Beta-blocker nach Myokardinfarkt bei Patienten mit erhaltener Pumpfunktion
Studie REDUCE-MI: Der Einsatz von Betablockern als medikamentöse Langzeittherapie nach Myokardinfarkt beruht auf Studien, die vor der aktuellen modernen Behandlung durchgeführt wurden. Ob Betablocker heutzutage nach erfolgreicher Revaskularisation mittels primärer PCI bei erhaltener Pumpfunktion (LV EF >50 %) einen Nutzen bringen, ist nicht klar.
Eine grosse internationale Studie (REDUCE-MI) randomisierte 5020 Patienten mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI) und NSTEMI nach erfolgreicher Revaskularisation zu Betablocker oder kein Betablocker in der Nachbehandlung (1). Alle Patienten wurden koronarografiert und über 99 % mittels PCI oder ACBP revaskularisiert. Die verwendeten Betablocker waren 100 mg Metoprolol oder 5 mg Bisoprolol. Die Patienten wurden im Mittel 2 Tage nach Infarkt eingeschlossen und über 3.5 Jahre nachverfolgt. Es zeigt sich kein Unterschied im primären Endpunkt (Gesamtmortalität oder neuer Myokardinfarkt) (Betablocker 7.9 % vs. kein Betablocker 8.3 % (HR 0.96; 95 % Konfidenzintervall 0,79-1,16; P= 0,64). Für alle sekundären Endpunkte, wie kardiovaskulärer Tod, Hospitalisation für Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz, AV-Block, Einlage eines Schrittmachers ergab sich ebenfalls kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen.
Kommentar: Die Resultate kamen auf dem Hintergrund einer anderweitig exzellenten medikamentösen Sekundärprävention mit anti-thrombotischer und cholesterinsenkender Therapie sowie ACE-Hemmer Therapie zustande. Die tiefer als erwartete Ereignisrate führte zu weiten Konfidenzintervallen. Daher ist die Studie ein Hinweis, dass nach erfolgreicher Revaskularisation der Betablocker bei erhaltener Pumpfunktion wahrscheinlich keinen Zusatznutzen zur sonstigen Therapie bringt, aber der definitive Beweis ist mit dieser Studie noch nicht erbracht.
Empagliflozin nach Myokardinfarkt mit reduzierter Pumpfunktion und Zeichen der Herzinsuffizienz
Studie EMPACT-MI: Ob der frühe Einsatz des SGLT-2 Inhibitors Empagliflozin bei Patienten nach Myokardinfarkt, welche eine eingeschränkte Pumpfunktion, oder Zeichen einer Linksherzinsuffizienz entwickeln, einen Vorteil zusätzlich zur bisherigen medikamentösen Therapie bringen, wurde in EMPACT-MI Studie untersucht (2). Empagliflozin brachte keinen prognostischen Nutzen. Siehe «Cardio Flash» von Professor Otmar Pfister in dieser Ausgabe.
Kommentar: Die Ereignisrate für ein erneutes Ereignis war auch in dieser Studie tiefer als erwartet. Wie bei Patienten mit normaler Pumpfunktion scheint sich auch bei Patienten mit LV Dysfunktion die Prognose durch die gegenwärtig etablierte Myokardinfarktbehandlung gegenüber früheren Studien verbessert zu haben.
Etablierte Therapien müssen neu evaluiert werden!
Die gegenwärtig von den Guidelines der Fachgesellschaften etablierte Behandlung des Myokardinfarktes hat die Sterblichkeit und die kurze und mittelfristige Prognose stark verbessert. Diese Behandlung umfasst die schnelle, vollständige Revaskularisation mittels primärer PCI, gefolgt von einer medikamentösen Therapie mit doppelter Plättchenhemmung, Cholesterinsenkung, einer Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems und Betablockade sowie einer rigorosen Kontrolle der kardiovaskulären Risikofaktoren.
Eine Erweiterung der etablierten Therapie mit dem Ziel die Prognose nach dem Herzinfarkt weiter zu verbessern scheint schwierig. So haben die oben vorgestellten und weitere Medikamente (siehe Tabelle) keinen zusätzlichen Nutzen gebracht. Eine stärkere Hemmung des RAAS-Systems als durch einen ACE-Hemmer mittels Sacubitril/Valsartan (3) oder die zusätzliche Cholesterinsenkung mittels Apolipoprotein A1 Infusion (4) zeigten keinen Vorteil. Der fehlende Nutzen des SGLT-2 Inhibitors Empagliflozin überrascht ebenfalls nicht. Hatte doch schon eine frühere Studie bei Patienten mit reduzierter Pumpfunktion mit Dapagliflozin (DAPA-MI) ebenfalls keinen Vorteil dieser Medikamente bei der unmittelbaren Nachbehandlung des Myokardinfarkts bezüglich Tod oder Herzinsuffizienz gebracht (5). Auch bei der DAPA-MI Studie war die Ereignisrate übrigens unerwartet tief, so dass die Investigatoren während der Studie den primären Endpunkt änderten und insgesamt sieben Endpunkte kombinierten. Dabei zeigte sich, wie zu erwarten, zwar eine Verbesserung der metabolischen Parameter, z.B. Abnahme des Körpergewichts, aber kein prognostischer Nutzen.
Deeskalation der Therapie
Angesichts der guten Resultate der Behandlung des akuten Myokardinfarktes, stellt sich viel mehr die Frage nach einer Deeskalation der medikamentösen Nachbehandlung bei gewissen Patientenpopulationen. Die Guidelines der europäischen Gesellschaft für Kardiologie 2023 tragen der sich abzeichnenden Evidenz bereits Rechnung (6). Bei Patienten mit erhaltener Pumpfunktion geben die Guidelines für Betablocker und ACE-Hemmer «nur» eine IIa Empfehlung ab, dh. diese Medikamente sollten in Erwägung gezogen, aber müssen nicht gegeben werden.
Bezüglich der Betablocker stellen sich drei wichtige Fragen: 1. Sollen sie überhaupt eingesetzt werden bei einer Auswurffraktion von >40 %, respektive >50 %? 2. Wenn Betablocker eingesetzt werden, wie lange sollen sie verabreicht werden? Können Betablocker bei fehlender Herzinsuffizienz nach einem Jahr gestoppt werden? Drei grosse laufende Studien (DANBLOCK, BETAMI, REBOOT) untersuchen die erste Frage und drei grosse Studien (SMART DECISION, AβYSS, ABBREVIATE) die anderen Fragen. Die Resultate dieser Studien werden in den nächsten 2-3 Jahren veröffentlicht werden (7). Sie sind wichtig, um Klarheit zu schaffen. Denn gegenwärtig besteht ohne Evidenz aus Studien die – wahrscheinlich berechtigte – Praxis bei erhaltener Auswurffraktion auf den Betablocker zu verzichten.
Ähnlich verhält es sich beim ACE-Hemmer nach Myokardinfarkt und erhaltener Auswurffraktion. Da der ACE-Hemmer das remodeling nach Myokardinfarkt unterstützt, wäre hier eine Klärung dringend. Leider sind gegenwärtig keine grossen Studien am Laufen. Dabei wäre eine Überprüfung der Validität von über 40-jährigen Studienresultaten nicht nur beim Myokardinfarkt dringend. Denn viele veraltete Evidenz fliesst weiterhin in die Guidelines ein. Die Behandlung vieler Krankheiten hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert und die ehemals etablierten, aber nun vielleicht überflüssigen Therapien, müssen hinterfragt werden.
Prof. Dr. med. Franz R. Eberli
Stadtspital Zürich Triemli
Klinik für Kardiologie
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich
franz.eberli@triemli.zuerich.ch
1. Yndigegn T et al. New Engl J Med 2024;390:1372-81. DOI:10.1056/NEJMoa2401479
2. Butler J. et al. New Engl J Med 2024;390:1455-66. DOI:10.1056/NEJMoa2314051
3. Pfeffer MA. et al. New Engl J Med 2021;385:1845-55. DOI:10.1056/NEJMoa2104508
4. Gibson CM. et al. New Engl J Med 2024;390:1560-71. DOI:10.1056/NEJMoa2400969
5. James S. et al. NEJM Evid 2024;3(2) DOI:10.1056/EVIDoa2300286
6. Byrne RA. et al. Eur Heart J 2023;44:3720-3826. doi.org/10.1093/eurheartj/ehad191
7. Steg GP. New Engl J Med 2024;390:1434-36. DOI:10.1056/NEJMoa2402731
Basierend auf einer Session mit vier sehr informativen Vorträgen an der diesjährigen 90. Jahrestagung der DGK in Mannheim und drei sehr guten Publikationen zu diesem hoch aktuellen Thema (1-3) möchten wir ein kurzes Summary wiedergeben; zusätzliche Themenerweiterungen aus verschiedenen aktuellen Quellen. Die Ziele des Pariser-Abkommens mit max. 1.5 Grad Klimaerwärmung sind bereits unrealistisch. Es hat sich gezeigt, dass extreme Hitzeereignisse die Sterblichkeit erhöhen, und übermässige Todesfälle aufgrund von Hitzewellen überwiegend kardiovaskulären Ursprungs sind. Luftverschmutzung, Lärm und urbanes Wohnen sind weitere wichtige und folgenschwere Risiken für die Gesundheit. Ein Hitzschlag bei Anstrengung tritt in der Regel bei jungen, aktiven Menschen auf; ein klassischer Hitzschlag, der mit Hitzewellen einhergeht, tritt häufiger bei älteren Menschen auf und kann epidemische Ausmasse annehmen. Kühlung und Flüssigkeitszufuhr sind die Schlüssel zur Behandlung; manchmal ist eine Intensivbehandlung erforderlich.
Based on a session with four very informative presentations at this year’s 90th Annual Conference of the DGK in Mannheim and three very good publications on this highly topical subject (1-3), we would like to provide a brief summary; additional topic extensions from various current sources. The Paris Agreement targets of 1.5 degrees of global warming are already unrealistic. It has been shown that extreme heat events increase mortality, and excess deaths due to heat waves are predominantly of cardiovascular origin. Air pollution, noise and urban living are other important and serious health risks. Exertional heatstroke, brought on by strenuous activity, is usually seen in young, active people; classic heatstroke, associated with heat waves, is more common in the elderly and may be epidemic. Cooling and fluids are keys to management; sometimes, intensive care is needed. Key words: climate change, heatwave, air pollution, noise pollution, cardiovascular events, heat stroke
Hitzebelastung
Hitzeereignisse nehmen aufgrund weltweit steigender Temperaturen zu, sie werden sich auch über längere Zeiträume ausdehnen. Im Juni 2024 wurde in Saudi-Arabien anlässlich der Pilgerfahrt nach Mekka (Hadsch) in der Grossen Moschee max. 51.8 °C gemessen. Es kam laut der Agence France-Presse insgesamt zu mehr als 1300 Toten. In Athen stieg die Temperatur Mitte Juni auf 41 °C, nachts lag diese ≥30 °C. Weitere Hitzewellen werden folgen. Ohne diese betrug die Temperatur im gleichen Monat 35-36 °C. Eine weitere Gefahr sind dabei die möglichen Waldbrände und die Luftschadstoffbelastung. Auch in Nord-Indien wurden Temperaturen bis 50.8 °C registriert mit enormen sozioökonomischen Auswirkungen. Gefährlich sind auch die Hitzeglocken in Nordamerika.
Der neuste WMO-Bericht bestätigte, dass 2023 bisher das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen war, mit einer globalen durchschnittlichen oberflächennahen Temperatur von 1,45 °C (± 0,12 °C) über der vorindustriellen Basislinie. Es war die wärmste Zehnjahresperiode seit Beginn der Aufzeichnungen. Der CO₂-Gehalt ist um 50 % höher als in der vorindustriellen Zeit und speichert Wärme in der Atmosphäre. Die lange Lebensdauer von CO2 führt dazu, dass die Temperaturen noch viele Jahre weiter steigen werden. Es kam auch zu Rekorden bei der Meereshitze, beim Meeresspiegelanstieg, beim antarktischen Meereisverlust und beim Gletscherrückgang. Extreme Wetterbedingungen konnten beobachtet werden (4). Nach einem neuen Bericht des europäischen Klimawandeldiensts Copernicus, Ende April 2024, kam es 2023 in der Schweiz zu einem Anstieg der mittleren Temperatur von 2,6 °C verglichen mit der vorindustrialisierten Zeit. Extreme Wetterbedingungen: Stürme, grosse Waldbrände Dürren und Überschwemmungen sind vermehrt aufgetreten. Es fiel auch 7 % mehr Regen als im Durchschnitt. Diese Extremereignisse werden bis 2050 häufiger und intensiver. In der Schweiz wird die Temperatur um 4-5 °C ansteigen, die Winter werden wärmer und die Sommer trockener. 2022 und 2023 verloren die Gletscher in den Alpen rund 10 % ihres Volumens. Die bisherigen Klimaschutzmassnahmen greifen zu wenig, die verschiedenen Klima-Modelle waren zu optimistisch und das Handeln der Politik zu zögerlich. Der Ausstoss von fossilem CO2, die Treibhausgashauptquelle, muss gemäss Klimaforschern drastisch reduziert werden!
Die zunehmende Hitze am Äquator und z.B. in Indien geht einher mit dem Bevölkerungswachstum und der zunehmenden Verstädterung vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Aktuell leben zwei Drittel der Europäer in Städten, weltweit sind es bis zum Jahre 2050 75 %. Diese Ballungsräume verbrauchen die meiste Energie, verursachen die meisten Treibhausgase und verursachen eine signifikante Umweltverschmutzung. Diese städtischen Hitzeinseln speichern im Sommer am Nachmittag, in den Abendstunden und in der Nacht die Hitze: am Tag 3-5 °C, in der Nacht bis zu 10 °C. Die zunehmenden Tropennächte (≥20 °C) sind medizinisch besonders problematisch, mit deutlichem Anstieg des kardiovaskulären Risikos. Dies führt zu mehr Hospitalisationen, kardiovaskulären Komplikationen mit Strokes und Myokardinfarkten. Bis zum Jahr 2050 verändern viele Städte ihre mittlere Temperatur: so wird z.B. München wie Bologna, Paris wie Istanbul, London wie Barcelona mit einem mittleren Temperaturanstieg um jeweils 6 °C. Auch kommt es seit 1951 zu deutlich mehr Hitzetage/Jahr (≥30 °C: + 8,6) und deutlich weniger Eistage (≤0 °C: -13,6). Auf 1000 kardiovaskuläre Todesfälle entfielen 2 bzw. 9 zusätzliche Todesfälle auf extrem heisse bzw. kalte Tage (5). Frauen zeigen möglicherweise etwas stärkere Effekte. Nicht tödliche Myokardinfarkte haben 2001-2014 hitzeassoziiert vor allem bei zusätzlichen Komorbiditäten (Diabetes, Hyperlipidämie) im Augsburger Register zugenommen.
Die besonderen Hitzejahre 2003, 2015, 2018, 2022 und 2023 sind uns in Erinnerung. In Zukunft werden die Hitzeeffekte mit ihren negativen kardiovaskulären (cv) Auswirkungen stärker als die Kälteeffekte. Auch nehmen die Komorbiditäten und die Überalterung deutlich zu. Dies führt zu einer starken Zunahme der Hitze bedingten Mortalität bis Ende des Jahrhunderts. Wichtig ist auch der sozioökonomische Status. Die Menschen werden anfälliger für cv Ereignisse wie Myokardinfarkt oder Schlaganfall. Mehr als 4 % der Sommertodesfälle in Europa sind durch Hitze bedingt. Wenn die Temperatur in den Schweizer Städten von der 75. Perzentile auf die 99. Perzentile (geographische Lage) steigt, ist das cv relative Risiko
um 1.52, das pulmonale relative Risiko um 1.86 erhöht (www.exhaustion.eu).
Physiologie
Physiologisch kommt es durch die Hitze zu einer Vasodilatation und zum Schwitzen. Das Schwitzen und die Anhidrose sind sehr individuell. Bei nicht akklimatisierten Personen 1l Schweiss/h = 580 kcal Wärmeabgabe/h, bei akklimatisierten Personen 2-3l Schweiss/h = max. 1740 kcal/h durch Verdunstungswärmeverlust. Letzterer ist von vielen Parametern abhängig: Hautzustand, Schweissdrüsenfunktion, intravaskulärem Volumen, kardiovaskulärer Dysfunktion, Lungenfunktion, Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit – sofern diese ≤75 %,
Luftbewegung, Akklimatisation, Medikamente. Der Metabolismus, die Kerntemperatur und das Herzminutenvolumen sind erhöht; zusätzlich Vasodilatation und verminderter viszeraler Blutfluss.
Bei einer Dekompensation führt dies zu einer zentralen Hypovolämie mit einer Abnahme des Schlagvolumens, einem Anstieg der Herzfrequenz (bis 130-140/min) und der Inotropie mit einem erhöhten Sauerstoffbedarf des Herzens. Die Kerntemperatur steigt. Auch die Stresshormone sind erhöht. Ältere Menschen, chronisch kranke Patienten, Schwangere, Obdachlose, im Freien Arbeitende und sehr kleine Kinder können diese physiologischen Mechanismen auf die Hitze nicht vollziehen. Dies erhöht das Risiko für einen Hitzschlag (6). Gefährliche Vorerkrankungen in Kombination mit der Hitze sind: Herzkreislauferkrankungen, COPD, Diabetes Mellitus, CKD, Morbus Parkinson und Demenz, Psychische Erkrankungen, Adipositas per magna.
Hitzekrankheiten sind ein Kontinuum. Beginnend mit kutanen Veränderungen (gerötete überwärmte Haut = Vasodilatation, blasse kühlere Haut = vaskulärer Kollaps; Ödeme, Haut-Ausschlag), Hitzekrämpfen, Tetanie, Hitzesynkopen und Hitzeerschöpfung. Die schwerste Form ist der Hitzschlag mit einer Körpertemperatur ≥40 °C (je nach Massnahmen vor Diagnose) und einer neurologischen Dysfunktion mit: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und gestörtem Sensorium. Dabei besteht der Verdacht auf ein Hirnödem.
Man unterscheidet zwei Hitzschlagformen: a) Exertional Heat Stroke (EHS) bei sportlichen gesunden Jugendlichen und älteren aktiven Menschen in der Hitze. Dieser tritt sporadisch in jeder Jahreszeit bei einer Anstrengung bei gesunden Personen auf. Durch die körperliche Aktivität wird eine exzessive Hitze produziert, welche dann die physiologischen Abwehrmassnahmen übersteuert. Anstrengende körperliche Aktivität kann die Wärmeproduktion um mehr als das 10-fache auf Werte über 1000 kcal/h erhöhen. In ähnlicher Weise können Fieber, Schüttelfrost, Zittern, Krämpfe, Thyreotoxikose, Sepsis, Sympathomimetika und viele andere Erkrankungen die Wärmeproduktion erhöhen und dadurch die Körpertemperatur erhöhen. Es bestehen folgende möglichen Komplikationen bei einem EHS: eine metabolische Azidose, Organdysfunktionen (Leber, Niere in 25-30 %, ZNS u.a.), starker CPK-Anstieg mit evtl. Rhabdomyolyse, disseminierte Gerinnungsstörung, Hypokalzämie und Hyperkaliämie. Die Risikofaktoren sind: Übermotivation, verminderte Fitness, zusätzlicher Infekt, fehlendes Schwitzen, Medikamente, evtl. Einnahme von Alkohol oder Drogen.
b) Non-Exertional Heat Stroke (NEHS) = klassischer Hitzschlag ohne Anstrengung bei den erwähnten älteren, multimorbiden Patienten und bei kleinen Kindern mit verminderter bis fehlender physiologischer Reaktion auf die Hitze. Der Mechanismus ist ein Ungleichgewicht zwischen Absorption der Umgebungshitze und einer schlechten Hitzeabgabe. Die beim EHS erwähnten Komplikationen sind deutlich weniger vorhanden resp. weniger ausgeprägt. Oft positive Medikamentenanamnese, respiratorische Alkalose, selten NI.
Die Risikofaktoren sind hohe Temperaturen am Tag und in der Nacht, soziale Faktoren, begleitende Erkrankungen und diverse Medikamente. Der NEHS kann bei Hitzewellen epidemische Ausmasse annehmen. Beide Hitzschlag-Formen können ein ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) entwickeln.
Auf zellulärer Ebene werden durch übermässige Hitze Proteine und Zellmembranen denaturiert. Es entsteht eine Entzündung durch Freisetzung von Zytokinen, Interleukin und den Hitzeschock-Proteinen. Phospholipide und Lipoproteine werden destabilisiert und verflüssigt (Membranlipide (Apoptose, Zelltod)), was zu kardiovaskulärem Kollaps, Multiorganversagen und letztendlich zum Tod führt (6-8).
Bei einem vorgeschädigten Herz sind die pathologischen Auswirkungen ein Mismatch von Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf. Dies führt zu einem Typ-2-Myokard-Infarkt und zu einer Herzinsuffizienz. Die gesteigerte Entzündung und Thrombogenität führen zur Plaque-Ruptur und zu einem Typ-1-Myokardinfarkt – hier ist die Evidenz noch nicht so klar. Multiorganschäden an Nieren und Darm sind durch eine Minderdurchblutung möglich.
Bei Atemwegserkrankungen sind die Hitze und eine zusätzliche Luftverschmutzung ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Morbidität und Mortalität (+14%) verbunden, insbesondere bei Hitzewellen. Exazerbationen von COPD durch Schleimhautentzündungen mit Bronchialobstruktion und reduzierter Schleimhaut-Durchblutung. Dosieraerosole haben einen hohen Treibhauseffekt mit deutlich höherem Schädigungspotenzial als CO2 (9-11).
Medikamente können durch vermehrte unerwünschte Wirkungen die Vulnerabilität bei Hitze erhöhen und so die Patienten gefährden. Betablocker können Vasodilatation und Schwitzen hemmen – dies beeinträchtigt den physiologischen Hitzemechanismus. Cave auch Antihypertensiva, ACE-Hemmer (vermindern Durstgefühl), Antianginosa, Diuretika, CCB, Anticholinergika, Abführmittel, Schilddrüsenpräparate, SSRI; transdermale Opioide und Insulin s.c. wirken durch die Vasodilatation stärker und schneller – cave Hypoglykämie (1, 5-8, 11) – vgl.: www.dosing.de, www.mhh.de/allpallmed/adapt-heat.
Im Ruhe-EKG findet man neben einer Tachykardie, Repolarisationsstörungen (DD: Ischämie) und Überleitungsstörungen (RSB, verlängertes QT).
Die genaue Temperatur, bei der ein kardiovaskulärer Kollaps auftritt, variiert von Person zu Person, da gleichzeitig bestehende Krankheiten, Medikamente und andere Faktoren zu Organfunktionsstörungen beitragen oder diese verzögern können. Bei Patienten mit Temperaturen von bis zu 46 °C wurde eine vollständige Genesung beobachtet, und bei Patienten mit viel niedrigeren Temperaturen trat der Tod ein. Temperaturen über 41,1 °C sind im Allgemeinen katastrophal und erfordern eine sofortige aggressive Therapie (Kühltherapie).
Ohne eine solche Therapie kommt es zu einem Multiorganversagen inkl. einer kardialen Dysfunktion. Die Mortalität beträgt, je nach Literatur, 10-20 %. (6,8).
Therapeutisch gibt es beim Hitzschlag die Möglichkeit einer Kaltwasser-Immersion (Eiswasser oder Eintauchen in kaltes Wasser). Die bevorzugte Methode bei EHS. Diese ist unangenehm, führt zu einer subcutanen Vasokonstriktion mit Zittern. Letzteres dann wieder zu einer internen Wärmeproduktion. Die Überwachung gestaltet sich schwierig. In 20-40 Min. kann die Kerntemperatur auf ≤39 °C gesenkt werden. Eine weitere Möglichkeit ist der erwähnte Verdunstungswärmeverlust bei verschiedenen beeinflussenden Parametern. Der Patient wird ohne Kleider regelmässig mit lauwarmem Wasser besprüht und neben dem Patienten hat es einen Ventilator. Evaporative und konvektive Kühlung kann durch die Anwendung von Ganzkörper-Eispackungen ergänzt werden. Wichtig ist auch der iv. Volumen und Elektrolytersatz (NaCL 0.9 %, Ringerlactat, Mischinfusion). Spezifische Massnahmen je nach obiger Pathophysiologie. Zur Abklärung gehört bei Verdacht auf ein beginnendes Hirnödem ein Schädel-CT. Bei Verdacht auf ein Multiorganversagen ad IPS und Hinzuzug von entsprechenden Fachärzten (Abb. 1) (7, 8).
Die Feuchtkugeltemperatur (Wet-Bulb Globe Temperature, WBGT) ist ein Mass für die Umweltwärme, wie sie auf den Menschen wirkt. Im Gegensatz zu einer einfachen Temperaturmessung berücksichtigt die WBGT alle vier wichtigen Umweltwärmefaktoren: Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Strahlungswärme (von Sonnenlicht oder Quellen wie Öfen) und Luftbewegung (Wind oder Belüftung). Sie wird von Industriehygienikern, Sportlern, Sportveranstaltungen und dem Militär verwendet, um angemessene Expositionswerte für hohe Temperaturen zu bestimmen. Es besteht ein geringes Risiko, wenn der WBGT weniger als 18 °C beträgt, ein mässiges Risiko, wenn er 18-23 °C beträgt, ein hohes Risiko bei 23-28 °C und ein sehr hohes Risiko, wenn er ≥28 °C beträgt (6).
Feinstaubbelastung
Das Gesundheitsrisiko wird zusätzlich durch eine Feinstaubbelastung mit gasförmigen Komponenten und chemischen Bestandteilen potenziert – je mehr Luftschadstoffe vorhanden sind, desto stärker wirkt die Hitze bei der Entstehung und Akutmanifestation von Herzkreislauferkrankungen. Weniger Regen führt zu mehr Feinstaub, ebenso Wüsten-/Sahara-Staub, Vulkanausbrüche, Waldbrände, Industrie, Überdüngung, Verkehr, Verbrennung von Öl und Gas u.a. Ultrafeinstaub (<0,1 µM) kann direkt ins Hirn gelangen mit Erhöhung des Blutdrucks. Grössere Partikel (<2,5 + <10 µM) gelangen über die Lunge ins Blut und in die Gefässe. Dies führt zu oxidativem Stress und einer Entzündung im Blut und in den Plaques, über die Jahre dann zu einer Atherosklerose und zu Lungen- und anderen Endorganschädigungen. Der Feinstaub kann in Gefäss-Plaques nachgewiesen werden. Ein akuter Anstieg der Luftverschmutzung kann zu Plaques-Rupturen mit Myokardinfarkten und Schlaganfällen führen. Lärm und Feinstaub verschlechtern die Endothelfunktion; beide zusammen sind extrem schlecht. Nach einer Studie beträgt der Lebenszeitverlust durch Feinstaub 2,9 Lebensjahre, mehr als das Rauchen. Weltweit kommt es zu ca. 12 Millionen Todesfällen pro Jahr. Sport bei hoher Luftverschmutzung und an Hauptverkehrsachsen ist wahrscheinlich schädlich. Gesichtsmasken sind bei hoher Feinstaubbelastung nur begrenzt wirksam. Luftfilter wirken möglicherweise protektiv. 99 % der Weltbevölkerung leben an Orten, wo der WHO-Grenzwert von <5 µg/m3 überschritten wird. Der EU-Grenzwert beträgt 25 µg/m3. Nach WHO sterben 7 Mio./Jahr am Feinstaub. Bei weniger Feinstaub steigt die Temperatur durch weniger Reflexion der Sonne mehr an (2, 3).
Lärmbelastung
Strassenverkehrslärm/Fluglärm/Eisenbahnlärm (>55 dB nach WHO) steigert ebenfalls signifikant das Risiko für ischämische Herzkrankheiten und ischämische Schlaganfälle. Auch kommt es zu mehr Herzinsuffizienz und VHFli. Dieser Lärm führt in Europa nach der EEA zu 900 000 Hypertonien, 43 000 Hospitalisationen, 6.5 Mio. mit Schlafstörungen und 22 Mio. Personen leiden an der hohen Lärmbelästigung. Der Nachtlärm ist besonders schädlich. Fast 150 Millionen Menschen sind in Europa einem solchen Lärmpegel täglich ausgesetzt. Dies führt in Europa zu einem jährlichen Verlust von 1,6 Mio. gesunden Lebensjahren. Ein Zusammenhang besteht auch mit den cv Risikofaktoren Adipositas, Diabetes und Hypertonie. Verkehrslärm ist als ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen wie CHK, Hypertonie, Arrythmien, Stroke und Herzinsuffizienz nachgewiesen – +3,2 %/10 dB. Nach der Luftverschmutzung zählt der Lärm zu den grössten Umweltrisiken für die Gesundheit in Europa. Schlafstörungen, Störung der zirkadianen Rhythmik, Stressreaktionen/Hormone aktivieren das limbische- (Amygdala) und autonome Nervensystem/Sympathikus ab 55 dB. Es kommt zu ähnlichen pathophysiologischen Veränderungen mit oxidativem Stress, endothelialer Dysfunktion, Entzündungsreaktion in den Gefässen und einer Vasokonstriktion. Die manifesten Endorganschäden, innerhalb von 5 Jahren, sind kardiovaskuläre, zerebrovaskuläre und metabolische Erkrankungen. Es kommt auch zu einer Beeinträchtigung von Kognition und Gedächtnis. Beim Fluglärm kommen noch die Abgase der Triebwerke (Schmieröl und weitere schädliche kleine Partikel) dazu, welche die Atherosklerose und die cv-Ereignisse wie z.B. ein akutes Koronarsyndrom fördern (2,3).
Massnahmen gegen den Klimawandel
Hitze
Neben dem Erreichen der gesteckten Klimaziele können durch eine gute Städteplanung mit einer Reduktion von Hitzeinseln durch Ausbau von Grünflächen mit vielen Bäumen (30 % der Städte: -0.4° C, ca. -36 % Hitzetote) das kardiovaskuläre Risiko und die Mortalität gesenkt werden (12). Begrünung von Fassaden von Hochhäusern und Verminderung von Asphaltflächen sind weitere Massnahmen. Lärm und Luftverschmutzung werden günstig beeinflusst, die körperliche Aktivität der Bewohner verbessert, ebenso die Lebensqualität, die mentale Gesundheit, der Schlaf und das Mikrobiom. In Athen gibt es seit 2021 eine Hitzebeauftragte. Städtebauliche Massnahmen, Errichtung vieler kleine Parks, ein alter Viadukt wird renoviert, um Wasser in die Stadt zu führen (Verdunstung) und mit einer speziellen App wird den Bewohnern jeweils der kürzeste und kühlste Fussweg in der Stadt empfohlen. Ein grosses Problem sind auch die vielen Klimaanlagen in fast jeder Wohnung (Stromverbrauch). Ältere Personen werden zu Hause versorgt, auch gibt es spezielle «Kühlräume» für diese Population. 1987 führte eine Hitzewelle ohne diese präventiven Massnahmen zu 600-900 Toten. Weitere Massnahmen beinhalten: Auf- und Wiederaufforstungen von Wäldern, Implementierung von diversen Frühwarnsystemen, unter anderem via SMS aufs Handy, und optimales und nachhaltiges Management/Programme zur Wassereinsparung und bauliche Sicherungen in den Bergen inkl. Lawinenschutz und an Gewässern (Hochwasserschutz). Öffentlichkeitskampagnen und rechtzeitige Informationsverbreitungen reduzieren die verschiedenen Risiken bei Hitzewellen und anderen Naturereignissen.
Schadstoffe, Lärm
Mit einer intelligenten Verkehrsführung (Kompaktmassnahmen mit kürzeren Transportwegen mit weniger Lärm und Schadstoffen, verkehrsfreien Zonen, rascher Erreichbarkeit zu Fuss, Fahrrad/ÖV innert 15 Min.), geringer nächtlicher Lärmbelastung und einer verminderten Lichtverschmutzung (Blaulicht stört zirkadiane Rhythmik) können die oben erwähnten Umweltbelastungen und ihre gesundheitlichen Folgen mit Todesfällen deutlich reduziert werden. Strategien und Massnahmen zur Lärmminderung (Lärmschutzwände, Fensterisolierung, spez. Strassenbeläge, Flüsterbremse für Züge, Bauisolationen, Verkehrsberuhigung, Nachtflugverbot, lärmreduzierende Reifen, E-Autos u.a.) gehören dazu (2).
Weitere Massnahmen
Gegen Überflutungen werden am Meer, an Flüssen und Seen bauliche Massnahmen getätigt: Erhöhung der Dämme, Renaturierungen u.a.. In den Niederlanden, welche teilweise unter dem Meeresspiegel liegen, gibt es ein spezielles Schutzsystem mit hohen Schleusen gegen die Sturmfluten der Nordsee. Zur Waldbrandverhinderung werden Waldpflege und Wald-Schneisen verwirklicht und das Wassermanagement optimiert. Die Flotte der Löschflugzeuge wurde z.B. ums Mittelmeer in einem Länderverbund aufgestockt und ihr Einsatz koordiniert. Wegen der Gletscherschmelze und dem Auftauen des Permafrosts braucht es spezielle Vorkehrungen und Frühwarnsysteme (Felsabbrüche, Murgänge). Die meteorologischen Dienste und -Kapazitäten inkl. Satellitenüberwachung wurden in den letzten Jahren deutlich ausgebaut mit Verbesserung der weltweiten Kommunikation. So können präventive Massnahmen bei entsprechenden Gefahren rasch eingeleitet werden.
Es ist wichtig, dass wir Ärzte eine aktive Rolle zu diesem lebenswichtigen Thema einnehmen. Eine Schärfung des Bewusstseins für die Herausforderungen und Probleme des Klimawandels und die medizinischen und kardiovaskulären Folgen von Hitze, Luftverschmutzung, Lärm und urbanem Lebensstil, hilft diese Risikosituationen zu erkennen und Gegenmassnahmen, auch mit Schulung der Pa-tienten, einzuleiten resp. zu unterstützen. Eine gute Aufklärung ist die beste Prävention.
Copyright Aerzteverlag medinfo AG
Dr. med. Urs N. Dürst
Zelglistrasse 17
8127 Forch
u.n.duerst@ggaweb.ch
Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
1. Lechner K. et al., Hitze und kardiovaskuläres Risiko, Kardiologie 2024, 18: 120-126
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3. Münzel Th. et al., Environmental risk factors and cardiovascular diseases: a comprehensive expert review, Cardiovascular Research 2022, 118: 2880–2902
4. WMO-Bericht 2023, Zustand des Weltklimas 2023 (wmo.int)
5. Alahmad B. et al., Associations Between Extreme Temperatures and Cardiovascular Cause-Specific Mortality: Results From 27 Countries, Circulation 2023,147:35–46. DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.122.061832
6. Helman R.S. et al., Clinical practice guidelines for the prevention and treatment of heat illness (WMS, 2024), Medscape 18.6.2024, und Medscape 20.7.2022, Heatstroke
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11. Nohl-Deryk P. et al., Gesundheitliche Probleme in Hitzeperioden: Was Sie wissen sollten, MMW Fortschr Med. 2024, 166 (11): 38-40
12. Lungman T. et al, Cooling cities through urban green infrastructure: an assessment of the health impact of European cities, Lancet 2023, 401, 577-589. doi: 10.1016/S0140-6736(22)02585-5. Epub 31. Januar 2023
Die Arthrose ist eine häufige und invalidisierende Erkrankung bei älteren Menschen. Ihre Behandlung beruht hauptsächlich auf hygienisch-diätetischen und nicht-pharmakologischen Massnahmen, wobei nur wenige Therapieoptionen bei dieser Bevölkerungsgruppe eine günstige Risiko-Nutzen-Bilanz zeigen. Chondroitin ist ein langsam wirkendes Antiarthrotikum, das häufig zur symptomatischen Behandlung von Osteoarthritis eingesetzt wird. Die Wirksamkeit dieses Wirkstoffs ist umstritten. Es besteht jedoch ein möglicher Nutzen in Bezug auf die Verringerung der Arthroseschmerzen und die Verbesserung der Lebensqualität, der von Fall zu Fall beurteilt werden muss.
Osteoarthritis is a frequent and disabling condition in the elderly. Its management relies mainly on dietary hygiene and non-pharmacological measures, and few therapeutic options have a favourable risk/benefit balance in this population. Chondroitin is a slow-acting anti-arthrosic widely used in the symptomatic treatment of osteoarthritis. The efficacy of this substance is controversial, although there may be a benefit in terms of reducing osteoarthritis pain and improving quality of life, which needs to be assessed on a case-by-case basis. Key words: arthrose, chondroïtine, traitement symptomatique, douleurs
Arthrose bei älteren Menschen
Arthrose ist eine degenerative Erkrankung der Gelenke, die Schmerzen, Schwellungen und Steifheit verursacht und die Fähigkeit einer Person, sich frei zu bewegen, beeinträchtigt. Sie tritt am häufigsten in den Knien, Hüften, der Wirbelsäule und den Händen auf. Viele Faktoren können zur Entwicklung von Osteoarthritis beitragen, darunter eine Vorgeschichte von Gelenkverletzungen oder eine Überbeanspruchung der Gelenke, fortgeschrittenes Alter und Übergewicht. Besonders ältere Menschen sind von der Krankheit betroffen und Frauen mehr als Männer; im Jahr 2019 lebten weltweit etwa 528 Millionen Menschen mit Arthrose, eine Zahl, die im Vergleich zu 1990 um 113 % gestiegen ist (1–2). Es wird erwartet, dass die Prävalenz dieser chronischen Krankheit aufgrund der alternden Bevölkerung, der Zunahme von Fettleibigkeit und Traumata weiter ansteigt.
Arthrose ist eine schwer zu behandelnde Krankheit und es gibt nur sehr wenige wirksame und sichere Behandlungsmöglichkeiten. Dazu gehören nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), von denen bei älteren Menschen abgeraten wird, Paracetamol, das bei schwerer Arthrose wenig wirksam ist und das Risiko einer Lebertoxizität birgt, und Opiate, die manchmal zur Behandlung von schwerer Arthrose eingesetzt werden und bei dieser Bevölkerungsgruppe ein ausgeprägtes iatrogenes Risiko bergen. Chondroitin (Chondroitinsulfat), das als Mittel zur Verringerung von Gelenkschmerzen und Funktionseinschränkungen angepriesen wird, ist in dieser Indikation weit verbreitet und es sind zahlreiche Produkte auf dem Markt erhältlich. Doch was sind die Vorteile und Risiken dieses Wirkstoffs?
Chondroitin: einige pharmakologische Aspekte
Chondroitin ist ein Mucopolysaccharid, ein gereinigter Extrakt aus Knorpelgewebe tierischen Ursprungs. Es kommt natürlicherweise in allen Binde- und Knorpelgeweben unseres Körpers vor und sorgt dort unter anderem für deren Struktur und Elastizität in Verbindung mit seiner ausgeprägten Fähigkeit, Wasser zu binden. Chondroitin gehört zur Klasse der langsam wirkenden symptomatischen Antiarthrotika (AASAL), zu der auch Glucosamine, Diacerhein und Unverseifbare (aus Avocado oder Soja) gehören. Chondroitin ist auf ärztliche Verschreibung als OTC-Präparat und als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. In der Schweiz ist es in der Spezialitätenliste aufgeführt und wird von der Grundversicherung erstattet.
Die Wirkung von Chondroitin bei osteoartikulären Erkrankungen wird auf seine Aktivität zurückgeführt, die die Synthese von entzündungsfördernden Verbindungen und Prostaglandinen hemmt und die Proteoglykansynthese stimuliert. Darüber hinaus legen In-vitro-Studien eine Verringerung der katabolen Aktivität der Chondrozyten und der Synthese proteolytischer Enzyme nahe, die die Knorpelmatrix schädigen und zum Absterben der Chondrozyten führen können. Auch spielt es eine Rolle bei der Bildung neuer Knochen, Knorpel und Sehnen und erhält die strukturelle Integrität des Gewebes (3).
Aus pharmakokinetischer Sicht wird Chondroitin mit einer Bioverfügbarkeit von 10–20 % absorbiert. Es wird nicht durch Cytochrome P450 metabolisiert, sondern in der Leber schnell zu Mono-, Oligo- und Polysacchariden hydrolysiert, was das Risiko von Arzneimittelwechselwirkungen verringert. Es reichert sich im Gelenkgewebe an, wobei ein Gleichgewichtszustand nach 3–4 Tagen erreicht wird. Der Wirkungseintritt ist verzögert und beginnt nach einem Monat, der sich nach 2 Monaten bestätigt. Es dauert etwa 3–6 Monate, bis die maximale Wirkung erreicht ist. Chondroitin hat eine remanente Wirkung, die bis zu 2 Monate nach Absetzen der Behandlung anhält, wenn es mindestens zwei aufeinanderfolgende Halbmonate lang eingenommen wurde (3–4).
Chondroitin ist gut verträglich und scheint keine grösseren Sicherheitsbedenken zu haben. Eine kürzlich durchgeführte Infovigilanz des Nutrivigilanz-Systems der französischen Behörde für Lebensmittelsicherheit hat jedoch auf ein Risiko hingewiesen, das mit dem Verzehr von Produkten, die Chondroitin und/oder Glucosamin enthalten, verbunden ist. Die wichtigsten gemeldeten Nebenwirkungen waren gastroenterologische, hämatologische (thrombozytopenische Purpura und INR-Störung), hepatische und dermatologische Nebenwirkungen (5). Nebenwirkungen gastrointestinaler Art können reduziert werden, wenn das Medikament während einer Mahlzeit eingenommen wird. Zu beachten sind seltene Fälle von Ödemen und/oder Flüssigkeitsretention bei Patienten mit Nieren- und Herzinsuffizienz.
Welche Evidenz für die Wirksamkeit?
In zahlreichen Untersuchungen wurde die Wirksamkeit von Glucosamin und Chondroitin einzeln oder zusammen bei der Schmerzlinderung und der Verbesserung der Gelenkfunktion bewertet, wobei die Ergebnisse widersprüchlich waren. Die Empfehlungen der Osteoarthritis Research Society International (OARSI) weisen auf einen unklaren Nutzen bei der Schmerzlinderung von Kniearthrose hin, ohne dass die Krankheit beeinflusst wird (6). Ein von der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie veröffentlichter Expertenbericht rechtfertigt die Verwendung von Chondroitin und/oder Glucosamin, wenn es keine medikamentöse Alternative mit einem besseren Nutzen-Risiko-Verhältnis gibt (7).
Eine grosse Metaanalyse zur Bewertung der Wirksamkeit von Chondroitin bei Osteoarthrose (überwiegend Gonarthrose, seltener Coxarthrose und Handarthrose) berichtet über einen möglichen Nutzen dieses Moleküls auf der Grundlage von 4962 Teilnehmern, die mit Chondroitin behandelt wurden, gegenüber 4148 Teilnehmern, die mit Placebo oder anderen aktiven Vergleichsmitteln (nicht-steroidale Antirheumatika, Analgetika, Opioiden, Glucosamin oder anderen Kräuterarzneimitteln) über einen Zeitraum von 1 Monat bis 3 Jahren (8). Die Endpunkte waren Schmerzen, Steifheit und körperliche Funktion (numerische/visuelle Analogskala oder WOMAC (The Western Ontario and McMaster Universities Arthritis Index)), der Lequesne Algo-Functional Index (Index für Schmerzen, körperliche Funktion und Lebensqualität) und die Verringerung der minimalen Breite des Gelenkspalts (Röntgenaufnahme).
Die Ergebnisse dieser Metaanalyse legen nahe, dass die Schmerzen bei Patienten, die bis zu 6 Monate lang mit Chondroitin behandelt wurden, um 10 % (95 % Konfidenzintervall (95 % KI) 15 % bis 6 %) geringer waren als bei der Vergleichsgruppe mit einer erforderlichen Behandlungszahl von 5 (95 % KI 3 bis 8). In den Studien, die auf >6 Monaten Behandlungsdauer beruhten, war der Unterschied nicht signifikant (9 % 95 % KI 18 % bis 0 %). Auf der Grundlage der WOMAC-Skala wurde eine 20-prozentige Verringerung der Knieschmerzen bei 53 % der Patienten in der Chondroitin-Gruppe gegenüber 47 % in der Placebo-Gruppe erreicht, was einem Unterschied im absoluten Risiko von 6 % (95 % KI 1 % bis 11 %) entspricht. Basierend auf dem zusammengesetzten Lequesne-Endpunkt bei Patienten, die bis zu 6 Monate lang behandelt wurden, betrug der Unterschied im absoluten Risiko 8 % (95 %-KI 12 % bis 5 %). Es wurden keine statistisch signifikanten Unterschiede bei der Funktionalität und den meisten anderen klinischen und radiografischen Messwerten beobachtet. Diese Metaanalyse berichtete keine statistisch signifikanten Unterschiede in der Anzahl der unerwünschten Ereignisse, der Abbrüche aufgrund von unerwünschten Ereignissen im Vergleich zu Placebo oder einer aktiven Kontrolle. Bemerkenswert ist jedoch, dass die schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse in der Chondroitingruppe geringer waren als in den Gruppen der Vergleichspräparate.
Im Jahr 2018 bestätigten die Ergebnisse einer weiteren Metaanalyse zur Bewertung der Wirksamkeit von Chondroitin vs. Placebo, allein oder in Kombination, bei symptomatischer Osteoarthritis des Knies bei Patienten, die mindestens einen Monat lang behandelt wurden, eine Verringerung der Schmerzen um 7.1 % (95 % KI 11 % bis 3.42 %), ohne signifikanten Unterschied beim WOMAC-Index (–1.40 %; 95 % KI –4.5 % bis 1.71 %)(9).
Zusammenfassend deuten die Studien auf eine leichte kurzfristige (< 6 Monate) Schmerzlinderung durch die Einnahme von Chondroitin allein oder in Kombination mit anderen Medikamenten sowie auf eine mögliche leichte Verbesserung der Lebensqualität hin, wobei jedoch das niedrige Beweisniveau, das hohe Risiko von Verzerrungen und die starke Heterogenität der Studien zu berücksichtigen sind. Der therapeutische Nutzen von Chondroitin könnte in der Substitution von NSAR liegen, wodurch die chronische Anwendung von NSAR und die damit verbundenen Komplikationen bei älteren Patienten vermieden werden könnten, ohne dass dieser Nutzen jedoch durch Evidenz belegt wäre.
Umfassende Behandlung von Osteoarthritis
Die Behandlung der Osteoarthritis beruht in erster Linie auf hygienisch-diätetischen Massnahmen, die Gewichtsverlust, Übungsprogramme zur Schmerzlinderung und Steigerung der funktionellen Fähigkeiten, Krankengymnastik, das Tragen von Orthesen und die Verwendung von Gehstöcken umfassen. Obwohl die Wirksamkeit von Chondroitin nach den Kriterien der «evidenced-based medicine» umstritten ist, könnte bei einigen Patienten ein funktioneller und schmerzlindernder Nutzen wahrgenommen werden. Da die therapeutische Wirkung nach 1–2 Monaten Behandlung eintritt, sollte Chondroitin in langen Kuren von 2–6 Monaten verschrieben werden, um die Wirksamkeit zu maximieren, und abgesetzt werden, wenn innerhalb von 6 Monaten keine symptomatische Besserung erkennbar ist (10).
Copyright Aerzteverlag medinfo AG
Zweitabdruck aus «la gazette médicale» 02-2024
Prof. Dr. pharm.Chantal Csajka
Centre de Recherche et d’ Innovation en Sciences Pharmaceutiques
cliniques Centre Hospitalier Universitaire et Université de Lausanne
Suisse Rue du Bugnon 19
1011 Lausanne
Chantal.Csajka@chuv.ch
dipl. pharm. Sophia Hannou
Centre Hospitalier Universitaire
et Université de Lausanne
Suisse Rue du Bugnon 19
1011 Lausanne
Prof. Dr. med. Patrizia D’Amelio
Service de gériatrie et réadaptation gériatrique CHUV
Ch. De Mont-Paisible 16
1011 Lausanne
Die Autorinnen haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Arthrose ist eine häufige und behindernde Erkrankung bei älteren Patienten und es gibt nur sehr wenige wirksame und sichere Behandlungsmöglichkeiten.
◆ Der klinische Nutzen von Chondroitin bei Osteoarthritis, das allein oder in Kombination mit Glucosamin eingesetzt wird, ist nach wie vor umstritten, mit einer geringen Wirkung hauptsächlich auf die Schmerzen.
◆ Der Nutzen der Behandlung zeigt sich nach 2 Monaten und eine Neubewertung der Risiko-Nutzen-Bilanz nach 6 Monaten ist erforderlich, um eine unnötige Fortsetzung der Behandlung zu vermeiden.
◆ Die Einsparung von nicht-steroidalen Entzündungshemmern ist in der Praxis nicht belegt.
1. GBD 2019 Diseases and Injuries Collaborators. Global burden of 369 diseases and injuries in 204 countries and territories, 1990-2019: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2019. Lancet. 2020 Oct 17;396(10258):1204-1222.
2. Long H, Liu Q, Yin H, Diao N, Zhang Y, Lin J et al. Prevalence trends of site-specific osteoarthritis from 1990 to 2019: Findings from the global burden of disease study 2019. Arthritis Rheumatol 2022; 74(7): 1172-1183.
3. Henrotin Y, Mathy M, Sanchez C, Lambert C: Chondroitin sulfate in the treatment of osteoarthritis: from in vitro studies to clinical recommendations. Ther Adv Musculoskelet Dis. 2010 Dec;2(6):335-48.
4. Knox C, Wilson M, Klinger CM, et al. DrugBank 6.0: the DrugBank Knowledgebase for 2024. Nucleic Acids Res. 2024 Jan 5;52(D1):D1265-D1275.
5. Vidal. Compléments alimentaires à visée articulaire : la glucosamine et la chondroïtine sulfate potentiellement à risquehttps://www.vidal.fr/actualites/23171-complements-alimentaires-a-visee-articulaire-la-glucosamine-et-la-chondroitine-sulfate-potentiellement-a-risque.html [cité le 28.02.2024].
6. McAlindon T, Bannuru R, Sullivan M, Arden N, Berenbaum F, Bierma-Zeinstra S, Hawker Henrotin, G, Hunter D, Kawaguchi H, Kwoh K, Lohmander S, Rannou F Roos E, Underwood M. OARSI guidelines for the non-surgical management of knee Osteoarthritis. Osteoarthritis and Cartilage 22 (2014) 363e388
7. Société Suisse de Rhumatologie. https://www.rheuma-net.ch/fr/informations-d-experts [cité le 28.02.2024]
8. Singh JA, Noorbaloochi S, MacDonald R, Maxwell LJ. Chondroitin for osteoarthritis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015 Jan 28;1(1):CD005614.
9. Simental-Mendía M, Sánchez-García A, Vilchez-Cavazos F, Acosta-Olivo C, Pena-Martinez V, Simental-Mendia L. Effect of glucosamine and chondroitin sulfate in symptomatic knee steoarthritis: a systematic review and meta-analysis of randomized placebo-controlled trials. Rheumatol Int 38, 1413–1428 (2018).
10. Romain Thieubau. Proposition d’outils à l’attention du pharmacien d’officine dans le cadre de la prise en charge des douleurs arthrosiques du sujet âgé. Sciences pharmaceutiques. 2021. dumas-03329132
Die auf übermässigen und unsachgemässen Einsatz von Antibiotika zurückzuführenden Probleme mit Antibiotika-Resistenzen stellen eine wachsende Bedrohung für die globale Gesundheit dar. Prof. Dr. med. Nina Khanna vom Universitätsspital Basel betonte auf dem SGAIM-Frühjahrskongress die Dringlichkeit eines rationalen Antibiotikaeinsatzes und die Entwicklung neuer Medikamente. Die WHO klassifiziert Antibiotika in die Gruppen Access, Watch und Reserve ein, um deren angemessene Nutzung zu fördern. Multiresistente Erreger wie Carbapenemase-produzierende Bakterien erfordern innovative Lösungen, da die aktuellen therapeutischen Optionen zunehmend versagen.
Prof. Nina Khanna, Chefärztin Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene Universitätsspital Basel, den Fall eines 84-jährigen Patienten, der von einer geriatrischen Klinik in Basel wegen eines septischen Schocks eingeliefert wurde. Er war empirisch mit Piperacillin/Tazobactam behandelt worden, ohne dass eine Besserung eintrat. In der Blutkultur wurden Carbapenemase und ESBL nachgewiesen. Im Antibiogramm erwiesen sich sämtliche Medikamente als resistent. Man entschied sich für eine palliative Therapie und der Patient starb innerhalb von 4 Stunden.
Prof Dr. Nina Khanna Chefärztin Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene Universitätsspital Basel
Carbepenemase-produzierende Bakterien
Die Referentin zitierte eine Studie zur Epidemiologie von Patienten mit Carbapenemase-produzierenden Bakterien im Vergleich mit Patienten, bei denen Beta-Lactamase-produzierende Enterobacteriaceae mit erweitertem Spektrum nachgewiesen wurden. Die Studie zeigte, dass Carbapenemase-produzierende Bakterien (CPB) zwar immer noch hauptsächlich aus Gebieten mit höherer Endemie eingeschleppt werden, jedoch vermehrt Fälle einer Ansteckung mit lokal kursierenden CPB-Stämmen bei Patienten mit engem und/oder häufigem Kontakt mit Gesundheitsdiensten auftreten. Dieser Trend ähnelt der Epidemiologie von Extended-Spectrum Beta-Lactamase (ESBL) K. pneumoniae-Stämmen, die hauptsächlich durch Übertragung im Gesundheitswesen unterstützt wird (Vock I et al. Epidemiology of patients harboring carbapenemase-producing bacteria and comparison with patients with detection of extended-spectrum beta-lactamase-producing Enterobacterales-A retrospective cohort study. Infect Control Hosp Epidemiol 2023 Dec;44(12):1959-1965).
Globale Last bakterieller Resistenz
Gemäss einer in Lancet publizierten Übersichtsstudie (Antimicrobial Resistance Collaborators Lancet 2022; 399: 629–55) ist die Antimikrobielle Resistenz (AMR) eine der häufigsten Todesursachen auf der ganzen Welt, mit den höchsten Belastungen in ressourcenarmen Umgebungen. Das Verständnis der Belastung durch AMR und der mutmasslich hier hauptverantwortlichen Erreger-Arzneimittel-Kombinationen ist entscheidend, um fundierte und standortspezifische politische Entscheidungen zu treffen, insbesondere in Bezug auf Programme zur Antibiotikakontrolle. In vielen einkommensschwachen Gebieten gibt es gravierende Datenlücken bei der Erfassung von Antibiotika-Resistenzen, was die Notwendigkeit unterstreicht, die mikrobiologischen Laborkapazitäten und Datenerfassungssysteme zu erweitern, um das Verständnis für diese wichtige Bedrohung für die menschliche Gesundheit zu verbessern.
WHO AWaRe-Klassifizierung
Antibiotika wurden von der WHO in 3 Gruppen kategorisiert: Access, Watch und Reserve, unter Berücksichtigung der Asuwrikungem verschiedener Antibiotika und Antibiotikaklassen auf die Antibiotikaresistenz, um die Bedeutung ihrer angemessenen Verwendung hervorzuheben.
Zu Access gehören Cefiderocol, Ceftalzidim-Avibactam, Fosfomycin, Colistin. Linezolid. Dies sind die letzten Möglichkeiten zur Bekämpfung multiresistenter Erreger.
zu Watch Azithromycin, Clarithromycin, Ceftriaxon, Piperacillin Tazobactam, Meropene, Ciprofloxazin, zu Reserve Amoxicillin, Co-Amoxicillin, Penicillin, Doxycyclin, Cefazolin, Amikacin. Watch und Reserve sind oft erste oder zweite Wahl bei häufigen Infektsyndromen.
Gefordert ist ein rationaler und verantwortungsvoller Einsatz von Antibiotika mit dem Ziel Patienten auf die bestmögliche Art zu behandeln und gleichzeitig in Bakterien vorkommende Selektionsprozesse und Resistenz zu verhindern.
Schritt 1: Sind Antibiotika indiziert? Infektionen, die primär keine Antibiotika-Therapie erfordern:
– Otitis media
– Harnwegsinfektionen
– Verdacht auf Harnwegsinfekionen ist einer der häufigsten Gründe für Antibiotikaverschreibungen im Spital. Falsches Antibiotikum, falsche > Person (asymptomatische Bakteriurie), falsche Dauer.
Rationaler und verantwortungsvoller Einsatz – wenn Antibiotika indiziert sind, dann
RICHTIG:
Medikament so wenig wie möglich, Dosierung, Gabe von i.v. zu p.o. wenn immer möglich), Dauer (so kurz wie möglich).
MDR-Pathogene und neue Medikamente
Enterobacteriaceae – die wichtigsten ss-Lactame
– Antibiotika-Resistenzen sind weltweit auf dem Vormarsch
– Die Verhinderung und Bekämpfung von Erregern mit Multiresistenz (MDR) erfordert einen multifaktoriellen Ansatz
– Bedeutung der Antibiotika-Stewardship
– Fortschritte in der Antibiotika-Pipeline seit 2017, aber Schwierigkeiten bei der Entdeckung neuartiger antibakterieller Wirkstoffe mit selektiver Aktivität, gegen MDR-Bakterien, die nicht toxisch sind und geeignete pharmakokinetische und pharmakdynamische Eigenschaften aufweisen, insbesondere mit neuen Wirkmechanismen
– Derzeitiger ungedekcter medizinischer Bedarf an neuen Medikamenten zur Behandlung von arzneimittelresistentenm A. baumannii- (z. B. CRAB) und P. aeruginosa (z. B. CRPA)-Infektionen
– Entwicklung effizienter Entwicklungswege für nicht traditionelle antibakterielle Kandidaten durch die Herstellungs-, klinischen Versuchs- und Zulassungsverfahren
– Schwierigkeiten beim optimalen Studiendesign und bei der Auswahl der relevanten Zielpopulationen
Die diesjährige Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin stand unter dem Motto Kreative Medizin, Erneuern und Weitergeben. Der folgende Beitrag beleuchtet das immerfort
aktuelle Thema der Raucherentwöhnung.
Eine Studie an einer Million Frauen, über die Gefahren des Rauchens im 21. Jahrhundert und die Vorteile des Rauchstopps im United Kingdom war der Einstieg in den Vortrag von Prof. Dr. med. Jacques Cornuz, Centre universitaire de médecine préventive et santé publique, Lausanne. Der Referent zeigte, dass schon eine Zigarette pro Tag das relative Risiko steigert; bei 20 Zigaretten steigt es auf 37 %. Die spezifische Mortalität umfasst Lungenkrankheit, Lungenkrebs und koronare Herzkrankheit. Die Lebenserwartung wird im Mittel um 11 Jahre verkürzt. Die Mortalität bei Frauen veränderte sich über die Zeit von 2001 bis 2018 von anfänglich einem Total von über 25/100 000 Frauen mit Brustkrebs und ca. 16 pro 100 0000 Frauen mit Lungenkrebs auf etwa gleich viel (ca. 17 pro 100 000) Fälle bei beiden Krebsarten.
rof. Dr. med. Jacques Cornuz Centre universitaire de médecine préventive et santé publique, Lausanne
Ein Vergleich der Jahre 1922 und 2022 des BAG zeigt, dass Männer weniger rauchen, insbesondere die über 65-Jährigen, aber dass im Jahre 2022 mehr über 65-jährige Frauen rauchten als 1922. Frauen rauchen aber generell immer noch weniger als Männer.
30 Jahre Erfahrung
1993–2004 erste Entwicklungen, 2004–2024 wichtigste Errungenschaften
– Ambulante Konsultationen (Patienten in städtischen Arztpraxen)
– Konsultationen für hospitalisierte Patienten
– Ausbildung von Praktikanten und Fachkräften
– 2014–2024 Konsolidierung und … Schwächung
Wirksamkeit der ambulanten Konsultation
Ein Schulungsprogramm zur Raucherentwöhnung, das Ärzten verabreicht wurde und auf Verhaltenstheorie und -praxis mit standardisierten Patienten basierte, erhöhte die Qualität der ärztlichen Beratung, die Motivation der Raucher, mit dem Rauchen aufzuhören, und ging mit einer signifikanten Abstinenzraten nach einem Jahr einher (Cornuz J et al. Annals of Internal Medicine 2002; 136, 6).
Die Wirksamkeit einer niedrig intensiven Rauchstopp-Intervention bei hospitalisierten Patienten ergab einen Rauchstopp bei 23.9 % der Interventionsgruppe gegenüber 9.7 % in der Kontrollgruppe.
Ausbildung
2002 Nationales schweizerisches Ausbildungsprogramm Programm für Ärzte zur Tabak-Entwöhnung «Leben ohne Tabak», Referenzdokument «Tabak-Entwöhnung».
Ungefähr 12 000 Ärzte wurden seit 2002 ausgebildet, ungefähr 800 Assistenzärzte in der Allgemeinmedizin (Policlinique médicale Unisanté Lausanne).
Klinische Wirksamkeit
Wirksamkeit der anderen Methoden
– Unwirksam
– Benzodiazepine (mehrere RCT), aversive Methoden
– Kontroverse Methoden, wahrscheinlich ineffektiv
– Niedrige Qualität: Hypnose
– Placebo-Effekt: Akupunktur (Sham-Akupunktur)
– Körperliche Aktivität: Nicht besser als die Kontrollen
Warum rauchen Raucher?
Die Persönlichkeit, die Umgebung, aber auch das Rauchprodukt spielen eine Rolle
Warum mit dem Rauchen aufhören? Die gängigsten und die erstaunlichsten Gründe sind Gesundheit; Ökonomie; Druck der Umgebung; Bild, das man vor Kindern abgibt; Krebs bei seinem… Hund; Auswirkungen auf die Umwelt; mit neuen Motivationen arbeiten.
Motivationsinstrumente:
Hervorheben der Auswirkungen des Rauchens, Spirometrie? Menge von CO? Genetische Marker? Stenose der Karotisarterie, Cochrane Analyse «biomedical risk assessment as an aid for smoking cessation». Eine Cochrane Analyse fand keine Belege dafür, dass es den Rauchern hilft, mit dem Rauchen aufzuhören, wenn sie eine Rückmeldung über ihre Rauchexposition, ihr genetisches Risiko für raucherbedingte Krankheiten oder die Auswirkungen des Rauchens auf ihren Körper erhalten. Am vielversprechendsten waren die Ergebnisse, wenn man den Menschen eine Rückmeldung darüber gab, wie schädlich das Rauchen für ihren Körper ist. In den Studien wurde nicht über die Nebenwirkungen des Feedbacks berichtet. Angesichts der Art der Messungen (Lungen- oder Bluttests) ist jedoch davon auszugehen, dass das Risiko einer Schädigung gering ist.
Risikowahrnehmung
Tendenzen zur Verringerung von freiwillig eingegangenen Risiken (Rauchen) im Vergleich zu erlittenen, aufgezwungenen Risiken (Militärdienst). Grössere Akzeptanz eines früheren Risikos (Rauchen). Das wahrgenommene Risiko ist wesentlich geringer als das aktuelle relative Risiko bezüglich Lungenkarzinom, wie eine Studie mit 6369 Erwachsenen, wovon 124 Raucher waren, zeigte (Weinstein ND et al. Smokers’ unrealistic optimism about their risk. Tobacco Control 2005;14:55–59).
Bias bei Rauchern und Raucherinnen
Optimismus-Bias, Bias der Verfügbarkeit (Mediatisierung von Ereignissen), Bias für die Präferenz der Gegenwart (kurzfristige Sichtweise), Bias der kognitiven Dissonanz.
Vorsorgeuntersuchungen bei Raucherinnen und Rauchern
– Brustkrebs
– Mortalität um ca. 15 % erhöht
– Screening wahrscheinlich wirksam bei Raucherinnen
– Kolonkarzinom
– Mortalität um ca. 10 % erhöht. Screening wirksam!
– Screening auf Lungenkrebs
– Verringerung der Mortalität um ca. 20–25 %.
Neue Motivationswege
Zur Erinnerung: Informationen sind notwendig, aber nicht ausreichend. Überwindung der Optimismus-Verzerrung durch Nutzung der Verfügbarkeitsverzerrung. Neue Gesundheitsgefahren durch Tabak! Neue Wege der Informationsaufnahme und der Behandlung eröffnen, so der Referent.
Studie TABARAD (Tabak und Polonium)
Der kanzerogene Effekt von Polonium ist bekannt. Aber vergessen.
Der Terminus «sleeping giant» ist aus den Archiven von Philip Morris seit 1978 verschwunden. «Politische» Vergiftungen (Alexander Litvinenko 2006).
Studie von Unisanté bei 25 Rauchern: Messung von Polonium-210 im Urin und Vergleich mit den Werten von Nichtrauchern.
Auswirkung des CO2-Ausstosses der Tabakindustrie
84 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr = 1/3 der jährlichen Emissionen durch Frankreich.
Konsum und Abfall
Zigarettenstummel: Zwei Drittel werden in die Umgebung geworfen, bis zu 10 Milliarden jeden Tag.
Viele toxische Substanzen: Kohlenwasserstoffe, Quecksilber, Blei. Eine Zigarettenkippe verschmutzt bis zu 500 Liter Wasser.
Filter: Azetatzellulose, Mikroplastik: mehrere Jahre.
Neue Produkte
Vaporetten (elektronische Zigaretten)
Erhitzter Tabak
Oraler Tabak
Neue Nikotinverabreichungen oder Vaporetten
Flüssigkeit ist Propylenglykol und Glycerin (> 95 %) aromatisiert und mit Nikotin versetzt Generation: (cig-a-like), 2. Generation Cleararomizers), 3. Generation (Mods),
4. Generation (Pods), 5. Generation (Puff-Bars).
Zusammensetzung des Aerosols.
Elektronische Zigaretten
– Batterie zum Erhitzen einer Flüssigkeit, die in der Regel Niktoin enthält
– E-Liquid = Propylenglykol und Glycerin (> 95 %), Aromen und Nikotin (0–20 mg/ml).
– Sehr starke Verringerung der Anzahl und Konzentration toxischer Substanzen im Vergleich zum Zigarettenrauch. Vorhandensein einiger giftiger Substanzen. (Acetaldehyd, Formaldehyd, Acrolein, …) in unterschiedlicher Quantität entsprechend
– Zusammensetzung der Flüssigkeit, Wartung des Geräts (Widerstand alle 2–3 Wochen zu erneuern)
– Heiztemperatur, Spannung.
Sekundäreffekte des Vaporisierens
Langzeit-Sekundäreffekte sind keine bekannt. Kurzzeit: geringfügige Nebeneffekte: Husten, Mundtrockenheit, bukko-pharyngeale Reizung.
Seltene schwere Sekundärwirkungen: Pneumopathien aufgrund des Vitamin E Azetats in den Flüssigkeiten.
Nikotin-E-Zigaretten als Werkzeug für den Rauchstopp, Empfehlungen für Fachkräfte des Gesundheitswesens
Gebrauch ≥1mal in den letzten 30 Tagen, elektronische Zigaretten 25 %, herkömmliche Zigaretten 15 %.
Puffs führen zu grosser Umweltverschmutzung. Verbot der Puffs ist auch gut für die Umwelt. Die Bundesversammlung stimmt für ein Verbot der Puffs.
Erhitzte Tabakprodukte
Batteriebetriebenes Erhitzungssystem und spezielle Zigaretten oder Tabakkapseln. Der Tabak wird auf 250 bis 350 Grad erhitzt, thermochemischer Abbau des Tabaks (Pyrolyse). Immer noch Exposition gegenüber den wichtigsten toxischen Verbindungen des herkömmlichen Zigarettenrauchs, jedoch in deutlich geringeren Konzentrationen.
Oraler Tabak
Keine Verbrennung (kein CO, kein Teer). Vorhandensein von Nitrosaminen (kanzerogen), Schwermetallen, Nikotin mit hohem Suchtpotenzial. Auswirkungen auf die Gesundheit: Zunahme des Krebsrisikos des Mundes, der Speiseröhre, der Pankreasdrüse. Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Risiko der Frühgeburtlichkeit.
Snus
Oraler Tabak skandinavischer Herkunft mit reduzierter Menge an Nitrosaminen, Verkaufsverbot in der Europäischen Union ausser in Schweden, in der Schweiz seit 2019 zugelassen. Gewisse Produkte mit hohem Nikotingehalt (>30g/Tüte).
Nikotinbeutel
Produkte ohne Tabak aber mit Nikotin, seit 2019 im Verkauf. Keine Daten bezüglich Wirkung auf die Gesundheit. Wirksamkeit zur Tabakentwöhnung?
Und Morgen?
Das Spiel ist aus?
– UK: Endspiel für 2009 geborene Kinder.
– Neuseeland: Gesetz für Neugeborene seit 2008. Abschaffung dieses Gesetzes!
– Rolle von Zigaretten bei neuen Nikotinprodukten?
– WHO-Bericht: Non-Nikotin Tabak Alkaloide – synthetisches Nikotinanalogon (Jordt, Tab. Control 2024). CH: Sich nicht entmutigen lassen!
Prävention des Tabakkonsums in Europa:
Warum erhält die Schweiz innerhalb Europas einen tiefen Score? Präsenz der Tabakmultis, schwache Gesetzgebung gegen Tabakwerbung, neues Gesetz 2024 ohne vollständiges Werbeverbot. WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Keine Erhöhung der Tabaksteuer seit 2013, keine Fortschritte hinsichtlich der Unterstützung bei der Raucherentwöhnung.
Der Referent schloss mit dem Zitat «Hate the smoke, love the smoker» (Steve Schroeder, Univ. California, San Francisco).
Ce numéro de la Gazette médicale rassemble des articles ayant lien avec la psychiatrie de la personne âgée. Ce numéro s’est construit comme se construit une connaissance professionnelle, au hasard des rencontres et des lectures.
Ces rencontres ont été rendues possibles par la grande générosité des auteurs ayant pris le temps d’écrire sur un sujet qui leur tenait à cœur, et de la grande ouverture d’esprit du comité éditorial. Cela donne une série d’articles qui semblent éloignés mais qui ont en commun le sens du partage, et de la volonté de mettre la clinique au centre des préoccupations.
Ainsi à l’heure d’une accélération du volume des connaissances et de l’innovation pédagogique, ce numéro témoigne d’une pratique faite d’ouverture à l’autre et à toutes les formes de savoir issu de la clinique auprès des sujets âgés.
J’invite ici le lecteur à lire l’ensemble des articles de ce numéro, et pas seulement l’éventuel article dont le titre correspondrait à ses attentes ou à son domaine d’expertise ou de pratique. Espérons que ce numéro nourrisse ainsi la curiosité des lecteurs, et réaffirme le maintien de l’énigme que constitue l’autre.
Dr. Jean-Pierre Schuster
Dr Jean-Pierre Schuster
Service universitaire de psychiatrie de l’âge avancé
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
Route de Cery 60
1008 Prilly