Tabus in der Onkologiepflege

Am diesjährigen OPS-Kongress standen Tabus im Mittelpunkt. Welche Themen wagen Patient/-innen, aber auch Gesundheitsfachpersonen oft nicht anzusprechen? Wie wirkt sich dieses Unaussprechliche auf die Lebens- und die Pflegequalität aus? Und sollen Tabus überhaupt überwunden werden? Mit diesen Fragen beschäftigten sich am Kongress namhafte Referent/-innen und über 600 Teilnehmende.

Begrüsst wurden die Kongressteilnehmenden von Prof. ­Manuela Eicher, Präsidentin Onkologiepflege Schweiz, Matthias Hellberg-Naegele, Co-Präsident der Akademischen Fachgesellschaft Onkologiepflege (AFO), und Natacha Szüts, Mitglied der AFO. Danach ging es gleich «in medias res»: Prof. Dr. med. Friedrich Stiefel, Leiter Klinik für Konsiliarpsychiatrie am Universitätsspital Lausanne, erläuterte den Umgang mit dem Tabu des Todes.

Was sind Tabus?

Tabus sind unausgesprochene Verbote, die beispielsweise Personen, Gegenstände, Handlungen oder Gedanken betreffen und das Darüber-Sprechen, Ansehen, Berühren oder Handeln verbieten. Als Teile von Kulturen beeinflussen Tabus das Weltverständnis, die soziale Ordnung und die Orientierung der Menschen. Fünf Männer prägten unser Verständnis von Tabus massgeblich (Tab. 1).

Hierzulande ist beispielsweise Inzest ein Tabu, und auch über den bevorstehenden Tod wird in der Regel nicht gesprochen. Hemmungen und Scham sind mit Tabus eng verknüpft. «Durch die Rationalisierung und Individualisierung werden Tabus stark abgebaut», erklärte Prof. Stiefel, «denn sie funktionieren nur in einer Gesellschaft mit starkem Zusammenhalt, in der viele das Gleiche denken.» Gleichzeitig kann man mit dem Brechen von Tabus grosse Aufmerksamkeit – unter anderem von Medien – generieren, was oft gezielt ausgenutzt wird.

Der Tod als Tabu

In unserer Gesellschaft ist der Tod ein Tabu. Dabei muss man unterscheiden zwischen dem anonymen und dem persönlichen Tod. Der anonyme Tod, der uns persönlich nichts angeht, ist in Krimis, im Fernsehen, in Serien und Filmen fast allgegenwärtig und dient der Unterhaltung. Der persönliche Tod hingegen, der Familienmitglieder, Freund/-innen oder Bekannte betrifft, wird oft «delegiert» an Spitäler und Pflegeheime. Grundsätzlich lässt sich das Todestabu nicht eliminieren, da Menschen im Gegensatz zu Tieren ein Bewusstsein für den Tod und daher auch Angst vor ihm haben.

Auch in der Medizin ist der Tod ein Tabu. «Als ich vor 35 Jahren Assistenzarzt war, war der Tod noch so stark tabuisiert, dass Sterbende auf der Visite nicht mehr besucht wurden. Kurz vor ihrem Tod stellte man sie im Bett ins Badezimmer, damit sie die anderen Patient/-innen nicht störten», erzählte der Referent. «Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei, doch der Umgang mit dem Tod ist immer noch schwierig.» Entweder gilt er als «Krankheit», die sich nicht beherrschen lässt, er wird im Rahmen von Sterbehilfe «kontrollierbar», oder man delegiert ihn an die Palliativmedizin. Es gibt heute zwar mehr Ratschläge und Empfehlungen rund um den Tod, aber es herrscht auch das Ideal des «stillen», akzeptierenden, konfliktlosen, dankbaren Todes. Ein Tod, der nicht so verläuft, gilt als «unguter» Tod.

Heute werden Tabus oft als Hindernisse betrachtet, die es zu überwinden gilt. Doch ist das wirklich so? Müssen Tabus in jedem Fall sinnvoll gebrochen werden? Und warum sind wir so davon überzeugt, dass wir sie überwinden müssen? Prof. Stiefel gab auf diese Fragen keine Antworten, sondern stellte sie als Denkanregungen in den Raum. Zum Abschluss betonte er: «Viele Menschen denken, es genüge, Tabus anzusprechen, um sie zu überwinden. Doch das ist nicht so.»

Screening zu psychosozialen Belastungen

In vielen Spitälern werden Patient/-innen auf ihre psychosoziale Belastung gescreent. So lässt sich im Idealfall frühzeitig erkennen, welche Personen im psychosozialen Bereich Beratung und/oder Unterstützung benötigen. Denn eine starke Belastung ist nicht nur für die betroffene Person nachteilig (geringere Lebensqualität, häufigere Therapieabbrüche, schlechtere Compliance etc.), sondern auch für ihr Umfeld. Das Instrument, das am häufigsten für das Screening eingesetzt wird, ist das Belastungsthermometer (BT). Wenn Pflegende mit Patient/-innen über die psychosoziale Belastung sprechen, geht es oft auch um Tabuthemen wie Finanzen, Tod oder Sexualität – die Tabuisierung kann verhindern, dass ein Screening überhaupt durchgeführt wird oder dass die Patient/-innen daran teilnehmen wollen. Anna Götz, Ph.D., Pflegeexpertin CCCZ und Pflege Ambulant, Universitätsspital Zürich (USZ), untersuchte diese Zusammenhänge am USZ. Am Kongress stellte sie die Ergebnisse ihrer Studie vor.

Am USZ werden 40 % der onkologischen Patient/-innen mittels BT gescreent. Dabei ergibt sich bei rund 47 % eine hohe Belastung (Cut-off-Wert > 5 Punkte). 9.4 % der betroffenen Personen werden an die Psychoonkologie überwiesen, 40 % an den Sozialdienst. Bei rund der Hälfte der stark belasteten Patient/-innen findet ein zweites Screening statt (Evaluation); 19 % verweigern ein zweites Screening. Nicht gescreent werden eher:

• Ältere resp. multimorbide Patient/-innen
• Patient/-innen, bei denen kulturelle oder sprachliche Barrieren bestehen
• Patient/-innen mit bekannten psychiatrischen Erkrankungen

Menschen mit psychiatrischen Krankheiten werden unter anderem deshalb seltener gescreent, weil die Pflegenden davon ausgehen, «dass diese ja schon einen Psychiater haben». Psychisch Kranke erhalten zur Therapie der psychosozialen Belastung auch weniger Psychopharmaka als andere Patient/-innen.

Hindernisse beim Screening

Der Zeitpunkt des Screenings wird individuell angepasst. Am Tag des Eintritts besteht manchmal noch ein ungenügendes Vertrauensverhältnis zwischen Pflegenden und Patient/-in. Als schwierig beim Screening empfinden Pflegende unter anderem, dass Räume für private Gespräche fehlen, dass zwischen ihrer Wahrnehmung und den Äusserungen der Patient/-innen eine Diskrepanz besteht, und dass es oft schwierig ist, die Angehörigen einzubeziehen. Damit wirklich gescreent wird, ist wichtig, dass das Screening in einer Institution auch gefördert wird; dafür braucht es genügend Informationen und Ressourcen, eine elektronische Screeningmöglichkeit, interprofessionelles Belastungsmanagement, Wissen über die Aufgaben der psychosozialen Dienste etc.

Mit dem Screening allein ist es aber nicht getan, denn das Ergebnis des Screenings muss sinnvolle Interventionen zur Folge haben. Auch hier gibt es verschiedene Stolpersteine, zum Beispiel wenn die Screeningresultate nicht gut dokumentiert werden können, wenn Pflegende ihre Zuständigkeit hinterfragen oder wenn in einem somatisch geprägten Umfeld psychosoziale Probleme als «nicht wichtig genug» gelten.
Eine Mehrheit der Personen, bei denen das Screening eine hohe Belastung zeigt, lehnt aus verschiedenen Gründen eine Überweisung an die Psychoonkologie ab (Tab. 2), doch ein Drittel ist unentschlossen. Dabei besteht auch das Problem des Nudging, also der subtilen Beeinflussung des Patientenwillens. «Wenn Angehörige beim Screening dabei sind, geben die Patient/-innen oft eine geringere Belastung an als wenn sie beim Screening mit der Pflegefachperson allein sind», erwähnte Frau Götz.

Wissen und Macht

Prof. Dr. psych. Francesca Bosisio, Hochschule für Ingenieurwesen und Management des Kantons Waadt, und Laure Bonnevie, Gründerin von «Histoire de mots», Lausanne, informierten darüber, warum es während des Genesungsprozesses wichtig ist, über alle bestehenden Probleme diskutieren zu können. Patient/-innen müssen sich bei einer onkologischen Krankheit auf verschiedenen Ebenen an Neues anpassen. Die Erkrankung selbst, die Therapien, die Symptome und die daraus entstehenden Nachteile sind existenzielle Herausforderungen. Daneben müssen die Betroffenen einen kohärenten Behandlungsverlauf mitgestalten (Termine einhalten, Unsicherheiten aushalten, Beziehungen aufbauen, Erklärungen verstehen etc.) und ihren Alltag neu organisieren. Fehlen den Patient/-innen Informationen, bedroht das ihre Autonomie. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Pflegende gut informieren und auch «unangenehme» Themen wie Geld, Sexualität und Tod ansprechen. Da Krebs bei immer mehr Menschen zu einer chronischen Krankheit wird, bleiben Belastungen über eine lange Zeit bestehen und können die Erholung und den Weg zu einer positiven Haltung behindern. Entscheidend beim «brechen» von Tabus ist, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient/-in und pflegender Person besteht.

Prognose einschätzen: mit Tools oder mit Bauchgefühl?

Die Prognose einer Patientin oder eines Patienten ist oft «The elephant in the room» – etwas, das immer mitschwingt, das sich aber niemand anzusprechen wagt. Fachpersonen fällt es oft schwer, über die Prognose zu sprechen, obwohl die Patient/-innen sich oft brennend dafür interessieren («Wie lange habe ich noch?»). «Viele Mediziner/-innen fürchten Prognosen, denn es handelt sich immer um Wahrscheinlichkeiten», sagte Dr. med. Andreas Ebneter, Kaderarzt Universitäres Zentrum für Palliative Care, Inselspital Bern. Oft sind Fachpersonen bei der Prognoseeinschätzung überoptimistisch. Die Prognosen werden mit den Berufsjahren resp. der Erfahrung der Fachperson genauer; besteht jedoch eine enge Beziehung zwischen Fachperson und Patient/-in, nimmt die Genauigkeit der Prognose ab.
Das Thema Prognose umfasst weit mehr als den zeitlichen Aspekt, denn es geht dabei nicht nur darum, wie lange ein Mensch noch lebt, sondern auch, wie er diese Zeit gestalten kann und wie seine Lebensqualität dabei ist. Das Einschätzen der Prognose sollte deshalb die «5 D» umfassen: Zeit bis zum Tod, Verlauf, Einschränkungen, Nebenwirkungen und Kosten (Tab. 3). Manche Aspekte lassen sich aber in der Regel nicht voraussagen:

• Zeitpunkt einer Komplikation
• Ausmass der Lebensbedrohung
• Subjektives Leiden und Angst der betroffenen Person
• Reaktionszeit der «Retter/-innen»
• Zustand nach einer Notfallbehandlung
• Auswirkungen auf das Denken, die Autonomie und die Funktionen der betroffenen Person

Verschiedene Tools können die Prognoseeinschätzung unterstützen, unter anderem ePrognosis (https://eprognosis.ucsf.edu/index.php), P-Cares-D und der Palliative Prognostic Score (PaP). Diese sind in verschiedenen Settings validiert und oft recht genau. «Aber kein Tool schneidet besser ab als die klinische Einschätzung, also das Bauchgefühl», erklärte Dr. Monica C. Fliedner, MSN, Pflegeexpertin APN Onkologie/Palliative Care, Co-Leiterin Universitäres Zentrum für Palliative Care, Inselspital Bern.

Prognose und Palliative Care

In der Palliative Care plant man bei Entscheidungsfindungen bei fortgeschrittenen Krankheiten doppelt: mit einem Gut- und einem Schlechtwetterplan, je nach Verlauf der Krankheit. Das Motto lautet: «Prepare for the worst, hope for the best». Diese Pläne können den Betroffenen die Angst nehmen, dass man irgendwann nichts mehr machen kann und sie dann von den Fachpersonen fallen gelassen werden. Den Fachpersonen nimmt die vorausschauende Planung die Angst, einer Patientin resp. einem Patienten nichts mehr anbieten zu können und hilflos zu sein.

Für die Vorausplanung sind drei Aspekte wichtig: Was der Mensch hat (Diagnose, Therapieoptionen), woran er leidet (problem- und funktionsorientiert) und wer er ist (individuelle, lebensgeschichtliche Faktoren). Man orientiert sich mehr an den Zielen, die erreicht werden sollen, und weniger an der Überlebenszeit. Dabei werden diagnosespezifische Massnahmen, beispielsweise eine palliative Chemotherapie, mit problem- und patientenspezifischen Massnahmen wie Symptommanagement kombiniert (Concurrent Care, CoCa). Die vorausschauende Planung ist quasi der Regenschirm, der hervorgeholt wird, wenn es regnet.

Dr. med. Eva Ebnöther
Medical Writing, Lektorin «Onkologiepflege»

Erstpublikation
in der Zeitschrift Onkologiepflege 02/2024

Ein Wasserfall für Hartgesottene

Die Tièche, nach ihrem Zusammenfluss mit der Pauja Raspille genannt, bildet auf der Nordseite des Rhonetals die Sprachgrenze zwischen dem deutsch- und französischsprachigen Wallis. Der Fluss entwässert das Gletscherbecken der Plaine Morte gegen Süden. Sie hat sich auf ihrem stotzigen Weg zum Rotten zwischen Petit Mont Bonvin und Tschajetuhorn tief in den Felsuntergrund eingegraben und stürzt sich auf ihrem tosenden Lauf mehrere Male spektakulär in die Tiefe.

Zu einem dieser Wasserfälle wollen wir heute von Aminona aus ab- und aufsteigen. Wie der Untertitel dieses Berichtes bereits andeutet, sind die entsprechenden Pfade sehr steil und steinig, weshalb diese insbesondere während der heissen Sommermonate mehr für Hartgesottene geeignet sind. Landschaft und Flora sind jedoch bestechend schön, sodass sich die Anstrengung auch für jene lohnt, die es nicht sind oder es nicht sein wollen.

Wir starten in Aminona bei der Verzweigung der von Montana herkommenden Strasse Richtung Ploumachit und Molens, wobei wir letzterer talwärts folgen, bis diese eine dichte Ansammlung von Ferienchalets erreicht. Hier biegen wir in einen stark abfallenden Fahrweg ein, der mit einer Linkskehre ein tiefer liegendes Zugangssträsschen und kurze Zeit später die Strasse nach Molens gegen Südosten hin quert. Jenseits der Strasse tauchen wir in duftenden Föhrenwald ein und steigen wie gesagt vorerst steil über Stock und Stein bis zum Felsvorsprung von Pirra Grocha ab. Hier lohnt es sich, den Weg kurz zu verlassen und bis zur Felskante vorzutreten (Abb. 1). Der Blick öffnet sich bis hinunter zu den Rebbergen von Miège und gegen Osten auf die Blattu mit dem weithin sichtbaren Band von Föhren und Flaumeichen, die den Verlauf der «Grossi Wasserleitu» markieren. Die Flaumeichen vermögen in der Blattu trotz Trockenheit und extremer Hitze von bis zu 50° C in Bodennähe zu überleben. Es ist die Raspille, die das Wasser für diese Suone liefert, ebenso für die etwas tiefer liegende von Mengis. Beide Wasserleiten versorgen die Rebgebiete zwischen Salgesch und Varen. Gegen Westen speist die Raspille die Bisse Neuf, die der Bewässerung der Reben von Venthône dient; wie lange noch, angesichts des wegschmelzenden Glacier de la Plaine Morte?

Auf dem Felsen von Pirra Grocha

Bei Pirra Grocha verlassen wir den stotzigen Pfad und gelangen über einen nur noch sanft abfallenden Weg zu den Häusern von Fortsey und zur Strasse hinauf zum Weiler Cordona. Herrlich duftet es im Föhrenwald, der willkommenen Schatten vor der niederbrennenden Sonne spendet. Wir folgen der Strasse bis unmittelbar nach der Brücke über die Tièche, wo gegen Norden der Weg zum Wasserfall von Pichiour abzweigt. Nun geht es ebenso steil bergauf, wie es zuvor bergab ging. Nach der Stille des Föhrenwaldes erfüllt nun das Rauschen und Donnern der Tièche die enge Schlucht. Jenseits des Gletscherbaches ragen steil und wild die Felswände von Les Cingles in den gleissenden Sommerhimmel auf, über denen die weiten Weiden von Aminona und Aprili liegen. Immer wieder stürzt der Blick in die Tiefe zum tosend in die Tiefe stürzenden Wasser. Zum Glück liegt auch dieser Pfad im Schatten des Bergwaldes, sodass wir nicht ganz schutzlos der Hitze ausgesetzt sind. Reich ist hier die Flora an Orchideen.

Der Wasserfall von Pichiour

Den ganzen Aufstieg über träumen wir von einem erfrischenden Bad beim Wasserfall. Doch dieses bleibt uns des abschüssigen Geländes wegen verwehrt. Dafür wechseln wir die Talseite trockenen Fusses hinter den herabstürzenden Wassermassen, sodass wir den surrealen Blick hinüber in die Val d’Anniviers in kühlendem Schatten geniessen können (Abb. 2). Zurück im welschen Sprachgebiet erwartet uns nochmals ein stotziger Wegabschnitt bis zur luftigen Querung einer Reihe von Felsbändern. Der Weg ist hier mit Fixseilen gut gesichert. Trotzdem ist an dieser Stelle Trittsicherheit und Schwindelfreiheit gefordert. Fast eben aus erreichen wir schliesslich die Alpweiden von Aprili und beschliessen noch weiter bis zur Alp Cave du Sex aufzusteigen, wo uns ein Glas Arancello erwartet, bestehend aus einem fruchtigen und alkoholreichen Aperitif mit Bitterorangen. Auch den Einkauf von würzigem Alpkäse sollte man sich hier nicht entgehen lassen. Einziger Wermutstropfen: hier hält uns leider nach Stunden der Einsamkeit der touristische Trubel wieder gefangen (Abb. 3).

Aufkommende Gewitterstimmung bei Cave du Sex mit Blick auf Zinalrot-, Obergabel- und Matterhorn

Entlang der Bisse de Tsittoret, der sein Wasser aus der Tièche bezieht, erreichen wir gegen Westen ein querendes Fahrsträsschen. Über dieses verlassen wir talwärts den Lärchenwald bis zum unmittelbar folgenden Waldrand. Diesem entlang gelangen wir weglos hinunter zur Fahrstrasse von Ploumachit nach Aminona und treffen dort auf eine Karrenspur, die vorerst in der Falllinie, dann mit einem weiten Schlag gegen Osten zu einer Fahrstrasse hinunterleitet, über die wir, vorbei an luxuriösen Chalets, wieder den Ausgangspunkt unserer Rundwanderung erreichen (Abb. 4).

Routenverlauf

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

Riedstrasse 9
6430 Schwyz

christian.besimo@bluewin.ch

Management von Hirnmetastasen beim kleinzelligen Lungenkarzinom – SRT vs. Ganzhirnbestrahlung

Etwa 30 % der Lungenkrebsdiagnosen betreffen kleinzellige Lungenkarzinome (SCLC), die häufig ins Gehirn metastasieren. Die prophylaktische Ganzhirnbestrahlung (PCI) wird eingesetzt, um Hirnmetastasen zu verhindern und das Überleben zu verbessern, birgt jedoch das Risiko neurokognitiver Defizite. Trotz der Fortschritte in der Bildgebung und Immuntherapie bleibt die PCI für SCLC-Patienten im begrenzten und ausgedehnten Stadium Standard, wird aber aufgrund der möglichen Langzeittoxizität neu bewertet. Alternativen wie die Hippocampus-schonende Bestrahlung und regelmässige MRT-Überwachung gewinnen an Bedeutung. Die therapeutische Ganzhirnbestrahlung bleibt trotz neuerer Ansätze wie der Radiochirurgie (SRT) weiterhin gängig, insbesondere bei multiplen Hirnmetastasen. Zukünftige Studien könnten zu einem Paradigmenwechsel in der Behandlung führen, wobei der Fokus auf der Reduktion von Spättoxizitäten liegt.

Around 30% of lung cancer diagnoses involve small cell lung cancer (SCLC), which often metastasizes to the brain. Prophylactic whole brain irradiation (PCI) is used to prevent brain metastases and improve survival, but carries the risk of neurocognitive deficits. Despite advances in imaging and immunotherapy, PCI remains standard for limited and extensive stage SCLC patients, but is being re-evaluated due to the potential for long-term toxicity. Alternatives such as hippocampus-sparing radiation and regular MRI monitoring are gaining momentum. Therapeutic whole brain irradiation remains common despite newer approaches such as radiosurgery (SRT), especially for multiple brain metastases. Future studies could lead to a paradigm shift in treatment, with a focus on reducing late toxicities.
Key Words: small cell lung cancer, brain metastases, radiosurgery, prophylactic cranial irradiation

Hintergrund

Etwa 30 % der Lungenkrebsdiagnosen sind kleinzellige Lungenkarzinome (SCLC), welche selbst in begrenztem Stadium (limited disease, LD) eine hohe Tendenz haben zu metastasieren (ausgedehntes Stadium oder extensive disease, ED). SCLC ist der Tumor mit dem höchsten Risiko (60 %) für Hirnmetastasen (HM) und deshalb ist die Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns fester Bestandteil des Stagings. HM können eine erhebliche Morbidität und Mortalität verursachen. Deshalb sind Prophylaxe und Therapie von HM wesentliche Elemente des Therapiekonzepts bei SCLC.

Trotz bedeutender Fortschritte bei der personalisierten Therapie von nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) hat sich das Standardbehandlungsschema für SCLC LD seit mehr als 20 Jahren nicht wesentlich geändert. Auf die Radiochemotherapie (1) folgt eine prophylaktische Ganzhirnbestrahlung, wenn ein gutes klinisches Ansprechen zu verzeichnen ist. Die mediane Überlebenszeit hat sich aber verbessert und liegt bei 25–30 Monaten. Etwa ein Drittel der Patienten überlebt heute 5 Jahre. Dadurch beginnt sich der Schwerpunkt der Behandlung von der maximalen Wirksamkeit der Primärbehandlung hin zur Berücksichtigung der Spättoxizität zu verlagern.

Prophylaktische Ganzhirnbestrahlung (prophylactic cranial irradiation oder PCI)

Limited Disease

Die hohe Rate an HM bei SCLC ist darauf zurückzuführen, dass das ZNS für hämatogen gestreute Tumorzellen als pharmakologischer Zufluchtsort dient. Die PCI wurde eingeführt, um die Rate der intrakraniellen Rezidive und dementsprechend Morbidität und Mortalität zu senken (2). Die PCI wurde auf der Grundlage der Meta-Analyse von Aupérin et al. eingeführt, die einen Vorteil von 5.4 % für das Gesamtüberleben und eine geringere Inzidenz neuer HM von 33.3 % im Vergleich zu 58.6 % ohne PCI ergab. Nach wie vor gehört die PCI zum Therapiestandard von Patienten mit LD mit vollständigem oder gutem Ansprechen auf eine Radiochemotherapie. In der aktuellen ASTRO-Praxisleitlinie wird die PCI, welche bevorzugt mit 10 x 2.5 Gy verabreicht werden soll, für Patienten mit LD empfohlen, die nach der Induktionstherapie ein sehr gutes oder vollständiges Ansprechen erreicht haben (3). Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die klinischen Daten, welche die Durchführung der PCI unterstützen, aus der Zeit vor regelmässiger Magnetresonanztomographie (MRT) Bildgebung der Patienten stammen (4). Des Weiteren bestehen Bedenken hinsichtlich des Risikos für neurokognitive Defizite als Spättoxizität der PCI weshalb diese, gemeinsam mit der Ganzhirnbestrahlung (WBRT), in aktuellen klinischen Studien neu bewertet wird.
Das Risiko von HM ist zu gering, um bei einem frühen SCLC im Stadium 1, welches entweder reseziert oder mittels Körper­stereotaxie behandelt wurde, eine PCI zu empfehlen. Des Weiteren ist die Weigerung der Patienten (bis zu 38 %) der häufigste Grund dafür, dass Patienten mit einer LD keine PCI erhalten (5). Bei Patienten mit erhöhten Risiken von neurokognitiven Defiziten (> 60 Jahren) kann die PCI diskutiert werden (3).

Extensive Disease

Im Jahr 2007 zeigte eine Phase-3-Studie bei Patienten mit SCLC ED, dass die PCI nach Chemotherapie die Inzidenz von BM verringert und das PFS und OS verlängert, was die Rolle der PCI seinerzeit bestätigte; allerdings gilt die Studie aus heutiger Sicht als veraltet, da sie ohne obligatorische Hirnbildgebung durchgeführt wurde (6). Im Laufe der Zeit haben sich die Bemühungen von der Intensivierung der PCI über den Versuch, die behandlungsbedingte Neurotoxizität zu verringern, bis hin zu der Frage, ob eine sorgfältige Überwachung mittels MRT die routinemässige Notwendigkeit einer PCI überflüssig machen kann, verschoben (7). In einer Phase-III-Studie mit obligatorischer MRT-Bildgebung alle drei Monate sowohl im Beobachtungs- als auch im PCI-Arm wurde kein Überlebensvorteil durch eine PCI nachgewiesen, was vermutlich auf die Salvage-Radiotherapie auftretender HM (>80 %) zurückzuführen war (8).

CASPIAN ist eine Phase-III-Erstlinienstudie, in der Platin-Etoposid mit oder ohne Durvalumab bei Patienten mit ED untersucht wurde. Der Kontrollgruppe wurde eine PCI angeboten (die von 7,9 % der Patienten in Anspruch genommen wurde). Hier zeigte sich, dass PFS und OS durch die zusätzliche Gabe von Durvalumab unabhängig vom Vorhandensein von HM verbessert wurden (9). Der klinische Nutzen der PCI bei ED in der heutigen Ära der Immuntherapie und des verbesserten Zugangs zur MRT ist daher weniger klar, aber trotz verbreiteter Skepsis gilt die PCI immer noch als Standard bei ED mit komplettem Ansprechen auf die Systemtherapie gemäss ESMO-Guidelines (10). Gemäss Empfehlungen der ASTRO soll die PCI mit den Patienten in dieser Situation diskutiert werden (3).

Hippocampus Schonung

Die Hippocampi sind für das Kurzzeitgedächtnis wichtig (11) und können im MRT identifiziert und bei der Planung einer PCI gezielt geschont werden. Die PREMER-Studie verglich die Standard-PCI (Abb. 1a) mit der Hippocampus-schonenden PCI (Abb. 1b) und fand eine Verbesserung des Kurzzeitgedächtnis nach 3 Monaten (21.7 % gegenüber 5.1 %), 6 Monaten (32.6 % gegenüber 7.3 %) und 12 Monaten (18.5 % gegenüber 3.8 %), ohne Unterschiede im Gesamtüberleben, der Lebensqualität oder am Auftretensmuster einer neuen Hirnmetastasierung (12). Belderbos et al randomisierten 168 Patienten zu Standard-PCI oder PCI mit Hippocampus-Schonung, fanden aber keinen Unterschied bei kognitiven Tests nach 4 Monaten (Hopkins Verbal Learning Test delayed recall, HVLT-DR), ohne dass eine erhöhte Rate an HM festgestellt wurde (13). In der Phase-IIR/III-Studie NRG CC003 wurden Patienten mit ED und LD zu einer Standard-PCI oder einer Hippocampus-Schonung PCI randomisiert. Bei der Zwischenanalyse wurde berichtet, dass der primäre Endpunkt (14.5 % weniger HVLT-DR-Versagen nach 6 Monaten) nicht erreicht wurde, aber die Hippocampus-Schonung verhinderte ein Versagen der neurokognitiven Funktion bei nicht unterlegenem Risiko für einen intrakraniellen Rückfall und ähnlichem Überleben. Bis weitere Daten vorliegen, bleibt die PCI ohne Schonung des Hippocampus der Standard (10).

Therapeutische Ganzhirnbestrahlung

Im Gegensatz zu anderen Tumorarten wird die neurochirurgische Resektion bei Makrometastasen des SCLC nicht als Standardbehandlung angesehen, da die Wahrscheinlichkeit weiterer Mikrometastasen hoch ist und die Patienten empfindlich auf Chemo- und Radiotherapie reagieren. Mit dem Aufkommen der Immuntherapie wird die alleinige systemische Behandlung von kleinen asymptomatischen HM diskutiert. Obwohl die hoch-dosierte, kleinvolumige Radiochirurgie (RC) (Abb.1c) die Ganzhirnbestrahlung (WBRT) als Erstlinienbehandlung von < 15 cm3 HM bei soliden Krebsarten, einschliesslich NSCLC, abgelöst hat (10), gibt es erst sparsame prospektive Evidenz bei SCLC. Die SCLC neigt dazu, sich im Gehirn auszubreiten, und es herrscht die Auffassung, dass selbst nach der Identifizierung von nur einer einzelnen HM das gesamte Gehirn für Mikrometastasen anfällig ist. Aufgrund dessen wird die WBRT bei Patienten mit SCLC und einer kleinen Anzahl von HM nach wie vor häufig angewendet. Die gleichen Bedenken hinsichtlich des Verlusts neurokognitiver Funktionen gelten jedoch sowohl für die therapeutische als auch für die PCI. Bei NSCLC und anderen Tumoren wird postuliert, dass die beste Art des Neuroschutzes die SRT ist, und deshalb hat sich die Praxis in vielen Zentren dahin­gehend geändert, anstelle der WBRT die RC/SRT anzubieten (12), ohne dass randomisierte Daten vorliegen.

Die Radiochirurgie/Stereotaxie

Es ist sehr verlockend, vom NSCLC zu extrapolieren, aber welche Beweise gibt es dafür? Die FIRE-Cohort-Studie mit 710 Patienten mit SCLC deutet auf ein gleichwertiges Gesamtüberleben mit der SRT wie mit der WBRT hin, wenn auch, wie zu erwarten war, mit einem kürzeren Intervall bis zum Auftreten neuer HM (14). Eine Metaanalyse von sieben heterogenen Studien hatte zum Ziel, die Behandlungsergebnisse nach SRT und WBRT zu vergleichen, und kam erneut zu dem Schluss, dass die Gesamtüberlebenszeit ähnlich war (15). Da sich gezeigt hat, dass die stereotaktische Strahlentherapie neurokognitive Defizite im Vergleich zur WBRT verringert, unterstützt dies den Paradigmenwechsel hin zur fokalen Bestrahlung (16).

Die Daten von 2 aktuellen randomisierten Studien werden mit Spannung erwartet. Die ENCEPHALON Studie (NCT03297788) welche zwischen WBRT und SRT bei 1–10 HM randomisiert mit neurokognitiver Funktion als Primärendpunkt (17), und die NRG CC009 (NCT04588246) welche untersucht, ob eine SRT plus WBRT mit Hippocampus Schonung und Memantin bei Patienten mit ≥ 4 neuen HM/Jahr zum Zeitpunkt des ersten oder zweiten intrakraniellen Rezidivs (neue HM) nach initialer RC die Zeit bis zum neurologischen Tod im Vergleich zu einer alleinigen Salvage-RC verlängert.

Überwachung mit MRT

Der Wert regelmässiger MRT-Untersuchungen bei SCLC ED Patienten wurde kürzlich durch den Bericht über das Auftreten neuer Hirnmetastasen in 16 % der Fälle vor der PCI bei Patienten unterstrichen, die zum Zeitpunkt des Baseline-Screenings noch keine HM hatten (8). Die vielversprechenden Daten der Studie von Takahashi et al (18) werden im Rahmen der SWOG S1827 (MAVERICK) NCT04155034 Phase-III-Studie zur MR-Beobachtung im Vergleich zur PCI bei LD und ED weiter geprüft.

Re-bestrahlung nach PCI

Selbst nach einer PCI entwickeln 15 bis 48 % der SCLC-Patienten im weiteren Verlauf HM (18) und die NCCN-Richtlinien empfehlen deshalb eine Überwachung alle 2–3 Monate im ersten Jahr der Nachbeobachtung, unabhängig vom PCI-Status, um HM frühzeitig zu erkennen und das Auftreten von Lebensqualität-beeinträchtigender neurologischer Defizite zu vermeiden (19).

Es liegen nur wenige Daten über die Re-bestrahlung vor, zum Beispiel eine retrospektive Studie von 76 Patienten, die nach einer vorangegangenen PCI eine erneute zerebrale Bestrahlung erhalten hatten. Die Patienten wurden entweder mit erneuter Re-WBRT (88 %) oder SRT (17 %) erneut bestrahlt. Das mediane OS nach Re-WBRT betrug 3 Monate (0–12 Monate) und das mediane OS nach SRT lag bei 5 Monaten (0–12 Monate). Es wurde keine unerwartete Toxizität beobachtet, und die Toxizität blieb konstant niedrig. Eine Linderung der Symptome wurde bei 40 % der symptomatischen Patienten erreicht (20). Da die Überlebenszeit der Patienten durch wirksamere systemische Therapien steigt, muss die zerebrale Re-Bestrahlung immer häufiger angewendet werden.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Susanne Rogers

Radio-Onkologie-Zentrum KSA-KSB
Kantonsspital Aarau
Tellstrasse 25
5001 Aarau

Prof. Dr. med. Oliver Riesterer

SHN Präsident
Radio-Onkologie-Zentrum KSA-KSB
Kantonsspital Aarau, Tellstrasse 25
5001 Aarau

Die Autorenschaft hat keine Interessenskonflikte zu diesem Artikel deklariert.

  • Eine Schädel MRT soll im Rahmen des initialen Stagings,
    wenn ­möglich erneut vor PCI und während der Nachsorge wiederholt durchgeführt werden, um Hirnmetastasen frühzeitig zu entdecken.
  • In der Ära der Immuntherapie und des einfacheren Zugangs zur MRT ist die Rolle der PCI zunehmend in Frage gestellt.
  • Der Nutzen der Hippocampus Schonung im Rahmen der PCI ist unklar und wird aktuell erneut geprüft.
  • Die Radiochirurgie wird häufig bei kleiner Anzahl von HM an­geboten, aber randomisierte Daten stehen aus.
  • Laufende Studien werden die Rolle der SRT im Vergleich zur Ganzhirnbestrahlung bei der Behandlung von SCLC-Hirnmetastasen klären.

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Periphere Neuropathien

Periphere Neuropathien können Menschen in jedem Alter betreffen, treten jedoch am häufigsten bei Personen über 65 Jahren auf. Sie weisen eine Vielzahl von Beschwerden auf, die von rein sensiblen Symptomen bis hin zu schweren sensomotorischen Beeinträchtigungen reichen und sich unterschiedlich schnell entwickeln können. Periphere Neuropathien sind mit einer Vielzahl von Erkrankungen assoziiert. Die Diagnose erfordert einen systematischen Ansatz und eine umfassende Evaluation. Die Behandlung beinhaltet gezielte Therapie der zugrundeliegenden Erkrankung, Symptommanagement und Prävention, einschliesslich Schmerzlinderung bei schmerzhaften Neuropathien, Ergo- und Physiotherapie sowie der Verwendung von orthopädischen Hilfsmitteln.

Peripheral neuropathies can affect individuals at any age but are most prevalent in those over 65. They present with a variety of symptoms from purely sensory to severe sensorimotor impairment and can progress at varying rates. They can be the manifestation of a broad range of conditions. Diagnosis requires a systematic approach and comprehensive evaluation. Treatments focus on management of the underlying disease, symptom control and prevention, including pain relief for painful neuropathies, physical and occupational therapies, and the use of orthopaedic devices.
Key words: Sensible Neuropathie, Motorische Neuropathie, Diabetische Neuropathie, Guillain-Barré Syndrom, Schmerzmodulation

Periphere Neuropathien sind häufige Erkrankungen des peripheren Nervensystems mit einer Prävalenz von mindestens 7 % bei Menschen über 65 Jahren, wobei die tatsächlichen Zahlen wahrscheinlich höher liegen, da insbesondere milde Formen unentdeckt bleiben können.
Bei Polyneuropathien besteht in der Regel eine distal symmetrische, längenabhängige Beteiligung der sensomotorischen Nerven, mit klinisch sensibel-betonter Symptomatik und langsamer Progression. Bei der schmerzhaften multifokalen Neuropathie (Mononeuritis multiplex, meistens assoziiert mit Vaskulitis) liegt dagegen eine asymmetrische Beteiligung einzelner Nerven in unterschiedlichen Körperregionen vor, während Polyradikulopathien (wie z.B. das Guillain-Barré Syndrom) auch einen proximalen Befall und teilweise Hirnnervenbeteiligung aufweisen. Polyneuropathien sind zudem von Mononeuropathien zu unterscheiden, bei denen nur ein Nerv betroffen ist (wie z.B. das Karpaltunnelsyndrom) (Abb. 1).

Klassifikation

Periphere Neuropathien können klassifiziert werden nach:
► Beteiligung des Fasertyps (motorische Neuropathie, sensible Neuropathie, autonome Neuropathie, gemischt, Small-Fiber Neuropathie);
► Verteilungsmuster (distal-symmetisch, asymmetrisch, proximal, proximal und distal);
► Zeitlichem Verlauf (akut, subakut, chronisch);
► Pathophysiologie (primär axonal, primär demyelinisierend, gemischt) ;
► Zugrundeliegender Ätiologie (Abb. 2).
Die Anamneseerhebung sowie die klinische und paraklinische Diagnostik dienen der präziseren Zuordnung peripherer Neuropathien, um ein gezielteres therapeutisches Vorgehen zu ermöglichen.
Es muss jedoch betont werden, dass trotz ausführlicher Abklärungen die Ursache einer Neuropathie bei bis zu 27 % der Patienten unklar bleibt.

Anamneseerhebung und klinische Evaluation

Bereits bei der ersten allgemeinärztlichen Evaluation sollten der Symptombeginn und der zeitliche Verlauf erfragt werden, ebenso ob eine Seitenasymmetrie vorliegt oder eine Beteiligung der oberen Extremitäten. Da die meisten Patienten spontan über Sensibilitätsstörungen berichten, sollte auch nach einer Schwäche gefragt werden. Symptome einer autonomen Funktionsstörung umfassen insbesondere trophische Störungen, Orthostase, Ruhetachykardie, urogenitale Funktionsstörungen und gastrointestinale Störungen, die evaluiert werden sollten. Die Abfrage von Systemerkrankungen sowie eine Alkoholanamnese sind obligat, ebenso die Medikamentenanamnese. Insbesondere bei langsamer Progression und Fussdeformitäten sollte an eine hereditäre Ursache gedacht werden. In diesem Fall helfen weitere spezifische Fragen zur motorischen Entwicklung, zu Leistungen im Sport/Militär und zur Familienanamnese.

 Bei anamnestischen Hinweisen auf einen (sub)akuten Beginn mit aufsteigenden sensomotorischen Ausfällen und rascher Progredienz sollte an ein Guillain-Barré-Syndrom gedacht werden und eine notfallmässige neurologische Zuweisung erfolgen.

Die häufigsten Neuropathien zeigen eine sensomotorische und längenabhängige, somit distal-symmetrische und beinbetonte Beteiligung, wobei in der Regel zuerst sensible Störungen auftreten. Die Patienten berichten über Negativsymptome wie Taubheitsgefühle, oft beschrieben als ein Gefühl wie auf «Watte zu laufen». Dieses beginnt zunächst in den Zehen und kann im Verlauf den ganzen Fuss betreffen. Positive sensible Symptome können in unterschiedlicher Qualität und Ausprägung auftreten, von leichtem Druckgefühl über Berührungsintoleranz, Kribbelparästhesien, Brennen, Stechen und Elektrisieren bis hin zu starken Schmerzen. Ungewöhnlich ist jedoch eine ausgeprägte Schmerzsymptomtik im Vordergrund. In solchen Fällen sollte insbesondere an eine Vaskulitis, an Morbus Fabry oder an eine Amyloid-Neuropathie gedacht werden. Die Patienten mit Small-Fiber Neuropathie berichten auch über schmerzhafte Missempfindungen.

Bei einer Small-Fiber Neuropathie mit Beteiligung der dünn myelinisierten und unmyelinisierten Nervenfasern ist in der Regel das Temperatur- und Schmerzempfinden reduziert. Bei Beteiligung der grosskalibrigen myelinisierten Nervenfasern sind die Oberflächensensibilität und die Tiefensensibilität betroffen. In der klinischen Untersuchung sollte demnach die Beurteilung aller sensiblen Funktionen erfolgen, insbesondere das Berührungs-, Temperatur-, Schmerz- und Vibrationsempfinden sowie der Lagesinn sind zu berücksichtigen. Aufgrund der reduzierten Wahrnehmung können schmerzlose Wunden entstehen. Bei zunehmender Beteiligung der Tiefensensibilität entstehen ein unsicheres Gangbild, insbesondere im Dunkeln, ein erschwerter Seiltänzergang sowie ein positiver Romberg-Stehversuch. In schweren Fällen zeigt sich eine deutliche sensible Ataxie beim Gehen.

Die motorischen Symptome treten meistens erst im Verlauf auf und umfassen Muskelschwäche, Muskelschwund, Muskelkrämpfe und ggf. Muskelzuckungen. Passend dazu findet man in der Untersuchung eine distal- und beinbetonte Schwäche und Atrophie, initial eher mit Beteiligung der Zehenspreizung und Zehenhebung sowie eine Atrophie der kurzen Zehenextensoren, im Verlauf aber auch der Wadenmuskulatur. Erschwerte Gangprüfungen, wie der Fersen- und Zehengang, können ansonsten diskrete Fussheber- und Fusssenkerparesen deutlicher sichtbar machen. Das Testen des Aufstehens aus der Hocke sowie aus kniender Position liefert Informationen über eine mögliche Beteiligung auch der proximalen Beinmuskulatur. Bei Beteiligung der Hände zeigt sich oft eine Schwäche der Fingerspreizung und der Daumenabduktion mit Atrophie der kleinen Handmuskeln und des Thenars und Hypothenars. Die Reflexe sind schwach oder erloschen, insbesondere der Achillessehnenreflex. Man kann visuell Muskelkrämpfe und Faszikulationen beobachten.

Hinweise auf autonome Störungen findet man bei den meisten Patienten im Bereich der unteren Extremitäten.Diese sind reduzierte Behaarung, eine trockene Haut aufgrund der An- oder Hypohidrose, Ödeme sowie eine Veränderung der Hautfarbe mit Rubeosis plantaris. Pupillenstörungen sowie eine Ruhetachykardie können in der Untersuchung auffallen.

Skelettabnormalitäten sollten beurteilt werden. Insbesondere Fussdeformitäten wie ein Pes cavus, Pes planus, Hammerzehen, sowie Skoliose/Kyphose können auf eine genetische Ursache hindeuten. Bei deutlicher Diskrepanz zwischen einer ausgeprägten klinischen Ausfallsymptomatik und einem subjektiv milden Beschwerdebild sollte an eine lange bestehende, langsam fortschreitende Ätiologie im Sinne einer hereditären Ursache gedacht werden.
Die häufigsten Symptome und klinischen Untersuchungsbefunde sind in Tab. 1 abgebildet.

Diagnostische Tests

Labordiagnostik

Bereits im Rahmen der ersten Evaluation einer Polyneuropathie sollte eine Basis-Labordiagnostik mit Bestimmung folgender Parameter erfolgen:

 Differentialblutbild, Chemogramm inkl. Elektrolyte, Leber- und Nierenwerte, CRP, TSH, HbA1c, Vitamin B12-Stufendiagnostik, Immunelektrophorese.
Weitere optionale Analysen: CDT, Vitamin B1, Vitamin B6, ANA, ANCA, Rheumafaktor, Kryoglobuline, Hepatitis B- und C-Serologie, HIV-Serologie, Borrelien-Serologie, Anti-MAG Antikörper, paraneoplastische Antikörper.

Bei Patienten mit einer bekannten Grunderkrankung, die mit einer Neuropathie in Verbindung gebracht werden kann, ist die oben beschriebene Basisdiagnostik ebenfalls sinnvoll, da mehrere Ursachen gleichzeitig vorliegen können (so wird z.B. Vitamin B12-Mangel bei Patienten mit Diabetes Mellitus häufig beobachtet).

Lumbalpunktion

Die Nervenwasseruntersuchung gehört nicht zur Routinediagnostik und wird nur bei Verdacht auf eine inflammatorische oder eine maligne/paraneoplastische Genese durchgeführt.

Elektrodiagnostik

Die Evaluation mittels Neurographie ermöglicht die Differenzierung zwischen axonalem und demyelinisierendem Nervenschaden und auch, ob eine motorische, sensible oder gemischte Beteiligung vorliegt. Zudem kann der Schädigungsort identifiziert werden. Bei einer Small-Fiber-Neuropathie bleibt die Neurographie dagegen unauffällig, da in dieser Untersuchung nur die Funktion der grosskalibrigen myelinisierten Fasern erfasst wird.

Bei Verdacht auf eine Small-Fiber Beteiligung wird Sudoscan angewendet, eine sensitive Methode zur Messung der elektrochemischen Hautleitfähigkeit der Hände und Füße mittels reverser Iontophorese.

Die Nadelmyographie liefert Informationen über die Chronizität und hilft auch bei der weiteren differentialdiagnostischen Zuordnung. Die Elektrodiagnostik kann auch longitudinal durchgeführt werden, um die Progression sowie ein mögliches Therapieansprechen zu beurteilen.

Bildgebende Verfahren

Der Nervenultraschall ist eine schnelle und kostengünstige Untersuchung, die eine wichtige Rolle insbesondere in der Zusatzdiagnostik der inflammatorischen Neuropathien spielt. Mit dieser Methode können (insbesondere bei inflammatorischen, aber auch bei vielen hereditären Neuropathien) vergrösserte Nervenschnittflächen der Nerven und/oder Nervenwurzeln nachgewiesen werden. In den letzten Jahren hat sich auch die MR-Neurographie als wertvolles diagnostisches Tool erwiesen.

Nervenbiopsie

Die Nervenbiopsie ist eine invasive Diagnostik und wird an einem sensiblen Nerv durchgeführt (in der Regel dem Nervus suralis). Residuelle Taubheitsgefühle distal der Biopsiestelle sind zu erwarten. Eine residuelle Schmerzsymptomatik tritt mit variabler Häufigkeit (0-60 %) auf. Die Untersuchung wird nur in begründeten Fällen durchgeführt, wie bei Verdacht auf eine vaskulitische Genese, maligne Genese oder Amyloid-Neuropathie.

Hautbiopsie

Die minimalinvasive Hautbiopsie kann im Rahmen der Abklärung einer Small-Fiber-Neuropathie ergänzt werden. Dadurch erfolgt die Quantifizierung der intraepidermalen Innervation, die eine hohe Sensitivität aufweist.

Quantitative sensorische Testung

Die Quantitative Sensorische Testung (QST) ist ein semiobjektives Verfahren zur Bestimmung der Detektionsschwellen für mechanische und thermische Reize und sollte bei Patienten mit Verdacht auf eine Small-Fiber Beteiligung ergänzend eingesetzt werden.

Autonome Testung

Ein Schellong-Test beantwortet die Frage nach einer orthostatischen Hypotonie oder einem posturalen orthostatischen Tachykardiesyndrom (POTS). Auch eine Frequenzstarre kann auffallen.

Genetische Testung

Abhängig von der klinischen Präsentation, Zusatzbefunde und der Familienanamnese wird bei Verdacht auf eine hereditäre Ursache eine gezielte oder umfassende genetische Panel-Diagnostik im Rahmen einer genetischen Beratung durchgeführt.
Für einen empfohlenen diagnostischen Ablauf zur Evaluation einer Polyneuropathie durch den Allgemeinarzt siehe Abb. 3.

Die wichtigsten Neuropathien auf einen Blick

Diabetische Neuropathie

Mit der Zeit weist jeder zweite Patient mit Diabetes Mellitus (Typ 1 oder Typ 2) eine periphere Nervenbeteiligung auf, so dass Diabetes die häufigste Ursache einer Polyneuropathie in der westlichen Welt ist. Zu den Risikofaktoren gehören unter anderem die Krankheitsdauer, das Alter, der HbA1c-Spiegel, das Vorliegen eines metabolischen Syndroms, Mangel an körperlicher Aktivität sowie Nikotin- und Alkoholkonsum. Bereits eine pathologische Glukosetoleranz kann eine Small-Fiber-Beteiligung hervorrufen, mit in diesem Fall im Vordergrund stehenden Schmerzen, sodass bereits der Prädiabetes mit einer peripheren Nervenbeteiligung verbunden ist. Typischerweise besteht jedoch bei Diabetes-Patienten eine chronische, sensomotorische, axonal-betonte Polyneuropathie mit überwiegend sensiblen Symptomen, während motorische Ausfälle in der Regel erst später auftreten. Wichtige potenzielle Komplikationen sind der diabetische Fuss sowie die kardiovaskuläre autonome Neuropathie. Letztere kann zu einer bis zu vierfach erhöhten Mortalität führen, bedingt durch plötzlichen Herztod, Arrhythmien, stumme Ischämien oder eine Kardiomyopathie.

Alkoholtoxische Neuropathie

Der chronische Alkoholkonsum führt bei bis zu 66 % der Patienten zu einer Polyneuropathie und ist die zweithäufigste erworbene Ätiologie. Die Dauer des Alkoholmissbrauchs und die Menge des konsumierten Alkohols sind wichtige beeinflussende Faktoren, wobei >100 g/Tag über mehrere Jahre als wahrscheinlich pathogene Grenze gesehen wird. Die Patienten leiden oft auch an Mangelernährung und konsekutivem Vitamin-B-Mangel (B1, B6, B12), was zur Polyneuropathie beiträgt. Meistens besteht eine langsam progrediente, sensomotorische und axonale Polyneuropathie, die oft auch mit Schmerzen verbunden ist. Eine begleitende sensible Ataxie kompliziert nicht selten gleichzeitig bestehende zerebelläre Defizite.

Vitamin-B12-Mangel

Die Vitamin-B12-Defizienz führt zu einer rein sensiblen Neuropathie mit einem subakuten Beschwerdebild, das Kribbeln, Hypästhesie und sensible Ataxie umfasst. Es muss beachtet werden, dass es alleine nicht ausreicht Vitamin-B12-Spiegel zu messen, sondern bei grenzwertigen Befunden auch der Holotranscobalamin-Spiegel bestimmt werden sollte. Zudem ist bei Patienten mit neurologischen Symptomen die für Vitamin-B12-Mangel typische makrozytäre Anämie oft nicht nachweisbar. Patienten nach einem bariatrischen Eingriff sind besonders anfällig für ernährungsbedingte Komplikationen und somit auch für Vitamin-B-Mangel.

Medikamentös-toxische Neuropathien

Polyneuropathien können durch eine Vielzahl von Medikamenten ausgelöst werden. Die häufigsten sind die chemotoxischen Neuropathien, insbesondere bei der Anwendung von Platinderivaten, Vinca-Alkaloiden, Taxanen, Proteasom-Inhibitoren und Antikörper-basierten Therapien. Die Häufigkeit einer Neuropathie unter Chemotherapie variiert zwischen 10 % und 90 %, abhängig von der Einzeldosis, Gesamtdosis und Therapiedauer.

Klinisch zeigt sich eine sensible-betonte axonale Neuropathie mit sensiblen Ausfällen und Schmerzen, die Wochen bis Monate nach Beginn der Behandlung auftreten. Neue Therapieansätze mit Checkpoint-Inhibitoren können zudem akute und chronische Immunneuropathien induzieren.

 Die tägliche Zufuhr von Vitamin B6 (hohe Dosen können unter anderem Sport- und Energiegetränke sowie Multivitaminpräparate enthalten) sollte 12 mg für Erwachsene nicht überschreiten, um eine Vitamin-B6-assoziierte Neurotoxizität zu vermeiden.

Guillain-Barré-Syndrom

Die akut-inflammatorische demyelinisierende Poly(radikulo)neuropathie, bekannt als Guillain-Barré-Syndrom, tritt in 2/3 der Fälle nach einer vorausgehenden (1-3 Wochen) respiratorischen oder gastrointestinalen Infektion auf. Es entwickeln sich innerhalb von Stunden bis zu 4 Wochen distal beginnende und proximal aufsteigende Lähmungen in den Armen und Beinen, begleitet von Sensibilitätsstörungen, Hypo- oder Areflexie sowie Schmerzen. In etwa 50 % der Fälle sind die Hirnnerven betroffen, und bei 2/3 der Patienten kommt es zu autonomen Funktionsstörungen mit kardiovaskulärer Dysregulation. Etwa 25 % der Patienten benötigen eine Beatmung. Aufgrund der Schwere ist das Guillain-Barré-Syndrom ein medizinischer Notfall, der häufig eine initiale Überwachung der Vitalfunktionen auf einer Intensivstation erfordert.

Bei anfänglich teilweise milden und diffusen Beschwerden kommt es weiterhin vor, dass manche Patienten fälschlicherweise als funktionell eingestuft werden. Daher sollte bis zum Ausschluss einer organischen Ursache entsprechend abgeklärt werden. Die chronische Form einer inflammatorischen demyelinisierenden Poly(radikulo)neuropathie wird als CIDP bezeichnet.

Amyloid-Neuropathie

Die Amyloid-Neuropathie ist die periphere Beteiligung einer systemischen Amyloidose, verursacht durch Mutationen im Transthyretin (ATTR)-Gen oder Leichtketten-Amyloidose. Es handelt sich um eine progressive, längenabhängige Polyneuropathie mit vorwiegender Beteiligung der Small-Fibers und der autonomen Nervenfasern, sodass neuropathische Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und autonome Störungen im Vordergrund stehen. Paresen treten aufgrund des progredienten Verlaufs bereits innerhalb von 2 Jahren auf. Im Falle einer progressiven Neuropathie mit beidseitigem Karpaltunnelsyndrom, autonomer Dysfunktion, kardialer Beteiligung, Proteinurie sowie unklarem Gewichtsverlust sollte eine diagnostische Abklärung zum Ausschluss einer Amyloidose erfolgen.

Hereditäre Neuropathie

Die genetisch-bedingten Neuropathien umfassen eine klinisch und genetisch heterogene Gruppe mit motorischer, und/oder sensibler sowie autonomer Beteiligung. Derzeit sind mehr als 100 Gene und über 1500 Mutationen bekannt, die mit autosomal-dominant, autosomal-rezessiv, X-chromosomal oder mitochondrial vererbten Neuropathien in Zusammenhang stehen. Aufgrund des breiten klinischen Spektrums der hereditären Neuropathien sowie der phenotypischen Überlappung mit anderen neuromuskulären Erkrankungen in vielen Fällen, erfolgt in der Regel die weitere Abklärung mittels breiter Paneldiagnostik im Rahmen eines genetischen Beratungstermins.

Therapie

Die Therapie einer Neuropathie besteht als erstes darin, Risikofaktoren zu vermeiden oder bei bekannten Ursachen gezielt zu behandeln. Bei diabetischer Neuropathie sollte eine strenge glykämische Kontrolle in Kombination mit Bewegung, Diät und regelmässiger Fusskontrolle erfolgen. Bei alkoholassoziierter Neuropathie sind Abstinenz sowie die Korrektur der Mangelernährung mit Vitamin-B-Sub­stitution entscheidend. Bei Vitamin-B12-Mangel sollte eine entsprechende Substitutionstherapie durchgeführt und regelmässig der Spiegel kontrolliert werden. Medikamentös-toxische Neuropathien erfordern häufig das Absetzen/Umstellung der entsprechenden Medikamente, einschliesslich Chemotherapie nach interdisziplinärer Entscheidung. Entzündliche Neuropathien werden mit immunmodulatorischen oder immunsuppressiven Medikamenten behandelt, im Falle eines chronischen Verlaufes oft langfristig. Bei einer Leichtketten-Amyloidose, assoziiert zu einer monoklononalen Gammopathie unklarer Signifikanz oder Malignome, werden Chemotherapeutika oder eine autologe Stammzelltransplantation verwendet.

Symptomatisch werden Begleitschmerzen mit Antikonvulsiva oder Antidepressiva (Gabapentin, Pregabalin, Duloxetin, Venlaflaxin, trizyklische Antidepressiva) als erste Wahl behandelt. Zudem kommen topische Therapien wie Lidocain- oder Capsaicin-Pflaster je nach Grösse des Schmerzbereichs zur Anwendung (zweite Wahl). Schwache und starke Opioide (zweite und dritte Wahl) sollten nicht bei Behandlungsbeginn verwendet werden. Bei therapieresistenten Schmerzen ist eine schmerzmedizinische Konsultation empfehlenswert, um weitere intensivierte oder invasive Therapiemethoden wie die Implantation eines Neurostimulators zu evaluieren.

 Es gibt keine Evidenz für die breite Verwendung von Vitamin-B-Präparaten bei neuropathischen Beschwerden ohne nachweisbarem Vitamin-B-Mangel, sodass eine gezielte Substitution nur bei nachgewiesenem Defizit erfolgen sollte.

Insbesondere bei begleitenden Gleichgewichtsstörungen und Paresen ist eine ergo- und physiotherapeutische Begleitung sinnvoll, um Mobilität und Koordination, somit die Lebensqualität zu verbessern. Fussheberorthesen sind bei höhergradigen Fussheberparesen sinnvoll, ebenso orthopädische Schuheinlagen bei Fussdeformitäten, und Gehhilfen (Gehstock, Rollator) bei erhöhtem Sturzrisiko. Eine neurorehabilitative Evaluation im ambulanten oder stationären Setting kann hilfreich sein.

Bei einzelnen genetisch-bedingten Polyneuropathien kommen therapeutische Ansätze in Frage, unter anderem bei hereditärer Amyloidose.

Prognose

Die Prognose der Neuropathien variiert je nach Ursache und Schweregrad der Erkrankung. Der frühe Therapiebeginn ist entscheidend, um bleibende Schäden zu vermeiden.

Eine Glukosekontrolle ist bei Patienten mit Diabetes Mellitus effektiv, um das Fortschreiten der Erkrankung, mehr bei Typ 1 als bei Typ 2, zu kontrollieren.

Die Vitamin-B12-Substitution kann innerhalb weniger Monate zu einer Rückbildung der Neuropathie führen.

Auch bei Alkoholabstinenz kann sich die Neuropathie innerhalb von Monaten bis Jahren zurückbilden. Nach dem Absetzen des toxischen Medikaments kann sich die Neuropathie ebenfalls stabilisieren oder zurückbilden, wobei vor allem bei Platin-haltigen Präparaten zunächst eine weitere Verschlechterung nach Absetzen der Substanz auftreten kann.

Die Mortalität bei Guillain-Barré-Syndrom liegt aufgrund autonomer Komplikationen bei bis zu 10 %, wobei 80 % der Betroffenen die Fähigkeit zurückgewinnen, selbstständig zu gehen. Bei chronisch-inflammatorischen Neuropathien behalten die meisten Patienten Defizite trotz langjähriger Therapie.

Bei einer hereditären Neuropathie ist mit einer stetigen, langsamen Progression zu rechnen, weshalb die langfristige symptomatische und supportive Behandlung von grosser Bedeutung ist.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Sara Nagy, MSc

Oberärztin Neuromuskuläres Zentrum
Neurologische Klinik und Poliklinik
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel

Die Autorin hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Schwangerschaftsdiabetes

Diätetische Massnahmen sind integraler Bestandteil der Behandlung des Schwangerschaftsdiabetes und haben einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Blutzuckerwerte. Die Richtlinien für Schwangerschaftsdiabetes empfehlen eine ausgewogene Ernährung mit einer angemessenen Nährstoffzufuhr, insbesondere für Kohlenhydrate. Eine ausgewogene Verteilung der Kohlenhydrate über den Tag und der Verzehr von Vollwertkost sind wichtig. Spezielle Diäten oder Überzeugungen können sich auf den Kohlenhydratkonsum auswirken und das Blutzucker-Profil der Patientin verschlechtern.

Dietary measures are an integral part of the treatment of gestational diabetes and have a significant impact on changes in the glycemic profile. Recommendations for gestational diabetes include a balanced diet with adequate nutritional intake, particularly of carbohydrates. Carbohydrates should be distributed evenly throughout the day and the intake of whole foods should be encouraged. Specific diets or beliefs may have an impact on the carbohydrate consumption, that subsequently can adversely affect the patient’s glycemic profile.
Key words: Gestational diabetes, Nutrition, Carbohydrates, Ketones, Fiber

Einführung

Der Gestationsdiabetes (GDM) wird durch einen oralen Glukosebelastungstest (oGTT) mit 75 g Glukose diagnosti- ziert, der zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche durchgeführt wird (1). Ein GDM erhöht das Risiko, postpartal an Typ-2-Diabetes (7 x häufiger) (2) sowie an kardiovaskulären Erkrankungen (3) zu erkranken. Als erste Behandlungsschritte werden vor allem körperliche Aktivität und diätetische Massnahmen empfohlen. Wenn sich das Blutzuckerprofil nicht verbessert, können Insulininjektionen erforderlich sein. Dieser Artikel behandelt ausschliesslich die diätetischen Massnahmen, die bei der Diagnose eines GDM vorgeschlagen werden.

Die ausgewogene Ernährung

Der ausgewogene Teller

Die bei GDM empfohlenen diätetischen Massnahmen entsprechen weitgehend einer ausgewogenen Ernährung, die für alle Menschen zu empfehlen wäre. Aktuelle Studien empfehlen eine ähnliche Kalorienzufuhr wie bei Schwangeren ohne GDM (4), aufgeteilt auf zwei bis drei Mahlzeiten, je nach den Essgewohnheiten der Patientinnen. Je nach Hungergefühl können ein bis zwei Zwischenmahlzeiten pro Tag eingeschoben werden. Diese sollten jedoch ausserhalb der Blutzucker-Kontrollzeiten (d. h. nach den zwei Stunden nach der Hauptmahlzeit) gegessen werden. Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) sollte die Verteilung der Lebensmittel auf dem Teller wie folgt aussehen: 2/5 Gemüse / Früchte, 2/5 stärkereiche und faserreiche Lebensmittel und 1/5 eiweisshaltige Lebensmittel (5).

Drei zentrale Aussagen zur Ernährung

Sobald GDM festgestellt wird, können die Gynäkologen erste Ernährungstipps geben, die eine Verbesserung der Blutzuckerwerte begünstigen können.

1 Ein kohlenhydratarmes Frühstück bevorzugen
In der Schweiz ist es üblich, ein Frühstück mit Weissbrot, Butter und Marmelade zu sich zu nehmen. Eine hohe Kohlenhydrataufnahme beim Frühstück könnte jedoch den postprandialen Blutzuckerwert verschlechtern. Ein salziges Frühstück mit nicht-kohlenhydrathaltigen Proteinkomponenten (Käse, Ei) sollte bevorzugt werden. Es wird empfohlen, auf den Konsum von Fruchtsäften oder gesüsstem Tee/Kaffee zu verzichten und stattdessen ungesüsste Getränke zu konsumieren. Um die Eisenaufnahme zu verbessern, kann Kiwi, die reich an Vitamin C (ca. 80 mg/100 g) ist, als Ersatz für Orangensaft empfohlen werden.

2 Faserreiche  / vollkornhaltige Lebensmittel ­bevorzugen
Die Erhöhung des Faser- / Ballaststoffanteils in der Nahrung ist einer der ersten Schwerpunkte der im Rahmen des GDM vorgeschlagenen diätetischen Massnahmen. Es gibt zwei Arten von Ballaststoffen / Nahrungsfasern, die beide einen positiven Einfluss auf die Verlängerung des Sättigungsgefühls haben. Unlösliche Ballaststoffe erleichtern den Transit des Stuhles im Darm und beugen so Verstopfungen vor, die in der Schwangerschaft häufig auftreten. Lösliche Ballaststoffe verlangsamen durch ihre Viskosität die Funktion der Verdauungsenzyme (6). Dieser Effekt kann die postprandialen Blutzuckerspitzen reduzieren (7). Die meisten stärkereichen Lebensmittel enthalten sowohl lösliche als auch unlösliche Nahrungsfasern. Beide Arten von erhöhen das Sättigungsgefühl. Ein erhöhter Verzehr von Vollkornprodukten kann somit die Sättigung erhöhen. Ein Nahrungsmittel ist «faserreich», wenn 100 g mindestens 6 g Nahrungsfasern /Ballaststoffe enthalten (8).

3 Mix zwischen verschiedenen kohlenhydratreichen Lebensmittel (Reis, Getreide, Kartoffeln, Hülsenfrüchte)
Häufig hört man von Pflegekräften, dass sie GDM-Patientinnen davon abraten, Vertreter dieser Gruppe zu kombinieren, wie z. B. Hülsenfrüchte mit Getreide. In der Tat führt der Verzehr von verschiedenen stärkereichen Lebensmitteln in der Regel zu einer Überschreitung der auf dem optimalen Teller empfohlenen Menge dieser Gruppe von 2/5. Wenn die gesamte Stärkezufuhr jedoch der Verteilung auf dem SGE-Teller entspricht, ist es nicht notwendig, das Unterlassen einer Stärkemischung zu verlangen. Der Verzehr nur eines einzigen Vertreters könnte sogar negativ sein. Wenn eine Patientin eine 2/5 Portion Reis und Linsen eines Tellers mit Gemüse und Fleisch isst, wäre es unvorteilhaft, von ihr zu verlangen, nur noch Reis zu essen. Ein solcher Verzicht würde bedeuten, dass die positive Wirkung der in den Linsen enthaltenen Ballaststoffe verloren ginge (Abb. 1).

Diäten

Ketogene Diät

Laut der American Diabetes Association (ADA) sollten GDM-Diäten vermieden werden, die gewisse Makronährstoffe stark einschränken, insbesondere die ketogene Diät (very low carb) (4). Diese Diät enthält in erster Linie Fette und Proteine, aber nur sehr wenig Kohlenhydrate, d.h. zwischen 20 und 50 g pro Tag. Unter 50 g ist ein Anstieg der Ketonkörper zu erwarten. Bei hohen Konzentrationen können diese die Schwangerschaft und die fetale neurokognitive Entwicklung beeinträchtigen (9). Wir empfehlen eine Messung der Ketonkörper, wenn die Ernährung weniger als 100 g Kohlenhydrate enthält, die nicht über den Tag verteilt sind. Eine Ketonmessung ist obligatorisch, wenn die tägliche Kohlenhydratzufuhr weniger als 50 g beträgt. Diese Messung erfolgt z.B. im Kapillarblut nüchtern am Morgen. Ein Wert von 0.6 mmol/l bei schwangeren Frauen bedeutet einen signifikanten Anstieg (10). Da bei Frauen ohne GDM-Werte von 0.1 bis 0.2 mmol/l gemessen werden, haben wir einen vorsichtigen Schwellenwert von 0.3 mmol/l gewählt (10). Ausserdem kann der Ersatz von Kohlenhydraten durch tierische Proteine und Fette die Lipolyse steigern, den Anstieg der freien Fettsäuren fördern und die Insulinresistenz verstärken (4). Aus diesem Grund ist es nicht ratsam, eine ketogene Diät während einer Schwangerschaft mit oder ohne GDM fortzusetzen.

Glaubenssätze / Diäten und religiöses Fasten

Glaubenssätze und Diäten
Nach der Ankündigung eines GDM muss sichergestellt werden, dass die Patientin ihre Kohlenhydratzufuhr nicht drastisch reduziert, um ihre Blutzuckerwerte zu optimieren. Die wichtigsten Kohlenhydratquellen, die in erster Linie drastisch reduziert werden, sind in der Regel die stärkehaltigen Nahrungsmittel, die dem Körper als «Energie-Treibstoff» dienen. Die Richtlinien empfehlen, die Kohlenhydratzufuhr auf drei durchschnittliche Mahlzeiten zu verteilen. Das heisst, es ist eine gute Verteilung der Kohlenhydrate über den Tag anzustreben und gleichzeitig faserreiche / ballaststoffreiche Kohlenhydrate, wie die Hülsenfrüchte zu bevorzugen.

Eine besondere Aufmerksamkeit sollte Frauen mit Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit geschenkt werden, da glutenfreie Produkte möglicherweise mehr Kohlenhydrate und einen geringeren Ballaststoffgehalt haben.

Religiöses Fasten: Der Ramadan
Das Fasten ist ein Brauch, der in vielen Religionsgemein- schaften verbreitet ist, darunter auch der Ramadan in der muslimischen Religion. Der Ramadan bedeutet, dass die Nahrungsaufnahme nur am Morgen vor Sonnenaufgang (Suhoor) und am Abend nach Sonnenuntergang (Iftar) erfolgen darf. Das IDF DAR (International Diabetes Federation – Diabetes and Ramadan Alliance) Stratifikationsinstrument wurde entwickelt, um das Risiko für Patientinnen zu quantifizieren, die ihre Absicht bekundet haben, während des Ramadans zu fasten (11). Je nach Ergebnis des Scores wird das Fasten bei einer Schwangerschaft mit GDM nicht empfohlen. Das Risiko eines Anstiegs der Ketonkörper ist beim Fasten und in der Schwangeschaft erhöht. Der Schwellenwert für Ketonkörper von 0.3 mmol/l vor dem Essen könnte eine vernünftige Wahl sein, um die Patientin während dem Ramadan zu begleiten. Wenn der Ramadan fortgesetzt wird, kann es ratsam sein, die Aufnahme von sehr kohlenhydratreichen Lebensmitteln wie Fruchtsäften einzuschränken und gleichzeitig die Aufnahme von Ballaststoffen und eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu fördern.

Veganismus

Veganismus ist eine Ernährungsform, die alle tierischen Produkte mit Ausnahme von Muttermilch ausschliesst. In der Schwangerschaft ist der Proteinbedarf der Mutter erhöht (12). Daher ist eine ausreichende Proteinversorgung notwendig. Die Vermeidung von tierischem Eiweiss erfordert eine Diversifizierung auf pflanzliche Eiweissquellen. Vegane Ernährung besteht hauptsächlich aus Hülsenfrüchten, Tofu, Tempeh, Getränken und Joghurt auf Sojabasis, Getreiden oder Nüssen (13). Die Verwendung von pflanzlichen Proteinen in Form von Hülsenfrüchten oder Getreide birgt das Risiko, dass die Kohlenhydratmenge pro Mahlzeit erhöht wird, was sich auf das glykämische Profil der Patientin auswirkt. Über den GDM hinaus kann eine vegane Ernährung zu einem Mangel an Omega-3-Fettsäuren, Eisen, Zink, Jod, Kalzium, Vitamin D und B12 führen (14). Eine vegane Ernährung bei GDM wird nicht empfohlen. Sie erfordert sehr spezielle diätetische Kenntnisse, um Mangelerscheinungen während der Schwangerschaft und im Postpartum zu vermeiden, und birgt das Risiko einer erhöhten Kohlenhydratzufuhr über den Tag.

Schlussfolgerung

Laut der Endocrine Society wird allen schwangeren Frauen mit GDM eine Ernährungsberatung empfohlen (15). Die Rolle der Ernährungsberaterin besteht darin, Ernährungsanpassungen vorzuschlagen, die sich nach dem Appetit der Patientin, ihren Präferenzen, ihrer Gewichtskurve und ihrem BMI vor der Schwangerschaft, der Entwicklung ihrer Blutzuckerwerte und gegebenenfalls der Insulinverschreibung richten. Die Herausforderung besteht darin, ein gutes Blutzuckergleichgewicht zu fördern, gleichzeitig eine angemessene Nährstoffzufuhr zu gewährleisten und die Gewichtszunahme der Patientin innerhalb der Richtlinien zu halten. Einschränkungen und spezielle Diäten bei GDM können Risiken für die schwangere Frau und den Fötus mit sich bringen. Sie sollten daher von einem qualifizierten medizinischen Team überwacht werden.

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Anaëlle Pignolet-Marti

Ernährungsberaterin SVDE 
CHUV, Service d’endocrinologie, diabétologie et métabolisme
Avenue de la Sallaz 8
1011 Lausanne

Sybille Schenk

Ernährungsberaterin SVDE 
- CHUV, Service d’endocrinologie, diabétologie et métabolisme
Avenue de la Sallaz 8
1011 Lausanne
- CHUV, Service d’endocrinologie, diabétologie et métabolisme
Service d’obstétrique
Avenue Pierre-Decker 2
1011 Lausanne

Olivier Le Dizès

Diabetesberater 
CHUV, Service d’endocrinologie, diabétologie et métabolisme
Avenue de la Sallaz 8
1011 Lausanne

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Die heutigen Studien empfehlen für Frauen mit Schwanger- schaftsdiabetes (GDM) eine ähnliche Kalorienzufuhr wie für Schwangere ohne GDM
  • Die Erhöhung des Ballaststoffanteils in der Nahrung ist
    eine der ersten Massnahmen, die im Zusammenhang mit GDM vorgeschlagen werde
  • Wir empfehlen eine Messung der Ketonkörper, wenn die ­Ernährung weniger als 100 g Kohlenhydrate pro Tag enthält, die nicht gut über den Tag verteilt sind.
  • Eine diätetische Betreuung ist allen Frauen mit einer übermässigen Gewichtszunahme in den ersten Monaten der Schwangerschaft oder mit einem hohen Ausgangs-BMI zu empfehlen.

1. International Association of Diabetes and Pregnancy Study Groups Recommendations on the Diagnosis and Classification of Hyperglycemia in Pregnancy. Diabetes care 2010;33:676-680
2. Bellamy L, Casas JP, Hingorani AD, Williams D. Type 2 diabetes mellitus after gestational diabetes: a systematic review and meta-analysis. The Lancet. 2009;373(9677):1773-1779. doi:10.1016/S0140-6736(09)60731-5
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5. Société Suisse de Nutrition. Assiette optimale [En ligne].[cité le 23 avril 2024]. Disponible: Feuille_d_info_assiette_optimale_2016_2.pdf (sge-ssn.ch)
6. Schenk S, Andrey M, De Giorgi S, Le Dizes O & J.Puder, J. Quelle place pour une alimentation low-carb ou à index glycémique bas dans le diabète gestationnel ? Rev Med Suisse 2021 ;17:1083-6
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8. Ordonnance du DFI concernant l’ information sur les denrées alimentaires (RS 817.022.16) (État le 1er février 2024).
9. De Giorgi S, Kosinski C, Legardeur H, Le Dizes O & J.Puder J. Le rôle des cétones dans la grossesse. Forum Médical Suisse. 2022;22(38):44-48
10 Laffel L. Ketone bodies: a review of physiology, pathophysiology and application of monitoring to diabetes. Diabetes Metab Res Rev. 1999;15:412–26
11 Hassanein M, Al-Arouj M, Hamdy O, Bebakar WMW, Jabbar A, Al-Madani A, et al. Diabetes and Ramadan: Practical guidelines. Diabetes Res Clin Pract 2017;126:303-16
12. Centre de Ressources et d’Informations Nutritionnelles. Références nutritionnelles pendant la grossesse et l’ allaitement [En ligne]. [cité le 23 avril 2024]. Disponible: Références nutritionnelles pendant la grossesse et l’allaitement – Populations – Cerin
13. Société Suisse de Nutrition. L’ alimentation de la femme enceinte [En ligne]. [cité le 23 avril 2024]. Disponible: Feuille_d_info_femme_enceinte-2019.pdf (sge-ssn.ch)

Hypochondrie, die krankhafte Angst vor Krankheit

Die Hypochrondrie hat eine lange Entstehungsgeschichte, die bis in die Antike zurückreicht. Bis heute wird sie psychiatrisch-diagnostisch im ICD-10 innerhalb der somatoformen Störungen aufgeführt, im noch nicht in deutscher Sprache vorliegenden ICD-11 wird die Hypochondrie jedoch nicht mehr als somatoforme Störung gelten, sondern unter Zwangsstörung und verwandte Störungen zu finden sein. Hypochondrische Patienten werden immer wieder als Simulanten bewertet und laufen somit Gefahr, von Ärzten nicht ernstgenommen zu werden. Die skeptische oder gar entwertende ärztliche Haltung wird dem Leiden der Patienten und dem oft jahrelangen Kampf mit ihren Ängsten jedoch nicht gerecht. Sie führt vielmehr zu einer Akzentuierung der Psychopathologie und protrahierten Krankheitsverläufen mit konsekutiver Erhöhung der heute in der Medizin primär relevanten Therapiekosten. Hypochondrie als psychische Störung ist eine ernsthafte Erkrankung mit gravierendem Gesundheitsverlust. Die Beeinträchtigungen in beruflichen, familiären und sozialen Funktionen betreffen den gesamten Lebensentwurf und haben schwere Einschränkungen der Lebensqualität zur Folge. Meist erfordert diese Krankheit eine multimodale Therapie, die eine empathische ärztliche Führung und eine spezialisierte psychotherapeutische Intervention beinhaltet.

Hypochondria has a long history dating back to antiquity. To this day, it is listed in the ICD-10 as a psychiatric diagnosis within somatoform disorders; in the ICD-11, which is not yet available in German, hypochondria will no longer be considered a somatoform disorder but will be found under obsessive-compulsive disorder and related disorders. Hypochondriac patients are repeatedly judged as malingerers and run the risk of not being taken seriously by doctors. However, the skeptical or even devaluing attitude of doctors does not do justice to the suffering of patients and the often years-long struggle with their fears. Rather, it leads to an accentuation of the psychopathology and protracted disease progression with a consecutive increase in the therapy costs that are primarily relevant in medicine today. Hypochondria as a mental disorder is a serious illness with serious health consequences. It leads to impairments in professional, family and social functions, thus affecting the entire life plan with severe restrictions in the quality of life as a consequence. In most cases, this illness requires multimodal therapy, which includes a precise somatic assessment and psychotherapeutic treatment.
Key words: hypochondria, somatoform disorder, obsessive-compulsive disorder

Grundlegende Aspekte der Hypochondrie

Die Hypochondrie wurde erstmals bei Galen von Pergamon als Morbus hypochondriacus erwähnt, und zwar als Unterart der Melancholie. Die Vorstellung in der damals herrschenden Säftelehre, dass die Milz als Organ im Hypochondrium (unter dem Rippenknorpel) mit schwarzer Galle überschwemmt würde und dies zu Oberbauchbeschwerden führe, hielt sich bis in das 17. Jahrhundert. Aus der Melancholie heraus entstand das Symptomenspektrum der vegetativen Beschwerden i. S. von gastrointestinalen, kardiovaskulären und seelischen Beeinträchtigungen. Im 18. Jahrhundert wurde die Entwicklung zur eigenen Erkrankung eingeleitet, man ging bei der Hypochondrie, die damals ihren Höhepunkt erreichte, nun von einer Nervenerkrankung aus. Sie galt damals als Zeichen höherer geistiger Veranlagung und war als Zivilisationserkrankung vor allem in England weitverbreitet. Die zur Hypochondrie gezählte Symptomatik nahm in der Folge an Umfang immer mehr zu und die Abgrenzung zu anderen körperlichen und psychischen Erkrankungen wurde entsprechend schwieriger. Die Krankheitsbezeichnungen änderten sich, die Hypochondrie wurde zur Neurasthenie, zur Nosophobie, und später wieder zur Pseudoneurasthenie. Seit 1980 wird die Hypochondrie im ICD-10 unter den somatoformen Störungen aufgelistet, diese Kodierung gilt unverändert bis eine offizielle deutsch-sprachige Version des ICD-11 vorliegen wird. Bereits 2013 wurde die Hypochondrie im DSM V jedoch durch die Krankheitsangststörung ersetzt, da die Diagnose Hypochondrie nun als für Patienten entwertend eingestuft wurde. Die Ein-Jahres-Prävalenz der Hypochondrie liegt je nach Untersuchung zwischen 1-10 Prozent, beide Geschlechter sind etwa gleich häufig betroffen. Der typische Beginn der Störung liegt zwischen dem 16. und 30. Lebensjahr, doch auch Kinder können hypochondrische Ängste entwickeln. Frühere epidemiologische Untersuchungen in Deutschland zeigten die somatoformen Störungen als dritthäufigste psychische Störung nach den Angst- und den affektiven Störungen. Eine schwere Ausprägung der Hypochondrie ist zudem mit einem erhöhtes Suizidrisiko verbunden. Ungünstig für die Prognose gelten wie bei anderen psychischen Erkrankungen niedriger sozioökonomischer Status, chronisches Stresserleben und soziale Isolation.

Die Krankheitsangst ist gekennzeichnet durch Ängste bzw. der angstvollen Überzeugung, an einer oder mehreren schweren und fortschreitenden körperlichen Erkrankungen zu leiden oder diese zu bekommen. Die Ängste und die unablässige Beschäftigung mit dem eignen Körper als Kernsymptome entstehen durch eine Fehlinterpretation von körperlichen Funktionen und Empfindungen und belasten die Patienten massiv (Tab. 1). Die Überbewertung von körperlichen Symptomen und die zunehmende drängende Angst davor, an einer schweren Erkrankung zu leiden, führen Patienten in die Ärztepraxen, wo sie oft Dauergäste werden und meist verzweifelt die Rückversicherung und Gewissheit darüber suchen, dass sie doch nicht durch ihren Körper bedroht sind. Gewisse Autoren wollten die Hypochondrie deshalb auch mehr den Angst- oder den Zwangsstörungen denn den somatoformen Störungen zugeordnet wissen, da die Krankheitsangst eben vorherrschend ist und die Beschäftigung mit der Kontrolle des Körpers und dessen Funktionen zwanghaften Charakter annehmen kann. Die Beobachtung des Körpers im Sinne einer erhöhten Aufmerksamkeitszuwendung mit nachfolgend katastrophisierender Interpretation endet im Teufelskreis. Das Checking Behavior, also das andauernde Suchen nach und die Kontrolle von verdächtigen Symptomen z.B. ständiges Abtasten, Abhören, Messen des Blutdrucks etc., führt zunehmend zur Verunsicherung und chronischen Belastung in der Beziehung zum eigenen Körper. Funktionelle Körperbeschwerden sind zuweilen auch selbstlimitierend, doch bei allen Somatisierungsstörungen besteht durch den Grundcharakter der Erkrankung eine Tendenz zur Chronifizierung. Die Übergänge zwischen den einzelnen Somatisierungsstörungen sind darüber hinaus fliessend, was das diagnostische Handeln erschweren kann.

Patienten, die an einer hypochondrischen Störung leiden, haben meist Angst, an einer Krebs-, Herz- oder einer Erkrankung des Nervensystems, z.B. multiple Sklerose oder Parkinson, zu erkranken oder bereits erkrankt zu sein. Häufig sind auch Ängste vor lebensbedrohlichen Infektionserkrankungen. Im Gegenzug entwickeln Patienten mit anderen psychischen Erkrankungen (depressive Störung, Angststörung, Panikstörung, Zwangs­störung, psychotische Erkrankung oder andere Somatisierungsstörungen) häufig eine Krankheitsangst. Eine entsprechende Komorbidität bedeutet eine schwierigere diagnostische Mengenlage und erhöht entsprechend die Therapiekomplexität.

Die Mehrzahl der hypochondrischen Patienten wollen ihre Ängste loswerden und «benutzen» ihre Krankheit sodann nicht, um damit in erster Linie ihre persönlichen Probleme zu bewältigen, andere mit ihrer Krankheitsangst zu manipulieren oder gar frühzeitig in die Rente gehen zu können. Sie haben Angst davor, schwer krank zu sein oder krank zu werden. Der immer wieder aufgeführte sekundäre Krankheitsgewinn bei Patienten mit funktionellen Störungen führt als Matrize in der Behandlung auf beiden Seiten nur allzu oft zur Frustration und Misstrauen, zu häufigerem Arztwechsel und zu Erhöhung der Behandlungskosten. Wenn Patienten mit hypochondrischen Ängsten Zweifel an der Medizin äussern, dann wollen sie diese auch nicht primär entwerten, sondern zum Ausdruck geben, dass sie sich von ihr nicht abgeholt fühlen. Krankheitsangst ist in vielen Fällen Ausdruck von Angst vor dem Tod, also dem totalen Kontrollverlust, der durch die Fokussierung auf die Körperfunktionen möglichst lange ferngehalten werden soll. Da diese Aufgabe so schwer ist und sich immer wieder von neuem stellt, weil man selbst und auch der Körper prozessual und damit veränderlich ist, benötigen hypochondrische Patienten eine Unmenge an Zeit und Energie mit der Auseinandersetzung und der Kontrolle ihrer Körperfunktionen.

Ätiologie und Pathogenese

Bis heute fehlt ein einheitliches Erklärungsmodell für die Entstehung der somatoformen Störungen und somit auch für die Hypochondrie. Im biopsychosozialen Modell wird versucht, den Einfluss verschiedener Faktoren aufzuzeigen bzw. erklärbar zu machen. So werden genetische wie epigenetische Faktoren (familiäre Häufung) ebenso diskutiert wie eine reduzierte Stressverarbeitungskompetenz oder die Persönlichkeitsstruktur per se. Zwillingsstudien haben jedoch gezeigt, dass Umweltfaktoren wohl einen übermässigen Einfluss auf die Entwicklung von Krankheitsangst darstellen und diese somit vorwiegend ein erlerntes Phänomen darstellt. Psychosoziale Belastungen, ein akzentuiertes Körperbewusstsein sowie starke frühkindliche Stresserfahrungen und Bindungsunsicherheit können für die Ausbildung einer Hypochondrie mitverantwortlich sein. Verschiedene andere Aspekte scheinen die Anfälligkeit für eine hypochondrische Störung zu erhöhen. So kann das elterliche Verhalten, welches eine übermässige Aufmerksamkeit auf körperliche Symptome aufweist, Krankheitsängste bei Kindern fördern. Die dann folgende intensive Beschäftigung mit der eigenen Gesundheit und dem Körper in Kombination mit der Vorstellung, erhöht anfällig für Krankheiten zu sein, sind weitere prädisponierende Faktoren. Körperlicher Missbrauch und sexuelle Übergriffe sind neben anderen stark negativ einwirkenden Erlebnissen, wie schwere Erkrankungen oder Todesfälle in der Familie, zudem Einflussgrössen, welche die Entwicklung von Krankheitsängsten fördern können. Pathogenetisch sind wohl v.a. sogenannte Teufelskreise für die Eskalation der Angst verantwortlich. Persönliche Erlebens-, Verhaltens- und Reaktionsbereitschaften und/oder äussere Belastungen halten die Symptomatik aufrecht und führen im Zusammenhang mit dysfunktionalem Lernen zur Chronifizierung der Krankheit (Tab. 2, Tab. 3).

Verhaltenssyndrom Cyberchondrie

Keinem Menschen ist fremd, dass man Angst vor Krankheiten hat. Die Datenlage ist nicht sehr dicht, jedoch liefern Studien seit der letzten Pandemie vermehrt Anhaltspunkte dafür, dass solche Angst bei Menschen mit entsprechender Prädisposition durch die allgegenwärtige Möglichkeit, sich über Krankheiten informieren zu können, verstärkt werden kann und in der Bevölkerung zunimmt. Der Ausdruck Cyberchondrie wurde bereits 1999 geprägt und ein Grossteil der Internetnutzer suchen weiterhin nach gesundheitsbezogenen Themen. Doctor Google stellt den Zugang zu medizinischen Informationen ununterbrochen sicher und solange gewisse Kompetenzen im Umgang mit Gesundheitsfragen vorliegen, muss solches Suchverhalten noch nicht zu schwerwiegenden Problemen führen. Es kann auch entsprechende Ängste reduzieren. Je öfter und intensiver jedoch gesucht wird, desto mehr kann gefunden werden und umso grösser fällt der Vertrauensverlust in die eigene Biologie aus. So kann die starke Beschäftigung mit Krankheiten im Internet nicht nur bei Menschen mit instabiler Emotionalität zu erheblicher Verunsicherung in der Beziehung zum Körper führen, sondern auch bei vormals unauffälligen Menschen ein ungünstiges Gesundheitsverhalten durch die dort aufgefundenen, oft auch unseriösen Informationen und Empfehlungen triggern. Wird die Online-Recherche exzessiv, resultiert dies in einer persönlichen Belastung mit erhöhter Angst und Stressempfinden. Der Drang oder auch Zwang, im Internet nach der einzig richtigen Antwort auf medizinische Fragen zu suchen, wird immer weiter perpetuiert. Je stärker sich Menschen durch eine Krankheit bedroht erleben und je weniger sie mit der daraus resultierenden Verunsicherung umgehen können, desto schädlicher werden Recherchen im Cyberraum. Die Cyberchondrie ist keine Diagnose, sondern beschreibt einerseits das Verhalten des bereits hypochondrischen Patienten, welches die Symptomatik perpetuiert und eskalieren lassen kann. Cyberchondrie beschreibt andererseits auch das ausgeprägte Suchverhalten im Netz nach Krankheiten, das in die Hypochondrie mündet.

Die Behandlung hypochondrischer Patienten

Die Grundversorgung von Patienten mit Krankheitsangst erfolgt durch den Hausarzt oder den somatischen Facharzt. Dabei hilfreich ist die «Sowohl-als-auch-Perspektive», die somatische und psychosoziale Krankheitsaspekte berücksichtigt. Die sorgfältige Befragung sowie das aufmerksame Zuhören und Nachfragen auch während der körperlichen Untersuchung festigen die Arzt-Patienten-Beziehung. Diagnostische Wachsamkeit (Visionsfähigkeit) bei gleichzeitig diagnostischer Zurückhaltung sowie Empathie führen zu einer grösseren Behandlungszufriedenheit und damit zu einem günstigeren Verlauf und einer verbesserten Prognose. Der Ausschluss von somatischen Ursachen erfolgt über die körperliche Untersuchung (EKG, Routinelabor inkl. Schilddrüsenhormonbestimmung), oft sind jedoch weitere fachärztliche Abklärungen notwendig und sinnvoll, die eine zumindest intermittierende Beruhigung des Patienten bewirken können. Patienten mit Krankheitsangst durchlaufen lange Krankheitsphasen, damit verbunden ist meist eine lange Behandlungsodyssee. Sie finden nicht einfach durch gutgemeinte medizinische Ratschläge in die Gesundheit zurück. Hypochondrische Patienten sind auch keine Simulanten, doch erleben sie sich oft als solche bewertet. Aussagen wie «Sie haben nichts», «Sie sind kerngesund» oder «Schauen Sie einfach nicht mehr im Internet nach» können bei ihnen nicht zum Behandlungsziel führen, sondern nur im Vertrauensverlust gegenüber dem Arzt enden.

In der primärärztlichen Behandlung kann durch die Diskrepanz in den Ursachenüberzeugungen beim Behandler rasch einmal das Gefühl der Inkompetenz, der Unsicherheit und der Hilflosigkeit entstehen. Dies läuft dem generellen ärztlichen Selbstbild jedoch komplett zuwider und das verzweifelte oder appellative Bestehen auf die Fortsetzung von Untersuchungen führt im weiteren Verlauf beim Behandler zu Ungeduld, Erschöpfung, Ablehnung und zur Exkommunikation von Patienten. Schlussendlich werden sie vom Arzt im Wartezimmer gefürchtet und man möchte sie gerne loswerden. Hypochondrische Patienten sind anspruchsvolle Patienten, können idealisierende Erwartungen an die Behandlung hegen und sind entsprechend enttäuschungsbereit. Wenn trotz tragfähiger Arzt-Patienten-Beziehung die hypochondrische Symptomatik persistiert oder zunimmt, führt an einer multimodalen Behandlung nichts vorbei. Die Überweisung an einen Psychiater, Psychosomatiker oder entsprechend spezialisierten psychologischen Psychotherapeuten sollte dann behutsam vorbereitet werden. Die Herstellung der Motivation für eine psychotherapeutische Intervention stellt bereits ein relevantes Therapieziel dar und ist bei Patienten mit Krankheitsangst nur durch geduldiges Vorgehen erreichbar.

In jeglicher Psychotherapie ist die Bearbeitung von subjektiven und objektiven Belastungsfaktoren sowie traumatischen Erfahrungen hochrelevant. Lösungsorientierte Verfahren wie die systemische Therapie und die Verhaltenstherapie fokusieren neben der Bearbeitung der hypochondrischen Ängste auch auf die Herstellung eines realistischen Gesundheitsbegriffs und auf die Veränderung der Kausalitätsattribution.

Körpertherapeutische Verfahren mit Körperwahrnehmungsübungen, Entspannungstherapien und Biofeedback können, immer vor dem Hintergrund einer stabilen, vertrauensvollen psychotherapeutischen Situation, Krankheitsängste auflösen oder in ihrer Intensität reduzieren. Doch auch regelmässige Bewegung (tägliches Marschieren von einer Stunde Dauer oder auch leichtes Jogging) führt zu einem Aktivitätsaufbau und gleichzeitig zu einer Verminderung von Schonverhalten. Körperliche Betätigung ist i.S. einer vertrauensbildenden Massnahme hochrelevant und stärkt längerfristig die Beziehungssicherheit zum eigenen Körper. Für eine medikamentöse Behandlung von hypochondrischen Störungen mit Psychopharmaka besteht keine gesicherte Evidenz. Auch in Kombination mit Verhaltenstherapie scheinen Antidepressiva keinen Vorteil darzustellen. Bei primärdiagnostisch vorliegender Depression, einer Angst- oder Zwangsstörung können Psychopharmaka bei ausgewählten Patienten einen positiven Effekt erzielen. Hinsichtlich der Antidepressiva soll einmal mehr darauf hingewiesen werden, dass diese oft eine zu geringe Effektstärke zeigen, zu spät wirksam werden und zu häufig Nebenwirkungen haben. Der Einsatz von Psychopharmaka bei somatoformen Störungen ist generell zu diskutieren und sehr genau abzuwägen, da diese Patienten auf Medikamente und deren Nebenwirkungen stark sensibilisiert sind und entsprechend häufig mit negativen Reaktionen darauf zu rechnen ist. Auftretende Nebenwirkungen können die Behandlung stark irritieren und hypochondrische Ängste amplifizieren, sodass das Vertrauen von Patienten in das Therapiekonzept strapaziert wird. Der Einsatz von Neuroleptika ist bei den somatoformen Störungen abzulehnen, ebenso ist auch hier beim längeren Einsatz von Benzodiazepinen mit dem Risiko einer Abhängigkeitsentwicklung zu rechnen.

Schlussanmerkungen

Stressempfinden, Beklemmung, Angstsensitivität, Angststörungen und Depressionen haben in der Bevölkerung nicht erst seit der Corona-Pandemie zugenommen. Die heutige Zeit wartet nicht nur exklusiv mit der Möglichkeit einer neuen Pandemie auf, es gibt weitere gute Gründe dafür, um unsicherer und angstvoller durch das Leben zu gehen: Breite Haltarmut, Bedeutungs- und Werteschwund, der Abbau von lange als selbstverständlich vorausgesetzten, nun nur noch vermeintlichen Sicherheiten (Arbeitsplatzverlust, Rentenunsicherheit, Messerattacken etc.) und auch andere globale existentielle Bedrohungen wie etwa die Klimakrise (Stichwort eco-anxiety) sowie der Krieg in Europa. Fitness-Hype und mental-health-awareness sind Phänomene, die auch in Verbindung mit der in aktuellen Studien nachgewiesenen Zunahme von Krankheitsängsten gelesen werden können. Je stärker das Stressempfinden und je grösser das allgemeine Unbehagen, umso mehr verbreitet sich Angst und umso stärker kann sich bei vielen Menschen das Bedürfnis nach Kontrolle und mehr Sicherheit anmelden. Wenn die Welt zunehmend ins Wanken zu geraten scheint, so sollte jedoch wenigstens der eigene Körper möglichst lange gut funktionieren. Die Hypochondrie ist eine sehr alte Erkrankung, sie macht sich offenbar auf den Weg, als Zeiterscheinung zunehmend prominenter aufzutreten und sie bindet auch bereits in leichterer Ausprägung Ressourcen im Medizinalsystem. Junge Menschen, denen es medizinisch an nichts fehlt, sogenannte «worried well», die sich ausgiebig mit sich selbst beschäftigen, sind immer häufiger in Arztpraxen und in Notfallstationen anzutreffen. Sie wollen sicher gehen, dass der Körper keinen Anschlag auf sie plant und ihnen nicht geschieht, wie sie es in einem tragischen Beispiel auf YouTube oder Tiktok gesehen haben. Darüber hinaus machen die Werbe- und Präventionskampagnen von Versicherern, der medizinischen Zentren und Informationsveranstaltungen der Spitäler und spezialisierten Kliniken dauernd auf schwere Erkrankungen aufmerksam: «Betrübt oder schon depressiv?», «Multiple Sklerose, und Sie?». Neben der präventiven Medizin mit ihren Aufklärungskampagnen als Geschäftsmodell kommen die unzähligen medizinischen Sendungen und Arztserien hinzu. Menschen bekommen dadurch von Krankheiten Kenntnis, von denen sie noch nie etwas gehört haben und sie fragen sich ernsthaft, ob sie nicht bereits an entsprechenden Symptomen leiden. Menschen, die sensibilisiert bzw. prädisponiert sind, überschätzen jedoch Gesundheitsbedrohungen und verlieren sich dann krankhaft im Versuch, die Angst vor Krankheiten wieder los zu werden. Hypochondrische Patienten haben keine Lobby und leben aus diversen Gründen oft alleine mit ihrer Angst. Umso mehr geht es in deren Behandlung prioritär um eine tragfähige und stabile Arzt-Patienten-Beziehung und weniger um Algorithmen oder personalisierte Medizin. Die sprechende Medizin hat im professionellen Umgang mit Patienten, die unter Krankheitsangst leiden, wie in so vielen anderen Behandlungssituationen, schlicht die Hauptrolle.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Anaëlle Pignolet-Marti,
Ernährungsberaterin SVDE 1
Sybille Schenk,
Ernährungsberaterin SVDE 1 2
Olivier Le Dizès, Diabetesberater 1
Prof. Dr. med. Jardena Puder  Diabetologin 1
1 CHUV, Service d’endocrinologie, diabétologie et métabolisme
Avenue de la Sallaz 8, 1011 Lausanne
2 CHUV, Service d’endocrinologie, diabétologie et métabolisme
Service d’obstétrique
Avenue Pierre-Decker 2, 1011 Lausanne

Dr. med. Michael Sacchetto-Mussetti

Zentrum für Psychiatrie und
Psychotherapie rechter Zürichsee Küsnacht
Dorfstrasse 5
8700 Küsnacht

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Hypochondrische Patienten sind keine Simulanten oder Rentenbegehrer und sie wollen auch nicht einfach nur Aufmerksamkeit und Zuwendung von den Ärzten. Hypochondrische Patienten möchten vor allem ihre Ängste loswerden.
  • Hypochondrische Patienten kämpfen meist einsam und über lange Zeit mit ihrer Krankheitangst und werden von der Medizin oft nicht adäquat abgeholt. Sie erfordern vor allem eine empathische ärztliche Haltung, die sie unmissverständlich in ihrem Kranksein mit allen Facetten ernstnimmt.
  • Hypochondrische Patienten sind anspruchsvolle Patienten, die meist langfristig ärztliche Begleitung und Unterstützung benötigen und den Behandler sowohl auf der somatischen als auch auf der psychischen Krankheitsebene entsprechend herausfordern.
  • Ärzte benötigen bei Patienten mit Krankheitsangst Visions­fähigkeit (richtiges Erkennen der geschilderten somatischen Symptome und der gleichzeitig vorliegenden psychischen Problematik), Interesse und Wertschätzung, Motivations­konstanz und Durchhaltevermögen. Die Behandlung hypochondrischer Patienten ist möglich, erfordert jedoch meist eine multimodale Strategie.

– Morschitzki H, Hartl T: Die Angst vor Krankheiten verstehen und überwinden. Patmos Mannheim 2012
– Mortschizki H: Somatoforme Störungen, Springer 2007
– Kapfhammer, H.-P: Somatoforme Störungen (1303 ff.), in Psychiatrie und Psychotherapie, Springer 1999
– Wanger J: Internetassoziierte Gesundheitsängste in der hausärztlichen Versorgung- Ergebnisse einer Befra-gung unter Allgemeinmedizinern und hausärztlich tätigen Internisten in Hessen, DMW 144 (102-108), 2019
– Barky AJ: Cognitive behavior therapy for hypochondriasis: a randomized control trial. JAMA 2004; 291(1464-1470)
– Müller A et al: Cyberchondrie – ein neues Verhaltenssyndrom? Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie 2021; 71:243-255

Weitere Literatur beim Verfasser