Hallux valgus und Deformitäten der Kleinzehen, speziell die Hammerzehe

Hallux valgus und assoziierte Kleinzehendeformitäten sind eine der häufigsten Deformitäten in der Fusschirurgie. Das klinische Erscheinungsbild ist oft eindeutig, jedoch ist eine präzise und umfassende klinische Untersuchung des Fusses entscheidend, um das weitere Prozedere festlegen zu können. Konventionell radiologisch können das Ausmass der knöchernen Deformität und allfällige Degenerationen diagnostiziert werden, was entscheidend ist für die weitere Therapieeinleitung. Meist kann konservativ therapiert werden, allerdings sind bei einer Fussdisproportion im Rahmen eines Hallux valgus die Anforderungen an einen Schuh, auch wenn orthopädisch angepasst, sehr hoch, weshalb es oft schwierig ist, sozial akzeptiertes Schuhwerk zu finden. Sind die konservativen Massnahmen ausgeschöpft, kann operativ therapiert werden; dies meist mittels ossärer Umstellung in Kombination mit Weichteileingriffen. Assoziierte Kleinzehendeformitäten können ebenfalls mitkorrigiert werden; kommen diese isoliert vor, kann vorgängig jedoch auch ein konservatives Prozedere mit entsprechender Entlastung gewählt werden.

Hallux valgus and associated small toe deformities are among the most common foot deformities in the Foot and Ankle unit. A thorough clinical examination of the foot is necessary to determine the further treatment, even if the appearance is clear and obvious. Plane radiographs can diagnose the degree of bone deformity and detect degeneration. Conservative treatment is typically chosen initially. However, disproportioned feet are challenging to address with a shoe even if adjusted by an orthopedic shoe maker. If conservative treatment fails, surgical treatment may be necessary. This typically involves osseous and soft tissue correction. Small toe deformities can be corrected in the same procedure. When isolated small toe deformities are present, a conservative procedure with appropriate pressure relief may be preferred as initial therapy.
Key Words: Hallux valgus, Reversed L Osteotomie, Hammerzehen, Vorfussdeformität

Hallux valgus

Einführung

Die Hallux valgus Deformität ist eine der häufigsten Deformitäten am Fuss. Vereinfacht handelt es sich um eine Abweichung der Achsen zwischen dem Metatarsale I und der proximalen Phalanx des ersten Strahls mit einer Lateraldeviation der Grosszehe. Bei der genaueren Betrachtung handelt es sich allerdings um eine komplexe multidimensionale Deformität, mitunter auch Rotationskomponente (1). Die geschätzte Prävalenz liegt bei ca. 18 % in der europäischen Bevölkerung und ist in der Mehrheit bilateral ausgeprägt (2, 3).

Die Ursachen dieser Deformität besteht aus extrinsischen Faktoren wie z.B. hohes und enges Schuhwerk, aber auch aus intrinsischen Faktoren wie die systemische Laxizität, einem Pes planus, einem instabilen ersten Strahl oder rheumatologischem Grundleiden (4, 5). Die Therapie besteht aus konservativen Möglichkeiten, z.B. der Schuhanpassung oder einer operativen Geradestellung des ersten Strahls (6).

Ätiologie

Für die Entwicklung eines Hallux valgus werden extrinsische und intrinsische Faktoren verantwortlich gemacht.
Zu den extrinsischen Faktoren gehört zum Beispiel die Wahl des Schuhwerks. Das Gehen im Schuhwerk mit hoher Ferse und enger Zehenbox prädisponiert mit den stark lateralisierenden und pronierenden Kräften das Ausbilden einer Hallux Deformität (5, 7). Man geht jedoch davon aus, dass die Schuhwahl weniger in der Entstehung, mehr in der Progression der Deformität eine wichtige Rolle spielt. Bezüglich der reinen Vorfussbelastung, so im Rahmen der beruflichen Tätigkeit oder auch des Übergewichts, konnte kein Zusammenhang festgestellt werden (8). So verändert sich über das Leben auch das Gangbild und die Druckverteilung am Fuss, was das Alter auch zu einem Risikofaktor macht für die Entwicklung eines Hallux valgus (9).

Intrinsische Faktoren sind sicherlich wenig bis gar nicht beeinflussbar, so zum Beispiel die genetische Prädisposition (10). So zeigt sich die Deformität in der weissen Bevölkerung doppelt so häufig wie bei den dunkelhäutigen Afrikanern. Es ist bewiesen, dass abhängig vom Geschlecht eine andere Anatomie vorliegen kann, so hat das weibliche Geschlecht eher einen kleineren Metatarsale Kopf, was das metatarsophalangeale (MTP) Gelenk eher instabil macht. Konsekutiv ist das Geschlechterverhältnis, welches operiert wird, in stark weiblicher Dominanz. Des Weiteren spielen systemische Laxizitäten eine grosse Rolle, es prädisponieren neben den unspezifischen systemischen Überbeweglichkeiten auch bekannte Bindegewebeerkrankungen für eine Hallux valgus Deformität, so zum Beispiel das Marfan-Syndrom, ein Ehler-Dahnlos-Syndrom oder eine rheumatoide Arthritis (4, 11).

Anatomische Varianten des Vor-, Rück- und Mittelfusses haben Einfluss auf die Hallux valgus Ausbildung. So begünstigt die Anatomie des ersten Strahls entscheidend die Lateraldeviation, dies mit zum Beispiel einer vermehrten Rotation des Metatarsale I, dessen Länge oder der Form des Metatarsale I Kopfes (12, 13). So führt auch eine Planuskomponente des Fusses zu einer vermehrten medialen Belastung der ersten Reihe und hiermit zu einer lateralisierenden Kraft, was den Hallux valgus ebenfalls prädisponiert.

Pathogenese

Die Entwicklung und die morphologischen Veränderungen um das MTP I Gelenk entstehen stufenweise (Abb. 1) (4, 14).
1. Die mediale Kapsel, das mediale Seitenband und das mediale Metatarso-Sesamoid-Ligament attenuiert zuerst, wodurch der Metatarsalkopf nach medial wandert und von den Sesamoiden abdriften kann.
2. Durch die Bindung an die Sesamoide und den Adductor hallucis bewegt sich das Grundglied nach lateral.
3. Die Crista auf der Plantarfläche des Metatarsale I wird langsam erodiert, sodass sich das Caput weiter nach medial bewegen kann.
4. Die Achse des Flexor hallucis longus und des Extensor hallucis longus verschiebt sich lateral des MTP und verstärkt den Adduktionshebel am Hallux.
5. Der Abductor hallucis wandert nach plantar unter das Gelenk und kann daher der Hallux valgus Deformität nichts mehr entgegenwirken. Zudem zieht er die proximale Phalanx in Pronation.
6. Die mediale MTP I Bursa verdickt sich durch die mechanische Irritation im Schuhwerk.
7. Die plantare Metatarsalarterie zur Grosszehe nimmt einen veränderten Verlauf zwischen den beiden Köpfen des Flexor hallucis brevis. Dies kann auch Erklärung sein, weshalb ein Teil der vom Patienten empfundenen Schmerzen auf eine mögliche ischämische Komponente zurückzuführen sein könnte.

Klinik

Meist präsentieren sich die Patienten mit einem schmerzhaften und prominenten medialen MTP I (Abb. 2). Dies führt oft zu Druckstellen mit Rötung und Schmerzen, so ist es in engem Schuhwerk schmerzhafter als in weiten und weichen Schuhen. Ist die Deformität fortgeschritten, kann es zu interdigitalen Konflikten kommen, mit Ulcerationen oder Kleinzehendeformitäten. Ebenso wird bei Rotation des ersten Strahls die mediale Seite des MTP vermehrt belastet, was medioplantar zu Hyperkeratosen führen kann. Bei äusserst ausgeprägten Befunden steht der zweite Strahl über oder unter dem ersten Strahl, hier spricht man von einer Superductussituation.

In der klinischen Untersuchung ist wichtig, dass die Symptomatik von der Hallux valgus Deformität ausgeht und nicht von einer anderen periartikulären Struktur, so zum Beispiel einer Sesamoiditis (Druckdolenz plantar über den Sesamoiden) oder einer MTP I Degeneration (Arthrose-Schmerz). Dies unterscheidet danach die Therapiestrategie und gilt es klinisch zu unterscheiden.

Im Rahmen einer operativen Vorbereitung ist durch den Facharzt zu prüfen, ob der erste Strahl stabil ist, dies entscheidet, ob man eine Korrektur am distalen Metatarsale durchführen kann oder ob eine tarsometatarsale (TMT) I Versteifung notwendig ist (15). Ebenso ist die Pronation des ersten Strahls zu berücksichtigen, dies kann die gewählte Operationstechnik beeinflussen.

Diagnostik

Als primär diagnostisches Tool wird das konventionelle belastete Röntgenbild durchgeführt (6, 16, 17). Es können einige radiologische Winkel bestimmt werden, so zum Beispiel zwischen dem Schaft des Metarsale I und dem Schaft der proximalen Phalanx, dies ist der klassische Hallux valgus Winkel (HVA), der Winkel zwischen den ersten beiden Metatarsale (IMA) und der Winkel zwischen den Phalangen (HVI) (Abb. 3). Schnittbildgebungen wie MRI oder CT werden im Normalfall nicht benötigt. Ein MRI wird jedoch durchgeführt, wenn zum Beispiel der Knorpelzustand am MTP I beurteilt werden muss, da schon eine Arthrose bestehen könnte oder wenn Schmerzen in den Zwischenzehenräumen bestehen und ein Mortonneurom vermutet wird (18). Zunehmend können auch stehende CT Bildgebungen durchgeführt werden, dies zum einen um die Rotation des Metatarsale und die Position der Sesambeine genauer beurteilen zu können, zum anderen gibt es eine sehr potente Übersicht des Fusses unter Belastung, was die präoperative Vorbereitung stark präzisieren kann (19).

Therapie

Die Therapieoptionen bestehen aus dem konservativen oder dem operativen Vorgehen.

Konservativ gilt es hauptsächlich, die Deformität, welche auf die umliegenden Strukturen drückt, zu schützen oder dafür Platz zu machen. Möchte man die Deformität korrigieren, haben die konservativen Therapien keinen Erfolg gezeigt, dies ist ausschliesslich mit einer Operation möglich.

Konservativ kann man weites Schuhwerk kaufen, auf eine grosse Zehenbox achten, den zweiten Strahl vor mechanischem Druck schützen, mit einer Zehenorthese, eine orthopädische Einlage anpassen oder eine redressierende Bandage applizieren (21, 22). Oft ist das Finden von passendem Schuhwerk nicht einfach, da eine weite Zehenbox und eine schmale Fersenfassung nicht dem heutigen Trend entsprechen, deshalb muss ab einer bestimmten Ausprägung der Fussdisproportion sehr schnell auf orthopädisches Schuhwerk mit Brandsohlenverbreiterung gewechselt werden, falls eine Operation nicht gewünscht oder nicht möglich ist.

Operativ wurden früher reine Weichteileingriffe durchgeführt, was jedoch aufgrund deren Ineffektivität und der hohen Rezidivraten wieder verlassen wurde (23, 24). Solche Weichteileingriffe werden allerdings weiterhin durchgeführt, dies ausschliesslich in Kombination mit ossären Umstellungen (23). Ebenso wurden Resektionsarthroplastiken des MTP I Gelenk, die sogenannte Keller-Brandes-Operation, angeboten. Hier wird die Basis der proximalen Phalanx abgetrennt und eine Pseudarthrose provoziert. Nicht nur hat man eine hohe Rezidivrate gesehen, zudem wird durch die Reduktion der Vorspannung der Sehnen die Plantarflexionskraft um bis zu 40 % reduziert. Aufgrund der resezierten ossären Strukturen sind die möglichen Revisionsoperationen eingeschränkt, weshalb auch diese Technik weitestgehend verlassen wurde (23).

So werden heutzutage hauptsächlich Osteotomien am Metatarsale I, TMT I oder MTP I Versteifungen durchgeführt.
Handelt es sich um eine isolierte Hallux valgus Deformität oder besteht schon eine Degeneration am MTP können Metatarsale Ostoeomien durchgeführt, bei schweren Deformitäten, TMT I Hypermobilität oder auch rotationale Deformitäten sollten TMT I Arthrodesen durchgeführt werden (25). Zeigt das MTP eine schwere und symptomatische Degeneration auf, kann die Korrektur über eine MTP I Arthrodese angegangen werden. Eine der möglichen Osteotomieformen am Metatarsale I, welche sich über nun fast zwei Jahrzehnte bewährt hat, ist die «Reversed-L oder Reve-L» Osteotomie (25-27) (Abb. 4).

Aktuell im Trend sind auch minimalinvasive Hallux valgus Operationen, auch MICA genannt (Minimal Invasive Chevron and Akin osteotomy) (Abb. 5). Die aktuell nun dritte Generation, mit Schraubenfixierung befestigte Variante osteotomiert das Metatarsale über diverse kleinere Schritte und fixiert es anschliessen mit grosskalibrigen langen Schrauben (28, 29). Die MICA konnte sich gegenüber den herkömmlichen Verfahren allerdings noch nicht als besser beweisen, so können mit der MICA Versorgung jedoch gewisse Indikationen erweitert werden, die bislang mit einer Versteifung versorgt wurden.

Resultate

Im Grunde ist die operative Versorgung der Hallux valgus Deformität auch im Langzeitverlauf mit einer zuverlässigen Korrektur der Deformität und einer guten Beschwerdelinderung sowie einer über 90%igen Patientenzufriedenheit assoziiert (27, 30, 31). Im Schnitt und bei korrekter Indikation wird der HVA Winkel auf 10.8° korrigiert, was hiermit einem Normalwinkel entspricht.

Die Hauptkomplikation ist ein radiologisches Rezidiv, dies tritt nur in der Minderheit der Fälle auf und ist selten symptomatisch. So ist auch verständlich, dass Patienten mit einem präoperativ schweren Hallux valgus eher postoperativ einen HVA >15° und somit ein Rezidiv haben als Patienten mit milderen Formen der Deformität. Komplikationen, die eine Revisionsoperation benötigen, sind mit ca. 2–3 % äusserst selten, dagegen ist die Zahl der elektiven Zweitoperationen zur Entfernung der störenden Schrauben deutlich höher (27, 31).

Kleinzehen Deformitäten

Einführung

Kleinzehendeformitäten und speziell die Hammerzehendeformität sind häufig Folge einer muskuloskelettalen Dysbalance. Die drei häufigsten Arten der Kleinzehendeformitäten sind der Mallet-Zeh, der Hammer-Zeh und der Krallen-Zeh (32). Obwohl die Kleinzehen einen kleineren funktionellen Einfluss haben als der erste Strahl, sind diese doch sehr relevant und können bei älteren Patienten, mit einer Reduktion der Gehdistanz, einer schlechteren Lebensqualität, einer erhöhten Sturzgefahr, aber auch mit Ulcerationen und erhöhtem Risiko eines Infekts assoziiert sein (33, 34).

Ätiologie

Gründe für die Entwicklung von Kleinzehendeformitäten können Instabilitäten der periartikulären Strukturen sein, vor allem der plantaren Platte, Instabilitäten des Fusses oder des MTP Gelenks, Rheumatologische Erkrankungen mit entsprechender Degeneration, akute oder chronische Traumatisierung im Rahmen einer Überlastung (32, 33, 35). Weitere sind in der Tab. 2 aufgelistet.

Klinik und Diagnose

Primär kann die Diagnose klinisch gestellt werden. Hauptsächlich soll auf das Integument und mögliche Hyperkeratosen mit darunterliegenden Ulcerationen geachtet werden. In der Gangprüfung korrespondieren Hyperkeratosen meist mit erhöhtem Druck auf dem Boden oder im Schuh, so soll auch das Schuhwerk begutachtet werden und mögliche Druckstellen lassen sich am Leder oder in der Einlage erkennen.

Es soll beurteilt werden, ob die Deformität flexibel oder rigide ist, ebenso kann untersucht werden, ob die Zehe im MTP noch stabil ist oder nicht.

Ebenfalls ist ein Röntgenbild des Vorfusses wichtig, um ossäre Läsionen auszuschliessen.

Therapie

Konservative Möglichkeiten sind, passendes Schuhwerk zu kaufen mit weiter Zehenbox, und das Anpassen einer orthopädischen Masseinlage mit distaler Weichbettung. Hier ist zu beachten, dass die Einlagen meist eine raumfüllende Wirkung im Schuh haben und somit in dieser Situation, wenn sie nicht richtig angepasst sind, schlecht toleriert werden.

Weiter gibt es konfektionierte oder massgefertigte Zehenorthesen oder ein Zehen-Glättungspolster angepasst durch einen Orthetiker.

Operative Therapien sind indiziert, wenn die konservativen Massnahmen ausgeschöpft sind und die Beschwerden insuffizient reduziert werden können. Hier gibt es Techniken mit Erhalt der Gelenke, so zum Beispiel der perkutanen Flexorentenotomie. Bei dieser Technik kann vor allem bei erhöhtem Zug der Flexoren die Plantarflexionskraft und somit die apikale Punktbelastung reduziert werden. Dies kann sehr minimalinvasiv Ulzerationen und Spitzenbelastungen reduzieren (36).

Alternativ kommt bei starken Fehlstellungen oder auch zeitgleicher Stabilisation im MTP Gelenk die Hohmann-Prozedur infrage. Hierbei wird das proximale interphalangeale Gelenk entfernt und ein Stabilisationsdraht wird eingebracht und für 6 Wochen belassen (Abb. 6) (37). Die Patientenzufriedenheit ist bei korrekter Indikation mit >80 % sehr hoch und hat die Rezidivdeformität als Hauptkomplikation. Daneben sind die am Häufigsten berichteten Unzufriedenheiten Schwellung, Steifigkeit, Taubheit und schlechtere Funktion (37).

Abkürzungen
MTP Metatarsophalangeal
TMT Tarsometatarsale
IP Interphalangeal
HVA Hallux valgus Winkel
IMA intermetatarsale Winkel
HVI Hallux intervalangeus Winkel
ReveL Reversed L-shaped Osteotomie
MICA Minimalinvasive Chevron und Akin Osteotomie

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Pascal R. Furrer

Abteilung für orthopädische Chirurgie
Universitätsklinik Balgrist
Forchstrasse 340
8008 Zürich

PD Dr. med. Stephan H. Wirth

Abteilung für orthopädische Chirurgie
Universitätsklinik Balgrist
Forchstrasse 340
8008 Zürich

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Das Krankheitsbild des Hallux valgus ist eines der häufigsten in der fusschirurgischen Klinik, nicht in allen Fällen symptomatisch und Ausdruck einer multidirektionalen Deformität.
  • Ätiologisch sind intrinsische und extrinsische Ursachen verantwortlich, die Wahl des Schuhwerks kann die Progredienz beschleunigen.
  • Konservative Therapieformen können die Symptome lindern, die Korrektur der Deformität kann ausschliesslich mittels Operation angegangen werden.
  • Kleinzehendeformitäten können gerade bei älteren Patienten einen grossen Einfluss auf das Wohlbefinden und die Mobilität haben, deren Krankheitswert wird oft unterschätzt.

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Prävention ist besser als Heilung

Kardiovaskuläre Risikofaktoren und personalisiertes LDL-Management: Update 2024

Prof. Christian Müller aus Basel erläuterte die entscheidende Rolle von LDL-Cholesterin als kausaler Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Neben dem Alter, dem Geschlecht (M>F) sind «Stress», Lp(a), Apo C3, und ANGPTL3 weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren. Der Referent erinnerte daran, dass Atherosklerose bereits in jungen Jahren mit Ablagerungen auf den Gefässen beginnt, die sogenannte «Fatty Streaks». Mit der Zeit entwickeln sich Plaques, die rupturieren können, was die bekannten klinischen Ereignisse zur Folge hat. Randomisierte, prospektive klinische Studien haben gezeigt, dass die Reduktion des Plasma LDL-Cholesterins mit einer Senkung des kardiovaskulären Risikos einhergeht. Die Senkung von LDL um 1 mmol/l führt zu einer 20%igen Senkung des kardiovaskulären Risikos. Diese Studien umfassten aber nur einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren. Die Beziehung zwischen LDL-Senkung und Reduktion des kardiovaskulären Risikos geht auch aus prospektiven Kohortenstudien hervor, die einen Zeitraum von 12 Jahren abdecken. Den ultimativen Beweis liefern die Mendel’schen Randomisierungsstudien, die eine Zeitspanne von bis zu 52 Jahren abdecken und die zudem zeigen, dass je früher das LDL gesenkt wird, desto grösser ist der Effekt. Die genannten Studien und weitere Erkenntnisse haben zu den Leitlinien der ESC für Lipide 2019 geführt, die Zielwerte für LDL-Cholesterin in Abhängigkeit des kardiovaskulären Risikos empfehlen.

Wo steht die Schweiz?

Wir haben die besten Skifahrerinnen und Skifahrer (Wendy Holdener, Marco Odermatt), wir haben den schönsten Berg (Matterhorn) und die beste Schokolade, und die Schweiz konsumiert pro Kopf und Jahr weltweit am meisten Schokolade und hat die meisten Nobelpreisträger, was laut Franz Messerli eng zusammenhängt.

Eine Studie von 2021 bei Hausärzten (Rachamin Y et al. Atherosclerosis 2021) zeigt, dass die Lipidwerte bei Frauen in der Primärprävention weniger kontrolliert werden als bei Männern und dass Frauen ab 50 Jahren höhere LDL-C-Werte haben als Männer. Auch Blutdruck und HbA1c wurden bei Frauen seltener kontrolliert. Dies gelte sowohl für die Primär- als auch für die Sekundärprävention. Der Referent zeigte auf, dass das LDL-Cholesterin effizient gesenkt werden kann, z.B. mit Rosuvastatin, das in der Jupiter-Studie (Ridker P et al. N Engl J Med 2008;359:2195-2297) eine mittlere Senkung von 50% zeigte. Die Zugabe von Ezetimibe ermöglicht eine weitere Reduktion um ca. 20%. Zu den neueren Therapien gehören die monoklonalen Antikörper anti-PCSK9 (Alirocumab und Evolocumab) mit einer LDL-C-Senkung von ca. 50% und die Bempedoinsäure mit einer weiteren Senkung von ca. 20%. Schliesslich ist mit dem siRNA-basierten PCSK9-Inhibitor eine weitere neue Option auf dem Markt, die eine LDL-C-Senkung in der Größenordnung der PCSK9-Antikörper ermöglicht und nur halbjährlich verabreicht werden muss.

Lipoprotein (a): Risikofaktor oder therapeutisches Ziel?

Die Vorbeugung von ischämischen CV Ereignissen ist entscheidend, so Prof. François Mach. Etwa ein Drittel der ischämischen Ereignisse tritt bei Personen mit LDL-C- Werten <3mmol/l auf. In den Leitlinien von 2019 wird für die Primärprävention ein LDL-C-Wert <3mmol/l angestrebt. Es ist notwendig, zusätzliche Risikofaktoren zu identifizieren, um die Genauigkeit der Entscheidungen über präventive Therapien zu verbessern.

Der Referent erwähnte neben den klassischen Risikofaktorenneben die verschiedenen weiteren Risikofaktoren, wie Restrisiko für Inflammation Restrisiko für Thrombose Restrisiko für Triglyceride, für Diabetes und für Lp(a). Lp(a) weist eine Grundstruktur von Apo

B auf, an welche Apo (a) gekoppelt ist, welches strukturell dem Plasminogen gleicht, aber keine Spaltposition für die Spaltung in Plasmin besitzt. Die Genetik ebnete den Weg für unser Verständnis der Lp(a) Konzentration, der kausalen Assoziation zwischen Lp(a) und kardiovaskulären Outcomes und der derzeitigen und künftigen therapeutischen Entwicklungen.

Lp(a)-Konzentrationen sind stark durch genetische Varianten reguliert. Hauptsächliche Varianten sind der Kringle-IV Polymorphismus, 2 häufige Splice Varianten im Kringle IV Typ 2 mit ausgeprägter Lp(a)-senkender Wirkung, seltene Loss-Of-Function-Varianten.

Mendel’sche Randomisierungsstudien liefern starke Unterstützung für Lp(a) als kausalen Risikofaktor für CVD. Genetische Studien geben hinreichende Hinweise darauf, dass eine isolierte Senkung von Lp(a) zu einem klinischen Nutzen führt.

Prospektive Studien sind erst neueren Datums, zeigen aber deutlich, dass erhöhtes Lp(a) mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergeht. Ein europäisches Konsensus-Panel empfiehlt für Personen mit erhöhtem Lp(a) mit dem Rauchen aufzuhören, das LDL-C und den Blutdruck, falls erhöht zu senken, eine geeignete Diabetes- und Prädiabetes-Therapie einzuleiten, Lebensstiländerungen wie Gewichtsreduktion, körperliche Aktivität, gesunde Ernährung. In einigen Ländern kann die Lipoprotein-Apherese bei Patienten mit erhöhtem Lp(a) und progressiver kardiovaskulärer Krankheit in Betracht gezogen werden. Ein früher Start zur Prävention ist entscheidend.

Spezifische Lp(a)-senkende Therapien werden derzeit in klinischen Studien untersucht.

Medikamente, die auf mRNA gerichtet sind:
– Reduzieren Lp(a) um 80-99%
– Phase 3 und Phase 2-Studien
– Antisense Oligonucleotid-Therapie: Pelacarsen
– siRNA Technologie: Olpasiran, Zerlasiran, Lepodisiran
Kleinmolekularer Inhibitor
– bindet an Apolipoprotein (a) und blockiert die Lp(a)-Produktion
– orale Medikation
– reduzierte Lp(a) in Phase 1 Studie um 65%

Die neueste Option ist CRISPR (Stankov S et al. Atherosclerosis 2023 368:14-24). Mit dieser Methode können Proteine gänzlich zum Verschwinden gebracht werden.

Lp(a) auf der Suche nach dem richtigen Platz

Warum sollte ich Lp(a) bestimmen? Es ist…
– …ein kausaler Risikofaktor
– …ein häufiger Risikofaktor
– …nützlich für die Risikoschätzung
– einfach und günstig
– ich kann schon jetzt handeln
– «Es ist an der Zeit, Lp(a) einen Platz in der klinischen Praxis einzuräumen», so der Referent abschliessend.
Als neueste Therapie nannte Prof. Mach CRISPR Cas9 Geneditierung für Dyslipidämie.

Evidenz für siRNA-Therapeutika in der realen Welt

Unter Daten aus der realen Welt (RWE-Daten) versteht man Daten, die ausserhalb von stark kontrollierten,
klinischen Studien erhoben wurden, stellte Prof. Baris Gencer, CHUV, Lausanne, fest.

Er verwies auf die verschiedenen Datenquellen, die bei RWE-Studien herangezogen werden und auf die Lücke, die zwischen der Wirksamkeit (randomisierte, klinische Studie, RCT) und der Effektivität (RWE) existiert. Wirksamkeit bestimmt, ob eine Intervention den gewünschten Effekt unter präspezifizierten Bedingungen erfüllt (RCT), während Effektivität die günstige Wirkung in der alltäglichen Routinepraxis (RWE) misst.

Unterschiede in Antworten auf Medikamente können bedingt sein durch:
– Komorbiditäten (z.B. Alter, niedrigere Nierenfunktion)
– Gleichzeitige Medikationen
– Therapieadhärenz
– Verschreibungsverhalten

Daten aus der realen Welt können unser Verständnis von Sozial- und Gesundheitsfürsorge verbessern. Drei Hauptursachen für systematische Verzerrungen in RWE-Studien sind die Selektion, die Information und Verwechslungen (wenn Risikofaktoren für Outcome zwischen den Vergleichsgruppen unausgewogen sind).

Multiple Faktoren tragen zur unzureichenden Therapieadhärenz bei. Dies auf Seiten des Gesundheitssystems, aber auch des Patienten selbst und des behandelnden Arztes.

VICTORION INITIATE

Bei VICTORIAN-INITIATE handelte es sich um eine prospektive, randomisierte, offene Phase-3b-Studie zur Bewertung der Wirkung auf die LDL-C-Senkung durch den Beginn der Behandlung mit INCLISIRAN zweimal jährlich zusätzlich zur üblichen Behandlung im Vergleich zur alleinigen Versorgung, wobei die übliche Behandlung als jede lipidsenkende Therapie definiert war, die nach Ermessen eines behandelnden Arztes verschrieben oder titriert wurde. Der Co-primäre Endpunkt war die prozentuale Veränderung von LDL-C.

Nach 330 Tagen betrug die mittlere prozentuale LDL-C-Senkung -60% mit Inclisiran und -7.0% mit der üblichen Behandlung. Mehr Patienten erreichten mit Inclisiran die LDL-C-Ziele im Vergleich zur üblichen Behandlung (<70mg/dl: 81.8% gegenüber 22.2%; <55mg/dl: 71.6% gegenüber 8.9%; p<0.001).

Die Raten behandlungsbedingter unerwünschter Ereignisse (TEAE) und schwerwiegender TEAE waren zwischen den Behandlungsstrategien ähnlich (62.8% vs. 53.7% bzw. 11.5% vs. 13.4%). TEAE an der Injektionsstelle und TEAEs, die zum Abbruch führten, traten bei Inclisiran häufiger auf als bei der üblichen Behandlung (10.3% gegenüber 0.0% bzw. 2.6% gegenüber 0.0%.

US-Studien zu Inclisiran in der realen Welt zeigten einen höheren Prozentsatz der Patienten. Der Prozentsatz der Patienten, die voll adhärent waren, betrug in Komodo mit Inclisiran 79%, mit Alirocumab und mit Evolocumab je 56% . HELIX und MetroASoC zeigten etwas geringere LDL-C-Senkungen gegenüber PCSK9 Monoclonals, aber gute Adhärenz.

Faktoren, die die LDL-C-Reduktion mit Inclisiran in der realen Welt beeinflussen

Früher Therapiebeginn erlaubt den Patienten die LDL-C-Zielwerte zu erreichen und aufrecht zu erhalten. Hintergrund LL-Therapie zeigte hohe Antwortraten bei Patienten, die mit optimaler Background-LL-Therapie behandelt wurden.

Der zugrunde liegende Krankheitstyp spielt eine Rolle, ebenso das Timing des LDL-Tests. Inclisiran hat lokale Spitzen/Talwerte in der LDL-Reduktion in Abhängigkeit von der Zeit seit der Inclisiran-Administration. Die Adhärenz hat einen grossen Einfluss auf den LDL-C-Spiegel.

Evidenz aus der realen Welt (RWE): Inclisiran und seine Rolle bei der LDL-Senkung

Daten aus der realen Welt zeigen, dass Inclisiran, ein neuer PCSK9-Inhibitor, die LDL-C-Werte signifikant senkt und hohe Adhärenzraten aufweist. Studien wie VICTORION-INITIATE zeigen, dass Patienten mit Inclisiran besser ihre LDL-Zielwerte erreichen als mit der üblichen Behandlung.

Welche Risikofaktoren sind bei Frauen anders?

Bei den klassischen Risikofaktoren ist die Prävalenz bei Männern häufiger als bei Frauen. Sie beinhalten aber ein stärkeres Risiko für Frauen als für Männer, stellte Frau Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Catherine Gebhard von der Universitätsklinik für Kardiologie des Inselspitals Bern fest.

Beispiele für klassische Risikofaktoren sind:

Diabetes (Typ 1 und Typ 2), Metabolisches Syndrom (Übergewicht, Bluthochdruck, Zucker- und Fettstoffwechselstörung), Rauchen, Bluthochdruck, Herzinfarkt bei Mutter oder Schwester, Herzinfarkt in der Familie.

Nicht klassische Risikofaktoren:

Kommen bei Frauen häufiger vor: Mentaler Stress, Schlafstörungen, Depression/Angststörungen, chronisch entzündliche Erkrankungen/Autoimmunerkrankungen, Migräne mit Aura, niedriger sozioökonomischer Status, niedrigerer Bildungsstatus.
Stärkerer Risikofaktor bei Frauen als bei Männern ist ein niedriger sozioökonomischer Status, mentaler Stress, Migräne mit Aura.

Frauenspezifische Risikofaktoren

Polyzystisches Ovarsyndrom, Hormonstörungen, vorzeitige Menopause, Infertilität und Fertilitätsbehandlungen, Gestationsdiabetes, Frühgeburt, Endometriose, Bestrahlung bei Brustkrebs, Chemotherapie bei Brustkrebs, Hormonale Kontrazeption bei Raucherinnen/Hypertonikerinnen, postmenopausale Hormonersatztherapie.

Protektive Faktoren

Bewegung, Nahrung, hoher Anteil von Früchten und Gemüse, moderater Alkoholkonsum.

Herz, Nieren und Hirn
Die 2024 ESC Hypertonie Leitlinien: was ist neu und relevant?

Die ESC-Leitlinien des Jahres 2024 wurden von Prof. Felix Mahfoud aus Basel vorgestellt.

Er präsentierte zunächst die Definition und Klassifizierung der Hypertonie:

Standardisierte Blutdruck Messungen sind empfohlen.
Praxis Blutdruckschwellenwerte gehen von einem Standardansatz aus (Routine-Praxis-Werte können 5-10mmHg höher sein).

Bestätigung der Blutdruckmessungen

Die Blutdruckmessungen müssen bestätigt werden, vorzugsweise durch Heim-Messung oder ambulante Blutdruckmessung (Klasse I). Bei Blutdruck ≥180/110mmHg Evaluation für hypertensiven Notfall (Klasse I). Unter 40 Jahre alte sollten alle 3 Jahre gescreent werden (Klasse IIa/C), 40 Jahre alte und Ältere jedes Jahr (Klasse IIa/C).

Für die Erstuntersuchung empfohlene Tests

Screening auf primären Aldosteronismus mittels Renin und Aldosteron sollte bei allen Erwachsenen mit bestätigtem Bluthochdruck in Betracht gezogen werden (Klasse IIa/B).

Behandlung von erhöhtem Blutdruck und ­Hypertonie
Behandlungsziel:

Schlüsselkonzepte sind Berücksichtigung von Gebrechlichkeit anstelle des Alter (Clinical Frailty Score) ALARA: so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar und wenn toleriert.

Der Referent präsentierte den Algorithmus fr die pharmakologische Therapie.
Niedrig dosierte Doppelkombinationstherapie ACEI oder ARBs/CCBs/Diuretika (Klasse I)

Blutdruckkontrolle nach 1-3 Monaten (Bewertung vorzugsweise nach 1 Monat, wenn möglich)

Niedrig dosierte Tripletkombinationstherapie (ACEI oder ARBs/CCBs/Diuretika (Klasse I)

Blutdrickkontrolle nach 1-3 Monaten (Bewertung vorzugsweise nach 1 Monate, wenn möglich)

Maximal tolerierte Triplekombinationstherapie ACEI oder ARBs /CCBs /Diuretika (Klasse I)
Bei jedem Schritt bei zwingenden Indikationen (Angina, Post Myokardinfarkt, systolischer Herzinsuffizienz, oder Kontrolle der Herzfrequenz) Betablocker dazu geben (Klasse I).

Umgang mit resistenter Hypertonie

Bei offensichtlich resistenter Hypertonie Überweisung an eine Hypertonie-Klinik (Klasse IIa), Test auf Adhärenz (Klasse IIa).
Zugabe von Spironolacton (Klasse IIa).

Renale Denervation

Empfehlungen: Zur Senkung des Blutdrucks und bei Durchführung in einem Zentrum mit mittlerem bis hohem Volumen. Kann für Patienten mit resistenter Hypertonie in Betracht gezogen werden, die einen Blutdruck haben, der trotz Behandlung mit 3 Medikamenten in Kombination (einschliesslich eine Thiazid- oder Thiazid-ähnliches Diuretikum) und die eine Präferenz für eine renale Denervationstherapie nach einer geteilten Risiko-Nutzen-Diskussion und multidisziplinärer Bewertung eingehen wollen.

Renale Denervation kann bei Patienten mit erhöhtem CV-Risiko unkontrolliertem Blutdruck mit <3 Medikamenten in Betracht gezogen werden, wenn sie eine Präferenz für eine renale Denervationstherapie nach einer geteilten Risiko-Nutzen-Diskussion und multidisziplinärer Bewertung eingehen wollen (Klasse IIb/A).

Take Home Messages

• Hypertonie ist immer noch Hypertonie.
• Blutdruckmessungen ausserhalb der Praxis werden empfohlen, um eine Hypertonien zu diagnostizieren und die Titration von blutdrucksenkenden Medikamenten zu steuern.
• Für Patienten mit erhöhtem Blutdruck (130-139/80-89mmHg) gilt ein Risiko-basierter Ansatz unter Berücksichtigung (geschlechtsspezifischer) Risikofaktoren.
• Bei der Behandlung liegt der Zielwert für den Blutdruck bei 120-129/70-79mmHg für alle Erwachsenen, vorausgesetzt die Behandlung wird gut vertragen.
• Die Behandlung richtet sich nach der Gebrechlichkeit anstelle des Alters.
• Die renale Denervation ist eine Behandlungsoption fürresistente Hypertonie und bei bestimmten Patienten auf <3 Medikamenten, falls sie eine Präferenz für die renale Denervation hat.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Bleiben Sie informiert – News aus San Antonio

Bleiben Sie informiert – News aus San Antonio

Am jetzigen SABCS wurden an den Late Breaking News zwei Studien mit Relevanz für den Praxisalltag präsentiert.

COMET-Studie
Die COMET-Studie zeigte, dass Frauen, bei denen ein duktales Karzinom in situ (DCIS) diagnostiziert wurde und die sich für eine aktive Überwachung anstelle einer Operation und Bestrahlung entscheiden, keine höhere Wahrscheinlichkeit haben, nach zwei Jahren an Brustkrebs zu erkranken, wie Frau Dr. E. Shelley Hwang in einer Sitzung berichtete.

Patina-Studie
In einer weiteren Late Breaking news zur PATINA Studie wurde gezeigt, dass die Zugabe von Palbociclib (IBRANCE®) zur derzeitigen Standard-Erhaltungstherapie (nach einer Induktionschemotherapie) bei Patientinnen mit HR+, HER2+ metastasierendem Brustkrebs zu einer statistisch signifikanten und klinisch bedeutsamen Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (PFS) führt.

In der vorliegenden Ausgabe wird für einmal mit der Osteoporose auch ein wichtiges Thema der
Männergesundheit beleuchtet.
Der erste Artikel widmet sich der aktuellen operativen und medikamentösen Therapie des Ovarialkarzinoms. Von der Bedeutung der vollständigen Tumorentfernung bis hin zu innovativen Ansätzen wie PARP-Inhibitoren bei Erhaltungstherapien bietet dieser Beitrag einen fundierten Überblick über bewährte und neue Behandlungsstrategien.

Im zweiten Beitrag werfen wir einen Blick auf ein oft unterschätztes Thema: Osteoporose bei Männern. Die Diagnose- und Therapiemöglichkeiten, darunter Bisphosphonate und Testosteronsubstitution bei Hypogonadismus, unterstreichen die wichtige Rolle der Früherkennung durch Grundversorger und Fachärzte, um das Risiko osteoporotischer Frakturen zu reduzieren.

Im dritten Beitrag werden zwei Vorträge vorgestellt, die im Rahmen des 27. Kongresses für praktische Gynäkologie und Geburtshilfe in Näfels gehalten wurden. Zunächst wird die hormonelle Migräne thematisiert, welche eine häufige Herausforderung für Frauen im reproduktiven Alter darstellt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den somatischen Beschwerden in der Menopause. Dabei werden sowohl hormonelle als auch nicht-hormonelle Ansätze berücksichtigt, um betroffenen Frauen eine gezielte Unterstützung zu bieten.

Wir wünschen den Leserinnen und Lesern besinnliche Festtage und ein gesundes, erfülltes, freudiges und glückliches 2025.

KD Dr. med. Stephanie von Orelli

KD Dr. med. Stephanie von Orelli

Stadtspital Triemli
Frauenklinik
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

stephanie.vonorelli@zuerich.ch

Osteoporose beim Mann

Die Osteoporose wird beim Mann unterschätzt. 1 auf 5 Männer besitzen ein erhöhtes Risiko für eine osteoporotische Fraktur. Der Goldstandard zur Diagnose der Osteoporose ist auch beim Mann die Messung der BMD mittels DXA. FRAX® ermittelt auch beim Mann die 10-Jahres-Probabilität einer schweren Fraktur («major fracture»). Da es noch kein Netz zur Früherkennung der männlichen Osteoporose gibt, werden die vorhandenen zur Senkung des Frakturrisikos wirksamen Medikamente beim Mann zu wenig und oft zu spät eingesetzt. Bei hohem Frakturrisiko sind die Präparate der ersten Wahl orale Bisphosphonate, die der zweiten Wahl Denosumab oder Zoledronat. Bei Patienten mit Hypogonadismus muss immer auch eine zusätzliche Testosteronsubstitution erwogen werden. Die Früherkennung ist vor allem Aufgabe der Grund­versorger und der Urologen. Gynäkologen sollten in Kinderwunsch- und Menopause-Sprechstunden sowie bei sexualmedizinischen Beratungen auch an einen Hypogonadismus mit erhöhtem Osteoporoserisiko des Partners denken.

In men, osteoporosis is still underestimated. One in five men possesses an increased risk for osteoporotic fractures. Also in men, determination of BMD by DXA is still the gold standard for the diagnosis of osteoporosis. FRAX® calculates fracture probability from easily obtainable clinical risk factors also in men. Its output is the 10-year probability of a major fracture. Because there is no network for early detection of male osteoporosis, the medications available for the reduction of fragility fractures are used in man only rarely and often late. In men with a high fracture risk, the first-line preparations are oral bisphosphonates, the second-line preparations denosumab or zoledronate. In patients with hypogonadism, an additional testosterone substitution has always to be evaluated. Early detection is mainly the task of the general practitioners and the urologists. But gynaecologists should always think of the possibility of male hypogonadism with consecutive osteoporosis in the partners of their female patients consulting for infertility, menopause or sexual problems.
Key words: Osteoporosis – Man – Hypogonadism – Therapy – Testosterone

I. Einleitung

Die Osteoporose ist die häufigste Knochenerkrankung. Weltweit tritt alle 3 Sekunden eine osteoporotische Fraktur ein. 2015 litten in der EU 20 Mio. Menschen darunter, davon waren 4.2 Mio. Männer. Die Osteoporose beim Mann wird immer noch stark unterschätzt, unterdiagnostiziert und untertherapiert (1–5), obwohl das Lebenszeitrisiko einer osteoporotischen Fraktur bei einem 50-jährigen Mann 13–25 % beträgt (Tab. 1). Ärzt/-innen, die Paare mit Sexualproblemen und menopausale Frauen betreuen, sollen dafür sensibilisiert sein, denn sie haben am ehesten die Gelegenheit, deren männliche Partner einer rechtzeitigen Abklärung zuzuführen. Zum Beispiel, wenn sie in Rahmen von Eheproblemen auf Symptome treffen, die mit einem männlichen Hypogonadismus vereinbar sind.

Diese Übersicht für Nichtspezialisten soll grundlegende Hinweise zu Erkennung und Abklärung bei Verdacht auf Osteoporose und zum Vorgehen bei erhöhtem Risiko für Fragilitätsfrakturen bei Männern geben.

II. Definition der Osteoporose gemäss WHO (World Health Organization) und IOF ­(International Osteoporosis Foundation)

Die Osteoporose ist eine systemische Skeletterkrankung, die durch eine niedrige Knochenmasse und einen mikroarchitektonischen Abbau des Knochengewebes charakterisiert ist. Daraus resultiert eine suboptimale Knochenstruktur und eine schlechte Knochenqualität mit konsekutiver Zunahme der Knochenfragilität und Frakturanfälligkeit. Osteoporose führt zu einer Schwächung des Skeletts und einem erhöhten Frakturrisiko (1).

Die IOF fügt bei, dass die Osteoporose ein Zustand mit hoher oft vernachlässigter Prävalenz ist und primär Frauen betrifft, und dass eine relative Unsicherheit zu dieser Krankheit beim Mann besteht, so dass Männer unterdiagnostiziert und unterbehandelt werden (1).

III. Epidemiologie von Fragilitätsfrakturen (1–4)

Bei über 59-jährigen Männern wird die Prävalenz der Osteoporose auf 7 % geschätzt, bei über 50-jährigen Frauen auf 23 %.
Beim Mann steigt das Frakturrisiko erst ab dem Alter von 75 Jahren signifikant an, also rund 10 Jahre später als bei Frauen. Männer besitzen dickere Knochen mit massiveren Strukturen. Ihre Peak Bone Mass (PMB; maximale erreichte Knochenmasse) ist grösser als diejenige der Frau. Beide Vorteile senken das Risiko einer Fragilitätsfraktur. Zudem erfolgt die Abnahme der Konzentration der Sexualsteroide und damit die Veränderungen im kennt keinen der Menopause vergleichbaren abrupten Funktionsabfall der Gonadenachse mit konsekutiver rascher Abnahme der Bone Mineral Density (BMD).

1 auf 3 Frauen und 1 auf 5 Männer besitzen ein erhöhtes Risiko für eine osteoporotische Fraktur. 68 % betreffen Frauen, 22 % Männer. Die Prävalenz von Vorderarmfrakturen ist bei Frauen im Alter von 50 Jahren ungefähr viermal höher als bei Männern (0.4 % versus 0.1 % der Risikopopulation) mit einer Risiko-Ratio von 4.5 zwischen den Geschlechtern (6).

Die Häufigkeit einer Schenkelhalsfraktur ist mit 70 % bei Frauen grösser als bei Männern mit 30 % (6), allerdings vermindert sich dieser Unterschied mit zunehmendem Alter. In der Dubbo Osteoporosis Epidemiology Study (7) lag bei Schenkelhalsfrakturen das Verhältnis der Inzidenzrate zwischen Männern und Frauen im Alter von 60–69 Jahren bei 1 : 4.5 (95 % CI 1.3–15.7), im Alter von 70–79 Jahren bei 1 : 1.5 (95 % CI 0.9–2.5), und im Alter ≥ 80 Jahren bei 1:1.19 (95 % CI 1.2–2.8).

Andererseits haben Männer nach Schenkelhalsfrakturen eine höhere Mortalität als Frauen (8, 9), vermutlich wegen einer erhöhte Ko-Morbidität und einer höheren Infektionsrate. Bei hospitalisierten älteren Patienten (≥ 60 Jahre alt) betrug die Mortalität nach einer Schenkelhalsfraktur bei Männern 10.2 % gegenüber 4.7 % bei Frauen, die 1-Jahresmortalität 37.5 % bei Männern gegenüber 28.2 % bei Frauen (mediane Aufenthaltsdauer der Überlebenden 8 Tage [interquartiler Bereich 6–13 Tage]). Das erhöhte männliche Risiko kann für mehr als 10 Jahre fortbestehen.

IV. Osteoporose als Folge von ­Hypogonadismus

Der männliche Hypogonadismus mit seiner Abnahme der Testosteronproduktion hat eine Erhöhung des Knochenstoffwechsels zur Folge. Dies führt wiederum über den vermehrtem Knochenabbau zu einem erhöhten Frakturrisiko (10, 11). Doch hat auch beim Mann nicht nur Testosteron, sondern auch Östradiol einen Einfluss auf den Knochenstoffwechsel (12). Östradiol wird aus Testosteron aromatisiert und korreliert mit diesem direkt. Den hauptsächlichen protektiven Effekt auf den Knochen scheint Östradiol zu besitzen. Jede Abnahme des Testosterons führt somit auch zu einer Senkung von Östradiol und damit zu einer Schwächung seines protektiven Effekts bei beschleunigtem Knochenabbau (10–11).

Das Erkennen eines Hypogonadismus ist beim Mann nicht immer offensichtlich. Die Diagnose folgt oftmals einer Vielzahl von klinischen Zeichen (Tab. 2), die jeweils einzeln oder in Kombination auftreten, aber zum Teil auch fehlen können (13). Für das Erkennen eines Hypogonadismus im Rahmen einer Osteoporoseabklärung ist die Beurteilung der klinischen Bedeutung der jeweiligen Symptome zentral (z.B. Rückenschmerzen oder Kyphose).

Eine Subgruppe des Hypogonadismus stellt die iatrogene Gonadensuppression dar, insbesondere bei Männern mit Prostatakarzinom (14–16). Früher die Kastration, heute die in der Regel medikamentöse Testosteronsuppression induziert gezielt einen supraphysiologischen Testosteronabfall auf das Kastrationsniveau. Ein solcher rapider und subtotaler Testosteronverlust führt zu einem Verlust an Knochendichte im peripheren und zentralen Skelett und zu erhöhter Frakturneigung. Aufgrund der Schwere des induzierten Hypogonadismus bedürfen betroffene Männer eines besonderen Augenmerks hinsichtlich der Einleitung einer Osteoporose-Prophylaxe oder -Therapie im Rahmen regelmässiger Nachsorgeuntersuchungen (16).

Die gleiche Problematik besteht bei der Suppression der Gonadenachse im Rahmen der Gender-Medizin.

V. Erkennung und Diagnose der Osteoporose beim Mann

V.1 Klinische Untersuchung

Zuerst müssen in einer gezielten Anamnese die Risikofaktoren für Osteoporose und Fragilitätsfrakturen herausgearbeitet werden (Tab. 3). Die klassischen Zeichen und Symptome einer Osteoporose sind in (Tab. 4) zusammengefasst.

V.2 Osteodensitometrie mittels DXA

Während die konventionelle Radiologie zur Frakturerkennung dient, bleibt die Knochendichtemessung mittels DXA auch beim Mann der Goldstandard zur Diagnose einer Osteoporose (Tab. 5). Die BMD erlaubt es, die Osteoporose zu definieren, aber sie ist nur einer der Risikofaktoren für eine Fragilitätsfraktur. Sie gilt als spezifischer Marker für ein hohes Frakturrisiko, doch ist ihre Sensitivität gering. Personen mit einer niedrigen BMD besitzen individuell ein hohes Frakturrisiko. Allerdings tritt die Mehrzahl aller Frakturen in einer Population mit einem T-Score oberhalb der Schwelle von −2.5 ein (17). Diese Population besitzt individuell betrachtet ein niedrigeres Frakturrisiko, aber sie schliesst viel mehr Personen ein als die osteoporotische Gruppe mit einem T-Score von < 2.5.

V.3 FRAX®

FRAX® ist ein erstmals 2008 publizierter Computer-basierter Algorithmus (18, 19). Er ist auf den Einsatz in der ärztlichen Grundversorgung ausgerichtet und berechnet bei Männern und Frauen die Probabilität einer Fraktur über einfach erhältliche klinische Risikofaktoren. FRAX® ermittelt die 10-Jahres-Probabilität einer schweren Fraktur (= major fracture; Schenkelhals, Wirbelsäule (klinisch), Oberarm, Handgelenk). Die Wahrscheinlichkeit berechnet sich aus dem Risiko für Fraktur und Tod in Bezug auf Alter, BMI und einfache dichotome Risikofaktoren wie frühere Fragilitätsfrakturen, Anamnese von Schenkelhalsfrakturen bei den Eltern, aktuelles Zigarettenrauchen, Langzeitanwendung von Glucocorticoiden, rheumatoider Arthritis, anderer Ursachen einer sekundären Osteoporose und Alkohol-Abusus.

Optional kann die BMD am Schenkelhals bei der Berechnung von FRAX® eingeschlossen werden. Dadurch wird die Voraussage des Frakturrisikos verbessert.

V.4. Laboruntersuchungen

Laboruntersuchungen werden vor allem zur Abklärung einer sekundären Osteoporose benötigt und sind nicht Thema dieser Übersicht.

VI. Prävention und Therapie

VI.1. Allg. Prävention: ausgewogenen Ernährung, Supplemente (20)
Bei Männern mit Osteoporose ist eine ausgewogene Ernährung ein absolutes «must». Für beide Geschlechter dürfen die gleichen Richtlinien verwendet werden.

Wichtig ist eine adäquate Eiweisszufuhr. Bei Risikopatienten scheint ein höherer Proteinkonsum als die übliche für Gesunde empfohlene tägliche Menge die Knochenqualität zu verbessern (21, 22).

Als Grundregel sollten pro Tag 800–1200 mg Calzium über die normale Ernährung aufgenommen werden. Die Gabe eines Calzium-Supplements muss dann erwogen werden, wenn die tägliche Aufnahme unter 800 mg liegt. Eine Supplementation mit Vit D (in der Regel 800 IU) macht für jüngere Männer nur bei erhöhtem Frakturrisiko oder zu niedrigen Vitamin D Spiegel Sinn. Hingegen sollten Männer über 65 Jahren generell Supplemente von Calcium und Vit D erhalten (5, 17) (starke Empfehlung nach 17).

VI.2. Sturzprävention

Eine neue systematische Übersicht (23) zur Evidenz des Nutzens von körperlichem Training zur Sturzprophylaxe kommt unter Einbezug einer Cochrane Analyse (24) zum Schluss, dass Training das Sturzrisiko um 23 % senkt.
Der Effekt von Stürzen auf das Frakturrisiko ist in FRAX®-plus als Option zur Verbesserung der 10-Jahres Wahrscheinlichkeit einer Fraktur aufgenommen worden (17). In FRAX®-plus wird die Anzahl der eingetretenen Stürze im letzten Jahr angegeben (0, 1, 2 und 3 oder mehr Stürze).

VI.3. Interventionsschwelle

Beim Mann liegen deutlich weniger Daten zur Berechnung und Definition der Interventionsschwelle für eine Therapie vor als bei der Frau. Die Endocrine Society empfiehlt bei Männern mit hohem Frakturrisiko, eine Behandlung vor allem unter folgenden Voraussetzungen einzuleiten (25):
– Anamnese einer Fragilitätsfraktur von Schenkelhals oder Wirbelsäule
– (Europa) BMD ≤ 2.5 Standardabweichungen unter dem Mittelwert für normale junge weisse Männer (benützen von weissen jungen Männern als Referenzpopulation)
– (USA) solche mit einer BMD innerhalb des osteopenischen Bereichs und einem 20 % 10-Jahresrisikos einer schweren osteoporotischen Fraktur oder einem 10 % Risiko einer Schenkelhalsfraktur.

Die heute verfügbare Evidenz stützt den Gebrauch einer gemeinsamen Interventionsschwelle (T-Score-Schwellenwert) und die Verwendung des weiblichen NHANES Referenz-Bereichs auch für Männer (17, 25). Die in der Schweiz für Männer zu empfehlende Interventionsschwelle zeigt (Abb. 1).

VI.4. Medikamentöse Therapie

Die erste Wahl zur Behandlung der Osteoporose ist bei Männern mit erhöhtem Frakturrisiko und überschrittener Interventionsschwelle (Abb. 1) die medikamentöse Therapie. Das gleiche gilt für alle Männer mit einer vorbestehenden Fragilitätsfraktur (starke Empfehlung, nach 17). Die Palette der zur Verfügung stehenden Präparate ist die gleiche wie bei der Frau: die Antiresorptiva Bisphosphonate, Denosumab, Romosozumab, und die Anabolica Teriparatid und Abaloparatid. Die Präparate der ersten Wahl bei Männern mit hohem Frakturrisiko sind orale Bisphosphonate (Alendronat oder Risedronat) (starke Empfehlung, 17), zu denjenigen der zweiten Wahl gehören Denosumab oder Zoledronat (starke Empfehlung, 17). Gestützt auf die verfügbaren BMD-Daten gilt Abaloparatid international als Therapie der ersten Wahl für Männer mit Osteoporose und einem sehr hohen osteoporotischen Frakturrisiko (schwache Empfehlung, 17). In der Schweiz ist Abaloparatid seit dem 07.03.2024 zugelassen, doch erst für die postmenopausale Frau. (Abb. 2) zeigt die Wirksamkeit der verschiedenen therapeutischen Möglichkeiten nach dem Modell von Fuggle et al. (17).

Männern mit sehr hohem Frakturrisiko muss eine sequentielle Behandlung (27) empfohlen werden. Diese wird mit einem knochenbildenden Präparat begonnen, gefolgt von einer antiresorptiven Substanz (starke Empfehlung nach 17).

Die Durchführung der medikamentösen Therapie gehört auch beim Mann in die Hände des Spezialisten. Zur Sicherstellung einer wirksamen Senkung des Frakturrisikos soll auch bei hypogonaden Männern eine medikamentöse Osteoporosetherapie eingesetzt werden, unabhängig von einer Testosteron-Substitution (17).

VI.5. Substitution mit Testosteron

Der Nutzen einer Testosteronsubstitution auf das Skelett wird kontrovers diskutiert (114). Frakturdaten fehlen. Eine positive Wirkung ist bisher bei einer hypogonaden Population einzig auf die BMD der LWS und des Schenkelhalses erwiesen (28–30).

Doch ist eine zur medikamentösen Therapie zusätzliche Testosteronsubstitution bei Hypogonadismus indiziert. Der Entscheid muss unter Einbezug eines Endokrinologen ganzheitlich gefällt werden. Zu den Entscheidungskriterien gehören die Symptome des männlichen Hypogonadismus inklusive Sexualfunktion, das kardiovaskuläre System und der freie oder totale Testosteronwert im Serum.

Bisher wurde beim älteren Mann unter einer physiologisch dosierten Testosterongabe kein Anstieg des kontrovers diskutierten kardiovaskulären Risikos nachgewiesen (31). Die bisherigen RCTs weisen trotz zu geringer Power auf den gleichen Schluss hin. Eine klare Antwort zum kardiovaskulären Risiko könnte die noch laufende TRAVERSE-Studie geben, in der bei Männern mit hypogonaden Symptomen, niedrigen Serum-Testosteronwerten und hohem kardiovaskulärem Risiko Testosteron gegen Placebo getestet wurde (31, 32). Der primäre Endpunkt der TRAVERSE-Studie ist die kardiovaskuläre Sicherheit.

VII. Schlussfolgerung

Die Osteoporose ist beim Mann unterschätzt und bleibt ein medizinisches und gesundheitspolitisches Sorgenkind. Da es noch kein Netz zur Früherkennung der männlichen Osteoporose gibt, werden die vorhandenen zur Senkung des Frakturrisikos wirksamen Medikamente beim Mann zu wenig und oft zu spät eingesetzt. Der Goldstandard zur Diagnose der Osteoporose ist auch beim Mann die Messung der BMD mittels DXA. Die First-Line Präparate sind bei hohem Frakturrisiko orale Bisphosphonate, die Second-Line-Präparate Denosumab oder Zoledronat. Bei hypogonaden Patienten muss gleichzeitig eine Testosteronsubstitution erwogen werden.

Die Früherkennung ist Aufgabe der Grundversorger und der Urologen. Gynäkologen sollten in Kinderwunsch- und Menopause-Sprechstunden sowie bei einer sexualmedizinischen Beratung beim männlichen Partner vermehrt an einen Hypogonadismus mit erhöhtem Osteoporoserisiko denken.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

PD Dr. med. Frédéric D. Birkhäuser

– Urologie St. Anna
St. Anna-Strasse 32
6006 Luzern
– Senior Consultant
Klinik für Urologie
Universitätsspital Basel

frederic.birkhaeuser@hin.ch

Prof. em. Dr. med. Martin Birkhäuser

Gartenstrasse 67
4052 Basel

martin.birkhaeuser@bluewin.ch

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Die Osteoporose wird beim Mann unterschätzt. 2015 litten in der EU 20 Mio. Menschen an Osteoporose, davon waren 4.2 Mio. Männer.
  • Gesunde Ernährung mit genügend Proteinen und Ca ist essentiell.
  • Männer über 65 Jahren sollten generell Supplemente von Calcium und Vitamin D erhalten. Sturzprophylaxe empfehlen!
  • Die Knochendichtemessung mittels DXA ist auch beim Mann der Goldstandard zur Diagnose einer Osteoporose.
  • FRAX® eignet sich auch beim Mann zur Ermittlung des 10-Jahres-Frakturrisikos. Die Evidenz stützt eine gemeinsame Interventionsschwelle für Frau und Mann.
  • Wird die Interventionsschwelle überschritten oder liegt eine vorbestehende Fragilitätsfraktur vor, so muss eine medikamentöse Therapie eingeleitet werden.
  • Bei Hypogonadismus und niedrigen Serum-Testosteronwerten muss unabhängig von der medikamentösen Osteoporosetherapie eine Testosteron-Substitution erwogen werden.

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2. National Osteoporosis Foundation. Available at: http://www.nof.org/ Accessed April 6, 2010.
3. Kanis JA, Johnell O, Oden A et al. Epidemiology of Osteoporosis and Fracture in Men Calcif Tissue Int 2004;5:90–99.
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Migräne in der Frauenheilkunde: Einblicke und therapeutische Ansätze

Migräne ist eine komplexe neurologische Erkrankung, die Frauen im reproduktiven Alter besonders häufig betrifft. Hormonelle Schwankungen, insbesondere im Zusammenhang mit Östrogen und Progesteron, spielen eine zentrale Rolle in der Migräneentstehung und beeinflussen die Häufigkeit und Intensität der Anfälle. Dr. Susanne Fasler stellte beim 27. Kongress für praktische Gynäkologie und Geburtshilfe in Näfels aktuelle Erkenntnisse zur hormonellen Migräne und zu therapeutischen Möglichkeiten vor. Der Bericht beleuchtet den Einfluss hormoneller Veränderungen auf das Migränegeschehen und gibt einen Überblick über präventive sowie therapeutische Ansätze.

Epidemiologie und hormonelle Faktoren

Dr. med. Susanne Fasler

Migräne ist weltweit eine der häufigsten Kopfschmerzerkrankungen und betrifft Frauen etwa dreimal so häufig wie Männer. Dieser Unterschied wird primär auf hormonelle Einflüsse zurückgeführt, da die Migräneprävalenz während der Kindheit noch ähnlich ist. Mit Beginn der Pubertät steigt sie jedoch bei Mädchen deutlich an und bleibt bis zur Menopause erhöht. Studien zeigen, dass hormonelle Schwankungen, insbesondere Veränderungen des Östrogen- und Progesteronspiegels, Migräneauslöser sein können. Während die Migräneprävalenz in der Schwangerschaft häufig abnimmt, steigt sie in der Perimenopause häufig erneut an. Auch bei der Einnahme hormoneller Kontrazeptiva und während einer Hormonersatztherapie (HRT) können sich Migräneanfälle verändern.

Das trigeminusvaskuläre System

Ein zentrales Thema war das trigeminusvaskuläre System, das eine Schlüsselrolle in der Migränepathophysiologie spielt. Dieses System umfasst den Nervus trigeminus, der die Schmerzempfindlichkeit des Gesichts und des Kopfes reguliert, sowie vaskuläre Komponenten, die an der Migräneentstehung beteiligt sind. Besonders relevant ist das Neuropeptid Calcitonin-Gene-Related Peptide (CGRP), das während Migräneattacken verstärkt ausgeschüttet wird und eine Dilatation der Blutgefässe sowie eine Entzündungsreaktion hervorruft. Oxytocin, ein weiteres Hormon, das u. a. soziale Interaktionen und Schmerzempfinden moduliert, zeigt im Trigeminusganglion eine hemmende Wirkung auf die CGRP-Ausschüttung. Dieser Mechanismus eröffnet neue therapeutische Ansätze zur gezielten Migränebehandlung.

Hormonelle Einflüsse auf die Migräne

Östrogen ist einer der Hauptfaktoren, der den Migräneverlauf bei Frauen beeinflusst. Während des Zyklus sinkt der Östrogenspiegel kurz vor der Menstruation ab, was bei vielen Frauen zur sogenannten menstruellen Migräne führt. Diese Migräneform tritt meist ohne Aura auf und ist häufig intensiver und schwerer zu behandeln als zyklusunabhängige Migräne. Studien legen nahe, dass eine Stabilisierung des Östrogenspiegels, beispielsweise durch eine transdermale Östrogengabe während der Perimenstruation, die Häufigkeit und Intensität der Migräneattacken reduzieren kann. Allerdings sind Dosierung und Anwendungsdauer entscheidend, um eine mögliche Migräneverschlechterung nach dem Absetzen der Hormone zu vermeiden.

Progesteron spielt ebenfalls eine Rolle in der Schmerzmodulation bei Migräne. Es ist bekannt, dass Progesteron die Schmerzempfindlichkeit im trigeminalen System reduziert und dadurch die Migränesymptome lindern kann. In der Praxis wird Progesteron jedoch eher selten isoliert zur Migränetherapie eingesetzt, da die Wirksamkeit und Dosierung individuell stark variieren.

Therapeutische Optionen: Antikonzeption und HRT

Hormonelle Interventionen bieten bei hormoninduzierter Migräne vielversprechende Therapieoptionen. Eine Möglichkeit zur Prävention menstrueller Migräneattacken ist die Anwendung kombinierter oraler Kontrazeptiva (COC) im Langzyklus, wodurch hormonfreie Intervalle und somit starke hormonelle Schwankungen vermieden werden. Diese Methode sollte jedoch bei Frauen mit Migräne mit Aura mit Vorsicht angewendet werden, da das Schlaganfallrisiko unter COC signifikant erhöht ist. Alternativ kann die Einnahme des Progestin-Only-Pills (POP) eine günstige Wirkung auf menstruelle Migräne haben und sowohl die Anzahl als auch die Intensität der Migränetage moderat verringern.

Eine Hormonersatztherapie (HRT) zur Behandlung klimakterischer Beschwerden ist bei migräneanfälligen Frauen mit Bedacht zu wählen. Während eine orale HRT die Migräne häufig verschlechtert, können niedrig dosierte, kontinuierliche transdermale Präparate den Östrogenspiegel stabilisieren und menstruelle Migräne verbessern. Tibolon, ein synthetisches Hormonpräparat, hat sich bei einigen postmenopausalen Frauen als günstiger erwiesen, da es keine zyklischen Hormonveränderungen induziert.

Akuttherapie und Prophylaxe

Neben hormonellen Interventionen spielt die Akuttherapie eine wichtige Rolle in der Migränebehandlung. Triptane, die spezifisch bei Migräne und Clusterkopfschmerzen eingesetzt werden, zeigen eine gute Wirksamkeit bei Attacken mit und ohne Aura. Mutterkornalkaloide sind eine weitere Möglichkeit, jedoch aufgrund von Nebenwirkungen wie Übelkeit und Gefässverengung nur bedingt geeignet. Zur Unterstützung können Antiemetika und Analgetika verabreicht werden.

Die Prophylaxe umfasst nicht-hormonelle Massnahmen wie Verhaltensmodifikationen und psychologische Verfahren, die zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Medikamentös stehen Betablocker, Calciumantagonisten, Antikonvulsiva und Antidepressiva zur Verfügung. Neue therapeutische Optionen umfassen monoklonale Antikörper gegen CGRP oder dessen Rezeptor, die eine gezielte Migräneprophylaxe ermöglichen.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit und patientenorientierte Therapie

Die Behandlung der Migräne erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen und Neurologen. Während Neurologen die primäre Therapie der Migräne übernehmen, spielen Gynäkologen eine wichtige Rolle bei der Auswahl von Verhütungsmethoden und Hormontherapien. Eine sorgfältige Anamnese vor der Verschreibung hormoneller Präparate ist essenziell, um mögliche Risiken wie ein erhöhtes Schlaganfallrisiko zu identifizieren und die geeignete Behandlung für die Patientin auszuwählen.

Take-Home-Message

Migräne bei Frauen ist oft eng mit hormonellen Schwankungen verknüpft, insbesondere mit dem Abfall des Östrogenspiegels vor der Menstruation. Eine gezielte Stabilisierung des Hormonspiegels durch geeignete Hormonpräparate kann Migräneattacken mindern oder verhindern. Bei der Wahl hormoneller Interventionen ist eine gründliche Anamnese erforderlich, wobei die Migräneanamnese stets in die Entscheidung einbezogen werden sollte. Die Behandlung von Migräne erfordert eine interdisziplinäre Herangehensweise, bei der Gynäkologen und Neurologen gemeinsam optimale Therapieentscheidungen für ihre Patientinnen treffen.

Heinrich Lehmann, MSc, MAE

lehmann@medinfo-verlag.ch

Therapieansätze für somatische Beschwerden in der Menopause – Überblick über aktuelle Empfehlungen

Im Rahmen des Referats von Prof. Dr. med. Petra Stute, Frauenklinik Inselspital Bern, wurden aktuelle Therapieansätze zur Behandlung somatischer Beschwerden in der Menopause vorgestellt. Besonderer Fokus lag auf den Empfehlungen zur Behandlung der vaginalen Atrophie, bekannt als genitourinary syndrome of menopause (GSM), sowie auf weiteren häufigen Beschwerden wie trockenen Augen, Akne und muskuloskelettalen Symptomen. Die vorgestellten Therapien beinhalten sowohl hormonelle als auch nicht-hormonelle Optionen und bieten einen umfassenden Überblick über Behandlungsmöglichkeiten, die den Bedürfnissen betroffener Frauen gerecht werden sollen.

Vaginale Atrophie und genitourinary syndrome of menopause (GSM)

Prof. Petra Stute

Ein zentraler Schwerpunkt des Referats lag auf den therapeutischen Optionen für das genitourinary syndrome of menopause (GSM), das durch vaginale Atrophie charakterisiert ist und bei vielen Frauen nach der Menopause auftritt. Die aktuellen NAMS-Empfehlungen von 2020 bieten einen Leitfaden zur Behandlung, der sowohl hormonelle als auch nicht-hormonelle Ansätze umfasst. Für Frauen, die primär eine hormonfreie Therapie wünschen oder benötigen, werden Gleitmittel bei sexueller Aktivität sowie lang wirkende Feuchtigkeitscremes für die regelmässige Anwendung empfohlen. Diese Produkte sind in der Regel gut verträglich und dienen als Erstlinientherapie bei leichten Symptomen.

Wenn Patientinnen jedoch mittelschwere bis schwere Symptome haben oder auf die Erstlinientherapie nicht ausreichend ansprechen, empfiehlt sich der Einsatz von lokalem, niedrig dosiertem Östrogen oder vaginalem Dehydroepiandrosteron (DHEA). DHEA-Präparate, wie das in Europa zugelassene Intrarosa® mit einer Dosierung von 6,5 mg täglich, bieten eine effektive Option, um die lokale Östrogenproduktion im Gewebe zu fördern und die vaginale Atrophie zu mindern. Studien zeigen, dass dies bei vielen Frauen zu einer Verbesserung der vaginalen Lubrikation und Reduktion von Beschwerden wie Trockenheit und Schmerzen führt. Alternativ kann eine systemische Östrogentherapie in Betracht gezogen werden, insbesondere wenn zusätzlich vasomotorische Symptome wie Hitzewallungen auftreten.

Ein neuer Ansatz in der Behandlung von GSM ist die Nutzung von Vaginallasern, die jedoch noch in der Erforschung sind und hinsichtlich ihrer Langzeitwirkung und Sicherheit weiter untersucht werden müssen. Die vorläufigen Ergebnisse sind vielversprechend, und diese Methode könnte in Zukunft als ergänzende oder alternative Therapie bei schwerem GSM infrage kommen.

Trockenes Auge und topische Androgene

Eine häufige Begleiterscheinung der Menopause ist die peri- und postmenopausale Keratokonjunctivitis sicca, die sich in Form von trockenen Augen äussert und die Lebensqualität vieler Frauen erheblich beeinträchtigen kann. Im Vortrag wurde auf die Möglichkeit der topischen Anwendung von Androgenen hingewiesen. Da Androgene im Gewebe lokal aromatisiert werden können, ist eine Anwendung auf der Haut der Augenlider sinnvoll. Es wurde beispielhaft eine magistrale Rezeptur aus Estriol Vaginalcreme mit 1 % Testosteronpropionat erwähnt, die einmal täglich abends auf die Augenlider aufgetragen werden kann. Diese Behandlung ist jedoch noch nicht umfassend erforscht, und es fehlen Studien zur Langzeitsicherheit und systemischen Wirkung. Daher wird empfohlen, diese Therapieoption nur unter enger augenärztlicher Überwachung und mit Vorsicht anzuwenden.

Aknetherapie in der Menopause

Neben dem GSM und trockenen Augen kann die Menopause auch zur Verschlechterung oder zum Neuauftreten von Akne führen. Die Behandlungsmöglichkeiten wurden ausführlich dargestellt und umfassen eine Kombination aus topischen und systemischen Therapien. Zu den topischen Mitteln gehören Retinoide wie AIROL® 0,05 % Creme und Differin®, die entzündungshemmend wirken und die Talgproduktion regulieren. Ergänzend dazu können Antibiotika wie Clindamycin, häufig in Kombination mit Benzoylperoxid, in Form von Gelen wie Duac Akne Gel® angewendet werden, um das Bakterienwachstum zu hemmen.

In schwereren Fällen wird die Einnahme von Doxakne® (50 mg täglich für 6-12 Wochen) empfohlen, einem oralen Antibiotikum, das gezielt bei hormonell bedingter Akne wirkt. Für Frauen, die von hormonellen Schwankungen betroffen sind, kann ausserdem eine antiandrogene Therapie mit Aldactone® (50-100 mg täglich) vorteilhaft sein. Diese off-label-Anwendung zielt darauf ab, die Wirkung von Androgenen im Körper zu mindern und so die Hautprobleme zu reduzieren. Als wichtige ergänzende Massnahmen wird auf die Bedeutung von Lichtschutz, einer ausgewogenen Ernährung und gesunder Lebensführung hingewiesen, die zur Stabilisierung des Hautbildes beitragen.

Muskulatur und Gelenke – Erhalt und Prävention durch Hormontherapie

Ein weiterer, oft unterschätzter Aspekt der menopausalen Beschwerden betrifft das muskuloskelettale System. Frauen in der Menopause leiden nicht selten unter Muskelschwäche und Gelenkschmerzen, die ihre Mobilität und Lebensqualität beeinträchtigen können. Studien zeigen, dass eine Hormontherapie, insbesondere eine Kombinationstherapie aus Östrogen und Gestagen, positiven Einfluss auf die Muskulatur und die Gelenke hat und somit präventiv wirken kann. Die genauen Mechanismen sind noch nicht vollständig erforscht, jedoch wird angenommen, dass der Rückgang von Östrogen während der Menopause eine Rolle bei der Muskelschwäche und den Gelenkschmerzen spielt. Durch eine gezielte Hormontherapie kann der Muskeltonus verbessert und das Risiko für Gelenkbeschwerden reduziert werden.

Ganzheitliche Ansätze und Lebensstilmassnahmen

Ergänzend zu den medikamentösen Therapien wurde im Vortrag die Bedeutung von nicht-pharmakologischen Massnahmen und einem ganzheitlichen Ansatz betont. Dazu zählen regelmässige körperliche Aktivität, die zum Erhalt der Muskelkraft und Gelenkgesundheit beiträgt, sowie gezielte Massnahmen zur Stressbewältigung. Auch eine ausgewogene Ernährung mit einem Fokus auf entzündungshemmenden Lebensmitteln kann zur Reduktion von Beschwerden beitragen und die allgemeine Gesundheit fördern. Der Verzicht auf Rauchen und eine Kontrolle des Körpergewichts sind zusätzliche Faktoren, die die Therapie unterstützen und das Risiko für verschiedene Begleiterscheinungen der Menopause verringern können.

Take-Home-Message:

Die Therapie somatischer Beschwerden in der Menopause sollte individuell angepasst sein und eine Kombination aus pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Optionen umfassen. Vaginale Gleitmittel und Feuchtigkeitscremes stellen die Basistherapie für GSM dar, während bei stärkeren Beschwerden vaginale Hormone oder DHEA-Präparate hinzugezogen werden können. Für trockene Augen und Akne existieren spezialisierte Behandlungsoptionen. Die Bedeutung von Lebensstilfaktoren darf in der Therapieplanung nicht unterschätzt werden, da sie wesentlich zur Wirksamkeit und Verträglichkeit der Massnahmen beitragen.

Heinrich Lehmann, MSc, MAE

lehmann@medinfo-verlag.ch