Heute, morgen oder nie?

Zunehmende Evidenz belegt, dass sich mit einem Lungenkrebs-Screening-Programm mittels Niederdosis-Computertomographie (LDCT) die Mortalität in einer Risikopopulation signifikant senken lässt. Neuere Daten zeigen, dass eine strikte Selektion von Teilnehmenden in einem LDCT-Screening-Programm und Messung der Volumetrie von Rundherden die Häufigkeit falsch positiver Befunde reduziert. Eine multidisziplinäre Arbeitsgemeinschaft von Interessensgruppen und Experten für Lungenkarzinom-Screening, die «Schweizerische Lung Cancer Screening Implementation Group» (CH-LSIG), unterstützt die Etablierung eines Schweizerischen Lungenkrebs-Screening-Programms. Dieser Artikel widmet sich dem Lungenkarzinom-Screening, einem der Startprojekte des «Expertengremiums Krebsfrüherkennung», welches 2018 im Rahmen eines Pilotprojekts der Nationalen Strategie gegen Krebs eingesetzt wurde.

Mit 3 200 Todesfällen jährlich ist das Lungenkarzinom die häufigste krebsassoziierte Todessache in der Schweiz (1). Jedes Jahr werden 4 300 neue Fälle mit Lungenkarzinom diagnostiziert (4 363 in 2015, 4 252 in 2014, 4 293 in 2013). Der hauptsächliche Risikofaktor für das Lungenkarzinom ist Tabakrauchen, sodass die Inzidenz und Mortalität mit 20- bis 30-jähriger Latenz folgen. Diese Tatsache erklärt auch, warum in der Schweiz die Mortalität des Lungenkarzinoms bei Männern fällt, aber bei Frauen noch zunimmt.

Niederdosis-Computertomographie ermöglicht Lungenkrebs-Detektion im Frühstadium

Lungenkrebs hat eine detektierbare, aber häufig asymptomatische und mehrjährige präklinische Phase, sowie eine effektive chirurgische Behandlungsoption. Deshalb wurden verschiedene Methoden der Früherkennung in den letzten 20 Jahren untersucht. Niederdosis-Computertomographie (LDCT) ist ein sensitives bildgebendes Verfahren, welches die Detektion von Lungenkrebs in einem Frühstadium ermöglicht. Es gibt aktuell zunehmende Evidenz, dass eine adäquate diagnostische und therapeutische Strategie nicht nur die spezifische Mortalität von Lungenkrebs, sondern auch die Gesamtmortalität senkt. Im US National Lung Screening Trial (NLST) konnte die Mortalität von Lungenkrebs um 20% (relative Risikoreduktion) gesenkt werden, was eine «number needed-to-screen» von rund 320 entsprach (2). Die Ergebnisse der in Holland und Belgien durchgeführten NELSON-Studie wurden zum ersten Male im September 2018 an der Weltkonferenz für Lungenkrebs vorgestellt. Dabei wurde gezeigt, dass die Lungenkrebsmortalität sich um 26% reduzieren liess (3). In einer kleineren Subgruppe von Frauen verminderte LDCT-Screening die Todesrate sogar um 50%. Die NELSON-Studie ist wichtig, da sie Lungenrundherde mittels Volumetrie untersuchte, um suspekte Lungenrundherde zu beobachten und so falsch positive Befunde, verglichen mit dem NLST, deutlich vermindern konnte. Auch die kürzlich publizierten italienischen MILD- und deutschen LUSI-Studien konnten im 8- bis 10-Jahres-Verlauf einen andauernden Vorteil des LDCT-Screenings mit einer 36 bis 39%igen relativen Risikoreduktion für die Lungenkrebsmortalität und einer 20%igen relativen Risikoreduktion für die Gesamtmortalität in der MILD-Studie zeigen (4, 5).
Somit kumuliert sich die Evidenz, dass die Früherkennung von Lungenkrebs Potenzial hat, Leben zu retten. Eine kürzlich publizierte Mikro-Simulationsstudie konnte ausserdem zeigen, dass dies in der Schweiz mit grosser Wahrscheinlichkeit eine kosteneffektive Intervention ist (ca. 30 000 Schweizer Franken pro gerettetes Lebensjahr) (6). Bisher sind die USA, Grossbritannien und Polen die einzigen Länder, in denen das LDCT-Lungenkrebsscreening bereits eingeführt oder, nach Empfehlung verschiedener Fachgesellschaften, in Vorbereitung ist. In Europa warten eine Vielzahl Länder auf die Veröffentlichung der Ergebnisse der NELSON-Studie und Erneuerung der Gesundheitstechnologiebewertung, auf welchen die Einführung eines Lungenkrebs-Screening-Programms basiert sein wird. Die Verzögerung ist teilweise auch der Rate falsch positiver Untersuchungsresultate im NSLT mit potenziellen Nebenwirkungen invasiver diagnostischer Zusatzuntersuchungen oder Behandlungen geschuldet. Obwohl LDCT-Screening mit grosser Wahrscheinlichkeit kosteneffektiv sein wird (ein relativer Ausdruck), ist von substanziellen Mehrkosten (d.h. absoluten Kosten) auszugehen: Mit einer Teilnahmequote von 10% der für das Screening in Frage kommenden Personen wird der Mehraufwand mit ca. 16 Millionen Franken jährlich für die Schweiz beziffert.
Schweizer Dienstleister, unter anderem eine Stiftung (http://www.lungendiagnostik.ch/) mit assoziierten Privatspitälern, bieten bereits seit mehreren Jahren ein LDCT-Screening für asymptoma-tische Personen an.
In der Schweiz besteht gegenwärtig fürs Lungenkarzinomscreening ein Vakuum. Eine zukünftige Strategie wird für die nachhaltige Durchführbarkeit und Finanzierung eines hochqualitativen LDCT-Screening-Programms verschiedene Interessensgruppen berücksichtigen müssen, von potenziellen TeilnehmerInnen zu Leistungserbringern und verschiedenen Akteuren im öffentlichen Gesundheitswesen.

Aktuelle Daten und Evidenz

In der Schweiz wurde verschiedentlich versucht, die Auswirkung, Kosteneffizienz, Durchführbarkeit und Finanzierung von LDCT-Lungenkrebsscreening zu berechnen. Wie bereits erwähnt, konnte eine Modellierungsstudie zeigen, dass LDCT-Lungenkarzinomscreening potenziell die Mortalität in der Schweiz, einem Land mit hoher Raucherprävalenz mit akzeptablem Kosten-Risikoverhältnis reduzieren kann. Auch wenn die Durchführbarkeit bisher nicht systematisch untersucht wurde, zeigen erste Erfahrungen am Universitätsspital Zürich, dass die Integration eines Screening-Programms in die aktuelle klinische Routine mit substanziellen Personalressourcen und einer Anpassung der Prozesse sowie einer geeigneten Infrastruktur verbunden ist. So ist ein spezifisches Team in den Abteilungen für Radiologie, Pneumologie und Thoraxchirurgie notwendig, um den Anforderungen eines LDCT-Lungenkarzinom-Screening-Programms gerecht zu werden (Prof. T. Frauenfelder, mündliche Kommunikation). Diese Anpassungen betreffen im Übrigen auch nur diejenigen Menschen, welche sich tatsächlich einem Screening unterziehen möchten (vermutlich rund 10-20%). Für den ersten Schritt der Information über ein Screening-Programm und den Prozess der Entscheidungsfindung, ob man ein Screening-Zentrum aufsucht, gibt es derzeit noch keine Strukturen. In anderen Ländern (z.B. Polen) erfolgt dieser Schritt über Hausärzte, während man sich dafür in der Schweiz die Hausärzte, aber auch Gesundheitsorganisationen wie z.B. die Lungenliga, vorstellen könnte.
Die CH-LSIG, hat in einem Statement über LDCT-Lungenkrebsscreening die grundlegenden Anforderungen eines zukünftigen Früherkennungsprogramms festgehalten (7). In diesem Statement wird von 300 000 Frauen und Männern in der Schweiz ausgegangen, welche sich als Risiko-Zielgruppe potenziell für ein LDCT-Screening qualifizieren würden. Aufgrund der geographischen Verteilung von Dienstleistern und Zentren des Gesundheitswesens, welche ein Screening anbieten könnten, sowie der elektiven Natur der Untersuchung, kommt die Expertengruppe zum Schluss, dass ein landesweites Screening-Programm durchführbar wäre.
Daten zur Finanzierbarkeit eines LDCT-Lungenkrebs-Screening-Programms sind bisher unvollständig. Auch wenn die oben erwähnte Modellierungsstudie davon ausgeht, dass ein solches Früherkennungsprogramm mit grosser Wahrscheinlichkeit mit einem akzeptablen Kosten-Nutzen-Verhältnis unter 100 000 Schweizer Franken pro gerettetes Lebensjahr durchgeführt werden könnte, bestehen noch Unklarheiten über die absoluten Kosten und deren Verteilung zwischen potenziellen Kostenträgeren (Krankenversicherungen, TeilnehmerInnen im Screening-Programm, und Nicht-Profit-Organisation wie die Lungenliga).
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die Evaluierung und Entscheidung zur Etablierung eines nationalen Lungenkrebs-Screening-Programms bis zur Publikation der NELSON-Studiendaten verschoben.
Auch stehen bisher ungenügend Daten zur Verfügung über die Bereitschaft potenzieller TeilnehmerInnen im Screening-Programm, einen Teil der Kosten zu tragen oder bezüglich der Möglichkeit, dass Dienstleister die Kosten für notwendige Personalressourcen und Anpassung der Infrastruktur übernehmen würden.
Die anlässlich der Lungenkarzinom-Weltkonferenz im September 2018 präsentierten Ergebnisse der NELSON-Studie zeigten eine 26%ige relative Risikoreduktion bei Männern, was in medizi-nischen Fachgesellschaften international eine breite Unterstützung für den Aufbau nationaler Screeningprogramme ausgelöst hat (3). Dies wurde bereits im 2017 erschienen «European position statement on lung cancer screening» propagiert (8). Gegenwärtig wird in Polen ein Screening-Programm initiiert und in Grossbritannien erweitert das öffentliche Gesundheitswesen NHS das vorhandene Pilotprogramm. Auch etabliert die europäische Gesellschaft für thorakale Bildgebung (European Society for Thoracic Imaging, ESTI) einen Zertifizierungsprozess für Lungenkarzinomscreening bei Radiologen. Dieser wird von der Europäischen Gesellschaft für Radiologie unterstützt und basiert auf Webinaren sowie Kursen zur Diagnostik von Rundherden und dem Einsatz von Diagnostik-Software (computeraided diagnosis, CAD).
Trotzdem bleiben einige grundlegende Fragen bisher unbeantwortet, welche anhand des Screening-Prozesses illustriert werden können (Abb. 1). Ein wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass Lungenkrebs-Screening deutlich komplexer als die Durchführung einer einzelnen Screeninguntersuchung ist. Der Prozess beginnt mit einer Information der TeilnehmerInnen aus der Risikopopulation (z.B. 60- bis 80-jährig und mindestens 30 packyears Tabakrauchen oder zusätzliche/andere Kriterien). Ziel ist es, dass TeilnehmerInnen im Screeningprogramm eine informierte Entscheidung treffen können, ein LDCT durchzuführen. Nach dem ersten LDCT findet eine Konsultation statt, um die Untersuchungsergebnisse zu besprechen, Risikofaktoren zu thematisieren und zu entscheiden, welche Folgeuntersuchungen stattfinden sollen. Diese könnten bei einer suspekten Läsion entweder diagnostische Verfahren beinhalten oder weitere Nachkontrollen zur Folge haben. Der Screening-Prozess kann auch zu einer Behandlung führen, welche auch ein spezifisches Monitoring beinhaltet.
Es gibt zunehmend wissenschaftliche Evidenz für jeden Schritt des Screening-Prozesses. Sowohl die Studien NSLT, MILD, LUSI und NELSON, als auch die Modellierungsstudien von Tomonaga et al. werden zukünftig eine detaillierte Evaluierung des Prozesses über Nutzen, Nebenwirkungen und Kosten ermöglichen.

Relevanz des Lungenkarzinomscreenings im Schweizer Kontext

Lungenkrebs hat die höchste karzinomassoziierte Mortalität in der Schweiz und in Europa, hauptsächlich wegen der späten Diagnose im fortgeschrittenen Stadium, welches keinen kurativen Therapieansatz mehr zulässt. Mehrere Studien für Lungenkrebs-Screening mit LDCT zeigen eine klare Evidenz für eine signifikante Reduktion der Lungenkrebsmortalität.
Gegenwärtig werden in den USA Lungenkrebs-Screeningprogramme etabliert und mehrere europäische Länder folgen diesem Beispiel. In der Schweiz findet aktuell eine politische Debatte über die Kosten im Gesundheitswesen statt, mit Kritik an etablierten Präventionsmassnahmen wie das Screeningprogramm beim Mammakarzinom. Deshalb wird eine zukünftige Lungenenkrebsprävention eine evidenzbasierte Etablierung eines Screeningprogramms benötigen, unter aktivem Einbezug involvierter Interessensgruppen.
Die CH-LSIG unterstützt deshalb ein national koordiniertes Programm zur Erfassung und wissenschaftlichen Auswertung sämtlicher Daten und Outcomes. Ein «opportunistisches» Screening ausserhalb eines Programmes wird von der CH-LSIG nicht empfohlen. Wünschen Patienten trotzdem eine LDCT Untersuchung, sollten sie vorher umfassend über Risiko und Nutzen aufgeklärt werden.
Ein zukünftiges Schweizer Programm sollte über einen «bottom-
up»-Ansatz der verschiedenen Interessensgruppen etabliert und durch eine Implementierungsanalyse wissenschaftlich begleitet werden, mit dem primären Ziel, die Lungenkrebs-Mortalität zu senken und falsch positive Befunde zu reduzieren.
Eine solche breite und integrative Strategie bezweckt, alle Interessensgruppen während des Implementierungsprozesses zu integrieren, was sowohl national als auch international ein innovativer Ansatz ist. Die Schweiz kann daher eine wichtige Rolle in der Einführung eines LDCT Lungenkarzinom Screeningprogramms spielen, welches auf der besterhältlichen Evidenz basiert und die Stärken des Schweizer Gesundheitssystems nutzt.

Offene Fragen zur Durchführbarkeit

  • Welche Organisationen interagieren mit potenziellen TeilnehmerInnen aus der Risikopopulation für das Screening?
  • Welche Kriterien definieren die Risikopopulation, um eine minimale «number needed to screen» und «number harmed» zu gewährleisten?
  • Welche Aspekte behindern und welche vereinfachen die nachhaltige Etablierung eines LDCT-Screening-Programms für Dienstleister im Gesundheitswesen?
  • Welche Anbieter im Gesundheitswesen etablieren interdisziplinäre Teams und stellen die notwendige Infrastruktur zur Verfügung, um ein LDCT-Screening-Programm anzubieten?
  • Wie wird Rauchentwöhnung im LDCT-Screening-Programm integriert, um die maximale Anzahl RaucherInnen zu erreichen?
  • Welches Screening-Regime sollte die Schweiz einsetzen, welches sind die Details vom LDCT-Screening-Programm?
  • Wie und durch wen werden Rundherde detektiert, analysiert und befundet, welcher Algorithmus wird zum Management implementiert?
  • Welches sind die Optionen für die Datenerfassung, ein Register und ein begleitendes Qualitätsprogramm in der Schweiz?

Offene Fragen zur Finanzierung und Nachhaltigkeit

  • Wie werden Information, Konsultationen und Spirometrie vor dem LDCT finanziert? Sind TeilnehmerInnen bereit, einen Teil der Kosten selber zu tragen?
  • Könnte eine zusätzliche Tabaksteuer einen Teil des LDCT-Screening-Programms finanzieren?
  • Wie hoch müsste die Kostenübernahme der obligatorischen Krankenkasse sein, um eine nachhaltige Etablierung eines LDCT-Screening-Programms zu gewährleisten?
  • Wie finanzieren Dienstleister im Gesundheitswesen Personalressourcen, zusätzliche technische Ausrüstung, Ausbildung und Infrastruktur unabhängig von der Rückerstattung durch Krankenkassen?
  • Wie werden Datenerfassung, Register und Qualitätsprogramme finanziert?
  • Wie wird mit Zufallsbefunden umgegangen (z.B. kardiovaskuläre Erkrankungen), um hohe und unnötige Kosten für das Gesundheitssystem zu vermeiden?

Prof. Dr. med. Paola Gasche-Soccal, Service de Pneumologie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genève
Dr. med. Catherine Beigelmann-Aubry, Service de Radiodiagnostic et Radiologie Interventionnelle, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne
Prof. Dr. med. Thomas Frauenfelder, Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie, Universitätsspital Zürich, Zürich
Prof. Dr. med. Oliver Gautschi, Medizinische Onkologie, Luzerner Kantonsspital, Luzern
Prof. Dr. med. Isabelle Schmitt-Opitz, Klinik für Thoraxchirurgie, Universitätsspital Zürich, Zürich
Dr. med. Yuki Tomonaga, Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention, Universität Zürich, Zürich
Prof. Dr. med. Stefan Neuner-Jehle, Kollegium für Hausarztmedizin, Zürich
Prof. Dr. med. Oliver Senn, Institut für Hausarztmedizin, Universität Zürich, Zürich
Dr. med. Alexander Turk, Klinik für Innere Medizin, See-Spital, Horgen und Kilchberg
Prof. Dr. med. Milo Puhan, Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention (EBPI), Universität Zürich, Zürich

Prof. Dr. med.Christophe von Garnier

Centre Hospitalier Universitaire Vaudois
Lausanne

christophe.von-garnier@chuv.ch

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4 Pastorino U, Silva M, Sestini S, et al. Prolonged Lung Cancer Screening Reduced 10-year Mortality in the MILD Trial. Ann Oncol 2019; published online April 1. DOI:10.1093/annonc/mdz117.
5 Becker N, Motsch E, Trotter A, Heussel CP, et al. Lung cancer mortality reduction by LDCT screening-Results from the randomized German LUSI trial. Int J Cancer. 2019 Jun 4. doi: 10.1002/ijc.32486.
6 Tomonaga Y, ten Haaf K, Frauenfelder T, et al. Costeffectiveness of low-dose CT screening for lung cancer in a European country with high prevalence of smoking—A modelling study. Lung Cancer 2018. DOI:10.1016/j.lungcan.2018.05.008.
7 Frauenfelder T, Puhan MA, Lazor R, et al. Early detection of lung cancer: A statement from an expert panel of the swiss university hospitals on lung cancer screening. Respiration 2014; 87: 254–64.
8 Oudkerk M, Devaraj A, Vliegenthart R, et al. European position statement on lung cancer screening. Lancet Oncol. 2017. DOI:10.1016/S1470-2045(17)30861-6.

Protektiver Knochenumbau bei Patienten mit Multiplem Myelom

In der Schweiz erkranken ca. 570 Menschen pro Jahr an einem Multiplen Myelom oder einem Plasmozytom. Männer erkranken etwas häufiger als Frauen, über die Hälfte der Patienten sind älter als 70 Jahre. Bei Erstdiagnose sind neben der Anämie (73%) ossäre Manifestationen am häufigsten: 70% der Patienten haben Osteolysen, 26% pathologische Frakturen, 22% Kompressionsfrakturen, 23% eine Osteoporose und nur 21% haben einen unauffälligen ossären Befund (1). Im Verlauf der Erkrankung treten bei ca. 80% der Patienten Osteolysen auf und ca. 43% erleiden pathologische Frakturen (2). Die Behandlung und Prävention von ossären Komplikationen beim Multiplen Myelom ist daher ein wichtiger Baustein im therapeutischen Gesamtkonzept.

Das Multiple Myelom ist eine maligne hämatologische Erkrankung und entsteht durch eine klonale Vermehrung von Plasmazellen im Knochenmark. Nach den WHO Kriterien zählen die Multiplen Myelome zu den reifen B-Zell Neoplasien (3). Diagnostische Kriterien für das Multiple Myelom sind > 10% klonale Plasmazellen im Knochenmark, Endorganschäden durch das Myelom (CRAB-Kriterien; C: Hyperkalzämie; R: Niereninsuffizienz; A: Anämie; B: ≥ 1 Osteolyse im Röntgen, CT o. PET-CT) sowie ≥ 1 Biomarker für Malignität (SLiM-Kriterien S: ≥ 60% klonale Plasmazellen im Knochenmark, Li: Leichtkettenratio ≥ 100, M: > 1 Osteolyse im MRI) (4).
Osteolysen finden sich bei Erstdiagnose bei 70% der Patienten. Diese können zu Frakturen der langen Röhrenknochen oder Kompressionsfrakturen der Wirbelkörper führen. Im lebenden Knochen besteht ein Gleichgewicht zwischen physiologischem Knochen Ab- und Aufbau. Beim Myelom ist dieser Prozess durch eine vermehrte Osteoklasten- und verminderte Osteoblasten-Aktivität bei gleichzeitiger durch die Myelomzellen vermittelten Apoptose der Osteozyten und dadurch verändertem Micro-Environment im Knochenmark gestört. Dadurch kommt es zu einer Dysregulation des Knochenstoffwechsels und in der Folge zu einem Knochenabbau mit skelettalen Komplikationen (Schmerzen, Frakturen, Hyperkalzämie und Myelonkompression) (5).
Bisphosphonate sind Medikamente, die die Knochenresorption verhindern können. Sie binden an das Hydroxyapatit des Knochens und werden mittels Endozytose durch die Osteoklasten aufgenommen. Durch intrazelluläre Prozesse kommt es zur Apoptose der Osteoklasten (Abb. 1). Es werden zwei Gruppen von Bisphosphonaten unterschieden – ohne (z.B. Clodronat) und mit Aminogruppe (z.B. Pamidronat, Ibandronat). Bisphosphonate mit Aminogruppe haben eine 10- bis 100-fach höhere Potenz der Osteoklastenhemmung, heterozyklische Aminobisphosphonate (z.B. Zoledronsäure) weisen eine 100- bis 10 000-fach höhere Potenz auf. In der Schweiz ist beim Multiplen Myelom nur Zoledronsäure zugelassen (Tab. 1).

Der RANK-Ligand-Antikörper Denosumab (XGEVA®) bindet an den RANK-Liganden und verhindert damit die Aktivierung des Osteoklasten, indem die Bindung des RANK-Liganden an RANK auf der Osteoklastenoberfläche verhindert wird (Abb. 1). Denosumab imitiert damit die endogene Wirkung des Osteoprotegerin (6). Der RANK-Ligand Antikörper ist bisher nur bei ossären Metastasen solider Tumore in Kombination mit einer antineoplastischen Therapie zugelassen und kassenpflichtig.

Indikation für eine osteoprotektive Therapie

Eine Therapie mit Bisphosphonaten beim Multiplen Myelom ist bei Knochenbeteiligung (≥ 1 Osteolyse) klar indiziert (7). Bei Patienten ohne Osteolysen ist die Evidenz nicht klar, randomisierte Studien zu dieser Fragestellung fehlen. In den ASCO-Guidelines 2018 wird vom Expertenpanel bei Patienten mit Multiplem Myelom und Osteopenie ohne Nachweis von Osteolysen eine Bisphosphonat-Gabe unterstützt (8). In den Guidelines der International Myeloma Working Group (IMWG) ist die Bisphosphonat-Gabe für symptomatische Patienten ohne Osteolysen im konventionellen Röntgen eine «kann»-Empfehlung (IB) mit dem Hinweis, dass der Nutzen für Patienten ohne Nachweis von knöchernen Läsionen im MRT oder PET-CT nicht belegt ist (9). Für asymptomatische
Patienten mit Osteopenie ohne ossären Befall sowie für Patienten mit Smoldering Myeloma, Plasmozytom oder einem indolenten Myelom wird eine Bisphosphonat-Gabe nicht empfohlen (8, 9).

Bisphosphonate und Multiples Myelom

Bei Patienten mit Multiplem Myelom und mindestens einer ossären Läsion führt der Einsatz von Bisphosphonaten zu einer Reduktion von Schmerzen, reduziert die Gesamtzahl von Skelett bezogenen Ereignissen (SREs) und von Wirbelkörperfrakturen. Einzelne Studien konnten einen Überlebensvorteil für Zoledronsäure im Vergleich zu keiner Therapie oder Clodronat bzw. Pamidronat zeigen (10-13). Allerdings zeigte sich in einer grossen Meta-Analyse (Cochrane Gruppe 2017, 15 randomisiert-kontrollierte Studien, 4866 Patienten) durch den Einsatz von Bisphosphonaten keine Verlängerung des Gesamtüberlebens bzw. des Überlebens ohne Fortschreiten der Erkrankung. Eine Evidenz für die Überlegenheit eines Bisphosphonates für die Endpunkte: alle SREs, vertebragene Frakturen oder PFS zeigte sich ebenfalls nicht (7). Die Dauer der Bisphosphonatgabe (2 Jahre, kontinuierliche Gabe) sowie das Intervall (alle 4 oder 12 Wochen) ist Gegenstand aktueller Diskussionen. Belastbare Daten zur Dauer der Bisphosphonatgabe liegen nicht vor. Bei der Dauer der Bisphosphonatgabe spielen vor allem der Remissionsstatus der Erkrankung sowie das Ausmass der Knochenbeteiligung eine Rolle. In den Guidelines wird eine Gabe über 2 Jahre empfohlen, im ersten Jahr alle 4 Wochen, danach kann nach individueller Entscheidung bei Erreichen einer CR eine Gabe alle 12 Wochen erwogen werden. Nach zwei Jahren kann bei gutem Ansprechen das Bisphosphonat bis zum Progress pausiert werden (8, 9). Hinsichtlich des Intervalls der Bisphosphonat-Gabe konnte eine 2017 publizierte Studie zeigen, dass die Gabe von Zoledronsäure alle 12 Wochen der Gabe alle 4 Wochen bei Patienten mit Prostatakarzinom, Mammakarzinom oder mit Multiplem Myelom nicht unterlegen ist (14). Bei einer schweren Niereninsuffizienz mit einer Kreatinin-Clearance < 30 ml/min sollen Bisphosphonate nicht eingesetzt werden.

Denosumab und Multiples Myelom

Der RANK-Ligand Antikörper Denosumab ist in der Schweiz für das Multiple Myelom noch nicht zugelassen. Das liegt zum Teil daran, dass eine ad hoc Subgruppenanalyse bei Patienten mit Multiplem Myelom in der Zulassungsstudie (Henry et.al (14): Denosumab versus Zoledronsäure bei Pat. mit soliden Tumoren und Myelom) einen Überlebensvorteil in der Zoledronsäuregruppe gezeigt hatte (HR: 2.26; 95% CI 1.13–4.50; p = 0.014) (15). Dieser Unterschied wurde auf Imbalancen in den Baseline-Kriterien der Patienten zurückgeführt. Die Nachfolgestudie (Zoledronsäure versus Denosumab; ausschliesslich bei Patienten mit Multiplem Myelom)(16) ergab für die primären Endpunkte OS, PFS; AE, Zeitpunkt zum Auftreten des ersten SRE, sowie alle nachfolgenden SREs keine signifikanten Unterschiede (OS: HR 0.90, 95% CI (0.70-1.16) p=0.41, PFS: HR 0.82, 95% CI (0.68-0.99); deskriptive p=0.036, AE/SAE: 96%/53% im Denosumab-Arm, 97%/56% im Zoledronsäure-Arm). Basierend auf diesen Daten ist Denosumab der Zoledronsäure nicht unterlegen und kann auch bei Niereninsuffizienz eingesetzt werden, ist allerdings in der Schweiz für das Multiple Myelom nicht zugelassen.

Kieferosteonekrosen

Osteonekrosen des Kiefers gehören zu den seltenen, aber sehr belastenden Nebenwirkungen einer Therapie mit Bisphosphonaten oder dem RANK-Ligand-Antikörper Denosumab. Die Inzidenz liegt bei 1-3% und steigt mit der kumulativen Dosis der Bisphosphonate (Behandlungsdauer von 4-12 Monaten: 1.5%, bei 37-48 Monaten: 7.7%) (17). Patienten müssen daher vor Einleitung einer Therapie über die Gefahr aufgeklärt werden, zahnärztlich untersucht und auf die Einhaltung einer optimalen Zahn- und Mundhygiene aufmerksam gemacht werden. Sind invasive Eingriffe am Kieferknochen unter einer laufenden Therapie unumgänglich, sollte die Therapie vorher unterbrochen und erst nach Abschluss der Wundheilung wieder aufgenommen werden.

Vitamin D und Kalzium

Bisphosphonate und RANK-Ligand-Antikörper hemmen die Osteoklastenaktivität und reduzieren dadurch die Calciumfreisetzung aus dem Knochen. Daher tritt häufig eine Hypokalzämie auf (18 - 21), bei Gabe eines RANK- Ligand-Antikörpers deutlich häufiger als bei der Gabe eines Bisphosphonates (18, 20 - 22). Bei der Gabe eines RANK-Ligand-Antikörpers wird daher gleichzeitig die Substitution von Vitamin D und Calcium (400 mg Calcium, 800IE Vitamin D täglich), ausser bei bereits initial bestehender Hyperkalzämie, empfohlen. Zu beachten ist, dass bei Erstdiagnose eines Multiplen Myeloms initial bei 13% aller Patienten eine Hyperkalzämie vorliegt (1).

PD Dr. med. Karin Hohloch

Abteilung Hämatologie und Onkologie
KSGR Chur
Loëstrasse 170
7000 Chur

Karin.Hohloch@ksgr.ch

Die Autorin gibt an, dass für diese Publikation kein Interessenskonflikt vorliegt.

Ossäre Komplikationen beim Multiplen Myelom sind häufig und können die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigen.

  • Bei Osteolysen ist Zoledronsäure die Therapie der Wahl.
  • Bei Patienten mit symptomatischem Myelom ohne Osteolysen gibt es keine Evidenz für die Gabe von Bisphosphonaten, sie wird aber im Allgemeinen empfohlen.
  • Der RANK-Ligand-Antikörper Denosumab ist eine Alternative insbesondere bei Niereninsuffizienz, ist aber in der Schweiz für diese Indikation nicht zugelassen.
  • Die 12-wöchige Gabe von Zoledronsäure ist der 4-wöchigen Gabe nicht unterlegen.
  • Zur Dauer der osteoprotektiven Therapie beim Myelom gibt es keine belastbaren Daten, in der Regel wird die Therapie mindestens über
    2 Jahre fortgeführt.

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Ein Fall von Diabetes mellitus

Fallvorstellung

79-jährige Patientin stellt sich in Ihrer Hausarztpraxis wegen Müdigkeit, Appetitreduktion, trockenem Mund und vermehrtem Durstgefühl vor. Die rüstige Rentnerin fühlt sich nicht mehr fähig den Haushalt zu machen, weil sie seit etwa einer Woche so schwach auf den Beinen ist. Wegen dem vermehrten Durstgefühl meint sie selber, dass sie einen Diabetes mellitus haben könnte, weil sie das von ihrer Grossmutter und Tante so kennt. Auf Nachfragen hat sie in den letzten 10 Jahren ungewollt ca. 10 kg an Gewicht verloren. Weil sie sich quasi nie bei Ihnen meldet, war das bis anhin unbemerkt. Sie ist immer obstipiert und kann das mit «Hausmitteln» und Bulboid-Zäpfchen (Glycerin) kontrollieren. Durchfall-Episoden, Fettstühle oder Oberbauchschmerzen hat sie nie. Alkohol trinkt sie nur selten an speziellen Anlässen.

Persönliche Anamnese

Hysterektomie und Appendektomie vor vielen Jahren, sonst gesund.

Medikation

Bulboid Supp bei Bedarf
Kytta Rheumasalbe bei Bedarf
Venostasin Salbe bei Bedarf

Status:

BD 140/68 mmHg, Puls 92 regelmässig, SO2 97%,
Temperatur 36.8°C,
Gewicht 55 kg,
Grösse 153 cm, BMI 23kg/m2
Herz-, Lungen- und Abdomenuntersuchung bland.

Labor:

HbA1c 12.3%, Plasmaglucose 17 mmol/l, Kreatinin 58 µmol/l, eGFR CKD-EPI 96ml/min
HDL-C 1.3 mM, TG: 1.1 mM, LDL-C 1.8 mM, TC 3.0 mM
Ketokörper im Urin: ++
Ferritin und Transferrinsättigung normwertig
normale Pankreas-1-Elastase im Stuhl.

Fragen:

1. Was wäre die beste Therapieoption?
A. Metformin
B. DPP4-Hemmer
C. SGLT2-Hemmer
D. Insulin
E. GLP1-Rezeptor Agonist

Richtige Antworten: C, D (Insulin ist nie falsch), E (Bei GLP-1 Rezeptor Agonist braucht es einen BMI > 28kg/m2)

2. Ist die Gabe eines SGLT-2 Hemmers wirklich das beste Vorgehen?

A. Nein, damit die Kassen bezahlen, muss der SGLT-2 Hemmer mit Metformin kombiniert werden.
B. Vor Einleitung der Therapie ist die erste und wichtigste Frage: Braucht die Patientin Insulin?
C. Bei einer so guten Nierenfunktion braucht es keinen SGLT-2 Hemmer, ein DPP-4 Hemmer wäre besser.
D. Therapie mit Metformin für 3-6 Monate. Nur wenn sich das HbA1c nicht senken lässt, Zugabe eines weiteren Medikamentes.

Beste Antwort B, A ist allerdings auch richtig. Nach neusten Empfehlungen ist eine frühe Kombinationstherapie von SGLT-2 Hemmern und GLP-1 RA mit Metformin empfohlen.

3. Welche Aussagen treffen zu (mehrere richtige Antworten möglich)

A. Normwertige Anti-GAD sind nicht vereinbar mit einem Diabetes mellitus Typ 1.
B. Erhöhte Ketonkörper im Urin sind beweisend für eine Ketoazidose.
C. Ein fehlendes metabolisches Syndrom mit Fehlen von viszeraler Adipositas, normalen Triglyzeriden und normalem HDL-C und Fehlen einer arteriellen Hypertonie spricht gegen einen Typ 2 Diabetes.
D. Ein Gewichtsverlust und ein hohes HbA1c ist typisch bei Insulinmangel.
E. Ein nüchtern gemessenes C-Peptid von 250 pmol/l spricht gegen einen absoluten Insulinmangel und gegen einen Typ 1 Diabetes.

Richtige Antworten: C und D

Diskussion:

Die Anamnese vom Gewichtsverlust, Polyurie und Polydipsie ist typisch für einen Insulinmangel. Bei der schlanken Patientin spricht das für ein absolutes Insulinsekretionsdefizit, weil keine periphere Insulinresistenz zu erwarten ist. Die erhöhten Ketonkörper im Urin repräsentieren das katabole Zustandsbild. Sie sind nicht spezifisch für eine Ketoazidose und können in allen Mangelernährungssituationen, auch bei kurzfristigem Fasten, erhöht sein wie in der aktuellen Situation. Das Fehlen eines metabolischen Syndroms (normale Lipide, normales Gewicht, normaler Blutdruck), der Gewichtsverlust und das hohe HbA1c sprechen für einen Typ 1 Diabetes. Eine Insulintherapie ist in dieser Situation die einzig richtige Option. Die Therapie mit einem SGLT-2-Hemmer in diesem Fall kann zu einer, typischerweise euglykämen, Ketoazidose führen.
Bezüglich dem Diabetes Typ besteht bei normalem Ferritin/Transferrinsättigung kein Hinweis auf eine Hämochromatose. Ohne Dyslipidämie ist eine periphere Insulinresistenz im Rahmen eines Diabetes mellitus Typ 2 unwahrscheinlich. Ohne gastrointestinale Symptome (Diarrhoe, Fettstühle etc.) und bei normwertiger Pankreas-1-Elastase im Stuhl ist ein pankreatopriver Diabetes ebenfalls unplausibel.
Zum biochemischen Nachweis eines Insulinmangels kann nüchtern ein C-Peptid zusammen mit der Glukose gemessen werden. Bei Werten < 0.3 nmol/l ist ein Mangel wahrscheinlich und bei einem Wert > 0.6 nmol/l eher ausgeschlossen. Bei einem HbA1c > 7.5% kann das C-Peptid erst nach Rekompensation beurteilt werden, weil hohe Plasmaglukosewerte zu glukotoxischer Hemmung der Insulinsekretion führen und dann falsch tiefe C-Peptid-Werte gemessen werden. Im geschilderten Fall wurde nach 3 Tagen Therapie mit Basis-Bolusinsulin-Therapie ein C-Peptid von < 0.1 nmol/l gemessen.
Zusammenfassend spricht alles für eine Neudiagnose eines Diabetes mellitus Typ 1, welcher in jedem Alter auftreten kann. Die im Verlauf deutlich erhöhten Anti-GAD-Antikörper beweisen die Diagnose. Normwertige Anti-GAD und übrige Diabetes mellitus Typ 1-Antikörper (Anti-IA2, Anti-ZnT8) schliessen einen Diabetes mellitus Typ 1 nicht aus, weil es auch Fälle von Typ 1 Diabetes gibt, welche keine positiven Antikörper haben (ca. 10%).

Prof. Dr. med.Roger Lehmann

UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zurich

Roger.Lehmann@usz.ch

Dr. med. Matthias Ernst

USZ Zürich

matthias.ernst@usz.ch

RL: Teilnahme an Advisory Boards und Referentenhonorare von Novo
Nordisk, Sanofi, MSD, Boehringer Ingelheim, Servier und Astra Zeneca.
ME: Reise- und Kongressspesen von Novo Nordisk, Eli Lilly und Ipsen.

Die erste Frage hinsichtlich Therapie eines neu diagnostizierten Diabetes mellitus: Benötigt der Patient Insulin? Bei schlanken Patienten mit Gewichtsverlust, Polyurie und Polydipsie und bei einem HbA1c >10% ist Insulin die Therapie der ersten Wahl. Grundsätzlich ist Insulin als erster therapeutischer Schritt nie falsch. Danach besteht genug Zeit für die Abklärung des Diabetestyps und entsprechend optimal angepasste Therapie.

Prävention broncho-pulmonaler Infektionen

Die meisten Atemwegsinfektionen in der nasskalten Jahreszeit bei Gesunden sind virale Infekte (u.a. Rhino- und RS Viren). Antibiotika-Gabe darum nur bei nachgewiesenem bakteriellem Infekt (Pneumonie, hohes CRP). Ein zu früher Einsatz von Antibiotika fördert Resistenzen und schädigt die bakterielle Normalflora.

Die allgemeinen Massnahmen zur Vermeidung solcher Infekte sind in der Tab. 1 zusammengefasst. Bei Kranken und älteren Personen werden zusätzliche Massnahmen gemäss Tab. 2 empfohlen. Der Sinn von Behandlungen zur Stimulierung des Immunsystems zur Vorbeugung von winterlichen Atemwegsinfekten wurde kontrovers beurteilt.
Eine kürzlich publizierte Studie (1) hat den gegenwärtigen Stand des Wissens zusammengestellt (Tab. 4.)
Nur bei stark vermehrter Infekt-Anfälligkeit (Tab. 3) und hospitalisierten Patienten mit Pneumonie / Bronchitis werden Sputum-Kontrollen mit Resistenzprüfung durchgeführt resp. wird ein schneller Ausschluss einer bakteriellen Infektion angestrebt! Blutbild, CRP. Möglichst resistenzgerechte Antibiose!

Dr. med. Jürg Barandun

LungenZentrum Hirslanden
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

Der Autor hat in Zusammenhang mit dem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

1. Germann, M et al: Immunstimulation zur Prävention und Therapie von akuten Luftwegsinfektionen: Primary and Hospital Care-Allg. Innere Medizin 2019;19:345-349

Hot Topics rund ums Impfen

Hygiene, antimikrobielle Medikamente und Impfungen haben seit dem Jahre 1900 zu einem massiven Rückgang der Sterblichkeit an Infektionen geführt. Der Schutz durch Impfungen gilt nicht nur dem Individuum, sondern auch der gesamten Bevölkerung. Zum Schutz von immunsupprimierten Patienten gehört auch die Impfung der diese umgebenden Personen (u.a. Influenza). Dieses Thema stiess an der SGAIM Herbsttagung auf grosses Interesse der Zuhörer.

Prof. Dr. med. Anneliese Zinkernagel

Von den 10 Haupt-Todesursachen im Jahre 2019 waren 6 infektiologische Themen: Globale Influenza Pandemie, antimikrobielle Resistenz, Ebola und andere hochgefährliche Krankheitserreger, Impfzögern, Dengue-Fieber und HIV, stellte Prof. Dr. med. Annelies Zinkernagel, Zürich fest.
Hygiene, antimikrobielle Medikamente und Impfungen haben seit dem Jahre 1900 zu einem massiven Rückgang der Sterblichkeit infolge von Infektionen geführt. Der Schutz durch Impfungen gilt nicht nur dem Individuum, sondern auch der gesamten Bevölkerung. Zum Schutz immunsupprimierter Patienten gehört u.a. auch die Impfung gegen Influenza der sie umgebenden Personen.

Schweizer Impfplan 2019:

4 Empfehlungskategorien
1. Routineimpfungen: alle Personen in der Schweiz
Unerlässlich für die individuelle und die öffentliche Gesundheit
DTPa, Hib, IPV, MMR, HB und dT
2. Empfohlene ergänzende Impfungen: optimaler individueller Schutz

3. Empfohlene Impfungen für Risikogruppen: spezifischer Schutz für Personen mit besonderen Risiken

  • Beruflich Exponierte: HB, Varizellen, Zeckenencephalitis, Tollwut
  • Reisende: Gelbfieber, HA, Meningokokken, Tollwut
  • Patienten mit besonderem Risiko für invasive Infektionen und Komplikationen

4. Impfungen ohne Empfehlungen

Patienten mit besonderem Risiko für invasive Infektionen

Physiologisch: Schwangerschaft, Altersextreme: Frühgeborene und Senioren
(+ bekapselte Bakterien: Kinder < 2 Jahre, siehe Impfplan)
Pathologisch Angeborene oder erworbene Immundefekte, medikamentöse Immunsuppression (Onkologika, Transplantationen, Immunsuppressiva – Biologicals)
Asplenie (anatomisch oder funktionell)
Chronische Erkrankungen mit erhöhtem Risiko für invasive oder kompliziert verlaufende Infektionen. Der Impfschutz von Risikopersonen ist nur begrenzt möglich: deshalb zusätzlich Cocoon Strategy, d.h.
Eltern/Partner: Influenza, Varizellen, MMR, Pertussis
Kinder/Geschwister: Influenza, Varizellen, MMR, dTPa, Hib, PCV13
Gesundheitspersonal: Varizellen, Influenza, MMR, Pertussis
Der Schweizerische Impfplan 2018 ist in der Tabelle 1 wiedergegeben.

Schweizerischer Impfplan 2019: Kostenübernahme / Indikationen

  • Routineimpfungen – alle Personen in der Schweiz
    wird von obligatorischer Krankenversicherung übernommen (abzüglich Selbstbehalt und Franchise)
  • SUVA übernimmt die Kosten für eine dTpa-Impfung bei post-expositioneller Impfung nach Unfall
    HPV-Impfung: Basisimpfung von Mädchen und jungen Frauen wird ohne Kostenfolge und von der Franchise befreit übernommen. Ergänzende

Impfungen gegen HPV werden im Rahmen von kantonalen Programmen für Frauen im Alter von 20-26 Jahren und Jungen/Männern im Alter von 11-26 Jahren von der OKP und von der Franchise befreit übernommen, sofern die erste Impfung des Impfschemas vor dem 27. Geburtstag gegeben wird.
Ergänzende Impfung gegen Meningokokken: Seit dem 1. März 2019 werden die Kosten für die ergänzende Impfung der Meningokokken-Serogruppen A, C, W, Y im Rahmen der zugelassenen Altersfenster durch die obligatorische Krankenversicherung übernommen (abzüglich Selbstbehalt und Franchise).

  • Kinder im Alter von 2 Jahren: 1 Dosis (Nachholimpfung bis zum 5. Geburtstag)
  • Jugendliche im Alter von 11-15 Jahren: 1 Dosis (Nachholimpfung bis zum 20. Geburtstag)

FSME: Die Kosten für die FSME-Impfung bei Personen, die in Gebieten mit Impfempfehlung wohnen oder sich zeitweise dort aufhalten (ohne untere Zeitlimite für den Aufenthalt), werden bei ärztlicher Verordnung durch die obligatorische Krankenversicherung bzw. bei beruflicher Exposition durch den Arbeitgeber vergütet.
Herpes Zoster: Die empfohlene ergänzende Impfung gegen Herpes Zoster wird durch die OKP nicht vergütet.

Hepatitis-A-Impfung

für Personen mit erhöhtem Expositions- oder Komplikationsrisiko – zur primären Prävention ab dem Alter von 1 Jahr bei folgenden Personen indiziert:
1. Personen mit einer chronischen Lebererkrankung
2. Reisende in Ländern mit mittlerer und hoher Endemizität
3. Kinder aus Ländern mit mittlerer bis hoher Endemizität, die in der Schweiz leben und für einen vorübergehenden Aufenthalt in ihr Herkunftsland reisen.
4. Drogenkonsumierende
5. Männer mit sexuellen Kontakten zu Männern
6. Personen mit engem beruflichen Kontakt zu Drogenkonsumierenden
7. Personen mit engem beruflichem Kontakt zu Personen aus Ländern mit hoher Endemizität
8. Kanalisationsarbeiter und Angestellte in Kläranlagen
9. Laborpersonal, das mit Hepatitis-A-Viren arbeitet
Die Kosten der Impfung werden im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei allen oben angeführten Personen mit erhöhtem Hepatitis-A-Risiko übernommen (inkl. postexpositioneller Impfung innert 7 Tagen). Dies gilt nicht für Reisende oder berufliche Indikation.

Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV)

(Auch Knaben impfen).
Alle Mädchen + Knaben 11-14 Jahre, 2 Dosen: 0,6 Monate
Mädchen, Frauen + Knaben, Männer 15 bis 25 Jahre, 3 Dosen, Schema 0 – 1-2 – 6 Monate
Impfstoff 4-valent( Gardasil®): alle.
Ab 2019 ersetzt durch Gardasil® 9.
Natürliche HPV-Infektion: Serokonversion bei 54-60% der Frauen, bei 7-10% der Männer. Niedrige Antikörpertiter. Partielle Protektion gegen Reinfektion bei Frauen, keine Protektion bei Männern, aber beinahe 100% Serokonversion nach HPV-Impfung bei beiden Geschlechtern.

Warum sind Impfstoffe «besser» als die Natur?

Bei der natürlichen Infektion entsteht keine Virämie, schlechter Zugang des Virus zu den Lymphknoten.
Die HPV-Vakzinen werden intramuskulär appliziert, schneller Zugang der Virus-ähnlichen Partikel zu den Blutgefässen und den lokalen Lymphknoten. Virus-ähnliche Partikel sind sehr immunogen, weisen viele neutralisierende Epitope auf (mehr als das native Virion), induzieren gute T-Helferzellantwort für B-Zellen, sind wichtig für robuste Antikörper und B-Memory-Zellantwort. Der markante Rückgang der genitalen Warzen bei Frauen in Australien zwischen 2000 und 2011 ist vermutlich auf das HPV-Impfprogramm zurückzuführen. In Grossbritannien wurde auch bei den zervikalen intraepithelialen Neoplasien ein Rückgang als Folge der HPV-Impfung festgestellt.
Die Neuerungen bei der HPV-Impfung im Impfplan 2019 umfassen den Ersatz des bivalenten durch den quadrivalenten Impfstoff (Gardasil®9); dadurch entsteht zusätzlicher Schutz gegen 5 onkogene HPV-Typen. Das Impfschema bleibt unverändert für Mädchen und Jungen, keine Nachholimpfungen. Voraussetzung für Kostenübernahme durch OKP ist die Impfung im Rahmen der kantonalen HPV-Impfprogramme.

Meningokokken

Invasive Meningokokken-Infektionen in der Schweiz, Inzidenz nach Serogruppen 2008-2017:
15% sind asymptomatische Träger; 2008 B: 28%, C: 28%, W 2%; 2017: B 18%, C 16%, W 42%,Y 20%.

Neue Impfempfehlungen 2018 für Meningokokken:

Bisherige Empfehlungen gegen invasive Meningokokken-Erkrankungen (IME):
12-15 Monate: 1 Dosis MCV-C; catch up bis zum 5. Geburtstag
11-15 Jahre: 1 Dosis MCV-C; catch up bis zum 20. Geburtstag
Risikogruppenempfehlung (Risiko einer invasiven Infektion bzw. Expositionsrisiko)
2-11 Monate 3 Dosen MCV-C; Booster MCV-ACWY alle 5 Jahre bei fortbestehendem Risiko
≥12 Monate: 2 Dosen MCV-ACWY (Immundefizienz)
1 Dosis MCV-ACWY (Exposition, z.B. Reisen, Arbeit im Labor)
Booster alle 5 Jahre bei fortbestehendem Risiko
Rekruten 1 Dosis MCV-C
Aktualisierte Empfehlungen gegen IME
Ergänzende Impfempfehlung (gesunde Individuen ohne Risiko)
24 Monate: 1 Dosis MCV ACWY catch-up bis zum 5. Geburtstag
11-15 Jahre : 1 Dosis MCV-ACWY; catch-up bis zum 20. Geburtstag
Risikoempfehlung (Risiko einer invasiven Infektion bzw. Expositionsrisiko)
2-11 Monate: 4 Dosen MCV-ACWY (2 – 3 – 4 – 12 Monate). Booster alle 5 Jahre bei fortbestehendem Risiko.
≥ 12 Monate: 2 Dosen MCV-ACWY (Immundefizienz, Intervall 4-8 Wochen)
1 Dosis MCV-ACWY (Exposition, z.B. Reise, Arbeit im Labor)
Booster alle 5 Jahre bei fortbestehendem Risiko
Rekruten: 1 Dosis MCV-ACWY

Masernimpfung: der Zeitpunkt spielt eine Rolle

Das Masern-Virus ist einer der am stärksten ansteckenden Krankheitserreger des Menschen. In einer 100% anfälligen Population führt ein einziger Fall von Masern zu 12 bis 18 sekundären Fällen, im Durchschnitt. Die Impfung ist deshalb von zentraler Bedeutung bei der Bekämpfung dieser Krankheit. Der Nestschutz gegen Masern besteht während den ersten 6 Monaten. Die Impfungen erfolgen im Alter von 13 und 25 Monaten. 61% der ½- bis 2-Jährigen und 49% der ½- bis 3-Jährigen sind also nicht geschützt. Schutz durch 2 dokumentierte MMR-Impfungen, Impfstatus kontrollieren, Impflücken schliessen (alle jünger als 1963). Die Empfehlung durch den Arzt spielt eine Schlüsselrolle!

Schweizer Impfplan 2019: Booster

Polio: Weiterhin wird alle 10 Jahre eine IPV-Auffrischimpfung für Personen mit Kontakt zu zirkulierenden Polioviren empfohlen (z.B. Reisende, Laborpersonal).
Diphtherie und Tetanus: Auffrischimpfungen bei Erwachsenen von 25-64 Jahren mit zuvor vollständiger Grundimmunisierung in einem Intervall von 20 Jahren. Bei Immuninsuffizienz und > 65 Jahren beträgt das Intervall zwischen den dT-Impungen 10 Jahre.
FSME: Die Impfung wird allen Erwachsenen und Kindern (im Allgemeinen ab 6 Jahren) empfohlen, die in einem schon bekannten Gebit mit FSME-Impfempfehlung wohnen oder sich zeitweise dort aufhalten.
Impfschema: 3 Dosen zu den Zeitpunkten 0, 1und 6 Monate für FSME-Immun CC®; 0, 1 und 10 Monate für Encepur®. Auffrischimpfungen alle 10 Jahre empfohlen, die Notwendigkeit von häufigeren Auffrischimpfungen ist nicht belegt.

Quelle: SGAIM-Herbstkongress, St. Gallen, 20.09.2019

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Chiesa San Bernardo

Wie lässt sich erklären, dass sich hoch über Monte Carasso auf 800 Metern Höhe und verloren im Wald eine kleine Kirche findet, deren Innenwände mit Fresken des späten Mittelalters, der Renaissance sowie des Barocks geschmückt sind? Es ist heute nicht mehr augenfällig, aber die Piano di Magadino war bis zur grossen Gewässerkorrektur im Bereich des Unterlaufs des Ticino, die Ende des 19. Jahrhunderts begonnen wurde, eine von Malaria und regelmässigen Überflutungen heimgesuchte Sumpflandschaft. Während der Hochwasserkatastrophe von 1868 dehnte sich der Lago Maggiore noch bis nach Giubiasco aus. Zudem bildete sich hinter dem Schwemmkegel von Sementina und Monte Carasso ein weiterer See, der bis weit hinter Bellinzona in die Riviera reichte. Damals waren allein in der kaum besiedelten Piano di Magadino fast 450 Gebäude von der Flut betroffen, heute wären es, ohne die getroffenen Schutzmassnahmen rund 4000 Gebäude (1).
Aus diesen Gründen beschränkte sich zu früheren Zeiten das Siedlungsgebiet im Bereich der Piano di Magadino auf erhöhte Lagen am Rande der Ebene und zogen sich die Dörfer so weit die nach Süden ausgerichteten Talhänge hinauf, als dies die Landwirtschaft erlaubte. In der Siedlung Curzútt, zu der die Kirche San Bernardo gehört und die heute den Charakter eines Maiensässes hat, lebten ursprünglich über das ganze Jahr zwischen 700 bis 900 Personen. In den umliegenden Wäldern sind die zahlreichen Terrassen und Ruinen für das aufmerksame Auge noch immer gut zu erkennen.

Abb. 1 Chiesa San Bernardo

Die zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert entstandene Kirche ist San Bernardo geweiht und erfuhr bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts mehrere Um- und Anbauten (Abb. 1). Die ältesten Fresken, wie die Madonna del latte und der Christophorus an der südlichen Aussenwand stammen aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die Darstellungen an der ursprünglichen Nordwand mit der Anbetung der drei Könige, der Kreuzigungsszene und dem Monatszyklus darunter aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die Fresken, die nach der Kirchenerweiterung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden, werden der berühmten Malerdynastie der Seregnesi aus Lugano zugeschrieben. Dazu gehört auch die bewegende Darstellung des letzten Abendmahls. Die jüngsten Fresken aus der Renaissance und dem Barock entstanden im Bereich der letzten Umbauten, also in der San Nicolao gewidmeten Kapelle auf der Südseite sowie im Chor im Osten (Abb. 2) (2).

Abb. 2 Ausschnitte der Freskenzyklen an der Südwand (diese Seite) und an der Nordwand (nächste Seite oben) von San Bernardo

In Erwartung dieser Bilderpracht fällt der stotzige und treppenreiche, dafür kurze Aufstieg nach Curzútt leicht. Wir starten in Monte Carasso beim ehemaligen Kloster der Augustinerinnen, das in der Mitte des letzten Jahrhunderts geschlossen wurde und danach langsam zerfiel. In den 80er Jahren wurden die Klostergebäude vom Architekten Luigi Snozzi zu einem modernen kommunalen Zentrum umgestaltet. Diese Neuinterpretation des traditonellen dörflichen Rahmens fand weit über die Landesgrenzen hinaus Anerkennung und wurde 1993 mit dem Wakker- und Prince of Wales-Preis ausgezeichnet. Neben dem Eingang der Kirche prangt neben anderen Fresken eine mächtige Darstellung des Christophorus. Die Legende besagt: Wer am Morgen dem Christophorus begegnet, der kann über den Tag eines sicheren Geleits gewiss sein. Wir wenden uns gegen Norden, überschreiten die Kantonsstrasse und folgen der Gasse in Richtung der von weitem sichtbaren, auf einem Felsen über dem Dorf stehenden Kirche SS. Trinita. Dort beginnt der alte befestigte Bergweg nach Curzútt und San Bernardo hinauf. Am Fuss des Kirchfelsens stossen wir auf die mächtige Talsprerre, die früher die gesamte Ebene bis hinüber zu den drei grossen Festungen von Bellinzona gegen Süden abriegelte. Wir folgen dem alten Saumweg nach San Bernardo bis zu den letzten Reben beim Weiler Lòri und überqueren dabei dreimal ein Fahrsträsschen. Beim Wasserreservoir biegen wir nach Osten ab und steigen über Tizott zum Corte di Fondo, also zum unteren Teil von Curzútt auf. Hier besteht die Möglichkeit zur Einkehr im Ristorante Ostello Curzútt, das in vorbildlich renovierten alten Häusern auch die Möglichkeit zum Übernachten in Vier- und Achtbettzimmern anbietet.
Der weitere Weg führt uns in Kürze gegen Westen zur Kirche San Bernardo. Der Schlüssel für die Kirche kann ausserhalb der Öffnungszeiten im Ristorante Curzútt bezogen werden. Bergwärts der Kirche stehen das alte Pfarr- und Beinhaus. Für Friedhöfe wurde in früheren Zeiten nur wenig Boden geopfert, weshalb regelmässig alte Gräber für neue aufgelöst werden mussten. Die Knochen der Toten wurden in Beinhäusern untergebracht, im vorliegenden Fall in der darunter liegenden Grabkammer, die mit einer runden Steinplatte geöffnet werden kann.
Nach dem Bilderreigen der Kirche erwartet uns der mässige Aufstieg durch jungen Wald zum sogenannten Ponte tibetano, eine neu konstruierte Hängebrücke, die das Valle di Sementina in luftigen 180 Metern Höhe überspannt (Abb. 3).

Abb.3 Ponte tibetano,
eine moderne und sichere Stahlkonstruktion

Auf der gegenüberliegenden Talseite erreichen wir die Ruinen von Selvatico und nach kurzem Anstieg die Hangschulter der Monti di Bassi. Hier zweigt talwärts der steile und erneut mit Treppen gespickte Pfad nach Sementina ab. Über dem Dorf stossen wir erneut auf Festungswerke der ehemaligen Talsperre und einen der Fortini della fame, die General Dufour als Infanteriewerke vor allem östlich von Camorino am Eingang des Valle Morobbia errichten liess. Sie heissen Hungertürme, weil ihr Bau zur Beschäftigung der darbenden Bevölkerung und zur Vermeidung weiterer Auswanderungswellen genutzt wurde. Die Brücke über die Sementina bringt uns nach Monte Carasso und den Ausgangspunkt unserer an Eindrücken reichen Rundwanderung zurück (Abb. 4).

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

Riedstrasse 9
6430 Schwyz

christian.besimo@bluewin.ch

1. Brönnimann S et al.: Das Hochwasser, das die Schweiz veränderte. Ursachen, Folgen und Lehren für die Zukunft. Geographica Bernensia, G94, Geographisches Institut der Universität Bern 2018.
2. La chiesa di San Bernardo a Monte Carasso. www.parrochia-monte carasso.ch/documents/prospettoChiesaSanBernardo.pdf.