Therapie des fortgeschrittenen HR- positiven/HER2-negativen Mammakarzinoms

Dr. med. Kalil Zaman aus Lausanne ging in seinem Vortrag auf die verschiedenen Möglichkeiten der Behandlung von fortgeschrittenen Hormonrezeptor-positiven und Human Epidermal Growth Factor Receptor 2 negativen Mammakarzinomen ein. Er beleuchtete dabei insbesondere die Datenlage zu den neuen Optionen wie den CDK4/6 Inhibitoren.

Untersuchungen zeigen, dass wir es sowohl im frühen als auch im fortgeschrittenen Stadium in einem überwiegenden Teil der Fälle mit Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinomen zu tun haben», erklärte Dr. med. Kalil Zaman, Lausanne. In seinen weiteren Ausführungen konzentrierte er sich denn auch auf die Hormonrezeptor-positiven (HR +) und Human Epidermal Growth Factor Receptor 2 negativen (HER2-) Tumore.

Resultate einer endokrinen Therapie

Im Zentrum der Behandlung von HR + / HER2- Mammakarzinomen steht die endokrine Therapie. Dr. Zaman präsentierte dazu eine Zusammenstellung der wichtigsten Resultate, die mit den entsprechenden Optionen erreicht werden können. Am Anfang stand der selektive Östrogenrezeptormodulator Tamoxifen. «Der Vergleich einer Tamoxifen-Erstlinientherapie mit einer Aromatasehemmertherapie ergab, dass Aromatasehemmer eine bessere Ansprechrate und ein besseres progressionsfreies Überleben erreichen, sich das Gesamtüberleben aber nicht verbessert», erläuterte er. Ein Vergleich des Östrogenrezeptor-Antagonisten Fulvestrant 500 mg mit dem Aromatasehemmer (AI) Anastrozol als Erstlinientherapie bei lokal fortgeschrittenen und metastasierten HR+ Mammakarzinomen ergab für Fulvestrant ein signifikant besseres progressionsfreies Überleben (PFS) von 16,6 Monaten (vs. 13,8 Monate). «Bei Patientinnen ohne viszerale Erkrankung konnte mit Fulvestrant ein medianes PFS von annährend zwei Jahren erreicht werden», betonte Dr. Zaman zudem.

Neue Optionen bei Resistenz

Bei der Suche nach neuen Optionen, die im Falle einer Resistenz gegenüber einer endokrinen Therapie eingesetzt werden können, rückte ein spezifischer Pfad ins Zentrum des Interesses, der sich aus PI3K, Akt, mTOR und Cyclin D-CDK4/6 zusammensetzt. «Eine Aktivierung dieses Pfads führt zu einer Proliferation der Tumorzellen und zu einer Reduktion der Apoptoserate», erklärte der Redner. «Wir befinden uns nun in der einzigartigen Lage, dass wir über Möglichkeiten verfügen, an allen Targets dieses Pfades anzugreifen», ergänzte Dr. Zaman (Tab. 1).
Im Weiteren erläuterte er, welche Resultate mit diesen neuen Optionen erreicht werden können. «Während wir in der ersten Linie mit den AI bei einem medianen PFS von 8 bis 16 Monaten liegen, können wir mit der Kombination AI plus CDK4/6-Inhibitor ein medianes PFS von bis zu 25 Monaten erreichen», fasste er zusammen. In der zweiten Linie liesse sich durch die neuen Substanzen, v.a. kombiniert mit Fulvestrant 500 mg, das mediane PFS von rund 6 Monaten auf annähernd 12 Monate verdoppeln.
Daten zum Gesamtüberleben (OS), das mit den neuen Optionen erreicht werden kann, liegen aus den Studien PALOMA-3 und MONALEESA-7 zu den CDK4/6-Inhibitoren Palbociclib und Ribociclib vor. PALOMA-3 zeigte für Patientinnen mit Ansprechen auf eine vorangegangene endokrine Therapie ein medianes OS von 39,7 Monaten für Palbociclib plus Fulvestrant vs. 29,7 Monaten für Placebo plus Fulvestrant (HR 0,72). In MONALEESA-7 erreichte Ribociclib plus endokrine Therapie bei prämenopausalen Patientinnen nach 42 Monaten eine geschätzte OS-Rate von 70,2% (vs. 46,0% für Placebo plus endokrine Therapie). «Mit diesen neuen Optionen können wir das Outcome unserer Patientinnen wirklich verbessern», so der Redner.

Direktvergleich Chemotherapie vs. endokrine Therapie

Im nächsten Teil seines Referats widmete sich Dr. Zaman der Frage, ob eine Chemotherapie oder eine endokrine Therapie eingesetzt werden sollte. Er wies darauf hin, dass gemäss der ESMO-Guidelines die endokrine Therapie die bevorzugte Option für HR+ Brustkrebs darstellt, selbst wenn eine viszerale Erkrankung vorliegt. «Es gibt aber keine Studie, die randomisiert eine endokrine Therapie mit der Chemotherapie verglichen und dabei auch die Lebensqualität untersucht hat», betonte er. Aus diesem Grund hat die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) die Studie 21/18 ins Leben gerufen. In dieser randomisierten Phase-III-Studie erhalten therapienaive postmenopausale Frauen mit fortgeschrittenem HR + / HER2- Brustkrebs in Arm A eine endokrine Therapie plus Ribociclib und in Arm B eine Monochemotherapie (für mind. 12 Wochen), gefolgt von einer endokrinen Erhaltungstherapie + / - Ribociclib. Die Studie überprüft, ob die antihormonelle Therapie in Kombination mit Ribociclib gleich schnell und gleich gut wirkt wie eine klassische Chemotherapie und vergleicht gleichzeitig die Lebensqualität zwischen diesen Therapien. «Mithilfe von Plasmaproben, die wir im Laufe der Studie sammeln, hoffen wir zudem herausfinden zu können, welche Patientinnen besser auf welche Art der Therapie anspreche», schloss Dr. Zaman.

Dr. Therese Schwender

Können in klinischen Studien beim Prostatakarzinom Surrogat- Endpunkte das Gesamtüberleben als primären Endpunkt ersetzen?

Surrogat-Endpunkte beim Prostatakarzinom

Die folgenden Surrogat-Endpunkte werden beim Prostatakarzinom diskutiert:

  • PSA-Ansprechrate: zeigte in einer Analyse keine Korrelation
  • Radiographisches PFS: Akzeptierter Surrogat-Endpunkt
  • CTC-Konversion: Akzeptierter Surrogat-Endpunkt, aber durch komplexe Messung erschwerter Einsatz in Klinik/Studien
  • Metastasefreies Überleben (MFS): Gegenstand der aktuellen Diskussion

Die Daten von PROSPER beim nicht-metastasierten kastrations-resistenten Prostatakarzinom (nmCRPC) zeigen einen signifikanten Unterschied im MFS unter Therapie mit Enzalutamid plus ADT vs. Placebo +ADT, während das OS in den bisherigen Analysen nicht signifikant verlängert war. Es stellt sich die Frage, ob der Benefit beim MFS ein Surrogat für OS-Benefit darstellt und somit sicher von klinischer Relevanz wäre.

Debatte: Pro/Contra

Surrogat-Endpunkte können beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom in klinischen Studien Gesamtüberleben ersetzen: PRO

Die zustimmende Haltung wurde von Frau Dr. med. Carmel Pezaro, Sheffield, eingenommen.
Die Referentin präsentierte unter anderen die folgenden beiden Studien als Argument für die Verwendung von MFS als Surrogat-Endpunkt.

ICECaP-Studie:

Diese Studie beschreibt die Auswertung von Patientendaten aus vielen klinischen Studien zur Bestrahlung oder Prostatektomie bei lokalisiertem Prostatakarzinom um festzustellen, ob Surrogat-Endpunkte das OS ersetzen können:
o das metastasefreie Überleben konnte als Surrogat für das Gesamtüberleben bei lokalem Prostatakarzinom identifiziert werden

Ironman Registry:

  • Internationale Kollaboration, seit etwas mehr als einem Jahr angelaufen
  • 5000 Männer mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom werden eingeschlossen
  • Behandlungsmuster, Überleben, Patientenerfahrungen, klinische, molekulare Subtypen
    o Das metastasefreie Überleben wird ausgewertet und in Korrelation zum OS gesetzt
    o Es liegen bislang aber noch keine Daten vor

Die Schlussfolgerung der Referentin: Surrogat-Endpunkte beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom können Gesamtüberleben in klinischen Studien ersetzen

MFS sollte als Surrogat für OS verwendet werden: CONTRA

Eine gegenteilige Meinung vertrat PD Dr. med. Arnoud Templeton, Basel
Warum ist diese Debatte relevant? Was ist ein Surrogat-Endpunkt? Wie ist er etabliert? Was ist mit MFS?
Das Ziel der Behandlung von Patienten ist die Verlängerung des Lebens und/oder die Verbesserung der Lebensqualität.
Medikamente sollten nur zugelassen und angewendet werden, wenn sie diese Ziele unterstützen. Endpunkte von echtem Interesse sind Gesamtüberleben und Lebensqualität.

MFS = OS

  • Der Anspruch auf Surrogat basiert auf Korrelationen
    o Untersuchungen in ausgewählten adjuvanten Studien bei lokalisierter Krankheit vor dem Jahre 2011 (ICECaP)
    o Es ist unklar, wie viele «MFS»-Ereignisse nicht Prostata-bezogen sind

Man muss bei der Postulierung von Korrelationen vorsichtig sein. Es gibt klare Kriterien, die erfüllt werden müssen, um einen Surrogat-Endpunkt zu etablieren (Prentice-Kriterien):
1. Die Behandlung muss prognostisch für den wahren und den Surrogat-Endpunkt sein
2. Das Surrogat muss für den wahren Endpunkt prognostisch sein
3. Der volle Effekt der Behandlung auf den wahren Endpunkt muss durch das Surrogat erklärt werden.

Der Referent schloss mit den folgenden Take Home Messages:

Apalutamid, Enzalutamid und Darolutamid:

  • verbessern MFS bei nmCRPC
  • Effekt auf OS bislang noch nicht gezeigt, d.h. Surrogat MFS für OS beim nmCRPC nicht etabliert
  • können sicher Zeit bis zur symptomatischen Verschlechterung verzögern.

Diskussison: neben OS ist auch QoL des Prostatapatienten wichtig. Die Verzögerung des Auftretens von Metastasen kann mit verbesserter QoL einhergehen bzw. einer Verlängerung der bestehenden guten QoL bei gut tolerierter Behandlung. Wichtig ist ein weiteres Follow-up der aktuellen Studien in Bezug auf OS.

Quelle: Satellitensymposium von Astellas Pharma am SOHC, Zürich, 27.6.2019.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

PARP-Inhibitoren – Durchbruch in der Erhaltungstherapie

Am diesjährigen Swiss Onocology & Hematology Congress diskutierten Prof. Cristiana Sessa, Bellinzona, PD Dr. Christian Kurzeder, Basel, und Prof. Jalid Sehouli, Berlin, im Rahmen des Tesaro Lunch Symposiums die zunehmende Bedeutung von PARP-Inhibitoren als Erhaltungstherapie beim rezidivierten Ovarialkarzinom. Das Ziel der Erhaltungstherapie ist es dabei, den Patientinnen ein möglichst langes Überleben bei guter Lebensqualität zu ermöglichen.

Die Rezidivrate beim Ovarialkarzinom liegt im Stadium FIGO II-IV bei rund 80%. Mit einer Erhaltungstherapie im Anschluss an die platinbasierte Chemotherapie kann die Progression hinausgezögert werden. Die Verfügbarkeit der PARP-Inhibitoren ermöglicht dabei im Vergleich zur traditionellen «Watch & Wait» Strategie deutlich längere progressionsfreie Phasen, ohne dass die Lebensqualität der Patientinnen wesentlich beeinträchtigt wird. Ein personalisiertes Therapiemanagement ist jedoch essenziell, um den bestmöglichen Outcome zu erreichen.

Erhaltungstherapie unabhängig vom BRCA-Status

Durch eine Erhaltungstherapie mit einem PARP-Inhibitor kann das progressionsfreie Überleben (PFS) beim platinsensitiven, rezidivierten Ovarialkarzinom signifikant verlängert werden. Die Wahrscheinlichkeit, von einer Olaparib-Behandlung zu profitieren ist dabei gemäss einer retrospektiven Analyse der randomisierten, doppelblinden, placebo-kontrollierten Phase-II-Studie «Study 19» bei Patientinnen mit BRCA-Mutation am grössten. Dr. Kurzeder bezeichnete daher die doppelblinde, Phase-III ENGOT-OV16/NOVA-Studie in seinem Referat als «mutig», da mehr als die Hälfte der eingeschlossenen Patientinnen keine BRCA-Keimbahnmutation (non-gBRCA) aufwiesen. Die Resultate zeigten, dass im Vergleich zu Placebo unter Niraparib unabhängig vom BRCA-Mutationsstatus ein signifikanter PFS-Benefit erreicht wurde (Abb. 1). Zudem profitierte auch die Subgruppe ohne Defizienz der homologen Rekombination (HRD-negativ), was allgemein mit dem schlechtesten Therapieansprechen verbunden ist, von der Behandlung mit Niraparib (Abb. 1). Mit Blick auf die Daten der ENGOT-OV16/NOVA-Studie hielt Dr. Kurzeder daher fest, dass die genetische Testung als Basis der klinischen Entscheidungsfindung in den Hintergrund rückt.
Auch als Erstlinien-Erhaltungstherapie nach einer platinbasierten Chemotherapie konnte unter Niraparib unabhängig vom Biomarker-Status (PRIMA-Studie) und unter Olaparib beim BRCA-mutierten fortgeschrittenen Ovarialkarzinom (SOLO-1-Studie) eine Verbesserung des medianen PFS gezeigt werden.

Individuelles Therapiemanagement

Beim Übergang in die Erhaltungstherapie haben die meisten Patientinnen schon einige Behandlungen hinter sich. Die Erhaltung der Lebensqualität ist daher zentral und kann durch ein gutes Nebenwirkungsmanagement unterstützt werden, betonte Prof. Sehouli in seinem Referat. Als besonders belastend werden dabei nicht-hämatologische Nebenwirkungen, wie beispielsweise Nausea, empfunden. Obwohl diese trotz gutem Management teilweise bestehen bleiben, kann eine ausführliche Aufklärung zu Beginn der Therapie die Akzeptanz erhöhen. Prof. Sehouli erklärte, dass eine Thrombozytopenie 3./4. Grades meist nur zu Beginn der Therapie auftritt und wie in der ENGOT-OV16/NOVA-Studie gezeigt wurde, durch individuelle Dosisanpassungen ohne Einfluss auf die Wirksamkeit der Behandlung gut handhabbar ist. Als Prädiktoren für die Entwicklung einer Thrombozytopenie 3./4. Grades wurden ein Körpergewicht < 77 kg und eine Thrombozytenzahl < 150 000/μl identifiziert. Daher wurde Niraparib in der Schweiz in einer individuell angepassten Startdosierung von täglich 200 mg zugelassen (bei ≥ 77 kg und einer Thrombozytenzahl ≥ 150 000/μl: täglich 300 mg).

Blick in die Zukunft

Zum Schluss des Symposiums diskutierte Prof. Sessa mögliche Weiterentwicklungen im Bereich der Erhaltungstherapie. Insbesondere die Sequenz der Therapien und verschiedene Kombinationen könnten dabei einen entscheidenden Einfluss auf den Outcome haben. In verschiedenen Studien wird daher die Wirksamkeit und Sicherheit der PARP-Inhibitoren in Kombination mit Angiogenesehemmern und Immuntherapie untersucht. Erste Ergebnisse deuten laut Prof. Sessa auf weitere vielversprechende Entwicklungen hin.

Quelle: Tesaro Satellitensymposium «PARP inhibitors in gBRCAmut and Non-gBRCAmut ovarian cancer focus on Niraparib», 2. Swiss Oncology & Hematology Kongress (SOHC), 26. Juni 2019, Zürich.

Nachkontrollen nach bariatrischen Operationen

Bariatrische Patienten benötigen regelmässige Nachkontrollen, um Komplikationen und ungünstige Verläufe frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Da die Zahl von Patienten, welche einen bariatrischen Eingriff zur Behandlung der Adipositas und ihrer Komorbiditäten erhalten, rasch ansteigt, ist es zunehmend wichtig, dass auch Ärzte in der Praxis Kenntnis der wichtigsten Folgen von bariatrischen Operationen haben. Die Themen in der Nachsorge sind der Gewichtsverlauf, das frühzeitige Erkennen eines ungünstigen Verlaufes, Erkennen und Behandeln von Makro- und Mikronährstoffmängeln, gastrointestinale Symptome wie Schmerzen, Dumping usw. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über diese Themen und beschreibt die Behandlungsmöglichkeiten.

Die Zunahme der Adipositas in den letzten Jahrzehnten hat unter anderem auch zu einer vermehrten Anwendung von bariatrischen Operationen geführt. In der SOS (Swedish Obese Subjects) Studie (1) wurden die anhaltenden Erfolge bezüglich Gewichtsverlauf, die Verbesserung der Komorbiditäten und die Reduktion der Mortalität von operierten Patienten eindrücklich dokumentiert, was zu einer nochmals breiteren Anwendung dieser Operationen geführt hat. Somit ist es zunehmend wichtig, dass auch Ärzte in der Praxis mit den Themen der Nachsorge und Problemen nach bariatrischen Operationen vertraut werden. Der folgende Artikel bietet einen Überblick über praxisrelevante Fragestellungen und möchte Hilfestellungen für das Vorgehen in typischen Situationen geben.
In der Schweiz wurden Guidelines für die operative Behandlung der Adipositas und die Nachsorge nach bariatrischen Operationen von der SMOB (Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders) erstellt und sind auf der Homepage www.smob.ch einsehbar und werden regelmässig aktualisiert. Gemäss diesen Guidelines sind die bariatrischen Zentren verpflichtet, die lebenslange Nachsorge für ihre Patienten sicherzustellen. Die Nachsorge erfolgt durch die bariatrischen Zentren in Zusammenarbeit mit den Hausärzten. Entsprechend den SMOB Richtlinien müssen die Zentren in den ersten 5 postoperativen Jahren eine Nachkontrollrate von mindestens 75% nachweisen können. Die Nachkontrollen sollen bei problemlosem Verlauf zwei, vier, acht und 12 Wochen postoperativ, dann drei-monatlich, im zweiten postoperativen Jahre alle sechs Monate, dann jährlich, jeweils mit Laborkontrolle der Mikronährstoffsituation erfolgen, bei Problemen häufiger. Die Konsultationen müssen ein Assessment und Beratung bezüglich des Gewichtsverlaufes, eine Erfassung der Ernährungs- und Bewegungssituation, sowie der Komorbiditäten beinhalten, weitere individuelle Fragestellungen sind zu thematisieren.
Die am häufigsten durchgeführte Operation ist der Magenbypass, meist in Form des proximalen Roux-Y-Magenbypasses (Abb. 1), welcher sowohl restriktiv wie auch malabsorptiv wirkt. Vor allem restriktiv wirkt die Schlauchgastrektomie oder Sleevegastrectomy (Abb. 2), sowie das Magenband, welches bis 2005 die Standardoperation darstellte, heute aber wegen Intoleranz, im Sinne von Oesophagusdysmotilität und Refluxsymptomen nicht mehr eingelegt wird. Die stärkste Gewichtsabnahme erfolgt nach der biliopankreatischen Diversionsoperation (Abb. 3). Diese Operation führt zu einer starken Malabsorption. Alle Operationen wirken auch über eine Veränderung der neuro-enterohumoralen Komponenten, d.h. über eine Veränderung der gastrointestinalen Peptidhormone und über eine Beeinflussung von zentralen Regelkreisen zur Regulierung von Sättigung und Belohnung. Auch die Veränderung der Microbiota nach den Operationen spielt eine Rolle in der Gewichtsreduktion.

Gewichtsverlauf und ungünstige Entwicklungen

Die durchschnittliche Gewichtsabnahme 5 Jahre nach Magenbypass beträgt 70% des Übergewichts (excessive weight loss, EWL), nach Schlauchgastrektomie ca. 60% und nach biliopankreatischer Diversion ca. 80%, wobei der Nadir 12-18 Monate nach der Operation erreicht ist. Im weiteren Verlauf ist eine Gewichtsstabilisierung anzustreben. Eine sekundäre Gewichtszunahme von ca. 5% bis 10% ist als normal anzuschauen und multifaktoriell bedingt. Es gilt aber festzuhalten, dass es keine klare Grenze gibt, was eine genügende Gewichtsabnahme darstellt. Das Gewichtsresultat muss auch im Kontext der Komorbiditäten betrachtet werden.
Eine Übersicht über die Faktoren und Behandlungsansätze bei ungenügender Abnahme oder verstärkter sekundärer Gewichtszunahme gibt die Tabelle 1.
Ein erhöhtes Risiko für eine überdurchschnittliche Gewichtsabnahme mit Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Muskelmassen- und Kraftverlust besteht bei depressiver Stimmung, ungenügendem Einhalten der Ernährungsempfehlungen, vor allem ungenügender Proteinzufuhr, Entwicklung einer sekundären anorektischen Essstörung, Alkoholabusus, Suchterkrankungen, Tumoren oder chronischen Krankheiten, vor allem COPD. Ein erhöhtes Risiko für Malnutrition und Entwicklung von Untergewicht besteht vor allem nach den stark malabsorptiv wirkenden Eingriffen, vor allem nach biliopankreatischer Diversion.

Mikronährstoffmängel

Nach bariatrischen Operationen besteht wegen kleiner Essmenge und Malabsorption das Risiko für Mikronährstoffmängel, weshalb eine lebenslange Mikronährstoffsupplementation unerlässlich ist (2, 3, 4). Zur Bedarfsdeckung können speziell für bariatrische Patienten entwickelte Präparate (z.B. WLS forte® von FitForMe oder Multi® von Bariatric Advantage) oder ein Multivitaminpräparat, wie z.B. Supradyn® alternierend mit einem B-Komplex-Vitamin eingenommen werden. Regelmässige Laborkontrollen sind immer indiziert, um Mängel frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Es ist wichtig zu beachten, dass das Risiko für Mangelerscheinungen abhängig ist von der Art der Operation, d.h. Operationen mit starker malabsorptiver Komponente, vor allem die biliopankreatische Diversionsoperation, aber auch Bypassoperationen mit längeren von der Nahrung ausgeschalteten Dünndarmabschnitten (OAGB, RYGB mit extra-langer bilio-pankreatischer Schlinge) haben ein stark erhöhtes Risiko für Mikronährstoffmängel. Dabei steigt insbesondere das Risiko für einen Mangel an fettlöslichen Vitaminen (Vitamin A, D, E, K) und für die sonst seltenen Mängel an Selen oder Kupfer stark an. Nach Operationen mit rein restriktiver Komponente, z.B. Schlauchgastrektomie oder Magenband, ist das Risiko deutlich kleiner aber weiterhin vorhanden.
Weitere Gründe, wieso Mängel häufig nach bariatrischen Operationen auftreten, sind Geschmacksaversionen, Malcompliance der Patienten zur Einnahme der Supplemente, ungenügende Information der Patienten, ev. auch erhöhter Bedarf aus anderer Ursache, z.B. bei zusätzlichem Eisenverlust durch Hypermenorrhoe. Problematisch ist auch die fehlende Kassenpflichtigkeit der Supplemente. Mikronährstoffmängel sind auch schon vor bariatrischen Operationen häufig und sollen bereits präoperativ behandelt werden.
Die wichtigsten Mängel nach bariatrischen Operationen, inklusive Symptomen und Folgen sind in Tabelle 2 zusammengestellt.
Adipositas ist per se mit Vitamin-D-Mangel assoziiert, sodass ein Mangel schon präoperativ gesucht und behandelt werden muss. Die Calciumabsorption sinkt nach Magenbypass stark ab. Zur Osteoporoseprophylaxe ist deshalb nach Magenbypass- und biliopankreatischer Diversionsoperation auch eine Calcium-D3 Supplementation notwendig, um den erhöhten Bedarf zu decken und das Entstehen eines sekundären Hyperparathyreoidismus zu vermeiden. Gemäss den Guidelines der American Society of Metabolic and Bariatric Surgery (ASMBS) ist eine totale Calciumzufuhr von 1500 mg/Tag nach Sleevegastrectomy, 1500 – 2000 mg/Tag nach Magenbypass und 1800 – 2400 mg nach biliopankreatischer Diversion zu empfehlen, wobei so viel wie möglich durch alimentäre Zufuhr abzudecken ist (2, 3). Es ist wichtig, dass die Calcium-D3 Supplementation zeitlich versetzt zu den übrigen Supplementen einzunehmen ist, da sonst eine gegenseitige Absorptionshemmung auftritt.
Ein Zinkmangel ist nach bariatrischen Operationen häufig. In einer Studie hatten von 324 Patienten 9 % bereits präoperativ einen Zinkmangel, 12 Monate postoperativ wurde ein Zinkmangel in 42.5% der Patienten beobachtet. Gründe hierfür waren einerseits Malcompliance zu der Supplementation, andererseits aber auch eine stark reduzierte Zinkabsorption. Die fraktionierte Zinkabsorption nimmt nach Bypass von 32.3% präoperativ auf 13.6 % 6 Monate postoperativ und 21% 12 Monate postoperativ ab. Bei den regelmässigen Laborkontrollen ist aus diesem Grund auch ein Zinkspiegel als Marker für die Versorgung an Spurenelementen zu bestimmen. Es bleibt zu beachten, dass der Zinkspiegel im Serum eine unzuverlässige Methode zur Diagnose eines Zinkmangels ist, da nur 0.1% des gesamten Zinkgehaltes im Serum gelöst vorkommen und die Zinkserumkonzentration auch von einer Akute-Phase-Reaktion beeinflusst werden kann (5).
Ein besonderes Augenmerk verdient der Vitamin-B1-Mangel. Die Speicher an Vitamin B1 sind klein, weshalb bei ungenügender Zufuhr und rezidivierendem Erbrechen bereits nach ca. 2 Wochen ein Vitamin-B1-Mangel vorliegen kann. Die klassische Wernicke Trias mit Gangataxie, Augenmuskelparesen und Verwirrtheit ist nicht immer vollständig vorhanden, ein unbehandelter Vitamin-B1-Mangel kann aber irreversible neurologische Ausfälle verursachen. Bei Verdacht auf das Vorliegen eines Vitamin-B1-Mangels ist deshalb die entsprechende Behandlung (Thiamin 100 mg iv) bereits vor Vorliegen des Laborresultates einzuleiten (6).

Makronährstoffmängel

Eine ausführliche Ernährungsinstruktion nach bariatrischer Operation ist unerlässlich, wobei die Proteinzufuhr besonders zu beachten ist, da bei ungenügender Zufuhr ein überdurchschnittlicher Muskelmassenverlust zu befürchten ist. Ziel ist eine Proteinzufuhr von 1 g Protein/KG Normalgewicht. Die Einnahme von Protein-
shakes ist in den ersten Monaten postoperativ meist notwendig, um dieses Ziel zu erreichen und den Bedarf decken zu können. Vor allem nach Operationen mit verstärkter Malabsorption kann auch Jahre nach der Operation eine schwere Proteinmangelernährung mit Kraftverlust, chronischer Diarrhoe und generalisierten Ödemen auftreten. Im Labor findet sich häufig eine Hypalbuminämie. Therapeutisch ist eine hochdosierte Proteingabe indiziert, was je nach klinischer Situation durch Anreicherung der Speisen, Proteinsupplemente, in schweren Fällen auch durch Sondengabe oder ggf. parenteral erfolgen muss (4).

Gastrointestinale Symptome nach bariatrischen Operationen

Gastrointestinale Symptome nach bariatrischen Operationen sind häufig, am häufigsten sind mit Auftreten mehr als 1x/Woche Diarrhoe bei 23% der Patienten, Dumping bei 13%, Abdominalschmerzen bei 10%, Dysphagie bei 5%, Erbrechen bei 4%. Eine Häufigkeit von > 1x Monat wird angegeben für Diarrhoe bei 24% der Patienten, Dumping bei 27%, Abdominalschmerzen bei 15%, Erbrechen bei 15%, Dysphagie bei 7% (7).
Spezielle Ursachen für Schmerzen nach bariatrischen Operationen und das Dumpingsyndrom werden im Folgenden kurz erläutert.

Schmerzen

Die Ursache von Schmerzen ist vielfältig, in der Regel sind eine genaue Anamnese und die klinische Untersuchung hilfreich und richtungsweisend. Eine genaue Abklärung ist wichtig, um mögliche gravierende Komplikationen nicht zu verpassen. Tabelle 3 zeigt die Differentialdiagnose von Abdominalschmerzen nach bariatrischen Operationen.
Aufgrund von Klinik und Anamnese ergibt sich eine Verdachtsdiagnose, welche den weiteren Abklärungsgang bestimmt (Tab 4).
Die gefährlichste Ursache für Abdominalschmerzen ist das Auftreten einer Obstruktion der ausgeschlossenen Dünndarmabschnitte mit Aufstau in den blind verschlossenen Magen, der sogenannten Bypass-Obstruktion. Dabei verspüren die Patienten starke Übelkeit, können aber nicht erbrechen, dazu Oberbauch- oder Rückenschmerzen. Die Patienten sind extrem unter Stress und entsprechend tachykard. Die Diagnose wird mittels CT Abdomen gestellt, ein unauffälliges, konventionelles Abdomen-Röntgenbild kann wegen z.T. fehlender Luft-Flüssigkeitsspiegel falsch negativ ausfallen. Rasches chirurgisches Handeln ist hier angesagt. Eine viel häufigere Ursache für Abdominalschmerzen sind innere Hernien. Diese Komplikation wird durch Abnahme des mesenterialen Fettes begünstigt und tritt deshalb meist erst nach relevanter Gewichtsabnahme auf. Eine Dünndarmschlinge herniert durch Mesenteriallücken, entweder zwischen Mesocolon Transversum und dem Meso der hochgezogenen Jejunalschlinge, dem sogenannten «Petersen» Space, oder auf Höhe der Fusspunktanastomose, was zu Dünndarmobstruktion und Dünndarmischämie führen kann. Die typische Klinik sind starke Schmerzen im Epigastrium oder Mittelbauch mit Exazerbation postprandial, z.T. Erbrechen, initial häufig krampfartig, im Verlauf kann ein Dauerschmerz auftreten. Eine innere Hernie kann sich aber auch atypisch, d.h. lediglich mit intermittierenden Schmerzen präsentieren. Die Häufigkeit wird in der Literatur mit ca. 2.5 – 10% angegeben (8). Zur Abklärung ist das CT Abdomen hilfreich, wobei hier besonders auf eine Rotationskomponente der Mesenterialgefässe («whirl sign») zu achten ist. Eine zeitnahe chirurgische Sanierung durch einen in Bariatrie erfahrenen Chirurgen ist indiziert.
Magenschleimhautulcera werden in Früh- und Spätulcera eingeteilt (9). Meist sind die Ulcera im Bereich der Anastomose lokalisiert. Die Frühulcera treten bis 10 Monate postoperativ auf. Ursächlich liegt am ehesten eine Ischämie oder Entzündung vor. Risikofaktoren für die Entwicklung eines Spätulcus sind Säurekontakt im Jejunum, z.B. durch eine Pouchvergrösserung, Nikotin-
abusus, die Einnahme von NSAR und ein Diabetes mellitus. Die typische Klinik der Ulcera besteht in starken epigastrisch lokalisierten Schmerzen während dem Essen. Zur Abklärung ist eine Endoskopie durchzuführen, die Therapie besteht in der Behandlung mit Protonenpumpeninhibitor (PPI) über Monate. In einer Studie wurde gezeigt, dass lösliche Formulierungen, d.h. geöffnete Kapseln, bzw. lösliche Formulierungen zu einer rascheren Abheilung der Ulcera führen als ungeöffnete Kapseln (10). Ein Helicobacter-
pylori-Befall, ev. auch eine Persistenz trotz präoperativer Eradikation, soll gesucht und bei Vorliegen behandelt werden. Nikotinabstinenz ist dringend zu empfehlen.

Dumping

Ein häufiges Symptom nach Magenbypass ist das Auftreten einer Dumpingsymptomatik. Wir unterscheiden Früh- und Spätdumping. Die pathophysiologischen Mechanismen des Dumpingsyndroms sind nicht abschliessend geklärt. Ein möglicher Mechanismus für das Auftreten ist aber eine rasche Entleerung der Magenpouch. Das schnelle Übertreten von hochosmolaren Speisen, insbesondere isolierten Kohlehydraten in die hochgezogene Jejunalschlinge löst einen Einstrom von Flüssigkeit ins Darmlumen und somit Hypotonie, z.T. bis zum Kollaps, Schwindel, Müdigkeit, auch Krämpfe und Diarrhoe aus. Dieses Frühdumping tritt 0 – 30 Minuten postprandial auf. Das Spätdumping manifestiert sich 90 – 120 Minuten nach einer kohlehydrathaltigen Mahlzeit und entsteht durch eine überschiessende Insulinantwort auf die hohe Konzentration von Kohlehydraten im Dünndarm, was zu einer Hypoglykämie mit den klassischen Symptomen, nämlich Schwitzen, Zittern, Sehstörungen und Konzentrationsstörungen führt.
Bei unklaren Symptomen ist das Führen eines Ess- und Beschwerde protokolls mit Blutzuckermessung hilfreich. Bei Unklarheit kann auch eine CGM (continuous glucose monitoring) hilfreich sein. Therapeutisch ist in erster Linie das Einhalten der Ernährungsempfehlungen sehr wichtig (keine reinen Kohlehydratmahlzeiten, Essen-Trinkabstand von 30 Minuten einhalten, regelmässige kleine Mahlzeiten, Steigerung der Faserzufuhr, ev. lösliche Fasern, z.B. Optifiber®). Besteht die Symptomatik dennoch weiter, so kann eine medikamentöse Therapie mit Acarbose zur Stabilisierung des Blutzuckers versucht werden, in therapieresistenten Fällen wird auch die Anwendung von Liraglutid oder Octreotid empfohlen. Bei ungenügender Gewichtsreduktion und Dumpingsymptomatik kann die Einlage eines Silikon-Ringes um den Magenpouch herum, eines sog. Fobi-Ringes, diskutiert werden. Dieser führt zu vermehrter Restriktion, langsamerer Entleerung des Pouches und somit zu einer Verbesserung der Dumpingsymptome. Bei therapieresistentem Dumping und überdurchschnittlicher Gewichtsabnahme ist gemäss Expertenmeinung die Gabe von kontinuierlicher Sondennahrung via Gastrostomie-Katheter in den ausgeschlossenen Magen eine therapeutische Option. Als letzte therapeutische Option kommt eine Reversion der Bypassoperation in Frage, allerdings sollten zuvor seltene Differentialdiagnosen für Hypoglykämien, wie das Vorliegen eines Insulinoms oder eine Nebenniereninsuffizienz, ausgeschlossen werden. Auch Medikamente, vor allem Venlafaxin können das Auftreten von Hypoglykämien verstärken.

Dr. med. Martina Gebhart

Leitende Ärztin Innere Medizin / Endokrinologie
Ernährungszentrum St. Claraspital/Bariatrisches Referenzzentrum Clarunis
Lukas Legrand-Strasse 4
4058 Basel

martina.gebhart@claraspital.ch

Die Autorin hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Bariatrische Operationen benötigen eine lebenslange Nachsorge, welche in spezialisierten Zentren in Zusammenarbeit mit den Hausärzten erfolgt
  • Die Themen der Nachsorge sind Gewichtsverlauf, Erfassen und Behandlung von Makro- und Mikronährstoffmängeln, Erfassen und Beurteilen von spezifischen Problemen, wie Schmerzen und Dumping
  • Die häufigsten Mängel nach Bariatrie sind Vitamin-D3-Mangel, Eisenmangel, Vitamin-B12-Mangel und Zinkmangel.

1. Sjöström L. A Review of the key results from the Swedish Obese Subjects (SOS) trial – a prospective controlled intervention study of bariatric surgery. J Intern Med 2013;273:219-234.
2. Mechanick JI, Kushner RF, Sugerman HJ et al, American Association of Clinical Endocrinologists, Obesity Society, American Society for Metabolic and Bariatric Surgery, American Association of Clinical Endocrinologists, The Obesity Society, American Society for Metabolic and Bariatric Surgery. Medical guidelines for clinical practice for the perioperative nutritional, metabolic, and nonsurgical support of the bariatric surgery patient. Obesity 2009;17(Suppl 1):1-70.
3. Mechanick JI et al. Clinical practice guidelines for the perioperative nutritional, metabolic and nonsurgical support of the bariatric surgery patient – 2013 update: Cosponsored by american association of clinical endocrinologists, the obesity society and American society for metabolic & bariatric surgery. Endo Pract 2013;19:337-72.
4. Busetto L, Dicker D, Azran C. Practical recommendations of the Obesity Management Task Force of the European Association for the Study of Obesity for the post-bariatric surgery medical management. Obes Facts 2017;10:597-632.
5. Sallé A, Demarsy D, Poirier AL. Zinc deficiency: a frequent and underestimated complication of bariatric surgery. Obes Surg 2010;20:1660-70
6. Aasheim ET. Wernicke encephalopathy after bariatric surgery: a systematic review. Ann Surg 2008; 248: 714.
7. Edholm et al. Long-term results 11 years after primary gastric bypass in 384 patients. Surg Obes Rel Dis 2013;9:708-713.
8. Iannelli A, Facchiano E, Gugenheim J. Internal hernia after laparoscopic Roux-en-Y gastric bypass for morbid obesity. Obes Surg. 2006;16:1265-71.
9. Csendes A, Burgos AM, Altuve J et all. Incidence of marginal ulcer 1 month and 1 to 2 years after gastric bypass: A prospective consecutive endoscopic evaluation of 442 patients with morbid obesity. Obes Surg 2009;19:135-138.
10. Schulman AR, Chan WW, Devery A et all. Opened proton pump inhibitor capsules reduce time to healing for marginal ulcer after Roux-en-Y-Gastric Bypass. Clin Gastrol and Hepatol 2017;15:494-500.

Mineralwasser auf dem Prüfstand Teil 2

Wasser ist Wasser – oder eben doch nicht, wie der Übersichtsartikel «Mineralwasser auf dem Prüfstand» in «der informierte arzt» im August 2018 zeigte. Da in Mineralwasser per Definition eine Vielzahl von gelösten Stoffen enthalten sind, fokussiert dieser ergänzende Beitrag nun auf Hydrogencarbonat, Sulfat, Silizium und Lithium: nicht so populär, aber nicht minder spannend.

Hydrogencarbonat

Da der Organismus selbst Hydrogencarbonat als Salz der Kohlensäure bilden kann, wird keine Empfehlung zur täglichen Zufuhr gemacht, obwohl es im Rahmen der physiologischen Regelmechanismen als Bicarbonatpuffer unverzichtbar ist.

Säure-Basenhaushalt 2.0

Die weitverbreitete Vorstellung von einer «Übersäuerung» des Organismus, wie sie häufig in komplementärmedizinischen Therapiemethoden vertreten wird, geht auf das Bild des Säure-Basen-Gleichgewichts Ende des 19. Jahrhunderts zurück, hat mit den modernen pathophysiologischen Kenntnissen nur wenig gemein (1) und ist als diätetische Intervention nicht ausreichend belegt. Dennoch werden bei hoher alimentärer Säurezufuhr (gleichbedeutend mit hoher Proteinzufuhr) vermehrt aus dem Körper selbst Basen bereitgestellt.

Osteoporose

Dazu werden die knochenbildenden Zellen gehemmt und die resorbierenden Zellen stimuliert, damit dank erhöhter Knochenresorption mehr Bicarbonat zur Neutralisierung der Säuren freigesetzt wird. Auch werden Kalziumphosphat und Kalziumcarbonat aus dem Knochen gelöst. Dabei dienen Phosphat und Carbonat zum Puffern der Säuren und das dabei freiwerdende Kalzium wird über den Urin ausgeschieden. Dieser Verlust an Knochenmineralstoffen kann eine Osteoporose begünstigen (2, 3). Mehrere Interventionsstudien zeigen, dass bei hoher Säurebelastung und gleichzeitiger Bicarbonat-Gabe die Knochenresorption gehemmt wird. Zu dieser Aussage existieren valide Daten aus Studien, die mit Mineralwasser als Bicarbonat Quelle durchgeführt wurden.

Harnsteine & Sodbrennen

An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass eine hohe Proteinzufuhr auch mit einer Reduktion des Harn-pH-Wertes und der Citratausscheidung assoziiert wird, zwei Faktoren, die die Calciumoxalat-Steinbildung begünstigen (4, 5).
So wirkt bei Patienten mit idiopathischen Harnsteinen nicht nur eine Proteinrestriktion auf 0.8 mg / kg KG alkalisierend auf den Harn-pH, sondern auch die Gabe von Mineralwasser mit einem Bicarbonatgehalt über 1500 mg/l (6). In der Studie wurde eine Mineralwassermenge von 1.4 l/d verabreicht, was dem Effekt eines handelsüblichen Alkalizitrates entsprach (7).
Ähnliches lässt sich auch bei Sodbrennen und Reflux postulieren: Rein rechnerisch kann ein hydrogencarbonatreiches Wasser die gleiche Säurepufferkapazität liefern wie frei verkäufliche Antazida auf Calciumcarbonat-/Magnesiumcarbonat-Basis; die Praxistauglichkeit dieser Intervention untermauern vier prospektive Studien (8).

Soda-Loading

Dass exogen zugeführtes Hydrogencarbonat schnell und effektiv die Pufferkapazität des Blutes erhöhen kann, ist bereits seit längerem aus der Sporternährung bekannt. Das sogenannte Soda-Loading (Bicarbonat zuführen in Form von Backpulver) führt dazu, dass mehr Laktat aus der anaeroben Energiegewinnung aus dem Muskel entfernt wird, was zum Leistungserhalt beiträgt mit dem schönen Nebeneffekt, dass der Insulinresistenz auf Grund der erhöhten Ausscheidung von Stresshormonen, welche ebenso unter erhöhter Säurebelastung passiert, entgegengewirkt wird (9).
Als Faustregel gilt: Um die Säurelast von 100 Gramm Fleisch, Fisch oder proteinreichen Getreideprodukten wie Pasta auszugleichen, ist die zwei- bis dreifache Menge an Gemüse, Salat oder Obst notwendig – oder hydrogencarbonatreiches Mineralwasser als Getränk!

Sulfat

Unter Sulfat verstehen wir die Salze und Ester der Schwefelsäure. Auch für Schwefel wird keine tägliche Zufuhrmenge beschrieben, da der Bedarf mit der Zufuhr von schwefelhaltigen Aminosäuren (Cystin, Cystein, Methionin) gedeckt ist.
Dass Schwefelsalze eine abführende Wirkung haben und als Laxantien zum Einsatz kommen können, ist seit über 100 Jahren gesichert, auch wenn heute weniger gebräuchlich. So regen auch Sulfat haltige Wässer über den Mechanismus der schlechten Absorptionsrate die Motilität an und gleichzeitig wird die Kontraktilität der Gallenblase verstärkt und die Sekretion der Gallenflüssigkeit ins Duodenum gefördert.
Zu diesen Aussagen existieren insgesamt 9 klinische Studien, die allesamt zum Schluss kommen, dass ein Sulfat reiches Wasser bei funktionellen Verdauungsbeschwerden sinnvoll erscheint.

Funktionelle Obstipation

In einer schönen Arbeit (plazebokontrollierte RCT) zum Vergleich der Wirksamkeit eines Sulfat reichen Mineralwassers mit Leitungswasser bei funktioneller Verstopfung mit 100 Patienten wurde über sechs Wochen täglich 1 l Sulfat reiches Mineralwasser (1535 mg/l Sulfat, 573 mg/l Calcium, 105 mg/l Magnesium) gegeben mit signifikantem Effekt nach 3 Wochen in der Stuhlfrequenz (2,02 ± 2,22 vs. 0,88 ± 1,67). Nach 6 Wochen des täglichen Wassertrinkens war die Zunahme der Stuhlgänge nicht mehr signifikant verschieden. Der Effekt in der Sulfatgruppe blieb gleich hoch, die Gruppe mit Kohlesäure versetztem Leitungswasser zeigte eine leichte Zunahme in der Stuhlfrequenz (10). Wie erwähnt bestehen andere Studien zu dieser Thematik, wo aber oftmals auch gleichzeitig magnesiumreiche Wässer verwendet wurden, so dass der alleinige Effekt des Sulfats nicht genau eruiert werden kann.
Wichtig scheint hier der Hinweis, dass Patienten mit häufiger Stuhlfrequenz, Diarrhoe, und störenden Borborygmi vom Wechsel auf ein sulfatarmes Wasser profitieren könnten.

Silicium

Silicium ist in seiner organischen Form als Kieselsäure an vielen Stoffwechselprozessen im Körper involviert und damit auch an der Bildung von Bindegewebsstrukuren der Haut, weshalb es auch an der Wundheilung beteiligt ist. Bislang wurde für Silicium kein Referenzwert zur täglichen Aufnahme herausgegeben. Dass es jedoch von Nutzen sein könnte, soll hier am Beispiel des Knochenstoffwechsels gezeigt werden.

Osteoporose

Verschiedene Kohortenstudien der letzten 30 Jahre weisen darauf hin, dass eine höhere Siliciumzufuhr mit einer höheren Knochenmasse korreliert, was in einem systematischen Review gut aufbereitet ist (11). Der genaue biologische Wirkmechanismus, über welchen Silicium den Knochen beeinflusst, ist noch ungeklärt. Vermutet wird eine Rolle bei der Synthese von Kollagen als Knochengrundsubstanz sowie bei der Stabilisierung und Mineralisation der Knochenmatrix, ebenso scheint es Einfluss auf die Wachstumsrate im Knochen zu haben. Derzeit stützen Interventionsstudien am Tier- und Zellmodell diese Beobachtungen; so führte eine Siliciumsupplementation bei gleichzeitig niedriger Calciumzufuhr zu besserer Knochendichte und weniger Knochenabbau verglichen mit niedriger Calciumzufuhr und ohne Siliciumsupplementation. Einen positiven Effekt der Supplementation auf den Knochenaufbau konnte aber in der Studie nicht festgestellt werden (12).
Doch da Kieselsäure und Silicium auch in grösseren Mengen nicht schädlich sind, wird eine Silicium reiche Ernährung für sinnvoll angesehen (13).

Lithium

Als sogenanntes Ultraspurenelement findet sich Lithium im menschlichen Körper nur in sehr geringen Mengen. Der Tagesbedarf an Lithium ist bislang nicht genau bekannt. Nach Schätzungen werden täglich zwischen 0,6 mg bis 3 mg massgeblich über das Trinkwasser aufgenommen. Interessant: Hohe Lithiumgehalte im Wasser senkten die Selbstmordrate bei Depressionen, wie eine Wiener Studie aus dem Jahr 2011 belegte. So scheint bereits eine Lithiummenge weit unter der therapeutisch verwendeten Dosis einen Effekt auf die psychische Gesundheit zu haben (14). Eindrücklich gestaltet sich auch die aktuelle Forschung zum Zusammenhang zur Alzheimer-Krankheit. Nach Ergebnissen einer dänischen statistischen Regressionsanalyse erkrankten Bewohner im Alter seltener an einer Demenz, wenn das Trinkwasser einen hohen Lithiumgehalt aufwies (15). Dazu existiert auch eine kleine Interventionsstudie bei Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und Gedächtnisstörungen. Probanden erhielten eine Dosis von 150 µg bis 600 µg Lithium pro Tag. Bei der plazebokontrollierten Studie war nach 12 Monaten ein leichter Rückgang der Konzentration von P-tau im Liquor zu verzeichnen. Zudem ergaben sich verbesserte Ergebnisse im ADAS-Cog-Test (16).
Wir müssen nicht zu den «Brunnenkuren» voriger Jahrhunderte zurückkehren, doch der gezielte Einsatz von Wässern als Form der Prophylaxe oder einer niederschwelligen, synergistisch wirksamen Therapie kann im Rahmen diätetischer Interventionen auf der Basis von soliden Daten Anwendung finden.

Diana Studerus, MSc

– GastroZentrum Hirslanden, Witellikerstrasse 40, 8008 Zürich
– Zöliakie Zentrum am GastroZentrum Hirslanden, Zürich
– Ernährungstherapie Basel, Klosterberg 11, 4051 Basel

diana@foodonrecord.com

Die Autorin hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Ein Mineralwasser mit hohem Mineralisierungsgrad (Calcium, Magnesium) sowie ausreichend Hydrogencarbonat und Silicium leistet einen sinnvollen Beitrag in der Osteoporoseprophylaxe
  • Bei Bauchbeschwerden aller Art ist es empfehlenswert den Sulfatgehalt des Wassers zu prüfen und ggf. therapeutisch zu nutzen.
  • Lithium und ev. Silicium scheinen nach neusten Daten von Relevanz für die Gehirngesundheit. Wasser ist hier eine effiziente Zufuhrmöglichkeit (s. Tabelle)

1. Manz, F. History of nutrition and acid-base physiology. Eur J Nutr 2001;40:189–199
2. Naumann J, Bieler D: Hydrogencarbonat in Mineralwasser und Mobilität im Alter. Ernährung & Medizin 2016; 31(03):113-119. DOI: 10.1055/s-0042-108677
3. Dawson-Hughes B, Harris SS, Palermo NJ et al. Treatment with potassium bicarbonate lowers calcium excretion and bone resorption in older men and women. J Clin Endocrinol Metab. 2009;94(1):96-102.
4. Kok J, Iestra, JA, Doorenbos et al. The effects of dietary excesses in animal protein and in sodium on the composition and the crystallization kinetics of calcium oxalate monohydrate in urines of healthy men. J Clin. Endocrinol Metab 1990;71: 861–867
5. Reddy ST, Wang CY, Sakhaee, K et al. Effect of low-carbohydrate high-protein diets on acid-base balance, stone-forming propensity, and calcium metabolism. Am J Kidney Dis. 2002;40: 265–274
6. Giannini S, Nobile M, Sartori L et al. Acute effects of moderate dietary protein restriction in patients with idiopathic hypercalciuria and calcium nephrolithiasis. Am J Clin Nutr 1999;69:267–271
7. Siener R, Jahnen A, Hesse A: Influence of a mineral water rich in calcium, magnesium and bicarbonate on urine composition and the risk of calcium oxalate crystallization. Eur J Clin Nutr 2004;58:270–276
8. Beer AM, Uebelhack R, Pohl U. Efficacy and tolerability of hydrogen carbonate-rich water for heartburn. World J Gastrointest Pathophysiol. 2016;
9. Wagner G, Schröder U, Campo dell’Orto M: Hydrogencarbonat. Sportärztezeitung 2017;01: 86-91
10. Naumann J, Sadghiani C, Alt F et al. Effects of Sulphate-Rich Mineral Water on Functional Constipation: A Double-Blind, Randomized, Placebo-Controlled Study. Forschende Komplementärmedizin 2016;23:1-8
11. Rodella LF, Bonazza V, Labanca M et al. A review of the effects of dietary silicon intake on bone homeostasis and Regeneration. J Nutr Health Aging. 2014 Nov;18(9):820-6
12. Kim MH, Bae YJ, Choi MK et al. Silicon supplementation improves the bone mineral density of calcium-deficient ovariectomized rats by reducing bone resorption. Biol Trace Elem Res. 2009 Jun
13. Naumann J, Prävention mit Silizium aus Nahrung, Wasser und Supplementen: ein qualitativer Review. Aktuel Ernährungsmed 2015;40:1-5
14. Kapusta ND et al. Lithium in drinking water and suicide mortality. Br J Psychiatry. 2011;198(5):346-50.
15. Kessing LV et al. Association of Lithium in Drinking Water With the Incidence of Dementia. JAMA Psychiatry. 2017;74(10):1005–1010.
16. Forlenza O et al. Disease-modifying properties of long-term lithium treatment for amnestic mild cognitive impairment: randomised controlled trial. Br J Psychiatry 2011; 198: 351–6

Spektrum der Polyneuropathien

Polyneuropathien (PNP) als generalisierte Erkrankung des peripheren Nervensystems, oft mit autonomer Beteiligung, sind häufige Erkrankungen mit vielfältigen möglichen Ätiologien und potentiell schwerwiegenden Auswirkungen für die Betroffenen. Eine akut verlaufende PNP ist ein neurologisch-medizinischer Notfall. In diesem Artikel werden die häufigsten Formen im Kontext von Pathophysiologie, Klinik, Diagnostik und Therapie dargestellt.

Das häufigste klinische Bild ist die distale symmetrische, oft mit einer sensiblen Symptomatik beginnende Polyneuropathie. Die Erkrankung führt zu einem neuronalen, axonalen Verlust. Hierbei ist der distale Befall dadurch zu erklären, dass sich die Schädigung stärker auswirkt, je länger die betroffenen Nervenfasern sind. In den letzten Jahren sind auch Polyneuropathien der kleinen, nicht-myelinisierten Nervenfasern (Kleinfaserneuropathie) stärker in den Fokus geraten, welche ebenfalls sehr häufig vorkommen und der typischen elektroneurographischen Untersuchung (wie bei der Grossfaserneuropathie) entgehen (1). Seltenere Verteilungen sind der Multiplex-Typ und die Schwerpunktneuropathie. Besonders die immunvermittelten demyelinisierenden Neuropathien können aufgrund einer Polyradikuloneuropathie auch einen proximalen Befall haben. Die kürzlich überarbeiteten Leitlinien der DGN werden für eine weiter vertiefende Lektüre empfohlen (2).

Ursachen und Pathophysiologie

Ein gleichartiges, klinisches Bild bei der PNP kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. Weiterhin als häufigste Ätiologien sind im metabolisch-toxischen Bereich einerseits Diabetes mellitus oder eine pathologische Glukosetoleranz zu nennen. Schädigungen des peripheren Nervensystems können zeitlich deutlich vor anderen Organschäden auftreten. Zum anderen geht man weiterhin davon aus, dass eine alkoholtoxische PNP die wahrscheinlich zweithäufigste Ursache darstellt. Problematisch ist hier das Fehlen von «Grenzwerten» im Konsumverhalten, da auch hier die neurotoxische Vulnerabilität sehr unterschiedlich sein kann.
Polyneuropathien können klinisch isoliert oder im Zusammenhang mit anderen systemisch relevanten Erkrankungen und Zustandsbildern auftreten und umfassen prinzipiell sämtliche Bereiche der Ätiologien von medizinisch-neurologischen Erkrankungen (u.a. metabolisch-toxisch, entzündlich erregerbedingt oder autoimmun, darunter auch vaskulitisch, antikörperassoziiert, genetisch-hereditär (mit regelhaft auch späten Manifestationen), sowie paraneoplastisch). Eine genaue Anamnese und eine umfassende klinische Beurteilung sind daher im Management von Polyneuropathien unerlässlich.
Eine elektrophysiologische Abklärung erfolgt, um eine axonale von einer demyelinisierenden Pathologie abzugrenzen und eine Aussage über die Akutheit des Verlaufs zu treffen und schliesslich auch die Diagnose in Abgrenzung zu weiteren Differenzialdiagnosen zu sichern. Hierbei ist es bedeutsam zu wissen, dass auch bei einer axonalen Schädigung durch die Schädigung der schnell leitenden Axone die Nervenleitgeschwindigkeit frühzeitig abnehmen kann. Auch bei einer demyelinisierenden Ätiologie kommt es in typischer Weise zu Amplitudenreduktionen. Schliesslich führen viele der häufigeren Polyneuropathie-Ursachen sowohl zu einer axonalen als auch zu einer demyelinisierenden Schädigung. Besonders relevant ist die Feststellung einer rasch progredient verlaufenden axonalen Polyneuropathie. Die frühzeitige Diagnosestellung einer autoimmun-bedingten Neuropathie vom Typ der polyradikulärer Neuropathie ist therapeutisch hoch relevant (Tab. 1.).

Diagnostische Abläufe

In der Anamnese wird besonders nach sensiblen und motorischen Reiz- und/oder Ausfallsymptomen, sowie neuropathischen Schmerzen und autonomen Störungen gefragt. Das Ausmass der Störung auf die Alltagsfunktion wird evaluiert, etwa mit Hinblick auf Gehbehinderung oder Störungen im Arm-Handgebrauch. Fussdeformitäten oder dünne Unterschenkelmuskeln können ebenso wie eine positive Familienanamnese auf eine hereditäre Neuropathie hinweisen. Frühzeitig sollte man sich ein Bild über den Verlauf, beziehungsweise die bereits bestehende Dauer der Beschwerden (akut, subakut, chronisch) machen. Häufig sind in der Anamnese auch andere Grund- und Begleiterkrankungen, welche ein Risiko für eine Polyneuropathie-Entwicklung darstellen, zu erfragen, oder diese sind bereits in der Krankengeschichte bekannt. Auch Noxen und Medikamente als Ursache für eine toxische Polyneuropathie müssen strukturiert erfasst werden. Bei der klinischen Untersuchung achtet man je nach Verteilungstyp der Polyneuropathie auf schlaffe beziehungsweise atrophe Paresen mit distaler Betonung, sowie häufig bestehender socken- oder handschuhförmige Sensibilitätsstörung, wobei alle sensiblen Qualitäten untersucht werden (beispielsweise pathologische Befunde als Hypästhesie, Pallhypästhesie, Thermhypästhesie, Lagesinn- Empfindungsstörung). Auch eine sensible Ataxie ist häufig vorliegend.
Die klinische Elektrophysiologie umfasst in der motorischen Neurographie die Untersuchung von Arm- und Beinnerven (z.B. N. peronaeus, N. tibialis, N. ulnaris). Auch F-Wellen Bestimmungen sind bei besonders demyelinisierender oder proximaler Läsion aussagekräftig. In der sensiblen Neurografie wird am Bein häufig der Nervus suralis untersucht, am Arm der Nervus ulnaris. In einer EMG-Untersuchung, am häufigsten des Musculus tibialis anterior, wird nach pathologischer Spontanaktivität in Form von vor allen Dingen positiven scharfen Wellen und Fibrillationen (als Hinweis auf einen meist rascher einsetzenden axonalen Schaden) gesucht, sowie die Muskelsummenpotenzials mit Hinblick auf Zeichen eines neurogenen Umbaus untersucht. Überhöhte Potenziale sprechen für ältere Umbauprozesse, eine erhöhte Polyphasierate bei normalen Amplituden ist bei subakuten neurogenen Umbauprozessen festzustellen, Hinweise auf Reinnervation können zusätzlich auch sogenannte Satelliten-Potenziale liefern.

Laboruntersuchungen stellen einen wichtigen Eckpfeiler in der Abklärung von Polyneuropathien dar. Neben einem umfassenden Basis-Labor wird die Anforderung von zusätzlichen Parametern in Abhängigkeit von bestimmten Fragestellungen und Konstellationen vorgenommen. Eine Übersicht findet sich in Tabelle 2.
Eine Liquoruntersuchung gehört nicht zur vorgeschriebenen Routineuntersuchung bei der Polyneuropathie, sofern die Diagnose mit anderen Schritten gestellt werden kann. Eine Liquoruntersuchung ist indiziert bei Verdacht auf erregerbedingte entzündliche, autoimmune oder paraneoplastische Ätiologie der Polyneuropathie.
Die erweiterte Diagnostik umfasst Abklärungsschritte je nach Einzelfall. Eine Hautbiopsie als Stanzbiopsie kann intradermale, nicht-myelinisierte Nervenfasern quantifizieren und ein wichtiger diagnostischer Hinweis auf eine Small Fiber-Polyneuropathie sein (3). Nicht für alle Körperregionen gibt es jedoch hinterlegte Normalwerte. Die Auswertung erfolgt in einem ausgewiesenen Speziallabor. Auch eine strukturierte, quantitative Sensibilitätstestung kann hilfreich sein. Eine Nervenbiopsie, am häufigsten des Nervus suralis, wird heute weniger häufig indiziert und hat einen besonderen Stellenwert bei Vaskulitis-Verdacht, wenn mit anderen Methoden keine Diagnosestellung erfolgen konnte, wobei dann auch eine kombinierte Nerv-Muskelbiopsie erwogen werden sollte. Umfassendere endoskopische Abklärungen sowie Schnittbild-Verfahren kommen beim Verdacht auf paraneoplastische Genese zur Anwendung. Bildgebende Verfahren der Neurone (Nervenultraschall, evtl. MRI) können Zusatzinformationen liefern.

Praktische Hinweise

Eine Polyneuropathie mit rasch einsetzenden Paresen oder starken Schmerzen erfordert notfallmässige Abklärungen, da eine drohende axonale Schädigung beispielsweise bei Vaskulitis oder eine immunogene Polyradikuloneuropathie sofortige therapeutische Massnahmen nach sich ziehen muss. Auch spinale Prozesse (Myelitis, kompressive Erkrankungen wie zervikale Myelopathie sowie metabolische Störungen wie funikuläre Myelose) oder polyradikuläre Schädigungen (enger lumbaler Spinalkanal) sind wichtige Differentialdiagnosen. Typische Zeichen einer Schädigung des ersten Motoneurons können bei zentralen Differentialdiagnosen zudem in der Akutphase fehlen.
Die Laborabklärungen zielen zunächst auf häufige und behandelbare Ursachen von Polyneuropathien ab und werden bei negativen Befunden im Kontext von Klinik und Elektrophysiologie ausgeweitet. Bei häufigen Ursachen von Polyneuropathie muss auch an die Möglichkeit einer Kombination mehrerer Ätiologien gedacht werden, sodass in jedem Fall eine Basisdiagnostik angezeigt ist (beispielsweise Diabetes mellitus und Vitamin-B12-Mangel).
Eine pathologische Glucose-Toleranz kann bereits vor der eigentlichen Diabetesdiagnose zu einer Polyneuropathie führen, mit entsprechend strengeren Kriterien für eine Therapie. Umgekehrt kann leider die Persistenz von im Zusammenhang mit dem Glucose-Stoffwechsel stehenden PNP-Beschwerden trotz Verbesserung der diabetischen Stoffwechsellage nicht gegen diesen ätiologischen Zusammenhang sprechen.
Leider sprechen bei weitem nicht alle Patienten mit einer chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP) auf die Standardtherapie mit Steroiden, Immunglobulin, gegebenenfalls Plasmapherese an. Diagnostisch sollten in diesen Fällen spezifische Antikörper bestimmt werden (Tab. 2.). Bei Antikörperpositivität kann eine Behandlung mit Rituximab vielversprechend sein (2).
Eine PNP als Nebenbefund im höheren Lebensalter kann in der allgemeinmedizinischen oder internistischen Praxis eine häufige klinische Situation darstellen (2). Eine neurophysiologische Diagnostik kann hier im Zusammenhang mit der klinischen Evaluation hilfreich sein, um das Ausmass der Schädigung und die mögliche Bedeutung im Einzelfall festzulegen. Laborbezogene Abklärungen sind in jedem Fall sinnvoll, um die häufigsten und kausal behandelbaren Ursachen abzuklären. Um eine rasche Progredienz nicht zu übersehen, ist eine Nachkontrolle nach 4-6 Monaten je nach Verlauf sinnvoll.
Trotz umfassenden Abklärungen bleiben ca. 25-30% der Ätiologien unklar. Eine langsam verlaufende axonale Polyneuropathie macht ca. 25% aller Polyneuropathien aus und wird als idiopathische axonale Polyneuropathie bezeichnet (2).

Therapie

Im Idealfall kann als Folge von Abklärungen eine kausale Therapie einer bestimmten Polyneuropathie-Ursache erfolgen. Dies kann beispielsweise eine Diabetes-Therapie (aus der Kenntnis einer individuell besonderen Vulnerabilität muss bei pathologischer Glukosetoleranz bereits eine frühzeitige Therapieindikation abgeleitet werden), Vitamin-B12-Substitution oder Behandlung einer Schilddrüsenfunktionsstörung umfassen. Eine Immuntherapie ist bei Polyneuropathie im Rahmen einer inflammatorischen PNP oder einer autoimmun-entzündlichen Systemerkrankung erforderlich. Weitere Behandlungen richten sich nach der festgestellten Ursache (Infektionen wie Borreliose, Hepatitiden; Behandlung einer Gammopathien, usw.).
Zusätzlich zur Standardtherapie bei CIDP müssen häufig Immunsuppressiva zum Einsatz kommen. Leider gibt es für keines der heute am häufigsten angewendeten Therapeutika eine Klasse I Evidenz. Zum Einsatz kommen unter anderem Rituximab, Mycophenolat-Mofetil, Azathioprin (4).
Sehr häufig kommen bei PNP symptomatisch ausgerichtete Therapien, insbesondere bei polyneuropathischen Schmerzen, zum Einsatz. Therapeutika umfassen trizyklische Antidepressiva, Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregabalin, Carbamazepin, Opioid-Analgetika. Auch topische Therapien mit Lidocain oder Capsaicin oder eine Behandlung von Crampi (Antiepileptika oder Baclofen) kommen zum Einsatz. Physiotherapie und Ergotherapie sind zur Verbesserung der Mobilität und der manuellen Funktionen in einem ambulanten oder ggf. auch stationären Rahmen angezeigt.

Dr. med. Sylvan J. Albert, MSc

Leiter Neurologie
Kantonsspital Graubünden
7000 Chur

sylvan.albert@ksgr.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Der häufigste Verteilungstyp einer Polyneuropathie (PNP) ist die distal symmetrische sensomotorische PNP, welche meist mit sensiblen Symptomen beginnt
  • Aufgrund von potentiell gravierenden Auswirkungen für die Betroffenen auf die Körperfunktionen, Mobilität und Alltagsfunktionen ist eine Evaluation mit der Fahndung nach kausal behandelbaren Krankheitsursachen ebenso wie ggf. die Anwendung von symptomlindernden Therapieverfahren angezeigt
  • Wegen der Möglichkeit von multifaktoriellen Ursachen empfiehlt sich im Rahmen der Erstabklärung eine vollständige Durchführung einer Basisuntersuchung meist inklusive Elektrophysiologie. Weitere Spezialabklärungen kommen je nach individueller Konstellation zur Anwendung. Um die Dynamik einer Erkrankung zu ermitteln, können klinische und elektrophysiologische Folgeuntersuchungen sinnvoll sein.

1. de Greef BTA, Hoeijmakers JGJ, Gorissen-Brouwers CML, Geerts M, Faber CG, Merkies ISJ. Associated conditions in small fiber neuropathy – a large cohort study and review of the literature. European journal of neurology 2018;25:348-355.
2. Heuss D et al. Diagnostik bei Polyneuropathien. in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie 2019:1-64.
3. Sommer C. Nerve and skin biopsy in neuropathies. Current opinion in neurology 2018;31:534-540.
4. Mahdi-Rogers M, Brassington R, Gunn AA, van Doorn PA, Hughes RA. Immunomodulatory treatment other than corticosteroids, immunoglobulin and plasma exchange for chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy. The Cochrane database of systematic reviews 2017;5:Cd003280.
5. Wunderlich G. Polyneuropathien. In: SOPs Neurologie (Herausgeber GR Fink, R Gold, P Berlit), Thieme Verlag 2018:361-365.
6. McCoy SS, Baer AN. Neurological Complications of Sjogren’s Syndrome: Diagnosis and Management. Current treatment options in rheumatology 2017;3:275-288.
7. Rison RA, Beydoun SR. Paraproteinemic neuropathy: a practical review. BMC neurology 2016;16:13.
8. Rossor AM, Tomaselli PJ, Reilly MM. Recent advances in the genetic neuropathies. Current opinion in neurology 2016;29:537-548.