Primärer Hyperaldosteronismus

Der primäre Hyperaldosteronismus ist die häufigste endokrine Hypertonie und mit einer Reihe von Folgeerkrankungen assoziiert. Die Prävalenz steigt mit der Schwere einer arteriellen Hypertonie an. Ein Screening kann grosszügig indiziert werden. Ein vollständiger Abklärungsgang ist allerdings aufwendig. Somit ist im Einzelfall auch die pragmatische Behandlung mit Spironolacton eine Option. Der initiale Labortest ist die Aldosteron-Renin-Ratio, die durch mehrere Faktoren beeinflusst wird. Bei bestätigter Diagnose ist die Frage zu klären, ob der Aldosteron-Exzess von einer oder beiden Nebennieren kommt. In den meisten Fällen ist dafür eine selektive Blutabnahme aus den Nebennierenvenen nötig. Bei Dokumentation eines lateralisierten Hyperaldosteronismus ist die Chirurgie Therapie der Wahl, andernfalls muss medikamentös behandelt werden mit einem Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten wie Spironolacton. In beiden Fällen gelingt meist eine substanzielle Verbesserung der Hypertonie und die Senkung der mit dem Hyperaldosteronismus assoziierten Morbidität und Mortalität.

Primary aldosteronism is the most common endocrine hypertension and is associated with a number of sequelae. Prevalence increases with the severity of arterial hypertension. Screening may be generously indicated. However, a complete diagnostic workup is elaborate. Thus, in individual cases, pragmatic treatment with spironolactone is an option. The initial laboratory test is the aldosterone-renin ratio, which is influenced by several factors. Upon confirmed diagnosis, the question arises whether the aldosterone excess comes from one or both adrenal glands. In most cases, selective blood sampling from the adrenal veins is necessary. In case of lateralized hyperaldosteronism, surgery is the therapy of choice; otherwise, medical treatment with a mineralocorticoid receptor antagonist such as spironolactone must be pursued. In both cases, a substantial improvement in hypertension and a reduction in morbidity and mortality associated with hyperaldosteronism is usually achieved.
Key Words: sekundäre Hypertonie, Hyperaldosteronismus-Screening, Aldosteron-Renin-Ratio, Aldosteron-Lateralisation

Die Bedeutung von Aldosteron aus einem evolutionären Blickwinkel war die Sicherstellung einer ausreichenden Salzversorgung in einem ursprünglich sehr salzarmen Umfeld. Die Ernährung des Menschen hat sich über die Zeit erheblich gewandelt, die Salzzufuhr liegt in den entwickelten Industrieländern vielfach bei deutlich mehr als 4g pro Tag. Zur Aufrechterhaltung des Volumenstatus und Blutdrucks ist der Mensch vor diesem Hintergrund heute weit weniger auf Aldosteron angewiesen (1). Hingegen ist ein Aldosteronüberschuss ein immer häufigeres Problem.

Pathophysiologie

Die Aldosteron-Produktion in der Zona glomerulosa der Nebennierenrinde ist im Wesentlichen reguliert durch die Konzentration von Angiotensin II und Kalium. Bei Abfall von extrazellulärem Volumen und damit renaler Perfusion wird die Renin-Sekretion stimuliert, was die Kaskade über Angiotensin I und II zu Aldosteron in Gang setzt. Aldosteron führt zur Salz- und Wasser-Rückresorption. Diese Renin-abhängige Aldosteronwirkung ist entscheidend für die Sicherung des Volumenstatus und Blutdrucks. Hyperkaliämie führt ebenfalls zu einer Aldosteron-Stimulation, dieser Renin-unabhängige Mechanismus wird aber meist überlagert durch die Volumen- und Salz-Regulation (1).
Ein Aldosteron-Exzess – unabhängig von Renin und nicht reguliert durch Volumen- und Salzhaushalt – führt in letzter Konsequenz zu arterieller Hypertonie und Hypokaliämie. Im frühen Stadium einer solchen Dysregulation kann allerdings die Volumenexpansion kompensiert werden. Primärer Hyperaldosteronismus ist in dem Sinn ein Kontinuum, das von nicht-supprimierbarem Aldosteron und normalem Blutdruck über sog. «low renin hypertension» mit milder Hypertonie und normalem Kalium bis zu schwerer / resistenter Hypertonie und Hypokaliämie reicht. Parallel dazu steigt das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Herz- und Niereninsuffizienz (Abb. 1).

Seit der Erstbeschreibung des primären Hyperaldosteronismus durch Jerome Conn im Jahr 1954 (2) hat sich das Verständnis und die Bedeutung der Erkrankung stark gewandelt. Von einer seltenen Entität ist es zur häufigsten sekundären Hypertonie «aufgestiegen». Die Prävalenz liegt zwischen 5 und 15% bei Personen mit arterieller Hypertonie (3), bei sog. therapierefraktärer Hypertonie findet man Zahlen bis 30% (4). Diese Angaben schwanken erheblich, nicht nur abhängig von der untersuchten Population, sondern auch von den verwendeten Grenzwerten. Die klassische Unterteilung zwischen unilateralem Aldosteron-produzierendem Adenom («Conn-Adenom») und bilateralem idiopathischen Hyperaldosteronismus wird durch neue molekulare und genetische Erkenntnisse modifiziert (5). Somatische Mutationen in Genen, die in der Zona glomerulosa der Nebennierenrinde exprimiert werden, führen zur Aldosteron-Überproduktion; nur selten handelt es sich um Keimbahn-Mutationen, die einen autosomal-dominanten Familiären Hyperaldosteronismus zur Folge haben. Histopathologisch finden sich Cluster von Aldosteron-produzierenden Zellen, die oftmals somatische Mutationen tragen (6, 7). Damit wird eine gewisse Lateralisierung auch bei bilateralem Hyperaldosteronismus verständlich und illustriert den Hyperaldosteronismus ebenso als Kontinuum zwischen streng unilateraler und bilateraler Erkrankung, was für Diagnostik und Therapie bedeutsam ist.

Morbidität

Schon lange bekannt ist die Assoziation mit Komorbiditäten, die zumindest teilweise über die direkten Hypertonie-Folgen hinausgehen. Die Inzidenz von Herzinfarkt, Schlaganfall, Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz ist deutlich höher bei Personen mit primärem Hyperaldosteronismus im Vergleich zu Personen mit essentieller Hypertonie von gleichem Ausmass (8, 9). Dieses Exzess-Risiko kann bei erfolgreicher Therapie (operativ wie medikamentös mit Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten) gesenkt werden, womit die Bedeutung einer frühzeitigen Erkennung und Behandlung unterstrichen wird. Zusätzlich gibt es eine Assoziation von Aldosteron-Exzess und metabolischem Syndrom und Adipositas (10), was die hohe Koinzidenz mit obstruktiver Schlafapnoe erklären könnte (11). Darüber hinaus wird auch eine Assoziation mit Osteoporose beschrieben (12), sogar ein erhöhtes Risiko für Depression und Demenz wurde beobachtet (13).

Screening

Trotz der relativ hohen Prävalenz und vermeidbaren Folgen bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung wird der primäre Hyperaldosteronismus weiterhin selten gesucht und spät erkannt (14). Vor diesem Hintergrund wird die Diskussion über das Screening geführt. In praktisch allen akzeptierten Guidelines wird eine Abklärung bei schwerer oder resistenter Hypertonie empfohlen mit zusätzlichen Faktoren wie Hypokaliämie oder OSAS (Tab. 1). De facto findet ein Screening am häufigsten im Kontext eines Nebenniereninzidentaloms statt (mit entsprechend geringer Ausbeute). Ein universelles Screening aller Personen mit arterieller Hypertonie, wie von verschiedenen Experten immer wieder propagiert, würde eine grosse logistische Herausforderung bedeuten, die unser Gesundheitssystem in der Schweiz wohl nicht leisten könnte. Noch eher denkbar wäre ein Screening jeweils bei Neudiagnose einer Hypertonie, zumal dann noch ohne Medikation die Interpretation der Laborwerte deutlich einfacher ist. Das Problem von Grenzbefunden bei nicht allgemein akzeptierten Diagnosekriterien und komplexer Abklärung bliebe freilich auch dann.

Als Standardtest zum Screening ist die Bestimmung der Aldosteron-Renin-Ratio (ARR) etabliert (15, 16). Die Beeinflussung beider Hormone und damit der Ratio durch zahlreiche Faktoren ist erheblich. Dazu gehören analytische Aspekte (immunologische vs. spektrometrische Messung, Bestimmung von Renin-Aktivität vs. -Konzentration), v.a. aber präanalytische Faktoren. In erster Linie sind das Medikamente, die Renin bzw. Aldosteron verändern (Tab. 2). Die Ratio kann in solchen Fällen falsch-positiv oder falsch-negativ ausfallen. Ideal ist die Umstellung der antihypertensiven Medikation auf solche, die die ARR vergleichsweise wenig tangieren (Kalzium-Antagonisten, Doxazosin, Moxonidin), nicht immer ist dies praktikabel. Allerdings können gelegentlich nach einer solchen Umstellung bessere Blutdruckwerte beobachtet werden als befürchtet, da die Adhärenz zur vorherigen Therapie sicher teilweise nicht optimal war. Konkret sollen wenn immer möglich zumindest Betablocker und Diuretika zwei Wochen pausiert sein, Spironolacton sogar vier Wochen, bevor eine Messung der ARR erfolgt. Da auch Tageszeit und Position eine Rolle spielen, ist eine Bestimmung am Morgen und in sitzender Position empfohlen. Wegen dennoch grosser intraindividueller Schwankungen sollte mindestens zweimal gemessen werden, bevor ein primärer Hyperaldosteronismus weiter abgeklärt oder ausgeschlossen wird (17).

Der ARR cut-off ist Gegenstand vieler Diskussionen. Bei Anwendung von Immunoassays mit Aldosteron in pmol/l und direkter Renin-Konzentration in mU/l wird ein cut-off von 50 als optimal angesehen. Tiefere Werte haben eine höhere Sensitivität zu Lasten der Spezifität, bei höherem cut-off ist es umgekehrt. Die ARR hängt stark vom Renin ab; bei sehr tiefen Renin-Werten kann die ARR hoch sein trotz tiefen Aldosterons, eine Konstellation die mit einem primären Hyperaldosteronismus schlecht vereinbar ist. Von vielen Autoren wird deshalb ein erhöhtes Aldosteron für eine Verdachtsdiagnose verlangt, die Grenze dafür ist allerdings arbiträr. Ein nicht supprimiertes Renin (>10mU/l) ohne interferierende Medikation ist ebenfalls nicht vereinbar mit einem primären Hyperaldosteronismus. Eine alleinige Beurteilung der ARR – unabhängig davon welcher cut-off gewählt wird – ist jedenfalls nicht ausreichend, die Werte von Aldosteron und Renin müssen jeweils plausibel sein.

Bestätigung

Bei auffälligem Screening i.S. erhöhter ARR unter den o.g. Aspekten ist in den meisten Fällen ein Bestätigungstest erforderlich. Dieser basiert auf der Annahme, dass die Aldosteron-Produktion bei normaler Regulation unterdrückt werden kann. Dafür sind mehrere Tests möglich, am verbreitetsten ist der Salzbelastungstest, der zu einer Renin-Suppression und damit verringerten Aldosteron-Produktion führen müsste. Der Test kann mit oraler Salzzufuhr über mehrere Tage erfolgen, besser standardisiert ist die intravenöse Zufuhr: 2 L NaCl 0.9% über 4 Std., früher meist bei liegendem Patienten, heute überwiegend im Sitzen (18). Eine Aldosteron-Suppression <170pmol/l ist physiologisch, ein Wert >220pmol/l ist sehr suspekt auf einen primären Hyperaldosteronismus, es verbleibt ein Graubereich. Nicht nur dieser, sondern auch die Auswahl verschiedener möglicher Bestätigungstests illustriert den fehlenden Goldstandard. Unterschiedliche Tests, verwendete Assays und Grenzwerte führen zumindest bei mildem Hyperaldosteronismus zu grosser Variabilität und Interpretation der Resultate. Eine Standardisierung wäre für eine einheitliche Diagnose und bessere Behandlung nützlich (19).

Hingegen kann in eindeutigen Situationen – hohes Aldosteron, supprimiertes Renin, Hypokaliämie – auf einen Bestätigungstest verzichtet werden. Das gilt gleichermassen, wenn eine Weiterabklärung mit dem Ziel einer möglichen Operation ohnehin nicht in Betracht kommt. In solchen Fällen kann eine medikamentöse Behandlung mit einem Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten ohne Verzögerung gestartet werden.

Bildgebung und Sampling

Wenn betroffene Personen Kandidaten für eine Operation sind und diese auch wünschen, dienen die nächsten Abklärungsschritte dem Nachweis einer Lateralisation des Hyperaldosteronismus. Wie bereits erwähnt, ist die klare Abgrenzung von unilateraler und bilateraler Aldosteronquelle – dem früheren Konzept der Erkrankung als Adenom vs. Hyperplasie – nicht mehr immer möglich. Ein unilateraler Hyperaldosteronismus kann Ausdruck einer asymmetrischen multifokalen bilateralen Erkrankung sein. Auch diese Personen können von einer Adrenalektomie profitieren, auch wenn es danach nicht zu einer vollständigen «biochemischen Heilung» kommt.

Die Computertomographie dient einerseits dem Ausschluss eines Adrenocorticalen Karzinoms (als sehr seltene Ursache eines Hyperaldosteronismus), andererseits der anatomischen Vorbereitung des Nebennierenvenen-Samplings. Das MRT ist dem CT unterlegen und somit nur selten indiziert (20). Ein Nachweis eines Nebennierenadenoms entspricht nur bei jüngeren Personen (<35 Jahren) mit hinreichender Sicherheit einem Aldosteron-produzierenden Adenom, so dass in dem Fall direkt die Operation geplant werden kann. Man geht davon aus, dass ein Nebennieren-Inzidentalom in dieser Altersgruppe selten ist. In allen anderen Fällen braucht es das Nebennierenvenen-Sampling als Goldstandard zum Entscheid, ob eine einseitige oder beidseitige Quelle (Lateralisierung) des Hyperaldosteronismus vorliegt. Diese Untersuchung ist technisch anspruchsvoll, teuer und ebenfalls kaum standardisiert. Die Erfolgsrate ist in grossen Zentren bis >90% und hängt vollständig von der Erfahrung des interventionellen Radiologen ab (21). Eine Übereinstimmung des Sampling-Resultats mit dem CT-Befund – also z.B. Lateralisation nach links und Adenom links oder keine Lateralisation und kein Adenom – findet sich nur in gut der Hälfte der Fälle, entsprechend viele Ergebnisse sind «diskordant» (22). Zur Beurteilung, ob das Sampling erfolgreich ist, die Katheter also tatsächlich die beiden Nebennierenvenen erreicht haben, wird zunächst der Selektivitätsindex verwendet: Cortisol aus der Nebennierenvene muss mindestens doppelt so hoch sein wie aus einer peripheren Vene resp. der inguinalen Schleuse. Der Faktor liegt sogar bei 5, wenn die Untersuchung bei laufender ACTH-Infusion erfolgt, was ebenfalls je nach Zentrum unterschiedlich gehandhabt wird. Eine Cortisol-Schnellbestimmung erleichtert die Erfolgsbeurteilung, da das Resultat noch während des Samplings vorliegt und die Untersuchung ggf. wiederholt werden kann. Der Lateralisationsindex folgt in einem nächsten Schritt: der Quotient aus Aldosteron und Cortisol aus den beiden Nebennierenvenen muss um mindestens Faktor 4 verschieden sein, um eine Lateralisation anzuzeigen. Die Durchführung wie auch die Interpretation des Nebennierenvenen-Samplings ist komplex und kann in unterschiedlichen Zentren zu verschiedenen Diagnosen führen (23), was die Notwendigkeit einer Harmonisierung unterstreicht bzw. nach anderen diagnostischen Verfahren verlangt (funktionelle Bildgebung, Steroidprofile), welche allerdings noch nicht Eingang in die klinische Routine gefunden haben.

Therapie

Bei Diagnose eines lateralisierten Hyperaldosteronismus ist ein chirurgisches Vorgehen (Adenom-Exstirpation bzw. Adrenalektomie) Therapie der Wahl. Dadurch gelingt idealerweise die biochemische Remission, also Normalisierung der Aldosteron-Renin-Ratio, wie auch Senkung des Blutdrucks und der assoziierten Folgeerkrankung (24). Da nicht selten eine schon länger bestehende arterielle Hypertonie durch späte Diagnose des primären Hyperaldosteronismus oder auch eine zusätzliche essentielle Hypertonie-Komponente vorliegt, wird der Blutdruck nach chirurgischer Therapie nur in gut einem Drittel der Fälle vollständig normalisiert, zu einem grossen Teil aber substantiell verbessert (24).

Die Mehrzahl der Personen mit primärem Hyperaldosteronismus weist keine eindeutige Lateralisierung auf und sollte mit einem Mineralokortikoid-Rezeptorantagonist behandelt werden. Diese Therapie kann das Ergebnis der vollständigen Abklärung sein oder auch ein pragmatischer Entscheid zu einem früheren Zeitpunkt. Zur Verfügung stehen Spironolacton und Eplerenon, wobei letzteres in der Schweiz zur Behandlung von arterieller Hypertonie bzw. primärem Hyperaldosteronismus nicht zugelassen ist. Spironolacton kann v.a. wegen der antiandrogenen Nebenwirkungen bei Männern (insb. Gynäkomastie) problematisch sein, welche dosisabhängig bei bis zu 50% auftreten können (25). Der Wirkungseintritt von Spironolacton dauert mehrere Wochen, die Startdosis ist 25mg 1x tgl. Häufig ist eine Kombinationsbehandlung mit anderen Antihypertensiva nötig, wofür sich insb. Amilorid anbietet (in der Schweiz nur in Kombination mit Thiazid verfügbar). Eine Hyperkaliämie tritt im Gegensatz zur Herzinsuffizienz-Behandlung selten auf. Wenn wegen Unverträglichkeit von Spironolacton stattdessen Eplerenon eingesetzt wird, ist (neben einer Kostengutsprache) die Einnahme 2x pro Tag in höherer Dosis nötig, um einen vergleichbaren Effekt wie mit Spironolacton zu erreichen, was die Behandlung deutlich teurer macht. Das Ziel einer medikamentösen Therapie ist neben der Blutdrucksenkung jedenfalls auch die Korrektur des Hyperaldosteronismus, zu messen an der Renin-Suppression. Sofern ein Anstieg von Renin gelingt, kann die eingangs skizzierte Exzess-Morbidität und Mortalität des Hyperaldosteronismus vergleichbar einer Adrenalektomie reduziert werden (26).

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Dr. med. Tilman Drescher

Leitender Arzt Endokrinologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstr. 95
9007 St. Gallen

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Der primäre Hyperaldosteronismus als häufigste endokrine Hypertonie rechtfertigt ein grosszügiges Screening, in gewissen Fällen kann aber auch eine pragmatische Behandlung mit Spironolacton erfolgen.
◆ Bei einer ARR <20 oder einem Aldosteron <170pmol/l oder einem Renin >10mU/l ohne interferierende Medikation ist die Diagnose ausgeschlossen.
◆ Bei einer ARR >50 und Aldosteron >400pmol/l und Renin <10mU/l ohne interferierende Medikation ist die Diagnose sehr wahrscheinlich.
◆ Wenn eine Lateralisation des Hyperaldosteronismus nachgewiesen werden kann, profitieren die Personen von einem chirurgischen Vorgehen, ansonsten erfolgt die Behandlung mit einem Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten, in beiden Fällen mit dem Ziel der Normalisierung von Blutdruck, Kalium und Renin (d.h. Anstieg >10mU/l).

1. Turcu AF et al. Primary aldosteronism – a multidimensional syndrome. Nature Rev Endocrinol 2022; 18: 665-82
2. Conn JW. Presidential address. I. Painting background. II. Primary aldosteronism, a new clinical syndrome. J Lab Clin Med 1955; 45: 3-17
3. Rossi GP et al. A prospective study of the prevalence of primary aldosteronism in 1125 patients. J Am Coll Cardiol 2006; 48: 2293-300
4. Brown JM et al. The unrecognized prevalence of primary aldosteronism: a cross-sectional study. Ann Intern Med 2020; 173: 10-20
5. Zennaro M et al. Genetic causes of functional adrenocortical adenomas. Endocr Rev 2017; 38: 516-37
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7. Omata K et al. Cellular and genetic causes of idiopathic hyperaldosteronism. Hypertension 2018; 72: 874-80
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23. Lethielleux G et al. Influence of diagnostic criteria on the interpretation of adrenal vein sampling. Hypertension 2015; 65: 849-54
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25. Pitt B et al. The effect of spironolactone on morbidity and mortality in patients with severe heart failure. New Engl J Med 1999; 341: 709-17
26. Hundemer G et al. Cardiometabolic outcomes and mortality in medically treated primary aldosteronism: a retrospective cohort study. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6: 51-59

Die leise Gefahr im Hintergrund: Es ist Zeit, systematisch an die Niere zu denken

Die chronische Niereninsuffizienz verursacht weltweit eine erhebliche Morbidität und ist einer der Gründe für eine erhöhte Mortalität. Dies ist in der Schweiz trotz des sehr guten Gesundheitssystems leider nicht anders. Prävalenzdaten zeigen, dass eine von zehn Personen hierzulande an einer chronischen Niereninsuffizienz leidet. Eine frühe Erkennung und Intervention kann das Fortschreiten der chronischen Niereninsuffizienz verlangsamen und Krankheitskomplikationen vermindern. Dadurch werden Folgekosten gesenkt und nicht zuletzt auch die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten verbessert. Eine kürzlich veröffentlichte Auswertung zeigt jedoch, dass in der Primärversorgung in der Schweiz das Management der chronischen Niereninsuffizienz stark variiert. Entsprechende Weiterbildungsmassnahmen können helfen, um die beobachteten Abweichungen zu reduzieren.

Chronic kidney disease causes considerable morbidity worldwide and is one of the reasons for increased mortality. Unfortunately, this is no different in Switzerland despite the good healthcare system. Prevalence data show that one in ten people in our country suffers from CKD. Early detection and intervention can slow down the progression of CKD and reduce disease complications. This reduces follow-up costs and, not least, improves patients’ quality of life. However, a recently published evaluation shows that the management of CKD in primary care in Switzerland varies greatly. Appropriate further training measures can help to reduce the observed deviations.
Key Words: chronic kidney disease, early detection, albuminuria

Dieser Artikel entstand aus der Teilnahme der Autorinnen und Autoren an einem von der Firma AstraZeneca initiierten Round Table im Rahmen eines Projektes zur Steigerung des Bewusstseins für die chronische Niereninsuffizienz in der Grundversorgung. Die Prävalenz dieser Erkrankung nimmt zu, und es besteht die Notwendigkeit, dass die Grundversorgerinnen und -versorger eine führende Rolle bei ihrer Früherkennung übernehmen.

Die Leise Gefahr im Hintergrund

Die Prävalenz der chronischen Niereninsuffizienz (engl.: chronic kidney disease, CKD) ist in der Schweiz hoch und es wird aktuell prognostiziert, dass sie bis 2040 die fünfthäufigste Todesursache sein wird (1) – diese Tatsache hängt mit dem Älterwerden der Bevölkerung und dem Zunehmen von «Volkskrankheiten» wie Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie und Übergewicht zusammen.

Aktuell ist einer von zehn Erwachsenen in der Schweiz von CKD betroffen, doch neun von zehn Betroffenen wissen nichts von ihrer Erkrankung (2, 3, 4). Dies aufgrund der meist asymptomatisch und schmerzlos verlaufenden Niereninsuffizienz. Eine schweizerische, multizentrische Querschnittsstudie hat gezeigt, dass in der Hausarztpraxis sogar 23 Prozent der Patienten und Patientinnen von einer CKD betroffen sind (5).

Die Schweizerische Gesellschaft für Nephrologie (SGN) hat im November 2021 einen Pocketguide zur systematischen Früherkennung der CKD veröffentlicht (3). Dieser bietet eine einfache Übersicht, wie man bei der Früherkennung und Einteilung der CKD in der allgemeinen inneren Medizin vorgehen sollte. Es wird empfohlen, die Nierenwerte von Risikopatientinnen und -patienten regelmässig (mindestens einmal jährlich) zu überprüfen: speziell bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus, arterieller Hypertonie und kardiovaskulären Erkrankungen. Wichtig ist, dass man sowohl eGFR (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate) als auch UACR (Urin-Albumin-Kreatinin-Ratio) bestimmt. Beides sind diagnostische Kriterien für das Vorliegen einer CKD, d.h. eine CKD kann übersehen werden, wenn man nur die eGFR bestimmt. Zudem sind beide Parameter notwendig, um die korrekte Einteilung und Risikostratifizierung einer CKD vornehmen zu können (Abb. 1) (3).

Analyse in der Hausarztmedizin zeigt grosse Abweichungen bei Nierenwert-Kontrollen

Eine kürzlich veröffentliche, retrospektive Analyse eines Kollektivs an Hausarztpraxen zeigt ein heterogenes Bild: Während bei den meisten Ärztinnen und Ärzten eine hohe Awareness bezüglich Nephrotoxizität von nichtsteroidalen Antirheumatika besteht, gibt es grosse Abweichungen, was die regelmässige Kontrolle der Nierenwerte von Individuen mit einem erhöhten CKD-Risiko betrifft. Darüber hinaus wird nur bei 18 Prozent der Betroffenen mit etablierter CKD innerhalb von 18 Monaten eine Albuminurie-Messung zum Monitoring durchgeführt (6). Diese Ergebnisse unterstreichen, dass es wichtig ist, das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Früherkennung der Nierenkrankheit in den Arztpraxen zu verbessern. Dadurch kann für viele Betroffene die Nierenfunktion erhalten und Gesundheitskosten eingespart werden (7, 8).

Weshalb die CKD unterdiagnostiziert ist und CKD-Patientinnen und -Patienten oft unterversorgt sind

Im Hinblick auf die chronische Nierenkrankheit sind das Wissen und das Interesse im Gesundheitssystem mangelhaft (9, 10). Die Nieren haben im Vergleich zu anderen Organen nicht denselben «Attraktivitätsfaktor». Jahrzehntelang gab es wenig therapeutische Verbesserungsmöglichkeiten zur Verlangsamung der Nierenkrankheit (11, 12). Daher überrascht es nicht, dass es an Bewusstsein und Wissen um die systematische Früherkennung der CKD in der ärztlichen Grundversorgung mangelt. In der Grundversorgung wird die regelmässige Abklärung der Nierenwerte bei Diabetes-Patientinnen und -patienten bereits gut umgesetzt, dies ist jedoch weniger der Fall bei Hypertonie-Betroffenen und bei Personen mit kardiovaskulären Erkrankungen (6).

Speziell die Durchführung des UACR-Tests zur quantitativen Bestimmung der Albuminurie ist wenig etabliert (6). Das führt dazu, dass viele Patientinnen und Patienten gar keine oder eine zu späte CKD-Diagnose bekommen. Oft ist die Nierenschädigung dann bereits fortgeschritten. Zudem kann ohne das Wissen über die quantitative Albuminausscheidung nicht die richtige Therapie gewählt werden.

Diese Faktoren zeigen, dass es wünschenswert wäre, routinemässige Abläufe zur CKD-Früherkennung in der Grundversorgung zu etablieren und zu konsolidieren.

Viele Menschen sind sich nicht bewusst, wie relevant eine gute Nierenfunktion ist

Viele Patientinnen und Patienten sind sich zudem nicht bewusst, wie relevant die Nierenfunktion ist: Sie sind oft gut informiert über ihre Blutzucker-, Blutdruck- und Cholesterinwerte – was «gesunde» Nierenwerte sind, wissen jedoch die allerwenigsten.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich eine chronische Niereninsuffizienz im frühen Stadium kaum durch Krankheitszeichen bemerkbar macht und meist völlig symptomfrei verläuft.

Das komplexe und fragmentierte Gesundheitssystem in der Schweiz erschwert es zudem, CKD-Betroffenen eine frühe Diagnose zu ermöglichen: Elektronische Informationssysteme zur Verwaltung der Patientendaten erlauben es meist nicht, systematisch nach Risikopatientinnen und -patienten zu suchen. Aus Datenschutzgründen sind auch «Alerts», welche zur Nierenkontrolle aufrufen, umstritten. Und darüber hinaus gibt es keine Qualitätsindikatoren oder Chronic-Care-Management-Tools, wie man sie bereits vom Diabetes mellitus oder anderen Fachbereichen kennt, die im Praxisalltag Unterstützung bieten könnten.

All diese genannten Faktoren zu erkennen, Lösungswege zu erarbeiten und umzusetzen, sind wichtige Schritte, um die Unterversorgung bei der CKD anzugehen.

Ein gezieltes Weiterbildungsprogramm zur CKD als Teamaktivität in der Hausarztpraxis

Eine Fokusgruppe aus Expertinnen und Experten der Nephrologie und der Grundversorgung hat zusammen mit AstraZeneca, Abbott und AxonLab ein Weiterbildungsprogramm entwickelt, das auf die Herausforderungen rund um die CKD-Früherkennung in der Hausarztpraxis eingehen soll.

Während des letzten Jahres erklärten sich 71 Arztpraxen bereit, bei diesem Programm mitzumachen. Ziel war es, die systematische Umsetzung der SGN-Empfehlungen zur Früherkennung der CKD (Pocketguide CKD) in der eigenen Praxis zu etablieren und während 2 Wochen regelmässig zu monitorisieren. Der Fokus lag dabei auf der routinemässigen Kontrolle der Nierenwerte eGFR undUACR bei der Risikopopulation, wie vom SGN-Pocketguide empfohlen, um eine korrekte CKD-Risikostratifizierung anhand der KDIGO-Heatmap durchführen zu können. Speziell bei der oft nicht üblichen Albuminurie-Messung und Bestimmung des UACR-Wertes wurden Hilfestellungen und Empfehlungen gegeben.

Das als «DenCKDran» bezeichnete Programm beinhaltete für das gesamte Praxisteam im Detail:

  • eine gezielte CKD-Schulung für das gesamte Praxisteam
  • eine individuelle Beratung der praxiseigenen Möglichkeiten zur CKD-Früherkennung inklusive Unterstützung rund um Laboranalysen und Laborgeräte sowie Informationen zur Rückvergütung der Labortests
  • eine Selbstüberprüfung mittels einer Umfrage, ob die Ziele zur systematischen CKD Früherkennung erreicht wurden, und ein Vergleich zum Schnitt aller Teilnehmenden.

In der systematischen Erhebung einfacher Datenpunkte während der zwei Wochen, in denen das Programm durchgeführt wurde, konnten folgende interessante Erkenntnisse gewonnen werden (13):

  • Jede vierte Person in der Hausarztpraxis gehört zur Risikogruppe für eine CKD.
  • Zwei Drittel der Risikogruppe konnten in den zwei Wochen systematisch auf ihre Nierenwerte getestet werden.
  • Bei jedem zehnten Risikopatienten respektive -patientin konnte eine potentielle CKD erkannt werden.

Was auffällt: Der in diesem Programm erhobene Anteil an Risikopatienten und Risikopatientinnen stimmt überein mit jenem in der Schweizerischen Querschnittsstudie zur CKD-Prävalenz in der Hausarztpraxis (5).

Trotz intensiver Weiterbildungsmassnahmen und Hilfestellungen wurde noch immer ein Drittel der Risikopopulation nicht wie empfohlen getestet. Eine systematische Erhöhung der Testrate in der Risikopopulation benötigt grosse Anstrengung.

Diese Resultate und das Feedback zeigen aber auch, dass sich eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik auszahlt. Die strukturierte Schulung, die über einen reinen «Frontalunterricht» hinausgeht, und die Inhalte wurden geschätzt, da das Thema CKD nicht oft besprochen wird.
Und die wichtigste Erkenntnis: Ein solches Programm bindet das gesamte Praxisteam mit ein und lässt es gemeinsam aktiv werden. Dadurch haben auch die medizinischen Praxisassistenten und -assistentinnen profitiert, was die Abläufe in der täglichen Praxis unterstützen konnte.
Man sieht, welchen grossen Einfluss die Grundversorgung potentiell auf die Nierengesundheit haben kann. Der Schlüssel zum Erfolg besteht darin, am Thema dranzubleiben, sich regelmässig weiterzubilden, sich mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen und das ganze Praxisteam einzubinden.

Ein Fazit eines Teilnehmers: «In der hausärztlichen Praxis ist die Prävention wichtig. Mittels simpler Methoden kann die Nierenfunktion erfasst werden. Eine chronische Niereninsuffizienz kann positiv beeinflusst und dadurch der Verlauf verlangsamt werden.»

Eine solche einzelne Initiative zeigt jedoch auch, dass immer noch ein weiter Weg bleibt, um das Bewusstsein für die CKD in der Gesundheitsversorgung zu stärken und die systematische Früherkennung von CKD zur Routine werden zu lassen. Dazu bedarf es der Zusammenarbeit aller Akteure im Gesundheitswesen und eines stärkeren Bewusstseins für die chronische Niereninsuffizienz.

Abkürzungen:
CKD: chronische Niereninsuffizienz, engl. chronic kidney disease
eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate, engl. estimated glomerular filtration rate
KDIGO: Kidney Disease: Improving Global Outcomes
SGN: Schweizerische Gesellschaft für Nephrologie
UACR: Urin-Albumin-Kreatinin-Verhältnis, engl. urine albumin-creatinine ratio

Dr. med. Stephen Woolley 1*
Dr. med. Thaka Pathmanathan 2*
Dr. med. Levy Jäger 3
Thomas Hunziker 4
Dr. med. Aurelia Schnyder 5
PD Dr. med. Harald Seeger 6
Dr. med. Hans-Rudolf Räz 6,7
1 Arztpraxis Woolley, Wollerau
2 Arztpraxis Volketswil, Volketswil
3 Institut für Hausarztmedizin, Universitätsspital Zürich, Zürich
4 Verband Nierenpatienten Schweiz, Praz/Vully
5 Klinik für Nephrologie und Transplantationsmedizin, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen
6 Nephrologie, Kantonsspital Baden AG, Baden
7 Doktorzentrum Mutschellen, Berikon
*Teilnehmende des DenCKDran-Weiterbildungsprogramms zur chronischen Niereninsuffizienz

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Dr. med. Stephen Woolley

Arztpraxis Woolley, Wollerau
Teilnehmer des DenCKDran-Weiterbildungsprogramms zur chronischen Niereninsuffizienz

Dr. med. Thaka Pathmanathan

Arztpraxis Volketswil, Volketswil

Teilnehmerin des DenCKDran-Weiterbildungsprogramms zur chronischen Niereninsuffizienz

Dr. med. Hans-Rudolf Räz

– Nephrologie, Kantonsspital Baden AG, Baden
– Doktorzentrum Mutschellen, Berikon

Dieser Artikel entstand aus der Teilnahme der Autor/-innen an einem von der Firma AstraZeneca initiierten Round Table im Rahmen eines Projektes zur Steigerung des Bewusstseins für die chronische Niereninsuffizienz in der Grundversorgung.

◆ Fast ein Viertel der Patientinnen und Patienten in der Schweizer Hausarztpraxis leiden an Niereninsuffizienz, ein Grossteil davon weiss nichts von der Erkrankung.
◆ Es besteht eine grosse Heterogenität bezüglich Früherkennung
und Management der chronischen Niereninsuffizienz in der
Hausarztmedizin.
◆ Gezielte Weiterbildungsmassnahmen für das ganze Praxisteam können helfen, diese Diskrepanzen zu verringern und die Früherkennung der chronischen Niereninsuffizienz in der Hausarztmedizin zu verbessern.
◆ Ein kürzlich veröffentlichter Pocketguide der Schweizerischen Gesellschaft für Nephrologie empfiehlt, die Nierenfunktion bei Patientinnen und Patienten mit arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus oder kardiovaskulären Erkrankungen mindestens einmal jährlich zu überprüfen. Dabei sollen sowohl die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) als auch das Urin-Albumin-Kreatinin-Verhältnis (UACR) bestimmt werden.

1. Foreman KJ, Marquez N, Dolgert A, et al. Forecasting life expectancy, years of life lost, and all-cause and cause-specific mortality for 250 causes of death: reference and alternative scenarios for 2016-40 for 195 countries and territories. Lancet. 2018;392(10159):2052-2090.
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https://www.swissnephrology.ch/wp/wp-content/uploads/2023/01/161121_SGN_Pocketguide_CKD_Web_A4_d_WZ.pdf; letzter Zugriff: 17.11.2023.
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Grenzen des elterlichen Vertretungsrechts bei der med. Behandlung von Kindern

Behandlung von Kindern

Die medizinische Behandlung minderjähriger Patienten erfolgt nach denselben Grundsätzen wie bei volljährigen Patienten. Sie haben das Recht auf eine kunstgerechte Behandlung, Wahrung des Berufsgeheimnisses und Datenschutz sowie Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes. Minderjährige haben grundsätzlich gesetzliche Vertreter. Ein Arzt muss aber vor jeder Behandlung abklären, ob der minderjährige Patient urteilsfähig oder urteilsunfähig ist.

Einschätzung der Urteilsfähigkeit

Die Urteilsfähigkeit wird vermutet, solange weder das Kindesalter noch andere Umstände gegen ihr Vorhandensein sprechen. Dabei zu berücksichtigen ist das Alter des Kindes, die Komplexität der in Frage stehenden Behandlung sowie der Gesundheitszustand und Entwicklungsstand des Kindes. Es gibt in der Schweiz keine definierte Altersgrenze. Je komplexer und schwerwiegender ein Eingriff ist, desto höher ist der Schwellenwert für die Urteilsfähigkeit anzusetzen. Der Arzt muss jene Entscheidung für jede Untersuchung und jeden Eingriff neu treffen und dokumentieren. Führt ein Arzt eine Behandlung auf Wunsch der Eltern trotz Protest des urteilsfähigen Kindes aus, riskiert dieser, dafür verurteilt zu werden.

Urteilsfähiges Kind

Ist ein Kind urteilsfähig, kann es allein über Durchführung einer oder Verzicht auf eine Behandlung entscheiden. Obwohl die Handlungsfähigkeit grundsätzlich erst ab dem 18. Lebensjahr gilt, gelten andere Richtlinien, wenn es um höchstpersönliche Rechte geht. Medizinische Behandlungen fallen genau in diesen Bereich der höchstpersönlichen Rechte, womit bei urteilsfähigen Minderjährigen die Handlungsfähigkeit gegeben ist. Der Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient kommt in diesem Fall ohne Genehmigung des gesetzlichen Vertreters zustande.

Urteilsunfähiges Kind

Ist ein Kind für urteilsunfähig erklärt worden, muss allein der gesetzliche Vertreter über die Behandlung aufgeklärt werden und trägt das Recht zur Entscheidung. Eltern sind die natürlichen gesetzlichen Vertreter ihres Kindes. Sie haben nach Art. 301 Abs. 1 und Art. 304 Abs 1 ZGB umfangreiche Vertretungsrechte, die auch bei medizinischen Behandlungen zum Zug kommen. Die Meinung des Kindes ist aber in jedem Fall zu berücksichtigen und es muss gemäss des hypothetischen Willens und objektiven Interesses des Kindes gehandelt werden. Das Kindeswohl ist im Kindesrecht immer das oberste Prinzip. Haben beide Elternteile das Sorgerecht, muss gemeinsam entschieden werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass immer zwingend beide Elternteile anwesend sein müssen. Gemäss Art. 304 Abs. 2 ZGB darf der gutgläubige Arzt davon ausgehen, dass jeder Elternteil im Einvernehmen mit dem anderen handelt. Bei sehr schwerwiegenden Eingriffen ist hier aber grosse Vorsicht geboten. Es wird angeraten, dass dann explizit das Einverständnis beider Elternteile eingeholt wird. Hat nur ein Elternteil das Sorgerecht, vertritt dieser das Kind alleine. Das andere Elternteil hat aber Recht auf Auskunft und Information. Falls die Eltern verhindert sind oder nicht in der Lage sind zu entscheiden, kann der Arzt in dringlichen Fällen medizinische Massnahmen nach dem mutmasslichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person ergreifen (Art. 379 ZGB).

Stiefeltern sind grundsätzlich nicht Inhaber der elterlichen Sorge, solange sie das Stiefkind nicht adoptiert haben. Trotzdem haben sie gemäss Art. 299 ZGB das Recht und die Pflicht, den leiblichen Elternteil zu vertreten, wenn es die Umstände erfordern. Sie sind in jedem Fall an den erklärten oder mutmasslichen Willen des Sorgerechtsinhabers gebunden.

Auch Pflegeeltern haben kein offizielles Sorgerecht. Sie sind aber berechtigt, die Eltern in der Ausübung der elterlichen Sorge zu vertreten, soweit es zur gehörigen Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlich ist und die Inhaber der elterlichen Sorge nicht anderes angeordnet haben. Bei medizinischen Notfällen können sie in jedem Fall einwilligen, falls die Eltern nicht rechtzeitig erreichbar sind. Ausschlaggebend ist hier vor allem der unterzeichnete Pflegekindvertrag.

Gemäss Art. 296 Abs. 3 ZGB steht minderjährigen Eltern keine elterliche Sorge zu. In diesen Fällen ernennt die Kindesschutzbehörde einen Vormund. Diesem Vormund stehen dann die gleichen Rechte wie einem erwachsenen Elternteil zu. Auch der Vormund hat in jedem Fall für das körperliche und psychische Wohl des Kindes zu sorgen.

Quellen:
1. https://www.fedlex.admin.ch/eli/oc/2011/114/de
2. https://www.skmr.ch/de/themenbereiche/kinderpolitik/artikel/kind_behandlung_medizinisch.html
3. www.swisslex.ch
4. Rechtliche Grundlagen im medizinischen Alltag FMH SAMW

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Prof. Dr. med. Dr. iur. Thomas D. Szucs

Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

thomas.szucs@hin.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

63. Ärztekongress in Davos

Der 63. Ärztekongress in Davos von Lunge-Zürich stand unter dem Motto «interaktiv – interdisziplinär – inspirierend». Dieser Bericht beschäftigt sich mit dem Workshop zum Thema Pneumologie, cystische Fibrose und eosinophile Ösophagitis

Update Pneumologie

Asthma


Asthma-Diagnostik: Deutsche Leitlinie nimmt exhaliertes NO (FeNO) und Eosinophile auf. Asthma ist weitgehend eine klinische Diagnose, stellte Prof. Dr. med. Silvia Ulrich, Direktorin der Klinik für Pneumologie, einleitend fest.

Lungenfunktion: Die Normalisierung der Obstruktion bestätigt die Diagnose. Ein negativer Reversibilitätstest schließt Asthma nicht aus. Bronchoprovokationstest (auch mit Prämedikation möglich). Weitere diagnostische Hilfsmittel und Phänotypisierung: FeNO, Eosinophile, Allergie. Das Management-Schema bei Erwachsenen umfasst 5 Stufen.

Stufe 1: Fixkombination aus ICS niedrig dosiert/Formoterol als Bedarfstherapie. Oder ICS niedrg dosiert als Langzeit­therapie + SABA als Bedarfstherapie.

Stufe 2: ICS niedrig dosiert als Langzeittherapie + SABA als Bedarfstherapie oder Fixkombination aus ICS niedrig dosiert/Formoterol als Bedarfstherapie. Alternativ in begründeten Fällen: LTRA-Langzeittherapie + SABA-Bedarfstherapie.

Stufe 3: ICS niedrig dosiert + LABA (bevorzugt) oder ICS mittel dosiert. Alternativen in begründeten Fällen ICS niedrig dosiert + LAMA oder ICS niedrig dosiert +LTRA. Zusätzliche Bedarfstherapie SABA oder Fixkombination ICS + Formeterol, wenn diese auch die Langzeittherapie darstellt.
Stufe 4: ICS mittel bis hoch dosiert + LABA (bevorzugt) oder ICS mittel bis hoch dosiert + LABA + LAMA, Alternative in begründeten Fällen ICS mittel bis hoch dosiert + LABA + LTRA oder ICS mittel bis hoch dosiert + LAMA.

Stufe 5: ICS in Höchstdosis + LABA ± LAMA, Je nach Phänotyp additive Therapie mit einem Antikörper der folgenden Biologika-Klassen Anti-IgE, Anti-IL-5-®, Anti-IL-4-R, Anti-TSLP. OCS nur bei fehlender Indikation oder Versagen einer Biologika-Therapie. Allergen-Immuntherapie bei gegebener Indikation (Asthmaschulung, Allergie-/Umweltkontrolle, körperliche Bewegung/Sport, Behandlung Komorbiditäten, Rehabilitation).

Schweres Asthma

Schweres Asthma ist definiert als unkontrolliertes Asthma unter Hochdosistherapie oder kontrolliertes Asthma, das nach Absetzen hochdosierter Kortikosteroide unkontrolliert wird. Bei schwerem Asthma wird zunehmend eine Phänotypisierung mit individualisierter Therapie durchgeführt.
Ziel der Behandlung mit Biologika bei schwerem Asthma ist die Reduktion der Exazerbationen, die Reduktion der systemischen Kortikosteroide, die Verbesserung der Asthmakontrolle, die Verbesserung der Lungenfunktion, die Reduktion der Bedarfsmedikation, die Verbesserung der Lebensqualität, die Aufrechterhaltung der Verträglichkeit.

Schweres Asthma mit ≥ 1 Exazerbation in den letzten 12 Monaten: Therapie mit Biologikum (Anti-IL-5-®, Anti-IL-4-R, Anti-TSLP). Auswahl nach Anamnese, Biomarker-Expression und Komedikation.

Weitere Anwendungen der Biologika

Omalizumab: Chronische spontane Urtikaria, Chronische Rhinosinusitis mit Polyposis nasi

Mepolizumab: Hypereosinophilie, chron. Rhinosinusitis mit Polyposis nasi, Churg Strausssyndrom

Dupilumab: Atopische Dermatitis, chron. Rhinosinusitis mit Polyposis nasi, Eosinophile Ösophagitis, Prungo nodularis

COPD
PRISm = preserved ratio impaired spirometry

Die Definition lautet≥0,7: FEV1/FVC +FEV1 <80% kombiniert mit respiratorischen Symptomen analog zur COPD. PRISm hat eine hohe Prävalenz und ist mit erhöhten respiratorischen Symptomen, systemischer Entzündung und Mortalität assoziiert.

Zugrunde liegt möglicherweise eine kardiale Störung, eine beginnende obstruktive oder restriktive Lungenkrankheit, eine Krankheit der kleinen Atemwege, ein Emphysem mit «gefesselter» Luft, eine inkomplette Inspiration als Folge mangelnder Mitarbeit/Zwerchfellschwäche.

Raucher mit normaler Spirometrie – sehr hohe Krankeitslast – Symptome, Exazerbationen…

Es gibt keine gesunden Raucher. Hohes kardiovaskuläres Risiko und Progression zu höhergradiger COPD. Small airway disease, geht im CT dem Emphysem voraus und ist oft schon vorhanden. Hohes Todesrisiko bei COPD wenn mehr Mucus Plugs im CT – whs. wegen erhöhten Exazerbationen.

Oszillatorischer positiver Ausatmungsdruck. Therapie bei COPD: RCT

Patienten mit stabiler COPD und (fast) täglicher Sputumproduktion. Outcome: Husten-bezogene QoL: LeicesterCough-Fragebogen. Zusätzlich Fatigue (FACIT-Score), EuroQoL 5, subjektive und objektive Reduktion der Hustenhäufigkeit und Symptomdifferenz. Erste RCT – da die Therapie kaum Nebenwirkungen hat und kostengünstig ist, ist sie einen Versuch wert.

Alpha-1-Antitrypsin Substitution

Akutes Absetzen der Substitution ist deletär (dies zeigte sich, als die irische Regierung die Kostenübernahme für die Substitution einstellte). Substitutionstherapie verlängert das Überleben: 616 Patientinnen (Irland, Schweiz, Österreich) mit einem mittleren α1-Antitrypsinspiegel von 0,25g/l wurden untersucht. Die Studie zeigte erstmals einen Effekt der Therapie auf die Mortalität. FEV1 spielte für diesen Effekt keine Rolle. Absurderweise beharren regulatorische Behörden trotzdem auf FEV1.

Interstitielle Lungenkrankheiten
ILA: Interstitielle Lungenabnormailitäten

– Zufällig in der CT entdeckt z.B. bei Coro-CT oder Lungenkarzinom-Screening
– Milchglastrübungen, Retikulationen, Architekturstörung, Traktionsbronchiektasen (Honigwaben-) Zysten
– Betreffen mindestens 5% einer Lungenzone (Unterfeld, Mittelfeld, Oberfeld). Sie dürfen nur diagnostiziert werden, wenn kein Verdacht auf eine interstitielle Lungenerkrankung besteht.

Subkategorien von ILA (interstitielle Lungenauffälligkeiten)

– Nicht subpleural: ILAs ohne vorherrschende subpleurale Lokalisation
– Subpleural, nicht fibrotisch: ILAs mit überwiegend subpleuraler Lokalisation ohne Anzeichen einer Fibrose
– Subpleural fibrotisch: ILAs mit überwiegend subpleuraler Lokalisation und Anzeichen einer Lungenfibrose z.B. anhand einer MESNA Arteriosklerose Studie: Insgesamt wurden im Zeitraum vom Jahr 2000-2012 fünf konsekutive CT in ca. 2-jährlichem Abstand, analysiert, 13944 Herz-CT. Raucherstatus (ex oder aktiv) und polygenetischer Risikoscore für idiopathische Lugenfibrose mit Inzidenz fibrotischer ILAs assoziiert (HR 2.31 bzw. 2.09).

ILA – Bedeutung und Management

– Je nach Kollektiv (Raucher-Screening, sonstige Zufallsbefunde) variiert die Prävalenz. In einem asiatischen Gesundheitsscreening betrug sie ca. 3%. Eine Progression ist bei 20% bis 80% in 2 bis 3 Jahren beschrieben. Subpleural am häufigsten progredient. Korrelation zur Histologie und genetischen Markern. Es wurden verschiedene Algorithmen vorgeschlagen, dabei ist aber noch viel zu definieren.
Fazit für die Praxis: Darauf achten und insbesondere bei klinischem Korrelat nachverfolgen.

Diffuse parenchymatöse Lungenkrankheiten

Bekannte Ursache , medikamentöse Therapie, Kollagenose
Idiopathische interstitielle Pneumonien, granulomatöse Sarkoidose, Andere (Lymphangioleiomyomatose, Langerhanszellhistiozytose). Man unterscheidet Nicht-Familiär (>80%) und Familiär (2-20%), sowie – Chronisch fibrosierend: idiopathische pulmonale Fibrose und idiopathisch nicht spezifische interstitielle Pneumonie (IPF)
– Akut-subakut-fibrosierend: Cryptogene organisierende Pneumonie und akute interstitielle Pneumonie.
– Raucher-assoziiert: Respiratorische Bronchiolitis interstitielle Lungenkrankheit, desquamative interstitielle Pneumonie.
Für anti-fibrotische Therapie braucht es bei Nicht IPF Fibrose den Nachweis eines progressiven Verlaufs (=progressive fibrosierende interstitielle Lungenkrankheiten).
Die Referentin präsentierte einen umfassenden Therapiealgorithmus (Podolanczuik AJ. ERJ 2023;61: 2200957).

Zusammenfassung zur Therapie der Lungenfibrose

– Genaue Diagnose und Einteilung, welche dann die Therapie (mit)bestimmt
– Gesamtkonzept einschliesslich pneumologischer Rehabilitation so früh wie möglich und an Lungentransplantation denken!
– Antifibrotische Therapie als first-line Therapie nur bei IPF (idiopathischer pulmonaler Fibrose), Sklerodermie assoziierter ILD und möglicherweise rheumatoider Arthritis mit ILD (insbesondere bei UIP-Muster)
– Nicht-IPF Risikostratifizierung für die Prognose wichtig, aber Kriterien für «progressive» noch nicht abschliessend festgelegt, >10% Abfall FVC in 2 Jahren
– Bei Patienten mit progressiver pulmonaler Fibrose (PPF)sollte immer versucht werden Kortikosteroide zu reduzieren oder abzusetzen und ggf. durch alternative Immunsuppressiva zu ersetzen, Nintendanib in Studien wirksam!

Pulmonale Hypertonie

Neue Therapieoptionen bei PAH dringend nötig stellte Frau Prof. Ulrich, fest.
Sotatercept – Activin II Rezeptor wird gehemmt – antiproliferativ.
Sotatercept ist hoffentlich bald eine neue, antiproliferative Therapieoption für schwere PAH. Fast alle Zusatz-Endpunkte sind positiv.

Schlaf-assoziierte Atemstörung

Korrekte Diagnose von Schlafapnoe: es braucht eine Level III Schlaf-Studie mit mind..4 Kanälen:
– Atemeffort (respiratory inductance plethysmography. RIP)
– Pulsoximetrie
– Nasenfluss
– EKG

Gemäss der American Academy of Sleep Medicine , dem American College of Chest Physicians und der American Thoracic Society werden IV Typen unterschieden.

Typ I Vollständig betreute Polysomnographie (sieben
oder mehr Kanäle) in einer Laborumgebung
Typ II Vollständige unbeaufsichtigte Polysomnographie
(sieben oder mehr Kanäle) Laborumgebung
Typ III Geräte mit begrenzten Kanälen (vier bis sieben Kanäle)
Typ IV Ein oder zwei Kanäle, in der Regel mit Oxymetrie
als einem der Parameter

Zusammenhang obstruktives Schlafapnoe-Syndrom und kardiovaskuläre Risikofaktoren

Zusammenhang zwischen Bluthochdruck und obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom (OSA) ist belegt. Bei Therapie-refraktärer arterieller Hypertonie immer an OSA denken, insbesondere wenn 24h BD keinen nächtlichen Abfall zeigt. Die CPAP-Therapie hat einen positiven Einfluss auf kardiovaskuläre Risikofaktoren und Endpunkte (MACE), Dies hängt aber von der Adhärenz ab. Ein Nutzen wird dann ersichtlich, wenn CPAP mind. 6h getragen wird.

Cystische Fibrose, früher Todesurteil, heute normales Leben?


Der Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator (CFTR) transportiert Chloridionen über die Zellmembran und spielt damit eine zentrale Rolle bei der Flüssigkeitshomöostase der Atemwege, indem er die Ionenkonzentration und den pH-Wert kontrolliert. Das CFTR-Protein reguliert den Wasser- und Salztransport in der Membran von Epithelzellen, stellte Prof. Dr. med. Alexander Möller, Universitäts-Kinderklinik Zürich, eingangs fest.

Mutationen im CFTR-Gen können die Bildung dieses Membranproteins beeinträchtigen. Die Konsequenzen sind eine Einschränkung des Chlorid-Ionen-Transports. Die veränderten Konzentrationsunterschiede der Ionen innerhalb und ausserhalb der Zelle führen zu Sekreten mit verringertem Wassergehalt und dadurch zähflüssigen Sekreten, die die feinen Kanäle verstopfen. Dies kann beispielsweise in der Lunge vorkommen.
Es existieren mehr als 2000 CFTR-Mutationen. Etwa die Hälfte sind F508del Homozygote. Am zweithäufigsten sind 508del Heterozygote, gefolgt von Gaiting Mutationen und ultraseltenen Mutationen.

CFTR-Mutation und Struktur

Grundsätzlich werden 2 Arten von Mutationen beschrieben, Mutationen, die die Anzahl CFTR-Proteine beeinträchtigen (Mengendefekt und Mutationen, welche die Funktionn des CFTR-Proteins beeinträchtigen (Funktionsstörung). Eine Abnahme der Wirkung des CFTR-Proteins auf 50% sieht man bei heterozygoten Gen-Trägern. Bei einer Abnahme auf 40% treten Symptome auf (z.B. chronischer Husten), bei einer Abnahme auf 25% treten CFTR-assoziierte Erkrankungen auf, wie Pankreatitis, Sinusitis, Infertilität nd bei einer Abnahme auf 10 % die cystische Fibrose, das Pankreas-ist noch suffizient, bei gänzlichem Ausfall der CFTR-Aktivität tritt Cystische Fibrose und Pankreas-Insuffizienz ein.

Cystische Fibrose – eine Multiorgankrankheit

Die verschiedenen Krankheiten, die mit der Cystischen Fibrose auftreten sind verminderte Lungenfunktion, häufige Lungeninfektionen, Entzündungen und fortschreitende Lungenerkrankungen, abnorm hohe Ausscheidung von Natrium und Chlorid über den Schweiss. Die exokrine Pankreasinsuffizienz und die daraus resultierende Unterernährung führen zu Gedeihstörungen, Verdauungsstörungen und Darmverschlüssen. Weiter treten Infektionen der Nasennebenhöhlen und Nasenpolypen auf. CFTR-Gen-Mutationen wurden ferne bei 42% von infertilen Männern mit CBAVD (Congenitale Bilaterale Aplasie des Vas delerens) gefunden.

Die Cystische Fibrose ist eine fortschreitende Erkrankung und eine tödliche Krankheit mit einem Mortalitätspeak bei 21-30 Jahren sowohl für Männer als auch für Frauen.

Therapeutische Optionen: heute, morgen, übermorgen

Die klassischen Therapieformen beinhalten den Einsatz von Mukolytika, Bronchodilatatoren, Inhalatoren mit hochprozentiger Kochsalzlösung, Antibiotika und autogene Drainage, eine physiotherapeutische Übung mit einer speziellen Atemtechnik, die das Abhusten erleichtern soll.
Neu sind die CFTR-Modulatoren. Sie haben das Ziel die Funktion des CFTR-Kanals zu verbessern oder sogar wiederherzustellen, damit der Salz-Wasser-Haushalt wieder im Gleichgewicht ist. Man unterscheidet Potentiatoren, Korrektoren 1 und Korrektoren 2.

Die Potentiatoren aktivieren die Öffnung des Kanals, die Korrektoren 1 vermindern die Elimination des Proteins und verbessern die Ausreifung des Proteins und die Korrektoren 2 verbessern die Proteinfaltung. Die CFTR-Modulatoren normalisieren die Lungenfunktion, erhöhen das Körpergewichts und verbessern die Pankreasfunktion. Der erste Potentiator der Kanalfunktion, der zugelassen wurde, ist Ivacraftor (Kalydeco®). Kalydeco® verbessert die Lungenfunktion und den Schweisstest. Zu den Korrektoren 1 gehören Orkambi® (Lumakraftor/Ivakraftor) und Symdeko® (Texacaltor/Ivacraftor und Ivacaltor), Trikafta (Elexacaltor, Tezacaltor, Ivacaltor) ist ein Korrektor 2. Diese CFTR-Modulatoren wirken bei unterschiedlichen Mutationen. Es sind aber noch nicht alle Mutationen abgedeckt, weshalb ein Teil der CF-Betroffenen noch nicht geheilt werden kann.

Konklusionen

– Die hocheffektiven CFTR-Modulator-Therapien haben profunde Effekte auf das Leben der behandelten CF-Betroffenen
– Physiologisch gesehen, «stoppen» CTFR die CF
– Die Patienten berichten über einen «Lichtschalter»-Effekt
– Viele erwachsene Betroffene haben nun ein «normales» Leben
– Bei Beginn im Säuglingsalter sind die Kinder evtl. sogar ganz «gesund»
– Die hochgerechnete Lebenserwartung liegt dann bei <80 Jahren
– Es stellen sich aktuell viele Fragen im Management der CF-Betroffenen
– Nun brauchen die 13-15% nicht behandelbaren Betroffenen unseren Fokus in Klinik und Forschung

Die eosinophile Ösophagitis – wenn die Speiseröhre Asthma hat


Die eosinophile Ösohagitis (EoE) ist eine klinisch-pathologische Diagnose. Kinder haben unspezifische Beschwerden, wie Bauchschmerzen, Thoraxschmerzen, Husten, Sodbrennen, verminderten Appetit, Dys­phagie; Wachstumsstörung, Regurgita­tion und Schlafstörungen. Bei Erwachse­nen tritt die EoE mit Dysphagie, Bolus­ob­struktion, retrosternalen Schmerzen, Thoraxschmerzen, Sodbrennen, Regurgitation auf, stellte PD Dr. med. Thomas Greuter, Wetzikon, eingangs fest. Die Diagnose erfolgt durch Endoskopie. Der Nachweis von mindestens 15 Eosinophilen pro Hauptgesichtsfeld mit einer Standardgröße von ca. 0,3 mm2 gilt als valide.

Pathophysiologisch liegt der EoE eine TH2-Immunantwort zugrunde, an welcher aktivierte Eosinophile, Mastzellen und die Zytokine Eotaxin-3, Interleukin-5 und Interleukin-13 beteiligt sind. Das Krankheitsbild der EoE wurde in den 1990er-Jahren von Prof. Stephen Attwood aus England und Prof. Alex Straumann aus der Schweiz unabhängig voneinander beschrieben.

Die EoE zeigt eine steigende Inzidenz und Prävalenz. Sie gilt erst seit kurzem als eigenständiges Krankheitsbild. Ärztliches Fachpersonal schätzt, dass ungefähr eine Person unter 2‘500 bis 4‘000 Einwohnern mit einer EoE lebt. Vermutlich ist die Dunkelziffer aber noch höher, weil nicht jede betroffene Person mit Eosinophiler Ösophagitis eine Diagnose erhält.

Epidemiologie

Chronische, nahrungsmittel-getriggerte allergie-artige Entzündung der Speiseröhre. Häufig allergische Komorbiditäten. Kommt im Kindes-/Erwachsenenalter vor. Das Verhältnis Männer: Frauen beträgt 3:1. Es sind genetische Suszeptibilitätsfaktoren beschrieben worden: TSLP (Thymic Stromal Lymphopoietin), CAPN (Calpain).

EoE – eine TH2 mediierte Erkrankung – eine Systemerkrankung?
Die EoE zählt zu den eosinophilen Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts. Innerhalb dieser Erkrankungen unter­scheidet man die primären Formen (z.B. eosinophile Öso­­phagitis) und sekundäre Formen, die infolge anderer Systemerkrankungen auftreten können. Die Mechanismen sind IgE-unabhängig. Sie entsprechen einer TH2-Immunantwort mit Aktivierung von Eosinophilen und Mastzellen, getriggert durch Nahrungsmittel.

Therapeutische Strategien: Die 3 D’s

Die 3 D’s sind Drugs, Diet und Dilation. Die medikamentöse Therapie umfasst eine topische Steroidtherapie (Budenosid ) während 48 Wochen zweimal täglich 0.5mg oder 1mg. The new kid on the block ist Dupilumab, welches die Aktivierung des spezifischen Gentranskriptionsprogramm inhibiert. Die Diät besteht in einer Eliminationsdiät, die Kuhmilch, Weizen, Eier, Soja, Nüsse, und Fisch/Meeresfrüchte umfasst.

Falls die medikamentöse Therapie und die Diät nicht mehr ausreichen kann eine Dilatation durchgeführt werden. Dies ist vor allem bei narbigen Verengungen der Fall, da diese medikamentös nicht beseitigt werden können. Dabei wird die Speiseröhre mit einem aufpumpbaren Ballon gedehnt oder sie wird mit einem Bougie-Clip bougiert.

Nachbetreuung

Die Nachbetreuung einer EoE ist chronisch:
1. Diagnose sichern und Therapie einleiten.
2. Kontrolle der Wirksamkeit der Therapie nach 8-12 Wochen
3. Langzeittherapie (Erhaltungsdosis). Topische Steroide sind nebenwirkungsarm
4. Regelmässige Nachsorge (Gastroskopie)
Therapiestopp: Es kommt fast immer zum Rückfall. Die Konsequenz ist kein Therapiestopp, stellte der Referent fest.

Fazit

– EoE st die häufigste Schluckstörung im jungen Erwachsenenalter
– EoE ist meist einfach zu behandeln (topische Steroide)
– Dupilumab als «new» kid on the bloc
– Langzeitbetreuung und Nachsorge sind wichtig

Die wirkliche Take Home Message des Referenten
Dysphagie ist nie normal und gehört immer abgeklärt mittels einer Gastroskopie.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Fatigue beim älteren krebsbetroffenen Menschen: Diagnose und Behandlung

Im Rahmen des Geriatrie-Seminars der Barmelweid-Akademie sprach PD Dr. med. Florian Strasser, Cancer Fatigue Clinic (Onkologie Schaffhausen, KS Münsterlingen, Zentrum Radiotherapie Rüti, Zentrum für Integrative Medizin, Kantonsspital St. Gallen) zum Thema Fatigue. Dabei wies der Vorsitzende Dr. med. Matthias Schlögl, Barmelweid, darauf hin, dass Fatigue im klinischen Alltag häufig unterschätzt wird.

Die erste Botschaft des Referenten lautete: Machen Sie das Assessment, verpassen Sie es nicht! Es ist wichtig, zwischen Fatigue im Zusammenhang mit der Krebstherapie und Fatigue im Zusammenhang mit der Krebserkrankung zu unterscheiden. Fatigue ist nicht durch körperliche Aktivität erklärbar und beeinträchtigt auch nicht die gewohnten Funktionen. Ruhe- und Schlafphasen bringen wenig oder keine Erholung.

Krebsbedingte Müdigkeit bei älteren Menschen

Die Erkenntnisse aus dem Jahr 2013 waren:
Inflammation – Zytokine,
Depression, Antikrebs-Therapie Toxizität,
Energie- und Muskel Dysregulation,
Komorbiditäten.
Die Erkenntnisse aus dem Jahr 2023 sind:
Inflammaging, Krebskachexie, Depression, Antikrebstherapie, Toxizität aller Modalitäten
Kognitiv, Mitochondrien
Energie- und Muskeldysregulation

Definition der Krebs-Fatigue

Krebsbedingte Fatigue stellt eine belastende, anhaltende, subjektive Empfindung von physischer, emotionaler und/oder kognitiver Müdigkeit oder Erschöpfung dar, die durch die Krebserkrankung (Cancer disease related) oder durch die Krebsbehandlung (Cancer therapy associated) verursacht wird. Die Fatigue lässt sich nicht durch körperliche Aktivität erklären und beeinträchtigt das gewohnte Funktionieren. Ruhe- und Schlafphasen erweisen sich als wenig oder gar nicht regenerativ.

Tumorkachexie – eine Ursache von Fatigue

Im Kontext einer aktiven Krebserkrankung sind Wahrnehmungen rund um das Essen und körperliche Funktionen verändert. Tumorgewebe ist metabolisch aktiv und verursacht Entzündungen sowie Muskelabbau. In Stress-Situationen werden Hungersignale herunterreguliert. Die verschiedenen Sättigungssignale sind aktiv, jedoch ohne Magenfüllung und trotz eines Energiedefizits. Die Patientin bzw. der Patient erlebt Appetitlosigkeit, frühe Sättigung, Dysgeusie, Verstopfung, Durchfall, Müdigkeit (physisch)/Fatigue, Angst und Ungewissheit.
Tumorkachexie, Malnutrition und Sarkopenie sind überlappende Syndrome.

Malnutrition bezeichnet einen Zustand, bei dem die Nahrungsaufnahme reduziert ist, was zu einem Verlust an Muskelmasse führt.
Sarkopenie bezeichnet den Verlust an Muskelmasse, der durch verschiedene Faktoren bedingt sein kann, darunter Malnutrition, Alter, Kachexie oder Tumorkachexie.

Tumorkachexie bezeichnet ein Spektrum, das sich aus folgenden Kriterien zusammensetzt:

  • Präkachexie: Appetitlosigkeit, körperliche Fatigue, CRP > normal
  • Kachexie: Gewichtsverlust > 5 % oder BMI < 20 und Gewichtsverlust > 2 %. Sarkopenie und Gewichtsverlust > 2 % oft mit eingeschränkter Nahrungseinnahme/systemischer Inflammation
  • Refraktäre Kachexie: variabler Grad an Kachexie. Die Krebserkrankung ist prokatabolisch, wobei sie zudem resistent gegenüber einer onkologischen Therapie ist.
  • Der Leistungsstatus ist reduziert (2, 3, 4).

Die Survivorship Fatigue stellt sich zwei Jahre nach einer multimodalen, Krebs-gerichteten Behandlung in kurativer Intention als Cancer Treatment Related Fatigue (CTRF) dar. Das Energielevel liegt bei voller Performance bei 2, bei limitierter Performance bei 3 Stunden.

CtRF (Survivorship Fatigue) Was ist der Mechanismus?

  • Reduktion der Mitochondrien (Zahl, Grösse,) im Muskel in astralen Gliazellen, noch experimentell
  • Störungen des autonomen Nervensystems: HRV mittels Biofeedback, noch experimentell
  • Dysregulation inflammatorischer Zytokine (i. Blut Veränderungen variabel und unter den üblichen Normwerten, z. B. IL-10)
  • Störung hypothalamischer, serotoninerger und zirkadianer Regelkreise ( u. a. Melatonin: im ZNS, nur bezüglich Schlafmedizin teilweise therapeutisch verwertbar
  • Störungen der neuro-kognitiven Funktion: Neuropsychologische Untersuchung
  • Genpolymorphismen für Regulationsproteine führen zu unterschiedliche Veranlagungen für CtRF.

Die Chemotherapie führt zu einer Verringerung der Anzahl und Grösse der Energiekraftwerke (Mitochondrien) in den Muskeln. Dies signalisiert dem Muskel, sich abzubauen (neue Medikamente sind in Entwicklung). Allerdings kann die Chemotherapie den Abbau des Muskels, der durch die Krebserkrankung bedingt ist, bekämpfen. Die Chemotherapie kann somit zu einer Verbesserung des Muskelabbaus führen.

Chemotherapie-assoziierte kognitive Dysfunktion (Chemobrain)

Gegenwärtig wird das glia-zentrische Modell favorisiert.
Es besteht eine Überlappung von CtRF und Chemobrain. Diagnostisch und therapeutisch ähnelt das Vorgehen bei alleiniger CtRF: neurokognitive Untersuchung und multimodales Programm. Alle krebs-spezifischen Therapien können Fatigue verursachen. Die am häufigsten auftretende Ursache ist die Chemotherapie.

In einer im Jahr 2017 veröffentlichten Studie (Kogure E et al. J Phys Ther Sci 2017;29:2004-8) wurden die Veränderungen der körperlichen Funktion und der Müdigkeit untersucht. Die Unterschiede zwischen postoperativen Patienten mit gastroenterologischen Karzinomen, die 65 Jahre oder älter waren, wurden mit solchen unter 64 Jahren verglichen. Zudem wurden die Korrelationen zwischen dem Alter und jeder Bewertung bei den drei Gelegenheiten untersucht. Die 6MWD erwies sich als der Hauptunterschied zwischen der älteren und der jüngeren Gruppe. Dabei zeigte sich, dass die erstere nach der Operation signifikant niedrigere 6MWD-Werte als die letztere aufwies. Das Alter korrelierte positiv mit der 6MWD und Albumin nach der Operation und nach der Entlassung.

Des Weiteren konnte eine negative Korrelation zwischen dem Alter und dem CFS (Cancer Fatigue Scale) nach der Operation sowie nach der Entlassung festgestellt werden. Es wird angenommen, dass ältere Patienten mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Abnahme der Belastungstoleranz und eine Zunahme der Müdigkeit erfahren.

Vollnarkosen können kognitive Fatigue verursachen, wobei das Narkosemittel eine Rolle spielt. Diesbezüglich sei auf die Studie von De Bias G et al. (Neurosurgery 2022; 90: 186-191) verwiesen.

Fatigue ist häufig bei allen Tumorarten, vor allem aber bei Mamma- und ZNS-Karzinomen. Die Fatigue stellt eine häufige Langzeit-Nebenwirkung der krebsspezifischen Therapie sowie der Krebserkrankung selbst dar. Von entscheidender Bedeutung ist das systematische (!) Erkennen der Symptomlast sowie der Funktionseinschränkungen, wie der Referent hervorhob. «Welcher Standard ist in Ihrer Klinik bereits implementiert?», fragte er in die Runde.

ESAS oder andere Tools:
Proaktiv, körperlich und psychisch, quantitativ, verbal auch möglich (kein, mittel, stark) – dies ermöglicht die Erfassung des Empfindens von Patienten. Dabei wird oft unterschätzt, dass Angst, Anorexie und Depressionen sowie Fatigue bei Patienten auftreten können. Schwellenwerte: ≥ 4/10 oder individuelles Symptomziel.

Der Schwellenwert für Fatigue liegt bei ≥ 4/10.
Lassen sich Unterschiede bezüglich der Symptomlast bei Depression bzw. Fatigue zwischen älteren und jüngeren Krebsüberlebenden feststellen? Wie ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern? Hinsichtlich Depressionen zwischen älteren und jüngeren Erwachsenen wurden keine Unterschiede festgestellt. Frauen berichten jedoch über höhere Raten von Depressionen und höhere Schmerz- und Müdigkeitswerte.

Assessment

Körperlich manifestieren sich die Symptome in Form von Müdigkeit, Erschöpfung, Schwäche, Kraftlosigkeit und einer reduzierten Leistungsfähigkeit. Emotionale Beeinträchtigungen äussern sich in Form von psychischer Erschöpfung, mangelndem Antrieb, Motivationsproblemen, Interessenverlust, Niedergeschlagenheit, Ängsten und Frustration. Kognitive Beeinträchtigungen zeigen sich in Form von Konzentrationsproblemen, Gedächtnisproblemen und Problemen beim Denken.

Im Anschluss erfolgte eine Erörterung des diagnostischen Vorgehens bei Fatigue. Dabei wurden die folgenden Aspekte thematisiert: die Stärke der Müdigkeit, die drei Domänen der Müdigkeit (Müdigkeit „im Kopf“, „keine Freude“, „keine Kraft“) sowie die Verbesserung der Müdigkeit durch Schlaf. Die Bewertung erfolgte jeweils anhand einer Skala von 0 bis 10 Punkten. Ein weiteres Assessment verwendet die Cancer Fatigue Scale (CFS-D: 15 Punkte). Ein weiteres diagnostisches Interview zum Cancer Treatment Related Fatigue Syndrome stellt der Interview-Guide von Alexander Kiss dar. Der Fragebogen umfasst 12 Fragen, die sich auf verschiedene Aspekte der Fatigue beziehen. Dazu zählen Schwäche, Müdigkeit, Konzentration, Gedächtnis, Schlaf, Alltagstätigkeiten und die Belastung durch Fatigue.

Diagnose des krebsassoziierten Fatiguesyndroms

DICRFS: (Diagnostic Interview for Cancer-Related Fatigue) >6/12
Genaue Anamnese: Geschichte der Krebsbehandlung: Ist Fatigue während der Krebsbehandlung aufgetreten?
a) Systemische, (medikamentöse) Krebsbehandlung, typisch G2/3. Fatigue zwischen Tag 4 – 11. Die Schwere der Fatigue nimmt mit der Anzahl der Zyklen zu. Eine Assoziation mit Chemotherapie/induzierter Neuropathie sowie anderen Nebenwirkungen.

Ursachen und deren Abklärung

Körperlich: Malnutrition: Essprotokoll. Albumin, Vitamine (B12, D), Eisenstatus, Zn. Tumorkachexie: Gewichtsverlust, Anorexie, CRP, Tumoraktivität. Sarkopenie (Muskelverlust): Inaktivität, Alter, Kachexie, C-Steroide. Toxizität (Muskel) krebsspezifische Therapie: Anamnese,
Emotional: Angst, Depression: ESAS, HADS, BAI, BDI-II, Trauma: SkPTBS. Ungewissheit: Krankheits- und Prognoseverständnis.
Medikamentös: Anamnese (!) Opiat, Benzodiazepine, Antidepressiva, Krebstherapie-assoziiertes Müdigkeitssyndrom (CtRF).
Kognitiv: Vollnarkosen, kognitive Einschränkungen Schlaganfall, Unfall
Gemischt: Dehydrierung, Anamnese (Urin, Trinken), Haut, Halsvenen
Elektrolyte: Phosphat, Calcium, ev. Na, ev Mg
Organfunktion: Biere, Leber, Herz (NT-proBNP), Lunge (AF, O2-Sättigung)
Entzündung (Tumor)/Infektion): Anamnese, CRP:
Endokrin: TSH, freies Testosteron. (Männer)
Anämie (Hb <10g/dl)
Schlafstörungen (SAS, Beinbewegungen, Störungen): ESS, PSQ)

Atemlosigkeit korreliert mit Fatigue

Atemlosigkeit, die anhand von D-12 und MDP gemessen wurde, war bei älteren Männern mit einer schlechteren Müdigkeit verbunden, und zwar in ähnlicher Weise bei den verschiedenen Dimensionen der Atemlosigkeit (Cristea I et al PLOSone 2023;18:e0296016.

Risikofaktoren für CtRFS

Vorbestehende psychosoziale Belastung, Traumata, körperlich/emotional vorbestehende psychiatrische Krankheit, Unverständnis von Angehörigen, Mitarbeiter/-innen, Stigma Behinderung, chronisches Schmerz-Syndrom,
Fibromyalgie, schwere CIN P. Unzureichende persönliche Ressourcen, um mit Stress umzugehen, die finanzielle oder soziale (Über-)Belastung, die fehlenden körperlichen Aktivitätsgewohnheiten sowie die ungesunden Essgewohnheiten stellen weitere Risikofaktoren dar.
→ Oft «multiple hit»: Anhäufung wiederkehrender
Ursachen-Schädigungen
→ Vulnerabilitäts-Stress-Modell (aus der Psychiatrie)

Parameter eines umfassenden Tumorkachexie-Assessments mit Empfehlungen für Tools

Körpergewicht, Gewichtsverlust (3 Monate)
Die Messung der Nahrungsaufnahme erfolgt anhand des individuellen Bedarfs. Evtl. auch Messung der Muskelmasse (wenn möglich in Klinik; B/A Waage
CRP, Albumin /ev. indirekte Kalorimetrie)
ECOG PS, individuell (z.B. n Stockwerke)
Handkraft (Jamar), FTSTS (Five Times Sitt o Stand Test, praktisch wenig validiert)
ev. 4-Meter gait-speed (1.5-4-1.5m)
Nutritition Impact & GI-Symptome (Checkliste, PG-SGA)
Symptome, Belastung (ESAS, EORTC-QIQ-Cax24)
Onkologische Situation: Tumor behandelbar aktuell?

→ Wichtiger ist «machen» im klinischen Alltag, als das perfekte Instrument finden.

Behandlung

Behandlung von Menschen mit (Survivorship-) Fatigue:
Beginnt mit der Diagnose der Krebserkrankung und der Krebsbehandlung. Regelmässige körperliche Aktivität im Alltag und formelles Ausdauer- & Krafttraining. Eiweissreiche (vorwiegend pflanzliche), entzündungshemmende Ernährung. Umgang mit emotionaler Belastung, Information, Kommunikation. Stärkung von Selbstwirksamkeit und Kohärenz

Die Behandlung ist immer multimodal

  • Energiemanagement
  • Körperliche Aktivität
  • Achtsamkeitsinterventionen, Mind-Body
  • Psychologische Begleitung & Behandlung: Energiefresser (emotional, traumat.)
  • Ernährung
  • Arzneimittel pflanzlich: ev. Mistel, ev. GinsengYoga, ev. Akupunktur, ev. Massagen
  • Gemeinschaft (peer-support) ist hilfreich
  • CIM-Behandlungen:

Medikamentöse Behandlung von Patient:innen mit Survivorship-Fatigue
«Es gibt nichts»

Methylphenidat (Ritalin) evtl. bei AD(H)S
Antidepressiva: bei Depression (als Co-Faktor), nicht bei CtRF
Kortikosteroide: nicht bei CtRF, nur bei Tumorkachexie (NUR < 2 Wochen!)
Melatonin: RCT negativ
Testosteron: nur bei Hypogonadismus (Männer, nicht Prostata-CA)
Ginseng und Guarana: wenige Studien, unklar
Mistel: nur während Chemotherapie, Bestrahlung und nicht kurativ
Bewegungsrichtlinien für Krebsüberlebende Konsenerklräung eines internationalen multidisziplinären Roundtables
Erwarteter Patientennutzen von Bewegungstraining nach Modus

Der Effekt von Ausdauer- und Krafttraining auf Fatigue ist am besten bei moderater bis energischer Intensität (aerobic) nachgewiesen.
Ausdauertraining (oder Cardio-Kraft) sollte 2-3 x pro Woche (1 h Pause) über einen Zeitraum von 30-40 Minuten durchgeführt werden. Ein fünfminütiges Training (oder High Intensity Intervall Training) mit Überwindung (Borg 5-7/10), Schwitzen sowie erhötem Puls ist empfehlenswert.
Supervidiertes Training hilft, zudem wirkt ein Trainingsprotokoll motivierend (zudem gut für die Kostengutsprache). In einer randomisierten, kontrollierten Studie bei Brustkrebspatientinnen konnte nachgewiesen werden, dass eine pflanzliche, proteinreiche Ernährung während der adjuvanten Chemotherapie die Entwicklung von Fatigue reduzieren kann (Sathiara E. et al. Nutr Cancer 2023;75:848-856).
Des Weiteren konnte in einer Studie nachgewiesen werden, dass eine antientzündliche Ernährung den Ernährungsstatus und die Fatigue im Vergleich zur Kontrollgruppe verbessern kann. Des Weiteren wies der Referent auf die Broschüre der Krebsliga „Fatigue bei Krebs” hin, welche unter anderem folgende Inhalte umfasst: Verständnis von Fatigue, adäquate Diagnostik, angemessene Begleitung, multimodales Interventionsprogramm, Dokumentation für Versicherungen, Energiemanagement, Schlaf, Förderung und Begleitung von Selbstmanagement, auch (geführte) Selbsthilfegruppen.

Information und Motivation sind wesentliche Elemente, um die Betroffenen zu erreichen und zu einer Verhaltensänderung zu motivieren. Dabei ist es wichtig, die individuellen Bedürfnisse und Lebensumstände zu berücksichtigen.

Der Calman-Cap ist ein Messinstrument, das die Lebensqualität als Differenz zwischen Erwartungen und der Realität beschreibt.

Energie-«Management» erlernen

Energie-Level (NRS, Pfeile, …), Energiereserven (Zeit), Müdigkeit: Energie-Fresser und Energie-Quellen beobachten, Reha-Interventionen dokumentieren.
Schlaf

Energie-Fresser: Emotionale Belastung, Erwartungen, Nicht nein-sagen
Energie-Geber/Quellen: Entspannung, Sich was Gutes tun, Reha-Therapien

Im Rahmen der Prioritätensetzung ist zunächst eine Differenzierung zwischen den Bereichen Alltag, Freizeit, Beruf und Reha-Therapien vorzunehmen. Dabei stellt sich die Frage, in welchen Bereichen die eigenen Energiereserven investiert werden und welchen Sinn dies hat.
Im Rahmen einer Studie wurde festgestellt, dass die Durchführung von regenerativem Yoga zu Hause fünf Mal pro Woche für die Dauer von 50 Minuten die Intensität der Fatigue-Symptome sowie die Funktion verbessert und zudem entzündliche Blutmarker reduziert.

Ernährung bei Krebs

Es ist zu eruieren, ob der Patient einem Ernährungsrisiko ausgesetzt ist. Dazu ist eine umfassende Bewertung durchzuführen, welche den Ernährungszustand, den Stoffwechselzustand, den funktionellen Status, die auftretenden Symptome, Schmerzen, Dyspnoe usw. berücksichtigt. Zudem sind die psychische und soziale Belastung sowie die eingenommenen Medikamente zu evaluieren. Basierend auf den eruierten Daten ist eine massgeschneiderte Intervention zu initiieren, welche eine individuelle Ernährungsintervention durch ein ernährungswissenschaftlich geschultes Team, die Linderung/Behandlung von ernährungsbedingten Symptomen beinhaltet.

Des Weiteren ist eine psychologische/soziale Unterstützung sowie ein angeleitetes körperliches Training (Kraft, Ausdauer) indiziert. Zudem ist eine Berücksichtigung von Behandlungsmöglichkeiten erforderlich.

Die Espen-Richtlinien enthalten Empfehlungen zur Ernährung von Krebspatienten. Im Rahmen einer Überarbeitung wurden die Richtlinien gekürzt und die Anwendung in der Praxis vereinfacht. Insgesamt wurden 43 Empfehlungen mit kurzen Kommentaren für das Ernährungs- und Stoffwechselmanagement von Patienten mit neoplastischen Erkrankungen vorgestellt. Den krankheitsbezogenen Empfehlungen sind allgemeine Empfehlungen zur Diagnostik des Ernährungszustandes bei Krebspatienten vorangestellt. Der Leitfaden bietet Gesundheitsdienstleistenden, die an der Behandlung von Krebspatienten beteiligt sind, eine praktische Anleitung für eine optimale Ernährungsversorgung (Mucaritoli M. et al. Clin Nutr. 2021; 40: 2898-2913).

Die Frage, welche Ernährungsweise dazu geeignet ist, das Risiko einer Krebserkrankung zu reduzieren, zu minimieren oder deren Fortschreiten zu verhindern, ist Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass eine mediterrane Ernährung, die reich an ungesättigten Fettsäuren ist, einen positiven Einfluss auf die Gesundheit hat. Auch eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise kann das Risiko einer Krebserkrankung reduzieren. Mikrobiom: Erde („Dreck“), Ballaststoffe, geringer Zuckergehalt (Dessert nach Mahlzeiten akzeptabel), Fastenimpulse (Intervall, Tage etc.), keine Nährstoffdefizite

„Welche Ernährungsweise ist empfehlenswert, wenn eine aktive Krebserkrankung vorliegt?“

Eine proteinreiche Ernährung (>1,4 g/kg Körpergewicht), eine adäquate Energiezufuhr (30 kcal/kg Körpergewicht) sowie das Fehlen von Nährstoffdefiziten (Vitamin D, B12, Folsäure u. a.) sind wesentliche Elemente einer solchen Ernährung. Zudem ist eine hohe Frequenz der Mahlzeiten zu beachten.

Ein Grossteil des Fatigue-Managements betrifft Empfehlungen für ein gesundes und selbstwirksames Leben mit und nach Krebs sowie für ein langes Leben.

Die Ernährung ist bewusst, mediterran und beinhaltet Fastenimpulse. Viel Bewegung, viel Gehen, inklusive Treppensteigen. Der Schlaf-Rhythmus und Rituale sind ebenfalls wichtige Elemente. Achtsamkeit im Hier und Jetzt, das Spüren und Atmen sind ebenfalls von Bedeutung. Das „Wozu” des eigenen Lebens, Dankbarkeit und Freude sind ebenfalls wichtige Faktoren. Die Naturverbundenheit ist von Bedeutung.
Bei Leben mit Krebs wird das Leben, Empfinden, die Gefühle und die Liebe oft intensiver, so die Schlussworte des Referenten.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Von Alp zu Alp zwischen Schafberg und Albinen

Einladung zu ethnographisch-literarischen Wanderungen mit Prof. Christian E. Besimo

Das Wallis ist gesegnet mit Höhenwegen, die durch einzigartige Landschaften führen und herrliche Ausblicke bieten, sodass diese einem unvergesslich bleiben. Dazu gehören natürlich auch die Wege, die entlang der vielen Suonen oder von einer Alp zur nächsten führen. Eine dieser letzteren beginnt hoch über Leukerbad bei der Bergstation Rinderhütte.

Beliebt und viel begangen ist der Aufstieg zum Torrenthorn, das eine herrliche Rundsicht bietet. Wir wenden uns dagegen nur leicht ansteigend gegen Osten Richtung des Wysse Sees. Hierzu wählen wir den obersten Pfad, der auch den Zugang zum Restipass bildet, über welchen man ins Lötschental und zu dessen bekanntem Höhenweg gelangen kann. Von Anfang an sind wir gefangen von der herrlichen Weitsicht, die von der Mischabelgruppe über Weisshorn, Zinalrothorn, Matterhorn, Dent Blanche, Grand Cornier, Aiguille de la Tsa, Pigne d’Arolla, Mont Blanc de Cheilon, Grand Combin, Combin de Corbassière, Mont Velan bis hin zu den Grandes Jorasses und dem Mont Blanc-Massiv reicht (Abb. 1 und 2). Später tauchen auch noch das Fletschhorn, das Lagginhorn und der Weissmies auf. Es gäbe noch weit mehr Sehenswertes aufzuzählen, doch dies zu entdecken sei jedem selbst überlassen.

Zu Beginn der Wanderung sehen wir direkt auf die Dächer der Torrentalp hinunter und die darüber liegenden saftigen Kuhweiden. Über uns am Schafberg bestehen dagegen nur noch magere Weiden, die, nomen est omen, der Schafweide dienen. Wir überschreiten den kleinen Sattel mit der Höhenquote 2397 Meter und steigen zum Wysse See ab. Wir verlassen den Weg zum Restipass gegen Süden und erreichen nach kurzer Zeit die Alp Galm, die aus zahlreichen Hütten und einer kleinen Kapelle besteht. Die Kapelle wurde 1681 erbaut und der Dreifaltigkeit geweiht. Das Innere ist mit einem kleinen, kunstvoll geschnitzten und bemalten Altarbild geschmückt.

Nun kommen wir nicht darum herum, bis zur nächsten Alp Oberu die asphaltierte Alpstrasse zu benutzen, die wir nur im Bereich der auf 2134 Meter Höhe gelegenen Alpgebäude bergwärts auf dem alten Zuweg umgehen können. Was soll‘s, die herrliche Aussicht entschädigt uns mehr als genug für das kurze Ungemach. Zudem stossen wir auf 2218 Höhenmetern, ein Jux, auf den höchstgelegenen Kreisverkehr Mitteleuropas! Am westlichen Ende der Alp zweigt hangaufwärts ein Bergweg zum Obere Guggerhubel ab, den wir nach kurzem Anstieg erreichen. Hier erwartet uns zunächst ein herrlicher Lärchenwald, in dem wir unsere Mittagsrast verbringen. Doch kurz vor dem Abstieg in die Enggi Chummu erwarten uns nur noch tote Baumgerippe. Diese sind Folge des verheerenden, bei Leuk ausgebrochenen Waldbrandes im Hitzesommer 2003. Praktisch bis zur Baumgrenze hinauf wurde der Höhwald zerstört. Nur die obersten, weiter auseinander stehenden Bäume oberhalb unseres Weges blieben verschont. Die Natur hat sich zwar längst wieder zu regenerieren begonnen, trotzdem sind wir froh, gleich wieder in eine Waldweide mit gesunden Lärchen eintauchen zu dürfen. Kurz darauf erreichen wir Tschärmilonga, das auf Französisch Chermignon heissen würde. Auch hier steht oberhalb der grossen Alpsiedlung eine Kapelle, in der Kinder spielen und uns mit frohem Glockengeläut empfangen.

Nun besteht die Möglichkeit, auf direktem Weg nach Albinen abzusteigen. Doch wir beschliessen, dem Höhenweg weiter Richtung Westen zur Torrentalp hinüber zu folgen. Dieser führt weiter in leichtem Auf und Ab über offene, blumenreiche Weiden und durch Lärchenwald (Abb. 3). Wir geniessen die Stille und Einsamkeit. Kurz vor der Torrentalp stossen wir auf den von Albinen heraufkommenden breiten Alpweg, dem wir uns nun zuwenden. An vielen Stellen ist noch die alte Pflästerung dieses wichtigen Verbindungsweges erhalten, mit der zu früheren Zeiten verhindert wurde, dass die Trasse durch den häufigen Viehgang vorschnell erodierte. Mit angenehmem Gefälle steigen wir durch den Bannwald ab. Erst durch die Wiesen oberhalb des Dorfes beginnt sich der Weg in steileren engen Kehren talwärts zu winden, um in der Vergangenheit möglichst wenig der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen in Anspruch zu nehmen (Abb. 4).

Der alte Baukern von Albinen ist noch weitestgehend erhalten und besteht aus einem Gewirr eng bei- und übereinander stehender Wohn- sowie Nutzgebäude, die über enge, teilweise äusserst abschüssige, gepflasterte Gassen erschlossen sind. Die Holzhäuser stehen auf gemauerten Sockeln, die Speicher auf Stelzen, die mit Steinplatten versehen sind, um Kleintieren den Zugang zu den Vorräten zu verwehren. Ich fühle mich wieder in die Sommerferien meiner Kindheit zurückversetzt, die ich über Jahre in St. Luc verbracht habe. Damals spielten wir mit den Dorfkindern in den engen Gassen und turnten auf den Lauben der Speicher herum, die uns herrliche Verstecke boten. Heute bestehen diese in jenem Dorf nicht mehr oder sind zu Ferienhäusern umgebaut – privat. Albinen hat sich den alten Charme erhalten, gerne würde ich hier wieder Kind sein und spielen.

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

Riedstrasse 9
6430 Schwyz

christian.besimo@bluewin.ch