Das kardio-renale metabolische Syndrom (KRM): eine neue kardiovaskuläre Entität

Ein von Boehringer Ingelheim gesponsertes Webinar, welches vom Zurich Heart House und vom London Heart House organisiert wurde, widmete sich einer neuen kardiovaskulären Entität, dem kardio-renalen-metabolischen Syndrom. Unter dem Vorsitz von Prof. Thomas Lüscher, London/Zürich, und Prof. Thomas Rosemann, Zürich, präsentierten internationale Experten neue Konzepte zu Herz- und Nierenkrankheiten.

Prof. Thomas F. Lüscher und Prof. Thomas Rosemann Chairmen am Webinar des Zürich Heart House und des London Heart House

Herz-Kreislauf-, Nieren- und Stoffwechsel­erkrankungen (KRM): das neue klinische Konzept auf dem Vormarsch

Dr. Janaka Karalliedde

Herz-Kreislauf-, Nieren- und Stoffwechselkrankheiten stellen weltweit eine hohe Krankheitslast dar, stellte Dr. Janaka Karalliedde, London, eingangs fest. Diese Krankheiten sind miteinander verbunden und durch Behandlung der einen Krankheit verbessern wir auch die anderen, so der Referent. Ungefähr 50 % der Personen, die mit Herzinsuffizienz diagnostiziert werden, werden innerhalb von 5 Jahren nach Diagnose versterben. Es besteht ein grosser ungedeckter Bedarf in der Behandlung der Herzinsuffizienz und es gibt kaum zugelassene Therapien für einige ihrer Formen (z. B. HFpEF). Die geschätzte weltweite Prävalenz der chronischen Nierenkrankheit (CKD) beträgt mehr als 11 %. CKD ist in ihren frühen Stadien asymptomatisch, was dazu beiträgt, dass die Krankheit bei betroffenen Menschen und bei Ärzten kaum bekannt ist. Die Prävalenz von Typ 2 Diabetes (T2D) ist hoch und nimmt in allen Regionen zu.

Die Wechselwirkungen zwischen dem Stoffwechselsystem, dem Herzen und den Nieren sind multifaktoriell und komplex. Inflammation, oxidativer Stress und die Entwicklung von Insulinresistenz und Hyperglykämie führen zur Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), zu einer Natrium- und Wasser­retention und zu Organschaden und -dysfunktionen. Überschüssiges dysfunktionales Fettgewebe, Glomerulosklerose, tubulointerstitielle Fibrose, glomeruläre Hyperfiltration, Hypertonie, Dyslipidämie, metabolisches Syndrom Diabetes führen zu chronischer Nierenerkrankung, Entzündung, oxidativem Stress, Insulinresistenz und münden in Gefässdysfunktion, Atherosklerose und Myokardinfarkt. Dabei lassen sich verschiedene Stadien unterscheiden, wie der Referent ausführte. Im Stadium 0 sind keine Risikofaktoren vorhanden, Stadium 1 zeichnet sich durch exzessives, dysfunktionales Fettgewebe aus. Im Stadium 2 tauchen metabolische Risikofaktoren und Nierenerkrankung auf. Im Stadium 3 und 4 kommen subklinische kardiovaskuläre Krankheit bei KRM-Syndrom dazu.
Kardiovaskuläre, renale und metabolische Zustände treten häufig nebeneinander auf, weil sie miteinander verbunden sind. Ein Patient – ein Fall – ein klinisches Team, so der Referent.

Bei Typ-2 Diabetes nimmt das Risiko für Herzinsuffizienz um das 3-fache zu. Das Risiko für chronische Nierenkrankheit um das 10-fache. 80 % der Patienten weisen eine Hypertonie auf.

Die chronische Nierenkrankheit zeigt eine zunehmende Rate an Todesfällen. 2013 lag sie an 19. Stelle, 2017 an 12. Stelle und gemäss Vorhersage für 2040 liegt sie an 5. Stelle. Chronische Nierenkrankheit und Herzinsuffizienz sind die häufigsten ersten kardiorenalen Krankheitsmanifestationen bei Patienten mit T2D trotz angemessenem Blutzuckermanagement. Der Referent begründete die Tatsache, warum wir früher handeln sollten, am Beispiel eines Hochrisiko-Patienten, dessen eGFR von 86 auf 20 innerhalb von nur 6 Jahren abfiel.

Ein klinischer Nutzen entsteht durch die Therapie mit einem SGLT2-Hemmer.

CARAMEL: Die Häufung von Herz-Kreislauf-, Nieren-, Fettstoffwechsel-, Augen- und Lebererkrankungen bei Typ-2-Diabetes

Dr. Karalliedde wies auf den Begriff CARAMEL hin. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzversagen, Nieren-, Leber-, Augen- und Beinleiden sind Erscheinungsformen derselben (CARAMEL) Erkrankung. Typ-2-Diabetes ist sowohl ein Symptom der CARAMEL-Krankheit als auch eine treibende Kraft für ihr Fortschreiten in verschiedenen Geweben. Die Diabetes-Leitlinien konzentrieren sich jetzt auf die Identifizierung und das aggressive Management von Hochrisikopersonen mit der CARAMEL-Krankheit.

Chronische Nierenkrankheit und Herzinsuffizienz sind die häufigsten ersten Krankheitsmanifestationen bei Patienten mit T2D trotz angemessenem Glucose-Management. In einer grossen multinationalen Kohorten-Studie (N=772’336) bei Patienten mit T2D (18 %) ergab sich als erste klinische Manifestation die chronische Nierenkrankheit (39 %), gefolgt von Herzinsuffizienz (24 %), Schlaganfall (16 %) Myokardinfarkt (14 %) und Periphere Verschlusskrankheit (19 %).

SGLT-2 Inhibition

Wir haben nun ein Medikament, welches nicht nur die Blutglucose reguliert, sondern auch einen kardiovaskulären Nutzen bringt. Die SGLT2-Hemmer haben sich von der Blutzuckerkontrolle zum Organschutz entwickelt. Sie zeigen einen kardiovaskulären Benefit auch bei Patienten ohne Diabetes. Es sind damit Medikamente, die nicht nur den Diabetologen vorbehalten sind, sondern uns allen gehören, so der Referent.

Frühes Eingreifen wichtig

Der Referent demonstrierte anhand eines Patienten, bei dem die eGFR innerhalb von sechs Jahren von 86 auf 20 abfiel, die Notwendigkeit einer umfassenden klinischen Abklärung. Diese umfasste die Hausarztpraxis, die Diabetesklinik, eine Hospitalisierung in der Diabetes- und kardiologischen Klinik sowie eine Hospitalisierung in der Diabetesklinik, der Kardiologie und Nierenklinik.

Fazit

– Patienten mit Diabetes haben ein signifikant höheres Risiko für Krankheit und frühen Tod und der Schaden kann entstehen, bevor sich die Symptome entwickeln.
– Klinische Trägheit hat nachteilige Auswirkungen auf die klinischen Ergebnisse und die Lebensqualität der Patienten. Wir verfügen mittlerweile über Medikamente, die die klinischen Ergebnisse schnell verbessern. Diese Gelegenheit, die Krankheit früh zu behandeln, sollte nicht verpasst werden.
– Die weit verbreitete Erkrankung durch CRM und die damit verbundenen Komorbiditäten können die Auswahl der Behandlung zu einem komplizierten Prozess machen. Die SGLT2-Hemmer können dies vereinfachen und sind einfach zu verabreichende Medikationen.
– Wirksamere und frühe Behandlung von CRM und den Komorbiditäten reduziert die gesamten Gesundheitskosten und verbessert die Lebensqualität der Patienten.
– Bei T2DM müssen wir uns auf den Nutzen von Diabetes-Medikamenten zur Prävention von CRM-Komplikationen konzentrieren.

Wie lassen sich die klinischen ­Ergebnisse bei CRM-Patienten mit Diabetes verbessern?

Prof. Marc Donath

Der typische Diabetes-Patient, den Prof. Marc Donath, Basel, vorstellte, hat unter anderem ein vergrössertes Herz, geschwollene zyanotische Füsse und Flüssigkeit, die die Lunge umgibt. Der Referent wies zunächst auf die Inhibition der Glucoseausscheidung in den Urin durch die SGLT2-Hemmer hin. Die Glukosurie mit SGLT2-Inhibition beträgt 50-80 g Glucose pro Tag, was 200 bis 320 Kalorien entspricht. Dies gilt auch für Personen ohne Diabetes.

SGLT2-Inhibitoren senken HbA1c, das Körper­gewicht (80–100 g Glucose sind ca. 300 bis 400 Kal/Tag) sowie den Blutdruck. Es entstehen keine Hypoglykämien und alle Kombinationen sind möglich.

Aber

Die Behandlung mit SGLT2-Hemmern kann mit genitalen Infektionen oder Ketoazidosen (selten) einhergehen.

Die SGLT2-Hemmung senkt den renalen Schwellenwert für die Glukoseausscheidung, was zu renaler Glykosurie, einer Verschiebung der Substratverwertung von der Kohlenhydrat- zur Fettoxidation und Hyperglukagonämie führt; dies stellt ein theoretisches Risiko für eine Ketoazidose (einschliesslich einer euglykämischen Ketoazidose) dar, wenn andere auslösende Faktoren vorliegen, insbesondere eine Verringerung der Insulindosis oder eine geringe Kohlenhydratzufuhr.

Übergewicht ist ein Hauptrisikofaktor für viele Krankheiten

1. Diabetes
2. Kardiovaskuläre Krankheiten (Herzattacken, Schlaganfall …)
3. Krebs
4. Gelenkschmerzen und -erkrankungen (Osteoarthritis, Gicht …)
5. Neuroinflammation (Depression, Alzheimer …)

Das therapeutische Ziel bei Typ 2 Diabetes ist die Behandlung des metabolischen Syndroms, d.h. Senkung des Körpergewichts, von HbA1c, der Lipide und des Blutdrucks.
Solange der BMI nicht normalisiert ist, wird das therapeutische Ziel nicht erreicht.

Die chronische Nierenkrankheit: das verbindende Organ für KRM

Prof. Christoph Wanner

Ein Patient mit frühem T2D hat ein erhöhtes Risiko von Komplikationen wegen metabolischen Störungen und damit zusammenhängenden Risikofaktoren, stellte Prof. Christoph Wanner, Würzburg/Oxford, fest. Das Vorhandensein der kardio-renalen Krankheit geht mit einem erhöhten Risiko für Mortalität bei Personen mit Typ 2 Diabetes einher. Beim Vergleich gepoolter Sterberisiken in Verbindung mit dem Vorhandensein einer kardiovaskulären oder Nierenerkrankung im Vergleich zu einer kardiovaskulär und renal Risiko-freien Gruppe von Menschen mit T2D (N=772’336) entwickelten 137’081 von 772’336 Menschen (18 %) eine erste CVRD-Manifestation. Die Lebenserwartung ist beim Vorhandensein der kardio-renalen metabolischen Krankheit bei 60-Jährigen um 9–11 Jahre reduziert. Erhaltung der Nierengesundheit bedeutet Verlangsamung der Progression.

Das kardiovaskuläre Risiko und die Nierengesundheit werden gemäss den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie zur Primärprävention aufgrund der Punkte A (Albuminurie), B (Blutdruck), C (Cholesterin), D (Diabetes), E (eGFR) bewertet.

Warum A und E?

Gemäss den KDIGO CKD-Guidelines (Kidney Int Suppl 2013;3:1–150) stellen die eGFR und die Albuminurie wichtige Marker für die kardiovaskuläre Vorhersage dar. Sie sind nicht nur Prädiktoren für die Nierenkrankheit, sondern auch für kardiovaskuläre Ereignisse. Bei einer eGFR von 60–90 ist noch keine Funktionseinschränkung vorhanden. Dies ändert sich jedoch bei einer erhöhten Albuminurie. Eine erhöhte Albuminurie stellt ein frühes Zeichen für eine Nierenkrankheit dar. Das Urinalbumin/Kreatinin-Verhältnis (UACR) gibt die Geschwindigkeit der Progression an und ist damit ein entscheidendes Kriterium in der Vorhersage einer Nieren­erkrankung.

Praktische Hinweise zur Identifizierung durch ­Albuminurie-Messungen

Die meistenHausärzte messen UACR nicht. UACR ist aber mindestens ebenso wichtig wie eGFR. Bezüglich UACR stellte der Referent die folgenden Fragen (die 5 Ws)
Wann? Nehme ich eine Probe? Spoturin am Morgen
Wo? Wohin senden? Zentrallaboratorium
zusammen mit Blutprobe
Was? Was kostet es? 3 Euro 40 Cent (in Deutschland)
Wer? Wer bezahlt? Krankenkasse (Unterschiedlich nach Ländern)
Was? Was bedeutet es (mg/g)? UACR ist ein Mass für die Durchlässigkeit der Niere. Und ein Mass für die Geschwindigkeit der Progression einer Nierenfunktionsstörung.

Multifaktorieller Ansatz zur Verringerung des kardio-­renalen Risikos bei Personen mit KHK und T2DM – heute und morgen

RAS-Blockade: RENAAL, IDNT
SGLT2 Inhibition: CREDENCE, DAPA-CKD,
EMPA-KIDNEY
Ns-MRA: FIDELIO-DKD
GLP-1-RAs: FLOW
Die medikamentöse Therapie wird immer kombiniert mit Lebensstilmodifikation und Diabetes-Schulung.
Die weltweite Prognose der Todesursachen im Jahre 2040: Die chronische Nierenkrankheit wird vom derzeitigen 15. Platz auf Platz 5 vorstossen, dies die Prophezeiung der WHO.

Was muss ein Hausarzt über KRM wissen?

Dr. Sarah Jarvis

Mit den 5 W’s begann Frau Dr. Sarah Jarvis, London. Was ist die chronische Nierenkrankheit? Warum müssen wir auf CKD screenen? Wen sollten wir auf CKD screenen? Was verwenden wir für das CKD-Screening? Was tun wir als nächstes?

Eine chronische Nierenkrankheit ist eine Reduktion der Nierenfunktion oder ein struktureller Schaden (oder beides) während mehr als 3 Monaten mit assoziierten gesundheitlichen Auswirkungen: eGFR < 60 ml/min/1.73 m2 und/oder UACR > 3 g/mmol2

In der Schweiz leben 10 % der Bevölkerung mit CKD. In UK sind ca. 44 % der Personen mit CKD nicht diagnostiziert.

Warum sollen wir für CKD screenen?

Die Inzidenz beträgt 89 %, die Prävalenz 87 %, Tod durch Nierenversagen 98 %. Invalidität und angepasste Lebensdauer 62 %.
Die Referentin wies auf die Prognose der Nieren­krankheit durch GFR und Albuminurie hin. Ein Nierenschaden kann aber sogar vorkommen, bevor die Nierenfunktion abzunehmen beginnt.

Wer sollte auf CKD gescreent werden?

Screening mit egGFR, Serumkreatinin und Urin ACR sollte bei Personen mit den folgenden Risikofaktoren durchgeführt werden: Diabetes, Hypertonie, akuter Nierenschaden, strukturelle Nierenerkrankung, rezidivierende Nierensteine, Prostatahypertrophie, kardiovaskuläre Erkrankung, Multisystemerkrankung, Familienanamnese für Endstadium der Nierenerkrankung, Hämaturie oder Proteinurie, Gicht.

Was verwenden wir zum Screening?

eGFR ist ein Mass für die Restnierenfunktion. UACR ist ein Mass für Albuminurie; hohe Werte deuten auf einen Nierenschaden hin.

Weitere Schritte

Als Nächstes folgt die entsprechende Kodierung der Diagnose und die Befolgung der Guidelines zur Überwachung, Überprüfung auf zusätzliche Faktoren, die die Nierenfunktion beeinflussen, und die Anwendung der empfohlenen Therapien.

Dies sollte aber nicht nur bei Patienten mit Diabetes getestet werden, sondern auch bei Patienten mit erhöhtem Blutdruck. eGFR und UACR sind beide unabhängige Prädiktoren nicht nur für die Nierenkrankheit, aber auch für das Risiko für kardiovaskuläre Krankheit. Wenn wir vom Stadium A1 der Albuminurie zu Stadium A2 gehen, verdoppeln wir das Risiko, wenn wir zu Stadium A3 gehen, nimmt das Risiko um weitere 50 % zu.

Behandlung mit SGLT2-Inhibitoren

Die EMPA-KIDNEY Studie umfasste ein breiteres Spektrum von Patienten als andere SGLT2i CKD Studien – einschliesslich Patienten mit niedrigen eGFR ohne Albuminurie. Die Behandlung mit Empagliflozin führte zu einem geringeren Risiko für das Fortschreiten der Nierenerkrankung oder den Tod durch kardiovaskuläre Ursachen als Placebo. In der DAPA-CKD bei Patienten mit eGFR 25–75 und UACR 200 bis 5000, unabhängig vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Diabetes, war das Risiko für eine anhaltende Abnahme der eGFR um mindestens 50 %, für eine Nierenerkrankung im Endstadium oder für den Tod durch Nieren- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen unter Dapagliflozin signifikant geringer als unter Placebo. Auch in der CREDENCE Studie mit Canagliflozin das Risiko für Nierenversagen und kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und Nierenerkrankung eGFR 30bis < 90, UACR >300 bis 5000) war das Risiko für Nierenversagen und kardiovaskuläre Ereignisse in der Canagliflozin-Gruppe geringer als in der Placebo-Gruppe bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 2.62 Jahren.

Die Guidelines empfehlen eine frühe Intervention mit SGLT2-Inhibitoren als Schlüssel für eine erfolgreiche Therapie.

Was ist bei der Verschreibug von Empagliflozin zu ­beachten?

Indikation: Schule den Patienten in der Indikation, für welche Empagliflozin verschrieben wird.
Hypoglykämie (bei Patienten mit T2D): Bei Anwendung in Kombination mit einem Sulfonyharnstoff oder mit Insulin muss eine niedrigere Dosis des Sulfonylharnstoffs oder des Insulins in Betracht gezogen werden, um das Risiko einer Hypoglykämie zu verringern.
Volumenverlust: Vorsicht bei Patienten, bei denen ein Blutdruckabfall ein Risiko darstellen könnte, z. B. bei Patienten mit bekannten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei Patienten, die eine blutdrucksenkende Therapie einnehmen und bei denen in der Vergangenheit eine Hypotonie aufgetreten ist, oder bei Patienten über 75 Jahren.
Über die Nieren hinaus, kann Empagliflozin einen dreifachen Schutz für eine breite Palette von Patienten bieten:
T2D und CVD: Verringerung der 3P-MACE, Verringerung der CV-Todesfälle
Herzinsuffizienz: primäres Komposit-Ergebnis Verringerung des Risikos eines Todesfalls oder einer Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz, sowohl bei HFrEF als auch bei HFpEF
CKD: Verringerung des Risikos des Fortschreitens der Nierenerkrankung oder des kardiovaskulären Todes.

SGLT2-Inhibitoren werden nicht nur für die Prävention der Nierenkrankheit verschrieben, sondern auch für die kardiovaskuläre Prävention und für Typ 2 Diabetes. Sie sind einfach in der Applikation, es ist eine Tablette pro Tag, keine langsame Einführung, keine Dosisanpassung, so die Referentin.

Fettleibigkeit und Herzinsuffizienz: Wie passen sie in das kardio-renale-metabolische Konzept?

KHK, CKD und T2DM: die maligne Triade.

Prof. John Deanfield

Richard Bright stellte vor bald 200 Jahren fest, dass es eine wichtige Beziehung zwischen Herz und Niere gibt. Dies bildet die Grundlage für die maligne Triade von Herz, Niere und Diabetes, stellte Prof. John Deanfield, London, eingangs fest.

Die KHK verursacht mehr als 30 % der Morbidität und Mortalität der Bevölkerung. 799 Mio. leiden weltweit an KHK, einer in 20 Todesfällen. Mehr als 460 Mio. Erwachsene leiden an T2DM, 40 % haben auch eine CKD. Eine der beiden Krankheiten verschlechtert das Ergebnis in den anderen beiden Fällen. Welche Disziplin erwischt Dich als erstes? Der Kardiologe, der Diabetologe, der Nephrologe, der Psychologe, der Onkologe, der Neurologe, der Gastroenterologe oder ein anderer «-ologe»?

Die Fettleibigkeit ist eine schwere chronische Krankheit mit alarmierende Fakten

764 Mio. Erwachsene leben mit Fettleibigkeit (WHO-Daten von 2020). 30–49 % der Weltbevölkerung sind übergewichtig/fettleibig (2.8–3.5 Bio Personen). Ein erhöhter BMI führte zu 4 Mio. Todesfällen im Jahre 2015 mit mehr als 2/3 wegen KHK.

Fettleibigkeit ist mit multiplen Komplikationen vergesellschaftet: Chronische Nierenkrankheit, Kardiovaskuläre Krankheiten wie Stroke, Dyslipidämie, Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Lungenembolie, HFpEF, HFrEF. Type 2 Diabetes, Prädiabetes, Schlafapnoe, Thrombose. Dazu kommen als Folge Depression, Angstzustände, Asthma, NAFLD, Gallensteine, chronische Rückenschmerzen, Unfruchtbarkeit, Inkontinenz, Knie-Osteoarthritis.

Zusammenwirkende Ursachen und Triebkräfte der HFpEF sind myokardiale Fibrose, Stau, Herzmuskelverdickung, abnormale Herzkontraktion, abnormale Herzrelaxation, Hypertonie, Nierenfunktionseinschränkung, Vorhofflimmern, Inflammation, Diabetes, Fettleibigkeit, chronotrope Inkompetenz, Rechtsherzinsuffizienz, Lungengefässfunktionsstörung, mikrovaskuläre koronare Herzkrankheit, epikardiale koronare vaskuläre Krankheit.

Anti-Obesitas-Medikamente in der Pipeline

Eine ganze Reihe von neuen Medikamenten zur Senkung des Blutzuckers und zur Gewichtsreduktion befindet sich in Phase 2 oder ist bereits zugelassen.
– GLP-1 RA SEMAGLUTID zugelassen für Fettleibigkeit von der FDA 2021
– GIP/GLP-1RA TIRZEPATID FDA. 2023 zugelassen für Fettleibigkeit
– AMYLIN/GLP-1RA CAGRI-SEMA- Phase2
– GLUCAGON/GLP-1 RA SURVOTIDE-Phase 2
– PEMVIDUTIDE -Phase 2
– GIP/GLUCAGON/GLP-1 RA RETRATRUDE – Phase 2
– SEMAGLTUIDE oral -OASIS – Phase 3
– ORAL GLP-1RA ORFORGLIPRON – Phase 2
– DANUGLIPRON – Phase 2
– AMG133 – Phase 2

Kardio-renale Guidelines

Einsatz neuartiger Wirkstoffe. Alle Guidelines empfehlen SGLT2-Hemmer, Glp-1RA als First-Line Medikamente bei T2DM-Patienten mit KHK und CKD. Was geschieht mit Nicht-Diabetikern? Die Studien mit SGLT2 Inhibitoren haben gezeigt, dass ihre Wirkung auch bei Patienten ohne Diabetes vorhanden ist.

Frühzeitige Massnahmen zur Verhinderung von T2DM, CKD und KHK

Übergewicht mit 2 Jahren sagt den Status mit 35 Jahren voraus. Ein BMI in der 50. bis 74. Perzentile, d. h. innerhalb des akzeptierten Normalbereichs, während der Adoleszenz wurde mit einer erhöhten kardiovaskulären und Gesamtmortalität während der 40-jährigen Nachbeobachtungszeit in Verbindung gebracht. Übergewicht und Fettleibigkeit waren stark mit einer erhöhten kardiovaskulären Sterblichkeit im Erwachsenenalter verbunden (Twig G et al. NEJM 2016;374:2430-2440).

Fettleibigkeit, und Herzinsuffizienz: Wie passen sie in das kardio-renale Konzept?

Fettleibigkeit verändert die Landschaft der kardio-renalen Erkrankungen in der Bevölkerung.

HF mit erhaltener Auswurffraktion entwickelt sich zur vorherrschenden Erscheinungsform. Neue Medikamente können bei Patienten mit Übergewicht, T2DM, CKD und CVD sowie Herzinsuffizienz helfen.

Frühzeitiges Eingreifen zur Verhinderung der Entwicklung dieser bösartigen Triade könnte einen Paradigmenwechsel bei der Erhaltung der Gesundheit von Patienten und Bevölkerung bedeuten. Dies das Fazit des Referenten.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Friedrich Schiller: Raubbau an seinem Körper

Als Friedrich Schillers Drama «Wilhelm Tell» am 17. März 1804 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt wurde, war Friedrich Schiller bereits todkrank. Gut ein Jahr später, am 1. Mai 1805, erlitt der Dichter während seines letzten Besuchs des Hof­theaters einen Zusammenbruch mit langanhaltenden Fieberkrämpfen und ­Bewusstlosigkeit. Acht Tage später starb er.

Patient: Friedrich von Schiller
Geboren: 10. November 1759 in Marbach am Neckar
Gestorben: 9. Mai 1805 in Weimar

Seit zwei Jahrhunderten hat jede Ärztegeneration die Krankengeschichte und Obduktion Friedrich von Schillers nach ihrem Wissensstand betrachtet. Über seine Krankheiten und Todes­ursache existiert eine unübersehbare Fülle an Literatur.

Nach Aussagen seiner Schwester Christophine war Schiller «vom frühesten Alter an ein zartes Kind», dem schon die üblichen Kinderkrankheiten stark zusetzten. Als 14-Jähriger musste er auf Anordnung des Landesherrn, des Württembergischen Herzogs Karl Eugen, unfreiwillig auf die Militärakademie. Schon dort lag er häufig im Krankenzimmer, meist mit Husten und «Lungenkatarrh». Während seines fünfjährigen Medizinstudiums ab 1776 lernte er tagsüber Medizin, nachts widmete er sich seiner Leidenschaft, der Schriftstellerei. Im dritten Studienjahr obduzierte Schiller in der Hohen Karls-Schule in Weimar einen Medizinmitstudenten, der an Tuberkulose gestorben war. Ob er damals angesteckt wurde, wie viele Forscher vermuten, ist unklar. Nach sieben Jahren auf der «Militär-Pflanzschule» wurde er Regimentsmedikus, Militärarzt. Heimlich begann er sein erstes Hauptwerk zu schreiben, «Die Räuber», das im Januar 1782 uraufgeführt wurde. Das vom Pubikum bejubelte Stück, das Kritik an der Obrigkeit übte, verärgerte Herzog Karl Eugen. Schiller musste für 14 Tage in der Stuttgarter Hauptwache in Arrest, und der Herzog verbot ihm zukünftig jede literarische Tätigkeit. Schiller floh nach Mannheim, wo er 1783 Theaterdirektor am Nationaltheater wurde.
Anfang September 1783 erkrankte der 24-Jährige an einem «kalten Fieber» (damalige Bezeichnung für Schüttelfrost) und an der «gallichten Sucht» (so nannte man eine zeitweilige Gelbfärbung der Haut). Aus Kalendernotizen und Briefen Schillers ist bekannt, dass er unter regelmässig auftretenden Fieberanfällen litt, was auf eine Malariainfektion hindeutete. Schiller hat sich, wie auch häufig später, selbst behandelt, mit Brechweinstein, Chinarinde, Wassersuppen, fleischloser Diät. Er schrieb: «Chinarinde esse ich wie Brot».

Schiller klagte über die Schwäche seines Körpers

Schiller war ein Nachtarbeiter, er schrieb seine Werke in durchwachten Nächten. Abends, wenn ihn die Gesellschaft verliess, stellte er Wein, Liköre, Schnupftabak und Kaffee parat, er rauchte und arbeitete bis zum Morgengrauen. Inspirierend wirkte auf ihn der Geruch faulender Äpfel. So sehr er in seinen Briefen die Schwäche des Körpers beklagte, so wenig nahm er Rücksicht auf seine Gesundheit. (Schillers Lebensweise war seinen Freunden bekannt. Goethe schrieb darüber: «Seine durchwachten Nächte haben unseren Tag erhellt.»)

Am Nachmittag des 3. Januar 1791 befiel den 32-jährigen Dichter während eines Konzerts in Erfurt ein heftiges Fieber. Er erkrankte an Rippenfell- und Lungenentzündung. Seine Studenten, darunter der junge Novalis, teilten sich die Nachtwachen. Schiller hatte hohes Fieber, er hustete mit Eiter vermischtes Blut aus. Die damals gängigen Behandlungen mit Aderlässen, Zugpflaster, Brech- und Abführmitteln verschafften ihm keine Linderung. Erst nach mehreren Wochen konnte er das Krankenbett verlassen. Danach klagte er über «fortdauernde schmerzhafte Spannungen in der Brust». Nach vorübergehender Besserung erlitt er im Mai 1791 eine weitere schwere Krankheitsattacke. Als Mediziner registrierte er seine Zustände genau und schilderte: «Der Atem wurde so schwer, dass ich über der Anstrengung Luft zu bekommen, bei jedem Atemzug ein Gefäss in der Lunge zu zerspringen glaubte.» Dazu klagte er über «starken Fieberfrost» und «Krämpfe im Unterleib und Zwerchfell». Unter seinen Bekannten zirkulierte bereits das Gerücht, Schiller sei unheilbar an «Lungensucht», der damaligen Bezeichnung für Tuberkulose, erkrankt.

Der Verlauf von Schillers Leiden von 1791 bis zu seinem Tod 1805 setzte sich mit einer Kette von Krankheitserscheinungen fort, richtig gesund wurde er nie mehr. Katarrh, Fieber, Husten und zeitweise Bettlägrigkeit begleiteten sein weiteres Leben. Dies manifestiert sich auch in vielen Äusserungen gegenüber Freunden und Bekannten. In einem Brief an Goethe im September 1794, bei dem es um einen Besuch ging, schrieb Schiller: «Ich bitte bloss um die leidige Freyheit, bey Ihnen krank seyn zu dürfen».

Der Jugendfreund, Staatsrat und spätere Biograf Christian Gottfried Körner schrieb 1796 über den Dichter: «Schiller selbst wandelt, ja man möchte sagen, rennt unaufhörlich im Zimmer herum… Oft sieht man ihm sein körperliches Leiden an, besonders wenn ihn die Erstickungsanfälle anwandeln. Wenn es zu arg wird, geht er hinaus und braucht irgendein Palliativ. Kann man ihn in solchen Momenten in eine interessante Unterredung ziehen, so verlässt ihn das Übel wieder, um sogleich zurück zu kommen, wenn nichts mehr zu erörtern übrig ist. Überhaupt sind ihm anstrengende Arbeiten das sicherste Mittel für den Augenblick. Man sieht, in welcher ununterbrochenen Spannung er lebt und wie sehr der Geist bei ihm den Körper tyrannisiert…».

Im Januar 1798 schrieb Schiller an Körner über den in Arbeit befindlichen «Wallenstein»: «Hätte ich 10 Wochen ununterbrochener Gesundheit, so wäre er fertig; so aber habe ich kaum das Drittheil der Zeit zu meiner Disposition.»

Champagner zum «Heben der Kräfte»

Im Todesjahr 1805 hatte Schiller zwei Krankheitsattacken. Im Februar litt er vor allem unter Verstopfung und Blähungen, vermutlich aufgrund der Tuberkulose. «Die verwünschten Verstopfungen! Sie bringen mich alle Jahre um ein Trauerspiel!».

Am Mittwoch, 1. Mai 1805, hatte er sich entschlossen, den Abend im Theater zu verbringen: die Bühnenatmosphäre bedeutete für ihn immer Zauber und Anregung.

Dr. med. Stephan Keusch

Praxisgemeinschaft Lungdocs
Merkurstrasse 20
8032 Zürich

Daridorexant

Schlaf ist ein körperlicher und geistiger Zustand, der durch ein verändertes Bewusstsein, eine erheblich gehemmte sensorische Aktivität, eine verringerte Muskelaktivität und – während des REM-Schlafs (Rapid Eye Movement) – durch eine fast vollständige Hemmung der willentlichen Muskeln gekennzeichnet ist (1). Schlafmangel wird als Schlaflosigkeit bezeichnet, die sich negativ auf die Funktion des menschlichen Körpers auswirkt. Chronische Unzufriedenheit mit der Schlafdauer oder -qualität, Schwierigkeiten beim Einschlafen, häufiges nächtliches Aufwachen mit Schwierigkeiten beim Wiedereinschlafen und früheres Aufwachen als gewünscht sind alles Symptome der Schlaflosigkeit, aber es gibt keine allgemeingültige Theorie zur Erklärung ihrer pathophysiologischen Ursache (2).

Schlaflosigkeit gilt als die weltweit am weitesten verbreitete Schlafstörung, und ihre Prävalenz liegt je nach Diagnose und Testverfahren zwischen 4,4 und 4,8 % (3,4). Nach einer US-amerikanischen Untersuchung aus den Jahren 1994-1995 litten 23 % der Bevölkerung an Symptomen von Schlaflosigkeit (3). Ähnliche Forschungsergebnisse wurden in Polen gefunden, wo 50,5 % der Befragten (58,9 % Frauen und 41,1 % Männer) über Anzeichen von Schlaflosigkeit berichteten (5,6).

Orexin-Rezeptoragonsiten und ihre Wirkung

Die Orexin-Rezeptor-Antagonisten wirken auf die Erregungsbereiche im Hirnstamm/Hypothalamus, indem sie auf das Orexin-System (2) abzielen, welches die Neuropeptide Orexin A und Orexin NB und ihre beiden G-Protein gekoppelten Rezeptoren (GPCRs) umfasst.: die orexin-Rezeptoren 1 (OX1r) und 2 (OX2r). Die Orexine sind an einer Reihe von Funktionen beteiligt, von der Modulation autonomer Funktionen bis hin zu höheren kognitiven Funktionen wie Belohnungssuche, Aufmerksamkeit, Verhalten, Stimmung und Kognition [8]. Interessanterweise ist die Orexin-Signalübertragung auch an Stimmungsstörungen beteiligt, die mit einer niedrigen hedonischen Spannung oder Anhedonie einhergehen, wozu Depressionen, Angststörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen und Sucht gehören [8]. Da die Orexin-Neuropeptide in kleinen Neuronenpopulationen im Hypothalamus exprimiert werden, ist ihre Aktivität während der Aktivitäts- und Wachphasen am höchsten, während des Schlafs jedoch nicht aktiv (9). Die Hemmung sowohl von OX1r als auch von OX2r reduziert die Aktivität der wachmachenden Neuronen und die weit verbreitete Hemmung der neuronalen Bahnen (10). Dieser neue Ansatz zur Behandlung von Schlaflosigkeit setzt den Einsatz eines dualen Orexin-Antagonisten (DORA) wie Daridorexant voraus. Daridorexant hat sowohl in Tier- als auch in Humanstudien vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Seine Aktivität wurde auf der Grundlage eines auf der Physiologie basierenden pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Modells bewertet. Die Anwendung von Daridorexant gilt als sicher und hat keine klinisch bedeutsamen Nebenwirkungen, einschließlich des Ausbleibens von Resteffekten am nächsten Morgen. In einer rezenten Publikation wurde ein umfassender Überblick über Daridorexant gegeben (11).

Fazit

Daridorexant, a new selective DORA agent, acts as competitive orthosteric antagonists and exhibits good brain penetration. Importantly, it promotes sleep with preserved sleep-architecture, and its action leaves no next-morning side effects, which sets it apart from typical hypnotic agents such as benzodiazepines. The activity of daridorexant was confirmed in a number of both animal and human trials that allowed evaluating the impact of daridorexant on the duration of REM and non-REM phase, appropriate dosage, pharmacokinetics and the influence of daridorexant on daily functioning. All of these studies led to a better understanding of its mechanism of action and safety. It was established that the drug is safe for patients with mild to moderate OSA at a dose of 50 mg, and it did not relevantly influence cardiac repolarization. Additionally, the influence of daridorexant on driving showed that it was safer than other hypnotic drugs. Therefore, it seems that daridorexant can become a hypnotic alternative to improve the life of patients suffering from insomnia.

Quelle: Ziemichod W et al. A Comprehensive Review of Daridorexant, a Dual-Orexin Receptor Antagonist as New Approach for the Treatment of Insomnia. Molecules. 2022 Sep; 27(18): 6041. Published online 2022 Sep 16. doi: 10.3390/molecules27186041

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Ree M., Harvey A. Oxford Guide to Behavioural Experiments in Cognitive Therapy. Oxford University Press; Oxford, UK: 2004. Insomnia; pp. 287–305. [Google Scholar]
2. Levenson J.C., Kay D.B., Buysse D.J. The pathophysiology of insomnia. Chest. 2015;147:1179–1192. doi: 10.1378/chest.14-1617.
3. Ohayon M.M. Epidemiology of insomnia: What we know and what we still need to learn? Sleep Med. Rev. 2002;6:97–111. doi: 10.1053/smrv.2002.0186.
4. Sateia M.J. et al. Clinical practice guideline for the pharmacologic treatment of chronic insomnia in adults: An American Academy of Sleep Medicine Clinical Practice Guideline. J. Clin. Sleep Med. 2017;13:307–349. doi: 10.5664/jcsm.6470.
5. Nowicki Z. et al.Prevalence of self-reported insomnia in general population of Poland. Psychiatr. Pol. 2016;50:165–173. doi: 10.12740/PP/58771.
6. Wichniak A., Wierzbicka A.E. Jarema M. Treatment of insomnia-effect of trazodone and hypnotics on sleep. Psychiatr. Pol. 2021;55:743–755. doi: 10.12740/PP/125650.
7. Zisapel N. Drugs for insomnia. Expert Opin. Emerg. Drugs. 2012;17:299–317. doi: 10.1517/14728214.2012.690735.
8. Katzman M.A., Katzman M.P. Nurobiology of the Orexin System and Its Potential Role in the Regulation of Hedonic Tone. Brain Sci. 2022;12:150. doi: 10.3390/brainsci12020150.]
9. Dauvilliers Y. Daridorexant, a New Dual Orexin Receptor Antagonist to Treat Insomnia Disorder. Ann. Neurol. 2020;87:347–356. doi: 10.1002/ana.25680.
10. Roch C. et al. Nonclinical pharmacology of daridorexant: A new dual orexin receptor antagonist for the treatment of insomnia. Psychopharmacology. 2021;238:2693–2708. doi: 10.1007/s00213-021-05954-0.
11. Ziemichod W et al. A Comprehensive Review of Daridorexant, a Dual-Orexin Receptor Antagonist as New Approach for the Treatment of Insomnia. Molecules. 2022 Sep; 27(18): 6041. Published online 2022 Sep 16. doi: 10.3390/molecules27186041

Les Centenaires: Pourquoi s’y Intéresser ?

Le vieillissement démographique est un sujet à impact majeur et aux enjeux multiples dans le domaine de la santé. Cependant, une moindre attention est accordée à un groupe spécifique: les centenaires. Cette population en rapide expansion nécessite une compréhension approfondie de ses caractéristiques uniques et il est important que les professionnels de la santé soient sensibilisés à ces particularités, étant donné leurs interactions croissantes avec ce groupe d’âge.

Demographic ageing is a subject with a major impact and multiple challenges in the healthcare field. However, less attention is paid to one specific group: centenarians. This rapidly expanding population requires an in-depth understanding of its unique characteristics, and it is important for healthcare professionals to be aware of these particularities, given their increasing interactions with this age group.

Keywords: ageing, centenarians, gerontology, SWISS100
https://wp.unil.ch/swiss100/fr

Selon les Nations Unies (1), le nombre de personnes âgées de 100 ans ou plus dans le monde s’élevait à un demi-million en 2015, avec des projections à 3.4 millions en 2050 et de plus de 25 millions en 2100. La Suisse suit cette tendance mondiale. D’après l’Office fédéral de la statistique, le pays comptait 2086 centenaires au 31 décembre 2023 (2), comparé à seulement 787 en 2000 (3). Cette augmentation remarquable peut être attribuée à une convergence de facteurs, dont les avancées médicales et l’amélioration de la qualité de vie. Il est reconnu que les progrès dans la gestion des maladies chroniques et la prévention jouent un rôle crucial, tout comme les facteurs liés aux modes de vie et à la robustesse individuelle, particulièrement chez les personnes atteignant un âge avancé. Ces développements soulèvent des questions cruciales sur les politiques sociales, les infrastructures de soins, et le soutien nécessaire aux personnes très âgées.

Plusieurs études sur les centenaires ont été réalisées: elles contribuent à enrichir notre compréhension des caractéristiques particulières de cette population. Des résultats de la Fordham Centenarian Study (4), réalisée à New York en 2010 ont mis en évidence qu’une majorité des centenaires vivait à domicile, était veuve et possédait un niveau d’éducation élevé. La plupart des participants maintenait de bonnes capacités cognitives et une perception positive de leur santé, malgré la présence de comorbidités. Bien que confrontés à des difficultés dans au moins une activité de la vie quotidienne, la satisfaction de vivre demeurait élevée. De plus, la majorité d’entre eux présentait des niveaux de symptômes dépressifs inférieurs aux seuils critiques, malgré un risque d’isolement social. Les facteurs contribuant positivement à leur bien-être mental incluaient la santé subjective, les capacités fonctionnelles et le soutien familial, tandis que les caractéristiques démographiques, le nombre de comorbidités et le statut cognitif n’affectaient pas significativement leur santé mentale. Ces résultats suggèrent que les centenaires font preuve de résilience: en effet, malgré la présence de comorbidités et de défis fonctionnels, nombre d’entre eux maintien un niveau élevé de bien-être mental (4). Ces constats mettent en lumière le «paradoxe du bien-être» qui se manifeste au sein de cette population. Être atteint de maladies et dépendant sur le plan fonctionnel à 100 ans ne se traduit pas forcément par une évaluation négative de sa propre santé. Cet écart entre les indicateurs objectifs et subjectifs témoigne de l’aptitude des centenaires à s’adapter et souligne également l’importance des ressources personnelles dans la gestion de leur santé (5).

Les enfants jouent un rôle central dans le soutien des centenaires, les aidant à rester à domicile malgré des problèmes de santé (6). Alors que, ceux sans enfants semblent recevoir moins d’aide, même en présence d’amis ou de voisins (7). Ces centenaires dépendent souvent d’un nombre limité de personnes lorsqu’ils ont des besoins élevés en aide, les rendant plus vulnérables (8). Le fardeau des aidants des centenaires est un aspect important, avec des répercussions sur leur santé physique et mentale (9). Une étude comparative entre les États-Unis et le Japon a révélé que le fardeau des aidants des centenaires était significativement influencé par la personnalité de ces derniers (10). Aux États-Unis, le névrosisme augmentait le fardeau perçu, tandis que l’agréabilité et la conscienciosité le réduisaient. Au Japon, l’ouverture à l’expérience et l’agréabilité diminuaient également le fardeau perçu (10). Malgré le risque de fardeau, l’évidence scientifique indique que les enfants septuagénaires ayant au moins un parent centenaire présentent des niveaux fonctionnel et cognitif supérieurs, ainsi qu’une prévalence moindre de certaines maladies (AVC, HTA, entre autres) (11).

En outre, il est important de noter que la diversité observée parmi les centenaires découle largement des processus de sélection qu’ils ont surmonté, de leur environnements physique et social, ainsi que de leurs caractéristiques personnelles telles que le sexe, ce qui influence leur parcours individuel en matière de santé et crée des besoins variés (12). Une approche globale de la santé des centenaires doit tenir compte de cette diversité et de ses déterminants multiples.

L’étude des centenaires en Suisse est d’autant plus pertinente qu’il s’agit de l’un des pays ayant l’espérance de vie et la qualité de vie les plus élevées. L’identification des facteurs favorisant le «vieillissement réussi» permettrait d’approfondir notre compréhension du grand âge et de fournir des orientations à l’échelle nationale et internationale pour faire face aux défis liés à l’augmentation rapide du nombre de personnes très âgées (13).

Toutefois, en Suisse, la population centenaire a été peu étudiée, et les besoins spécifiques de ces personnes restent largement inexplorés. C’est de cette lacune que naît la Swiss Centenarian Study (SWISS100): Vulnerability and Resilience at Age 100 (13, 14), financée par le Fonds national suisse (FNS) de la recherche scientifique.

L’étude SWISS100 (13, 14), première étude nationale sur les centenaires, adopte une approche interdisciplinaire en intégrant les domaines de la médecine somatique, de la psychiatrie, de la ­psychologie, de la sociologie et de la biologie. Elle inclut des centenaires des trois principales régions linguistiques, avec des équipes de recherche à Lausanne et Genève, Zurich et Manno au Tessin, afin d’explorer les spécificités culturelles. Les objectifs de l’étude SWISS100 sont: (1) la création d’une base de connaissances exhaustive sur les caractéristiques, les conditions de vie, les ressources et les besoins des centenaires vivant en Suisse ; (2) l’identification de la vulnérabilité dans ses différentes formes, de ses prédicteurs et de ses conséquences ; (3) la découverte des mécanismes de résilience qui permettent de faire face à la vulnérabilité; et (4) l’analyse de l’impact des caractéristiques sociétales et culturelles sur la vie des centenaires en Suisse, en comparaison avec d’autres pays et entre les régions linguistiques suisses (14).

Le projet SWISS100 a débuté en janvier 2020, juste avant que l’Organisation mondiale de la santé ne déclare une urgence de santé publique mondiale en raison de la propagation du virus SARS-CoV-2. Pour s’adapter à la situation sanitaire, une première étude téléphonique a été lancée, permettant le recrutement aléatoire de centenaires et de leurs proches dans tous les cantons suisses, sans mettre en danger ces individus potentiellement vulnérables. Cette phase exploratoire, conduite de décembre 2020 à juin 2022, avait pour but de tester la faisabilité de cette approche, d’évaluer la pertinence des questions pour l’étude principale (entretiens face-à-face), et d’identifier les ajustements nécessaires. L’exercice s’est avéré très satisfaisant sur le plan de la faisabilité. Les données recueillies auprès de 169 centenaires ou de leurs proches comprenaient des informations sociodémographiques, des données sur la santé, le réseau social, le bien-être, les émotions, et la présence de symptômes dépressifs. L’âge moyen des participants était de 102 ans ; 75 % étaient des femmes, 76 % étaient veufs, et 64 % résidaient dans un établissement médico-social (EMS) (15). Parmi les 36 % habitant à domicile, la moitié vivait seule (15). La majorité des ­participants (56 %) évaluait sa santé comme bonne, très bonne ou excellente, et presque tous (92 %) exprimaient une satisfaction de vie élevée (15). Le niveau de satisfaction de vie était supérieur en comparaison avec les résultats des études précédentes (4,6), ce qui pourrait refléter une réaction spécifique au contexte de la pandémie de COVID-19. Cette situation a pu favoriser des processus de comparaison particuliers, incitant les centenaires à augmenter leur évaluation personnelle. Il a également été observé que les centenaires résidant en EMS présentaient un risque significativement plus élevé de développer des symptômes dépressifs pendant la pandémie (16).

L’étude principale de SWISS100, de type longitudinal, a débuté en septembre 2022 dans six cantons suisses (Vaud, Genève, Zurich, Berne, Bâle-Ville et Tessin). L’échantillon initial, sélectionné de manière aléatoire, est composé de 276 centenaires, répartis de manière équitable dans les trois régions linguistiques. Actuellement, la troisième vague de collecte des données est en cours, ce qui permettra d’étudier les trajectoires des centenaires sur une période de 12 mois. Cette étude a visé une collecte des données plus exhaustive sur les aspects socio-démographiques, de soins, de santé physique et fonctionnelle, de cognition, ainsi que divers aspects psychologiques et psychiatriques. Des échantillons biologiques, comprenant l’identification de marqueurs d’inflammation et cardio-métaboliques, sont prélevés auprès des centenaires consentants. L’analyse des données est prévue en 2024, et les résultats seront diffusés à travers des publications scientifiques et des participations à des conférences nationales et internationales.

En conclusion, le projet SWISS100 vise à enrichir notre compréhension du vieillissement en Suisse grâce à une approche interdisciplinaire unique. En explorant le grand âge sous divers angles, ce projet ouvre de nouvelles perspectives sur les défis de la longévité extrême. Cette approche pourrait contribuer à la conception de modèles de services de santé et de politiques publiques adaptés, répondant ainsi aux besoins spécifiques des personnes très âgées et de leurs proches.

Carla Gomes da Rocha 1, 2, 3
Pr Daniela S. Jopp 4, 5
Pr Stefano Cavalli 6
Pr François Herrmann 7
Pr Armin von Gunten 1
1 Service universitaire de psychiatrie de l’âge avancé (SUPAA), Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne.
2 Institut de sciences biomédicales Abel Salazar (ICBAS), Université de Porto, Porto.
3 Haute École de Santé, HES-SO Valais-Wallis, Sion.
4 Institut de Psychologie, Université de Lausanne (UNIL), Lausanne.
5 Swiss center of expertise in life course research LIVES, Université de Lausanne (UNIL), Lausanne.
6 Centre de compétences sur le vieillissement, Haute école spécialisée de la Suisse italienne (SUPSI), Manno.
7 Service de gériatrie et de réadaptation, Hôpital des Trois-Chêne, Hôpitaux Universitaires de Genève (HUG), Thônex.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Carla Gomes da Rocha

– Service universitaire de psychiatrie de l’âge avancé (SUPAA),
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne.
– Institut de sciences biomédicales Abel Salazar (ICBAS),
Université de Porto, Porto.
– Haute École de Santé, HES-SO Valais-Wallis, Sion.

Pr Daniela S. Jopp

– Institut de Psychologie, Université de Lausanne (UNIL), Lausanne.
– Swiss center of expertise in life course research LIVES,
Université de Lausanne (UNIL), Lausanne.

Pr Armin von Gunten

Service universitaire de psychiatrie de l’âge avancé (SUPAA),
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne.

Les auteurs n’ont pas déclaré de conflit d’intérêts en rapport avec cet article.

1. United Nations. World Population Ageing 2013. ST/ESA/SER.A/348. United Nations, New York; 2013.
2. Office fédéral de la statistique. Communication personnelle concernant l’effectif calculé à partir de la liste nominale au 31 décembre 2023 transmise par l’OFS à l’un des investigateurs principaux (FH). 2023.
3. Office fédéral de la statistique. Vivre 100 ans et au-delà. [Internet]. Disponible sur : https://www.bfs.admin.ch/bfs/fr/home/statistiques/population/vieillissement/centenaires.html
4. Jopp DS, Park MK, Lehrfeld J, et al. Physical, cognitive, social, and mental health in near-centenarians and centenarians living in New York City: findings from the Fordham Centenarian Study. BMC Geriatr. 2016;16(1). https://doi.org/10.1186/s12877-015-0167-0
5. Araújo L, Teixeira L, Ribeiro O, Paúl C. Objective vs. Subjective Health in Very Advanced Ages: Looking for Discordance in Centenarians. Front Med (Lausanne). 2018 Jun 26;5:189. https://doi.org/10.3389/fmed.2018.00189
6. Jopp DS, Rott C, Boerner K, Boch K, Kruse A. Zweite Heidelberger Hundertjährigen-Studie: Herausforderungen und Stärken des Lebens mit 100 Jahren. Stuttgart, Germany: Robert Bosch Stiftung GmbH; 2013.
7. Boerner K, Jopp DS, Park MK, Rott C. Whom do centenarians rely on for support? Findings from the Second Heidelberg Centenarian Study. J Aging Soc Policy. 2016;28(3):165-186. https://doi.org/10.1080/08959420.2016.1160708
8. Jopp D, Lampraki C, Meystre C. Vulnérabilité et résilience chez les centenaires. Gerontol Sociol. 2018;40(157):111-130. https://doi.org/10.3917/gs1.157.0111
9. Freeman S, Kurosawa H, Ebihara S, Kohzuki M. Caregiving burden for the oldest old: a population based study of centenarian caregivers in Northern Japan. Arch Gerontol Geriatr. 2010;50(3):282-291. https://doi.org/10.1016/j.archger.2009.04.008
10. Cho J, Nakagawa T, Martin P, Gondo Y, Poon LW, Hirose N. Caregiving centenarians: Cross-national comparison in Caregiver-Burden between the United States and Japan. Aging Ment Health. 2020;24(5):774-783. https://doi.org/10.1080/13607863.2018.1544221
11. Bucci L, Ostan R, Cevenini E, Pini E, Scurti M, Vitale G, Mari D, Caruso C, Sansoni P, Fanelli F, Pasquali R, Gueresi P, Franceschi C, Monti D. Centenarians’ offspring as a model of healthy aging: a reappraisal of the data on Italian subjects and a comprehensive overview. Aging. 2016;8(3):510-519. https://doi.org/10.18632/aging.100912
12. World Health Organization. Ageing and Health. [Internet]. Available from: https://www.who.int/fr/news-room/fact-sheets/detail/ageing-and-health
13. Swiss National Science Foundation. Swiss Centenarian Study (SWISS100): Vulnerability and Resilience at Age 100 [Internet]. Synergia Project Switzerland; 2019. Available from: https://wp.unil.ch/swiss100/fr/
14. Jopp D, von Gunten A, Herrmann F, Cavalli S. Swiss Centenarian Study (SWISS100): Vulnerability and Resilience at Age 100. In: SNSF – Swiss National Science Foundation, editor. Synergia Project Switzerland, 2019.
15. Falciola J. Les centenaires en Suisse: résultats de l’étude SWISS100. Présentée au: 1er Congrès National Focus Vieillesse de Pro Senectute Suisse; 2024 Jan 18; Bienne, Suisse.
16. Gomes da Rocha C, von Gunten A, Falciola J, Uittenhove K, Cavalli S, Herrmann F, Martin M, Jopp D. Depressive Symptoms in Centenarians During the Covid-19 Pandemic: Findings From the SWISS100 Study. Innovation in Aging. 2023 Dec;7(Supplement_1):276-277. https://doi.org/10.1093/geroni/igad104.0919

Ponction et infiltration articulaire: Pour et Contre

Les ponctions et infiltrations articulaires sont des procédures médicales fréquentes, particulièrement réalisées par les rhumatologues. En premier lieu, il y a le genou en raison de sa grande taille et de son accessibilité, ainsi que sa fréquente implication dans des maladies rhumatismales ou mécaniques. Les épaules, poignets, hanches, chevilles, ainsi que des petites articulations telles que les articulations des doigts sont également souvent ponctionnées ou infiltrées. Cet article abordera certains principes de base ainsi que les controverses entourant la ponction et l’ infiltration articulaires.

Joint punctures and infiltrations are frequent medical procedures, particularly carried out by rheumatologists. First and foremost is the knee, due to its large size and accessibility, as well as its frequent involvement in rheumatic or mechanical diseases. The shoulders, wrists, hips, ankles and small joints such as the finger joints are also often punctured or infiltrated. This article will look at some of the basic principles and controversies surrounding joint puncture and infiltration.
Key Words: joint infiltration, arthrocnetesis, arthritis

Aspects techniques

Nous distinguons la ponction diagnostique, la plus courante, de la ponction thérapeutique. Dans un tableau clinique clair comme une chondrocalcinose et un bon état général, la ponction diagnostique et l’ infiltration thérapeutique des glucocorticoïdes sont effectuées simultanément. L’ échographie a grandement simplifié la ponction et infiltration intraarticulaire. Un épanchement articulaire bien ponctionnable est identifiable par une structure hypoéchogène. Dans certain cas (par exemple dans l’ articulation de la hanche, certaines bourses ou en cas de peu d’ épanchement), la ponction articulaire doit être réalisée sous surveillance échographique. Généralement, un simple marquage suffit. En cas de peu d’ épanchement, la main non échogène ou non ponctionnante peut être utilisée pour pousser le liquide synovial du côté opposé vers la sonde ou l’ aiguille. Un effet secondaire bienvenu est le «contrôle de la porte», c’ est-à-dire que la pression de la main envoie des afférences antalgiques vers la moelle épinière. On connaît cela lorsque l’ on frotte une partie du corps en cas de douleur. Bien entendu, les précautions stériles doivent être respectées, au minimum la technique de non-contact recommandée. En général, nous recommandons de tenir l’ aiguille d’ une main et de créer ainsi une dépression pendant la ponction pour obtenir l’ aspirat rapidement et de manière atraumatique.

Pour la ponction et l’ infiltration articulaire

1. Utilité diagnostique: Le premier objectif est d’ exclure une arthrite septique ou bactérienne. Attention: le prélèvement de Gram a une sensibilité de seulement 50 %. Le standard d’ or est la culture. Pour certaines questions spécifiques, comme la détection de la borréliose ou de Tropheryma whipplei, une PCR est réalisée (1). La microscopie en polarisation peut détecter des cristaux fréquents dans l’ arthrite, tels que l’ urate et le pyrophosphate de calcium (illustration 1). Le nombre de cellules différencie un état inflammatoire (>2000 cellules par mm3) d’ un état non inflammatoire, comme souvent dans l’ arthrose. Une arthrose activée devrait à notre avis être diagnostiquée au moins une fois par ponction. L’ injection d’ anesthésiques locaux (souvent mélangés à des stéroïdes) peut déterminer si la cause de la douleur est réellement intra-articulaire.
2. Traitement ciblé: L’ injection directe du médicament dans l’ articulation affectée permet une action ciblée sur la zone problématique, sans affecter le reste du corps ni interagir avec d’ autres médicaments. Dans le cas d’ une monoarthrite, par exemple réactive, lors d’ une polyarthrite rhumatoïde ou d’ une arthrose activée, l’ inflammation peut être traitée spécifiquement par infiltration de glucocorticoïdes. Bien que cela ne modifie pas la maladie, cela réduit considérablement la douleur et l’ immobilité. Dans une nouvelle étude, un stéroïde intra-articulaire à longue durée d’ action a montré un effet significatif sur l’ arthrose pendant 52 semaines (2). Pour la polyarthrite rhumatoïde, les stéroïdes peuvent également être utilisés en complément de la thérapie de base (3). À ce jour, il n’ existe pas de «médicaments modifiant l’ arthrose». L’ acide hyaluronique agit via le blockage de son récepteur CD44 de manière anti-inflammatoire, cet effet est peut-être même plus fort que l’ effet rhéologique en tant que «lubrifiant articulaire» (4). Le plasma riche en plaquettes (PRP) est également utilisé pour ses effets anti-inflammatoires et régénératifs. Cependant, il manque de données durables pour les inclure dans la routine. Chez les patients avec des comorbidités cardiovasculaires, gastro-entérologiques ou autres, l’ infiltration articulaire avec des glucocorticoïdes ou de l’ acide hyaluronique peut-être une alternative aux médicaments administrés systémiquement pour éviter les effets secondaires ou les interactions.

Contre l’ infiltration articulaire

1. Risque d’ infections: Bien que le risque soit très faible, chaque infiltration articulaire comporte le risque d’ une arthrite septique. Les facteurs de risque incluent notamment des infiltrations répétées dans la même articulation, une immunosuppression et un manque d’ hygiène. Ce risque doit toujours être mis en balance avec le bénéfice potentiel. La question ne se pose généralement pas pour la ponction diagnostique.

2. Effets secondaires possibles: L’ infiltration de stéroïdes dans les articulations superficielles, comme les articulations des doigts, peut entraîner des atrophies cutanées et des dépigmentations (illustration 2). Cela survient généralement 2–3 mois après l’ infiltration et se normalise d’ elle-même après jusqu’ à deux ans (5). Cela peut également survenir dans des articulations profondes comme les articulations facettaires de la colonne lombaire. Non seulement l’ administration orale, mais aussi l’ administration intra-articulaire répétée de stéroïdes à effet prolongé peut entraîner un syndrome de Cushing ou d’ autres dommages induits par les corticostéroïdes comme l’ ostéoporose, la peau de parchemin, etc. Cependant, il faut considérer que l’ alternative à l’ infiltration articulaire est souvent des anti-inflammatoires oraux, qui ont également des effets secondaires qui doivent être mis en contexte.

3. Solution à court terme: Souvent, l’ infiltration articulaire ne fournit qu’ un soulagement temporaire, par exemple des stéroïdes pour l’ arthrose activée ou l’ arthrite cristalline. La cause n’ est pas traitée, à part la réduction de l’ acide urique dans la goutte. Pour le patient individuel, cependant, le soulagement à court terme de la douleur peut avoir une grande valeur.

4. Dommages potentiels aux tissus articulaire: Des injections fréquentes de glucocorticoïdes, mais aussi d’ anesthésiques locaux, peuvent endommager le tissu cartilagineux (6). Certains centres n’ infiltrent plus généralement d’ anesthésiques locaux dans l’ articulation. Cependant, ces données sont principalement basées sur des expériences in vitro et ne sont pas nécessairement reproductibles dans des études cliniques (8).

5. Preuves incertaines pour la viscosupplémentation dans l’ arthrose: Diverses sociétés professionnelles, telles que l’ ACR, déconseillent le traitement intra-articulaire avec de l’ acide hyaluronique en raison des données disponibles (7). OARSI recommande un tel traitement pour les patients ayant des comorbidités qui ne sont pas éligibles à un traitement par AINS ou stéroïdes intra-articulaires.

Résumé et Perspectives

L’ infiltration articulaire est un outil diagnostique important dans les maladies articulaires et peut être une méthode efficace pour soulager la douleur et réduire l’ inflammation chez de nombreux patients souffrant d’ arthrite. Ceci est valable pour les arthrites induites par des cristaux, l’ arthrose, ainsi que pour les arthrites issues du spectre rhumatismal. Il est cependant important de considérer les risques potentiels et les effets secondaires et de les discuter avec le patient.

Dans le traitement de l’ arthrose, une approche globale doit toujours être présente. Cela signifie que les facteurs biomécaniques doivent être pris en compte et, par exemple, en cas de malalignement, traités par une orthèse. Une prudence particulière est nécessaire dans le cas de l’ infiltration articulaire (répétitive), notamment dans les syndromes de douleur chronique et la fibromyalgie. Ceci est particulièrement vrai pour l’ infiltration de la colonne vertébrale, par exemple des articulations facettaires. De nouvelles approches thérapeutiques pour l’ arthrose de certaines articulations visent spécifiquement une administration intra-articulaire plutôt que systémique. On peut espérer que, du point de vue diagnostique, en plus du nombre de cellules, de l’ analyse des cristaux et de la bactériologie, de nouveaux biomarqueurs du liquide synovial soient disponibles, par exemple pour différencier une arthrite réactive d’ une polyarthrite rhumatoïde ou pour mieux prévoir le pronostic et la réponse dans la polyarthrite rhumatoïde.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Pr Thomas Hügle

Hôpital orthopédique
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
Avenue Pierre Decker
1011 Lausanne

L’  auteur n’  a pas déclaré de conflits d’  intérêts en rapport avec cet article.

◆ Les ponctions articulaires sont la voie directe pour le diagnostic
des arthrites associées aux cristaux et peuvent différencier entre les arthrites dégénératives et inflammatoires.
◆ En particulier, les monarthrites peuvent être infiltrées avec des ­glucocorticoïdes au lieu d’ un traitement systémique.
◆ Dans le cas de l’ arthrose, les infiltrations de glucocorticoïdes ou
d’ acide hyaluronique ont une importance symptomatique, bien qu’ elles n’ affectent pas l’ évolution radiologique.

1. Aguero-Rosenfeld ME, Wang G, Schwartz I, Wormser GP. Diagnosis of lyme borreliosis. Clin Microbiol Rev. Jul 2005;18(3):484-509. doi:10.1128/CMR.18.3.484-509.2005
2. Spencer-Green G, Hunter D, Schnitzer T, et al. A Phase 3 Study of Repeat Injection of TLC599 in Osteoarthritis of the Knee: Benefits to 52 Weeks. ABSTRACT NUMBER: L19. ACR Convergence 2023 San Diego.2023.
3. Mueller RB, Spaeth M, von Restorff C, Ackermann C, Schulze-Koops H, von Kempis J. Superiority of a Treat-to-Target Strategy over Conventional Treatment with Fixed csDMARD and Corticosteroids: A Multi-Center Randomized Controlled Trial in RA Patients with an Inadequate Response to Conventional Synthetic DMARDs, and New Therapy with Certolizumab Pegol. J Clin Med. Mar 3 2019;8(3)doi:10.3390/jcm8030302
4. Wang CT, Lin YT, Chiang BL, Lin YH, Hou SM. High molecular weight hyaluronic acid down-regulates the gene expression of osteoarthritis-associated cytokines and enzymes in fibroblast-like synoviocytes from patients with early osteoarthritis. Osteoarthritis Cartilage. Dec 2006;14(12):1237-47. doi:10.1016/j.joca.2006.05.009
5. Dhinsa H, McGuinness AE, Ferguson NN. Successful treatment of corticosteroid-induced cutaneous atrophy and dyspigmentation with intralesional saline in the setting of keloids. JAAD Case Rep. Oct 2021;16:116-119. doi:10.1016/j.jdcr.2021.08.022
6. Jayaram P, Kennedy DJ, Yeh P, Dragoo J. Chondrotoxic Effects of Local Anesthetics on Human Knee Articular Cartilage: A Systematic Review. Pm r. Apr 2019;11(4):379-400. doi:10.1002/pmrj.12007
7. Kolasinski SL, Neogi T, Hochberg MC, et al. 2019 American College of Rheumatology/Arthritis Foundation Guideline for the Management of Osteoarthritis of the Hand, Hip, and Knee. Arthritis Rheumatol. Feb 2020;72(2):220-233. doi:10.1002/art.41142
8. Bannuru RR, Osani MC, Vaysbrot EE, et al. OARSI guidelines for the non-surgical management of knee, hip, and polyarticular osteoarthritis. Osteoarthritis Cartilage. Nov 2019;27(11):1578-1589. doi:10.1016/j.joca.2019.06.011

Früherkennung von Frailty Geriatrisches Assessment in der Hausarztpraxis

Der demographische Wandel wird sich sehr schnell auch in der hausärztlichen Sprechstunde bemerkbar machen. Die dort gesehenen älteren Patienten sind bereits jetzt zahlreich und werden in Zukunft noch älter und zahlreicher! Für deren adäquate Betreuung wird nicht das chronologische, sondern das biologische Alter (einhergehend mit Gesundheitszustand und vorhandenen funktionellen Reserven) entscheidend sein. Eine auf Alltagsfunktionalität basierte Frailty-Klassifikation (wie z.B. die Frailty-Klassifikation nach Fried) kann hier nicht nur schnell Klarheit schaffen, sondern auch die Indikationsstellung für weitere Diagnostik und Therapie beeinflussen. Ein umfassendes Frailty-Assessment ist sehr zeitaufwändig und im ambulanten Setting meist unrealistisch. Gezielt gewählte kurze geriatrische Assessments können hier ebenso zielführend sein, einen frühen Abbau in den wichtigsten Gesundheitsdimensionen zu identifizieren und entsprechend anzugehen. Frühe Interventionen haben die grösste Chance, Frailty zu verhindern oder zu verzögern und damit die Unabhängigkeit und hohe Lebensqualität von Patienten so lange wie möglich zu sichern.

Demographic change will very quickly make itself felt in GP consultations. The older patients seen there are already numerous and will become even older and more numerous in the future! It is not chronological age, but biological age (together with state of health and existing functional reserves) that will be decisive for their adequate care. A frailty classification based on everyday functionality (such as Fried’s frailty classification) can not only quickly provide clarity here, but also influence the indication for further diagnostics and therapy. A comprehensive frailty assessment is very time-consuming and usually unrealistic in an outpatient setting. Targeted, brief geriatric assessments can be just as effective in identifying and addressing early deterioration in the most important health dimensions. Early interventions have the greatest chance of preventing or delaying frailty and thus ensuring patients’ independence and high quality of life for as long as possible.
Key words: elderly patients, frailty, geriatric assessments

Einleitung

Die von Hausärzten und stationären medizinischen Gesundheitsinstitutionen zu behandelnden hochaltrigen Patienten werden – angesichts der immer noch steigenden Lebenserwartung – nicht nur stetig älter, sie nehmen auch zahlenmässig aus demographischen Gründen zu. Viele Hochaltrige sind heute – im Vergleich zu vor 20 Jahren – in viel besserem, ja ausgezeichnetem Gesundheitszustand. So hat sich z.B. das Durchschnittsalter für operative Wahleingriffe zum Hüftersatz massiv nach oben verschoben. Im Gegensatz zur Altersmedizin und Inneren Medizin, wo invasive diagnostische oder therapeutische Interventionen mit möglichen Zusatzrisiken für den Patientengesamtzustand eher die Ausnahme bilden, sind z.B. Grundversorger bei der Indikationsstellung für chirurgische Eingriffe bei älteren und hochaltrigen Pa-tienten zunehmend gefordert, Eingriffsrisiken hinsichtlich Operationsbenefit und -risiko abzuwägen. Unter den medizinischen (Spezial-)Disziplinen besteht zunehmend Einigkeit, dass hier nicht primär das chronologische Alter, sondern die individuelle Vulnerabilität («Frailty») eines älteren Patienten berücksichtigt werden muss. Dass diese Vulnerabilität für Operations-Outcomes entscheidend ist, wird allgemein nicht bestritten, aber wie diese Vulnerabilität älterer Patienten erkannt respektive definiert werden soll, ist – je nach medizinischer Disziplin und Sichtweise – sehr verschieden. Aus Hausarztperspektive ist neben der bewussten Diagnosestellung einer bereits existierenden «Frailty» für die bewusste Indikationsstellung weiterführender Spezialuntersuchungen/-eingriffe, die frühzeitige Erfassung eines beginnenden Frailty-Prozesses und rechtzeitig eingeleitete Präventivmassnahmen von grösster Bedeutung.

Der vor 2 Jahren publizierte und in chirurgisch behandelten älteren Patienten validierte modifizierte Frailty Index (FI) «mFI-5» basiert auf 5 Komorbiditäts-Risikofaktoren (Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, chronisch obstruktive Lungenerkrankung oder Pneumonie, abhängiger funktioneller Status (total oder partiell) zum Zeitpunkt der Operation, arterielle Hypertonie) (Tab. 1) (1). Im Vergleich zu einer jüngeren Patientenpopulation wurde der «mFI-5» in einer geriatrischen Patientenpopulation als schlechter, aber immer noch effektiver Prädiktor für Mortalität und postoperative Komplikationen befunden.

Der «Study of Osteoporotic Fractures (SOF) frailty index» (2) ist ein weiterer sehr einfach anwendbarer Index, der lediglich aus drei Items besteht: a) Nicht intentionaler Gewichtsverlust von > 5 % binnen des letzten Jahres, b) Verneinung der Frage «Fühlen Sie sich energiegeladen?», c) Unfähigkeit, 5-mal vom Stuhl aufzustehen und sich wieder hinzusetzen. Die Klassifizierung als Frail tritt dann ein, wenn mindestens 2 der 3 genannten Kriterien erfüllt werden. Hierdurch kann es unter medizinischen Akutbedingungen zu systematischen Überschätzungen der Frailtyprävalenz kommen. Dennoch hat sich der SOF als valides Untersuchungsinstrument behauptet und die konvergente Validität zu umfangreicheren anderen FIs bestätigen können.

Mehrere nationale und internationale Empfehlungen, unter anderem die «Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie» der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) heben klar die Bedeutung der Verwendung der Clinical Frailty Scale (CFS) / deutsch: Klinischen Frailty Skala hervor. Ziel ist die Identifizierung von Pa-tienten mit einem erhöhten Risiko für einen ausbleibenden Behandlungserfolg, welche nicht von einer intensivmedizinischen Intervention profitieren dürften. Die CFS (deutsch: Klinische Frailty Skala) kann von allen adäquat geschulten Fachkräften im Gesundheits- oder Pflegedienst durchgeführt werden. Die Skala besteht aus 9 Kategorien (Abb. 1) (3).

Frailty: die altersmedizinische Sicht

Das geriatrische Frailty-Konzept basiert auf einer funktionellen Sichtweise und definiert sich als physiologische Vulnerabilität, die durch reduzierte homeostatische Reserven mit daraus resultierender verminderter Stressresistenz zustande kommt (4). Anders als in den obengenannten rein Diagnosen- oder Komorbiditäten-basierten Assessments kommen hier auch funktionelle, am Patienten gemessene Parameter zur Anwendung: Gewichtsverlust, empfundene Erschöpfung, körperliche Aktivität, Ganggeschwindigkeit und Handschlusskraft (Abb. 2). Die erhaltenen Messresultate werden anhand von Normwerten beurteilt. Bei 3 oder mehr positiven Kriterien gilt der Patient als «frail». Dieser Frailty-Phänotyp war in der Originalstudie (auf drei Jahre) unabhängig prädiktiv für Stürze, verschlechterte Mobilität oder eingeschränkte ADLs, Hospitalisation, und Tod mit Risikoassoziationen von 1.82 bis 4.46. Die Studie zeigte auch, dass Frailty weder Synonym für Komorbidität noch körperliche Behinderung war, sondern vielmehr Komorbidität ein ätiologischer Risikofaktor für und Behinderung ein Resultat von Frailty ist! Die Messung der Hirnleistung ist nicht Teil der Fried Frailty Klassifikation. Da eine demenzielle Entwicklung immer auch zu einer Frailty beitragen kann, muss die Fried-Klassifikation immer in Kombination eines kognitiven Assessments erfolgen!

Ob ein Patient als «frail» oder «fit» klassifiziert wird, hat wesentliche Voraussagekraft bei Auftreten von Stressoren wie z.B. Infekten. Ein fitter Patient wird bei einer Pneumonie nach anfänglicher Verschlechterung des Gesundheitszustandes wieder schnell seinen gesundheitlichen Vorzustand erreichen. Anders bei einem fragilen Patienten: Hier wird der Genesungsprozess deutlich länger dauern und – ganz wesentlich – er wird gesundheitsmässig nicht mehr das Niveau seines Vorzustandes erreichen. Im konkreten Beispiel eines hospitalisierten, zuhause lebenden Seniors, der vor einer Pneumonie-Erkrankung bereits einen voll ausgeschöpften Unterstützungsbedarf von drei täglichen SPITEX-Visiten hatte, muss eine Rückkehr nach Hause – nach abgeheilter Pneumonie – bereits bei Spitaleintritt als unrealistisch gesehen werden. Entsprechend gilt es hier, sehr schnell eine Institutionalisierung zu planen (Abb. 3a).

Die Kenntnis des Frailty-Status eines Patienten kann aber auch für andere medizinische Entscheide und Aussagen wesentliche Bedeutung haben. In der Sekundärprävention (z.B. Hypercholesterinämie und Verordnung von Statinen!) ist es bei hochaltrigen Patienten hilfreich, deren mittlere Lebenserwartung zu kennen. Je nach Frailty-Status ist dies bei einem 90-jährigen Mann 5.8 Jahre (fit), 3.2 Jahre (am Übergang zu «frail») oder 1.5 Jahre («frail») (Tab. 2).

Pathophysiologie und klinische Symptome von Frailty

Frailty entsteht durch reduzierte physiologische Reserven in meist mehreren Organsystemen. Die dadurch entstandene verminderte Stressresistenz wird bei plötzlich auftretenden Stressfaktoren wie z.B. Infekten, Schmerzen, Operationen etc. sichtbar mittels drei «stereotyper» Hauptsymptome: Stürze, Delirium oder fluktuierender Behinderung (Abb. 3b) (7).

Das Geriatrische Assessment als Instrument zur Identifizierung von funktionellen Ressourcen

Ein vollumfängliches geriatrisches Assessment eines älteren Patienten (Abb. 4) zeigt nicht nur allfällige Defizite auf, sondern lässt auch sinnvolle und realistische Behandlungsziele für einen besseren Gesundheitsgesamtzustand sichtbar werden. Bei einem elektiv geplanten chirurgischen Eingriff kann dies z.B. eine Möglichkeit sein, den Patienten in einen für die Operation besseren Vorzustand zu bringen. Die Durchführung eines geriatrischen Assessments ist zeitaufwändig und gehört in die Hände eines geriatrischen Spezialisten-Teams. Nicht nur müssen die richtigen Assessment-Instrumente gewählt (zur Vermeidung von Boden- resp. Deckeneffekten), sondern auch die therapierbaren Defizite identifiziert und festgelegt ­werden. Als stellvertretendes Beispiel für therapeutische Möglichkeiten soll hier die gezielte Behandlung eines Proteindefizits mit Leucin-verstärkten Molkeprotein-Supplementen sein, womit Mobilität und Muskelkraft (ohne Training!) selbst bei Pflegeheimbewohnern substanziell verbessert werden kann (8). Eine derartige Vorbereitung z.B. bei einem chirurgischen Elektiv-Eingriff kann für die postoperative Rekonvaleszenz- und Rehabilitationsphase (und letztlich für das Operationsresultat) entscheidend sein!

Aus obigen Gründen und als Beispiel einer gesamtheitlichen Betreuung älterer Patienten hat sich in den letzten 10 Jahren vielerorts eine enge Zusammenarbeit zwischen Altersmedizin und operativen Disziplinen wie Orthopädie/Traumatologie mit der formalen Gründung von Alters-Traumazentren etabliert (9). Hier werden – unter Einhaltung von Qualitätsstandards – ältere Patienten entsprechend ihrer Gesamtbedürfnisse vor und nach der Operation interdisziplinär behandelt.

Der «Timed Up & Go Test» als modernes und schnelles Screening für Mobilität und Kognition

Um sich – auch ohne direkten Einbezug eines Geriaters – schnell und informativ zu Mobilität und kognitiver Fitness eines Patienten ein Bild machen zu können, gibt es einfache Screening-Tests, die sich ohne grosse Kosten oder Platzbedürfnisse auch in der hausärztlichen Praxis durchführen lassen.

Mobilität und «Frailty»: Für den Timed Up & Go Test (Abb. 5) (10) braucht es z.B. lediglich einen Stuhl mit Armlehnen und ein drei Meter davor aufgestelltes Ziel (Verkehrskonus, Flasche etc.), sowie eine Stopp-Uhr. Der Patient nimmt im Stuhl Platz. Auf das Kommando «Los» (Beginn der Zeitmessung) soll er aufstehen (normal, keine Kompetition, wenn nötig mit Gehhilfe!), nach vorne und um den Verkehrskonus herumgehen und sich wieder im Stuhl niedersetzen. Berührt sein Gesäss die Stuhlfläche, ist die Zeitmessung beendet. Braucht der Patient dafür länger als 10 Sekunden, steht eine mögliche «Frailty» im Raum (11). Ab 13.5 Sekunden besteht ein erhöhtes Sturzrisiko (12), mit für den Alltag relevanten Mobilitätsproblemen ist ab 20 Sekunden zu rechnen (10, 12).

Motorisch-kognitives Dual-Tasking (Exekutivfunktion): Ein weiter entwickelter «Imagined Timed Up&Go» (13) kann auch sehr schnell über die kognitive Fitness (Exekutivfunktion) eines Patienten Auskunft geben: Dazu lässt man den Patienten – nach Durchführung des obigen ­Testablaufs – im Stuhl die gleiche Aufgabe nochmals durchführen, allerdings nur in seiner Vorstellung. Auf das Kommando «Los» macht er sich – in seiner Vorstellung – nochmals auf denselben Parcours und sagt «Stopp», wenn er sich wieder auf dem Stuhl zurückbefindet. Braucht der Patient für diese imaginäre Aufgabe weniger als halb so lang wie in Wirklichkeit, ist von einer erheblichen Hirnleistungsstörung (mit z.B. potentiellem postoperativem Delir-Risiko!) auszugehen (Abb. 6)!

Kognition und Emotion

Ist der «Imagined Timed Up&Go» Test pathologisch, lohnt es sich allenfalls, einen «BrainCheck» durchzuführen. Hier kann mittels drei einfacher Fragen an den Patienten, 7 Fragen an den nächsten Angehörigen und einem Uhrentest in 90 % Sicherheit zwischen «normal» oder «weiter abklärungsbedürftig» unterschieden werden (14, https://braincheck.ch/de). Nicht selten kann auch eine depressive Verstimmung (im Alter am häufigsten verpasste psychiatrische Diagnose) die Hirnleistung verschlechtern. Hier lohnt sich die Durchführung eines kurzen Screenings mittels «Geriatric Depression Scale» (GDS) (Tab. 3, (15)).

Sarkopenie und Malnutrition

Dass ältere Menschen zum Erhalt ihrer Muskelmasse und -kraft sich nicht nur bewegen, sondern auch mehr Proteine essen müssen als jüngere Erwachsene, ist mittlerweile bekannt (16). Die frühe Identifizierung einer beginnenden Sarkopenie/Malnutrition hat – insbesondere auch angesichts der hier verfügbaren und therapeutisch sehr wirksamen Leucin-angereicherten Molkeprotein-Supplementen – für den Erhalt von Mobilität und funktioneller Unabhängigkeit entscheidende Bedeutung. Zur klinischen Diagnosestellung reicht meist die Bestimmung der Handschlusskraft (Vigorimetrie nach Martin, Abb. 7 (17)). Noch einfacher: auch die Messung des Wadenumfangs (Abb 8, (18)) kann hier schnell richtungsweisend sein.

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Reto W. Kressig

Ärztlicher Direktor & Klinischer Professor für Geriatrie
Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER & Universität Basel
Burgfelderstrasse 101
4002 Basel

RetoW.Kressig@felixplatter.ch

Der Autor hat keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Ein kurzes, klinisch orientiertes geriatrisches Assessment in der Hausarztpraxis kann Patienten mit beginnender oder bereits etablierter Frailty identifizieren, gleichzeitig aber auch allfällig vorhandene therapeutisch nutzbare Ressourcen aufzeigen. Dies kann einerseits für die sinnhafte Indikationsstellung weiterer Untersuchungen/Interventionen hilfreich sein, aber auch Hinweise auf mögliche therapeutische/präventive Massnahmen zur Verbesserung/Verzögerung von Frailty geben.

1. Subramanian S, Aalberg JJ, Soriano RP, Divino CM. The 5-Factor Modified Frailty Index in the Geriatric Surgical Population. The American Surgeon 2021;87:1420-1425.
2. Ensrud KE, Ewing SK, Taylor BC et al. Comparison of 2 frailty indexes for prediction of falls, disability, fractures, and death in older women. Arch Intern Med 2008;168:382–9.
3. Rockwood K, Song X, MacKnight C, Bergman H, Hogan DB, McDowell I, Mitnitski A. A global clinical measure of fitness and frailty in elderly people. CMAJ. 2005 Aug 30;173(5):489-95. doi: 10.1503/cmaj.050051. PMID: 16129869; PMCID: PMC1188185.
4. Fried LP et al. Cardiovascular Health Study Collaborative Research Group. Frailty in older adults: evidence for a phenotype. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2001;56:M146-56.
5. Benzinger P, Eidam A, Bauer JM. Klinische Bedeutung der Erfassung von Frailty [Clinical importance of the detection of frailty]. Z Gerontol Geriatr 2021;54(3):285-296. German. doi: 10.1007/s00391-021-01873-z. Epub 2021 Mar 29. PMID: 33782735; PMCID: PMC8006639.
6. Walter LC, Covinsky KE. Cancer screening in elderly patients: a framework for individualized decision making. JAMA.2001;285(21):2750-6. doi: 10.1001/jama.285.21.2750. PMID: 11386931.
7. Clegg A, Young J, Iliffe S, Rikkert MO, Rockwood K. Frailty in elderly people. Lancet. 2013 Mar 2;381(9868):752-62. doi: 10.1016/S0140-6736(12)62167-9. Epub 2013 Feb 8. Erratum in: Lancet 2013;382(9901):1328. PMID: 23395245; PMCID: PMC4098658.
8. Bauer JM, Verlaan S, Bautmans I, Brandt K, Donini LM, Maggio M, McMurdo ME, Mets T, Seal C, Wijers SL, Ceda GP, De Vito G, Donders G, Drey M, Greig C, Holmbäck U, Narici M, McPhee J, Poggiogalle E, Power D, Scafoglieri A, Schultz R, Sieber CC, Cederholm T. Effects of a vitamin D and leucine-enriched whey protein nutritional supplement on measures of sarcopenia in older adults, the PROVIDE study: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. J Am Med Dir Assoc 2015;16(9):740-7. doi: 10.1016/j.jamda.2015.05.021. Epub 2015 Jul 10. PMID: 26170041.
9. https://www.bv-geriatrie.de/images/INHALTE/Qualitaet/1406_Anforderungskatalog_atz.pdf
10. Podsiadlo D, Richardson S. The timed „Up & Go“: a test of basic functional mobility for frail elderly persons. J Am Geriatr Soc 1991;39(2):142-8. doi: 10.1111/j.1532-5415.1991.tb01616.x. PMID: 1991946.
11. Turner G, Clegg A; British Geriatrics Society; Age UK; Royal College of General Practioners. Best practice guidelines for the management of frailty: a British Geriatrics Society, Age UK and Royal College of General Practitioners report. Age Ageing 2014;43(6):744-7. doi: 10.1093/ageing/afu138. PMID: 25336440.
12. Shumway-Cook A, Brauer S, Woollacott M. Predicting the probability for falls in community-dwelling older adults using the Timed Up & Go Test. Phys Ther 2000;80(9):896-903. PMID: 10960937.
13. Bridenbaugh SA, Beauchet O, Annweiler C, Allali G, Herrmann F, Kressig RW. Association between dual task-related decrease in walking speed and real versus imagined Timed Up and Go test performance. Aging Clin Exp Res 2013;25(3):283-9. doi: 10.1007/s40520-013-0046-5. Epub 2013 May 17. PMID: 23740587.
14. Ehrensperger MM, Taylor KI, Berres M, Foldi NS, Dellenbach M, Bopp I, Gold G, von Gunten A, Inglin D, Müri R, Rüegger B, Kressig RW, Monsch AU. BrainCheck – a very brief tool to detect incipient cognitive decline: optimized case-finding combining patient- and informant-based data. Alzheimers Res Ther 2014;6(9):69. doi: 10.1186/s13195-014-0069-y. PMID: 25422675; PMCID: PMC4241397.
15. Yesavage JA, Brink TL, Rose TL, Lum O, Huang V, Adey M, Leirer VO. Development and validation of a geriatric depression screening scale: a preliminary report. J Psychiatr Res 1982-1983;17(1):37-49. doi: 10.1016/0022-3956(82)90033-4. PMID: 7183759.
16. Ernährungsempfehlungen für Seniorinnen und Senioren, BLV 2022; https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/ernaehrung/empfehlungen-informationen/lebensphasen-und-ernaehrungsformen/ernaehrung-fuer-aeltere-menschen.html
17. Gagesch M, Wieczorek M, Abderhalden LA, Lang W, Freystaetter G, Armbrecht G, Kressig RW, Vellas B, Rizzoli R, Blauth M, Orav EJ, Egli A, Bischoff-Ferrari HA. Grip strength cut-points from the Swiss DO-HEALTH population. Eur Rev Aging Phys Act 2023;20(1):13. doi: 10.1186/s11556-023-00323-6. PMID: 37543639; PMCID: PMC10403936.
18. Kiss CM, Bertschi D, Beerli N, Berres M, Kressig RW, Fischer AM. Calf circumference as a surrogate indicator for detecting low muscle mass in hospitalized geriatric patients. Aging Clin Exp Res 2024;36(1):25. doi: 10.1007/s40520-024-02694-x. PMID: 38321234; PMCID: PMC10847205.