Klisyri® (Wirkstoff: Tirbanibulin)

Erstzulassung in der Schweiz: 03.02.2022
Arzneimittel (Salbe) zur Behandlung nicht hyperkeratotischer, nicht hypertropher aktinischer Keratosen im Gesicht oder auf der Kopfhaut bei Erwachsenen.

Hinweise zur Zulassung

Klisyri wurde zugelassen für die Behandlung von Erwachsenen mit nicht hyperkeratotischer (nicht stark verhornter), nicht hyper-tropher (nicht stark entwickelter) aktinischer Keratosen im Gesicht oder auf der Kopfhaut. Aktinische Keratosen sind lichtbedingte Hautveränderungen, meist chronische Schädigungen der verhornten Oberhaut.
Für die Beurteilung des Zulassungsgesuchs für das Arzneimittel Klisyri hat Swissmedic die Bewertungen der amerikanischen Arzneimittelagentur (FDA) sowie die entsprechenden Produktinformationen berücksichtigt. Da die Bewertung der klinischen Daten auf Grundlage der Beurteilungsberichte der ausländischen Partnerbehörde erfolgte, liegen die Voraussetzungen für einen SwissPAR (Swiss Public Assessment Report) und einen darauf aufbauenden Public Summary SwissPAR nicht vollständig vor. Swissmedic verweist auf die Zulassung des ausländischen Vergleichspräparates. www.fda.gov

Weitere Informationen zum Arzneimittel

Zum Zeitpunkt der Publikation des Public Summary SwissPAR zu Klisyri sind die Fachinformation sowie die Patientinnen- und Patienteninformation (Packungsbeilage) noch nicht verfügbar. Sobald das Arzneimittel in der Schweiz erhältlich ist, werden die Fach-und Patientinnen- und Patienteninformation auf folgender Seite im Internet zur Verfügung gestellt: www.swissmedicinfo.ch
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.

Brukinsa® (Wirkstoff: Zanubrutinib)

Erstzulassung in der Schweiz: 08.02.2022
Arzneimittel (Hartkapsel) zur Behandlung von Erwachsenen mit Waldenströms Makroglobulinämie (WM)

Hinweise zur Zulassung

Brukinsa mit dem Wirkstoff Zanubrutinib wird zur Behandlung bei Erwachsenen mit Waldenströms Makroglobulinämie (WM) eingesetzt, die schon mindestens eine vorherige Therapie erhalten haben oder wenn eine Chemoimmuntherapie1 nicht in Frage kommt.
Die Waldenströms Makroglobulinämie, auch bekannt als lymphoplasmazytisches Lymphom, ist eine Krebserkrankung, der B-Lym-phozyten (weisse Blutkörperchen), die zu grosse Mengen eines Proteins namens IgM produzieren. Die Waldenströms Makroglo-bulinämie macht etwa 2 % aller bösartigen Bluterkrankungen aus.
Da es sich bei dieser Krankheit um eine seltene und lebensbedrohende Krankheit handelt, wurde Brukinsa als «Orphan Drug» zu-gelassen. Mit «Orphan Drug» werden wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten bezeichnet. Brukinsa wurde gemäss Artikel 13 des Heilmittelgesetzes (HMG) zugelassen. Das bedeutet, dass das Arzneimittel bereits in einem anderen Land mit vergleichbarer Arzneimittelkontrolle zugelassen ist. In diesem Fall berücksichtigt Swissmedic die Ergebnisse der von der ausländischen Arzneimittelbehörde durchgeführten Prüfungen, sofern bestimmte Anforderungen erfüllt sind. Es geht um Prüfungen zur Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels und inwieweit die Ergebnisse für die Schweiz übernommen werden können.
Die Berücksichtigung der Ergebnisse ausländischer Zulassungsverfahren soll dazu beitragen, dass im Ausland bereits zugelassene Arzneimittel den Patientinnen und Patienten in der Schweiz möglichst rasch zur Verfügung stehen.
Für die Zulassung von Brukinsa in der Schweiz hat Swissmedic Teile der Begutachtung für den Zulassungsentscheid von der kanadischen Behörde (Health Canada) übernommen und keine eigene wissenschaftliche Begutachtung durchgeführt.
Somit verweist Swissmedic im SwissPAR (Swiss Public Assessment Report) und im daraus gewonnenen Public Summary SwissPAR auf den Assessment Report sowie auf den Kurzbericht der Referenzbehörde: (Health Canada – Canada.ca)

Weitere Informationen zum Arzneimittel

Information für medizinisches Fachpersonal: Fachinformation Brukinsa
Information für Patientinnen und Patienten (Packungsbeilage): Patienteninformation Brukinsa
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.

1 Chemoimmuntherapie: Bei einer Chemoimmuntherapie werden Zytostatika in Kombination mit einem Antikörper verabreicht. Dadurch wirkt die Chemotherapie nicht generell auf alle schnell wachsenden Zellen im Körper, sondern gezielt
gegen ein bestimmtes Merkmal der Tumorzellen.

Neuzulassungen Swissmedic 2021

2021 liess Swissmedic 45 Humanarzneimittel mit neuen Wirkstoffen zu

Über alle Verfahren gepoolt betrug die Durchlaufzeit der Gesuche im Median 396 Kalendertage (Vorjahr: 482 Kalendertage). Damit liegt Swissmedic erstmals unter dem mehrjährigen Mittel der EMA von ca. 400 Tagen.

  • In 7% der Fälle kam das beschleunigte Zulassungsverfahren zur Anwendung. Die Durchlaufzeit der Gesuche betrug in diesem Verfahren im Median 207 Kalendertage.
  • Das Verfahren mit Voranmeldung mit um 20% verkürzter Swissmedic- Begutachtungszeit kam in einem Fall zur Anwendung. Die Durchlaufzeit betrug in diesem Verfahren 305 Kalendertage.
  • Die befristeten Zulassungen machen 24% der Arzneimittel aus: Von den 11 befristeten Zulassungen wurden 5 Arzneimittel von Firmen befristet beantragt und entsprechend beschleunigt begutachtet. Die Durchlaufzeit dieser Gesuche betrug im Median 264 Kalendertage. 6 weitere Gesuche wurden von Swissmedic von Amtes wegen befristet zugelassen. Dazu gehörten die beiden COVID-19-Impfstoffe Spikevax (61 Kalendertage) und COVID-19 Vaccine Janssen (109 Kalendertage).
  • In 22% der Fälle kamen die vereinfachten Zulassungsverfahren nach Art. 13 und Art. 14 Abs. 1 Bst. abis-quater HMG zur Anwendung.
  • 18% der innovativen Neuzulassungen erfolgten im Rahmen von internationalen Verfahren: Im Geschäftsjahr wurden 5 Arzneimittel im Rahmen des Projektes Orbis und 3 Arzneimittel im Worksharing-Verfahren des Access Consortiums begutachtet.

2021 liess Swissmedic 84 Indikations­erweiterungen zu

Über alle Verfahren gepoolt betrug die Durchlaufzeit der Gesuche im Median 348 Kalendertage.

  • In 2 Fällen kam das beschleunigte Zulassungsverfahren zur Anwendung. Die Durchlaufzeit betrug im Median 214 Kalendertage.
  • Das Verfahren mit Voranmeldung (VmVA) mit um 20% verkürzter Swissmedic-Begutachtungszeit kam in 8% der Fälle zur Anwendung. Indikationserweiterungen im VmVA konnten 2021 im Median nach nur 302 Kalenderta¬gen abgeschlossen werden.
  • In 12% der Fälle kamen die vereinfachten Zulassungsverfahren nach Art. 13 und Art. 14 Abs. 1 Bst. abis-quater HMG zur Anwendung.
  • Im Geschäftsjahr wurden zudem 7 Indikationserweiterungen im Rahmen des Projektes Orbis zugelassen. Diese Gesuche konnten im Median nach 216 Kalendertagen abgeschlossen werden.

*Projekt Orbis: Das Oncology Center of Excellence (OCE) der U.S. Food and Drug Administration (FDA) hat im September 2019 unter dem Namen «Orbis» ein Projekt initiiert, um den Zulassungsprozess neuer Krebstherapien weltweit zu beschleunigen. Pharmazeutische Firmen können im Rahmen des Projekts Orbis ihre Zulassungsgesuche neben der FDA simultan bei weiteren teilnehmenden internationalen Zulassungsbehörden einreichen. Die entsprechenden Gesuche werden von diesen Zulassungsbehörden in Zusammenarbeit mit der FDA parallel geprüft und eine allfällige Zulassung dadurch beschleunigt. Damit erhalten auch Schweizer Krebspatientinnen und -patienten rascher Zugang zu innovativen Therapiemöglichkeiten.

Swissmedic unterstützt das Projekt «Orbis» in Übereinstimmung mit ihren strategischen Zielen und nahm 2020 im Rahmen eines Piloten am Projekt teil. Nach Evaluation der gewonnenen Erfahrung hat Swissmedic nun entschieden, das Projekt «Orbis» permanent weiterzuführen. www.swissmedic.ch

Quelle: Swissmedic Newsletter 01.03.2022

DHPC – Alecensa® (Alectinib)

Warnhinweise und Vorsichtsmassnahmen sowie spezifische Anleitung zur Dosisänderung im Falle einer hämolytischen Anämie

Roche Pharma (Schweiz) AG informierte in Absprache mit Swissmedic über folgenden Sachverhalt:

  • In klinischen Studien und nach der Markteinführung wurden Fälle von hämolytischer Anämie berichtet, die als Risiko einer Therapie mit Alecensa zu betrachten sind.
  • Eine kürzlich durchgeführte kumulative Analyse von Fällen mit hämolytischer Anämie zeigte, dass eine Dosisänderung von Alecensa in der Mehrheit der Fälle eine Verbesserung der hämolytischen Anämie bewirkte.
  • Die Behandlung mit Alecensa sollte zunächst unterbrochen und geeignete Labortests sollten eingeleitet werden, wenn die Hämoglobinkonzentration < 10 g/dl beträgt und eine hämolytische Anämie vermutet wird.
  • Wird eine hämolytische Anämie bestätigt, so sollte die Behandlung mit Alecensa bis zum Abklingen des Ereignisses unterbrochen und mit einer reduzierten Dosis wieder aufgenommen oder definitiv beendet werden. Das Vorgehen bei der Dosisreduktion wird im Abschnitt Dosierung/Anwendung der Fachinformation beschrieben.

Quelle: Swissmedic, 15.02.2022

Padcev® (Wirkstoff: Enfortumab vedotin)

Erstzulassung in der Schweiz: 09.11.2021 Arzneimittel zur Behandlung von Urothelkarzinomen bei Erwachsenen

Über das Arzneimittel

Padcev enthält den Wirkstoff Enfortumab vedotin und wird angewendet zur Behandlung von Erwachsenen mit Urothelkarzinom (mUC) (1), welches lokal fortgeschritten oder metastasiert ist.

Patientinnen und Patienten, die für diese Behandlung in Frage kommen, hatten zuvor bereits eine platinhaltige Chemotherapie und wurden während bzw. nach der Therapie mit Immuncheckpointinhibitoren (PD-1/PD-L1 (2)) behandelt und haben ein Fortschreiten oder einen Rückfall der Krankheit erlitten.

Wirkung

Enfortumab vedotin gehört zur Medikamentenklasse der Antikörper-Arzneimittel-Konjugate (ADC). Der Wirkstoff besteht aus einem monoklonalen Antikörper (immunologisch aktive Proteine), der mit der Substanz Monomethyl-Auristatin E (MMAE) verbun-den ist. MMAE ist ein Cytotoxin (Zellgift), das Krebszellen abtöten kann. Der monoklonale Antikörper bindet sich vorwiegend an einen spezifischen Rezeptor (Zielstelle) an der Oberfläche der Urothelkarzinomzellen, wodurch MMAE in die Zellen freigesetzt wird. Der damit ausgelöste Prozess führt zum Zelltod der Krebszelle.

Anwendung

Padcev ist rezeptpflichtig und als Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung zugelassen. Es wird als Flüssigkeit in die Venen verabreicht. Die Durchstechflaschen enthalten 20 mg bzw. 30 mg Enfortumab vedotin. Die empfohlene Dosis beträgt 1,25 mg/kg Körpergewicht bis zu 125 mg und es wird über 30 Minuten an den Tagen 1, 8 und 15 eines 28-tägigen Zyklus verabreicht bis zum Fortschreiten der Krankheit oder inakzeptablen Nebenwirkungen.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Padcev zur Behandlung von Urothelkarzinomen wurde vor allem in der Studie EV-301 mit insgesamt 608 Teilnehmenden untersucht. Die Patientinnen und Patienten hatten ein lokal fortgeschrittenes oder metastasiertes Urothelkarzinom, waren zuvor mit einer platinhaltigen Chemotherapie behandelt worden und hatten während oder nach der Therapie mit Immuncheckpointinhibitoren (PD-1/PD-L1 Inhibitor) einen Rückfall oder ein Fortschreiten der Erkrankung erlitten. Um die Wirksamkeit von Padcev zu bestätigen, wurde die Hälfte der Patientinnen und Patienten mit Padcev behandelt und die andere Hälfte mit einer Chemotherapie, welche vom Prüfarzt festgelegt wurde.

Die Studie zeigte eine statistisch signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens (3) sowie des progressionsfreies Überleben (4) und der objektiven Ansprechrate (5) der Patientinnen und Patienten, die mit Padcev behandelt wurden, im Vergleich zu jenen, die eine Chemotherapie erhielten.

Vorsichtsmassnahmen, unerwünschte Wirkungen & Risiken

Padcev darf bei einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe nicht angewendet werden. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen aller mit Padcev behandelten Patientinnen und Patienten waren Alopezie (übermässiger Haarausfall), Müdigkeit, verminderter Appetit, periphere sensorische Neuropathie (Erkrankung des Nervensystems), Durchfall, Übelkeit, Pruritus (Juckreiz), Dysgeusie (Geschmacksstörung), Anämie (Blutarmut), Gewichtsabnahme, makulopapulöser (knotig-fleckiger) Ausschlag, trockene Haut, Erbrechen, erhöhte AST/ ALT (6), Hyperglykämie (zu hoher Blutzucker), trockenes Auge und Ausschlag. Padcev kann andere schwerwiegende Nebenwirkungen verursachen über die der Arzt bzw. die Ärztin unverzüglich in Kenntnis gesetzt werden muss (z. B. schwere Hautnebenwirkungen, akute Nierenverletzung, Lungenentzündung, Harnwegsinfek-tion und Sepsis). Alle Vorsichtsmassnahmen, Risiken und weitere mögliche unerwünschte Wirkungen werden in der Fachinformation aufgeführt.

Begründung des Zulassungsentscheids

Patientinnen und Patienten mit Urothelkarzinom, bei denen die Krankheit nach einer platinbasierten Chemotherapie und an-schliessender Therapie mit Immuncheckpointinhibitoren (PD-1/ PD-L1 Inhibitor) fortschreitet, haben eine schlechte Prognose und es stehen nur begrenzt weitere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die zulassungsrelevante Studie zeigte einen statistisch signifikanten und klinisch bedeutsamen Vorteil von Padcev im Vergleich zur Kontrollgruppe mit einer Verlängerung der medianen (7) Gesamtüberlebenszeit um 3,9 Monate Unter Berücksichtigung aller vorliegenden Daten überwiegen die Vorteile von Padcev die Risiken. Swissmedic hat daher das Arzneimittel Padcev zugelassen für die Behandlung von Erwachsenen mit Urothelkarzinom (mUC), welches lokal fortgeschritten oder metastasiert ist, wenn zuvor bereits eine platinhaltige Chemotherapie Behandlung stattgefunden hat und während bzw. nach der Therapie mit Immunchekpointinhibotoren (PD-1/ PD-L1) ein Fortschreiten oder einen Rückfall der Krankheit erlitten wurde.

Quelle: Public Summary SwissPAR vom 09.03.2022

Vitrakvi (Larotrectinib)

Wirkmechanismus

Larotrectinib ist ein niedermolekularer hochselektiver Inhibitor der drei Tropomyosin-Rezeptor-Kinase-Proteine TRKA, TRKB und TRKC, die zur Schmerzregulierung, Propriozeption, Appetitsteuerung sowie Gedächtnisregulierung beitragen. Bei etwa einem Prozent aller soliden Krebsarten und in gut 1000 Fällen jährlich in Europa liegt ein Fusionsprotein vor, an dem eines der drei Gene der Tropomyosin-Rezeptor-Kinase-Proteine beteiligt ist. Die Gene heissen Neurotrophic receptor tyrosine kinase 1-3, abgekürzt NTRK 1-3. Die TRK-Fusion führt zur Überexpression dieser funktional pathogenen Proteine, was dann dauerhaft Liganden unabhängig den entsprechenden Signalweg aktiviert und ein unkontrolliertes Zellwachstum bewirkt. Daher wird auch von TRK-Fusionstumoren gesprochen.
Für Larotrectinib wurden konzentrationsabhängig eine starke sehr selektive Hemmung der TRK Proteine sowie eine Hemmung der Proliferation von Tumorzellen nachgewiesen. In Xenograft-Mausmodellen mit TRK-Fusion induzierte Larotrectinib eine signifikante Reduktion des Tumorwachstums. Nach Progression unter TRK-Inhibitoren wurden erworbene Resistenzmutationen beobachtet. Larotrectinib hatte minimale Aktivität in Zelllinien mit Punktmutationen in der TRKA-Kinasedomäne, einschliesslich der klinisch nachgewiesenen erworbenen Resistenzmutation G595R. Punktmutationen in der TRKC-Kinasedomäne, die eine klinisch relevante erworbene Resistenz gegenüber Larotrectinib verleihen, sind G623R, G696A und F617L.
Bisher sind ca. dreissig solide Tumorarten und Sarkome bekannt, bei denen TRK-Fusionen wiederholt nachgewiesen wurden. Die meisten gehören zu den Weichteilsarkomen aber auch papillären Schilddrüsenkarzinomen, Speicheldrüsenkarzinomen und Gliomen, für die es international auch bereits Zulassungen gab.

Klinische Wirksamkeit

Da das NTRK-Fusionsprotein bei verschiedenen weiteren Tumoren auftreten kann, wurden 3 Tumortyp-unabhängige sog. Basket-Studies durchgeführt, in die alle Patienten aller Alterskategorien mit einem TRK-Fusionsprotein-positiven Tumor, lokal fortgeschritten oder metastasiert, nach primär erfolgloser Standardtherapie eingeschlossen wurden.
Phase I Studie «LOXO-TRK-14001» (NCT02122913): Offene Dosis­eskalations- und expansionsstudie, welche erwachsene Patienten (≥18 Jahre) mit fortgeschrittenen soliden Tumoren einschloss (für die Expansionsphase war das Vorliegen einer NTRK Genfusion erforderlich). Es wurden 8 Patienten in die Wirksamkeitspopulation aufgenommen.
Phase II Studie «NAVIGATE» (NCT02576431): Offene Basket-Studie, welche erwachsene und pädiatrische Patienten (≥12 Jahre) mit fortgeschrittenen soliden Tumoren mit NTRK-Genfusion einschloss. Die verabreichte Dosis betrug 100 mg zweimal täglich. Aus dieser Studie flossen 65 Patienten in die gesamte Wirksamkeitspopulation ein.
Phase I/II Studie «SCOUT» (NCT02637687): Offene Dosiseskalations- und expansionsstudie, welche pädiatrische Patienten (≥28 Tage bis 21 Jahre) mit fortgeschrittenen soliden Tumoren oder primären ZNS-Tumoren einschloss (für die Expansionsphase war das Vorliegen einer NTRK Genfusion erforderlich). Die verabreichte Dosis betrug bis zu 100 mg/m2 zweimal täglich. Aus dieser Studie flossen 38 Patienten in die gesamte Wirksamkeitspopulation ein.
Primärer Endpunkt war die Gesamtansprechrate. In Tabelle 1 werden die Ansprechraten aus den drei Zulassungsstudien in Bezug auf die Art der Isoform des NTRK Fusionsproteins gezeigt.


In der Tabelle 2 sind das Ansprechen (ORR) und die Dauer des Ansprechens (DOR) der Patienten aus den drei Zulassungsstudien aufgelistet. Sie zeigten ein hohes und auch lange anhaltendes Ansprechen bei Erwachsenen und Kindern. Die Ansprechrate lag bei 81% für alle Altersgruppen nach medianen 7-18 Monaten und bei Kindern lag das Ansprechen bei 94%. Bei den 34 Kindern wurde in 35% eine komplette Remission, bei 59% eine partielle Remission und 6% eine Stabilisierung beobachtet.
Die Baseline-Charakteristika für die 18 Patienten mit primären ZNS-Tumoren mit einer NTRK-Genfusion, welche nicht in dieser Tabelle angeführt sind, lauten wie folgt: medianes Alter 10 Jahre (1-79 Jahre); 14 Patienten <18 Jahre, 4 Patienten ≥18 Jahre, 13 weiss, 8 männlich und 10 weiblich. Folgende Tumor-Typen lagen vor: Glio­blastom (6 Patienten), Gliom (4 Patienten), Glioneural (3 Patienten), nicht spezifiziert (3 Patienten) und Astrozytom (2 Patienten).
Alle Patienten hatten zuvor eine Behandlung für ihre Krebserkrankung erhalten (definiert als chirurgischer Eingriff, Radiotherapie oder systemische Therapie). Im Median hatten die Patienten 1 vorheriges systemisches Therapieregime erhalten.
Baseline-Charakteristika waren:
Folgende NTRK Genfusions-Isoformen sind bei den primären ZNS-Tumoren bestimmt worden: BCR-NTRK2 (bei 3 Patienten), SPECC1L-NTRK2 (bei 2 Patienten), ETV6-NTRK3, TPM3-NTRK1, AFAP-NTRK1, AGTPBP1-NTRK2, KANK2-NTRK2, AGAP1-NTRK2, BCR-NTRK3, GKAP1-NTRK2, KANK-NTRK2, KCDT8-NTRK2, NTRK2-AGAP1, TNS3-NTRK2, sowie nicht bestimmt (bei je 1 Patient). Zum Zeitpunkt des Cut-off waren 14 der 18 aufgenommenen Patienten mit primären ZNS-Tumoren für das Ansprechen auswertbar. Ein komplettes Ansprechen wurde bei 1 Patienten beobachtet, eine partielle Remission bei 3 Patienten und bei 6 Patienten wurde eine stabile Erkrankung über mindestens 16 Wochen beobachtet. Die Gesamtansprechrate betrug 29% (95% Konfidenzintervall: 8%, 58%). Zum Zeitpunkt des Cut-off lag die Behandlungsdauer bei 0.03 bis 16.6 Monaten und wurde bei 13 von 18 Patienten fortgesetzt.

Unerwünschte Wirkungen

Die Sicherheit von Vitrakvi wurde an total 208 Patienten mit lokal fortgeschrittenen oder metastasierten soliden Tumoren (unabhängig vom NTRK-Genfusionsstatus) beurteilt, welche mindestens eine Dosis Vitrakvi in einer der drei klinischen Studien «LOXO-TRK-14001», «NAVIGATE» und «SCOUT» erhalten hatten. Die gesamte Sicherheitspopulation umfasste Patienten mit einem medianen Alter von 42 Jahren (28 Tage bis 82 Jahre), wobei 27% der Patienten pädiatrische Patienten (28 Tage bis 18 Jahre) waren. Die Mehrheit (82%) der Erwachsenen (ab 18 Jahren) erhielt 100 mg Vitrakvi zweimal täglich als Anfangsdosis. Die mediane Behandlungsdauer für die gesamte Sicherheitspopulation betrug 4,1 Monate (Spanne: 0,03 bis 40,7).
Die am häufigsten gemeldeten unerwünschten Wirkungen unter Vitrakvi waren Fatigue (36%), Schwindelgefühl (29%), Übelkeit (28%), Obstipation (27%), ALT erhöht (26%), AST erhöht (26%), Anämie (26%), Erbrechen (24%), Myalgie (16%), Gewichtszunahme (14%), Muskelschwäche (13%), Neutrophilenzahl erniedrigt (12%), Leukozytenzahl erniedrigt (11%). Die meisten unerwünschten Wirkungen waren von Grad 1 oder 2. Die höchsten für Vitrakvi gemeldeten Grade waren erniedrigte Neutrophilenzahl und erhöhte ALT (Grad 4) sowie Anämie, Fatigue, Schwindelgefühl, Gangstörung, Parästhesie, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Myalgie, AST erhöht, Alkalische Phosphatase im Blut erhöht, Leukozytenzahl erniedrigt und Gewichtszunahme (Grad 3). Es wurden keine unerwünschten Wirkungen Grad 5 berichtet. Die meisten Ereignisse, die zu einer Dosisreduktion führten, traten innerhalb der ersten drei Behandlungsmonate auf. Zum dauerhaften Absetzen von Vitrakvi aufgrund behandlungsbedingter unerwünschter Wirkungen des Prüfpräparats kam es bei 2% der Patienten (ALT erhöht, AST erhöht, Muskelschwäche, Übelkeit, Enterokutanfistel und Amylase erhöht).

Kommentar

Es handelt sich um die zweite Zulassung, welche «tumor agnostic» erfolgt, d.h. dass nicht primär eine Indikation für eine einzelne organdefinierte Erkrankung, sondern für ein hochspezifisches Target verschiedener maligner Erkrankungen gleichzeitig erfolgt. Die erste solche Zulassung betraf Patienten mit einer «microsatellite instability-high (MSI-H) or mismatch repair deficient (dMMR)» Konstellation, welche von einer Pembrolizumab Therapie profitieren konnten.
Hier nun liegt ein für NTRK-Fusionsproteine hochselektives Medikament vor, welches eine klassische Orphan-Disease Situation betrifft. Es werden pro Jahr in Europa etwa 1000 solche Neuerkrankungen erwartet. Die aktuell bereits ersichtliche Wirksamkeit ist klinisch bedeutsam und ohne Alternative für diese Patientengruppen. Die Nebenwirkungen sind nach bisheriger Erfahrung moderat. Allerdings ist angesichts der Seltenheit dieser Tumorerkrankungen die Datenlage noch sehr schmal und entsprechend laufen die Studien weiter. Damit es gelingt, die Sicherheit hoch zu halten, sollten solche Therapien nur an Zentren zur Anwendung kommen, wo solche Therapien regelmässig zur Anwendung kommen, damit eine genügende Erfahrung zur weiteren Optimierung erlangt werden kann. Die seit Januar 2020 auch in der Schweiz nun mögliche zeitlich befristete Zulassung nach Art. 9a des Heilmittelgesetzes wird in den folgenden Jahren zeigen müssen, ob die aktuelle Datenlage durch Langzeiterfahrungen bestätigt wird und somit diese frühe Zulassung von Vitrakvi aufrechterhalten werden kann.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Der Autor hat keine Interessenskonflikte
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Swissmedic genehmigte Fachinformation zu Vitrakvi Kapsel 2020

Projekt «Orbis» der Swissmedic

Wie kam es für Swissmedic zur Beteiligung am Projekt ORBIS und was ist dabei das Ziel?

Initiiert wurde Orbis durch die FDA im Mai 2019. Das Ziel war es, die Zeit zwischen Einreichung bei der FDA und anderen, kleineren Behörden zu reduzieren und ein zeitgleiches Begutachten zwischen den Behörden zu ermöglichen. Dadurch soll Schweizer Ärzten und ihren Patienten ein rascherer Zugang zu neuen, innovativen Krebsmedikamenten ermöglicht werden.
Die Partnerbehörden von Swissmedic sind neben der FDA in den USA Health Canada, TGA Australien und HSA Singapur. Zusätzlich wird die Englische Zulassungsbehörde MHRA, die momentan als Beobachter teilnimmt, im Januar 2021 dazu stossen. Schon vor Orbis gab es einen sehr guten Austausch zwischen den Behörden. Bezüglich Orbis fragte dann die FDA im Oktober 2019 bei Swissmedic an, ob man als Partnerbehörde im Project Orbis mitwirken wolle. Nach interner Evaluation sagte Swissmedic bereits im November 2019 innerhalb weniger Tage zu, sich im Rahmen einer Pilotphase von etwa 12 Monaten am Project Orbis zu beteiligen. Diese Pilotphase wird bis Anfang 2021 andauern.
Insgesamt betrachte ich die rasche Entscheidung zur Teilnahme an Orbis als sehr gutes Beispiel für die Agilität und Flexibilität von Swissmedic, sich an internationalen Aktivitäten zu beteiligen und unsere Kompetenz einzubringen. Darüber hinaus ist die Teilnahme an solchen internationalen Aktivitäten eines unserer erklärten strategischen Ziele.

Kürzlich kommunizierte Swissmedic zum Pilotprojekt Orbis: «Das Zulassungsgesuch für Tucatinib wurde bei der US Food an Drug Administration (FDA) am 20. Dezember 2019 eingereicht. Wenig später, am 6. Januar 2020, ging das Zulassungsgesuch bei Swissmedic ein. Die FDA hat Tucatinib am 17. April 2020 zugelassen, Swissmedic genehmigte die Schweizer Zulassung am 7. Mai 2020.»
Herr Prof. Rohr, Sie sind hier direkt beteiligt als Vertreter der Swissmedic und können uns über ihre ersten Erfahrungen damit berichten. Diese Zulassung ist offenbar sehr schnell erfolgt. Wie konnte dies gelingen?

Dieses Gesuch, das bei Swissmedic im Januar 2020 eingereicht wurde, war das erste Gesuch, welches im Rahmen von Project Orbis bearbeitet wurde. Dabei war logistisch vieles neu, vor allem Ablaufprozesse wurden definiert und optimiert. Durch die Teilnahme der verschiedenen beteiligten Behörden aus Kanada, den USA, Singapur, Australien und der Schweiz kamen die Telefonkonferenzen zu unterschiedlichen Tag- und Nachtzeiten zustande.
Swissmedic hatte daher einen logistischen Mehraufwand, der aber vertretbar war. Man darf die Logistik dennoch nicht unterschätzen, es handelt sich nicht um eine einzelne Person, die ein Zulassungsgesuch beurteilt, sondern aus einem ganzen Swissmedic Team, welches die Evaluation durchführt. Dieses besteht aus verschiedensten Kollegen aus zwei Bereichen, der Marktüberwachung mit Fokus auf die Arzneimittelsicherheit und der Zulassung. Die Assessoren des Bereichs Zulassung setzen sich aus sechs Kollegen zusammen, die die Qualität und Herstellungsprozesse des Medikaments beurteilen, die Präklinik, die Klinik sowie die Pharmakologie und Statistik der Studien. Hinzu kommt eine Person aus dem Case Management, die alles koordiniert. Alle unsere Swissmedic Mitarbeitenden interagierten nun für ihre spezielle Fachdisziplin mit den entsprechenden Teams der anderen Behörden.
Trotz der komplexen Logistik war das Ergebnis für alle äusserst positiv. Es gelang eine um etwa 77% schnellere Zulassung des Medikamentes gegenüber den normalerweise vorgesehenen Fristen, die sich in Firmenfristen und Swissmedic Fristen aufgliedern, von insgesamt 540 Tagen auf 123 Tage. Dies war insbesondere deshalb möglich, weil die Fragen aller teilnehmenden Behörden an die Firma schon während der initialen Begutachtungsphase gesendet und beantwortet wurden. Da die Fragen unter den Behörden bekannt waren wurden Redundanzen zwischen den Behörden an die Firma vermieden. Durch dieses Vorgehen konnte auch die normalerweise in der Schweiz vorgesehene zweite Begutachtungsphase des formalen Antwortdokumentes der Firma auf die regulatorischen Fragen komplett entfallen. Nach positivem Vorbescheid gelang es durch ein spätes «Clarification Meeting», das Swissmedic initiiert hat, noch kritische Punkte mit der Firma zu klären. So wurden zeitintensive, schriftliche Textprüfungsrunden der Fachinformation zum Medikament vermieden.
Vergleicht man die Zulassungszeiten zwischen der FDA und Swissmedic von 120 und 123 Tagen so lag diese in etwa auf gleichem Niveau trotz der signifikant niedrigeren Personaldecke bei Swissmedic. Dennoch möchte ich hervorheben, dass es sich um intensive Begutachtungen für die Fachpersonen bei Swissmedic handelte, die kaum Spielraum für andere Gesuchtätigkeiten oder weitere Aufgaben liessen. Dies limitiert zum jetzigen Zeitpunkt die Anzahl der Gesuche, die im Rahmen von Orbis bedient werden können.

Besteht nicht die Gefahr, dass mit dem Tempo von Orbis eine überhastete Entscheidung erfolgen könnte?

Tatsächlich ist aus meiner Sicht das Gegenteil der Fall. Trotz der operativ speditiven Begutachtung war diese genauso gründlich und intensiv wie bei Swissmedic üblich. Zusätzlich jedoch trafen sich nun die fachlichen Experten der teilnehmenden, regulatorischen Behörden. Die von Swissmedic und den anderen Behörden identifizierten kritischen Punkte wurden in entsprechenden Meetings besprochen und diskutiert. In der Regel kam man zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Nur punktuell ergaben sich unterschiedliche Interpretationen, die sich in der Fachinformation des Medikamentes widerspiegeln. Wenn sie den Indikationswortlaut für Tucatinib zwischen den USA und der Schweiz vergleichen, werden sie hier auch Unterschiede feststellen können. Zusammenfassend kommt es also zu weiterhin zu einer äusserst gründlichen Beurteilung des Medikaments mit dem Vorteil eines möglichen Zeitgewinns bis zur Zulassung.

Ein Vorbehalt könnte auch sein, dass das grosse mächtige FDA hier dominiert und die anderen Behörden tendenziell übernehmen. Dies ist relevant, weil ja die FDA bisher beispielweise zulassungsfreudiger ist als die Swissmedic oder auch EMA.

Es ist richtig, dass die FDA die grösste von den am Projekt ORBIS teilnehmenden Behörden ist. Ich möchte aber klarstellen, dass es nicht Ziel von Orbis ist im Rahmen eines Kompromisses zu einer gemeinsamen Linie zu kommen. Jede Behörde ist und bleibt unabhängig und entscheidet somit auch eigenständig. Wenn es jedoch zu unterschiedlichen Ansichten kommt ist – durch die vorher stattgefundene Diskussion – jedem der beteiligten Behörden klar, warum es zu diesen Unterschieden kam.

Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Dossiers in diesen Prozess aufgenommen werden?

Zunächst äussert die Firma gegenüber der FDA den Wunsch an Orbis teilzunehmen. Die FDA prüft anhand ihrer «Priority Review» Kriterien, ob das Medikament hierfür qualifiziert. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn die neue Therapie gegenüber den bisher verfügbaren Therapien Vorteile in der Sicherheit und/oder Wirksamkeit bei der Behandlung von Krebserkrankungen zeigt, also ein hoher therapeutischer Nutzen gegeben ist. Anschliessend fragt die FDA hinsichtlich möglicher Teilnahme bei den Partnerbehörden an, die zustimmen oder ablehnen können. Bei Zustimmung informiert die teilnehmende Partnerbehörde die FDA sowie die Firma über ihre Teilnahme.

Wie viele solche Orbis Zulassungs-Prozesse laufen aktuell?

Trotz der Covid Pandemie und den entsprechenden Zulassungsgesuchen konnte Swissmedic bis Mitte Oktober 2020 zu insgesamt 17 Orbis Gesuchen zusagen, die entweder schon bearbeitet wurden, sich in Bearbeitung befinden oder noch eingereicht werden.

Ändert dieser Prozess etwas an den Kosten für dieses Verfahren einerseits für die anfragenden Firmen, andererseits für Swissmedic selber?

Gegenwärtig werden keine zusätzlichen Kosten für die Firmen berechnet, Orbis akzeptierte Gesuche folgen den entsprechenden publizierten Kostentabellen in Abhängigkeit vom Gesuchtyp. Intern wird Swissmedic nach Abschluss der einjährigen Pilotphase den Mehraufwand bzw. die Mehrkosten für die Fachbegutachtung untersuchen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, dies belastbar zu beurteilen.

Ist das Eingabe-Dossier für «Orbis» einheitlich oder erfolgt es nach den bisherigen Regeln der teilnehmenden Länder?

Die eingereichten Gesuche folgen den bisherigen Prozessen der teilnehmenden Länder in der üblichen modularen Form.

Warum ist die EMA hier nicht dabei?

Die FDA hatte dies diskutiert, es schien allerdings durch das in der EU bedingte zentrale Zulassungswesen mit zwei EU Länder, die bei jedem Gesuch differieren, operativ schwierig zu sein. Weiterhin wurde auch von der FDA bezweifelt, dass die EMA generell teilnehmen würde, da das primäre Ziel von Project Orbis ist die Länder zu unterstützen, die innovative Zulassungsgesuche durch die Firma erst später erhalten. Erwähnenswert in diesem Kontext ist, dass Grossbritannien, nach dem Austritt aus der EU, sich 2021 ebenfalls den Orbis assoziierten Partnerbehörden anschliessen wird.

Wann wird nach dieser Pilotphase entschieden, ob Orbis als Option für den Zulassungsprozess bei Swissmedic übernommen wird?

Dies wird im ersten Quartal 2021 sein. Dann werden wir alle Orbisgesuche, an denen Swissmedic teilgenommen hat, auf den zusätzlichen Zeitaufwand, der Zulassungszeit und einer möglichen Verkürzung des Einreichungszeitraums zwischen den USA und der Schweiz analysieren. «Project Orbis» ist für Swissmedic dann erfolgreich, wenn den behandelnden Hämato-Onkologen und den Schweizer Patientinnen und Patienten innovative Krebsmedikamente nach konstanter, qualitativ hochwertiger Begutachtung rascher zur Verfügung gestellt werden könnten.

Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny

Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen

thomas.cerny@kssg.ch

Tukysa (Tucatinib)

Wirkmechanismus

Tucatinib ist ein oraler hochselektiver HER2-Tyrosinkinase-Inhibitor TKI. Durch die hochselektive Bindung an ErbB2 (=HER2) wird dessen Phosphorylierung unterbunden. Durch diese Verhinderung der Signalaktivierung des HER2-Proteins wird die Proliferation maligner HER2+ Zellen gestoppt und die Zellen gehen in Apoptose und sterben ab (Abb. 1).

Klinische Wirksamkeit

Als Zulassungsstudie wurde die doppelblinde, placebo-kontrollierte, 2:1 randomisierte Phase 2-Studie HER2CLIMB (NCT02614794) eingereicht. Tucatinib oder Placebo wurden als Kombination mit Trastuzumab und Capecitabine eingesetzt.
Von total 612 eingeschlossenen Patientinnen mit HER2+ lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs nach Vorbehandlung (Herceptin, Perjeta und/oder TDM1), 410 im Verumarm und 202 im Kontrolarm) wurden alle 291 Patientinnen mit Hirnmetastasen (46% der eingeschlossenen Patientinnen) als geplante explorative Subgruppenanalyse ausgewertet. Davon waren 48% im Tucatinibarm und 46% im Kontrollarm mit Placebo. Die mediane Dauer von der Diagnose bis zum Auftreten von Hirnmetastasen betrug 15.8 Monate (1.1 – 169.2 Monate) und 14.5 Monate (0.5 -99.3 Monate) im Kontrollarm.
Bei 47,3% der Patienten sprachen die Hirnmetastasen auf Tucatinib an, komplett (5,5%) oder partiell (41,8%) an. Im Placebo­arm der Studie gab es nur bei 20% der Patienten ein partielles Ansprechen. Die Dauer des Ansprechens betrug mit Tucatinib 6,8 Monate, mit Placebo 3 Monate. Bei 30 Patienten (21 im Tucatinib- und 9 im Placeboarm) wurde bei einem ZNS Progress eine Lokaltherapie durchgeführt und danach die Studienmedikation wieder aufgenommen. Das Risiko einer erneuten Progression mit Tucatinib war deutlich geringer als in der Placebogruppe (HR 0,33; 95% KI 0,11–1,02; p = 0,02). Im Median vergingen vom ersten bis zum erneuten Progress mit Tucatinib 7,6 Monate und mit Placebo 3,1 Monate.
In der Tucatinib-Gruppe war somit das Risiko einer ZNS-Progression gegenüber Placebo um 68% verringert (HR 0,32; 95% KI 0,22–0,48; p < 0,00001). 40,2% der Patienten dieser Gruppe waren nach einem Jahr weiterhin ohne ZNS-Progression, in der Kontrollgruppe keine Patientin. Das mediane ZNS-PFS lag mit Tucatinib bei 9,9 Monaten, mit Placebo bei 4,2 Monaten (Abb. 2: Lin, JCO 2020).
Die Analyse aller eingeschlossenen Patietinnen (N 612) ergab eine mediane PFS mit Tucatinib von 7.8 Monaten (95% confidence interval [CI] 7.5, 9.6) verglichen zu 5.6 Monaten (95% CI 4.2, 7.1) für ­Patientinnen im Placeboarm (hazard ratio [HR] 0.54; 95% CI 0.42, 0.71; p < 0.00001). Auch das mediane Gesamtüberleben (OS) für alle eingeschlossenen Patientinnen war in der Tucatinib-Gruppe signifikant verlängert mit 20,7 Monaten (11,6 Monate in der Kontrollgruppe), die Ein-Jahres-OS-Rate betrug 71,7% (Placebo: 41,1%; HR 0,49; 95% KI 0,30–0,80). Bei Patienten mit stabilen Hirnmetastasen bei Studienbeginn gab es dagegen keinen signifikanten Unterschied im OS.
Tucatinib hat somit das Potential als neuer Standard beim vorbehandelten metastasierten HER2 + Mammakarzinom in Kombination mit Trastuzumab und Capecitabin für Patientinnen insbesondere mit Hirnmetastasen.

Sicherheit und Nebenwirkungen

Die Kombinationstherapie mit Tucatinib oder Placebo zeigte vor allem folgende Nebenwirkungen:

  • Übelkeit, Erbrechen, verminderter Appetit, Durchfall, Stomatitis, Abdominalschmerzen
  • Palmar-plantare Erythrodysästhesie
  • Müdigkeit
  • Lebertoxizität
  • Kopfschmerzen
  • Anämie
  • Exantheme

Insgesamt traten durch die Zugabe von Tucatinib signifikant vermehrt Diarrhoe, Nausea, Erbrechen sowie Hand-Fuss-Syndrom auf. Es gab aber keine zusätzlichen SAE’s (serious adverse events) oder Fatalitäten. Die Sicherheit bei Nieren- oder Leber-Funktionseinschränkungen ist noch nicht geklärt. Letztere muss unbedingt weiter untersucht werden, da die Lebertoxizität offenbar ein Klasseneffekt von Tucatinib ist.

Kommentar:

Auch wenn Tucatinib in Kombination mit Trastuzumab und Capecitabine nach HER2 basierter Vorbehandlung zugelassen ist, ist der klinische Hautpvorteil klar bei Patientinnen zu erwarten, welche zum Zeitpunkt der Behandlung aktive Hirnmetastasen aufweisen. Auch ist festzuhalten, dass nach erneuter ZNS Progression die Wiederaufnahme mit Tucatinib die Prognose weiter verbessert. Hier handelt es sich dann nur noch um kleine Fallzahlen, die zwingend nach einer Bestätigung durch weitere Studien rufen. Es sei daran erinnert, dass wir hier eine zwar grosse randomisierte, verblindete und placebokontrollierte Phase 2-Studie als Grundlage haben, aber wir erwarten, dass diese Daten durch weitere Studien bald bestätigt werden. Es ist uns aber auch klar, dass es sich bei Rezidiven mit Hirnmetastasen bei HER2 positiven Frauen mit Brustkrebs um eine klassische «Unmet Medical Need» Situation handelt und ein solcher Fortschritt klar klinisch bedeutsam ist. In dieser Studie waren Patientinnen mit leptomenigealem Befall ausgeschlossen und es wird noch separat zu untersuchen sein, ob auch diese Patientinnen profitieren können. Eine Studie, welche untersucht, ob Tucatinib nicht bereits früher erfolgreich eingesetzt werden kann, ist unterwegs (HER2CLIMB-02) wo Zweitlinien T-DM1 mit und ohne Tucatinib randomisert wird. Auch hier wurden und werden Frauen mit Hirnmetastasen eingeschlossen.
Schliesslich ist bemerkenswert und höchst erfreulich, dass hier erstmals überhaupt das neue internationale «Project Orbis» angewendet wurde, wo die FDA unter ihrem «Real-Time Oncology Review (RTOR) pilot program» zusammen mit der Swissmedic, den Zulassungsbehörden von Kanada, Australien und Singapur gemeinsam und zeitgleich das gesamte Zulassungsdossier bearbeitet und damit effizienter, schneller und auch mit mehr konsolidierter internationaler Expertise grundsätzlich neue Medikamente beurteilen kann: https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/news/mitteilungen/fda-projekt-orbis.html. Es ist zu hoffen, dass sich dieses internationale Programm bewähren wird. Auch haben die Firmen damit klar weniger Aufwendungen und in diesen Ländern einen rascheren Marktzugang. Für wichtige Innovationen ist dies selbstredend auch zum Wohl unserer Patienten.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny

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Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

1. Murthy RK, Loi S, Okines A et al. (2020): Tucatinib, Trastuzumab, and Capecitabine for HER2-Positive Metastatic Breast Cancer. New England Journal of Medicine, DOI: 10.1056/NEJMoa1914609.
2. Lin NU, Borges V, Anders C et al. (2020) Intracranial Efficacy and Survival With Tucatinib Plus Trastuzumab and Capecitabine for Previously Treated HER2-Positive Breast Cancer With Brain Metastases in the HER2CLIMB Trial. Journal of Clinical Oncology, DOI: 10.1200/JCO.20.00775.