Eine seltene Ursache der Milzruptur

Die Milzruptur nach einer Koloskopie ist eine seltene, aber potenziell lebensbedrohliche Komplikation. Bei akuten Schmerzen im linken Oberbauch, arterieller Hypotonie bis hin zum hämorrhagischen Schock sollte daran gedacht werden. Die Diagnose erfolgt anhand einer Computertomographie oder sonographisch. Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad und umfasst konservatives Management, arterielle Embolisation oder Splenektomie.

Schlüsselwörter: Koloskopie, Milzruptur, Milzblutung, atraumatische Milzruptur

Fallbeschreibung:

Die Zuweisung des 73-jährigen Patienten erfolgte zur Abklärung eines ungewollten Gewichtsverlusts von 12 kg innerhalb der letzten sechs Monate. Vorbekannt waren eine schwere chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) Stadium Gold III, Risikogruppe E bei persistierendem Nikotinabusus vom mehr als 100 pack years, eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, ein low-grade Urothelkarzinom der Harnblase sowie ein chronischer Alkoholabusus. Vor 5 Jahren waren bei einer Koloskopie multiple Kolonpolypen bis ca. 25 mm aus dem Kolon ascendens, dem Kolon transversum, dem Kolon descendens und dem Rektum entfernt worden. Als Dauermedikation nahm der Patient Rosuvastatin, Enalapril, Calcium und Vitamin D ein, inhalierte regelmässig Indacterol/Glycopyrronium sowie Salbutamol bei Bedarf. Zudem bestand die Versorgung mit intermittierend 2 l Heimsauerstoff. Im Labor waren bei Eintritt das Blutbild, INR und Elektrolyte normwertig.

Bei bisher nicht wahrgenommener Nachkontrolle der 2018 erfolgten Kontrollkoloskopie sowie zur Abklärung des Gewichtsverlustes erfolgte eine Koloskopie.

2018 war die Koloskopie aufgrund der COPD ohne Sedation erfolgt, musste jedoch bei Schmerzexazerbation abgebrochen und unter Sedation wiederholt werden.

Aktuell entschied man sich aufgrund der schweren COPD zur Durchführung in Intubationsnarkose. Als Koloskopiegas wurde routinemässig CO2 verwendet. Es fand sich eine weitgehend unauffällige Koloskopie. Im Kolon ascendens wurde ein flacher sessiler Polyp von 18 mm Durchmesser nach Unterspritzung mit Methylenblau und verdünntem Adrenalin mit kalter Schlinge komplett entfernt, ein weiterer sessiler Polyp von 6 mm Durchmesser wurde ebenfalls im Kolon ascendens mittels Schlinge entfernt. Histologisch stellten sich diese als tubulovillöse Adenome der Dickdarmschleimhaut mit low-grade Dysplasie dar. Nach einer beschwerdefreien Nacht traten am Folgetag progrediente, kolikartige Abdominalschmerzen auf.

Ungefähr 24 Stunden nach der Koloskopie präsentierte sich der Patient kaltschweissig, hatte eine arterielle Hypotonie von 88/53 mmHg und eine Tachykardie von 135/min. Das Abdomen zeigte klinisch eine ubiquitäre Abwehrspannung und Défense. In der Blutuntersuchung zeigte sich ein Hämoglobinabfall von 136 g/l auf 93 g/l, ein Anstieg der Leukozyten von 6.19×103/µl auf 14.8×103/µl (Normwert 3.6–10.5×103/µl), die Thrombozyten lagen mit 232×103/µl im Normbereich (Normwert 150–370×103/µl), der INR mit 1.0 war ebenfalls normwertig.

Welche Differenzialdiagnose kommt eher nicht infrage?

a) Darmperforation
b) Gastrointestinale Blutung
c) Milzruptur
d) Postpolypektomie-Syndrom
e) Passagäre Nebenwirkung durch das bei der Koloskopie eingeleiteten Gases

Die Screeningkoloskopie ist eine Untersuchung mit einer geringen Komplikationsrate. Die häufigsten schweren Komplikationen sind Blutungen (1–2 %) und Perforationen des Gastrointestinaltraktes (0.1–0.2 %). Diese machen einen Hauptteil der Koloskopie-verursachten Mortalität aus, welche jedoch mit 0.006–0.5 % sehr gering ausfällt (1).

Die arterielle Hypotonie, Tachykardie und abdominelle Abwehrspannung wären für eine Perforation passend. Der Hämoglobinabfall würde eher auf eine gastrointestinale Blutung hinweisen. Hämatemesis, Blutabgang ab ano oder Teerstuhl waren jedoch nicht aufgetreten. Für eine gastrointestinale Blutung eher untypisch wäre auch die abdominelle Abwehrspannung.

Verletzungen der Milz durch eine Koloskopie sind mit etwa 0.004 % sehr selten (2).

Diese treten gewöhnlich innerhalb der ersten 24 Stunden nach Koloskopie auf, können sich aber auch mit bis zu 10 Tagen Verzögerung manifestieren. Bei der Untersuchung in Sedation können sehr frühe Symptome maskiert werden (3). Typische Symptome sind Schmerzen im linken Oberbauch, zum Teil mit Ausstrahlung in die linke Schulter mit Zunahme bei Inspiration (Kehr-Zeichen) und Peritonismus. Im Rahmen des Blutverlustes können vor allem eine arterielle Hypotonie und ein Abfall des Hämoglobinwertes beobachtet werden (2).
Das Postpolypektomie-Syndrom entsteht durch Setzen von transmuralen Verbrennungen der Darmwand durch Elektrokoagulation mit konsequenter Peritonitis, Schmerzen und lokaler Abwehrspannung (4).

Was wäre der nächste diagnostische Schritt?

a) Re-Koloskopie
b) Computertomographie
c) Ultraschall Abdomen
d) Gastroskopie
e) Laparotomie

führend. Die Computertomographie ist das diagnostische Mittel der Wahl. Hier kommen freie Luft, entzündliche Veränderungen, intraabdominale Flüssigkeit und Verletzungen intraabdominaler Organe zur Darstellung. Mit der Ultraschalluntersuchung kann freie Flüssigkeit dokumentiert werden, in diesem Fall ist die Differenzialdiagnose jedoch zu breit (5–6). Eine Ursache im oberen Gastrointestinaltrakt erscheint unwahrscheinlich, eine Gastroskopie ist daher nicht indiziert. Bei diesem kreislaufinstabilen Patienten sollte vor einer Laparotomie eine Computertomographie erfolgen, um zur Diagnose zu kommen.

In der Computertomographie (Abb. 1) konnte intraabdominal viel freies Blut dokumentiert werden. Ätiologisch zeigte sich eine Milzblutung mit grossem subkapsulärem Hämatom und eine aktive Blutung der Milz in die Bauchhöhle (Abb. 2 und 3), entsprechend einer Verletzung Grad IV nach der American Association for the Surgery of Trauma (AAST) grading scale for splenic lacerations (7). Diese Einteilung richtet sich nach der Grösse des subkapsulären Hämatoms, dem Vorhandensein eines Kapselrisses, dem Ausmass der Organlazeration und dem Vorhandensein einer aktiven Blutung.

Was stellt einen Risikofaktor für eine ­Milzruptur während der Koloskopie dar?

a) Splenokolische Adhäsionen und Splenomegalie
b) Kardiovaskuläre Erkrankungen und Antikoagulation
c) Starke Distension des Dickdarms
d) Weibliches Geschlecht
e) Alle der oben genannten

Als Risikofaktoren für eine Verletzung der Milz während der Koloskopie werden einerseits splenokolische Adhäsionen nach Operationen oder Entzündungen, andererseits eine Splenomegalie (insbesondere > 15 cm), starke Distension des Dickdarms durch die eingeleitete Luft, weibliches Geschlecht, kardiovaskuläre Erkrankungen und orale Antikoagulation beschrieben (2). Polypektomien im Bereich der linken Kolonflexur und Untersuchungstechniken, die zur Torsion des splenokolischen Ligamentes führen oder ein kräftiger Druck von aussen, erhöhen das Risiko einer Blutung (8–9). Ursächlich beschrieben werden eine direkte Verletzung der Milz durch das Endoskop an der splenischen Flexur, vor allem bei Entnahme von Biopsien in diesem Bereich, ein Riss der Milzkapsel durch Zug am Ligamentum splenocolicum oder ein Riss der Milzkapsel durch Traktion von Adhäsionen zwischen Milz und Colon (2).

Im vorliegenden Fall lagen weder eine Splenomegalie noch splenokolische Adhäsionen vor. Gerinnungshemmende Medikamente wurden nicht eingenommen. Mit der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit ist eine vaskuläre Erkrankung bekannt, bei ausgeprägtem Nikotinabusus ist eine Gefässpathologie anzunehmen. Ein externes Trauma erfolgte nicht. Als Ursache der Milzruptur kommt nach Ausschluss anderer Ursachen somit am ehesten die Koloskopie infrage.

Welcher therapeutische Schritt ist bei einer Milzruptur keine Option?

a) Analgesie, Flüssigkeitssubstitution
b) Bluttransfusionen, Tranexamsäure
c) Embolisation der Milzarterie
d) Koloskopische Versorgung der Milzruptur
e) Splenektomie

Die Therapie richtet sich nach dem klinischen Zustand des Patienten sowie dem Grad der Verletzung. Die Milzruptur ist eine äusserst seltene Komplikation nach Koloskopie (10). Spezifische Leitlinien existieren nicht, die Leitlinien für traumatische Milzläsionen sind nur bedingt anwendbar. Je nach Situation muss ein individuelles Vorgehen gewählt werden. Bei hämodynamisch stabilen Patienten kann ein konservativer Therapieversuch mittels Analgesie, intravenöser Flüssigkeitssubstitution und Bluttransfusionen unter Kontrolle von Vitalzeichen und Hämoglobin erfolgen. Bei Fortbestehen der Blutung beziehungsweise hämodynamischer Instabilität kann eine Embolisation der Arteria splenica erfolgen. Bei aktiver Blutung oder persistierender hämodynamischer Instabilität kann eine Splenektomie notwendig werden (11–12).

Der kreislaufinstabile Patient wurde auf die Intermediate Care Unit verlegt. Es wurden insgesamt 3 Erythrozytenkonzentrate und Tranexamsäure verabreicht. Bei inadäquatem Hämoglobinanstieg musste von einer weiterhin aktiven Blutung ausgegangen werden. Über die rechte Arteria femoralis communis erfolgte eine proximale Thermo-Embolisation der Arteria lienalis sowie das Einsetzen eines Vascular Plug.

Welches Procedere soll postinterventionell erfolgen?

a) Überwachung auf der Intermediate Care Abteilung oder Intensivstation
b) Intubation und Verlegung auf die Intensivstation für ein intensives Monitoring
c) Verlegung in ein Zentrumsspital zur Evaluation einer Splenektomie
d) Beobachtung auf einer Normalstation
e) Rasche Evaluation einer Splenektomie im Operationssaal

Postinterventionell wurde der stabile Patient zur Überwachung auf die Intensivstation verlegt. Er war fortan kreislaufstabil, sodass er auf die Normalstation verlegt werden konnte. Dies ist beachtlich, da in den überwiegenden Fällen der bisher beschriebenen Milzrupturen nach Koloskopie eine Splenektomie notwendig wurde. Im Verlauf kam es jedoch im Rahmen der COPD zu einer zunehmenden respiratorischen Verschlechterung. In Rücksprache mit dem Patienten und dessen Familie wurde auf eine rein symptomatische Behandlung umgestellt. Elf Tage nach Koloskopie verstarb der Patient aufgrund von respiratorischem Versagen im Rahmen der bekannten COPD.

Diskussion

In der Inneren Medizin ist die Milzruptur eine seltene Komplikation. Im Falle von hämatologischen Erkrankungen oder Infektionen, verbunden mit einer Splenomegalie, muss diese Komplikation bei zunehmenden, meist akut beginnenden Schmerzen im linken Oberbauch in Betracht gezogen werden. Klinisch kommt es neben den Schmerzen infolge des Blutverlustes zu einem hämorrhagischen Schock. Meist wird eine Milzruptur bei traumatologischen Notfällen beobachtet. Da es sich um eine seltene Komplikation handelt, besteht die Gefahr, dass die Diagnose verpasst beziehungsweise erst verspätet dia­gnostiziert wird.

Noch viel seltener ist die Milzruptur eine, praktisch immer lebensbedrohliche, Komplikation einer Koloskopie. Bei Abdominalschmerzen, insbesondere im linken Oberbauch mit Ausstrahlung in die linke Schulter, arterieller Hypotonie oder Hämoglobinabfall in den ersten zehn Tagen nach Koloskopie sollte an eine Milzruptur gedacht werden.

Splenokolische Adhäsionen, Splenomegalie, starke Distension des Dickdarms durch die bei der Koloskopie eingeleitete Luft, weibliches Geschlecht, kardiovaskuläre Erkrankungen und orale Antikoagulation stellen Risikofaktoren für eine Milzruptur bei Koloskopie dar, ebenso Polypektomien im Bereich der linken Kolonflexur und eine starke Torsion des splenokolischen Ligamentes beziehungsweise kräftiger Druck von aussen. Die Computertomographie ist die diagnostische Methode der Wahl. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung existieren keine spezifischen Leitlinien, die Therapie muss individuell gewählt werden. Leitlinien zur traumatischen Milzruptur können gegebenenfalls als Entscheidungshilfe dienen. Bei hämodynamisch stabilen Patienten kann ein konservativer Therapieversuch erfolgen. Bei persistierender Blutung und hämodynamischer Instabilität kann eine arterielle Embolisation oder Splenektomie notwendig werden.

Antworten
e, b, e, d, a

Danksagung
Wir bedanken uns bei der Radiologie des Kantonsspitals Graubünden für die computertomographischen Bildgebungen.

Dr. med. MSc Cristian Camartin

Leiter Palliative Care
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170 Chur
7000 Chur

cristian.camartin@ksgr.ch

Die Autorin und der Autor haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Coser RB, Dalio MB, Martins LCP, Alvarenga GF, Cruz CA, Imperiale AR, Padovese CC, Paulo GA, Teixeira Júnior JC. Colonoscopy complications: experience with 8968 consecutive patients in a single institution. Rev Col Bras Cir. 2018 Sep 17;45(4):e1858. Portuguese, English. doi: 10.1590/0100-6991e-20181858. PMID: 30231113.
2. de Vries J, Ronnen HR, Oomen AP, Linskens RK. Splenic rupture following colonoscopy, a rare complication. Neth J Med. 2009 Jun;67(6):230-3. PMID: 19749393.
3. Galanis I, Simou M. Splenic Injury After Colonoscopy in a 55-Year-Old Female Patient. Cureus. 2023 Feb 20;15(2):e35239. doi: 10.7759/cureus.35239. PMID: 36968869; PMCID: PMC10038689.
4. Zachou M, Pikramenos K, Mpetsios G, Lalla E, Panoutsakou M, Varytimiadis K, Karantanos P. Post-polypectomy coagulation syndrome: a tricky to diagnose hot snare problem that can be eliminated thanks to cold snare revolution. Arch Clin Cases. 2022 Dec 19;9(4):170-172. doi: 10.22551/2022.37.0904.10226. PMID: 36628162; PMCID: PMC9769077.
5. Olshaker JS, Deckleman C. Delayed presentation of splenic rupture after colonoscopy. J Emerg Med. 1999 May-Jun;17(3):455-7. doi: 10.1016/s0736-4679(99)00040-2. PMID: 10338238.
6. Janes SE, Cowan IA, Dijkstra B. A life threatening complication after colonoscopy. BMJ. 2005 Apr 16;330(7496):889-90. doi: 10.1136/bmj.330.7496.889. PMID: 15831876; PMCID: PMC556163.
7. Kozar RA, Crandall M, Shanmuganathan K, Zarzaur BL, Coburn M, Cribari C, Kaups K, Schuster K, Tominaga GT; AAST Patient Assessment Committee. Organ injury scaling 2018 update: Spleen, liver, and kidney. J Trauma Acute Care Surg. 2018 Dec;85(6):1119-1122. doi: 10.1097/TA.0000000000002058. Erratum in: J Trauma Acute Care Surg. 2019 Aug;87(2):512. PMID: 30462622.
8. Ahmed A, Eller PM, Schiffman FJ. Splenic rupture: an unusual complication of colonoscopy. Am J Gastroenterol. 1997 Jul;92(7):1201-4. PMID: 9219800.
9. Olshaker JS, Deckleman C. Delayed presentation of splenic rupture after colonoscopy. J Emerg Med. 1999 May-Jun;17(3):455-7. doi: 10.1016/s0736-4679(99)00040-2. PMID: 10338238.
10. Primavesi F, Holzinger J, Öfner D, Hutter J. Milzruptur nach Koloskopie: Fallserie und Literatur-Review (Splenic Rupture after Colonoscopy: Case Series and Review of the Literature). Zentralbl Chir. 2015 Aug;140(4):453-5. German. doi: 10.1055/s-0032-1328355. Epub 2013 Jul 3. PMID: 23824610.
11. Aparicio-López D, Sancho Pardo P, Lahuerta Lorente L, Cantín Blázquez S. Splenic rupture after colonoscopy for colorectal cancer screening. Rev Esp Enferm Dig. 2023 May;115(5):279-280. doi: 10.17235/reed.2022.9177/2022. PMID: 36263818.
12. Zappa MA, Aiolfi A, Antonini I, Musolino CD, Porta A. Splenic rupture following colonoscopy: Case report and literature review. Int J Surg Case Rep. 2016;21:118-20. doi: 10.1016/j.ijscr.2016.02.038. Epub 2016 Mar 4. PMID: 26971282; PMCID: PMC4802200.

Albumin-korrigiertes Calcium

Für den klinischen Alltag ist es zentral, Limitationen und Hintergrund von Laborwerten und Korrekturformeln zu kennen, damit Laborbefunde korrekt interpretiert werden können. Die Bestimmung des Gesamtcalciums als Screening ist ausreichend, der klinische Goldstandard ist die Bestimmung des ionisierten Calciums. Eine Albumin-Korrektur kann zu Fehlinterpretationen, unnötiger Zusatzdiagnostik und Therapien führen und sollte kritisch hinterfragt werden.

Schlüsselwörter: Albumin-korrigiertes Calcium, ionisiertes Calcium, Hypalbuminämie, Hyperkalzämie, Zusatzdiagnostik

Fallbeschreibung

Ein 84-jähriger Patient wird nach einem Sturzereignis mit Liegetrauma der Notfallstation zugewiesen, nachdem er von Familienangehörigen auf dem Boden liegend verwirrt vorgefunden wurde.

Klinisch präsentiert sich ein 84-jähriger Patient, dehydriert und zeitlich desorientiert. Blutdruck 170/60 mmHg, Herzfrequenz 88/min, Temperatur 36.8 °C und einer Sauerstoffsättigung von 98 % unter Raumluft.

In der persönlichen Anamnese ist eine Leberzirrhose Child Pugh A im Rahmen einer Autoimmunhepatitis mit lokalem hepatozellulärem Karzinom (HCC) im Lebersegment VI bekannt. Dies wurde mittels Chemo-Embolisation und Radiofrequenzablation kurativ behandelt. Weiter besteht eine chronische Niereninsuffizienz KDIGO G3a, eine normozytäre Anämie und ein Diabetes mellitus Typ 2. In der initialen Laboruntersuchung zeigen sich folgende Befunde (Tab. 1).

Frage: Was ist die wahrscheinlichste Ursache des erhöhten Albumin-korrigierten Calciums?

a) Tumor-assoziierte Hyperkalzämie – lokal osteolytisch
b) Vitamin-D-Intoxikation
c) Primärer Hyperparathyreoidismus
d) Überschätzung des Calciums durch die Albumin-Korrektur bei Hypalbuminämie

Die richtige Antwort lautet d.

Beim erwähnten Patienten lag das physiologisch aktive, ionisierte Calcium mit 1.25 (Referenzbereich 1.15–1.30 mmol/l) im Normbereich. Die onkologischen Verlaufskontrollen des HCC ergaben keine Hinweise für ein Tumorrezidiv (Antwort a). Sowohl Cholecalciferol und Parathormon lagen beim Patienten im Normbereich (Antworten b/c). Ursache für die Hypalbuminämie ist die Leberzirrhose.

Kommentar

Die Bestimmung des physiologisch aktiven, ionisierten Calciums (iCa2+) gilt als klinischer Goldstandard zur Beurteilung des Calciumhaushalts. Diese Laborbestimmung ist jedoch aufwendig und fehleranfällig und wird mittels Blutgasanalyse bestimmt. Im klinischen Alltag einfacher und kostengünstiger ist die Bestimmung des Gesamtcal­ciums. Calcium wird im Plasma zu 40 % proteingebunden, hauptsächlich an Albumin (Abb. 1). Daraus entstand die Annahme, dass bei einer Hypalbuminämie das Gesamt-calcium unterschätzt wird. Basierend auf dieser Überlegung beschrieb R.B. Payne 1973 die noch heute am meisten verwendete Albumin-Korrekturformel (1).

Die Korrekturformel nach Payne geht von einer konstanten Calciumbindungsfähigkeit des Serumalbumins aus. Jedoch verhält sich die Bindungsfähigkeit pro Gramm Albumin umgekehrt proportional, das heisst, je tiefer das Albumin, desto mehr Calcium kann pro Einheit Albumin gebunden werden (Abb. 2) (2). Die Korrekturformel überschätzt also in Wahrheit die Calciumwerte bei einer ­Hypalbuminämie.

1973 kamen noch andere Messmethoden zum Einsatz. Die damals erarbeitete Formel hält aus heutiger Sicht einer belastbaren Validierung nicht mehr stand. Hingegen wurde die limitierte Wertigkeit der Payne-Korrekturformel in unterschiedlichen Patientenpopulationen (Geriatrie, Chi­rurgie, Intensivstation, Hämodialyse) aufgezeigt (3). Besonders ungenau scheint die Korrekturformel in Patienten mit einer Hypalbuminämie (3).

Die Sensitivität (Richtig-positiv-Rate) und Spezifität (Richtig-negativ-Rate) des Albumin-korrigierten Calciums zur Diagnose einer Hyper- und Hypokalzämie ist in Tabelle 2 dargestellt.

Als Lesebeispiel beträgt die Sensitivität, also die Wahrscheinlichkeit, bei vorliegender Hyperkalzämie diese durch ein Albumin-korrigiertes Calcium korrekt zu diagnostizieren, 60–97 %. Diese Wahrscheinlichkeit nimmt bei einer Hypalbuminämie, zugunsten einer sinkenden Spezifität (mehr falsch positive Resultate), zu. Zu beachten gilt, dass ca. 30 % der Albumin-korrigierten Werte «falsch normal» sind und effektiv eine Hypokalzämie vorliegt (3). Dieser Anteil steigt bei zunehmender Hypalbuminämie.

Eine Reihe weiterer Korrekturformeln wurden im Laufe der Jahre entwickelt mit dem Ziel, einen möglichst genauen Surrogat-Marker fürs iCa2+ zu definieren. Eine 2017 durchgeführte retrospektive Analyse mit über 20 000 Patienten konnte schliesslich aufzeigen, dass das Gesamtcalcium besser mit dem iCa2+ korreliert als sämtliche getesteten Korrekturformeln, unabhängig davon, ob eine Hypo-, Normo- oder Hyperalbuminämie vorliegt (4).

Durch die Albumin-Korrektur kann eine effektive Hypokalzämie maskiert oder eine «reale» Normokalzämie fälschlicherweise als Hyperkalzämie beurteilt werden. Dies kann negative Folgen für den Patienten mit sich bringen, da dadurch häufig unnötige Zusatzuntersuchungen (Parathormon, Parathormon related peptide, 25-OH-D3 und 1,25-[OH]2-D3) und für den Patienten potenziell schädliche Therapien (Hydrierung) eingeleitet werden. Die Kosten belaufen sich gemäss Analysenliste 2023 des Bundesamts für Gesundheit (BAG) für Calcium auf 2.5 Taxpunkte (TP), 2.3 TP für Albumin und 22.5 TP für ionisiertes Calcium (zum Vergleich: 25-OH-D3 47.7 TP, 1,25-[OH]2-D3 76.5 TP, PTH 33.3 TP, PTHrP 79.2 TP).

Für den klinischen Alltag ist es zentral, Limitationen und Hintergrund von Laborwerten und Korrekturformeln zu kennen und kritisch zu hinterfragen, damit Laborbefunde korrekt interpretiert werden können. Hierfür ist der Austausch zwischen Klinik und Labor wertvoll. Die Bestimmung des Albumin-korrigierten Calciums kann schlimmstenfalls irreführend sein im Sinne einer «falschen» Hyperkalzämie oder einer «maskierten» Hypokalz­ämie. Im klinischen Alltag genügt in den meisten Fällen deshalb die Bestimmung des Gesamtcalciums. Sollte dies von der Norm abweichen, ist die Bestätigung mittels ionisierten Calciums indiziert.

Dr. med. Patrick Hofmann

Department of Internal Medicine, Renal Division
Brigham and Women’s Hospital, Boston MA, USA

phofmann@bwh.harvard.edu

Prof. Dr. med. Thomas Fehr

Departement für Innere Medizin
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170, 7000 Chur

thomas.fehr@ksgr.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Payne RB, Little AJ, Williams RB, et al. Interpretation of Serum Calcium in Patients with Abnormal Serum Proteins. Brit Med J 1973; 4: 643.
2. Besarab A, Caro JF. Increased absolute calcium binding to albumin in hypoalbuminaemia.. J Clin Pathol 1981; 34: 1368.
3. Smith JD, Wilson S, Schneider HG. Misclassification of Calcium Status Based on Albumin-Adjusted Calcium: Studies in a Tertiary Hospital Setting. Clin Chem 2018; 64: 1713–1722.
4. Ridefelt P, Helmersson-Karlqvist J. Albumin adjustment of total calcium does not improve the estimation of calcium status. Scand J Clin Laboratory Investigation 2017; 77: 1–6.
5. Alhenc-Gelas M, Lefevre G, Bachmeyer C, et al. Poor performance of albumin or protein-adjusted plasma calcium to diagnose dyscalcemia in hospitalized patients: A confirmatory study in a general internal medicine department. La Revue De Médecine Interne 2022; 43: 206–211.

Update sexuell übertragbare Infektionen

Ein neues nationales Programm sagt HIV, Hepatitis und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) den Kampf an. Um die Ziele bis 2030 zu erreichen, werden klassische Präventionsmassnahmen wie Information und Beratung der sexuell aktiven Bevölkerung und das Kondom durch biomedizinische Massnahmen, sprich den Einsatz von Medikamenten und Impfungen, ergänzt. Aber auch die sekundäre Prävention, das Erkennen und Behandeln und damit Verhindern von weiteren Infektionen hat einen hohen Stellenwert zum Erreichen der Ziele. Neue Diagnosemethoden wie die Multiplex-PCR sowie Resistenzentwicklungen gegen Antibiotika erfordern ein regelmässiges Auffrischen des Wissens über STIs. In diesem Artikel geben wir eine Übersicht über Neuerungen, die entweder bereits jetzt relevant sind oder in Zukunft werden, und wollen Ihnen damit den Zugang zum Thema STIs in der Praxis vereinfachen.

A new national program is fighting HIV, hepatitis and other sexually transmitted infections (STI). In order to achieve the goals by 2030, traditional prevention measures such as information and advice for the sexually active population and condoms will be supplemented by biomedical measures, i.e. the use of medication and vaccinations. However, secondary prevention, the detection and treatment and thus prevention of further infections, is also very important for achieving the goals. New diagnostic methods such as multiplex PCR and the development of resistance to antibiotics mean that knowledge about STIs needs to be regularly refreshed. In this article, we provide an overview of innovations that are either already relevant or will become relevant in the future and aim to simplify your access to the topic of STIs in practice.
Key Words: sexually transmitted infections (STI), prevention, HIV, hepatitis

Hintergrund

Im November 2023 verabschiedete der Bund das neue nationale Programm (NAPS): «Stopp HIV, Hepatitis B-, Hepatitis C-Virus und sexuell übertragene Infektionen» (1). Bis 2030 soll es keine weiteren Übertragungen von HIV und dem Hepatitis B- und C-Virus mehr geben. Damit schliesst sich die Schweiz dem internationalen Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und den vereinten Nationen (UNAIDS) an (2). Für HIV scheinen wir auf dem richtigen Weg zu sein. Die Zahl der Neudiagnosen sinkt. Bezüglich der drei meldepflichtigen bakteriellen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) Syphilis, Neisseria gonorrhoea (NG) und Chlamydia trachomatis (CT) sieht es jedoch anders aus (3). Hier wäre schon ein Rückgang der Neudiagnosen ein Erfolg, denn die Meldezahlen steigen seit Jahren. Um die Ziele des NAPS zu erreichen, sind daher auch die Grundversorger gefragt. Der Umgang mit diesen Erkrankungen in der Praxis ist anspruchsvoll. Neben guten Kommunikationsfähigkeiten braucht es den Durchblick bei wechselnden Test- und Behandlungsstrategien.

Von den über 30 Krankheitserregern, welche ausschliesslich oder hauptsächlich durch Sexualkontakte übertragen werden, sind nicht alle gleich relevant (4). In diesem Artikel wollen wir Ihnen daher eine Übersicht über Neuerungen sowie ein Auffrischen von wichtigem Wissen zu denen für die Praxis relevanten Erregern geben.

Prävention

Sie erinnern sich vielleicht noch an die «Stop Aids»-Kampagne der 80er Jahre. Seitdem hat sich einiges getan in der Prävention. Beschränkte sich früher die Prävention auf Verhaltensänderungen mit dem Ziel der Monogamie, Abstinenz und vor allem der Anwendung von Kondomen, gab es in den letzten 15 Jahren entscheidende Entwicklungen. Heute akzeptieren wir, dass nicht alle Menschen sich immer in jeder Situation an unsere Empfehlungen halten können. Daher werden die oben genannten Präventionsziele heute individuell mit biomedizinischen Präventionsmassnahmen ergänzt. Gemeint sind hierbei präventiv eingesetzte Medikamente wie die HIV Prä- und Postexpositonsprophylaxe, das «Test-and-Treat»-Konzept oder Impfungen für manche STIs sowie individuelle Beratungen und Schutzkonzepte, zum Beispiel abrufbar unter dem Safer-Sex-Check (Abb. 1).

Kondome

Aufgrund ihrer sehr guten Schutzwirkung auf das HI-Virus standen Kondome 40 Jahre im Zentrum der Präventionskampagnen weltweit. Hierbei wurde oft die Tatsache ausgeblendet, dass der Schutz, insbesondere bei bakteriellen STIs, welche in der Regel Schmierinfektionen sind, weit unter dem für HIV liegt. Wie hoch die Wirkung der Kondome auf bakterielle STIs wirklich ist, ist schwer zu sagen; beinahe alle Studien hierzu weisen methodische Schwächen auf (5). Klar ist aber, dass das Kondom, um zu wirken, auch im entscheidenden Moment getragen werden muss. Gerade beim Oralverkehr, welcher zwar kein Risiko für HIV, jedoch aber für bakterielle STIs darstellt, ist das selten der Fall.

Test-and-Treat

In den letzten 15 Jahren wurde daher viel Hoffnung auf das sogenannte «Test-and-Treat»-Konzept gesetzt. Das Konzept beruht auf der Erkenntnis, dass die meisten bakteriellen STIs asymptomatisch verlaufen (6). Die Personen, die Sie mit Symptomen in der Praxis sehen, bilden also nur die Spitze des Eisberges. Würden nun alle Personen, die ein Risiko für eine STI haben, regelmässig getestet, würde man zwar zunächst einen Anstieg an Diagnosen erwarten, durch die Unterbrechung der Infektionsketten sollte es nach einer gewissen Zeit aber zu einer Abnahme der Diagnosen kommen (7). Bei HIV ist diese Strategie durchaus erfolgreich. Auch wenn HIV nicht heilbar ist, so kann doch das Virus unter einer gut behandelten antiretroviralen Therapie nicht mehr weitergegeben werden (8). Bei der Syphilis sehen wir ebenfalls zumindest ein Plateau der Neudiagnosen (3). Bei CT und NG hingegen konnte weltweit noch kein Rückgang beobachtet werden. Der Anstieg in den aktuellen Meldezahlen des Bundesamtes für Gesundheit ist in erster Linie auf die Bemühungen zurückzuführen, dieses Ziel zu erreichen, indem mehr Personen ohne Symptome getestet werden. Aktuell wird daher viel in der Wissenschaft diskutiert, in welcher Form dieses Prinzip bei CT und NG weitergeführt werden soll (9). Für den Einzelnen oder die Einzelne mag der Nutzen jedoch durchaus gegeben sein, um beispielsweise mit einer besseren Sicherheit in eine neue Beziehung zu gehen.
Unbestritten ist bisher der Nutzen der Partner-Notifikation und gegebenenfalls Behandlung, wenn eine STI diagnostiziert wurde. Hier kann auch in Absprache mit dem Patienten eine Blindtherapie indiziert sein. Wichtig ist, dass Sie Ihre Patient/-innen über die Vor- und Nachteile einer eventuell unnötigen Antibiotikagabe aufklären und – falls sie sich für einen Test entscheiden – auf das diagnostische Fenster achten (bei CT und NG 14 Tage).

Wichtig zu erwähnen ist zudem, dass das «Test-and-treat»-Konzept nur für die Infektionen mit HIV, Syphilis, CT und NG gilt. Bei anderen Erregern, wie beispielsweise Mycoplasma genitalium oder Ureaplasmen, ist das Screening von asymptomatischen Personen nicht empfohlen, da diese selten zu Symptomen und so gut wie nie zu Komplikationen führen, die Behandlung aber sehr belastend sein kann (10). Hier gilt der Grundsatz «Primum non nocere!» Wir raten daher auch von der Verwendung von Multiplex-PCR, welche fünf oder mehrere Erreger gleichzeitig suchen, insbesondere bei asymptomatischen Personen, ab.

Prophylaktische Gabe von Antiinfektiva und Impfungen

Aufgrund des ausbleibenden Effektes des «Test-and-treat»-Konzepts wurde nach neuen Präventionsstrategien gesucht. Impfungen gibt es bereits gegen HPV und Hepatitis B. Zu erwähnen ist zudem die Impfung mit dem Pocken-Impfstoff Jynneos®, welcher auch eine Wirkung auf das Mpox (ehemals Affenpocken) Virus zeigt und daher für Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) und trans Personen mit wechselnden Sexualpartnern empfohlen ist. Die Impfung wird für diese Gruppen von den Krankenkassen übernommen und erfolgt je nach Kanton an speziellen Impfstellen. Gegen Syphilis, Gonokokken und Chlamydien stehen leider noch keine Impfungen zur Verfügung, auch wenn Studien hierzu laufen. Retrospektive Studien von Personen, die eine Impfung gegen einen den NG verwandten Erreger, den Meningokokken Gruppe B (Bexsero), erhalten haben, zeigen eine 40 % Reduktion von NG (11). Neueste, prospektive Studien konnten diesen Effekt jedoch leider nicht bestätigen (12). Aktuell gibt es daher keine offizielle Empfehlung für Risikopersonen, diese Impfung off-label zum Schutz von NG anzubieten.

Neben Impfungen wurde auch das Prinzip der Chemo-prophylaxe untersucht. Bei HIV kennen wir dieses Prinzip schon eine Weile und seit dem 01. Juli 2024 kann die HIV-Präexpositonspophylaxe (PrEP) für bestimmte Risikogruppen durch die Krankenkassen vergütet werden. Voraussetzung ist, dass man zu den vom Bund vorgegebenen Gruppen gehört und die verschreibenden Ärzte und Ärztinnen Teil des SwissPrEPared Programms sind (13). Mehr zur PrEP und zur Teilnahme am Programm finden Sie unter www.swissprepared.ch.

Aber auch bei den bakteriellen STIs bekommt dieses Konzept immer mehr Bedeutung. Studien mit einmalig 200 mg Doxycyclin bis zu 72 Stunden nach einer sexuellen Risikosituation konnten bei MSM beachtliche Effekte von bis zu 70 % Reduktion von Chlamydien- und Syphilis-Infektionen zeigen (12, 14). Bei Gonokokken, die eine rasante Resistenzentwicklung in den letzten Jahrzehnten gezeigt haben, war der Effekt deutlich geringer oder nicht nachweisbar. Einige Länder haben daher die sogenannte Doxy-PEP bereits in ihre Empfehlungen für MSM und trans Personen aufgenommen, da hier aufgrund der engen sexuellen Netzwerke die Infektionen am meisten verbreitet sind. Die Eidgenössische Kommission für Fragen zu sexuell übertragbaren Infektionen (EKSI) arbeitet aktuell an einer Empfehlung für die Schweiz. Leider gibt es noch wenig Studien, die Daten zu dem Langzeitrisiko, insbesondere auf die Resistenzentwicklung und auf das Mikrobiom, untersucht haben (15).

Diagnostik

Immer wieder sehen wir in der klinischen Praxis verunsicherte Patienten und Patientinnen, bei denen Antikörper im Blut gegen CT oder NG bestimmt wurden. Diese Analysen haben ihre klinische Relevanz nur bei disseminierten Infektionen. Zur Ursache bei einer akuten Erkrankung wie einer Urethritis haben sie keinen Stellenwert. Zur Diagnostik einer genitalen Infektion eignet sich ein PCR-Test aus einem Abstrich oder eine Urinprobe. Zervikale und vaginale Abstriche sind gleichwertig. Der Abstrich aus der Harnröhre bei einem Penis muss nicht tief eingeführt werden, auch muss das Abstrichstäbchen nicht hin und hergedreht werden. Ein kurzes Einführen in die Harnröhre von < 1cm oder sogar ein Abstrich nur aus dem Meatus ohne Einführen ist ausreichend (16). Beim Abstrich aus dem Penis ist darauf zu achten, dass die Person 2 Stunden vorher nicht uriniert hat, damit die Erreger nicht ausgespült wurden. Bei einer Urinprobe sollte der Erststrahlurin aus dem gleichen Grund verwendet werden (17, 18).

Da diese Erreger aber auch auf anderen Schleimhäuten übertragen werden können, sollten vor allem bei asymptomatischen Personen ein Rachen- und je nach Sexualanamnese zusätzlich ein Rektalabstrich durchgeführt werden. Gerade bei MSM würde man bei einem reinen genitalen Screening bis zu 2/3 aller Infektionen verpassen. (19) Um Geld zu sparen, können die 3 Abstriche gepoolt werden, um nur eine PCR durchzuführen. Hierzu werden alle 3 Abstrichtupfer in ein Röhrchen mit Trägerlösung gegeben (19). Sprechen Sie aber vorher mit Ihrem Labor ab, ob Analysen an gepoolten Abstrichen angeboten werden. Bei MSM mit rektalen Beschwerden, insbesondere Schmerzen oder inguinaler Lymphknotenschwellung und positivem CT-Abstrich, sollte immer auch eine weitere Testung auf Lymphogranuloma venerum (LGV) (CT Serotypen L1-3) erfolgen, da diese eine längere Behandlung benötigen.

Bei der Syphilis erfolgt die Diagnose primär durch serologische Marker. Lediglich bei der frischen Syphilis, mit einem klassischen Ulcus, kann es Sinn machen, auch eine PCR aus einem Ulcus-Abstrich auf Treponema pallidum durchzuführen, da es aufgrund des diagnostischen Fensters zu falsch negativen Resultaten in der Serologie kommen kann. Bei Personen, welche noch nie eine Syphilis hatten, kann der Syphilis-Screening-Test oder Treponema-pallidum-Partikel-Agglutination-Test (TPPA) durchgeführt werden. Da dieser nach einer behandelten Syphilis lebenslang positiv bleibt, muss bei Verdacht eine Re-Infektion und zur Bestätigung eines positiven TPPA der Rapid Plasma Reagin (RPR) oder der Veneral Disease Research Laboratory (VDRL) Test gewählt werden (21). Die Interpretation, ob es sich um eine Sero-Narbe oder eine Re-Infektion handelt, kann schwierig sein. Insbesondere dann, wenn keine Vorwerte vorliegen. Bei der Anamnese sollte zudem immer nach neurologischen Symptomen, speziell nach Seh- und Hörstörungen, gefragt werden. Zudem soll bei Verdacht auch eine neurologische Untersuchung inklusive Lumbalpunktion mit der Frage nach intrathekaler Syphilis-Antikörperproduktion durchgeführt werden, um eine Neuro-Lues nicht zu verpassen. Bei Schwierigkeiten in der Interpretation sollte Rücksprache mit einem Facharzt oder einer Fachärztin für Infektiologie oder Dermatologie/Venerologie gehalten werden.

Behandlungen

In der Behandlung von CT/NG gab es in den letzten Jahren vor allem eine wesentliche Änderung. Auf den Einsatz von Makroliden (Azithromycin) soll aufgrund der raschen Resistenzentwicklung weitgehend verzichtet werden und nur noch bei Unverträglichkeiten auf die Erstlinientherapie ausgewichen werden. Die Erstlinientherapie besteht bei CT aus Doxycyclin 100 mg 2 x täglich für 7d (21d bei LGV) (18).

Bei NG wird keine duale Therapie aus Ceftriaxon und Azithromycin mehr empfohlen, sondern nur noch 1 g Ceftriaxon einmalig in Monotherapie (17). Diese kann intramuskulär (i.m.) oder intravenös (i.v.) erfolgen. Aufgrund der raschen Resistenzentwicklung empfiehlt es sich, immer auch eine kulturelle Testung der NG-Infektion anzustreben. Da diese aber oft nicht gelingt, soll sie die Therapie, vor allem bei symptomatischen Personen, nicht verzögern. Sie kann aber im Falle eines fraglichen Therapieversagens oder einer Ceftriaxon-Unverträglichkeit sehr hilfreich sein. Oft sind zudem die Kosten für die Resistenztestung ein Hindernis, gerade bei jungen Patient/-innen mit einer hohen Franchise.

Ein Test-of-Cure ist dann empfohlen, wenn von der Erstlinientherapie abgewichen worden ist oder die Symptome persistieren. Dieser sollte frühestens 14 Tage nach der Behandlung erfolgen, da die PCR in dieser Zeit noch falsch positiv sein kann.

In der Behandlung der Syphilis hat sich wenig geändert. Diese erfolgt weiterhin durch 2,4 Mio. IE Benzathin-Penicillin i.m. Da dieses in der Schweiz nicht verfügbar ist, muss es aus dem europäischen Ausland importiert werden (21). Dies sollte nicht zu einem Ausweichen auf die Zweitlinientherapie mit Doxycyclin führen, da hierunter öfters Therapieversagen beobachtet wurde. Falls Sie keinen Zugang zu Benzathin-Penicillin haben, überweisen Sie den Patienten/die Patientin lieber an ein infektiologisches oder dermatologisches Zentrum, welches das Medikament auf Lager hat. Für eine frische Syphilis (<12 Monate nach Infektion) reicht eine einmalige Gabe. Bei unklarem Infektionszeitpunkt oder >12 Monate seit der Infektion sollte diese insgesamt 3 x im Abstand von jeweils 7 Tagen durchgeführt werden. In der Praxis hat sich die Gabe von 50 mg Prednison vor der ersten Gabe zur Prophylaxe einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion empfohlen, auch wenn die Evidenz hier nicht wissenschaftlich belegt ist. Ein Test-of-Cure ist bei der Syphilis spätestens nach 12 Monaten empfohlen, es empfiehlt sich, die Verlaufskontrolle bereits früher, nach 3 Monaten, zu machen. Auch wenn Therapieversagen selten sind, ist es sonst bei einer möglichen Re-Infektion oft sehr schwierig, die Werte zu interpretieren, wenn kein Nadir dokumentiert wurde. Eine Syphilis gilt als erfolgreich therapiert, wenn der RPR oder VDRL-Titer mindestens 4 log Stufen abgefallen oder negativ ist. Bei Menschen mit Immunschwäche, inklusive HIV und bei länger zurückliegender Infektion, kann diese Zeit gelegentlich auch länger dauern. Die Therapie einer Neuro-Syphilis erfolgt durch die intravenöse Gabe von 3–4 Mio. IE Penicillin G i.v. alle 4 Stunden für 14 Tage.

Andere bakterielle STIs

Andere bakterielle STIs spielen nur bei symptomatischen Patient/-innen eine Rolle und sollten nie als Screening abgenommen werden. Bei Patient/-innen mit Urethritis, Vaginitis oder Proktitis empfiehlt sich ein stufenweises Vorgehen. Zunächst sollte ein Abstrich auf CT/NG durchgeführt werden. Werden keine der beiden Erreger gefunden, kann weiter auf Mycoplasma genitalium und bei heterosexuellen cisgender Frauen Trichomonas vaginales getestet werden. Bei nicht spezifischen Symptomen wie Juckreiz darf auch mal abgewartet werden, ob die Symptome von selbst sistieren. Mycoplasma genitalium ist weitgehendst resistent auf die frühere Behandlungsempfehlung mit Azithromycin. Eine kulturelle Anzüchtung zur Resistenzbestimmung ist beinah unmöglich. Wenn also keine genetische Testung auf Makriolidresistenz vorliegt, sollte dieses nicht mehr eingesetzt werden. Auch bei einem auf Makrolide sensiblen Erreger sollte immer vorher 7d mit Doxycyclin behandelt werden, um den bakterial load zu reduzieren und dadurch Therapieversagen und weitere Resistenzentwicklung zu vermeiden (10).

Die Umsetzung des NAPS wird unsere praktische Arbeit in Hinblick auf die sexuelle Gesundheit unserer Patient/-innen in den nächsten Jahren verändern. Für das Ziel, der Beendigung der HIV-Epidemie bis zum Jahr 2030 und der Reduktion der anderen sexuell übertragbaren Infektionen müssen wir Ärzt/-innen, die Bevölkerung, aber auch der Bund, die Kantone und die Gemeinden gemeinsam arbeiten. Sie, liebe Leserinnen und Leser, spielen in der Praxis dazu eine wichtige Rolle. Bei jeder STI, die Sie diagnostizieren, sollten Sie vor allem bei MSM unbedingt auch an einen HIV-Test und ein Gespräch über Schutzmöglichkeiten wie die PrEP denken. MSM mit einer bakteriellen STI sind die Gruppe, mit dem statistisch höchsten Risiko sich in den nächsten Monaten mit dem HI-Virus zu infizieren (22). Setzen Sie nicht nur auf das Kondom in Ihrer Beratung, sondern passen Sie Ihre Empfehlungen individuell an Ihre Patienten/-innen an.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Benjamin Hampel

– Department of Public and Global Health, Epidemiology, Biostatistics and Prevention Institute, University of Zurich, Hirschengraben 84, 8001 Zurich

– Checkpoint Zürich, Limmatstrasse 25, 8005 Zürich

– Eidgenössische Kommission für Fragen zu sexuell übertragbaren Infektionen (EKSI)

Dr. med. Barbara Jakopp

– Kantonsspital Aarau, Abteilung für Infektiologie und Infektionsprävention, Tellstrasse 25, 5001 Aarau
– Eidgenössische Kommission für Fragen zu sexuell übertragbaren Infektionen (EKSI)

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Die Schweiz strebt an, bis 2030 keine neuen Übertragungen von HIV sowie Hepatitis B und C zu verzeichnen und unterstützt die globalen Ziele der WHO und UNAIDS.
  • Neben klassischen Präventionsmassnahmen wie Kondomen gewinnen biomedizinische Ansätze an Bedeutung. Dazu gehören HIV-Prä- und Postexpositionsprophylaxe (PrEP/PEP), Impfungen (z. B. gegen HPV und Hepatitis B) sowie angepasste Beratungskonzepte wie der «Safer-Sex-Check».
  • Das Konzept, durch regelmässige Tests asymptomatische Infektionen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, zeigt Erfolge bei HIV und Syphilis. Bei Gonorrhoe und Chlamydien konnte bisher jedoch kein Rückgang beobachtet werden, da viele Infektionen symptomfrei verlaufen und Resistenzen zunehmen.
  • Antikörpertests sollten bei der Diagnostik von CT und NG nicht verwendet werden. Stattdessen sollen PCR aus Urin oder Abstrichen aus der Genitalregion (urethral beim Mann, cervikal oder vaginal bei der Frau), sowie, je nach Sexualanamnese, auch aus dem Rachen und Rektum durchgeführt werden.
  • Der Einsatz von Azithromycin wird wegen Resistenzentwicklungen eingeschränkt. Stattdessen wird für Chlamydien Doxycyclin empfohlen, für Gonorrhoe Ceftriaxon in Monotherapie.

1. Bundesamt für Gesundheit. Nationales Programm (NAPS) Stopp HIV, Hepatitis B-, Hepatitis C-Virus und sexuell übertragene Infektionen [Internet]. 2023. Available from: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/nationale-gesundheitsstrategien/nationales-programm-hiv-hep-sti-naps.html
2. Joint United Nations Programme on HIV/AIDS. The path that ends AIDS: UNAIDS Global AIDS Update 2023 [Internet]. 2023. Available from: https://www.unaids.org/en/resources/presscentre/pressreleaseandstatementarchive/2023/july/unaids-global-aids-update
3. Bundesamt für Gesundheit. Sexuell übertragene Infektionen und Hepatitis B/C in der Schweiz im Jahr 2022: eine epidemiologische Beurteilung. BAG-Bulletin. 2023 Nov 27;48.
4. Wit JBF de, Adam PCG, Daas C den, Jonas K. Sexually transmitted infection prevention behaviours: health impact, prevalence, correlates, and interventions. Psychology & Health [Internet]. 2023 Jun 3 [cited 2024 Sep 28]; Available from: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/08870446.2022.2090560
5. Koss CA, Dunne EF, Warner L. A systematic review of epidemiologic studies assessing condom use and risk of syphilis. Sex Transm Dis. 2009 Jul;36(7):401–5.
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19. De Baetselier I, Osbak KK, Smet H, Kenyon CR, Crucitti T. Take three, test one: a cross-sectional study to evaluate the molecular detection of Chlamydia trachomatis and Neisseria gonorrhoeae in pooled pharyngeal, anorectal and urine samples versus single-site testing among men who have sex with men in Belgium. Acta clinica Belgica. 2018/11/13 ed. 2018 Nov 12;1–5.
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Therapie des Ovarialkarzinoms

Die operative Therapie des Ovarialkarzinoms ist zentral und zielt auf eine vollständige Tumorentfernung ab, wobei die systematische Lymphadenektomie nach der LION-Studie bei unauffälligen Lymphknoten im CT und intraoperativ nicht mehr empfohlen wird. Ausser bei sehr frühen Karzinomen ist die adjuvante Chemotherapie Standard, meist in Form einer Kombination aus Carboplatin und Paclitaxel. Die Erhaltungstherapie mit Bevacizumab oder PARP-Inhibitoren wie Olaparib und Niraparib verlängert das progressionsfreie Überleben, insbesondere bei BRCA-mutierten und HRD-positiven Tumoren. Neoadjuvante Chemotherapie kann je nach Tumorausdehnung und Patientenzustand eine Alternative zur primären Operation sein. Bei Rezidiven werden erneute platinhaltige Chemotherapien oder Operationen individuell abgewogen. Bei einem platinsensitiven Rezidiv kann eine chirurgische Intervention im Kontext der rezidivierenden Erkrankung von Vorteil sein.

Surgical treatment is central to the management of ovarian cancer and aims for complete tumor resection. A systematic pelvic and paraaortic lymphadenectomy is no longer recommended for patients with normal lymph nodes based on the CT scan and intraoperative findinds, according to the LION study. Except for very early-stage cancers, adjuvant chemotherapy, typically a combination of carboplatin and paclitaxel, is standard. Maintenance therapy with Bevacizumab or PARP inhibitors like Olaparib and Niraparib extends progression-free survival, especially in BRCA-mutated and HRD-positive tumors. Neoadjuvant chemotherapy can be an alternative to primary surgery depending on tumor extent and patient condition. In cases of recurrence, repeat platinum-based chemotherapies or surgeries are considered on an individual basis. For platinum-sensitive recurrences, surgical intervention in the context of recurrent disease can be beneficial.
Keywords: Ovarian/ primary peritoneal/ tubal carcinoma – surgery – chemotherapy – maintenance therapy – PARP inhibitor

Das Ovarialkarzinom stellt eine der schwerwiegendsten gynäkologischen Krebserkrankungen dar und erfordert eine sorgfältige und umfassende Behandlungsstrategie. Die operative Therapie ist ein zentraler Bestandteil der Behandlung und zielt darauf ab, das gesamte sichtbare Tumorgewebe zu entfernen, um die Prognose der Patientinnen zu verbessern. Ergänzend zur Chirurgie sind systemische Therapien wie Chemotherapie und moderne Erhaltungstherapien entscheidend, um das Überleben zu verlängern und Rückfälle zu verhindern. Aktuelle klinische Studien haben zu signifikanten Veränderungen in der Behandlungsstrategie geführt, insbesondere hinsichtlich der Rolle der systematischen Lymphadenektomie und der Anwendung von PARP-Inhibitoren. Dieser Text bietet einen Überblick über die wesentlichen Aspekte der operativen und systemischen Therapie bei Ovarialkarzinom.
(Zur besseren Lesbarkeit sind Ovarial-, Tuben- und primäres Peritonealkarzinom im Text unter dem Oberbegriff «Ovarialkarzinom» zusammengefasst).

Erstdiagnose eines Ovarialkarzinoms

Operative Therapie bei Erstdiagnose:
Die operative Therapie spielt eine zentrale Rolle bei der Behandlung des Ovarialkarzinoms, da eine makroskopisch tumorfreie Resektion wesentlich für die Prognose der Patientinnen ist (1). Das Standardverfahren umfasst eine mediane Längs-Laparotomie mit Hysterektomie und bilateraler Adnexektomie sowie mindestens eine infrakolische Omentektomie, Peritonealbiopsien und die Entfernung allen weiteren tumorverdächtigen Gewebes, um eine makroskopisch tumorfreie Resektion zu erzielen (S3-Leitlinie Ovar).

Bis 2017 war die systematische pelvine und paraaortale Lymphadenektomie ein fester Bestandteil der operativen Therapie des Ovarialkarzinoms. Die LION-Studie («Lymphadenectomy in Ovarian Neoplasms») führte jedoch zu einem Paradigmenwechsel ((2), S3-Leitlinie). Trotz der Tatsache, dass bei 55.7 % der Patientinnen mit Lymphadenektomie mikroskopische Lymphknotenmetastasen nachgewiesen wurden, gab es keinen Unterschied im Gesamt-(OS) oder progressionsfreien Überleben (PFS) (Abb. 1). Die Morbidität und die perioperative Mortalität waren in der Lymphadenektomie-Gruppe signifikant höher (2). Diese Ergebnisse haben dazu geführt, dass von einer systematischen Lymphadenektomie bei fortgeschrittenem high-grade serösen Ovarialkarzinom und unauffälligen Lymphknoten abgeraten wird (S3-Leitlinie).

Es ist wichtig zu betonen, dass bei der Diagnose eines fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms üblicherweise eine adjuvante platinbasierte Chemotherapie indiziert ist, unabhängig von einem möglichen Tumorbefall der Lymphknoten ((1),S3-Leitlinie). Bei klinisch früh eingestuften Ovarialkarzinomen (FIGO I-IIA) hängt die Indikation für eine adjuvante Chemotherapie jedoch vom Nachweis positiver pelviner und/oder paraaortaler Lymphknoten ab. Bis zu 30 % dieser Patientinnen haben okkulte Lymphknotenmetastasen, was eine Höherklassifikation zu einem FIGO-Stadium III und damit eine Indikation für eine adjuvante Chemotherapie bedeutet (3). Daher bleibt die systematische pelvine und paraaortale Lymphadenektomie bei diesen Patientinnen empfohlen (Schmalfeldt et al. 2018, S3-Leitlinie).

Neoadjuvante Chemotherapie

Die grösste bisher veröffentlichte Studie zur neoadjuvanten Chemotherapie (NACT) zeigte keinen Unterschied im OS zwischen der Gruppe mit neoadjuvanter Chemotherapie für 3 Zyklen und Intervall-Debulking versus Patientinnen mit Primär-Debulking (PDS) und adjuvanter Kombinationstherapie für 6 Zyklen (HR 0,98; 90 %-KI 0,84–1,13; p= 0,01) (4). Eine Metaanalyse (5) ergab jedoch einen Vorteil für das primäre Debulking bei Patientinnen im FIGO-Stadium IIIC mit einer maximalen Tumorgrösse von < 5 cm (6). Auch retrospektive Studien zeigten teilweise einen Vorteil der PDS (7, 8).

Die randomisierte, multizentrische TRUST-Studie («Trial of Radical Upfront Surgical Therapy in advanced ovarian cancer») untersucht das OS von Frauen mit epithelialem Ovarial-, Tuben- oder primärem Peritonealkarzinom FIGO IIIB-IVB bei primärer zytoreduktiver Operation versus neoadjuvanter Chemotherapie und Intervall-Debulking nach 3 Zyklen mit Carboplatin und Paclitaxel an Zentren mit hoher operativer Expertise (Abb. 2) (9). Ergebnisse werden dieses Jahr erwartet (9).

Adjuvante Systemtherapie

Frühes Ovarialkarzinom

Patientinnen mit frühem Ovarialkarzinom im Stadium FIGO IA G1 benötigen keine adjuvante Chemotherapie; in den Stadien IA G2 und IB G1/2 kann eine platinhaltige Chemotherapie diskutiert werden (3, 10). In den Stadien IC oder IA/ B G3 sollte eine platinhaltige (Mono-)Therapie gegeben werden (Verbesserung des 5-Jahres-OS von 75 % auf 82 % (3, 10).

Fortgeschrittenes Ovarialkarzinom

Seit den frühen 2000er Jahren hat sich die Kombination aus Carboplatin und Paclitaxel durchgesetzt (11). Die ICON-8-Studie konnte keine signifikanten Unterschiede zwischen verschiedenen Dosisdichten von Paclitaxel nachweisen, weshalb die dreiwöchentliche Kombination aus Carboplatin und Paclitaxel als Standard beibehalten wurde (12). Diese wird gegebenenfalls mit einer Erhaltungstherapie kombiniert.

Erhaltungstherapie

Antiangiogenetische Therapie

Bevacizumab, ein Angiogenesehemmer, wird in Kombination mit Chemotherapie und als Erhaltungstherapie eingesetzt. Phase-III-Studien wie GOG-0218 und ICON-7 haben gezeigt, dass Bevacizumab das PFS signifikant verlängert, besonders in Hochrisikogruppen (FIGO III und IV) (13, 14). In der Primärtherapie wird Bevacizumab zunächst mit Chemotherapie kombiniert und anschliessend als Erhaltungstherapie fortgeführt.

PARP-Inhibitoren in der Erhaltungstherapie bei Erstlinien- und Rezidivtherapie

PARP-Inhibitoren (PARPi) sind orale Medikamente, die die Reparatur von DNA-Einzelstrangbrüchen hemmen und dadurch Doppelstrangbrüche verursachen. Karzinomzellen, die nicht über die homologe Rekombinationsreparatur verfügen und somit eine homologe Rekombinations-Defizienz (HRD) aufweisen, können diese Brüche nicht richtig reparieren, was zu Chromosomenveränderungen und schliesslich zum Zelltod führt (15). Tests auf BRCA-Mutationen und HRD-Status sind zum Standard geworden, um Patientinnen zu identifizieren, die von PARPi profitieren können. Olaparib kann bei BRCA1/2-mutierten Ovarialkarzinomen eingesetzt werden (16) und die Kombination mit Bevacizumab ist bei HRD-positiven Tumoren möglich (17). Niraparib kann als Monotherapie verwendet werden (18). Veliparib und Rucaparib zeigten Vorteile in verschiedenen Studien (19, 20), sind jedoch in Europa noch nicht zugelassen.

Bei der Erhaltungstherapie mit einem PARPi bei einem Rezidiv war ein OS-Vorteil schwerer nachzuweisen, was teilweise auf PARPi-Crossover und eine lange Überlebenszeit nach Progression zurückzuführen sein könnte. Die Wahl des Medikaments sollte nach Nebenwirkungsprofil und Patientinnen-Präferenz erfolgen, da vergleichende Studien fehlen. Patientinnen, die unter PARPi progredient sind, haben meist nur geringen Nutzen von einer erneuten PARPi-Erhaltungstherapie (21). Es gibt bislang keine Daten zu einer gleichzeitigen Erhaltungstherapie mit Bevacizumab und Olaparib bei einem Rezidiv.

Bei Patientinnen mit platinsensiblem Rezidiv eines BRCA-mutierten high-grade Ovarialkarzinoms nach zwei oder mehr platinhaltigen Vortherapien kann eine Monotherapie mit Rucaparib eine Option sein (22).

Rezidiv

Operation beim Rezidiv

Ein erheblicher Anteil der Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom entwickelt ein Rezidiv. Die DESKTOP III-Studie definierte prädiktive Parameter, um geeignete Patientinnen für eine erneute Operation zu identifizieren. Diese beinhalten Patientinnen mit einem ersten platin-sensitiven Rezidiv, einem ECOG-Performance-Status von 0, Aszites ≤ 500 ml und einer makroskopischen Komplettresektion bei der Erstoperation (du Bois et al. 2020).

Chemotherapie beim Rezidiv

Bei Rezidiven des epithelialen Ovarialkarzinoms sollte bei Patientinnen zunächst evaluiert werden, ob sie für eine platinhaltige Therapie geeignet sind (früher «platinsensibel» oder «platinresistent»). Bei frühem Rezidiv (< 6 Monate nach Abschluss der adjuvanten Systemtherapie) haben Mono-Chemotherapien mit Topotecan, Gemcitabin, Paclitaxel oder pegyliertes liposomales Doxorubicin bessere Verträglichkeit und vergleichbare Effektivität gezeigt (23). Die Optimierung der Lebensqualität ist besonders wichtig (24). Mirvetuximab Soravtansin zeigte in der Phase-III-Studie MI-RASOL einen signifikanten PFS- und OS-Vorteil sowie ein besseres Sicherheitsprofil im Vergleich zur Chemotherapie (25).

Bei einem Rezidiv > 6 Monate nach der letzten Platintherapie wird in der Regel eine erneute platinhaltige Kombinationschemotherapie durchgeführt. Vor Beginn der Rezidivtherapie sollte die Möglichkeit einer Rezidivoperation geprüft werden. Bevorzugtes Regime beim Rezidiv sind Kombinationen aus Carboplatin und pegyliertem liposomalem Doxorubicin oder Carboplatin und Gemcitabin (26).

Antiangiogenetische Therapie beim Rezidiv

Bevacizumab kann in der Rezidivtherapie bei Patientinnen, die bisher kein Bevacizumab erhalten haben, in Kombination mit einer Monochemotherapie das PFS signifikant verlängern (27). Es kann auch off-label zur Reduktion der Aszitesbildung beitragen (27).

Spezielle Situationen

Low-grade seröses Ovarialkarzinom

Für Patientinnen im FIGO-Stadium IC bis IIA wird eine Monotherapie mit Carboplatin empfohlen, während ab Stadium IIB eine Kombinationstherapie aus Carboplatin und Paclitaxel eingesetzt werden sollte (Ansprechrate unter 25 %) (24). In retrospektiven Studien konnte gezeigt werden, dass eine endokrine Erhaltungstherapie das PFS verdoppeln kann (28). Die MATAO-Studie untersucht den Effekt von Letrozol versus Placebo nach Chemotherapie bei hormonrezeptorpositiven Patientinnen prospektiv (29).

Die Behandlung mit dem MEK-Inhibitor Trametinib zeigte in einer Phase-II/III-Studie ein signifikant längeres PFS als die Standardtherapie (HR 0.48, p<0.0001) und bietet eine neue Behandlungsoption für Patienten mit Rezidiv eines low-grade serösen Karzinoms (30).
Die Wirksamkeit von Bevacizumab bei low-grade serösen Ovarialkarzinomen ist unklar (14).

Hypertherme intraperitoneale Chemotherapie (HIPEC)

Die erste Phase-III-Studie zur HIPEC bei Ovarialkarzinom-Patientinnen nach neoadjuvanter Chemotherapie zeigte eine signifikante Verbesserung des rückfallfreien Überlebens (HR 0.66, p=0.003) und des OS im Vergleich zur Standardtherapie, jedoch mit ähnlichen Raten schwerer Nebenwirkungen. Die Studie wirft jedoch erhebliche methodische Fragen auf. Aktuell wird HIPEC nicht als Standardtherapie empfohlen und sollte nur in kontrollierten Studien verwendet werden (31).

Abkürzungen
AGO Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie
ECOG Eastern European Cooperative Oncology Group
FIGO Fédération Internationale de la Gynécologie et d’Obstétrique
HIPEC Hypertherme intraperitoneale Chemotherapie
HRD Homologe Rekombinations-Defizienz
MEK Mitogen-aktivierte Proteinkinase
NACT Neoadjuvante Chemotherapie
OS Gesamtüberleben
PARP Poly(ADP-ribose)-Polymerasen
PARPi PARP-Inhibitoren
PDS primary debulking surgery, primäre Debulking-Operation
PFS progressionsfreies Überleben

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Christian Braun

Luzerner Kantonsspital
Frauenklinik
Spitalstrasse
6000 Luzern 16

Dr. med. Muriel Eugster

Luzerner Kantonsspital
Frauenklinik
Spitalstrasse
6000 Luzern 16

Prof. Dr. med. Christine E. Brambs

Luzerner Kantonsspital
Frauenklinik
Spitalstrasse
6000 Luzern 16

Die Autorenschaft hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Grundsatz der operativen Therapie ist das Ziel der tumorfreien Resektion. Diese verbessert die Prognose der Erkrankung.
  • Eine systematische pelvine und paraaortale Lymphadenektomie sollte bei Patientinnen mit fortgeschrittenem high-grade serösen Ovarialkarzinom (FIGO IIB-IV) und unauffälligen Lymphknoten nicht durchgeführt werden (LION-Studie).
  • Eine Platin-haltige Kombinations-Chemotherapie ist in den meisten Fällen der Standard der adjuvanten Therapie.
  • Als Erhaltungstherapie nach Abschluss der adjuvanten Chemotherapie und Therapieansprechen kommen bei BRCA-Mutation oder HRD-Positivität PARP-Inhibitoren in Frage.
  • Bei Patientinnen mit einem Platin-sensitiven Erstrezidiv eines Ovarialkarzinoms und einem positiven AGO-Score (ECOG Performance Status von 0, Aszites von ≤ 500 ml und eine makroskopische
    Komplettresektion) sollte beim Rezidiv eine erneute Operation in Erwägung gezogen werden (DESKTOP III-Studie).

1. du Bois, A., et al., Role of surgical outcome as prognostic factor in advanced epithelial ovarian cancer: a combined exploratory analysis of 3 prospectively randomized phase 3 multicenter trials: by the Arbeitsgemeinschaft Gynaekologische Onkologie Studiengruppe Ovarialkarzinom (AGO-OVAR) and the Groupe d’Investigateurs Nationaux Pour les Etudes des Cancers de l’Ovaire (GINECO). Cancer, 2009. 115(6): p. 1234-44.
2. Harter, P., et al., A Randomized Trial of Lymphadenectomy in Patients with Advanced Ovarian Neoplasms. N Engl J Med, 2019. 380(9): p. 822-832.
3. Trimbos, B., et al., Surgical staging and treatment of early ovarian cancer: long-term analysis from a randomized trial. J Natl Cancer Inst, 2010. 102(13): p. 982-7.
4. Vergote, I., et al., Neoadjuvant chemotherapy or primary surgery in stage IIIC or IV ovarian cancer. N Engl J Med, 2010. 363(10): p. 943-53.
5. Kehoe, S., et al., Primary chemotherapy versus primary surgery for newly diagnosed advanced ovarian cancer (CHORUS): an open-label, randomised, controlled, non-inferiority trial. Lancet, 2015. 386(9990): p. 249-57.
6. Vergote, I., et al., Neoadjuvant chemotherapy versus debulking surgery in advanced tubo-ovarian cancers: pooled analysis of individual patient data from the EORTC 55971 and CHORUS trials. Lancet Oncol, 2018. 19(12): p. 1680-1687.
7. Sorensen, S.M., et al., Residual tumor and primary debulking surgery vs interval debulking surgery in stage IV epithelial ovarian cancer. Acta Obstet Gynecol Scand, 2022. 101(3): p. 334-343.
8. Rauh-Hain, J.A., et al., Primary debulking surgery versus neoadjuvant chemotherapy in stage IV ovarian cancer. Ann Surg Oncol, 2012. 19(3): p. 959-65.
9. Reuss, A., et al., TRUST: Trial of Radical Upfront Surgical Therapy in advanced ovarian cancer (ENGOT ov33/AGO-OVAR OP7). Int J Gynecol Cancer, 2019. 29(8): p. 1327-1331.
10. Trimbos, J.B., et al., Impact of adjuvant chemotherapy and surgical staging in early-stage ovarian carcinoma: European Organisation for Research and Treatment of Cancer-Adjuvant ChemoTherapy in Ovarian Neoplasm trial. J Natl Cancer Inst, 2003. 95(2): p. 113-25.
11. du Bois, A., et al., A randomized clinical trial of cisplatin/paclitaxel versus carboplatin/paclitaxel as first-line treatment of ovarian cancer. J Natl Cancer Inst, 2003. 95(17): p. 1320-9.
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14. Oza, A.M., et al., Standard chemotherapy with or without bevacizumab for women with newly diagnosed ovarian cancer (ICON7): overall survival results of a phase 3 randomised trial. The Lancet Oncology, 2015. 16(8): p. 928-936.
15. Lord, C.J. and A. Ashworth, PARP inhibitors: Synthetic lethality in the clinic. Science, 2017. 355(6330): p. 1152-1158.
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17. Ray-Coquard, I., et al., Olaparib plus Bevacizumab as First-Line Maintenance in Ovarian Cancer. N Engl J Med, 2019. 381(25): p. 2416-2428.
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20. Monk, B.J., et al., A Randomized, Phase III Trial to Evaluate Rucaparib Monotherapy as Maintenance Treatment in Patients With Newly Diagnosed Ovarian Cancer (ATHENA-MONO/GOG-3020/ENGOT-ov45). J Clin Oncol, 2022. 40(34): p. 3952-3964.
21. Pujade-Lauraine, E., et al., Maintenance olaparib rechallenge in patients with platinum-sensitive relapsed ovarian cancer previously treated with a PARP inhibitor (OReO/ENGOT-ov38): a phase IIIb trial. Ann Oncol, 2023. 34(12): p. 1152-1164.
22. Kristeleit, R., et al., Rucaparib versus standard-of-care chemotherapy in patients with relapsed ovarian cancer and a deleterious BRCA1 or BRCA2 mutation (ARIEL4): an international, open-label, randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol, 2022. 23(4): p. 465-478.
23. Gordon, A.N., et al., Recurrent epithelial ovarian carcinoma: a randomized phase III study of pegylated liposomal doxorubicin versus topotecan. J Clin Oncol, 2001. 19(14): p. 3312-22.
24. Colombo, N., et al., ESMO-ESGO consensus conference recommendations on ovarian cancer: pathology and molecular biology, early and advanced stages, borderline tumours and recurrent disease†. Ann Oncol, 2019. 30(5): p. 672-705.
25. Moore, K.N., et al., Phase III MIRASOL (GOG 3045/ENGOT-ov55) study: Initial report of mirvetuximab soravtansine vs. investigator’s choice of chemotherapy in platinum-resistant, advanced high-grade epithelial ovarian, primary peritoneal, or fallopian tube cancers with high folate receptor-alpha expression. Journal of Clinical Oncology, 2023. 41(17_suppl): p. LBA5507-LBA5507.
26. Wagner, U., et al., Final overall survival results of phase III GCIG CALYPSO trial of pegylated liposomal doxorubicin and carboplatin vs paclitaxel and carboplatin in platinum-sensitive ovarian cancer patients. Br J Cancer, 2012. 107(4): p. 588-91.
27. Pujade-Lauraine, E., et al., Bevacizumab combined with chemotherapy for platinum-resistant recurrent ovarian cancer: The AURELIA open-label randomized phase III trial. J Clin Oncol, 2014. 32(13): p. 1302-8.
28. Gershenson, D.M., et al., Hormonal Maintenance Therapy for Women With Low-Grade Serous Cancer of the Ovary or Peritoneum. J Clin Oncol, 2017. 35(10): p. 1103-1111.
29. Heinzelmann-Schwarz, V.A., et al., ENGOT-ov54/Swiss-GO-2/MATAO including LOGOS (Low-Grade Ovarian cancer Sub-study): MAintenance Therapy with Aromatase inhibitor in epithelial Ovarian cancer—A randomized, double-blinded, placebo-controlled, multicenter phase III Trial. Journal of Clinical Oncology, 2021. 39(15_suppl): p. TPS5598-TPS5598.
30. Gershenson, D.M., et al., Trametinib versus standard of care in patients with recurrent low-grade serous ovarian cancer (GOG 281/LOGS): an international, randomised, open-label, multicentre, phase 2/3 trial. Lancet, 2022. 399(10324): p. 541-553.
31. van Driel, W.J., et al., Hyperthermic Intraperitoneal Chemotherapy in Ovarian Cancer. N Engl J Med, 2018. 378(3): p. 230-240.

Separat im Text gelistet:
1. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge maligner Ovarialtumoren, Langversion 4.0, 2020, AWMF-Registernummer: 032/035OL, https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/ovarialkarzinom/, (abgerufen am: 30.06.2024).
2. Schmalfeldt B et al. – für die Kommission Ovar der AGO: Wie ist die Evidenz für die Lym-phonodektomie beim frühen Ovarialkarzinom? Der Frauenarzt 2018;59(10):751-753.
3. du Bois A et al.: Randomized controlled phase III study evaluating the impact of secondary cytoreductive surgery in recurrent ovarian cancer: The final analysis of AGO DESKTOP III/ENGOT ov20. ASCO 2020, Abstr. #6000.

Journal Watch de nos experts

Nouveau vaccin pour les patients âgés à risque – le premier vaccin contre le VRS

Chez les patients à risque plus âgés (≥ 65 ans), il faut penser en automne, en plus d‘une vaccination annuelle contre la grippe, d‘une éventuelle nouvelle vaccination Covid-19 adaptée et d‘une éventuelle vaccination unique contre les pneumocoques PCV conjugués, à la nouvelle possibilité d‘une vaccination contre le VRS, pour l‘instant unique. L‘objectif est de réduire les maladies respiratoires graves associées au VRS ainsi que les conséquences qui en découlent avec hospitalisation et décès possible. Il existe une efficacité élevée, probablement durable, et une bonne tolérance de ce premier vaccin anti-VRS au monde pour les adultes de 60 ans et plus souffrant d‘une maladie sous-jacente.

On sait qu’une vaccination annuelle contre la grippe peut prévenir les événements cardiovasculaires, tels que l’infarctus aigu du myocarde ou l’accident vasculaire cérébral, chez les patients âgés à risque, et réduire considérablement la morbidité et la mortalité. La prévention est recommandée aussi bien pour les personnes ≥ 65 ans que pour les patients souffrant d’une maladie chronique. Ces mesures sont simples, très efficaces et rentables (1).

Les virus respiratoires syncytiaux (VRS) provoquent des rhumes, des affections de type grippal et une bronchiolite principalement chez les nourrissons et les jeunes enfants au cours du semestre d’hiver dans le monde entier. Le virus infecte les cellules épithéliales porteuses de cils des muqueuses des voies respiratoires. Celles-ci fusionnent pour former ce que l’on appelle des syncytia. Les infections des voies respiratoires entraînent souvent des hospitalisations. Mais ce virus est également un problème médical croissant chez les adultes âgés en raison de l’immunosénescence, avec des infections graves et potentiellement mortelles des voies respiratoires inférieures et d’autres complications, notamment cardiovasculaires (IC, ACS, arythmies selon l’AHA dans 14-22 %). De nombreuses hospitalisations concernent des personnes âgées et des personnes immunodéprimées. Selon l’Institut Paul-Ehrlich, cela représente environ 250 000 hospitalisations par an en Europe, dont environ 17 000 décès.

C’est pourquoi différentes autorités sanitaires (CDC, Commission européenne, STIKO, RKI, EKIF et OFSP) et plusieurs sociétés spécialisées allemandes: entre autres pneumologie (DGP), hémato-oncologie (DGHO) ont également émis une recommandation de vaccination contre le VRS pour les personnes à risque. Ainsi, la recommandation de la STIKO est la suivante: « L’objectif de la recommandation de vaccination contre le VRS est de réduire les maladies respiratoires graves associées au VRS ainsi que les conséquences qui en résultent, telles que l’hospitalisation et le décès, chez toutes les personnes âgées de ≥75 ans ainsi que chez les personnes âgées de 60 à 74 ans présentant un risque nettement accru de maladie à VRS gravement évolutive en raison d’une maladie sous-jacente significativement invalidante, ainsi que chez les résidents d’établissements de soins âgés de 60 à 74 ans » (2). La vaccination contre le VRS devrait être effectuée si possible en septembre/début octobre, afin d’offrir la meilleure protection possible dès la saison VRS suivante (octobre-mars). Les maladies sous-jacentes concernées sont notamment: Asthme, BPCO, insuffisance cardiaque, maladie coronarienne, diabète sucré avec complications, maladies respiratoires chroniques. L’insuffisance rénale, les maladies du foie, les maladies neurologiques et neuromusculaires chroniques, les maladies hémato-oncologiques et l’immunodéficience. L’évolution de la maladie est plus grave que celle de l’influenza. Les infections à VRS ne peuvent être traitées que de manière symptomatique. La période d’incubation dure de 2 à 8 jours. C’est pourquoi le nouveau vaccin est d’une grande pertinence.

En Suisse également, le premier vaccin contre le VRS (Arexvy®) est actuellement disponible et autorisé pour les personnes âgées de 60 ans et plus chez ces patients à risque pour une immunisation active (www.bag.admin.ch/rsv). Celui-ci contient un antigène recombinant de la protéine de fusion du VRS (RSVPreF3) issu de l’enveloppe lipidique du VRS avec un activateur (AS01E). Dans la grande étude d’homologation randomisée et contrôlée contre placebo menée auprès de 25 040 patients dans 17 pays, le taux de maladies des voies respiratoires inférieures liées au VRS chez les adultes âgés de ≥ 60 ans a été réduit de manière statistiquement significative de 82,6 % par rapport à la vaccination contre le VRS par placebo lors de la première saison. L’efficacité en termes d’évolution infectieuse sévère était de 94,1 % par rapport au placebo. En termes d’effets secondaires: douleur locale au point d’injection dans 60,9 % et fatigue dans 33,6 % (3). L’association de l’antigène RSVPreF3 et du système adjuvant permet de générer une large réponse immunitaire cellulaire et humorale spécifique à l’antigène et des anticorps neutralisants qui protègent contre les maladies des voies respiratoires inférieures associées au RSV. Ainsi, le vaccin bloque la fusion du VRS avec la membrane plasmique de la cellule hôte humaine. Selon une autre analyse de l’étude d’autorisation de mise sur le marché, les patients âgés présentant des comorbidités sont très bien protégés contre les pneumonies (94,6 %) et les infections aiguës resp. les infections (81 %) (4). La vaccination contre la grippe n’offre qu’une protection de 30 à 70 %, car le vaccin optimal contre la grippe saisonnière ne peut pas être prédit avec précision à chaque fois.

En juin 2024, le CDC américain a également mis à jour sa recommandation de vaccination contre le VRS pour les adultes âgés, en recommandant que toute personne âgée de ≥ 75 ans et toute personne âgée de 60 à 74 ans présentant un risque accru de maladie grave liée au VRS reçoivent une dose unique de vaccin contre le VRS. Chez les adultes âgés de 60 ans et plus, la vaccination contre le VRS était associée à une probabilité plus faible d’hospitalisation pour VRS dans 19 États américains, par rapport à l’absence de vaccination. L’efficacité contre les hospitalisations liées au VRS était de 75 % (5).

Une co-administration, à un autre endroit du corps, de vaccins contre le VRS et de vaccins grippaux quadrivalents est également possible (2, 6, Compendium). Sur la base des données actuelles, il n’est pas encore possible de se prononcer définitivement sur la nécessité/le moment des vaccinations répétées. Le niveau des titres d’anticorps après une vaccination unique a assuré un effet protecteur durable pendant au moins deux saisons hivernales. C’est ce qu’a montré une autre évaluation très récente des données chez les participants à l’étude d’homologation après une deuxième saison (7).

D’autres vaccins contre le VRS (8, 9) sont en cours d’homologation par la CFV ou l’OFSP. Parmi ces derniers, on trouve des vaccins contre le VRS destinés aux personnes âgées (Abrysvo®, ARNm-1345) ainsi qu’un vaccin préfusionnel bivalent destiné aux femmes enceintes à partir de la 24e semaine (Abrysvo®) pour protéger leurs enfants nouveau-nés. Ce dernier vient d’être autorisé par Swissmedic. Les vaccinations avec des vaccins inactivés pendant la grossesse sont considérées comme sûres et sont explicitement recommandées depuis quelques années déjà par la Commission permanente pour les vaccinations (STIKO) pour protéger la mère et son enfant à naître, notamment contre la grippe saisonnière et la coqueluche.

Un vaccin contre le VRS pour les nourrissons et les jeunes enfants est en cours de développement, mais ne devrait pas encore être disponible dans les prochaines années. Dans le courant du mois d’octobre 2024, l’anticorps monoclonal Nirsevimab (Beyfortus®) devrait être disponible pour une immunisation passive des nouveau-nés et des nourrissons pendant le semestre d’hiver selon la SGGG/SSP.

Dr Urs Dürst

Literatur:
Dürst U., Grippe und Herz, der informierte Arzt 2023, Vol. 13, Nr.10; 24-26
Robert Koch Institut, Epidemiologisches Bulletin 32|2024 8. August 2024
Papi A. et al., RSV Prefusion F Protein Vaccine in Older Adults, N Engl J Med 2023,388:595-608
Feldmann R.G. et al., Respiratory Syncytial Virus Prefusion F Protein Vaccine Is Efficacious in Older Adults With Underlying Medical Conditions, Clin Infect Dis 2024,78:202-209
Surie D. et al., Efficacy of RSV vaccine against hospitalization in adults aged 60 years and older in the US, JAMAOnline 4. September 2024. doi:10.1001/jama.2024.15775
Blickpunkt Medizin, RSV: Wirksamer Impfschutz für ältere Erwachsene, 2023 Thieme
Ison MG et al., Efficacy and Safety of Respiratory Syncytial Virus (RSV) Prefusion F Protein Vaccine (RSVPreF3 OA) in Older Adults Over 2 RSV Seasons, Clin Infect Dis 2024 Jun 14;78(6):1732-1744. doi: 10.1093/cid/ciae010.
Walsh EE. et al., Efficacy and Safety of a Bivalent RSV Prefusion F Vaccine in Older Adults, N Engl J Med 2023;388:1465-1477
Kampmann B et al., Bivalent Prefusion F Vaccine in Pregnancy to Prevent RSV Illness in Infants, N Engl J Med 2023;388:1451-1464

Une exposition prolongée à la lumière du soleil chez les ­écoliers évite la myopie

Déjà en novembre 2022, un groupe de chercheurs de Shanghai a publié, chez 6295 élèves âgés de 6 à 9 ans, issus de 24 écoles primaires de Shanghai, sur une période de 2 ans, que le risque d’apparition de la myopie diminuait lorsque le temps passé à l’extérieur augmentait. Les enfants du groupe de contrôle ont continué à passer leur temps habituel à l’extérieur et ceux du groupe test I ont bénéficié d’un temps supplémentaire de 40 minutes de temps à l’extérieur et ceux du groupe test II, 80 minutes de temps à l’extérieur supplémentaires. 120 à 150 minutes supplémentaires à l’extérieur à 5000 lux ont entraîné une diminution de 15 à 24 % des nouvelles myopies.

En Asie de l’Est, près de 90 % des enfants sont myopes à l’âge de 12-13 ans. La cause en est la croissance en longueur du globe oculaire, qui déplace le point focal de la lumière devant la rétine.

L’étude de cohorte prospective randomisée d’un an qui vient d’être publiée a porté sur les enfants de la deuxième année de l’étude ci-dessus qui ont porté une smartwatch au moins 6 heures par jour et qui ont tenu au moins 90 jours. Afin d’établir un lien entre les modèles d’exposition à l’extérieur et l’apparition d’une myopie chez les enfants, le temps passé à l’extérieur et l’intensité du rayonnement solaire ont été mesurés, ainsi que le changement absolu de la réfraction entre l’équivalence sphérique initiale et l’équivalence sphérique ultérieure.

Les 2976 élèves (âgés de 7,2 ans ; 51 % de filles) ont passé en moyenne 90 minutes par jour à l’extérieur, avec une intensité de lumière solaire de 2345 lux. Sur les 12 schémas d’exposition en plein air, seuls deux ont été couronnés de succès, le paramètre le plus important étant la durée d’au moins 15 minutes à l’extérieur. Seuls les schémas d’au moins 15 minutes à l’extérieur, accompagnés de pas moins de 2000 lux (jour modérément lumineux et nuageux), ont été associés à une moindre incidence de la myopie (pour ≥ 15 minutes et 2000-3999 lux: -0,007 dioptries et pour ≥ 15 minutes et ≥ 4000 lux (soleil): -0.006 dioptries).

Conclusion: le temps passé à l’extérieur avec une exposition suffisante à la lumière du soleil est déterminant pour le développement de l’œil chez les enfants de 6 à 9 ans. Les enfants ne doivent pas rester à l’intérieur de l’école pendant les pauses. Toutefois, les pauses habituelles à l’école suffisent à peine à assurer le temps d’exposition souhaité de > 15 minutes avec > 2000 lux. Les activités de loisirs (le mercredi après-midi et le week-end) devraient se dérouler autant que possible à l’extérieur. Le pourcentage élevé d’enfants myopes est peut-être lié à une exposition insuffisante à la lumière du soleil.

Dr Marcel Weber

Références
Chen J. et al. Smartwatch Measures of Outdoor Exposure and Myopia in Children. JAMA Netw Open 2024 Aug 1;7(8):e2424595. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.24595. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39136948/He X. et. al. Time Outdoors in Reducing Myopia: A School-Based Cluster Randomized Trial with Objective Monitoring of Outdoor Time and Light Intensity. Ophthalmology 2022;129(11):1245-1254. doi.org/10.1016/j.ophtha.2022.06.024. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35779695/

Les traitements anti-amyloïdes dans la prise en charge de la maladie d’Alzheimer: lumières et ombres

La maladie d’Alzheimer est une maladie grave et fréquente, dont les traitements actuels n’ont qu’un effet symptomatique et n’influant pas sur son évolution. En Juillet 2023 et juillet 2024, des traitements par anticorps monoclonaux agissant sur une des protéines impliquées dans la physiopathologie de la maladie, la β-amyloïde, ont été approuvés par la FDA aux Etats-Unis et sont en cours d’évaluation en Suisse. Ces traitements ayant montré un bénéfice clinique statistiquement significatif sont associés à des effets secondaires caractérisés par des œdèmes ou des hémorragies cérébrales, appelés ARIA pour Amyloid Related Imaging Abnormalities. Une sélection rigoureuse des patients et une surveillance attentive seront donc indispensables pour que le rapport bénéfice risque soit favorable.

Alzheimer’s disease is a serious and common illness, and current treatments have only a symptomatic effect and have no influence on its progression. In July 2023 and July 2024, monoclonal antibody treatments acting on one of the proteins involved in the pathophysiology of the disease, B-amyloid, were approved by the FDA in the United States and are currently being evaluated in Switzerland. These treatments, which have shown a statistically significant clinical benefit, are associated with side effects characterised by cerebral oedema or haemorrhage, known as ARIA for Amyloid Related Imaging Abnormalities. Careful patient selection and monitoring will therefore be essential if the benefit-risk ratio is to be favourable.
Key words: Alzheimer, anti-amyloid, ARIA

Introduction

La maladie d’ Alzheimer est une maladie neurodégénérative cérébrale et représente la cause la plus fréquente de troubles neurocognitifs, se manifestant le plus souvent après les 65 ans. Elle touche actuellement 50 millions de personnes dans le monde, dont environ 25 000 en Suisse romande. En raison du vieillissement de la population, ce chiffre est voué à augmenter, avec une estimation de 152 millions de patients au niveau mondial d’ ici 2050. Outre son impact sur les patients, la maladie d’ Alzheimer impacte profondément leurs familles, les systèmes de santé et psychocociaux et le marché du travail, avec un coût mondial estimé à 1000 milliards de dollars par an (1).

Les présentations cliniques inaugurales communes de la maladie comprennent les formes amnésiques, langagières (aphasie primaire progressive logopénique) ou visuelles (atrophie corticale postérieure). Ces symptômes invalidants entraînent une perte progressive d’ autonomie à cause de troubles cognitifs progressivement globaux et une diminution de l’espérance de vie. Après sa description initiale en 1906 par Aloïs Alzheimer, il a été démontré que cette pathologie est notamment caractérisée par l’ accumulation extracellulaire progressive de protéines bêta-amyloïdes dans une conformation anormale et à l’ accumulation intracellulaire de neurofibrilles de protéines Tau phosphorylées, provoquant une dysfonction cellulaire et une mort neuronale. Cependant, les symptômes apparaissent plusieurs années après le début de ces modifications protéiques ayant une synergie et des interactions avec l’activité microgliales et vasculaires.

À l’ heure actuelle, les traitements de la maladie d’ Alzheimer visent principalement à atténuer les symptômes. Les deux principales classes de médicaments utilisées sont les anticholinestérasiques, tels que le donépézil, la galantamine et la rivastigmine, qui augmentent les niveaux d’acétylcholine dans le cerveau, et la mémantine, qui régule l’ activité du glutamate, neurotransmetteurs impliqués dans l’ apprentissage et la mémoire. Cependant, ces traitements offrent souvent des bénéfices modestes et ne modifient pas la physiopathologie de la maladie.

Compte tenu de la fréquence et de la gravité de cette maladie, la communauté scientifique tente depuis des décennies de développer des traitements capables de traiter cette pathologie ou d’ en ralentir significativement l’ évolution.

Traitements anti-amyloïdes

Suite à la découverte des plaques séniles et à la proposition de l’ hypothèse de la cascade amyloïde par Hardy et al. en 1992 (2), de nombreuses études cliniques ont été menées pour développer des traitements «disease-modifying» ciblant les protéines impliquées dans les mécanismes de la maladie. Depuis les premiers résultats prometteurs chez la souris par Schenk et al en 1999, plusieurs essais ont été réalisées chez l’ humain, qui n’ ont pas abouti en raison notamment de complications, de cibles inadaptées ou d’absence de biomarqueurs physiopathologiques. Par la suite, une meilleure sélection des cibles thérapeutiques, l’ amélioration des méthodes diagnostiques (notamment l’accès au PET-amyloïde et les dosages protéiques dans le LCR) et l’ augmentation des dosages ont permis une amélioration progressive des résultats, jusqu’ à l’ approbation du premier traitement anti-amyloïde, l’ aducanumab, en 2021 (puis retracté en 2024). Depuis, un deuxième médicament, le lecanemab, a été approuvé en 2023 et un autre traitement, le donanemab, a été approuvé en juin 2024. Ces deux derniers sont actuellement en cours d’ instruction par les autorités de régulation en Suisse. Il est essentiel d’intégrer un raisonnement bénéfices-risques afin d’ orienter les patients et de surveiller les effets indésirables. Dans cet article, nous passerons en revue les traitements en cours d’ approbation et nous discuterons des bénéfices escomptés ainsi que des risques associés.

Ces molécules sont des anticorps monoclonaux humains qui ciblent sélectivement la bêta-amyloïde, induisant une activation microgliale qui entraîne la phagocytose et la dégradation de la protéine toxique. Bien que ces molécules ciblent la même protéine, leurs mécanismes d’ action différents confèrent à l’ aducanumab une affinité plus forte avec les oligomères, au lecanemab avec les protofibrilles et au donanemab avec la plaque amyloïde.

Après une étude de phase 2 montrant des résultats prometteurs en termes d’ efficacité, l’ aducanumab a été évalué dans deux études cliniques randomisées de phase 3 (ENGAGE et EMERGE), incluant plus de 3200 patients dans 20 pays. Ces études ont montré une nette diminution dose-dépendante de la charge amyloïde et de la charge tau, ainsi qu’ un ralentissement du déclin du score CDR de 18 % sur 18 mois dans l’ étude EMERGE et de 15 % sur 18 mois dans l’ étude ENGAGE, avec des résultats significatifs uniquement pour la première de ces études (3).

Des résultats similaires ont été obtenus avec les études de phase 3 CLARITY-AD et TRAILBLAZER-ALZ 2, concernant respectivement le lecanemab et le donanemab. Le premier a mis en évidence un ralentissement de la pente du déclin cognitif de 27 % sur l’ échelle CDR-SB à 18 mois entre le groupe expérimental et le groupe placebo et le second de 36 % selon l’ échelle CDR et de 41 % dans la perte d’ autonomie aux activités instrumentales de la vie quotidienne.

Outre leur modalité d’action proche, ces traitements diffèrent dans leur modalité d’administration. Le lecanemab est administré par voie intraveineuse deux fois par mois. Le donanemab quant à lui a été administré par injection intraveineuse une fois par mois.

Ces études ont concerné des patients à des stades débutants de la maladie (MMSE > 22/30), avec un phénotype commun (amnésique) et avec une physiopathologie de maladie d’Alzheimer prouvée (amyloïde positive).

Ces résultats positifs pour les outcomes primaires ont justifié leur approbation par les autorités américaines. La significativité statistique clinique et la preuve de concept physiopathologique sont indéniables. En revanche, l’amplitude clinique de cet effet observé et le bénéfice à long terme restent une interrogation vu le design des études et leur durée limitée à 18 mois sur une population peu symptomatique. Les premiers résultats communiqués des phases d’extension et les données favorables sur les biomarqueurs de la maladie (protéine Tau) laissent penser à un effet «disease modifier» à long terme, mais c’est le suivi des cohortes de patients traités qui permettra de clarifier la vrai amplitude des effets.

Cet effet biologique a tout de même été associé à des effets indésirables cliniques et radiologiques chez plus de 30 % des patients traités, pour la majeure partie de façon asymptomatique et il est donc important de mieux les connaître.

Effets indésirables – ARIAs

Les principaux effets indésirables associés aux traitements anti-amyloïdes sont les «Amyloid Related Imaging Abnormalities», appelées ARIAs. Ces anomalies, détectées par imagerie cérébrale (IRM), sont favorisées par l’ utilisation de traitements visant à éliminer les plaques amyloïdes. On distingue deux types d’ ARIAs: les ARIA-E, caractérisées par des anomalies dues à un œdème vasogénique, et les ARIA-H qui sont des micro-hémorragies ou de l’ hémosidérose superficielle. Bien que la véritable physiopathologie des ARIAs ne soit pas connue, la dégradation de l’ intégrité des parois vasculaires en début d’immunisation (dans les 3–6 premiers mois de traitements) due à l’élimination des protéines pathologiques par les anticorps, semble en être significativement liées.

Outre le traitement et une angiopathie amyloïde prévalente, la présence d’un allèle ε4/ε4 de la protéine APOE est le 3e facteur qui augmente significativement le risque d’ARIAs. Bien que dans la majorité des cas soit asymptomatique, ces anomalies peuvent se manifester par des céphalées inhabituelles, une confusion ou des vertiges. Dans des cas plus graves, elles peuvent provoquer des signes neurologiques focaux, des troubles de la conscience, des crises épileptiques ou le décès.

Depuis leur description en 2011 lors dles essais avec le Bapineuzumab par Sperling et al., des comités d’ experts ont formulé des recommandations pour le suivi des patients traités avec des anti-amyloïdes et pour la gestion des éventuelles ARIAs (4, 5).

Quelles recommandations d’utilisation?

Des recommandations pour une utilisation appropriée sont en cours de rédaction en Suisse, à partir des critères de l’étude CLARITY et des recommandations publiées par Cummings en 2023 (6). Les traitements seront délivrés dans des établissements habilités ayant l’expertise, le plateau technique requis pour leur mise en place et la gestion des possibles effets indésirables. Les éléments les plus importants à connaitre sont les suivants:

1. Sélection des patients

Les patients éligibles seront ceux affectés par une maladie d’Alzheimer au stade débutant avec preuve biologique amyloïde. Ceux les plus à risque de complications du traitement, tels que ceux sous anticoagulants, ceux aux antécédents d’accidents ischémiques cérébraux de moins d’un an, d’une leucoaraïose sévère ou d’angiopathie amyloïde probable, nécessiteront une prise en charge adaptée tout comme ceux avec comorbidités somatiques ou psychiatriques graves (par exemple cancers ou insuffisance d’organes instable). On estime que moins de 10 % des patients avec maladie d’Alzheimer vus dans les Centres de la Mémoire auront accès au traitement (7).

2. Suivi des patients

Les patients sous traitement doivent bénéficier d’un suivi radiologique régulier par IRM et d’une imagerie immédiate en cas de symptômes évocateurs d’une ARIA. En cas d’apparition d’ARIA léger et asymptomatique, le traitement pourra être poursuivi sous surveillance rapprochée. Pour les autres cas, le traitement devra être suspendu, avec un suivi radiologique régulier jusqu’ à résolution des anomalies et des symptômes. En cas de symptômes sévères, de récidive ou d’ARIAs graves, le traitement sera interrompu définitivement, selon les recommandations du groupe de travail ADRD Therapeutics (6).

3. Prise en charge des ARIAs symptomatiques

Une consultation neurologique est recommandée pour les ARIAs, ainsi qu’ une hospitalisation si nécessaire. En fonction des symptômes, un traitement par corticoïdes ou anticonvulsivants pourra être envisagé (6).

Conclusion

Les traitements anti-amyloïdes représentent les premiers traitements modificateurs de la maladie approuvés pour la prise en charge de la maladie d’ Alzheimer au stade débutant, offrant un espoir renouvelé face à cette pathologie fréquente et grave, qui touche des millions de familles à travers le monde. Toutefois, malgré cet espoir, les bénéfices observés jusqu’ à présent demeurent relativement modestes sur les premières études et les effets secondaires peuvent être sévères. Une sélection rigoureuse des patients offrant un profil de réponse favorable avec un risque d’effets secondaires limités et un suivi attentif par des centres spécialisés sont donc indispensables pour garantir une prise en charge optimale.

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Henri Perrin

Centre Leenaards de la mémoire
Département des neurosciences cliniques,
CHUV et UNIL
Chemin de Mont-Paisible 16
1011 Lausanne

DrOlivier Rouaud

Centre Leenaards de la mémoire
Département des neurosciences cliniques,
CHUV et UNIL
Chemin de Mont-Paisible 16
1011 Lausanne

Pr Gilles Allali MD, PhD

Centre Leenaards de la mémoire
Département des neurosciences cliniques,
CHUV et UNIL
Chemin de Mont-Paisible 16
1011 Lausanne

Les auteurs n’ont pas déclaré de conflit d’intérêts en rapport avec cet article.

1. Breijyeh Z, Karaman R. Comprehensive Review on Alzheimer’ s Disease: Causes and Treatment. Molecules. 2020 Dec 8;25(24):5789. doi: 10.3390/molecules25245789. PMID: 33302541; PMCID: PMC7764106.
2. Hardy JA, Higgins GA. Alzheimer’ s disease: the amyloid cascade hypothesis. Science. 1992 Apr 10;256(5054):184-5. doi: 10.1126/science.1566067. PMID: 1566067.
3. Budd Haeberlein S, Aisen PS, Barkhof F, Chalkias S, Chen T, Cohen S, Dent G, Hansson O, Harrison K, von Hehn C, Iwatsubo T, Mallinckrodt C, Mummery CJ, Muralidharan KK, Nestorov I, Nisenbaum L, Rajagovindan R, Skordos L, Tian Y, van Dyck CH, Vellas B, Wu S, Zhu Y, Sandrock A. Two Randomized Phase 3 Studies of Aducanumab in Early Alzheimer’ s Disease. J Prev Alzheimers Dis. 2022;9(2):197-210. doi: 10.14283/jpad.2022.30. PMID: 35542991.
4. Cummings J, Aisen P, Apostolova LG, Atri A, Salloway S, Weiner M. Aducanumab: Appropriate Use Recommendations. J Prev Alzheimers Dis. 2021;8(4):398-410. doi: 10.14283/jpad.2021.41. PMID: 34585212; PMCID: PMC8835345.
5. Cummings J, Rabinovici GD, Atri A, Aisen P, Apostolova LG, Hendrix S, Sabbagh M, Selkoe D, Weiner M, Salloway S. Aducanumab: Appropriate Use Recommendations Update. J Prev Alzheimers Dis. 2022;9(2):221-230. doi: 10.14283/jpad.2022.34. PMID: 35542993; PMCID: PMC9169517.
6. Cummings J, wstolova L, Rabinovici GD, Atri A, Aisen P, Greenberg S, Hendrix S, Selkoe D, Weiner M, Petersen RC, Salloway S. Lecanemab: Appropriate Use Recommendations. J Prev Alzheimers Dis. 2023;10(3):362-377. doi: 10.14283/jpad.2023.30. PMID: 37357276; PMCID: PMC10313141.
7. Chiabotti PS, Rouaud O, Allali G. Reader Response: Eligibility for Anti-Amyloid Treatment in a Population-Based Study of Cognitive Aging. Neurology. 2024 May 14;102(9):e209375. doi: 10.1212/WNL.0000000000209375. Epub 2024 Apr 22. PMID: 38648577.