SWISSMEDIC INFO

Public Summary SwissPAR vom 12.01.2024

Imjudo® (Wirkstoff: Tremelimumab)

Erstzulassung in der Schweiz: 13.09.2023
Arzneimittel (Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung) in Kombination mit Durvalumab zur Erstlinienbehandlung von Patientinnen und Patienten mit inoperablem hepatozellulärem Karzinom (uHCC)

Über das Arzneimittel

Das Arzneimittel Imjudo mit dem Wirkstoff Tremelimumab wird in Kombination mit dem Wirkstoff Durvalumab1 eingesetzt zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit inoperablem hepatozellulärem Karzinom (uHCC). Die Patientinnen und Patienten haben noch keine systemische Vorbehandlung2 erhalten.
Hepatozelluläre Karzinome sind aggressive Tumore und treten häufig im Zusammenhang mit chronischen Lebererkrankungen und Leberzirrhose auf. Sie werden in der Regel erst spät im Verlauf der Lebererkrankung diagnostiziert.
Da es sich bei uHCC um eine seltene und lebensbedrohende Krankheit handelt, wurde das Arzneimittel als «Orphan Drug» zugelassen. Mit «Orphan Drug» werden wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten bezeichnet.

Wirkung

Der Wirkstoff von Imjudo, Tremelimumab, ist ein monoklonaler Antikörper. Monoklonale Antikörper sind Proteine (Eiweisse), die spezifisch an andere Proteine binden können. Tremelimumab bindet an das sogenannte «CTLA-4-Antigen», ein Protein, welches die Aktivität von T-Zellen steuert. T-Zellen sind ein Teil des Immunsystems (körpereigenes Abwehrsystem). Durch die Bindung von Tremelimumab an CTLA-4 wird CTLA-4 gehemmt. Dies wiederum bewirkt ein Anstieg der Anzahl und der Aktivität der T-Zellen, welche Krebszellen abtöten können.
Durvalumab bewirkt über einen anderen Mechanismus ebenfalls eine erhöhte Aktivi-tät des körpereigenen Abwehrsystems gegen den Tumor, was die antitumorale Immunantwort von Tremelimumab noch verstärkt und die Ausbreitung des Krebses verlangsamt.

Anwendung

Imjudo mit dem Wirkstoff Tremelimumab ist rezeptpflichtig.
Imjudo wird als Infusion in die Venen (intravenös) über einen Zeitraum von einer Stunde verabreicht.
Die empfohlene Dosis Imjudo beträgt für Patientinnen und Patienten mit 30 kg oder mehr Körpergewicht 300 mg, in Kombination mit 1500 mg Durvalumab im Zyklus 1 am 1. Tag, gefolgt von einer Durvalumab (1500 mg) Monotherapie alle 4 Wochen.
Für Patientinnen und Patienten unter 30 kg Körpergewicht beträgt die empfohlene Dosis 4 mg Imjudo/ kg Körpergewicht und 20 mg Durvalumab/ kg Körpergewicht im Zyklus 1 am 1. Tag, gefolgt von einer Monotherapie mit Durvalumab (1500 mg), alle 4 Wochen bis das Körpergewicht 30 kg beträgt.
Die Behandlung sollte solange fortgesetzt werden, bis es zu einem Fortschreiten der Erkrankung kommt (Progression) oder bis die Nebenwirkungen zu gross sind.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Imjudo wurde in einer Studie (HIMALAYA) mit 1324 Patientinnen und Patienten untersucht. Die Patientinnen und Patienten wurden in 4 Gruppen aufgeteilt. Dabei wurden 2 Dosierungen von Imjudo (300 mg oder 75 mg) in Kombination mit Durvalumab gegen die alleinige Behandlung mit Durvalumab oder Sorafenib (zugelassene Behandlungsoption) verglichen.
Der primäre Endpunkt der Studie war das Gesamtüberleben (OS)3 der Patientinnen und Patienten, die mit 300 mg Imjudo in Kombination mit Durvalumab behandelt wurden.
Die Behandlung mit 300 mg Imjudo in Kombination mit Durvalumab zeigte eine statistisch signifikante Verbesserung des OS im Vergleich zur Behandlung mit Sorafenib. Jene Patientinnen und Patienten, die mit Imjudo in Kombination mit Durvalumab behandelt wurden, hatten ein medianes4 Gesamtüberleben von 16,4 Monaten. Im Vergleich dazu lebten jene Patientinnen und Patienten, welche mit Sorafenib behandelt wurden, im Median 13,8 Monate.

Vorsichtsmassnahmen, unerwünschte Wirkungen & Risiken

Imjudo darf bei einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe nicht angewendet werden.
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen (betrifft mehr als 1 von 10 Anwendern) sind Durchfall, Hautausschlag, Juckreiz, Husten, Fieber, Schmerzen in der Bauchregion, Schilddrüsenunterfunktion und erhöhte Aspartataminotransferase und Alaninaminotransferase5. Häufige schwerwiegende Nebenwirkungen (betrifft bis zu 1 von 10 Anwendern) sind Entzündungen des Dickdarms und Lungenentzündungen.
Durch die Hemmung des körpereigenen Abwehrsystems können auch immunvermittelte unerwünschte Wirkungen auftreten.
Alle Vorsichtsmassnahmen, Risiken und weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind in der Patientinnen- und Patienteninformation (Packungsbeilage) sowie in der Fachinformation aufgeführt.

Begründung des Zulassungsentscheids

Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist weltweit die fünfthäufigste Krebsart und die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache bei Männern.
Obwohl es schon Therapien zur Behandlung von HCC gibt, ist die Krankheit unheilbar und es besteht ein grosser medizinischer Bedarf an sicheren und wirksamen Behandlungsmöglichkeiten.
Die durchgeführte Studie HIMALAYA zeigte, dass Imjudo in Kombination mit Durvalumab die Überlebenszeit von Patientinnen und Patienten im Vergleich zur Behandlung mit Sorafenib verlängern kann. Die Nebenwirkungen von Imjudo in Kombination mit Durvalumab können schwerwiegend sein.
Unter Berücksichtigung aller Risiken und Vorsichtsmassnahmen und aufgrund der vorliegenden Daten überwiegen die Vorteile von Imjudo in Kombination mit Durvalumab die Risiken. Swissmedic hat daher das Arzneimittel Imjudo mit dem Wirkstoff Tremelimumab für die beantragte Indikation des inoperablen hepatozellulärem Karzinom (uHCC) für die Schweiz zugelassen.

Weitere Informationen zum Arzneimittel

Information für medizinisches Fachpersonal:
Fachinformation Imjudo® auf www.swissmedicinfo.ch
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.

1. Durvalumab ist ein bereits zugelassener Wirkstoff. Es ist ein monoklonaler Antikörper, aus der Gruppe der Checkpoint-Inhibitoren, der zur Behandlung von bösartigen Tumoren eingesetzt wird.
2. Systemische Therapie: Im Gegensatz zu einer lokalen Therapie (Behandlung am Ort der Erkrankung) wird bei der systemischen Therapie die Behandlung des gesamten Körpers zur Bekämpfung der Erkrankung eingeschlossen.
3. Gesamtüberleben: Das Gesamtüberleben (OS, overall survival) bezeichnet die Zeitspanne zwischen Therapiebeginn und Tod des Patienten bzw. der Patientin.
4. Median: Der Wert, der genau in der Mitte einer Datenverteilung liegt, nennt sich Median oder Zentralwert. Die eine Hälfte aller Daten ist immer kleiner, die andere grösser als der Median.
5. Aspartataminotransferase (AST) und Alaninaminotransferase (ALT): Dies sind beides Enzyme, welche vor allem in den Leberzellen produziert werden. Erhöhte Blutwerte der Aktivität dieser Enzyme können einen Hinweis auf Erkrankungen im Bereich der Leber darstellen.

Der Stand dieser Information entspricht demjenigen des SwissPAR. Neue Erkenntnisse über das zugelassene Arzneimittel fliessen nicht in den Public Summary SwissPAR ein.

In der Schweiz zugelassene Arzneimittel werden von Swissmedic überwacht. Bei neu festgestellten unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder anderen sicherheitsrelevanten Signalen leitet Swissmedic die notwendigen Massnahmen ein. Neue Erkenntnisse, welche die Qualität, die Wirksamkeit oder die Sicherheit dieses Medikaments beeinträchtigen könnten, werden von Swissmedic erfasst und publiziert. Bei Bedarf wird die Arzneimittelinformation angepasst.

SWISSMEDIC INFO

Public Summary SwissPAR vom 20.02.2024

Talvey® (Wirkstoff: Talquetamab)

Befristete Zulassung in der Schweiz: 30.10.2023
Arzneimittel (Injektionslösung) zur Viertlinien-Behandlung des rezividierenden oder refraktären multiplem Myeloms bei Erwachsenen

Befristete Zulassung in der Schweiz: 30.10.2023
Arzneimittel (Injektionslösung) zur Viertlinien-Behandlung des rezividierenden oder refraktären multiplem Myeloms bei Erwachsenen

Über das Arzneimittel

Das Arzneimittel Talvey mit dem Wirkstoff Talquetamab wird zur Behandlung des multiplen Myeloms («Knochenmarkkrebs») bei Erwachsenen eingesetzt, die mindestens drei vorausgegangene Behandlungsphasen durchlaufen haben, einschliesslich der Behandlung mit Medikamenten der drei Standardtherapieklassen, und deren Erkrankung nach der letzten Behandlungsphase ein Fortschreiten gezeigt hat.
Das multiple Myelom (MM) ist eine seltene Krebsart, welche etwa 1-2 Prozent aller Krebserkrankungen ausmacht. Die Häufigkeit der Neuerkrankungen mit MM nimmt mit dem Alter zu. Zwei Drittel der neuerkrankten Personen sind über 65 Jahre alt. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch eine übermässige Vermehrung der Plasmazellen. Plasmazellen sind eine Unterart der weissen Blutkörperchen, welche im körpereigenen Abwehrsystem (Immunsystem) für die Produktion von Antikörpern verantwortlich sind. Im Rahmen des MM vermehren sich Plasmazellen unkontrolliert im Knochenmark und manchmal auch in anderen Organen. Dies verhindert die normale Bildung von Blutzellen und kann Knochen und andere Organe zerstören bzw. in ihrer Funktion beeinträchtigen.
Da es sich beim multiplen Myelom um eine seltene und lebensbedrohende Krankheit handelt, wurde das Arzneimittel als «Orphan Drug» zugelassen. Mit Orphan Drug werden wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten bezeichnet.
Talvey wurde im Rahmen des «Project Orbis» zugelassen. Project Orbis ist ein von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA koordiniertes Programm für vielversprechende Krebsbehandlungen. Es bietet einen Rahmen für die gleichzeitige Einreichung und Prüfung von Krebsmedikamenten durch mehrere internationale Partnerbehörden verschiedener Länder. Damit wird das Ziel verfolgt, Patientinnen und Patienten einen schnelleren Zugang zu innovativen Krebsbehandlungen zu ermöglichen. Zurzeit sind die Zulassungsbehörden von Australien (TGA), Brasilien (ANVISA), Israel (MOH), Kanada (HC), Singapur (HSA), Schweiz (Swissmedic) und dem Vereinigten Königreich (MHRA) im Project Orbis vertreten.

Wirkung

Der Wirkstoff in Talvey, Talquetamab, ist ein Antikörper (ein immunologisch wirksames Protein), der sowohl an die Tumorzelle über das sogenannte GPRC5D-Antigen als auch an den CD3-Rezeptor (Bindungsstelle) auf den T-Zellen (Zellen des Immunsystems) bindet. Dadurch bringt Talquetamab die Tumorzellen mit den T-Zellen zusammen. Dies wiederum aktiviert die T-Zellen, die dann die multiplen Myelom-Zellen abtöten können.
Anwendung
Talvey mit dem Wirkstoff Talquetamab ist rezeptpflichtig. Talvey ist als Injektionslösung in den Dosen 3 mg gelöst in 1.5 ml und 40 mg gelöst in 1 ml in jeweils einer Durchstechflasche erhältlich. Talvey wird unter die Haut gespritzt. Die Dosierung wird schrittweise auf die Behandlungsdosis erhöht.
Die Anwendung von Talvey soll nur unter der Anleitung von ärztlichem Personal mit Erfahrung in der intensivmedizinischen Behandlung der möglicherweise auftretenden unerwünschten Wirkungen erfolgen. Zu Beginn der Therapie mit Talvey, und bei Bedarf auch im späteren Verlauf der Behandlung, ist eine stationäre Überwachung während mindestens 48 h nach der Verabreichung notwendig.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Talvey wurde in einer offenen Studie1 (MonumentTAL-1) ohne einen Kontrollarm mit 265 MM-Patientinnen und -Patienten untersucht. Die erwachsenen Patientinnen und Patienten hatten schon mindestens 3 vorangehende Behandlungsphasen, einschliesslich der Behandlung mit Medikamenten der drei Standardtherapieklassen erhalten.
Historisch betrachtet haben Patientinnen und Patienten mit wiederkehrendem oder behandlungsresistentem MM, die bereits mit den drei Standardtherapieklassen vorbehandelt wurden, einen ungünstigen Krankheitsverlauf (schlechte Prognose). Nach historischen Daten lag die Gesamtansprechrate (ORR)2 bei ca. 30 %. Das mediane3 progressionsfreie Überleben (PFS)4 lag bei ca. 3 bis 6 Monaten und das gesamte Überleben (OS) bei ca. 6 bis 12 Monaten.
Von den 122 Patientinnen und Patienten, der Patientengruppe, welche in der Studie mit 0,4 mg/kg Talvey wöchentlich behandelt wurden, wurde bei 89 Studienteilnehmenden ein Ansprechen und somit eine ORR von 73% erreicht. Das mediane PFS betrug 7,0 Monate. Aufgrund der zum Zeitpunkt der befristeten Zulassung noch nicht vollständig vorliegenden Daten, kann das Gesamtüberleben zurzeit noch nicht geschätzt werden. Daten von weiteren Patientengruppen der Studie unterstützten diese Ergebnisse.

Vorsichtsmassnahmen, unerwünschte Wirkungen & Risiken

Talvey darf bei einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe nicht angewendet werden.
Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen (betrifft mehr als 1 von 10 Anwendern) gehören das Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS)5, Geschmacksstörungen, Hypogammaglobulinämie6, Erkrankungen der Nägel, Muskelschmerzen, Neutropenie und Lymphopenie (niedrige Anzahl einer jeweils bestimmten Gruppe von weissen Blutkörperchen), Erkrankungen oder Ausschläge der Haut, Müdigkeit, Gewichtsabnahme, Blutarmut, trockener Mund, Fieber, trockene Haut, Thrombozytopenie (geringe Anzahl an Blutplättchen), Schluckstörungen, Durchfall, Infektionen der oberen Atemwege, Juckreiz, Husten, Schmerzen, verminderter Appetit und Kopfschmerzen.
Alle Vorsichtsmassnahmen, Risiken und weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind in der Fachinformation aufgeführt.

Begründung des Zulassungsentscheids

Patienten und Patientinnen mit einem wiederkehrendem oder behandlungsresistentem stark vorbehandelten MM haben eine schlechte Prognose. Daher besteht ein grosser Bedarf an neuen Therapiemöglichkeiten.
Die Daten der vorgelegten Studie zeigten eine hohe Ansprechrate unter Talvey verglichen zu den historischen Daten. Die Aussagekraft der Ergebnisse zum Überleben ist begrenzt, da die Studiendauer zum Zeitpunkt der Datenbetrachtung noch nicht ausreichend lang war.
Das Arzneimittel Talvey wurde deshalb in der Schweiz befristet zugelassen (Art. 9a HMG), da zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht alle klinischen Studien vorliegen oder abgeschlossen waren. Die befristete Zulassung ist zwingend an die zeitgerechte Einreichung der von Swissmedic verlangten ergänzenden Daten gebunden. Nach Erfüllung dieser Zulassungsauflagen kann die befristete Zulassung bei positiver Nutzen-Risiko-Beurteilung der Resultate in eine Zulassung überführt werden.

Weitere Informationen zum Arzneimittel

Information für medizinisches Fachpersonal: Fachinformation Talvey® auf www.swissmedicinfo.ch
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.

1. Offene Studie: Bei einer offenen (unverblindeten) Studie, wissen die Gesundheitsfachpersonen, sowie auch die Patientinnen und Patienten, welche Therapie die Studienteilnehmenden erhalten.
2. ORR (objective response rate) ist definiert als prozentualer Anteil von Patientinnen und Patienten mit Ansprechen auf die Therapie.
3. Median: Der Wert, der genau in der Mitte einer Datenverteilung liegt, nennt sich Median oder Zentralwert. Die eine Hälfte aller Daten ist immer kleiner, die andere grösser als der Median.
4. PFS: Progressionsfreies Überleben (PFS, progression-free survival): Zeitspanne zwischen dem Start einer Behandlung oder einer klinischen Studie und dem Beginn des Fortschreitens der Krankheit oder dem Tod der Patientin oder des Patienten.
5. Zytokin-Freisetzungssyndrom ist eine systemischen Entzündungsreaktion aufgrund massiver Ausschüttung von Zytokinen (Eiweisse), die die weissen Blutkörperchen aktivieren.
6. Hypogammaglobulinämie: Erkrankung des Immunsystems (körpereigenes Abwehrsystem), bei der zu wenig oder keine Immunoglobluline im Blut vorhanden sind. Immunoglobuline sind Proteine (Eiweisse), welche das Immunsystem unterstützen.

Der Stand dieser Information entspricht demjenigen des SwissPAR. Neue Erkenntnisse über das zugelassene Arzneimittel fliessen nicht in den Public Summary SwissPAR ein.
In der Schweiz zugelassene Arzneimittel werden von Swissmedic überwacht. Bei neu festgestellten unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder anderen sicherheitsrelevanten Signalen leitet Swissmedic die notwendigen Massnahmen ein. Neue Erkenntnisse, welche die Qualität, die Wirkung oder die Sicherheit dieses Medikaments beeinträchtigen könnten, werden von Swissmedic erfasst und publiziert. Bei Bedarf wird die Arzneimittelinformation angepasst.

SWISSMEDIC INFO

Public Summary SwissPAR vom 29.12.2023

Brukinsa® (Wirkstoff: Zanubrutinib)

Indikationserweiterung in der Schweiz: 29.08.2023
Arzneimittel (Hartkapsel) zur Behandlung von Erwachsenen mit chronisch lymphatischer Leukämie (CLL)

Über das Arzneimittel

Brukinsa mit dem Wirkstoff Zanubrutinib wird bei Erwachsenen mit chronisch lymphatischer Leukämie (CLL) angewendet. Die Patientinnen und Patienten haben schon mindestens eine Vortherapie erhalten. CLL ist eine Blutkrebserkrankung der Lymphozyten (weisse Blutzellen), die sich auch auf die Lymphknoten auswirkt.

Da es sich bei dieser Krankheit um eine seltene und lebensbedrohende Krankheit handelt, wurde Brukinsa als «Orphan Drug» zugelassen. Mit «Orphan Drug» werden wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten bezeichnet. Swissmedic hat Brukinsa bereits am 08.02.2022 zugelassen für die Behandlung von Erwachsenen mit Waldenströms Makroglobulinämie (WM).

Wirkung

Die Wirkung von Brukinsa kommt durch die Blockade der BrutonTyrosin-Kinase zustande. Die Bruton-Tyrosin-Kinase ist ein Enzym (1), welches mitverantwortlich ist, dass CLL Krebszellen überleben und wachsen. Durch die Blockade dieses Enzyms kann Brukinsa die Anzahl an CLL Krebszellen reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen.

Anwendung

Brukinsa mit dem Wirkstoff Zanubrutinib ist rezeptpflichtig und als Hartkapsel in der Dosisstärke 80 mg zugelassen. Die empfohlene Dosis beträgt 4 Kapseln täglich. 4 Kapseln einmal täglich oder 2 Kapseln zweimal täglich, morgens und abends. Brukinsa sollte täglich ungefähr zur gleichen Zeit mit oder ohne Essen eingenommen wer den. Die Kapseln müssen als Ganzes mit einem Glas Wasser geschluckt werden. Die Kapseln dürfen vor dem Schlucken nicht geöffnet, aufgelöst oder zerkaut werden.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Brukinsa zur Behandlung von Erwachsenen mit CLL wurde in einer Studie (BGB-3111-305) mit 652 Patientinnen und Patienten untersucht. Die Studie wurde mit an CLL erkrankten Patientinnen und Patienten durchgeführt, die vorgängig mindestens eine Therapie erhalten hatten. Die Hälfte der Studienteilnehmenden erhielten täglich 320 mg Brukinsa und die andere Hälfte täglich 420 mg Ibrutinib (bereits zugelassener Wirkstoff zur Behandlung von CLL). Der primäre Endpunkt der Studie war die Gesamtansprechrate (ORR)2, bewertet durch die Prüfärztin bzw. den Prüfarzt unter Anwendung vordefinierter Kriterien. Die durch Prüfärzte beurteilte Gesamtansprechrate war signifikant höher für Brukinsa gegenüber Ibrutinib (78.3% gegenüber 62.5%).

Die Ergebnisse der sekundären Endpunkte, das Progressionsfreie Überleben (PFS)3, nach Einschätzung des Prüfarztes und des unabhängigen Prüfungsausschusses (IRC), und das Gesamtüberleben (OS)4 zeigten ebenfalls einen Vorteil von Brukinsa gegenüber Ibrutinib.

Vorsichtsmassnahmen, unerwünschte Wirkungen & Risiken

Brukinsa darf bei einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe nicht angewendet werden.

Brukinsa kann Nebenwirkungen verursachen, über die der Arzt bzw. die Ärztin unverzüglich in Kenntnis gesetzt werden muss. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen (>10%) bei mit Brukinsa behandelten Patientinnen und Patienten sind Neutropenie (niedrige Anzahl einer bestimmten Gruppe von weissen Blutkörperchen), Thrombozytopenie (geringe Anzahl an Blutplättchen), Infektion der oberen Atemwege, Blutungen/ Hämatome inkl. Blutergüsse, Hautausschlag, Anämie (geringe Anzahl roter Blutkörperchen), Schmerzen im Bewegungsapparat, Durchfall, Lungenentzündung, Husten, Erschöpfung, Harnwegsinfektion, Verstopfung und Schwindel.

Alle Vorsichtsmassnahmen, Risiken und weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind in der Patientinnen- und Patienteninformation (Packungsbeilage) sowie in der Fachinformation (Informationen für medizinisches Fachpersonal) aufgeführt.

Begründung des Zulassungsentscheids

Obwohl die chronische lymphatische Leukämie (CLL) eine seltene Erkrankung ist, ist sie die häufigste Leukämie in der westlichen Welt mit einer geschätzten Häufigkeit von etwa 5-10 Fällen pro 100’000 Personen jährlich in der Schweiz. Obwohl bei der Behandlung von CLL beträchtliche Fortschritte erzielt wurden, ist die Krankheit nach wie vor unheilbar und es besteht ein grosser medizinischer Bedarf an sicheren und wirksamen Behandlungsmöglichkeiten.

Die Daten der Studie BGB-3111-305 zeigen einen Vorteil im Gesamtüberleben (OS) bei Brukinsa gegenüber Ibrutinib. Auch ist das Sicherheitsprofil von Brukinsa vergleichbar mit jenem von Ibrutinib. mit einer niedrigeren Häufigkeit von Vorhofflimmern.

Da CLL eine Krebserkrankung mit einem typischerweise langen Krankheitsverlauf ist, sollen Abschlussberichte der oben genannten klinischen Studie in Zukunft weitere Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit von Brukinsa erbringen.

Unter Berücksichtigung aller vorliegenden Daten überwiegen die Vorteile von Brukinsa die Risiken. Swissmedic hat daher die Indikationserweiterung von Brukinsa zur Behandlung von Erwachsenen mit CLL, die mindestens eine Vortherapie erhalten haben, zugelassen.

Weitere Informationen zum Arzneimittel

Information für medizinisches Fachpersonal: Fachinformation Brukinsa® auf www.swissmedicinfo.ch
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.

1. Enzyme sind Eiweisse (Proteine), die als Biokatalysatoren biochemische Reaktionen im Organismus steuern und beschleunigen.
2. Gesamtansprechrate: ORR (objective response rate) ist definiert als prozentualer Anteil von Patientinnen und Patienten mit Ansprechen auf die Therapie.
3. Progressionsfreies Überleben: Progressionsfreies Überleben (PFS, progressionfree survival): Zeitspanne zwischen dem Start einer Behandlung oder einer klinischen Studie und dem Beginn des Fortschreitens der Krankheit oder dem Tod der Patientin oder des Patienten.
4. Gesamtüberleben: Das Gesamtüberleben (OS, overall survi-val) bezeichnet die Zeitspanne zwischen Therapiebeginn und Tod des Patienten bzw. der Patientin.

Der Stand dieser Information entspricht demjenigen des SwissPAR. Neue Erkenntnisse über das zugelassene Arzneimittel fliessen nicht in den Public Summary SwissPAR ein.

In der Schweiz zugelassene Arzneimittel werden von Swissmedic überwacht. Bei neu festgestellten unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder anderen sicherheitsrelevanten Signalen leitet Swissmedic die notwendigen Massnahmen ein. Neue Erkenntnisse, welche die Qualität, die Wirkung oder die Sicherheit dieses Medikaments beeinträchtigen könnten, werden von Swissmedic erfasst und publiziert. Bei Bedarf wird die Arzneimittelinformation angepasst.

Neue Organisationsstruktur mit eigenem Bereich Überwachung Medizinprodukte – Eveline Trachsel wird Leiterin des Bereichs Zulassung und Vigilance Arzneimittel

Mit einer Reorganisation, die sowohl die Zuständigkeiten bei den Medizinprodukten als auch die Marktüberwachung sichtbarer macht, ist das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic ins 2024 gestartet. Gleichzeitig wurde die Leitung des Bereichs Zulassung und Vigilance Arzneimittel mit Dr. Eveline Trachsel neu besetzt.

Für die Strategieperiode 2023-2026 hat Swissmedic unter anderem das Ziel, die gesetzlichen Zuständigkeiten bei Medizinprodukten besser sichtbar zu machen und die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich zu intensivieren. Dies ist sehr wichtig, weil die Regulierung der Medizinprodukte bisher global wenig harmonisiert, der Markt jedoch sehr international ausgerichtet ist. Zudem werden in der Schweiz und in Europa diese für die Behandlung von Patientinnen und Patienten zentralen Produkte nicht behördlich zugelassen. Ihre Konformität wird, je nach Risikoklasse, durch den Hersteller alleine oder ergänzend durch staatlich benannte und überwachte Prüfstellen (auch Konformitätsbewertungsstellen, Benannte Stellen oder Notified Bodies genannt) bewertet. Der Fokus von Swissmedic liegt entsprechend auf der Marktüberwachung.

Der neue Geschäftsbereich Überwachung Medizinprodukte verantwortet, wie bisher der Bereich Marktüberwachung, die Sicherheit der klinischen Versuche, die Materiovigilance und die Marktkontrolle der Medizinprodukte. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Überwachung der Aufbereitung und Instandhaltung von Medizinprodukten in Spitälern. Für eine bessere Marktübersicht sieht die neue Regulierung eine Registrierung von Wirtschaftsakteuren sowie eine Selbstregistrierung der Medizinprodukte im Schweizer Markt durch die verantwortlichen Marktakteure vor. Die hierfür erforderliche Datenbank (Swissdamed) wird derzeit aufgebaut und im Laufe des Jahres bereitgestellt.

Die Marktüberwachungstätigkeiten von Swissmedic im Bereich Arzneimittel wurden auf den 01. Januar 2024 neu zugeordnet:
Der Bereich Bewilligungen und Überwachung Arzneimittel ist zuständig für die behördlichen Bewilligungen und Inspektionen bei klinischen Versuchen sowie der Herstellung und des Vertriebs von Arzneimitteln. Das OMCL-Labor nimmt für die Sicherheit der Arzneimittel auf dem Schweizer Markt Prüfungen und Chargenfreigaben vor. Der Bereich ist neu auch für die Marktkontrolle der zugelassenen Arzneimittel zuständig, bearbeitet Meldungen zu Qualitätsmängeln und bekämpft den illegalen Handel mit Arzneimitteln.

Der neu «Zulassung und Vigilance Arzneimittel» benannte Bereich ist verantwortlich für die Zulassung von Arzneimitteln (inkl. Impfstoffe), die Erfassung und Abklärung von Nebenwirkungsmeldungen aus dem Markt (sog. Pharmakovigilance) sowie die Durchsetzung der erforderlichen sicherheitsrelevanten Korrekturmassnahmen.

Neue Leiterin Zulassung und Vigilance Arzneimittel

Ebenfalls auf das neue Jahr hat Swissmedic das Geschäftsleitungsmitglied Eveline Trachsel willkommen geheissen. Die promovierte Pharmazeutin bringt breite Erfahrung in der Forschung und Entwicklung von Behandlungen verschiedener Erkrankungen mit und verfügt über ein Executive MBA in General Management mit Fokus auf Digitale Transformation. Sie übernimmt die Leitung des Bereichs Zulassung und Vigilance Arzneimittel und folgt auf Claus Bolte, der diese Funktion Mitte 2023 abgegeben hat.

Nicht-Verlängerung der befristeten Zulassung in der Indikation «Medulläres Schild­drüsenkarzinom mit RET- Mutation»

Roche Pharma (Schweiz) informiert über die Nicht-Verlängerung der befristeten Zulassung in der Indikation «Medulläres Schilddrüsenkarzinom mit RET-Mutation».

Diese Entscheidung erfolgt nach Rücksprache mit Swissmedic, basierend auf der Machbarkeit der konfirmatorischen Studie CO42865 (AcceleRET-MTC) und in Übereinstimmung mit den Anforderungen der befristeten Zulassung.

Diese Entscheidung basiert nicht auf neuen Daten zur Sicherheit oder Wirksamkeit von Gavreto in dieser Indikation.

Diese Veränderung wirkt sich NICHT auf andere zugelassene Gavreto-Indikationen in der Schweiz aus: Die Verlängerung der befristeten Zulassung von Gavreto für die Indikationen «RET-Fusion-positives Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom» und «RET-Fusion-positives Schilddrüsenkarzinom» wurde bis 12.11.2025 durch Swissmedic genehmigt.

Zusammenhang zwischen Ibrutinib bzw. Venetoclax und progressiver multifokaler Leukenzephalopathie

David Haefliger, MD; Prof. Dr. med. François Girardin, MSc, eMBA Regionales Pharmacovigilance-Zentrum, Abteilung Klinische Pharmakologie, Universitätsspital Lausanne (CHUV), Schweiz

Einleitung

Die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) ist eine opportunistische Infektion des zentralen Nervensystems (ZNS), die durch das JCPolyomavirus verursacht wird (1). Die Mehrzahl der PML-Fälle tritt bei Patienten auf, die gleichzeitig mit HIV infiziert sind. Weitere Risikofaktoren sind hämatologische Malignome, Autoimmunerkrankungen (z. B. Multiple Sklerose, Sarkoidose, rheumatoide Arthritis) oder Immunsuppression nach Organtransplantationen. Einige Medikamente wurden mit einem erhöhten PML-Risiko in Verbindung gebracht, z. B. solche mit B-Zell-Depletion (Rituximab) und VLA4-Integrin-Antagonisten (Natalizumab).

Bei anderen Arzneimitteln ist der Zusammenhang mit PML nicht eindeutig nachgewiesen (1–4). Fälle von arzneimittelinduzierter PML manifestieren sich meist mit motorischen und/oder kognitiven Defiziten mit radiologisch nachweisbaren Läsionen vorwiegend im Frontal- und Parietalbereich (5). In der Onkologie tritt eine arzneimittelinduzierte PML im Durchschnitt 14 Monate nach erstmaliger Gabe des betreffenden Arzneimittels auf (5). Wir berichten über einen Patienten, der im Rahmen einer chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) eine PML mit wahrscheinlicher Beteiligung von Ibrutinib und Venetoclax entwickelte.

Fallbericht

Bei einem Patienten in seinen Siebzigern mit einer 2014 diagnostizierten CLL wurde nach 15 Zyklen Rituximab und Bendamustin (letzte Verabreichung im September 2019) angenommen, dass er sich in Remission befindet. Aufgrund eines hämatologischen Rückfalls wurde im Januar 2022 eine Behandlung mit Venetoclax (Venclyxto®) 400 mg 1 x täglich und Ibrutinib (Imbruvica®) 280 mg 1 x täglich begonnen. Die Standarddosis von Ibrutinib ist 420 mg 1 x täglich, der Patient erhielt jedoch eine niedrigere Dosis aufgrund einer Wechselwirkung zwischen Ibrutinib und CYP3A4-Inhibitoren (d. h. Amiodaron und Diltiazem gegen Vorhofflattern). Weitere verschriebene Medikamente waren Apixaban, Olmesartan und Cholecalciferol/Calcium. Im Dezember 2022 wurde eine schnell einsetzende kognitive Beeinträchtigung mit Gedächtnisverlust und exekutiver Dysfunktion gemeldet. Mitte Februar 2023 wurde der Patient zur Untersuchung eines Hemineglect-Syndroms eingewiesen. Vitalparameter bei der Aufnahme: Blutdruck 140/73 mmHg, Herzfrequenz 67 min-1, O2-Sättigung 95 %, Körpertemperatur 36,8°C. Bei der neurologischen Untersuchung war der Patient desorientiert und zeigte rechts einen multimodalen Hemineglect, eine Labial-Ptosis, Schlaffheit der rechten Extremität und Babinski-Reflex beim rechten Fuss. Die Labortests zeigten eine stabile Nierenfunktion mit einem Kreatininwert von 136 μmol/l (N 62-106 μmol/l) und mit Leberwerten, einschliesslich der Transaminasen, im Normbereich. Das Blutbild zeigte keine Anomalien bezüglich neutrophiler Granulozyten. Lymphozyten-Zellzahlen: Die Zellzahl lag für BZellen bei 8 Zellen/mm3 (N 80-490 Zellen/mm3), für CD4+ T-Zellen bei 359 Zellen/mm3 (N 490-1640 Zellen/mm3) und für CD8+ T-Zellen bei 1709 Zellen/mm3 (N 170-880 Zellen/mm3). Der serologische HIV-Test war negativ. Die zerebralen MRT-Befunde bestätigten die PML-Merkmale: Es wurden multifokale periventrikuläre und subkortikale Bereiche mit hyperintensen Signalen bei T2-Gewichtung festgestellt, hauptsächlich bilateral in den Frontal-, Parietal- und Okzipitalregionen. Eine Lumbalpunktion ergab erhöhte Proteine von 707 mg/l (N 150-460 mg/l), aber Glukose und Laktate blieben Swissmedic Vigilance-News | Edition 30 – Mai 2023 11 im Normbereich. Die zytologische Untersuchung ergab keine Tumorzellen, und die Zellularität war normal. Bei der mikrobiologischen Untersuchung des Liquors wurde das JC-Polyomavirus nachgewiesen (PCR mit 900 Kopien/ml). Die Reaktivierung des JC-Virus wurde auf die mit der CLL verbundene Immunsuppression und auf die Behandlung mit Venetoclax und Ibrutinib (beide abgesetzt) zurückgeführt. Der Krankheitsverlauf war ungünstig und es wurde eine palliative Behandlung eingeleitet. Der Patient starb vier Wochen nach der Einweisung.

Diskussion

Der Patient entwickelte eine PML im Zusammenhang mit CLL ein Jahr nach Beginn der Behandlung mit Venetoclax und Ibrutinib.Venetoclax ist wie Navitoclax ein selektiver Inhibitor des antiapoptotischen Proteins BCL-2 (B-Zell- Lymphom): Es hemmt das BCL-2-Protein, was zur mitochondrialen Apoptose durch Aktivierung der Caspasen führt, einer Familie von Proteasen, die eine wesentliche Rolle beim programmierten Zelltod spielen. Die immunsuppressive Wirkung von Venetoclax ist letztlich auf anhaltende Zytopenien zurückzuführen (6). Häufige unerwünschte Ereignisse sind Neutropenie und Lymphopenie mit Atemwegs- und Harnwegsinfektionen. Opportunistische Infektionen (wie z. B. die Reaktivierung des JC-Virus) werden jedoch nicht als unerwünschte Arzneimittelwirkungen gemeldet, auch nicht langfristig. In der Datenbank der Europäischen Arzneimittel-Agentur sind fünf Fälle von PML in Zusammenhang mit Venetoclax verzeichnet. Gemäss einer Untersuchung der European Society of Infectious Diseases entwickeln 3,6 % der Patienten, die mit Venetoclax behandelt werden, opportunistische Infektionen (einschliesslich Aspergillose, Pneumocystis, Nocardiose, Toxoplasmose). Die Autoren berichten jedoch nicht über einen Zusammenhang zwischen Venetoclax und PML (7). Uns ist kein Fallbericht bekannt, bei dem ein Zusammenhang zwischen Venetoclax und PML beschrieben wird. Hingegen existiert ein Fallbericht zu einem Patienten mit CLL, der eine PML überlebte. Etwa sieben Jahre nach der PML-Diagnose wurde bei ihm ein Rezidiv seiner malignen Erkrankung festgestellt. Die Behandlung mit Venetoclax führte nicht zu einer Reaktivierung des JC-Virus (8). Ibrutinib ist ein Inhibitor der Bruton-Tyrosinkinase (BTK), die an der Pathogenese verschiedener B-Zell-Malignome beteiligt ist. Die BTK spielt eine Rolle bei der Proliferation, dem Überleben und der Differenzierung von B-Zellen. Das mögliche Auftreten von PML während einer Ibrutinib-Behandlung ist in der Fachinformation aufgeführt. Die Datenbank der Europäischen Arzneimittel-Agentur enthält derzeit 31 Fälle von PML im Zusammenhang mit einer Ibrutinib-Behandlung. In der Literatur wurde Ibrutinib mit einem erhöhten Risiko für PML in Verbindung gebracht. In einer Studie auf der Grundlage von Postmarketing-Daten der FDA wurde das Auftreten von PML bei verschiedenen Biologika- und Krebsbehandlungen beobachtet. Es wurden dabei 10 Fälle von PML im Zusammenhang mit Ibrutinib-Behandlungen identifiziert (9). In einer Fallserie wurden fünf CLL-Patienten beschrieben, die nach der Behandlung mit Ibrutinib (n = 1), Ibrutinib + Rituximab (n = 3) oder Ibrutinib + Rituximab + Bendamustin (n = 1) an PML starben. Der Median der Ibrutinib-Behandlungsdauer betrug 11 Monate (Intervall: 1,5-24 Monate), und die PML trat im Durchschnitt acht Jahre nach der CLLDiagnose auf (Intervall: 3-17 Jahre) (10). Als Mechanismus, der den Zusammenhang zwischen dem Auftreten der PML und der Ibrutinib-Behandlung erklärt, wird die Hemmung der B-Zell-Proliferation durch Ibrutinib vorgeschlagen. Es wird angenommen, dass B-Zellen und die humorale Immunantwort eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle der JC-Virus-Replikation spielen (Zusammenspiel von B- und T-Zellen bei der antiviralen Antwort) (5, 11). Im vorliegenden Fall erfolgte die letzte Verabreichung von Rituximab und Bendamustin im September 2019. Ihre Beteiligung am Auftreten der PML erscheint unwahrscheinlich. Die Mehrzahl der PMLFälle mit einer Rituximab-Behandlung entwickelt sich innerhalb von zwei Jahren nach Behandlungsbeginn (12). Ein Zusammenhang zwischen Bendamustin und PML ist in der Literatur nicht nachgewiesen, und die lange Zeitspanne seit der letzten Verabreichung macht den ursächlichen Zusammenhang sehr unwahrscheinlich (13–14).

Schlussfolgerungen

PML ist eine seltene Erkrankung, die vor allem im Zusammenhang mit spezifischen immunsuppres siven Bedingungen auftritt, wie sie bei HIV oder bei Behandlungen mit VLA4-Integrin-Antagonisten vorliegen. Im hier beschriebenen Fall könnten Venetoclax und Ibrutinib, die nur in wenigen Fallberichten erwähnt werden, als Auslöser in Frage kommen. Da es sich bei PML um ein sehr seltenes Ereignis handelt, liegen noch zu wenig Daten vor, um einen Kausalzusammenhang mit einem der beiden Arzneimittel (Ibrutinib, von der FDA seit 2013 zugelassen, und Venetoclax, von der FDA seit 2016 zugelassen) formal auszuschliessen oder zu bestätigen. Aufgrund der immer häufigeren Kombination eines selektiven BCL-2-Inhibitors mit einem BTK-Inhibitor sollte jedoch deren Beitrag beim Auftreten von PML sorgfältig beobachtet werden.

1. Cortese I, Reich DS, Nath A. Progressive multifocal leukoencephalopathy and the spectrum of JC virusrelated disease. Nat Rev Neurol. 2021.
2. Joly M, Conte C, Cazanave C, et al. Progressive multifocal leukoencephalopathy: epidemiology and spectrum of predisposing conditions. Brain. 2023.
3. Melis M, Biagi C, Småbrekke L, et al. Drug-Induced Progressive Multifocal Leukoencephalopathy: A Comprehensive Analysis of the WHO Adverse Drug Reaction Database. CNS Drugs. 2015.
4. Pavlovic D, Patel MA, Patera AC, Peterson I; Progressive Multifocal Leukoencephalopathy Consortium. T cell deficiencies as a common risk factor for drug associated progressive multifocal leukoencephalopathy. Immunobiology. 2018.
5. Maas RP, Muller-Hansma AH, Esselink RA, et al. Drugassociated progressive multifocal leukoencephalopathy: a clinical, radiological, and cerebrospinal fluid analysis of 326 cases. J Neurol. 2016.
6. Maschmeyer G, De Greef J, Mellinghoff SC, et al. Infections associated with immunotherapeutic and molecular targeted agents in hematology and oncology. A position paper by the European Conference on Infections in Leukemia (ECIL). Leukemia. 2019.
7. Reinwald M, Silva JT, Mueller NJ, et al. ESCMID Study Group for Infections in Compromised Hosts (ESGICH) Consensus Document on the safety of targeted and biological therapies: an infectious diseases perspective (Intracellular signaling pathways: tyrosine kinase and mTOR inhibitors). Clin Microbiol Infect. 2018.
8. O’Connor-Byrne N, Quinn J, Glavey SV, Lavin M, Brett F, Murphy PT. Venetoclax for chronic lymphocytic leukemia associated immune thrombocytopenia following recovery from progressive multifocal leukoencephalopathy. Leuk Res. 2020.
9. Raisch DW, Rafi JA, Chen C, Bennett CL. Detection of cases of progressive multifocal leukoencephalopathy associated with new biologicals and targeted cancer therapies from the FDA’s adverse event reporting system. Expert Opin Drug Saf. 2016.
10. Bennett CL, Berger JR, Sartor O, et al. Progressive multi-focal leucoencephalopathy among ibrutinibtreated persons with chronic lymphocytic leukaemia. Br J Haematol. 2018.
11. Lutz M, Schulze AB, Rebber E, et al. Progressive Multifocal Leukoencephalopathy after Ibrutinib Therapy for Chronic Lymphocytic Leukemia. Cancer Res Treat. 2017.
12. Focosi D, Tuccori M, Maggi F. Progressive multifocal leukoencephalopathy and anti-CD20 monoclonal antibodies: What do we know after 20 years of rituximab. Rev Med Virol. 2019.
13. Warsch S, Hosein PJ, Maeda LS, Alizadeh AA, Lossos IS. A retrospective study evaluating the efficacy and safety of bendamustine in the treatment of mantle cell lymphoma. Leuk Lymphoma. 2012.
14. D’Alò F, Malafronte R, Piludu F, et al. Progressive multifocal leukoencephalopathy in patients with follicular lymphoma treated with bendamustine plus rituximab followed by rituximab maintenance. Br J Haematol. 2020.
15. Jancar N, Sousa Gonçalves F, Duro J, Lessa Simões M, Aguiar P. Progressive Multifocal Leukoencephalopathy in a Chemotherapy-Naive Patient With Chronic Lymphocytic Leukemia: A Case Report. Cureus. 2022.

SWISSMEDIC INFO

Public Summary SwissPAR vom 30.06.2023

Lunsumio® (Wirkstoff: Mosunetuzumab)

Befristete Zulassung in der Schweiz: 09.02.2023 Arzneimittel (Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung) zur Behandlung von Erwachsenen mit rezidivierendem oder refraktärem follikulärem Lymphom (r/r FL)

Über das Arzneimittel

Das Arzneimittel Lunsumio mit dem Wirkstoff Mosunetuzumab wird angewendet zur Behandlung von Erwachsenen mit rezidiviertem (wiederkehrendem) oder refraktärem1 follikulärem Lymphom (r/r FL).

Die Patientinnen und Patienten hatten vorgängig schon mindestens zwei systemische2 Therapielinien durchlaufen, auf die sie nicht angesprochen hatten//die nicht erfolgreich waren.

Das r/r FL ist ein bösartiger Tumor, welcher vor allem jene Körperregionen befällt, in denen ein hoher Anteil an lymphatischem Gewebe3 vorhanden ist.

Da es sich bei r/r FL um eine seltene und lebensbedrohende Krankheit handelt, wurde Lunsumio als «Orphan Drug» zugelassen. Mit «Orphan Drug» werden wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten bezeichnet.

Lunsumio wurde gemäss Artikel 13 des Heilmittelgesetzes (HMG) zugelassen. Das bedeutet, dass das Arzneimittel bereits in einem anderen Land mit vergleichbarer Arzneimittelkontrolle zugelassen ist. In diesem Fall berücksichtigt Swissmedic die Ergebnisse der von der ausländischen Arzneimittelbehörde durchgeführten Prüfungen, sofern bestimmte Anforderungen erfüllt sind. Es geht um Prüfungen zur Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels und inwieweit die Ergebnisse für die Schweiz übernommen werden können.

Die Berücksichtigung der Ergebnisse ausländischer Zulassungsverfahren soll dazu beitragen, dass im Ausland bereits zugelassene Arzneimittel den Patientinnen und Patienten in der Schweiz möglichst rasch zur Verfügung stehen.

Für die Zulassung von Lunsumio in der Schweiz hat Swissmedic Teile der Begutachtung für den Zulassungsentscheid von der europäischen Behörde (EMA) übernommen. Somit verweist Swissmedic im SwissPAR (Swiss Public Assessment Report) und im daraus gewonnenen Public Summary SwissPAR ergänzend auf den Assessment Report sowie auf den Kurzbericht der Referenzbehörde: (www.ema.europa.eu)

Wirkung

Bei einem follikulären Lymphom vermehren sich bösartig veränderte B-Zellen unkontrolliert. Mosunetuzumab ist ein Antikörper (ein immunologisch wirksames Protein), das sowohl an die Tumorzelle über die Bindung an den CD20 Rezeptor (Bindungsstelle) auf den B-Zellen, als auch an den CD3 Rezeptor auf den T-Zellen (Zellen des Immunsystems) bindet. Dadurch bringt Mosunetuzumab die Tumorzellen mit den T-Zellen zusammen. Dies wiederum aktiviert die T-Zellen, die dann die B-Zielzellen abtöten können.

Anwendung

Lunsumio mit dem Wirkstoff Mosunetuzumab ist rezeptpflichtig und als Durchstechflasche mit 1 mg Wirkstoff in 1 ml oder 30 mg Wirkstoff in 30 ml erhältlich.

Lunsumio wird in die Venen verabreicht. Die Dosierung wird schrittweise angepasst. Ein Behandlungszyklus dauert 21 Tage. Lunsumio sollte während 8 Zyklen angewendet werden.

Die Behandlung mit Lunsumio wird durch eine medizinische Fachperson, die über Erfahrung in der Anwendung von Krebstherapien hat, eingeleitet und überwacht. Die Therapie hat in einer Umgebung mit angemessener medizinischer Unterstützung zur Behandlung möglicher schwerer Reaktionen zu erfolgen. Zu Beginn der Therapie und bei Bedarf auch im späteren Verlauf der Behandlung ist eine stationäre Überwachung notwendig.
Vor der Behandlung mit Lunsumio wird eine Vorbehandlung (Prämedikation) durchgeführt um das Risiko von diesen schweren Reaktionen zu vermindern.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Lunsumio bei Patientinnen und Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem follikulärem Lymphom wurde anhand der zulassungsrelevanten Studie GO29781 beurteilt. Die Patientinnen und Patienten hatten vorgängig schon mindestens zwei systemische Therapielinien erhalten, inklusive eines weiteren monoklonalen Antikörpers, der an den CD-20-Rezeptor der B-Zellen bindet, sowie einem weiteren Arzneimittel, das sich vornehmlichen gegen die Erbsubstanz von Zellen richtet.

Bei der zwischenzeitlichen Auswertung haben 80% der Patientinnen und Patienten auf die Therapie angesprochen (objektive Ansprechrate) und bei 60% war die Krankheit nicht mehr nachweisbar (komplette Remission).

Vorsichtsmassnahmen, unerwünschte Wirkungen & Risiken

Lunsumio darf bei einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe nicht angewendet werden.

Lunsumio kann schwerwiegende oder lebensbedrohliche Reakti­o­nen wie dem Zytokinfreisetzungssyndrom (ZNS4) und neuro­lo­gi­sche Toxizitäten inklusive Immuneffektorzell-assoziiertes Neuro­toxi­zität­syndrom (ICANS)5 verursachen.

Alle Vorsichtsmassnahmen, Risiken und weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind in der Fachinformation aufgeführt.

Begründung des Zulassungsentscheids

Das r/r follikuläre Lymphom ist mit den derzeit verfügbaren Therapien eine unheilbare Krankheit. Bei Patientinnen und Patienten mit r/r FL, die bereits zwei vorgängige Therapielinien hatten, besteht ein hoher Bedarf an neuen Therapien mit akzeptablen Nebenwirkungen.

Die Wirksamkeit von Lunsumio bei Patientinnen und Patienten, die vorgängig schon mindestens 2 systemische Therapielinien erhalten haben, ist aufgrund der kompletten Remissionsrate (60%) vielversprechend. Es sind jedoch noch weitere Daten, auch zu weiteren Parametern erforderlich, um die Ergebnisse zu bestätigen. Um den Nutzen zu bestätigen, wird zurzeit eine weitere Studie durchgeführt.

Das Arzneimittel Lunsumio wurde deshalb in der Schweiz befristet zugelassen (Art. 9a HMG), da zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht alle klinischen Studien vorliegen oder abgeschlossen waren. Die befristete Zulassung ist zwingend an die zeitgerechte Einreichung der von Swissmedic verlangten Daten gebunden. Nach Erfüllung dieser Zulassungsauflagen kann die befristete Zulassung bei positiver Nutzen-Risiko-Beurteilung der Resultate in eine ordentliche Zulassung umgewandelt werden.

Weitere Informationen zum Arzneimittel

Information für medizinisches Fachpersonal: Fachinformation Lunsumio® auf www.swissmedicinfo.ch
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.
1. Refraktär: Refraktär bedeutet in Bezug auf die Krebserkrankung, dass der Krebs gegenüber der Behandlung resistent ist und sich die Erkrankung trotz Behandlung nicht zurückbildet und sogar weiter fortschreiten kann.
2. Systemische Therapie: Im Gegensatz zu einer lokalen Therapie (Behandlung am Ort der Erkrankung) wird bei der systemischen Therapie die Behandlung des gesamten Körpers zur Bekämpfung der Erkrankung eingeschlossen.
3. Lymphatisches Gewebe: Im lymphatischen Gewebe (wie z.B. der Milz, den Lymphknoten oder auch dem Knochenmark) differenzieren und vermehren sich die Lymphozyten, die eine Untergruppe der Leukozyten (weissen Blutkörperchen) sind. Lymphatisches Gewebe: Im lymphatischen Gewebe (wie z.B. der Milz, den Lymphknoten oder auch dem Knochenmark) differenzieren und vermehren sich die Lymphozyten, die eine Untergruppe der Leukozyten (weissen Blutkörperchen) sind.
4. ZFS: Das Zytokinfreisetzungssyndrom ist eine systemische Entzündungsreaktion aufgrund massiver Ausschüttung von Zytokinen (Eiweisse), die die weissen Blutkörperchen aktivieren.
5. ICANS: Das Immuneffektorzell-assoziierte Neurotoxizitätssyndrom beschreibt einen Komplex mit diversen unterschiedlich ausgeprägten neurologischen Symptomen wie beispielsweise Bewusstseinsstörungen

Der Stand dieser Information entspricht demjenigen des SwissPAR. Neue Erkenntnisse über das zugelassene Arzneimittel fliessen nicht in den Public Summary SwissPAR ein.

In der Schweiz zugelassene Arzneimittel werden von Swissmedic überwacht. Bei neu festgestellten unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder anderen sicherheitsrelevanten Signalen leitet Swissmedic die notwendigen Massnahmen ein. Neue Erkenntnisse, welche die Qualität, die Wirkung oder die Sicherheit dieses Medikaments beeinträchtigen könnten, werden von Swissmedic erfasst und publiziert. Bei Bedarf wird die Arzneimittelinformation angepasst.