacité vésicale fonctionnelle.

Impact de la nycturie chez les personnes âgées

L’  impact de la nycturie sur la santé et la qualité de vie est très important. L’  augmentation progressive du nombre de mictions a des effets négatifs sur le sommeil et la qualité de vie (9, 10). Les chutes liées à une nycturie augmentent significativement le nombre de fractures du col du fémur (11). L’  impact sur la santé du proche aidant et la décision d’  une entrée en institution sont aussi à considérer (12).

Prise en charge

La prise en charge de la nycturie chez la personne âgée nécessite l’  identification du mécanisme avec une anamnèse bien ciblée sur les pathologies potentiellement responsables, ainsi que sur l’  impact sur la qualité de vie. La recherche de syndromes gériatriques associés favorisant la nycturie s’ avère très importante dans l’  orientation diagnostique (12, 16) Les troubles du sommeil sont souvent la cause d’une pseudonycturie donc une anamnèse de sommeille approfondie est cruel dans le détermination de la prise en charge. Dans ce sens, il existe de nombreux outils de prise en charge validés, tels que le questionnaire de consultation internationale d’  incontinence, Pittsburgh sleep quality Index, Nocturia – specific Qol (13). Une anamnèse sociale auprès de l’ entourage est très utile pour déterminer la suite de la prise en charge.
Le calendrier mictionnel est un outil très fiable dans la détermination de la nycturie et représente la base de la démarche diagnostique après l’  évaluation clinique (fig. 1). Un ultrason abdominal doit toujours être effectué dans la recherche d’  un résidu post-mictionnel (> 200 ml). Les examens de laboratoires suivants sont recommandés : électrolytes, urée, créatininémie, glycémie, BNP ou NT-proBNP la recherche d’ une bactériurie, d’ une leucocyturie ou d’ une hématurie. D’autres pathologies de la vessie doivent également être exclues (tumeurs de la vessie, inflammations chroniques abactériennes).
Certains médicaments peuvent favoriser la nycturie par plusieurs mécanismes (tab. 2). C’  est pourquoi une révision du traitement médicamenteux est recommandée (13).

Modifications comportementales et du mode de vie

L’  environnement pour obtenir un bon sommeil doit être optimisé en accordant une attention particulière à la température, le bruit, l’  éclairage et les heures du coucher. L’  exercice physique régulier peut conduire à un sommeil plus profond et une augmentation de la capacité de la vessie. La gestion des facteurs psychologiques, financiers et familiaux améliore aussi la qualité du sommeil (14, 19). Une réduction de consommation de boissons avant le coucher, en particulier celles stimulant le détrusor (boissons caféines ) est recommandée. La consommation d’alcool a un effet inhibiteur sur le détrusor et peut conduire à la rétention urinaire. L’  horaire de la prise des diurétiques doit être adapté afin de limiter autant que possible une polyurie nocturne iatrogène. En cas d’  œdèmes des membres inférieurs liés à une insuffisance veineuse, les diurétiques s’ avéreront inappropriés, ils peuvent en effet être responsables d’  orthostatisme, de chutes, d’  un état confusionnel et de déshydratation (12, 15, 18). Pour ces patients, l’ utilisation de bas de compression et l’ élévation des jambes dans l’ après-midi s’  est avéré efficace.

Traitement médicamenteux

Chez les patients diabétiques, une diminution de la glycémie sous le seuil rénal est à obtenir. Chez les patients souffrant d’  une polyurie nocturne provoquée par des maladies systémiques (insuffisance cardiaque, insuffisance rénale, SAOS), une amélioration des symptômes est observée après identification de la cause et instauration d’  un traitement étiologique.
Le desmopressine (analogue d’  hormone anti-diurétique) a démontré son efficacité en cas de polyurie nocturne. Avec une dose optimale de 0.1-0.2 mg / jour, une diminution des symptômes de la nycturie nocturne et une augmentation de la durée du sommeil ont été observées dans différentes études (19, 20). En raison du risque élevé d’  hyponatrémie et de la contre-indication en cas d’  insuffisance cardiaque et d’ insuffisance rénale, l’  utilisation chez les patients âgés fragiles reste très limitée et discutable (21, 12). En cas d’  hyperplasie bénigne de la prostate, le traitement standard est alpha-1-bloquants (la silodosine, la tamsulosine) associé à un anticholinergique (chlorure de trospium, solifénacine) ou souvent un agoniste bêta-3-adrénergique (mirabégron).
Les patients avec nycturie due à la diminution de la capacité vésicale nécessitent une évaluation et suivi urologique. Chez les hommes souffrant d’  obstruction de la vessie, les traitements sont moins efficaces sur la nycturie contrairement aux obstructions sous-vésicales (hypertrophie prostatique). Les α-1-bloquants ont montré une légère amélioration du nombre d’ épisodes nocturnes. L’  effet d’  amélioration est à mettre en corrélation avec la gravité de la nycturie. Toutefois, les α-bloquants doivent être prescrits avec prudence, en particulier chez les personnes âgées en raison d’ une hypotension posturale souvent associée.
Pour l’  hyperactivité vésicale, les anticholinergiques sont bien validés, même si leur efficacité est loin d’  être absolue, ils peuvent néanmoins favoriser une rétention urinaire ou des états confusionnels notamment en cas de troubles cognitifs préexistants. Dans tous les cas, un suivi urologique est indispensable pour bien contrôler l’effet de traitements médicamenteux et le résidu urinaire éventuel. En cas d’inefficacité du traitement une clarification urodynamique pour évaluer la fonction vésicale reste à effectuer.

Chirurgie de la prostate

La chirurgie prostatique (TURP) montre une efficacité sur la nycturie surtout chez les patients jeunes. Les résultats chirurgicaux sont moins efficaces en cas d’  une nycturie mixte avec polyurie nocturne (13). Les changements inflammatoires de la prostate jouent également un rôle importante raison la quelle l’indication et l’avantage d’un TUR-P reste objet d’une évaluation urologique.

Dr Stojan Todorov

Service de la gériatrie aiguë et réadaptation gériatrique
HFR-Riaz
Case postale 70
1632 Riaz

stojan.todorov@h-fr.ch

Dr André Laszlo

Médecin-chef
Service de la gériatrie aiguë et réadaptation gériatrique
HFR-Riaz
Case postale 70
1632 Riaz

Les  auteurs n’    ont aucun conflit d’    intérêts en relation avec cet article.

  • Chez la personne âgée la nycturie est un problème fréquent impactant la santé et la qualité de vie de manière très importante.
  • L’  étiologie est souvent multifactorielle.
  • Une anamnèse soigneuse, un examen physique ciblé et le calendrier mictionnel permettent déjà de poser un diagnostic et d’  initier un traitement dans bon nombre de cas en médecine de premier recours.

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Automédication et douleur

L’ automédication pour des symptômes douloureux est très fréquente, souvent parfaitement acceptable, mais jamais dénuée de tout risque ni de dérive irrationnelle. Cette pratique n’ est souvent pas connue du médecin traitant. Cet article revoit différents enjeux de l’ automédication concernant les antalgiques et propose quelques recommandations pour le praticien.

On trouve plusieurs définitions de l’ automédication dans la littérature médicale, comme par exemple « le comportement par lequel un individu recourt de sa propre initiative à un médicament, c’ est-à-dire à une substance dont il attend un effet de type pharmacologique bénéfique pour sa santé, que ce soit en vue d’ une prévention primaire, d’ une amélioration de sa condition ou de ses performances, du soulagement de ses symptômes ou d’ une modification du cours d’ une maladie qui l’ affecte  » (1). L’ automédication englobe tant la prise de produits achetés en pharmacie sans ordonnance (Over The Counter, OTC) que la réutilisation de médicaments précédemment prescrits ou le partage d’ un traitement donné à un proche.

Épidémiologie

L’ ampleur de l’ automédication dans la population est difficile à estimer précisément. Elle varie fortement entre les pays, selon les cultures et les politiques de santé (elle est typiquement importante aux Etats-Unis, où les médicaments sont largement disponibles dans le commerce). Selon l’  Enquête Suisse sur la Santé (ESS 2017), une personne sur deux prend des médicaments chaque semaine et 16 % de ces médicaments sont pris sans prescription médicale. La Suisse vient ainsi en tête des pays européens concernant la consommation de médicaments non prescrits (2). De nombreuses études indiquent que l’ automédication est plus fréquente chez les femmes et augmente avec l’ âge (1).
Les antalgiques représentent la classe pharmaceutique la plus largement consommée (24 % des sondés ont pris un antidouleur dans les 7 jours précédant l’ enquête ESS 2017), à hauteur d’ environ 50 % en automédication. Les substances les plus utilisées sont le paracétamol et les anti-inflammatoires non stéroïdiens (AINS) (3, 4).
Une récente enquête belge portant sur la consommation d’ antalgiques en OTC relève que la majorité des participants avaient consulté un médecin pour leur plainte douloureuse actuelle et qu’ environ 75  % étaient au courant du diagnostic retenu par le médecin (migraine, suivie de l’ arthrose, des hernies et de la fibromyalgie par ordre de prévalence). Parmi ces patients, 62 % utilisaient uniquement un traitement non prescrit et 38 % combinaient des médicaments non prescrits avec une antalgie prescrite par le médecin (4).

Motifs de l’ automédication

Comme le montre l’ anthropologue Sylvie Fainzang, la pratique de l’ automédication est essentiellement influencée par les connaissances acquises auprès des professionnels de santé, les expériences propres des individus et leurs représentations du médicament, « dont les logiques symboliques court-circuitent parfois les logiques pharmacologiques » (5).
Plusieurs raisons peuvent amener un patient à l’ automédication : des considérations pratiques telles que la difficulté d’ obtenir un rendez-vous médical, des conditions économiques difficiles, l’ exigence d’ une réponse thérapeutique immédiate, des considérations en lien avec la maladie (que le trouble soit interprété comme d’ importance secondaire, ou qu’ il suscite au contraire la crainte d’ une maladie grave, ou encore qu’ il soit habituel et son traitement bien connu du patient). Choisir soi-même sa médication représente aussi une forme de recherche d’ autonomie. Enfin la crainte, le scepticisme ou une posture critique vis-à-vis de la médecine peuvent également déboucher sur l’ automédication (3-11).
Insistons sur le fait que la prise de médicaments en automédication est régulièrement passée sous silence par le patient lors des consultations médicales. Plusieurs craintes peuvent retenir le patient : d’ avoir mal fait, de dévoiler une faiblesse, de froisser le prescripteur ou de rester incompris (1).

Bénéfices et risques des antalgiques en automédication

Tant qu’ elle permet au patient de se responsabiliser et de renforcer sa confiance dans ses capacités à prendre en charge sa santé, l’ automédication mérite d’ être encouragée. Politiquement, elle est vue comme un moyen de baisser les coûts de la santé en réduisant les consultations chez le médecin. Une facilitation de l’ automédication va résulter de la révision des catégories de remise et de l’ assouplissement de la dispensation en pharmacie, entrés en vigueur en 2019 en Suisse.
Cependant, les risques associés à l’ automédication sont multiples : difficultés de l’ autodiagnostic, effets indésirables, interactions pharmacocinétiques ou pharmacodynamiques, cumul de principes actifs, surdosage, erreur de produit, de posologie ou de durée de traitement, risque d’ abus ou de dépendance (3). Ces risques sont plus élevés chez les patients âgés, souvent polymorbides, polymédiqués et plus sensibles aux effets indésirables. Soulignons également les risques liés à l’ achat de médicaments sur internet, dont les compositions exactes ne sont souvent ni connues ni vérifiées.
Les antidouleurs viennent en tête concernant ces risques. Ainsi en France, jusqu’ à 70 % des annonces de pharmacovigilance pour les médicaments non prescrits concernent des antalgiques (6). L’ hépatotoxicité du paracétamol et les hémorragies liées à l’ aspirine ou aux AINS sont bien connus. La prise d’ AINS augmente aussi les valeurs tensionnelles et, si elle n’ est pas connue du médecin, favorise l’ intensification du traitement antihypertenseur (12).
Un autre risque spécifique aux antalgiques est la survenue de céphalées par abus médicamenteux : la consommation chronique d’ antidouleurs pour des céphalées primaires (migraines, céphalées de tension) peut conduire à une augmentation de la fréquence et de l’ intensité des douleurs et induire ainsi un cercle vicieux, transformant l’ antalgique en agent étiologique des céphalées.
La grossesse représente une période à risque pour l’ automédication, notamment pour les antalgiques puisque les AINS sont contre-indiqués à partir du 2ème trimestre. La prise de médicaments hors prescription est cependant fréquente dans cette population : selon une étude française, elle concerne un quart des patientes, incluant 19 % d’ antalgiques (13) ; de plus, un tiers des femmes ignoraient en 2008 le risque associé à la prise d’ AINS en fin de grossesse (14). Si Internet représente maintenant la première source d’ information vers laquelle se tournent les futures mères pour la sécurité des médicaments, cela reste non dénué de risques : une revue des échanges sur des forums français entre 2008 et 2012 au sujet de la sécurité des traitements durant la grossesse souligne la mauvaise qualité de ces conseils glanés sur internet (15).

Prévention des risques et recommandations

Détection de l’ automédication et information au patient

L’ utilisation de médicaments en automédication doit être systématiquement questionnée lors des consultations médicales, particulièrement dans l’ investigation des causes possibles de nouveaux symptômes et lors de la prescription de nouveaux médicaments. Il est recommandé d’ accueillir ces informations avec tact, empathie et sans préjugé. En cas de recours déraisonnable au médicament, on tentera patiemment de déconstruire le réflexe symptôme-prise médicamenteuse en informant le patient des risques encourus.
De plus, une information de prévention adaptée au contexte clinique mérite d’ être donnée concernant certains risques liés à l’ automédication, pour susciter les bons réflexes en cas de recours à des médicaments non prescrits. Un exemple typique concerne l’ éviction des AINS en cas d’ insuffisance rénale. La posture du médecin peut être délicate entre désir de responsabiliser le patient face à sa prise en charge et conseils restrictifs sur sa prise médicamenteuse.

Communication médecin-patient et relation thérapeutique

Seul un dialogue ouvert permettra de favoriser l’ autonomie du patient tout en prévenant les risques liés à l’ automédication. La décision partagée (Shared Decision Making, SDM) telle que recommandée par la FMH est l’ idéal à viser. Selon ce modèle, médecin et patient décident ensemble d’ un traitement spécifique, en prenant en compte systématiquement les préférences du patient dans la démarche. Le tableau 1 propose une liste non-exhaustive des attitudes propices au SDM et à la formation du patient sur sa maladie (16).

Littératie de la médication

La promotion des compétences en santé des patients, en particulier la littératie de la médication joue un rôle important dans la prévention des risques. Ce concept décrit « la capacité de l’ individu à obtenir, évaluer et comprendre les informations à propos de leurs médicaments, dans le but de prendre une décision appropriée concernant l’ utilisation adéquate de leur médication, indépendamment de la manière dont le contenu est délivré » (17, 18). Différentes techniques à disposition des professionnels de santé permettent d’ améliorer cette littératie (17, 19-22).

Collaboration médecin-pharmacien

Les pharmaciens jouent un rôle important dans la promotion de la littératie en santé. Ils sont aussi susceptibles de détecter un risque lié à l’ automédication et de contacter le médecin prescripteur (23). Une bonne collaboration médecin-pharmacien favorise la sécurité de l’ automédication (23, 24). On encouragera toutefois une attitude critique face aux biais commerciaux d’ une littérature promotionnelle souvent diffusée par les canaux pharmaceutiques.

Cas particulier des douleurs chroniques

De manière générale, l’ automédication est déconseillée pour traiter des affections chroniques, au vu des risques associés. Or les patients ont fréquemment recours à cette pratique lors de douleurs chroniques, notamment de migraines (4). Il vaut la peine de dispenser des conseils tels que « si sur un mois vous prenez plus de deux antalgiques par semaine, consultez votre médecin ». A ne pas oublier, les approches non médicamenteuses complémentaires dans la prise en charge de ces patients (approches corporelles ou psychologiques) qui peuvent procurer une réelle amélioration de la qualité de vie (10, 25-27).

Dre Léonore Diezi

Service de pharmacologie clinique
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
Rue du Bugnon 17
1011 Lausanne

leonore.diezi@chuv.ch

Aurélia Monney

psychologue
Service de pharmacologie clinique
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
Rue du Bugnon 17
1011 Lausanne

aurelia.monney@chuv.ch

Pr Thierry Buclin

Service de pharmacologie clinique
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
Rue du Bugnon 17
1011 Lausanne

thierry.buclin@chuv.ch

Les auteurs ne déclarent aucun conflit d’ intérêt en relation avec l’ article.

  • Admettre que le recours à l’ automédication est une pratique très courante
  • Favoriser un climat relationnel dans la consultation propice à sa détection
  • Inclure l’ étiologie médicamenteuse dans le diagnostic différentiel de tout trouble nouveau ou aggravé
  • Obtenir et réviser périodiquement la liste complète des médicaments, prescrits et non prescrits
  • Informer régulièrement le patient sur le recours rationnel et la prévention des risques concernant l’ automédication