Thrombozytose

Die Thrombozytose stellt mit ihrem sehr breiten Ursachenspektrum aus zahlreichen reaktiven aber auch primär neoplastischen Erkrankungen eine ernst zu nehmende und stets abklärungsbedürftige Blutbildveränderung dar. Dieser Artikel legt den Fokus auf die ersten, weichenstellenden diagnostischen Schritte in der Abklärung einer Thrombozytose. Anhand des klinischen Kontextes sowie laboranalytischer Basisabklärungen sollen einerseits reaktive Ursachen identifiziert, andererseits Hinweise auf eine primäre Thrombozytose («red flags») erkannt werden, um den Patienten einer hämatologischen Abklärung zuzuführen.

Die Thrombozytose ist eine sehr häufige, typischerweise im Sinne eines Zufallsbefundes nachgewiesene Laborabnormität, stellt aber keine Diagnose dar. Sie wird bei gut einem Drittel der intensivpflichtigen Patienten und einem Fünftel der Traumapatienten verzeichnet (1, 2). Obwohl im ambulanten setting etwas weniger prävalent (3), hat sie als möglicher Hinweis auf ein zugrundeliegendes solides Malignom oder aber eine primär hämatologische Neoplasie einen hohen klinischen Stellenwert.
Unter einer Thrombozytose versteht man einen Thrombozytenwert, der den oberen Normwert übersteigt (4). Eine einheitliche numerische Definition hingegen existiert nicht, dies nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Analysegeräte und ungenügender Validierung der Normwerte. In der Literatur findet sich häufig ein oberer Grenzwert von 450G/l (5, 6), wobei ein Wert unterhalb dieses cutoffs eine hämatologische Stammzellerkrankung nicht auszuschliessen vermag. Bei uns am Luzerner Kantonsspital kommt der obere Normwert mit 330G/l deutlich tiefer zu liegen. In Anbetracht dessen erachten wir anstelle einer strikten numerischen Grenze die Zusammenschau aus Thrombozytenwert und klinischem Kontext («red flags», siehe unten) als essentielle Grundlage für das Einleiten allfälliger weiterführender Abklärungen.

Häufige Ursachen der Thrombozytose

Sekundäre (reaktive) Thrombozytose

Die Differentialdiagnose der Thrombozytose beinhaltet primäre sowie sekundäre (reaktive) Ursachen, wobei die reaktiven Ursachen über alle Altersgruppen hinweg deutlich überwiegen. In einer Serie von 732 medizinischen und chirurgischen Patienten waren 88% der Thrombozytosen (Thrombozyten > 500G/l) reaktiver Natur (4), ähnlich auch in einer Serie von 91 Patienten, in welcher 70% der Thrombozytosen (Thrombozyten > 600G/l) einer sekundären Ursache zugeordnet werden konnten (7). Etwas erstaunlich lässt auch das Ausmass der Thrombozytose keine klaren Schlüsse auf deren Ätiologie zu, so liess sich in einer Serie von 280 hospitalisierten Patienten mit extremer Thrombozytose (Thrombozyten > 1000G/l) bei ebenfalls 82% ein ursächlich reaktiver Prozess eruieren (11).
Die häufigsten reaktiven Ursachen sind (4-7): Gewebetrauma inkl. vorausgehende Operationen, Infekte und (chronische) Entzündungen, Neoplasien, Eisenmangel und Hypo-/Asplenismus (siehe auch Tab. 1).
Bei den meisten Patienten sind klinische Zeichen einer der Thrombozytose zugrundeliegenden systemischen Erkrankung vorhanden. Jedoch können auch subklinische Erkrankungen eine reaktive Thrombozytose triggern, wobei an dieser Stelle insbesondere auf okkulte solide Neoplasien hingewiesen werden soll.
In einer gross angelegten prospektiven Kohortenstudie (Patienten der Grundversorgung > 40Jahre) musste bei 11.6% resp. 6.2% der Männer und Frauen mit Thrombozytose im nachfolgenden Jahr die Diagnose eines soliden Tumors gestellt werden (was einem positiv prädiktiven Wert vergleichbar demjenigen einer Hyperkalzämie entspricht). Insbesondere Lungen- und kolorektale Karzinome wurden bei Patienten mit Thrombozytose überproportional häufig diagnostiziert, wobei über ein Drittel dieser Fälle nebst der Thrombozytose keine anderweitig relevanten Symptome aufwies. Auch weitere Daten (10) legen nahe, dass die Thrombozytose ein nicht zu unterschätzender Risikomarker für eine (okkulte) Neoplasie darstellt. Darüber hinaus wird postuliert, dass die Thrombozytose nicht nur als reines Epiphenomen zu betrachten ist, sondern das Tumorwachstum per se fördert und z.B. beim Ovarialkarzinom einen prognostisch ungünstigen Risikofaktor darstellt (12).

Primäre Thrombozytose

Die häufigste Ursache einer primären Thrombozytose ist die Essentielle Thrombozythämie (ET), welche sich häufig als isolierte Thrombozytose manifestiert. Die ET gehört zu den myeloproliferativen Neoplasien (MPN), einer Gruppe von hämatologischen Stammzellerkrankungen, welche durch eine vermehrte Produktion reifer Blutzellen charakterisiert wird. Aus dieser Gruppe kann sowohl die Polyzythämia vera (PV, charakterisiert durch eine Polyglobulie), die rimäre Myelofibrose (PMF, charakterisiert durch Anämie, Splenomegalie und Nachweis unreifer Vorstufen im peripheren Blut [leukoerythroblastäres Blutbild]) wie auch die chronische myeloische Leukämie (CML, charakterisiert durch eine Leukozytose mit Linksverschiebung bis zum Blasten) ebenfalls mit einer Thrombozytose vergesellschaftet sein, meist liegen aber die zusätzlich charakteristischen diagnostischen Befunde der jeweiligen Erkrankung vor. Insbesondere bei älteren Patienten ist bei Nachweis einer Thrombozytose und gleichzeitiger Anämie (häufig makrozytär) differentialdiagnostisch an ein myelodysplastisches Syndrom (MDS) oder aber ein overlap aus myelodysplastischem Syndrom und myeloproliferativer Neoplasie (ein sogenanntes MDS/MPN) zu denken, wobei der Blutausstrich wichtige diesbezügliche Hinweise liefert (dysplastische Veränderungen einer oder mehrerer Blutreihen sind häufig bereits im Blutausstrich zu sehen). Selten kann auch eine akute myeloische Leukämie mit einer Thrombozytose einhergehen. Die Ursachen der primären Thrombozytose sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Die familiären Thrombozytosen sind sehr seltene, hereditäre Erkrankungen, welche bei auffälliger Familienanamnese in Betracht gezogen werden.

Hinweise auf eine primäre Thrombozytose – «red flags»

Sowohl anhand des klinischen Kontexts wie auch begleitender Blutbildveränderungen lassen sich wichtige Hinweise auf eine primäre Thrombozytose identifizieren (hier «red flags» genannt, siehe Tab. 2). Diese werden im Folgenden etwas genauer beleuchtet:
Ein äusserst bedeutsamer klinischer Hinweis sind thromboembolische und hämorrhagische Ereignisse. Patienten mit einer MPN zeigen paradoxerweise sowohl ein deutlich erhöhtes Thrombose- wie auch Blutungsrisiko. Gemäss verschiedenen Studien liegt bei Erst-diagnose bei 19-39% der PV-, bei 7-26% der ET- und bei 7-22% der PMF-Patienten ein thromboembolisches Ereignis vor. Mit einem Anteil von ca. 2/3 überwiegen die arteriellen gegenüber den venösen Ereignissen, wobei überwiegend die grossen Gefässe betroffen sind (zerebrale, koronare und periphere Gefässe, Häufigkeit in absteigender Reihenfolge) (14). Auf der venösen Seite ist die atypische Lokalisation (abdominal [Budd-Chiari-Syndrom, Pfortaderthrombosen, Mesenterialvenenthrombosen], Sinusvenen) charakteristisch, so lassen sich ca. 40% aller abdominalen Thrombosen auf eine MPN zurückführen (15). Ebenfalls ist multiplen simultanen sowie rezidivierenden und unprovozierten thromboembolischen Ereignissen eine erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken.
Das erhöhte Risiko für Hämorrhagien (Gesamt-inzidenz schwerer Blutungen gut 5%) (14) wird zumindest teilweise auf ein erworbenes von Willebrand Syndrom zurückgeführt, wobei von einem Thrombozytose-bedingten selektiven Verlust hämostatisch sehr aktiver hochmolekularer von Willebrand Moleküle ausgegangen wird (9, 15). Obwohl die Laborkonstellation eines erworbenen von Willebrand Syndromes ebenfalls bei reaktiver Thrombozytose verzeichnet werden kann, sind spontane Blutungen in diesem Kontext äusserst selten (9).
Im Weiteren stellen B-Symptomatik, vasomotorische Symptome wie flushing, Kopf- oder atypische Thoraxschmerzen, Erythromelalgie (schmerzhafte, häufig brennende Sensationen und Rötung der Akren), Pruritus sowie eine Splenomegalie (kann sich klinisch als abdominaler Dyskomfort manifestieren) weitere klinische «red flags» dar.
Zu den laboranalytischen Hinweisen zählen: Nachweis von Blasten, ein leukoerythroblastäres Blutbild (kernhaltige Erythrozyten und myeloische Vorstufen im peripheren Blut) sowie der Nachweis dysplastischer Veränderungen im Blutausstrich.

Diagnostisches Vorgehen in der hausärztlichen Praxis

Ein einfacher, auf die Grundversorgung ausgelegter Algorithmus zur laboranalytischen Basisabklärung einer Thrombozytose ist in Abbildung 1 dargestellt. In einem ersten Schritt soll zum einen ein Blutbild mit manueller Blutbilddifferenzierung und laboranalytischen Basisabklärungen (CRP, allenfalls BSG; Ferritin und allenfalls löslicher Transferrinrezeptor) veranlasst werden und zum anderen eine Erörterung des klinischen Kontextes (siehe Tab. 1 und 2) erfolgen. Aufgrund der Möglichkeit einer paraneoplastischen Genese sollte insbesondere bei älteren Patienten Wert auf eine sorgfältige Anamnese hinsichtlich gastrointestinaler oder pulmonaler Beschwerden, Noxen und eine Familienanamnese erfolgen. Zudem ist eine klinische Untersuchung unerlässlich (Splenomegalie? Erythromelalgie?). Bei Rauchern empfehlen wir in diesem setting überdies niederschwellig eine pulmonale Bildgebung und bei Patienten > 50 Jahre eine Screening-Kolonoskopie.
Nach Ausschluss einer Pseudothrombozytose (durch das Analysegerät fälschlicherweise als Thrombozyten erkannte Zellfragmente) erlauben diese einfachen Massnahmen auf der einen Seite die «red flags» zu erkennen und auf der anderen Seite ein breites Spektrum an Ursachen einer reaktiven Thrombozytose zu identifizieren.
Bei Vorliegen von «red flags» ist eine weiterführende hämatologische Abklärung an-gezeigt. Im Falle eines Blastennachweises im Blutbild sollte diese bald erfolgen.
Bei reaktiver Thrombozytose mit transientem Stimulus ist eine Blutbildverlaufskontrolle zur Bestätigung der Normalisierung der Thrombozytenzahl empfohlen.
Ergeben die Abklärungen weder einen Hinweis auf eine reaktive Thrombozytose noch liegen «red flags» vor, empfehlen wir eine Verlaufskontrolle nach 2-3 Monaten und bei Thrombozytosepersistenz ebenfalls eine hämatologische Abklärung.

Therapeutisches Management bei reaktiver Thrombozytose

Die Therapie einer reaktiven Thrombozytose besteht in erster Linie in der Behandlung der Grunderkrankung.
Im Gegensatz zur breiten Anwendung bei Patienten mit MPN ist der Einsatz von Aspirin bei reaktiver Thrombozytose sehr umstritten. Es gibt weder kontrollierte klinische Studien noch Beobachtungsstudien, welche den Nutzen von Aspirin in diesem Kontext belegen. Die Thrombozytose per se scheint das Thromboserisiko nicht relevant zu erhöhen, gleichzeitig vorhandene prothrombogene Faktoren beeinflussen das Thromboserisiko jedoch durchaus (8, 9).
In diesem Spannungsfeld empfehlen wir klar, von einem generellen Einsatz von Aspirin bei reaktiver Thrombozytose abzusehen. Ein allfälliger Behandlungsentscheid soll nur individualisiert unter Abwägung von Blutungs- und Thromboserisiko erfolgen.

Dr. med. Sabine Ruosch-Girsberger

Abteilung für Hämatologie
Luzerner Kantonsspital Luzern
6000 Luzern 16

sabine.ruosch@luks.ch

Dr. med. Axel Rüfer

Abteilung für Hämatologie
Luzerner Kantonsspital Luzern
6000 Luzern 16

Es bestehen keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag.

  • Die Thrombozytose hat ein sehr breites Ursachenspektrum, wobei die überwiegende Mehrheit (um 70-80%) reaktiver Genese ist
  • Eine Thrombozytose kann einziges Zeichen einer zugrundeliegenden soliden Neoplasie sein (Paraneoplasie), so dass jeder Patient einer diesbezüglichen klinischen Evaluation unterzogen werden soll
  • Klinischer Kontext und einfache laboranalytische Basisabklärungen (Blutbild mit Blutausstrich; CRP, allenfalls BSG; Ferritin, allenfalls löslicher Transferrinrezeptor) helfen in der Unterscheidung reaktive vs. primäre Thrombozytose
  • Bei Hinweisen auf eine primäre Thrombozytose («red flags») soll eine hämatologische Abklärung veranlasst werden

1. Banach M, et al. Etiology and clinical relevance of elevated platelet count in ICU patients: A retrospective analysis. Med Klin Intensivmed Notfmed. 2018 Mar;113(2):101-107
2. Valade N, et al. Thrombocytosis after Trauma: incidence, aetiology, and clinical significance. Br J Anaesth. 2005 Jan;94(1):18-23.
3. Bailey SE, et al. Clinical relevance of thrombocytosis in primary care: a prospective cohort stud of cancer incidence using English electronic medical records and cancer registry data. Br J Gen Pract. 2017 Jun;67(659):e405-e413.
4. Griesshammer M, et al. Aetiology and clinical significance of thrombocytosis: analysis of 732 patients with an elevated platelet count. J Intern Med. 1999 Mar;245(3):295-300
5. Schafer AI. Thrombocytosis. N Engl J Med 2004 Mar 18; 350(12):1211-1219
6. Harrison CN, et al. Guidelines for investigation and management of adults and children presenting with a thrombocytosis. Br J Haematol. 2010 May;149(3):352-75.
7. Tefferi A, et al. Plasma Interluekin-6 and C-reactive protein levels in reactive versus clonal thrombocytosis. Am J Med 1994; 97:374-378.
8. Alberio L. Do we need antiplatelet therapy in thrombocytosis? Pro. Diagnostic and pathophysiologic considerations for a treatment choice. Hamostaseologie. 2016 Nov 7;36(4):227-240
9. Scharf RE. Do we need antiplatelet therapy in thrombocytosis? Contra. Proposal for an individualized risk-adapted treatment. Hamostaseologie. 2016 Nov 7;36(4):241-260
10. Bailey SE, et al. How useful is thrombocytosis in predicting an underlying cancer in primary care? a systematic review. Fam Pract. 2017 Feb;34(1):4-10
11. Buss DH, et al. Occurrence, etiology, and clinical significance of extreme Thrombocytosis: a study of 280 cases. Am J Med 1994 Mar;96(3):247-253
12. Stone RL, et al. Paraneoplastic thrombocytosis in ovarian cancer. N Engl J Med. 2012 Feb 16;366(7):610-8
13. Arber DA, et al. The 2016 revision tot he World Health Organization classification of myeloid neoplasms and acute leukemia. Blood 2016 May 19;127(20):2391-405.
14. Casini A, et al. Thrombotic complications of myeloproliferative neoplasms: risk assessment and risk-guided management. J Thromb Haemost. 2013 Jul;11(7):1215-27.
15. Kreher S, et al. Prophylaxis and management of venous thromboembolism in patients with myeloproliferative neoplasms: consensus statement of the Haemostasis Working Party of the German Society of Hematology and Oncology (DGHO), the Austrian Society of Hematology and Oncology (ÖGHO) and Society of Thrombosis and Haemostasis Research (GTH e.V.). Ann Hematol (2014) 93:1953–1963.

Unklare Thrombozytopenie

In jeder medizinischen Disziplin können wir mit einer Thrombozytopenie konfrontiert werden. Dabei kann es sich um einen Zufallsbefund ohne Krankheitswert, aber auch um einen lebensbedrohlichen Notfall handeln. Dieser Artikel sollte bei der Einschätzung und Zuordnung von Thrombozytopenien helfen.

Der Normbereich für Thrombozyten weist mit 150 – 450 G/l eine hohe Streubreite auf. Frauen weisen durchschnittlich höhere Werte auf als Männer und Patienten mit schwarzer Hautfarbe höhere Werte als Weisse (1). Intraindividuell besteht hingegen eine höhere Konstanz (2). In der Schwangerschaft kommt es zu einem physiologischen Abfall der Thrombozyten bis zum Nadir am Geburtstermin. Mehrheitlich liegen die Werte dabei im unteren Normbereich, in ca. 10% der Schwangerschaften fallen die Thrombozyten unter 150 G/l. Gestations-Thrombozytopenien < 100 G/l sind selten und sollten Anlass zur weiteren Abklärung geben (3).

Wie äussert sich eine Thrombozytopenie?

Leitsymptom der Thrombozytopenie sind Haut- und Schleimhaut-
einblutungen (Petechien, Hämatome, Zahnfleischblutung, Menorrhagie, Epistaxis). Weichteil- und Gelenkeinblutungen sind in der Regel durch eine Verminderung der Gerinnungsfaktoren (z.B. Hämophilie, Antikoagulantien) bedingt. Eine Blutungsneigung ist bei sonst Gesunden ohne blutverdünnende Medikation erst bei Thrombozyten < 100 G/l zu erwarten. Bei Thrombozyten < 50 G/l kommt es zu verstärkten Blutungen bei Verletzungen und Operationen, Werte zwischen 10 und 30 G/l führen zu Petechien und Schleimhautblutungen. Bei Thrombozyten < 10 G/l können Spontanblutungen auftreten. Eine gestörte Thrombozytenbildung führt bei gleichem Thrombozytenwert zu einer stärkeren Blutungsneigung als ein gesteigerter Thrombozytenverbrauch oder ein Hypersplenismus (Tab. 1).

Welche Fragen führen weiter?

Anamnestisch ist die Einnahme von Medikamenten zu erheben, die eine Thrombozytopenie verursachen können. Nebst Heparin sind dies vor allem Antibiotika wie Sulfonamide, Penicilline, Cephalosporine, Vancomycin und Antiepileptika. Thrombozytopenien entwickeln sich hierbei innerhalb von 1-2 Wochen nach Einnahme (bei Vorexposition auch nach wenigen Stunden) und sollten sich innerhalb einer Woche nach Sistieren des Medikamentes erholen (4). Des Weiteren zu erfragen ist ein Alkoholkonsum, welcher ab Tagesmengen von 80 g/l direkt knochenmarktoxisch ist oder via Hepatopathie oder einen Hypersplenismus zu einer Thrombozytopenie führen kann. Eine HIV- oder Hepatitis C-Risikoexposition und Symptome, die auf einen viralen Infekt (z.B. EBV, Parvovirus, Varizellen) hindeuten, lassen eine infektiös bedingte Thrombozytopenie vermuten. B-Symptome (Gewichtsverlust, Nachtschweiss, Fieber) deuten auf ein zu Grunde liegendes Malignom hin. Im seltenen Fall einer Thromboseneigung muss an eine Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT), ein Antiphospholipidsyndrom, eine disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC), eine paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) oder aber eine thrombotische Mikroangiopathie (z.B. TTP/HUS) gedacht werden. Eine familiäre Blutungsneigung kann auf eine kongenitale Ursache (z.B. Bernard-Soulier-Syndrom) hinweisen, welche – wenn erst im Erwachsenenalter erfasst – meist als ITP fehlinterpretiert wird.

Welche Untersuchungen nehme ich vor?

In der Abbildung 1 ist eine Flowchart zur Abklärung einer Thrombozytopenie dargestellt. Petechien sind häufigstes klinisches Zeichen einer Thrombozytopenie, Hämatome können ebenfalls auftreten. Lymphadenopathien deuten auf eine hämatologische oder infektiologische Grunderkrankung hin, Hepato- und Splenomegalie können zusätzlich auf eine Hepatopathie hinweisen.
Labordiagnostisch sollte bei asymptomatischen Patienten mit isolierter Thrombozytopenie eine EDTA-Pseudothrombozytopenie ausgeschlossen werden. Hierbei handelt es sich um ein in vitro Phänomen, bei dem es im mit EDTA-antikoagulierten Blutröhrchen zur Bildung von Thrombozytenaggregaten kommt, die maschinell nicht erkannt werden. Passend dazu finden sich im Blutausstrich gruppierte Thrombozyten (Abb. 2.)
Dieses Phänomen wird in 0,1% der Blutproben beobachtet und ist klinisch bedeutungslos. Die Analyse in Heparin- oder Citratblut lässt die Pseudothrombozytopenie von der echten Thrombozytopenie unterscheiden. Das mikroskopische Blutbild liefert Hinweise für eine Mikroangiopathie (Fragmentozyten), eine Leukämie (Blasten), ein Lymphom, ein MDS (Dysplasien) oder eine hereditäre Thrombozytopenie (grosse Thrombozyten).
Kreatinin, LDH, CRP, Bilirubin, AST/ALT, ANA, HIV-, HCV- und EBV-Screening, INR, aPTT, Fibrinogen sollten je nach klinischem Kontext erhoben werden. Eine Knochenmarkuntersuchung kann weiterhelfen bei unklarer Ätiologie und bei Verdacht auf eine primäre hämatologische Erkrankung.
Bleibt eine isolierte Thrombozytopenie < 100 G/l trotz umfassender Untersuchung unklar, besteht der Verdacht auf eine primäre Immunthrombozytopenie (ITP). Diese wird verursacht durch eine Autoimmunreaktion gegen Thrombozyten und Megakaryozyten (5). Die ITP ist eine Ausschlussdiagnose, da dafür kein pathognomonischer Test existiert. Bei typischen Befunden kann eine Knochenmarkpunktion entfallen. Die Therapie richtet sich nach Ausprägung und Symptomatik und besteht in der Erstlinie aus Steroiden. Bei steroidrefraktären Fällen stehen Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten (Eltrombopag, Romiplostim), der CD20-Antikörper Rituximab und die Splenektomie zur Verfügung.

Wann ist unverzügliches Handeln geboten?

Die Mehrzahl der leichten, ambulant diagnostizierten Thrombozytopenien verlaufen gutartig und sind durch Infektionen oder Medikamentennebenwirkungen erklärt. In jedem Fall empfiehlt sich eine kurzfristige Nachkontrolle, um einen weiteren Abfall nicht zu verpassen. Notfälle sind – nebst Blutungen bei schwerer Thrombozytopenie – die thrombotische Mikroangiopathie (TTP-HUS), Leukämien, Lymphome und die Heparin-induzierten Thrombozytopenien (HIT). In diesen Fällen sollte umgehend ein Spezialist konsultiert werden.
Zu den thrombotischen Mikroangiopathien gehören das Hämolytisch-Urämische Syndrom (HUS), häufig nach blutiger Enteritis mit E. coli, und die Thrombotische Thrombozytopene Purpura (TTP). Diese Erkrankungen gehen oft mit einer Coombs-negativen hämolytischen Anämie (LDH und Bilirubin erhöht) und einer Niereninsuffizienz einher. Gelegentlich bestehen Fieber und neurologische Symptome (Verwirrtheit, fokale neurologische Ausfälle, Krampfanfälle). Da die Prognose unbehandelt infaust ist, sollte eine unverzügliche Zuweisung an ein Zentrumsspital erfolgen.
Tritt die Thrombozytopenie nach Exposition mit Heparin auf, ist die Wahrscheinlichkeit einer Heparin induzierten Thrombozytopenie (HIT) mit dem 4T-Score abzuschätzen (6). Bei mittlerer bis hoher Vortest-Wahrscheinlichkeit empfehlen wir die Kontaktaufnahme mit einem Hämatologen und die Bestimmung der HIT-Antikörper.
Bei einer lebensbedrohlichen Blutung im Rahmen einer ITP sind nebst Steroiden intravenöse Immunglobuline und Thrombozyten zu verabreichen.

Dr. med. Friederike Vetter

Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

Dr. med. Anouk Widmer

Zentrum für Hämatologie und Onkologie
UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

Die Autorinnen haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Thrombozytenwerte zeigen interindividuell eine starke Streubreite, sind intraindividuell jedoch relativ stabil
  • Ein Blutungsrisiko im Rahmen von Operationen ist bei Thrombozytenwerten < 50 G/l zu erwarten, bei einer Thrombozytopenie < 10 G/l besteht die Gefahr für Spontanblutungen
  • Bei isolierter Thrombozytopenie im ambulanten Setting sind Hepatopathien, MDS, virale Infekte und Medikamente häufige Ursachen
  • Besteht neben der Thrombozytopenie eine hämolytische Anämie und/ oder eine Niereninsuffizienz, muss an eine thrombotische Mikroangiopathie (TTP-HUS) gedacht und der Patient unverzüglich an ein Zentrumsspital zugewiesen werden
  • Bei Exposition mit Heparin sollte die Berechnung der Prätest-Wahrscheinlichkeit einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie mittels HIT-Score erfolgen und ein Hämostase-Experte kontaktiert werden.

1. Segal, J.B. and A.R. Moliterno, Platelet counts differ by sex, ethnicity, and age in the United States. Ann Epidemiol, 2006. 16(2): p. 123-30.
2. Buckley, M.F., et al., A novel approach to the assessment of variations in the human platelet count. Thromb Haemost, 2000. 83(3): p. 480-4.
3. Reese, J.A., et al., Platelet Counts during Pregnancy. N Engl J Med, 2018. 379(1): p. 32-43.
4. Rousan, T.A., et al., Recurrent acute thrombocytopenia in the hospitalized patient: sepsis, DIC, HIT, or antibiotic-induced thrombocytopenia. Am J Hematol, 2010. 85(1): p. 71-4.
5. Sukati, H., et al., Mapping helper T-cell epitopes on platelet membrane glycoprotein IIIa in chronic autoimmune thrombocytopenic purpura. Blood, 2007. 109(10): p. 4528-38.
6. Lo, G.K., et al., Evaluation of pretest clinical score (4 T’s) for the diagnosis of heparin-induced thrombocytopenia in two clinical settings. J Thromb Haemost, 2006. 4(4): p. 759-65.

Polyzythämie, Polyglobulie und Erythrozytose

Eine erhöhte Konzentration an Erythrozyten wird nicht selten als Zufallsbefund entdeckt. Die Abklärung des zugrunde liegenden Leidens stellt eine Herausforderung für den Kliniker dar. Entsprechend muss einerseits zwischen der relativen und der absoluten Erhöhung der Erythrozyten und anderseits zwischen reaktiv und maligne unterschieden werden. Die Anamnese zusammen mit der Labordiagnostik inkl. Bildgebung liefern entscheidende Hinweise, welche zu der korrekten Diagnose führen. Erst daraufhin können entsprechend die adäquaten therapeutischen Massnahmen eingeleitet werden.

Die Begriffe Polyzythämie (maligne), Polyglobulie (benigne, reaktiv) und Erythrozytose (beides) beziehen sich auf die Zunahme des Erythrozytenvolumens im Körper und spiegeln sich in der Praxis als Konzentrationszunahme der Blutwerte für Hämoglobin, Hämatokrit und v.a. Erythrozytenzahl wider. Hierfür müssen die Werte über dem physiologischen Normbereich für Alter und Geschlecht liegen. Für Erwachsene hat die WHO in 2017 (1) Grenzwerte definiert (Tab. 1.).

Abhängig von der zugrunde liegenden Ursache einer Erythrozytose müssen verschiedene Zustände voneinander abgegrenzt werden:
Eine relative Polyglobulie ist durch eine Hämokonzentration gekennzeichnet, die bei Abnahme des Plasmavolumens ohne Zunahme der Erythrozytenmasse auftreten kann. Die häufigsten Ursachen sind die Einnahme eines Diuretikums, Erbrechen, Durchfall, starkes Schwitzen, Polyurie, Hypoalbuminämie, und teils durch längeren Aufenthalt in grosser Höhe (> 2000 m). Dazu können eine arterielle Hypertonie und Nikotinabusus beitragen. Darunter wird das sogenannte Gaisböck-Syndrom oder stressbedingte Polyglobulie beschrieben, welches überwiegend bei Männern mit sitzender Lebensweise und regelmässig hochkalorischer Nahrungseinnahme auftritt. Das klinische Bild besteht aus leichter Adipositas, arterieller Hypertonie und reduziertem Plasmavolumen, ohne Splenomegalie. Oft sind Raucher betroffen und werden aufgrund der arteriellen Hypertonie mit Diuretika behandelt. Therapeutische Massnahmen, darunter ein Nikotinstopp führen nach einigen Tagen zu einer Abnahme des Hämatokrits um 4% (2).
Im Fall einer absoluten Erythrozytose ist die Erythrozytenmasse gesteigert, entweder aufgrund einer autonomen Erythropoese im Knochenmark (primäre Erythrozytose = Polyzythämie) oder einem erhöhten EPO-Spiegel oder anderen, die Erythropoese stimulierenden endogenen und exogenen Substanzen (sekundäre Erythrozytose = Polyglobulie).
Eine (primäre) Polyzythämie liegt vor, wenn die erythropoetische Stammzelle durch angeborene oder erworbene Mutationen verändert ist. Angeboren wie im Fall einer Chuvash Polyzythämie (VHL-Mutation), erworben, wie im Fall einer myeloproliferativen Neoplasie (JAK2V617F- oder JAK2 im Exon 12 Mutation). Tab.  2 gibt die WHO-Kriterien zur Diagnose der Polyzythämie Vera (PV) wieder.
Eine (sekundäre) Polyglobulie liegt vor, wenn v.a. der Erythropoetinspiegel (EPO) gesteigert ist. Die Gründe sind hierfür vielfältig: Hypoxie durch verschiedenste kardiopulmonale Erkrankungen, Aufenthalt in Höhen über 2 000 müM, chronische Kohlenmonoxyd-exposition (u.a. Raucher), Nieren-assoziierte Störungen oder autonome Produktion von EPO (Tumoren). Schliesslich können verschiedene gesundheitsgefährdende Schadstoffe an Arbeitsplätzen (z.B. Cyanid, Nitrite) oder Medikamente (Sulfonamide) zu Entstehung von Hämoglobinderivaten führen, welche die Sauerstoffbindung beeinträchtigen.
Auch gibt es angeborene Ursachen wie Mutationen des EPO-Rezeptors oder andere seltene Mutationen oder Defekte (u.a. kongenitales Methämoglobin, Hämoglobin mit erhöhter Sauerstoffaffinität, angeborene Herzfehler).

Anamnese und klinische Untersuchung

Nicht die Definition, sondern die Abklärung des zugrunden liegenden Leidens stellt eine Herausforderung für den Kliniker dar. Erst nachher können entsprechend die adäquaten therapeutischen Massnahmen eingeleitet werden. Bereits die Anamnese kann uns wegweisende Hinweise über die zugrundeliegende Erkrankung liefern. Die Einnahme eines Diuretikums, Erbrechen, Nikotinabusus, orthostatische Symptome können auf eine Volumen-Depletion hinweisen. Ebenso chronische Lungenerkrankungen, Dyspnoe mit Husten, Schlafapnoe, ausgeprägte Tagesmüdigkeit, Nierenerkrankungen in der Vorgeschichte oder bekannte chronische Herzerkrankung mit Zyanose sind wichtige Informationen. Relevant für die Diagnose ist natürlich auch die Anwendung von Medikamenten, wie z.B. EPO-stimulierende Substanzen insbesondere bei Athleten um die Leistungsperformance zu verbessern. Die Familienanamnese ist ebenfalls richtungshinweisend, wenn mehrere Familienmitglieder betroffen sind. In diesem Fall muss u.a. an eine Hämoglobinopathie mit erhöhter Sauerstoffaffinität gedacht werden. Erwähnenswert sind auch Symptome und klinische Anzeichen, welche auf einen myeloproliferativen Prozess hindeuten könnten, wie sie in Tab. 3 abgebildet sind.

Labor-diagnostische Abklärung

Häufig wird eine Erythrozytose als Zufallsbefund im Rahmen einer Untersuchung mittels Zählung der Erythrozytenkonzentration erfasst. Die Erhöhung der Erythrozytenzahl allein ist nicht ein Kriterium für eine Erhöhung der Erythrozytenmasse. Als Beispiel für eine Polyglobulie, welche häufig mit einer Anämie, Mikrozytose und Hypochromie assoziiert ist, sei als Beispiel eine Thalassämie erwähnt.
Auch die Bestimmung des Sauerstoffpartialdrucks, bei dem das Hämoglobin zu 50% gesättigt ist (p50), hat einen wichtigen Stellenwert in der Diagnostik einer Erythrozytose, um eine Hämoglobinopathie mit gestörter Sauerstoffaffinität ausschliessen zu können (3). Des Weiteren können andere Veränderungen des roten Blutbildes, wie Linksverschiebung, Veränderungen der Thrombozytenzahl, leukoerythroblastäres Blutbild mit Tränenformen der Erythrozyten auf eine myeloproliferative Neoplasie hinweisen. Weitere Abklärungen beinhalten ein Basislabor mit Serumelektrolyten, Nieren- und Leberparameter, EPO-Spiegel, Urinstatus. Bei dringendem Verdacht auf eine myeloproliferative Erkrankung ist die Untersuchung nach einer JAK2 Mutation unerlässlich.
Ein niedriger Erythropoetin-Spiegel ist spezifisch für das Vorliegen einer Polyzythämia Vera oder anderer myeloproliferativer Erkrankungen. Seltene Ursachen sind noch Mutationen der EPO-Rezeptoren und nicht selten Blut-Doping im Sinne von Autotransfusionen.
Bei dringendem Verdacht auf eine myeloproliferative Erkrankung muss die Untersuchung des Knochenmarks erwogen werden. Im Fall einer Polyzythämia Vera zeigt sich im Knochenmark eine Panmyelose mit gesteigerter trilineärer Hämopoese inkl. gesteigert abnormer Megakaryopoese mit grossen und hypersegmentierten Formen, die nesterförmig gelagert sind (Cluster) (1).
Weiter gilt eine Pulsoxymetrie als nicht invasives Verfahren zur Ermittlung des Verhaltens der arteriellen Sauerstoffsättigung, um eine Hypoxie als mögliche Ursache der Erythrozytose ausschliessen zu können. Wird eine Hypoxie als mögliche Ätiologie postuliert, ist der Ausschluss einer kardiovaskulär/pulmonaler Erkrankung oder eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms (OSAS) unerlässlich. Bei anamnestischem Verdacht auf ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, welches eine Prävalenz in der Bevölkerung von 2-4% (4) hat, ist eine weiterführende Diagnostik mittels respiratorischer Polygraphie und sogar Polysomnographie, welche als Goldstandard- Untersuchung gilt, angezeigt (5). Schliesslich kann eine erweiterte Blutgasanalyse Hb-Modifikationen wie CO-Hb, Met-Hb, Sulf-Hb ausschliessen oder belegen.
In einigen sehr seltenen Fällen ist die Messung der Erythrozytenmasse und des Plasmavolumens mittels radioaktivem Chrom-51 erforderlich, um eine Polyzythämie von einer Polyglobulie abzugrenzen. Dabei werden die Erythrozyten mit der radioaktiven Substanz Chrom-51 markiert, die Radioaktivität der Erythrozyten gemessen und daraus die Erythrozytenmasse berechnet. Diese Untersuchung ist nicht weit verbreitet und nur begrenzt etabliert (6).
Die Tumor-assoziierte Erythrozytose ist durch einen erhöhten EPO-Spiegel gekennzeichnet. Die zugrundeliegenden Ursachen sind Hepato- (ca. 25% der Fälle), Nierenzellkarzinome (in 1-5% der Fälle), Phaeochromozytome, Uterus-Leyomatosis (7) oder Hämangioblastome.
Andere seltene Ursachen einer Polyglobulie sind autologe Transfusionen, selbstverabreichte rekombinante EPO-Medikamente, Einnahme von Androgenen und Anabolika, welche die Sport-Performance der Athleten im Rahmen eines Dopings verbessern sollen.

Dr. med. Adriana Méndez

Institut für Labormedizin
Kantonsspital Aarau
Tellstrasse 25
5001 Aarau

adriana.mendez@ksa.ch

Prof. Dr. med. Andreas Huber

Private Universität im Fürstentum Liechtenstein
Dorfstrasse 24
FL-9495 Triesen

andreas.huber@ufl.li

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Eine Erythrozytose wird als Erhöhung der Blutbildparameter Hämo-globin, Hämatokrit und v.a. Erythrozytenzahl festgehalten. Grenzwerte für Erwachsene nach Geschlecht wurden von der WHO 2017 definiert (Tab. 1) (1)
  • Meistens wird sie als Zufallsbefund im Rahmen eines Check-ups entdeckt
  • Für die Therapie ist die Abgrenzung zwischen primären und sekundären Erythrozytosen, will heissen Polyzythämie oder Polyglobulie, unerlässlich
  • Die Anamnese liefert meist richtungsweisende diagnostische Hinweise
  • Bei der Abklärung der Ätiologie einer Polyzythämie kann initial das Blutbild inkl. mikroskopischer Untersuchung des peripheren Blutes schon wichtige Hinweise (leukoerythroblastäres Blutbild, Tränenformen der Erythrozyten, Normoblasten, Linksverschiebung, etc.) liefern, welche zu einer myeloproliferativen Neoplasie passen können
  • Polyglobulien und Pseudoerythrozytosen (Hämokonzentration) sind viel häufiger, haben aber vielfältige Ursachen.

1. WHO Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues, revised 4th edition, Swerdlow SH, Campo E, Harris NL, et al. (Eds), International Agency for Research on Cancer (IARC), Lyon 2017
2. Smith JR, et.al. Smokers’ polycythemia. N Engl J Med. 1978 Jan 5;298(1):6-10.
3. Prchal JT, et.al. “Benign erythrocytosis” and other familial and congenital polycythemias. Eur J Haematol. 1996 Oct;57(4):263-8.
4. Young T, et. al. The occurence of sleep-disordered breathing among middle-aged adults. N Engl J Med 1993; 328:1230-1235.
5. American Sleep Disorders Association Standards of Practice Committee. Practice parameters for the indications for polysomnography and related procedures. Sleep 1997; 20:406-422.
6. Schmidt W, Prommer N. The optimised CO-rebreathing method: a new tool to determine total haemoglobin mass routinely. Eur J Appl Physiol. 2005 Dec;95(5-6):486-95.
7. Suzuki M, et.al. Erythropoietin synthesis by tumour tissues in a patient with uterine myoma and erythrocytosis. Br J Haematol. 2001 Apr;113(1):49-51.

Impfungen im Herbst

Jeden Herbst wird das Thema Impfschutz durch die saisonale Grippeimpfung aktuell. Der jährlich im Frühling aktualisierte Schweizerische Impfplan des BAG ist Basis der Impfberatung. Die aktuellen Informationen zu den empfohlenen Impfungen und zur Impfstoffversorgung finden sich auch auf www.infovac.ch.

Jede Arztkonsultation bietet Gelegenheit zur Überprüfung des Impfschutzes und Durchführung allfälliger Nachholimpfungen. Bei fehlender oder unbekannter Grundimmunisierung soll der Impfschutz in jedem Alter evaluiert und ergänzt werden.
Einige Grundregeln sind dabei hilfreich:

  • Die Anzahl nötiger Impfdosen ergibt sich aus dem Vergleich der «Soll-Impfdosen» (altersentsprechend gemäss Impfplan) mit den bisher erhaltenen Impfdosen.
  • Es sind nie mehr Dosen indiziert als für die Grundimmunisierung von komplett Ungeimpften nötig wären (bei Totimpfstoffen wie z.B. dTpa-IPV, FSME, HPV, Hepatitis B sind dies in der Regel 3 Dosen).
  • Die empfohlenen Zeitabstände sind Mindestabstände zur Ausbildung einer optimalen Impfantwort; längere Abstände sind immer möglich.
  • Jede Dosis zählt! Eine begonnene, noch unvollständige Impfserie nicht wieder von vorne beginnen – auch wenn die letzten Dosen schon viele Jahre zurückliegen.
  • Lebendimpfstoffe (MMR, Varizellen, Gelbfieber, Typhus, Herpes zoster (Zostavax®)) sind bei Schwangeren und immunsupprimierten Personen kontraindiziert.
  • Mindestens 4 Wochen Abstand zwischen 2 verschiedenen viralen Lebendimpfstoffen einhalten (MMR und Varizellen auch am gleichen Tag möglich).
  • Alle Totimpfstoffe können gleichzeitig oder in beliebigen zeitlichen Abständen zueinander verabreicht werden.
  • Das Impfschema wird definiert durch das Alter, in dem die Impfserie begonnen wurde.
  • Patienten mit oraler Antikoagulation oder Thrombozytenaggregationshemmern dürfen und sollen intramuskuläre Impfungen erhalten (Druckverband!).
  • Serologien/Impfantikörperbestimmungen sind grundsätzlich nicht hilfreich zur Festlegung einer Impfindikation / eines Impfschemas und sollten deshalb nicht durchgeführt werden.

Die Kosten für fast alle im schweizerischen Impfplan empfohlenen Impfungen werden, abzüglich Franchise und Selbstbehalt, von der Krankenkasse übernommen (Ausnahmen: Pneumokokkenimpfung bei Personen > 5 Jahre, Impfung gegen Herpes zoster). Eine Übersicht der aktuellen Impfempfehlungen findet sich in der Synopsis des Schweizerischen Impfplans (siehe Abb. 1 und Tab. 2; Link aktiv in Online-Version).
Zu zahlreichen speziellen Patientengruppen (z.B. Schwangere, Immunsupprimierte, Splenektomierte) existieren separate Empfehlungen, die für die Impfberatung hilfreich sind. Eine Übersicht findet sich in Tab. 2.

Saisonale Grippeimpfung

Schweregrad und Auswirkungen einer Influenza-Infektion werden oft unterschätzt. Patienten mit Influenza-Infektion haben u.a. auch ein deutlich erhöhtes Risiko für einen akuten Myokardinfarkt im folgenden Jahr (1). Influenza und influenzaähnliche Erkrankungen führen in der Schweiz jedes Jahr zu über 330 000 Arztkonsultationen und ca. 1500 Todesfällen (2). Die saisonale Grippeimpfung reduziert das Risiko einer Influenza-Infektion sowie die Gesamtmortalität und Hospitalisationsrate für Pneumonie und Influenza (3, 4) und ist bezüglich Schutzwirkung und möglichen Nebenwirkungen deutlich besser als ihr Ruf. Die häufig verwendeten, trivalenten inaktivierten Influenzaimpfstoffe zeigten in einer Metaanalyse eine Wirksamkeit von 59% bei gesunden Erwachsenen (5). Der Impfschutz hängt vom saisonalen Antigen-Match sowie von Alter und Immunstatus des Patienten ab. Durch die Verwendung von tetravalenten Impfstoffen, die einen zusätzlichen Influenza-B-Stamm enthalten, kann die Wahrscheinlichkeit eines Antigen-Mismatch reduziert werden. Der adjuvantierte Impfstoff (Fluad®), welcher für Erwachsene ≥ 65 Jahre zugelassen ist, löst bei diesen eine bessere Immunantwort aus, ist jedoch trivalent. Die Schutzwirkung einer Influenzaimpfung setzt nach 10-14 Tagen ein und hält etwa 3-4 Monate an. Da die Immunogenität der Influenzaimpfung bei Patienten in höherem Alter oder bei Grunderkrankungen vermindert sein kann, ist der Umgebungsschutz («Cocooning») enorm wichtig. Durch die Impfung naher Kontaktpersonen und dadurch Verminderung der Ansteckungsgefahr werden die besonders gefährdeten Personen indirekt geschützt. Dies gilt vor allem auch für Personen, die im Gesundheitswesen tätig sind und somit besonders oft Kontakt zu Risikopersonen haben. Die Grippeimpfung ist in der Schweiz für alle Personen mit erhöhtem Komplikationsrisiko sowie für Personen mit erhöhtem Übertragungsrisiko und deren Kontaktpersonen empfohlen (Tab. 1).

Pneumokokkenimpfung

Seit 2014 wird bei Risikopersonen mit entsprechender Indikation (siehe Abb. 1 und Tab. 2; Link aktiv in Online-Version) eine einmalige Impfung mit dem 13-valenten konjugierten Impfstoff
(Prevenar®) empfohlen. Diese führt bei älteren Erwachsenen zu einer Reduktion von invasiven Pneumokokkenerkrankungen um 75% und von Pneumokokkenpneumonien durch Impfserotypen um 45% (6).
Die Indikationen zur Pneumokokkenimpfung bei Risikopersonen entsprechen bis auf wenige Ausnahmen weitgehend denen der Influenzaimpfung (siehe Abb. 1 und Tab. 2; Link aktiv in Online-Version). Für Säuglinge ist die Pneumokokkenimpfung neu seit 2019 als Basisimpfung empfohlen. Leider ist der Impfstoff in der Schweiz nur für Kinder < 5 Jahren zugelassen, weshalb bei älteren Kindern und Erwachsenen keine Kostenübernahme durch die Grundversicherung der Krankenkasse erfolgt. Ein Antrag auf Kostenübernahme durch die Krankenkasse mit entsprechender Begründung zur Indikation kann hier oft helfen.

Impfung gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)

Seit 2019 gilt die ganze Schweiz ausser den Kantonen Genf und Tessin als FSME-Risikogebiet. Die Grundimmunisierung mit 3 Dosen sowie Boosterimpfungen alle 10 Jahre sind für alle Personen ab 6 Jahren empfohlen, welche in den Risikogebieten wohnen oder sich zeitweise dort aufhalten und die beruflich oder während der Freizeit ein Zecken-Expositionsrisiko aufweisen. Der ideale Zeitpunkt für den Impfbeginn ist die kalte Jahreszeit, um vor der vermehrten Zeckenaktivität im Frühling bereits mit 2 Dosen geschützt zu sein. Für die Langzeitimmunität braucht es eine dritte Dosis («Gedächtnisdosis») nach einem längeren Intervall von minimal 5 Monaten. In der Schweiz sind 2 FSME-Impfstoffe zugelassen, die austauschbar sind und äquivalent eingesetzt werden können (FSME-Immun® und Encepur®). Wenn möglich sollte eine Impfserie mit dem gleichen Impfstoff komplettiert werden, mit dem sie begonnen wurde, es kann jedoch bei Lieferengpässen auf den jeweils anderen Impfstoff ausgewichen werden. Dabei sollte grundsätzlich ein minimales Intervall von 2 Wochen zwischen den ersten beiden Dosen und ein minimales Intervall von 5 Monaten zwischen der 2. und 3. Dosis eingehalten werden. Bei Impfbeginn in der wärmeren Jahreszeit ist eine Verkürzung des Intervalls zwischen den ersten beiden Dosen auf 14 Tage empfehlenswert, um möglichst rasch einen Schutz aufzubauen. Eine FSME-Impfung direkt nach einem Zeckenstich ist möglich und sollte auch nicht verzögert werden, da ja offensichtlich ein Expositionsrisiko = Zeckenstich besteht. Der Schutz vor einer FSME-Infektion wird aktuell höher gewichtet als die Überlegungen zur allfällig erschwerten Diagnostik bei einer zeitnahen FSME-Infektion. In jedem Fall muss die geimpfte Person darüber informiert werden, dass eine FSME-Impfung nach Zeckenstich nur vor zukünftigen Infektionen schützt. Sie hat keine Wirksamkeit als postexpositionelle Prophylaxe und wirkt sich weder positiv noch negativ auf eine allfällige Infektion durch den aktuellen Zeckenstich aus.

Impfung gegen Herpes zoster

Die Impfung gegen Herpes zoster ist gemäss Schweizerischem Impfplan für alle Personen im Alter zwischen 65-79 Jahren sowie für in naher Zukunft immungeschwächte Patientinnen und Patienten im Alter von 50 bis 79 Jahren empfohlen (7). Aktuell ist in der Schweiz nur der virale Lebendimpfstoff gegen Herpes zoster (Zostavax®) verfügbar und zugelassen. Die Impfung erfolgt mit einer einzelnen, subkutan verabreichten Dosis und zeigt eine gute Wirksamkeit mit Verhinderung von ungefähr 51% der Herpes-zoster-Fälle und 67% der Fälle von postherpetischer Neuralgie bei gesunden 60-jährigen oder älteren Personen (8). Leider werden die Kosten für die Herpes zoster-Impfung nicht durch die Grundversicherung der Krankenkassen übernommen. In Europa und anderen Ländern ist ein rekombinanter Subunit-Impfstoff (Shingrix®) zugelassen und verfügbar, der auch bei immunsupprimierten Personen eingesetzt werden kann. Der Zeitpunkt einer Markteinführung dieses Impfstoffes in der Schweiz ist nicht bekannt. Im Einzelfall kann ein Import aus dem europäischen Ausland und die off label Anwendung des Subunit-Impfstoffs in Erwägung gezogen werden. Zu beachten ist dabei der Preis (keine Kostenübernahme durch die Krankenkasse) sowie die Notwendigkeit von 2 Impfdosen mit 2-6 Monaten Intervall.

Impfempfehlungen bei besonderen Patientengruppen

Bei besonderen Patientengruppen wie z.B. immunsupprimierten Personen, Reisenden oder Schwangeren ist das Ziel ebenfalls ein möglichst kompletter Impfschutz gemäss den Empfehlungen im Schweizerischen Impfplan. Erster Schritt ist dabei immer die Beurteilung des aktuellen Impfstatus, das Vorgehen zur Ergänzung und Komplettierung des Impfschutzes muss dann unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen festgelegt werden. Dabei helfen Ihnen die eingangs in diesem Artikel erwähnten Grundregeln, die entsprechenden Empfehlungsdokumente des BAG (Tab. 2) oder eine Mail-Anfrage an die Infovac-Experten (www.infovac.ch).

Migranten

Der Impfschutz von Migrantinnen und Migranten sollte bald möglichst nach Einreise überprüft und entsprechend ihrem Alter gemäss Schweizerischen Impfempfehlungen ergänzt werden (9). Im Zweifelsfall – bei fehlender Dokumentation und unsicherer Anamnese – kann die Person als ungeimpft betrachtet und entsprechend grundimmunisiert werden. Wichtig ist die Dokumentation der neu durchgeführten Impfungen mittels Impfausweis und die Sicherstellung und Überprüfung des Informationsflusses, z.B. bei Wechsel des Aufenthaltsortes.
Für die Praxis kann bei Jugendlichen > 12 J. und Erwachsenen folgendes Vorgehen gewählt werden (9):

  • Erstkontakt: 1 Dosis dTpa-IPV (Boostrix Polio®) + 1 Dosis MMR + 1 Dosis Varizellen
  • 1 Mo. nach Erstkontakt: jeweils 2. Dosis MMR und Varizellen, erste Dosis Hepatitis B
  • 2 Mo. nach Erstkontakt: eine Dosis dT-IPV (Revaxis®) und zweite Dosis Hepatitis B
  • 8 Mo. nach Erstkontakt: eine Dosis dT-IPV (Revaxis®) und dritte Dosis Hepatitis B
  • HPV: 3 Dosen (0, 1-2, 6 Mo.) bei Alter 15 – 26 J.; vor 15. Geburtstag 2 Dosen (0, 6 Mo.)
  • Meningokokken (Impfung mit MCV-ACWY, Menveo®): 1 Dosis bei Alter 11-15 J., nachholen bis zum 20. Geburtstag
Dr. med. Ana Steffen

Klinik für Infektiologie/Spitalhygiene
KSSG und Ostschweizer Kinderspital
St. Gallen

ana.steffen@kssg.ch

Prof. Dr. med. Werner Albrich

Klinik für Infektiologie/Spitalhygiene
KSSG und Ostschweizer Kinderspital
St. Gallen

Dr. med. Anita Niederer

Reisemedizin, Klinik für Infektiologie/Spitalhygiene
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Das Berücksichtigen von Grundregeln bezüglich Anzahl, Abstand und Kombination von Impfdosen erleichtert die Impfberatung in der Hausarztpraxis.
  • Die Grippeimpfung ist jährlich sowohl für Risikopatienten als auch für ihr berufliches und familiäres Umfeld indiziert; dazu zählen auch alle Medizinalpersonen.
  • Der Impfstatus sollte insbesondere vor geplanter Schwangerschaft, Immunsuppression, Splenektomie oder auch vor Auslandsreisen überprüft werden; für die Impfungen in diesen Patientengruppen gelten spezielle Impfempfehlungen zusätzlich zu den für alle Personen empfohlenen Impfungen gemäss schweizerischem Impfplan.
  • Die Impfungen von Migrantinnen und Migranten sollten auch ohne Vorliegen eines Impfausweises möglichst bald nach Einreise begonnen, ergänzt und dokumentiert werden.

1. Kwong JC et al: Acute myocardial infarction after laboratory-confirmed influenza infection. N Engl J Med 2018;378:345-53
2. Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF): Bericht zur Grippesaison 2017/18. BAG Bulletin 2018; No32:9-21
3. Fireman B et al: Influenza vaccination and mortality: differentiating vaccine effects from bias. Am J Epidemiol 2009;170(5):650-6
4. Baxter R et al : Effect of influenza vaccination on hospitalizations in persons aged 50 years and older. Vaccine 2010;28(45):7267-72
5. Demicheli V et al: Vaccines for preventing influenza in healthy adults. Cochrane Database Syst Rev. 2018 Feb 1;2:CD001269
6. Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF): Pneumokokkenimpfung: Empfehlungen zur Verhinderung von invasiven Pneumokokkenerkrankungen bei Risikogruppen. BAG Bulletin 2014;No8:129-141
7. Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF): Empfehlungen zur Impfung gegen Herpes Zoster / « Gürtelrose». BAG Bulletin 2017;No47:12-15
8. Oxman MN et al: A vaccine to prevent herpes zoster and postherpetic neuralgia in older adults. N Engl J Med 2005;352(22):2271-84
9. Tarr P et al: Impfungen bei erwachsenen Flüchtlingen. Swiss Med Forum 2016;16(49-50):1075-1079

Protonenpumpen-Inhibitoren

Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI) sind Arzneimittel, welche die Säuresekretion durch Bindung an die Protonenpumpe in den Belegzellen des Magens hemmen. Sie gehören zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln und werden oft langfristig eingenommen. Viele dieser Patienten bedürfen also im Verlauf einer gastroenterologischen Diagnostik, insbesondere auch um die Indikation zur Fortsetzung der PPI-Behandlung zu überprüfen. Dieser Artikel sollte Ihnen Handlungsempfehlungen an die Hand geben, die PPI-Therapie pro-aktiv zu steuern.

Der klinische Nutzen von PPI ist seit Jahrzehnten bewährt und stellt für die Behandlung von Magen- und Duodenalgeschwüren, die gastroösophageale Refluxerkrankung und die Eradikationstherapie von Helicobacter pylori in Kombination mit Antibiotika evidenzbasiert die effektivste Behandlungsmassnahme dar (1, 2). Vorteilhaft für die Verbreitung der PPI war ihr sehr günstiges Nebenwirkungsprofil und die hohe Akzeptanz bei den Patienten (3). Deswegen zählen PPI zu den wenigen Arzneimitteln, die therapeutisch wie diagnostisch eingesetzt werden können, beispielsweise wenn der Hausarzt den begründeten klinischen Verdacht auf ein typisches Refluxleiden hat (4). Nachdem sich Berichte über mögliche ernsthafte Nebenwirkungen unter PPI-Dauertherapie mehrten, ist im letzten Jahrzehnt eine Flut an Studien zur Langzeitsicherheit von PPI erschienen. Auch wenn sich viele der postulierten Nebenwirkungen nicht haben objektivieren lassen, kann aus Beobachtungsstudien ein erhöhtes Risiko von Wirbelkörper-/Schenkelhals-Frakturen, bakteriellen Infektionen der Atemwege und des Verdauungstrakts einschl. Fehlbesiedlung des Dünndarms, Hypomagnesiämie und möglichen Resorptionsstörungen (wie Vitamin B12- oder Eisenmangel) angenommen werden (5, 6). Die lebhafte Diskussion um die Nebenwirkungen einer Langzeit-PPI-Behandlung unterstreicht die Grundsätze jeder Arzneimitteltherapie: sie sollte nur bei gesicherter Indikation erfolgen und unter ärztlicher Überwachung.

PPI und gesicherte Indikationen

Aus dem oben Gesagten ergeben sich für PPI folgende Schlussfolgerungen: PPI können und sollen frühzeitig ohne spezielle gastroenterologische Diagnostik gegeben werden, aber für das Fortführen dieser Medikation bedarf es einer gesicherten Indikation. Bezüglich der beiden Hauptindikationen «Gastritis/Ulcus» oder «Reflux» sollte sich der behandelnde Arzt immer fragen, ob es einen PPI weiterhin noch bedarf und wenn ja, in welcher Dosis. Dabei lassen sich 2 typische Behandlungsmuster erkennen: (a) nach ausbehandelter Gastritis/Ulcus wird der PPI langfristig nach Beendigung der Helicobacter-Eradikation oder der auslösenden Noxe (wie NSAR, Antikoagulantien, Kortison etc.) fortgeführt, (b) eine vormals gestellte Diagnose einer Refluxerkrankung wird ohne kritisches Hinterfragen wie ein Stigma jahrelang beibehalten, so dass Oberbauchbeschwerden unter Refluxbeschwerden subsummiert und mit PPI behandelt werden – gefolgt von meist unbefriedigendem Ansprechen. Ursächlich hierfür ist oft das Vorliegen einer nur leichtgradigen oder «unbewiesenen» Refluxösophagitis, also sogenannte endoskopische Minimalbefunde («Rötungen an Kardia/Z-Linie») bis zu Erosionen nach Los Angeles-Klassifikationen Grad A und B (oder Savary-Miller Klassifikation Grad 1). Zum Einen finden sich diese endoskopischen Veränderungen zum Teil auch bei gesunden Kontrollpersonen, zum Anderen zeigen Langzeit-Beobachtungsstudien, dass nicht nur sehr wenige dieser Patienten zu höheren Refluxstadien progredient werden, sondern dass nach 10 Jahren sogar die grosse Mehrheit (67%) gar keine Refluxerkrankung mehr aufweist (7).

PPI und Gastroskopie

Hauptsächliche Indikationen für die hausärztliche Zuweisung zur Gastroskopie sind also die Fragen nach einer «Gastritis» oder «Refluxerkrankung». Auf beide Erkrankungen haben PPI einen raschen positiven Effekt durch die schnelle und effektive Hemmung der Säuresekretion. PPI beeinflussen somit die Diagnostik der Erkrankungen, die wir abzuklären hoffen. Die klinisch bei weitem wichtigste Gastritisform ist die Helicobacter pylori-assoziierte Gastritis. Die Einnahme von PPI kann in ca. 10-40% der Fälle zu falsch-negativem Nachweis von Helicobacter führen und betrifft sämtliche verfügbare Nachweisverfahren, also Atemtests, Stuhltests und Urease-Schnelltests sowie Histopathologie und Kultur entnommener Magenschleimhautproben (8). Man erklärt sich dies nicht nur durch die Magensäuresuppression, sondern auch durch direkte antimikrobielle Aktivität (9) und direkte Inhibition der Urease-Aktivität (10) (welche für den Atem- und Schnelltest essenziell ist). PPI scheinen auch die Form der Helicobacter-Bakterien und ihre Verteilung auf der Magenschleimhaut zu verändern, so dass sie für den Pathologen schwieriger zu diagnostizieren sind (11, 12). In vitro Daten zeigten, dass sich der negative Effekt von PPI auf das Wachstum und den Urease-Nachweis von Helicobacter erst nach 12-tägigem Absetzen komplett erholt hat (13). Dieser Problematik wurde im Rahmen der europaweiten Leitlinienanpassung zu Helicobacter (Maastricht Consensus Konferenzen) Rechnung getragen und es wird, wenn möglich, eine mindestens 2-wöchige PPI-Pause vor Helicobacter-Diagnostik gefordert, egal welches Helicobacter-Testverfahren man wählt (14). Da Antibiotika das Wachstum und die Verteilung von Helicobacter beeinflussen, sollte jegliche gastroenterologische Diagnostik, die eine Bestimmung von Helicobacter beinhaltet, frühestens 4 Wochen nach einer Antibiotikagabe erfolgen (14). Die amerikanische Fachgesellschaft weist ebenso darauf hin, dass nach Behandlung einer Helicobacter-Gastritis eine Kontrolle frühestens 4 Wochen nach Beendigung der antibiotischen Therapie erfolgen sollte und dass PPI für mind. 1-2 Wochen pausiert sein sollten, unabhängig ob man einen Atemtest, einen Stuhltest oder eine Gastroskopie mit Biopsien durchführt (15). Obwohl international ein ausreichend langes Kontrollintervall (> 4 Wochen) nach Beendigung der Hp-Eradikationstherapie eingehalten wird, werden die Empfehlungen zur PPI-Karenz leider unzureichend eingehalten und dementsprechend sind bis zu 56% aller «unauffälligen/negativen» Ergebnisse unzuverlässig (16).
Antihistaminika haben im Vergleich zu PPI einen viel geringer hemmenden Effekt auf Helicobacter, so dass die Einnahme von H2-Blockern zu weniger falsch-negativen Ergebnissen führt (17). Ein Expertenpanel hält das Absetzen von H2-Blockern vor Gastroskopie oder Atem-/Stuhltest für nicht zwingend notwendig (14).

Für die endoskopische Diagnostik einer Refluxerkrankung empfiehlt sich eine ähnliche PPI-Pause, wobei wir aufgrund der verzögerten Entwicklung von sichtbaren Erosionen eher 4 als 2 Wochen empfehlen. Bei der endoskopischen Kontrolle einer gesicherten schweren Refluxösophagitis sollte der PPI eher nicht pausiert werden, da diese Untersuchung nicht der Diagnose «Reflux» dient, sondern der Kontrolle von Refluxkomplikationen.

PPI und Helicobacter-Atemtest/-Stuhltest

Bei der Gastroskopie werden Biopsien aus der Magenschleimhaut entnommen, in denen man Helicobacter histologisch oder kulturell nachweisen kann. Aus den Biopsien lässt sich Helicobacter auch indirekt durch den sogenannten Urease-Schnelltest innerhalb von 24h nachweisen. Als gleichwertiges nicht-invasives Verfahren steht ein Harnstoff-Atemtest zur Verfügung, der ebenso die spezifische Urease-Aktivität von Helicobacter ausnutzt. Alternativ dazu existiert auch die Möglichkeit, Helicobacter mittels Antigen im Stuhl nachweisen zu können. Beide Tests werden üblicherweise zur Kontrolle 6-8 Wochen nach Eradikation einer unkomplizierten Helicobacter-Gastritis angewendet. Mehr noch als bei der Gastroskopie, wird gerade für diese beiden nicht-invasiven Testverfahren eine PPI-Pause von mind. 2 Wochen empfohlen (14, 15). Hat man aus bestimmten Gründen Bedenken gegen ein frühes Absetzen des PPI, dann würde ich im Zweifelsfall den Kontrolltermin mittels Stuhl-/Atemtest um einige Wochen oder Monate verschieben.

PPI und Langzeit-pH-Metrie

Die ösophageale pH-Metrie ist ein wichtiges Instrumentarium zur Diagnostik einer «unbewiesenen» oder leichten Refluxerkrankung und zur Differenzialdiagnostik von Reflux-Hypersensitivität und funktionellen Symptomen. Experten sind sich in dieser Situation einig, dass die pH-Metrie ohne PPI erfolgen sollte (18, 19). Die Dauer der PPI-Karenz hierzu ist nicht standardisiert, kursiert aber international relativ ähnlich zwischen 7-14 Tagen (20). Wir haben in unserer Institution eine Pause von mind. 2 Wochen festgesetzt, nicht zuletzt, um in Kongruenz zu den Empfehlungen zur Gastritis-Diagnostik zu bleiben. Eine ganz andere Situation besteht, wenn eine Refluxerkrankung gesichert ist (also Grad C/D oder bereits positive pH-Metrie) und die Diagnostik der Therapieoptimierung dient. Dann sollte die pH-Metrie unter laufender PPI-Medikation erfolgen in üblicher Dosierung (also mit 1-2 x täglicher PPI-Gabe, auch am Untersuchungstag einzunehmen!).

Dr. med. Danko Batusic

Gastroenterologie/Hepatologie
Departement Innere Medizin
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170
7000 Chur

danko.batusic@ksgr.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Eine PPI-Langzeit-Behandlung sollte nur bei gesicherter Indikation erfolgen und unter ärztlicher Überwachung
  • Der Gastroenterologe sollte über den PPI-Status des Patienten
    informiert sein und sollte in seinem Bericht dokumentieren, ob die Untersuchung mit oder ohne PPI erfolgt
  • Vor jeder diagnostischen Gastroskopie sollten PPI, wenn möglich, mind. 2 Wochen pausiert werden
  • Vor einem Helicobacter-Atemtest oder -Stuhltest sollten PPI mind.
    2 Wochen pausiert werden
  • Vor einer pH-Metrie sollten PPI mind. 2 Wochen pausiert werden, wenn eine Refluxerkrankung nachgewiesen oder ausgeschlossen
    werden soll
  • Nur eine schwere Refluxösophagitis (Los Angeles Grad C/D oder
    eindeutig positive Langzeit-pH-Metrie) ist eine «bewiesene» Indikation für eine PPI-Dauermedikation, ansonsten sollte die Indikation für einen PPI kritisch hinterfragt werden, dann ggf. ÖGD oder pH-Metrie nach mehrwöchiger (mind. 2-4 Wochen) PPI-Pause wiederholen

1. Leontiadis GI, Howden CW. The Role of Proton Pump Inhibitors in the Management of Upper Gastrointestinal Bleeding. Gastroenterology Clinics of North America. 2009.
2. Laine L, Jensen DM. Management of patients with ulcer bleeding. Am J Gastroenterol. 2012;
3. Sigterman KE, van Pinxteren B, Bonis PA, Lau J, Numans ME. Short-term treatment with proton pump inhibitors, H2-receptor antagonists and prokinetics for gastro-oesophageal reflux disease-like symptoms and endoscopy negative reflux disease. Cochrane Database Syst Rev [Internet]. 2013 May 31 [cited 2019 Feb 28];(5). Available from: http://doi.wiley.com/10.1002/14651858.CD002095.pub5
4. Koop AH, Fuchs KH, Labenz J, Lynen Jansen P, Messmann H, Miehlke S, et al. S2kLeitlinie: Gastroösophageale Refluxkrankheit der DGVS. Z Gastroenterol. 2014;52:12991346.
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17. Graham DY, Opekun AR, Jogi M, Yamaoka Y, Lu H, Reddy R, et al. False negative urea breath tests with H2-receptor antagonists: interactions between Helicobacter pylori density and pH. Helicobacter. 2004 Feb;9(1):17–27.
18. Katz PO, Gerson LB, Vela MF. Guidelines for the diagnosis and management of gastroesophageal reflux disease. Am J Gastroenterol. 2013 Mar;108(3):308–28; quiz 329.
19. Pehl C, Keller J, Merio R, Stacher G. [Esophageal 24 hour-pH metry. Recommendations of the German Society of Neurogastroenterology and Motility and the Study Group for Gastrointestinal Functional Disorders and Function Diagnostics of the Austrian Society of Gastroenterology and Hepatology]. Z Gastroenterol. 2003 Jun;41(6):545–56.
20. Juul-Hansen P, Rydning A. Endoscopy-negative reflux disease: what is the value of a proton-pump inhibitor test in everyday clinical practice? Scand J Gastroenterol. 2003 Dec;38(12):1200–3.

Wie kommen COPD-Patienten möglichst gut über die Wintermonate?

Die COPD ist eine häufige Erkrankung, in der Schweiz sind davon ca. 400 000 Menschen betroffen (1). Weltweit ist sie die dritthäufigste, europaweit die fünfthäufigste Todesursache (2). Die COPD ist klinisch charakterisiert durch persistierende respiratorische Beschwerden und eine permanente Atemwegsobstruktion. Es liegen ihr eine chronische Inflammation mit Entwicklung einer individuell unterschiedlich ausgeprägten Erkrankung der kleinen Atemwege und eine Lungenparenchymdestruktion (Emphysem) sowie auch eine systemische Inflammation zugrunde. In diesem Artikel werden Strategien präsentiert, die helfen, dem Ziel der Verhinderung von Exazerbationen näher zu kommen.

Die Pathogenese der COPD ist komplex und aktuell noch in vielen Fragen nicht vollständig verstanden. Nebst der Exposition zu inhalativen Partikeln, in der industrialisierten Welt als wichtigster Faktor das Zigarettenrauchen, tragen viele weitere Faktoren wie Genetik und das Lungenwachstum (Schwangerschaft, Geburt, Einflüsse während der Kindheit/Adoleszenz) zur Entwicklung einer COPD bei.

Problematik der Wintermonate bei Patienten mit COPD

Die Wintermonate stellen für die an COPD erkrankten Personen eine besondere Herausforderung dar. Das Risiko für Exazerbationen und auch die Gesamtmortalität ist bei Patienten mit COPD im Winter, verglichen mit dem Sommer, rund doppelt so hoch (3, 4).
Zudem fallen die Komorbiditäten Osteoporose, Angst/Depression und kardiovaskuläre Erkrankungen im Winter besonders ins Gewicht.

Verhinderung von Exazerbationen

Um als COPD-Patient möglichst gut über den Winter zu kommen, ist das Verhindern von Exazerbationen besonders wichtig. Hierfür ist neben den nichtmedikamentösen Basismassnahmen wie einem Rauchstopp, einer möglichst grossen körperlichen Aktivität sowie einer optimalen medikamentösen Therapie das Verhindern von Atemwegsinfektionen essentiell.
Die Exazerbationsfrequenz korreliert mit einer Abnahme der Lungenfunktion und der Lebensqualität (5). Die Mortalität bei einer Exazerbation ist hoch, v.a. wenn eine Hospitalisation erforderlich wird, und besonders hoch, wenn es zu einer hyperkapnischen Exazerbation kommt. Die 90-Tage-Mortalität einer Exazerbation liegt bei > 6% (6). Der wichtigste Risikofaktor für eine Exazerbation stellt eine vorangegangene Exazerbation dar (7). Ca. 70% der Exazerbationen sind durch respiratorische Infekte, in ca. 50% bakterieller Art, bedingt (8). Nicht selten kommt es nach einem viralen Infekt zu einem bakteriellen Superinfekt. Die wichtigsten bakteriellen Erreger stellen in abnehmender Häufigkeit Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis, Streptokokkus pneumoniae und Pseudomonas aeruginosa dar. Die wichtigsten viralen Erreger in abnehmender Häufigkeit sind Rhinovirus, gefolgt mit gleicher Häufigkeit von RSV, Influenza und Parainfluenza (8).
Mit der pharmakologischen Therapie kann die Exazerbationsrate positiv beeinflusst werden. Die Therapie der COPD, die sich bis vor wenigen Jahren vorwiegend an den lungenfunktionellen Einschränkungen orientierte, stützt sich aktuell in erster Linie auf die Exazerbations-
anamnese und die Symptomatik. Eine Übersicht mit der Einteilung in die verschiedenen GOLD Gruppen und der empfohlenen Therapie gibt Abbildung 1. Bei stark symptomatischen Patienten mit rezidivierenden Exazerbationen erkannte man die eosinophile Inflammation als therapierelevanter Biomarker. So sollte eine Therapie mit inhalativen Kortikosteroiden in der Regel nur bei COPD Patienten in der Gruppe D mit rezidivierenden Exazerbationen trotz LABA (langwirksame Beta2-Sympathomimetika) / LAMA (langwirksamen Anticholinergika) Kombinationstherapie und einer eosinophilen Granulozytenzahl > 0.1 G/l im Blutbild erwogen werden. Neue Studien zeigen keinen Effekt von Theophyllin auf die Exazerbationsrate (9). Die medikamentöse Therapie sollte periodisch kritisch reevaluiert und im Verlauf der Erkrankung sowohl eskaliert aber bei günstigem Verlauf auch deeskaliert werden. Entscheidend für den Therapieerfolg ist, dass die inhalative Therapie korrekt angewendet wird. Die Wahl des richtigen Devices ist für den Therapieerfolg essentiell: Der Patient muss das Device korrekt handhaben können, genügend Atemfluss für eine suffiziente Inhalation aufbringen können und darf mit der Koordination während der Applikation nicht überfordert sein. Die Inhalationstechnik sollte periodisch überprüft und ggf. optimiert werden. Falls keine suffiziente Inhalation mit den verfügbaren Devices möglich ist, dann bietet sich die Möglichkeit von (zeitintensiven) Feuchtinhalationen an.
Eine Prävention vor Atemwegsinfekten trägt zur Verhinderung von Exazerbationen bei. Durch die Grippeimpfung kann das Risiko von Exazerbationen signifikant (-0.37 Exazerbation) gesenkt werden (10). Zudem wird das Risiko, an einer ischämischen Herzkrankheit zu erkranken, insbesondere bei älteren COPD Patienten reduziert (11). Die aktuelle Empfehlung des Bundesamtes für Gesundheit zur Verhinderung von invasiven Pneumokokkenerkrankungen bei Risikogruppen aus dem Jahr 2014 empfiehlt eine einmalige Impfung mit dem 13-valenten konjugierten Pneumokokkenimpfstoff bei allen Patienten im GOLD Stadium 3 und 4, d.h. bei einer FEV1 < 50%, bzw. bei einer Verschlechterung der COPD (12). Dieser Impfstoff ist in der Schweiz aber leider nicht für erwachsene Patienten zugelassen, sodass die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen müssen. Ich empfehle den Patienten pragmatisch, zur Infektprophylaxe im Winter den unmittelbaren Kontakt zu an akuten Atemwegsinfekten Erkrankten zu meiden. Vor allem während der kalten Jahreszeit sollte auf eine gute Händehygiene geachtet werden.
Eine aktuelle Metaanalyse konnte zeigen, dass durch eine Vitamin-D-Supplementation bei tiefem 25-Hydroxyvitamin-D-Spiegel < 25 nmol/l die Rate an COPD Exazerbationen reduziert werden kann (13).
Die Rolle von Acetylcystein hinsichtlich Exazerbationsprävalenz ist trotz mehreren Studien/Metaanalysen unklar. Eine mehrmonatige Einnahme von Acetylcystein scheint aber die Zahl der Patienten, die eine Exazerbationen erleiden, zu reduzieren, die Gesamtanzahl der Exazerbationen aber nicht zu beeinflussen (14).

Komorbiditäten während den Wintermonaten

Mit der COPD sind diverse Komorbiditäten wie Lungenkarzinom, kardiovaskuläre Erkrankungen (15), Schlafapnoe, metabolisches Syndrom, Osteoporose, gastroösophageale Refluxerkrankung sowie Depression und Angst assoziiert (16). Diese Komorbiditäten sind teils auch vor allem während den Wintermonaten relevant.
Osteoporose ist eine wichtige Komorbidität bei COPD. Ursächlich dafür wird Rauchen, Inaktivität, eine systemische COPD-bedingte Inflammation, Vitamin-D-Mangel und (intermittierende) Steroidtherapie angesehen (17). Das Risiko für Stürze und Frakturen steigt während den Wintermonaten an. Zumindest die Bestrebung nach einem möglichst aktiven Lebensstil und die Bestimmung und adäquate Substitution von Vitamin D ist bei Patienten mit COPD gerechtfertigt. Wie oben erwähnt, wird durch die Supplementation von tiefen Vitamin-D-Spiegeln auch eine Reduktion der Exazerbationsrate erreicht.
Das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis steigt bei einer Exazerbation um ca. den Faktor 4 an, v.a. die ersten 30 Tage nach Beginn der Exazerbation stellen eine besonders vulnerable Phase dar (18, 19).
Weitere, besonders während den Wintermonaten wichtige, sich potentiell verschlechternde Komorbiditäten sind die Depression und die Angst. Patienten mit COPD haben ein höheres Risiko für Depression und Angst als Nichtraucher und auch als Raucher ohne COPD. Es wird von einer Prävalenz der Depression von 26% bei COPD-Patienten ausgegangen, wobei eine höhere Prävalenz bei Frauen, Aktivrauchern und schwergradiger COPD festgestellt wurde. Bei COPD-Patienten mit Depression sind, im Vergleich zu solchen ohne Depression, die Inzidenz für Exazerbationen, die Beanspruchung des Gesundheitswesens und die Mortalität erhöht (20).

Dr. med. Christoph Ninck Weber

Pneumologie
Spital Tiefenau
Tiefenaustrasse 112
3004 Bern

christoph.ninckweber@spitaltiefenau.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Die Wintermonate stellen für Patienten mit COPD eine besondere
    Herausforderung dar. Einerseits sind dann Exazerbationen gehäuft, andererseits können sich die Komorbidität (insbesondere Osteoporose mit erhöhtem Frakturrisiko, kardiovaskuläre Komorbidität mit im
    Rahmen von Exazerbationen kurzfristig deutlich erhöhtem Risiko
    für akutes Ereignis und Depression) besonders aggravieren und negativ auswirken.
  • Eine optimale, stadiengerechte Behandlung der COPD mit einerseits den nichtmedikamentösen Massnahmen wie ein konsequenter Rauchstopp oder bestmöglicher körperlicher Aktivität und anderseits einer optimalen medikamentösen Therapie ist, unabhängig von der Jahreszeit, essenziell. Mit der medikamentösen Therapie kann die Exazerbationsfrequenz reduziert werden.
  • Um Atemwegsinfekten, insbesondere während den Wintermonaten, vorzubeugen sind jährliche Grippeimpfungen sowie, v.a. in den COPD Stadien 3 und 4 (d.h. FEV1 < 50 %) eine Pneumokokkenimpfung mit dem 13-valenten konjugierten Impfstoff empfohlen.
  • Bei tiefem Vitamin-D-Spiegel scheint sich eine Vitamin-D-Supplementation positiv auf die Exazerbationsfrequenz auszuwirken. Der Stellenwert einer Therapie mit Acetylcystein ist aktuell noch unklar, möglicherweise besteht ein positiver Effekt bei mehrmonatiger Therapie.

1. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-im-ueberblick/chronische-atemwegserkrankungen.html#-876619191
2. https://www.who.int/healthinfo/global_burden_disease/estimates/en/index1.html
3. Rabe KF, Fabbri LM, Vogelmeier C, Kögler H, Schmidt H, Beeh KM, Glaab T. Seasonal distribution of COPD exacerbations in the Prevention of Exacerbations with Tiotropium in COPD trial. Chest 2013;143(3):711-719
4. So JY, Zhao H, Voelker H, Reed RM, Sin D, Marchetti N, Criner GJ. Seasonal and Regional Variations in Chronic Obstructive Pulmonary Disease Exacerbation Rates in Adults without Cardiovascular Risk Factors. Ann Am Thorac Soc 2018;15(11):1296-1303
5. Halpin DM, Decramer M, Celli B, Kesten S, Liu D, Tashkin DP. Exacerbation frequency and course of COPD. Int. J. Chron. Obstruct. Pulmon. Dis. 2012;7:653–61
6. Hillas G, Perlikos F, Tzanakis N. Acute exacerbation of COPD: is it the “stroke of the lungs”?. International Journal of COPD 2016;11:1579–158
7. Hurst JR, Vestbo J, Anzueto A, Locantore N, Müllerova H, Tal-Singer R, Miller B, Lomas DA, Agusti A, Macnee W, Calverley P, Rennard S, Wouters EF, Wedzicha JA. Susceptibility to exacerbation in chronic obstructive pulmonary disease. N Engl J Med. 2010;363(12):1128-38
8. Sanjay Sethi, M.D., and Timothy F. Murphy, M.D. Infection in the Pathogenesis and Course of Chronic Obstructive Pulmonary Disease. N Engl J Med 2008;359:2355-65
9. Graham Devereux, PhD; Seonaidh Cotton, PhD; Shona Fielding, PhD; Nicola McMeekin, MSc; Peter J. Barnes, et al. Effect of Theophylline as Adjunct to Inhaled Corticosteroids on Exacerbations in Patients With COPD. JAMA 2018;320(15):1548-1559
10. Poole PJ, Chacko E, Wood-Baker RW, Cates CJ. Influenza vaccine for patients with chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database Syst Rev. 2006 Jan 25;(1):CD002733
11. Huang CL, Nguyen PA, Kuo PL et al. Influenza vaccination and reduction in risk of ischemic heart disease among chronic obstructive pulmonary elderly. Comput Methods Programs Biomed 2013; 111: 507-511
12. https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/i-und-b/richtlinien-empfehlungen/empfehlungen-spezifische-erreger-krankheiten/pneumokokken/empfehlung-verhinderung-invasive-pneumokokkenerkrankung-risikogruppen.pdf.download.pdf/bu-8-2014-pneumokokken-risikogruppen.pdf
13. Jolliffe DA, Greenberg L, Hooper RL, Mathyssen C, Rafiq R, de Jongh RT, Camargo CA, Griffiths CJ, Janssens W, Martineau AR. Vitamin D to prevent exacerbations of COPD: systematic review and meta-analysis of individual participant data from randomised controlled trials. Thorax 2019;74:337–345
14. Fowdar K, Chen H, He Z, Zhang J, Zhong X, Zhang J, Li M, Bai J. The effect of N-acetylcysteine on exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease: A meta-analysis and systematic review. Heart Lung. 2017;46(2):120-128
15. Wenjia Chen, Jamie Thomas, Mohsen Sadatsafavi, J Mark FitzGerald. Risk of cardiovascular comorbidity in patients with chronic obstructive pulmonary disease: a systematic review and meta-analysis. Lancet Respir Med 2015;3:631–39
16. GOLD-Report 2019 https://goldcopd.org/gold-reports/
17. Lehouck A, Boonen S, Decramer M, Janssens W. COPD, bone metabolism, and osteoporosis. CHEST 2011;139(3):648–657
18. Kunisaki KM, Dransfield MT, Anderson JA, Brook RD, Calverley PMA, Celli BR, Crim C, Hartley BF, Martinez FJ, Newby DE, Pragman AA, Vestbo J, Yates JC, Niewoehner DE. Exacerbations of Chronic Obstructive Pulmonary Disease and Cardiac Events. A Post Hoc Cohort Analysis from the SUMMIT Randomized Clinical Trial. Am J Respir Crit Care Med. 2018;198:51-57
19. Reilev M, Pottegard A, Lykkegaard J, Sondergaard J, Ingebrigtsen T, Hallas J. Increased risk of major adverse cardiac events following the onset of acute exacerbations of COPD. Respirology (2019). doi: 10.1111/resp.13620 [Epub ahead of print]
20. Hanania NA1, Müllerova H, Locantore NW, Vestbo J, Watkins ML, Wouters EF, Rennard SI, Sharafkhaneh A. Determinants of depression in the ECLIPSE chronic obstructive pulmonary disease cohort. Am J Respir Crit Care Med. 2011;183(5):604-11