Es vergeht wohl kein Tag in einer Grundversorgerpraxis, ohne dass ein oder mehrere Patienten mit Bauchbeschwerden oder breiter gesagt Symptomen im Zusammenhang mit den Verdauungsorganen zu untersuchen, beraten und behandeln sind.
Die Fortschritte in den letzten 10 Jahren sind sowohl was die Diagnostik wie auch die Therapiemöglichkeiten anbelangt gewaltig. Moderne bildgebende Verfahren erzeugen innert Minuten Dutzende wenn nicht mehr Bilder, was unsere Patienten beeindruckt und für kurze Zeit zu beruhigen vermag, mindestens bis sie dafür die Rechnung erhalten und ihre Ängste doch wieder aufflackern. Die behandelnde Ärzteschaft ist hingegen oft eher beunruhigt, wissend, dass selbst die besten Radiologen kaum in der Lage sind, alle Bilder eingehend zu beurteilen, sowie durch zahlreiche klinisch irrelevante Zufalls- und Nebenbefunde.
Die Verwirrung im therapeutischen Armamentarium ist nicht kleiner, möglicherweise ist nicht einmal allen Fachspezialisten immer ganz klar, wann welche neueste Antikörper-, Small-molecule- und alle möglichen anderen Therapien bei wem mit Vorteil eingesetzt werden können und sollen und bei wem nicht. Das vor dem Hintergrund, dass ähnlich wie für Erkältungskrankheiten gerade für die häufigsten GI-Patienten in der Hausarztpraxis, den Patienten mit Reizdarmsyndrom, eine einfache und wirksame Behandlung immer noch fehlt.
Umso wichtiger scheint uns, dass in der Grundversorgung beim Erstkontakt mit GI-Patienten ein übersichtliches Instrumentarium zu einer zeitgerechten und adäquaten Beurteilung zur Verfügung steht. Aus dieser Überlegung heraus haben wir auf eine hiermit herzlich verdankte Anregung von Herrn Prof. Stephan Vavricka hin über das vergangene Jahr verteilt eine Reihe von praxisrelevanten Artikeln über die häufigsten gastrointestinalen Symptome publiziert, die den Ärztinnen und Ärzten an der Front erlauben, sich in kürzester Zeit Klarheit zu verschaffen über die wichtigsten Punkte der Anamnese und sinnvollen klinischen Untersuchung. Zahlreiche Gastroenterologen aus dem Raum Zürich haben sie in verdankenswerter Weise verfasst.
Damit alle diese Artikel stets greifbar sind, hat sich der Verlag entschlossen, diese Artikel in einem Sonderheft «Gastroenterologie» zusammenzustellen, dem wir wünschen, dass es physisch und online rege benutzt werde und helfe, den Umgang mit akuten und schwierigen chronischen gastrointestinalen Problemen zu strukturieren und zu vereinfachen.
Ich hoffe, die Lektüre dieses praxisnahen, symptomfokussierten Sonderheftes mache Ihnen genauso viel Freude, wie wir alle an der Erstellung der Manuskripte hatten. Ich danke an dieser Stelle allen Autoren nochmals für ihre Beiträge und allen Leserinnen und Lesern für das Interesse.
Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir ein gesundes glückliches Jahr 2022! Wir freuen uns sehr, Ihnen die erste Ausgabe von «info@ONCO-SUISSE» vorzulegen und danken allen, die mitgeholfen haben, das Zusammengehen von «info@onkologie» mit dem «Schweizer Krebsbulletin» möglich zu machen. Noch bremst uns die Coronapandemie, doch wir hoffen, auch bald wieder Redaktionssitzungen rund um einen Tisch abhalten zu dürfen, wie dies für eine gute Redaktionskultur unerlässlich ist.
Die bewährte Fortbildung der bisherigen «info@onkologie» führen wir in Studienzusammenfassungen und Beiträgen renommierter KollegInnen fort – und haben hierbei im Team der Editoren neue Unterstützung: Dr. med. Silvia Hofer und Prof. Oliver Gautschi helfen nun mit, die besten Themen zu finden und umzusetzen, während Prof. Beat Thürlimann und Prof. Christoph Renner sich im Journal Watch engagieren.
Gleichzeitig ist «info@ONCO-SUISSE» als offizielle Kommunikationsplattform der ONCOSUISSE unser neues Organ und Forum aller beteiligten Gesellschaften und Verbände. Das aktuelle Heft ist also die Erstausgabe dieser neuen gemeinsamen Aufgabe. Soweit zumindest unser Ziel, zu dem wir alle Beteiligten um Ihre Mitarbeit bitten. Nutzen Sie die Gelegenheit, Ihre Aktivitäten, Diskussionsbeiträge, aber auch Personalien, Preise oder Termine print und online mitteilen zu können!
In diesem Sinne wollen wir in unserer neuen «info@ONCO-SUISSE» neben aktuellen Fortbildungsbeiträgen, Journal Watch, Presse-corner insbesondere auch Mitteilungen zu den Aktivitäten der vielseitigen Fachverbände und die nationalen Aktivitäten der Oncosuisse unseren Lesern vermitteln.
Interaktionen von Nahrungsaufnahme mit Medikamenten treten auf wegen der Nahrungsaufnahme per se, wegen spezifischer Komponenten in der Nahrung, aber auch wegen der galenischen Form der verabreichten Medikamente. In diesem Artikel werde ich mich mit der Wahl der galenischen Formulierung in Bezug auf Nahrungsaufnahme sowie mit Interaktionen von Arzneistoffen mit Nahrungsaufnahme und Nahrungsbestandteilen befassen.
Abstract: WInteractions of food intake with drugs occur because of food intake per se, because of specific components in food, but also because of the galenic form of the administered drugs. In this article I will deal with the choice of galenic formulation in relation to food intake as well as with the effect of food intake and food ingredients on the absorption of drugs. Key Words: gastric emptying, gastric and duodenal pH, drug absorption, food-drug interactions
Zwischen der oralen Einnahme eines Medikamentes und des Erscheinens des Arzneistoffes im systemischen Kreislauf gibt es verschiedene Möglichkeiten, welche zu unerwünschten oder unerwarteten Wirkungen des eingenommenen Medikamentes führen können. Dazu zählen unter anderem die Einnahme ungünstiger galenischer Formulierungen auf den vollen Magen, Interaktionen von Arzneistoffen untereinander oder mit Nahrungsbestandteilen, verminderte intestinale Aufnahme von Arzneistoffen wegen Induktion von exkretorischen Arzneistofftransportern (z.B. P-Glykoprotein) oder intestinalen Zytochromen sowie eingeschränkte hepatische Aufnahme von Arzneistoffen durch verminderte Aktivität von Importproteinen und erhöhter hepatischer Abbau durch Induktion von Zytochromen in der Leber.
Wahl der galenischen Formulierung in Bezug auf Nahrungsaufnahme
Die Interaktion zwischen Nahrungsmittelaufnahme und galenischer Formulierung ist in einem vor 20 Jahren erschienenen Artikel sehr gut abgehandelt worden (1); die Prinzipien zum Verstehen dieser Interaktion und zur Vermeidung von Komplikationen haben sich in der Zwischenzeit nicht verändert.
Die meisten Arzneistoffe werden im Dünndarm absorbiert, müssen also den Magen passieren, bevor sie aufgenommen werden können. Faktoren, welche den Transport eines Arzneistoffes in den Dünndarm beeinflussen, sind die Freisetzung aus der galenischen Form, die Löslichkeit und Stabilität des Arzneistoffs im Magen sowie der Transport durch den Magen. Für den Transport von Arzneistoffen durch den Magen spielt v.a. die Motorik im distalen Teil des Magens eine wesentliche Rolle. Festes Material, wie z.B. nicht dispergierte Tabletten, müssen via Magenmotorik durch den Pylorus transportiert werden. Im distalen Magen existieren im Wesentlichen 2 Motilitätsmuster, eine Nüchtern- und eine digestive Motilität. Im nüchternen Zustand (keine Nahrungsbestandteile im Magen) bewirken alle 1 bis 2 Stunden vorkommende peristaltische Wellen (Phase-3 Kontraktionen) den Transport von festem Material durch den Pylorus. Der Pylorus ist offen und grössere Nahrungsbestandteile (>0.5 cm) können durch den Pylorus transportiert werden. Nach der Einnahme von flüssiger oder fester Nahrung wechselt die Motorik des distalen Magens auf die digestive Form, solange Nahrungsreste im Magen vorhanden sind. Der Pylorus schliesst sich bis auf einen Durchmesser von wenigen Millimetern und lässt also nur noch Flüssigkeit und kleine (<0.5 cm), feste Bestandteile passieren. Die Magenkontraktionen haben zum Ziel, den Mageninhalt so zu zerkleinern, dass er den fast geschlossenen Pylorus passieren kann. Nicht dispergierte Tabletten (z.B. magensaftresistente, nicht zerfallende Tabletten), verbleiben im Magen, je nach Nahrungsmenge für einige Stunden. Während also flüssige und im Magensaft zerfallende Arzneimittel den Magen unabhängig von gleichzeitiger Nahrungsaufnahme passieren können, gilt dies nicht für magensaftresistente, nicht zerfallende Tabletten. Für einen schnellen oder nicht verzögerten Wirkeintritt sollten solche Präparate also mit Wasser (nicht mit kalorienhaltigen Getränken) nüchtern eingenommen werden. Dieser Sachverhalt sollte für die Zulassung solcher Medikamente geprüft worden und entsprechend in der Fachinformation vermerkt sein.
Unspezifische Effekte der Nahrungsaufnahme auf die Pharmakokinetik von Arzneistoffen
Über dieses Thema ist kürzlich ein guter Reviewartikel publiziert worden (2). Die Interaktion von Arzneistoffen mit der Nahrung muss sowohl von der FDA wie auch der EMA aus für alle Medikamente geprüft werden, welche neu auf den Markt kommen. Die entsprechenden Studien werden in der Fachinformation erwähnt (meist eine Crossoverstudie einer Einzeldosis im nüchternen Zustand versus nach Einnahme einer fettreichen Mahlzeit) und darauf beruhen die Dosisempfehlungen. Bei einem relevanten Einfluss der Nahrungsaufnahme auf die Pharmakokinetik ist es essenziell, die Patienten darauf hinzuweisen, dass sie allenfalls auf die Einnahme bestimmter Nahrungsmittel verzichten, oder das Medikament stets zum gleichen Zeitpunkt in Bezug auf Nahrungseinnahme zu sich nehmen sollen.
Die pharmakokinetischen Parameter, welche durch Nahrungsaufnahme beeinflusst werden, sind vor allem die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Konzentration (Tmax), die maximale Konzentration (Cmax) und die Exposition (Fläche unter der Plasmakonzentration-Zeitkurve, AUC).
Die wichtigsten Mechanismen, welche zu einer Interaktion der Nahrungsaufnahme mit Arzneistoffen führen, sind in Tabelle 1 aufgelistet. Fettreiche Nahrung hemmt die Magenentleerung, was in den meisten Fällen zu einer Erhöhung der Tmax führt, die Exposition aber nicht beeinträchtigt. Die Exposition kann sich v.a. für sehr lipophile Arzneistoffe erhöhen, einerseits wegen verbesserter Löslichkeit und dann auch wegen möglicher Absorption via Lymphe. Fettreiche Ernährung führt auch zu einer Sekretion von Gallensäuren in das Duodenum, was die Dünndarmepithelien für die Penetration von Arzneistoffen durchlässiger macht. Auf der anderen Seite kommt es zur Bildung von Mizellen, was die freie Konzentration von Arzneistoffen und damit die intestinale Aufnahme senken kann. Generell kann davon ausgegangen werden, dass der Effekt der Nahrungsaufnahme bezüglich Zunahme der Exposition für schlecht wasserlösliche, aber gut penetrierbare Arzneistoffe am Ausgeprägtesten ist, da die Löslichkeit verbessert werden kann (3).
Eine proteinreiche Ernährung kann zu verminderter Aufnahme von peptidähnlichen Arzneistoffen führen, da die beim Abbau der Proteine entstehenden Peptide oder Aminosäuren mit dem aktiven Transport von Arzneistoffen konkurrenzieren können. Das könnte zum Beispiel für Angiotensinrezeptorblocker oder auch für DOPA der Fall sein. Absorbierte Aminosäuren können auch an der Blut-Hirnschranke mit der Aufnahme von L-DOPA konkurrieren, was zeigt, dass Nahrungsmittel-Arzneistoffinteraktionen nicht nur im Gastrointestinaltrakt vorkommen müssen.
Zudem können Arzneistoffe unspezifisch von Nahrungsfasern adsorbiert werden, was die Exposition solcher Arzneistoffe senkt.
Ein unspezifischer Effekt der Nahrungsaufnahme ist auch das Anheben des pH im Magen (von ca. 2 im nüchternen Zustand auf ca. 5 nach dem Essen). Der Effekt betrifft v.a. die Stabilität der Arzneistoffe; z.B. ist Leukovorin instabil bei pH<3 und sollte deshalb nicht auf nüchternen Magen eingenommen werden. Zudem kann sich mit steigendem pH die Löslichkeit vermindern, was unter anderem für den Tyrosinkinasenhemmer Elrotinib der Fall ist.
Eine der wichtigsten, spezifischen Interaktion mit Nahrungsmittel-Arzneistoffinteraktion ist diejenige mit Grapefruit und, etwas weniger ausgeprägt, auch mit Pomelo. Grapefruit und Pomelo enthalten die Furanocoumarine Bergamottin und 6’,7’-Dihydroxybergamottin, welche das Zytochrom P450 (CYP) 3A4 im Darm (aber nicht in der Leber) irreversibel hemmen (4). Das gehemmte intestinale CYP3A4 muss neu synthetisiert werden, um die intestinale CYP3A4 Aktivität wieder herzustellen, was ca. 24 Stunden dauert. CYP3A4 Substrate (z.B. Arzneistoffe), welche im Darm relevant abgebaut werden, erreichen deshalb nach der Einnahme von Grapefruitsaft höhere systemische Konzentrationen wegen Steigerung der Bioverfügbarkeit. Dies betrifft unter anderem die meisten Calciumantagonisten, Triazolam und Midazolam, Cyclosporin und Tacrolimus, Amiodaron, Apixaban und Rivaroxaban, Oxycodon sowie Simvastatin und Atorvastatin. Eine vollständigere Liste der Arzneistoffinteraktionen mit Grapefuitsaft findet sich bei Mouly et al. (5).
Die Interaktion von Grapefruitsaft mit Midazolam ist in der Abb. 1 illustriert. Gesunde Probanden wurden mit 250 mL Grapefruitsaft oder Wasser vorbehandelt und der Effekt auf die Pharmakokinetik von oral oder intravenös verabreichtes Midazolam untersucht. Ein Effekt von Grapefruit war nur nach oraler Gabe von Midazolam sichtbar, was beweist, dass Grapefruit auf das CYP3A4 im Darm, nicht aber in der Leber, wirkt. Nach oraler Gabe von Midazolam kam es durch Grapefruit ungefähr zu einem 30%-igen Anstieg der Bioverfügbarkeit, was die Sedation der Probanden verstärkte (4).
Eine weitere, spezifische Interaktion mit Nahrungsbestandteilen ist die Komplexbildung mit bivalenten Metallionen (insbesondere Fe2+, Mg2+ und Ca2+). Dies muss v.a. bei der Einnahme von Milch und gewissen Milchprodukten, stark mineralhaltigem Mineralwasser und von Nahrungsmittelzusätzen, welche Mineralien enthalten, beachtet werden. Betroffene Arzneistoffe sind u.a. Mycophenolat, Fluorochinolone oder auch Thyroxin (2).
Tabelle 2 enthält eine Liste von klinisch relevanten Nahrungsmittel-Arzneistoffinteraktionen. Die Liste ist nicht vollständig; wie weiter oben ausgeführt, sollten die Empfehlungen der entsprechenden Fachinformation befolgt werden, welche auf den durch die Firmen durchgeführten Studien basieren.
Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Interaktionen von Nahrungsaufnahme mit Medikamenten treten auf wegen der Nahrungsaufnahme per se, wegen spezifischer Komponenten in der Nahrung, aber auch wegen der galenischen Form der verabreichten Medikamente.
◆ Die Untersuchung der Nahrungsmittel-Arzneistoffinteraktionen ist eine Bedingung für die Zulassung neuer Medikamente. Entsprechend sind detaillierte Angaben in der Fachinformation vorhanden.
◆ Relevante Interaktionen müssen mit den Patienten besprochen und durch Vermeidung bestimmter Nahrungsmittel und/oder regelmässige Einnahme der Medikamente vermieden werden.
1. Walter-Sack I, Haefeli WE. [Consideration of drug absorption in customizing drug therapy]. Therapeutische Umschau Revue therapeutique. 2000;57(9):557-62.
2. Deng J, Zhu X, Chen Z, Fan CH, Kwan HS, Wong CH, et al. A Review of Food-Drug Interactions on Oral Drug Absorption. Drugs. 2017;77(17):1833-55.
3. Wu CY, Benet LZ. Predicting drug disposition via application of BCS: transport/absorption/ elimination interplay and development of a biopharmaceutics drug disposition classification system. Pharmaceutical research. 2005;22(1):11-23.
4. Kupferschmidt HH, Ha HR, Ziegler WH, Meier PJ, Krähenbühl S. Interaction between grapefruit juice and midazolam in humans. Clinical pharmacology and therapeutics. 1995;58(1):20-8.
5. Mouly S, Lloret-Linares C, Sellier PO, Sene D, Bergmann JF. Is the clinical relevance of drug-food and drug-herb interactions limited to grapefruit juice and Saint-John’s Wort? Pharmacological research. 2017;118:82-92.
Das Wallis ist bekannt für seine vielen, künstlich angelegten Wasserleiten, die das untere Rhonetal erst zur fruchtbaren Gebirgskammer werden liessen. Auf Deutsch werden sie Suonen genannt, auf Französisch Bisses. Wie dicht dieses Netzwerk von Wasserkanälen ist, um in den Seitentälern die Felder und Wiesen, im Tal unten die ungezählten Rebberge und Obst- sowie Gemüseplantagen zu bewässern, lässt sich am Beispiel von Nendaz erahnen. Die Printse, die dem bereits weitgehend abgeschmolzenen Gletschergebiet des Grand Désert entspringt, speist heute noch eine ganze Reihe von Suonen im Val de Nendaz. Auf der Ostseite sollte die Bisse de Chervé Gletscherwasser von La Gouille südlich des heutigen Stausees von Cleuson über 15 Kilometer bis zu den Weiden von Thyon führen. Mit ihrem Bau wurde 1862 begonnen. Wegen enormer technischer Schwierigkeiten, die wohl auch mit den Hangrutschungen oberhalb von Siviez in Zusammenhang standen, konnte sie aber nie auf ihrer vollständigen Länge betrieben werden. Heute liegt sie trocken. Andere Suonen auf dieser Seite des Val de Nendaz führen aber immer noch oder wieder Wasser: die Grand Bisse de Vex (12 km Länge), die Bisse de Salins (12 km) und die Bisse de Baar (6 km). Sie dienen der Bewässerung von Weiden und Wiesen, Himbeer- und Aprikosenplantagen. Auf der gegenüberliegenden Talseite führte die Bisse de Saxon über ganze 32 Kilometer Wasser aus der Printse in das Gebiet von Saxon. Heute ist diese
Suone nur noch teilweise in Betrieb. Tiefer im Tal liegen die Bisse Vieux (7 km), die Bisse du Milieu (5 km) und die Bisse d’ en Bas
(6 km), die heute noch das Gebiet von Nendaz, darunter auch Himbeerfelder versorgen.
Unser Rundgang wird uns entlang der Bisse Vieux ins Val de Nendaz hineinführen, auf der Bisse du Milieu werden wir nach Haute Nendaz zurückkehren. Wir starten bei der Talstation der Seilbahn nach Tracouet. Wir folgen der Strasse Richtung Isérables bis zum ersten grossen Häuserblock. Dort zweigt bergwärts ein Zufahrtssträsschen ab, das uns direkt zur Bisse Vieux hinaufführt. Von nun an kann man sich nicht mehr verlaufen. Auf dem Tretschbord, der talseitigen Begrenzung des Suonenbettes, wandern wir taleinwärts, durch Wälder und über Weiden, vorbei an den Maiensiedlungen von Sofleu, Bertouda und Le Lavantier bis zu den Mayens des Eaux (Abb. 1). Eine kleine Installation mit Kännel und geschnitzter Hand, durch die das mit harter Arbeit gewonnene Wasser fliesst, erinnert uns an die Bedeutung der Suonen für die Walliser Kulturlandschaft (Abb. 2). Ohne sie wäre dieses trockene Tal Steppe geblieben. Sobald wir die Strasse nach Siviez erreichen, verlassen wir die Bisse Vieux und gelangen über ein Fahrsträsschen zu den Häusern von Planchouet. Dabei überqueren wir die Printse.
Wer sich hier verpflegen möchte, findet bei der Strasse nach Siviez oder in Planchouet Einkehrmöglichkeiten. Bei Planchouet zweigt ein Weg zur Printse hinunter ab. Dieser führt uns zuerst zur diesseitigen Fassung der Grand Bisse de Vex und etwas weiter flussabwärts zum Beginn der Bisse du Milieu am jenseitigen Ufer der Printse. In der Regel bildet ein mehr oder weniger kompliziertes System von Schleusen den Anfang der Suonen, um die Wassermenge dem jeweiligen Bedarf exakt anpassen zu können. Nun setzen wir unsere beschauliche Wanderung entlang des leise plätschernden Wässerwassers, wie es die Oberwalliser nennen, in umgekehrter Richtung fort. Irgendwo unter uns verläuft noch die Bisse d’en Bas. Erneut queren wir Wälder und Weiden, bis sich der Blick zu den südlich von Veysonnaz gelegenen, von der Sonne verbrannten Häusern von Clèbes und Verrey öffnet. Deutlich sind auch die Terrassen der ehemaligen Felder im steilen Hang zu erkennen. Ohne die Bisse d’Erre hoch über den zwei Dörfern, die aus der vom Mont Rouge herabfliessenden Ojintse gewonnen wird, hätten die Weiden sowie alles Getreide und Gemüse verdorren müssen.
Bei Le Quatro queren wir die Strasse nach Siviez nun in umgekehrter Richtung und erreichen schon bald wieder Haute Nendaz mit dem Ausgangspunkt unserer gemütlichen Rundwanderung (Abb. 3 und 4). Ein idealer Spaziergang für unfreundliches Wetter, das einem trotz Nähe zum touristischen Zentrum Einsamkeit und Ruhe verspricht.
Wie lässt sich erklären, dass sich hoch über Monte Carasso auf 800 Metern Höhe und verloren im Wald eine kleine Kirche findet, deren Innenwände mit Fresken des späten Mittelalters, der Renaissance sowie des Barocks geschmückt sind? Es ist heute nicht mehr augenfällig, aber die Piano di Magadino war bis zur grossen Gewässerkorrektur im Bereich des Unterlaufs des Ticino, die Ende des 19. Jahrhunderts begonnen wurde, eine von Malaria und regelmässigen Überflutungen heimgesuchte Sumpflandschaft. Während der Hochwasserkatastrophe von 1868 dehnte sich der Lago Maggiore noch bis nach Giubiasco aus. Zudem bildete sich hinter dem Schwemmkegel von Sementina und Monte Carasso ein weiterer See, der bis weit hinter Bellinzona in die Riviera reichte. Damals waren allein in der kaum besiedelten Piano di Magadino fast 450 Gebäude von der Flut betroffen, heute wären es, ohne die getroffenen Schutzmassnahmen rund 4000 Gebäude (1).
Aus diesen Gründen beschränkte sich zu früheren Zeiten das Siedlungsgebiet im Bereich der Piano di Magadino auf erhöhte Lagen am Rande der Ebene und zogen sich die Dörfer so weit die nach Süden ausgerichteten Talhänge hinauf, als dies die Landwirtschaft erlaubte. In der Siedlung Curzútt, zu der die Kirche San Bernardo gehört und die heute den Charakter eines Maiensässes hat, lebten ursprünglich über das ganze Jahr zwischen 700 bis 900 Personen. In den umliegenden Wäldern sind die zahlreichen Terrassen und Ruinen für das aufmerksame Auge noch immer gut zu erkennen.
Abb. 1 Chiesa San Bernardo
Die zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert entstandene Kirche ist San Bernardo geweiht und erfuhr bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts mehrere Um- und Anbauten (Abb. 1). Die ältesten Fresken, wie die Madonna del latte und der Christophorus an der südlichen Aussenwand stammen aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die Darstellungen an der ursprünglichen Nordwand mit der Anbetung der drei Könige, der Kreuzigungsszene und dem Monatszyklus darunter aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die Fresken, die nach der Kirchenerweiterung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden, werden der berühmten Malerdynastie der Seregnesi aus Lugano zugeschrieben. Dazu gehört auch die bewegende Darstellung des letzten Abendmahls. Die jüngsten Fresken aus der Renaissance und dem Barock entstanden im Bereich der letzten Umbauten, also in der San Nicolao gewidmeten Kapelle auf der Südseite sowie im Chor im Osten (Abb. 2) (2).
Abb. 2 Ausschnitte der Freskenzyklen an der Südwand (diese Seite) und an der Nordwand (nächste Seite oben) von San Bernardo
In Erwartung dieser Bilderpracht fällt der stotzige und treppenreiche, dafür kurze Aufstieg nach Curzútt leicht. Wir starten in Monte Carasso beim ehemaligen Kloster der Augustinerinnen, das in der Mitte des letzten Jahrhunderts geschlossen wurde und danach langsam zerfiel. In den 80er Jahren wurden die Klostergebäude vom Architekten Luigi Snozzi zu einem modernen kommunalen Zentrum umgestaltet. Diese Neuinterpretation des traditonellen dörflichen Rahmens fand weit über die Landesgrenzen hinaus Anerkennung und wurde 1993 mit dem Wakker- und Prince of Wales-Preis ausgezeichnet. Neben dem Eingang der Kirche prangt neben anderen Fresken eine mächtige Darstellung des Christophorus. Die Legende besagt: Wer am Morgen dem Christophorus begegnet, der kann über den Tag eines sicheren Geleits gewiss sein. Wir wenden uns gegen Norden, überschreiten die Kantonsstrasse und folgen der Gasse in Richtung der von weitem sichtbaren, auf einem Felsen über dem Dorf stehenden Kirche SS. Trinita. Dort beginnt der alte befestigte Bergweg nach Curzútt und San Bernardo hinauf. Am Fuss des Kirchfelsens stossen wir auf die mächtige Talsprerre, die früher die gesamte Ebene bis hinüber zu den drei grossen Festungen von Bellinzona gegen Süden abriegelte. Wir folgen dem alten Saumweg nach San Bernardo bis zu den letzten Reben beim Weiler Lòri und überqueren dabei dreimal ein Fahrsträsschen. Beim Wasserreservoir biegen wir nach Osten ab und steigen über Tizott zum Corte di Fondo, also zum unteren Teil von Curzútt auf. Hier besteht die Möglichkeit zur Einkehr im Ristorante Ostello Curzútt, das in vorbildlich renovierten alten Häusern auch die Möglichkeit zum Übernachten in Vier- und Achtbettzimmern anbietet.
Der weitere Weg führt uns in Kürze gegen Westen zur Kirche San Bernardo. Der Schlüssel für die Kirche kann ausserhalb der Öffnungszeiten im Ristorante Curzútt bezogen werden. Bergwärts der Kirche stehen das alte Pfarr- und Beinhaus. Für Friedhöfe wurde in früheren Zeiten nur wenig Boden geopfert, weshalb regelmässig alte Gräber für neue aufgelöst werden mussten. Die Knochen der Toten wurden in Beinhäusern untergebracht, im vorliegenden Fall in der darunter liegenden Grabkammer, die mit einer runden Steinplatte geöffnet werden kann.
Nach dem Bilderreigen der Kirche erwartet uns der mässige Aufstieg durch jungen Wald zum sogenannten Ponte tibetano, eine neu konstruierte Hängebrücke, die das Valle di Sementina in luftigen 180 Metern Höhe überspannt (Abb. 3).
Abb.3 Ponte tibetano, eine moderne und sichere Stahlkonstruktion
Auf der gegenüberliegenden Talseite erreichen wir die Ruinen von Selvatico und nach kurzem Anstieg die Hangschulter der Monti di Bassi. Hier zweigt talwärts der steile und erneut mit Treppen gespickte Pfad nach Sementina ab. Über dem Dorf stossen wir erneut auf Festungswerke der ehemaligen Talsperre und einen der Fortini della fame, die General Dufour als Infanteriewerke vor allem östlich von Camorino am Eingang des Valle Morobbia errichten liess. Sie heissen Hungertürme, weil ihr Bau zur Beschäftigung der darbenden Bevölkerung und zur Vermeidung weiterer Auswanderungswellen genutzt wurde. Die Brücke über die Sementina bringt uns nach Monte Carasso und den Ausgangspunkt unserer an Eindrücken reichen Rundwanderung zurück (Abb. 4).
Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo
Riedstrasse 9
6430 Schwyz
christian.besimo@bluewin.ch
1. Brönnimann S et al.: Das Hochwasser, das die Schweiz veränderte. Ursachen, Folgen und Lehren für die Zukunft. Geographica Bernensia, G94, Geographisches Institut der Universität Bern 2018.
2. La chiesa di San Bernardo a Monte Carasso. www.parrochia-monte carasso.ch/documents/prospettoChiesaSanBernardo.pdf.
Ein Bericht von Heinz Staffelbach in der Sonntagsausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 26. Mai 2019 hat uns dazu motiviert, wie empfohlen an einem drückend heissen Sommertag ein einzigartiges Naturschutzgebiet zwischen Udligenswil und Meggen bei Luzern zu entdecken. Dieses liegt mit seinen Wäldern und Moorgebieten im Bereich von auffälligen Geländerippen, die von Nordosten nach Südwesten verlaufen. Diese wurden während der alpinen Gebirgsbildung aufgeworfen. Die von Süden her dem älteren Gotthard- und Aaremassiv überschobenen Decken pflügten im Norden die im Bereich des heutigen Mittellandes liegenden Molasseschichten vor sich her. Die enormen Kräfte bewirkten, dass die mächtigen Nagelfluhbänke der Rigi nach Norden ausstreichend aufgeworfen wurden, während es westlich von Küssnacht nur noch zu kleinen Aufschiebungen reichte, die die heutige Rippenlandschaft bilden.
Ein Bericht von Heinz Staffelbach in der Sonntagsausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 26. Mai 2019 hat uns dazu motiviert, wie empfohlen an einem drückend heissen Sommertag ein einzigartiges Naturschutzgebiet zwischen Udligenswil und Meggen bei Luzern zu entdecken. Dieses liegt mit seinen Wäldern und Moorgebieten im Bereich von auffälligen Geländerippen, die von Nordosten nach Südwesten verlaufen. Diese wurden während der alpinen Gebirgsbildung aufgeworfen. Die von Süden her dem älteren Gotthard- und Aaremassiv überschobenen Decken pflügten im Norden die im Bereich des heutigen Mittellandes liegenden Molasseschichten vor sich her. Die enormen Kräfte bewirkten, dass die mächtigen Nagelfluhbänke der Rigi nach Norden ausstreichend aufgeworfen wurden, während es westlich von Küssnacht nur noch zu kleinen Aufschiebungen reichte, die die heutige Rippenlandschaft bilden. Der gewaltige Druck auf die Molasse während der Bildung der Alpen wurde aber quer durch das Mittelland übertragen und führte zur Auffaltung des Juragebirges. Die aufgeschobenen Rippen zwischen Udligenswil und Meggen wurden anschliessend während den Eiszeiten rund geschliffen.
Zwischen den aus harter Nagelfluh bestehenden Rippen liegen wasserundurchlässige Mergelschichten, die zu Mulden ausgewaschen wurden und die Bildung von Mooren ermöglichten.
Wir starten beim Restaurant Frohsinn in Udligenswil, das auch zur Einkehr vor oder nach der Wanderung bestens empfohlen werden kann. Wir wenden uns gegen Süden, queren die Landstrasse und das Tälchen des Würzebachs zum Waldrand hinüber. Von ferne leuchten die Berner Alpen mit Eiger, Mönch und Jungfrau herüber. Im Wald stossen wir auf einen breiten Weg, der noch Reste einer Pflästerung aufweist. Dieser führt uns auf die Ostseite der Rippe, auf der der Undere Wald liegt. Bei der fünften Wegverzweigung wählen wir den nach Südwesten abbiegenden Weg zum Teuffe- und Haseried. Hier wurde noch bis Ende des 2. Weltkrieges Torf gestochen, zur Befeuerung der Eisenwerke in Emmen. Immer in gleicher Richtung, eingeklemmt zwischen zwei Geländerippen erreichen wir durch Wald zuerst das Weiherried und später den Moorsee bei den Häusern von Wagemoos. Hier erwartet uns das muntere Quaken von Fröschen und der herrliche Duft der an besonnter Hauswand hochrankenden Rosen. Bänke laden an diesem wunderbaren Ort zum Rasten ein.
Südwestlich des Sees schwingen wir uns auf die Geländeerhebung im Osten, bevor wir zum Gränzetürli absteigen. Hier erfahren wir auf einer Informationstafel, dass im 18. Jahrhundert die Oberen durch Zollerhebungen an jedem erdenkbaren Ort ihre Einnahmen zu erhöhen versuchten, während die Handeltreibenden und Reisenden dies verständlicherweise zunehmend als eine unerträgliche Schikane empfanden. Entsprechend begannen sie die Zollstationen wo nur immer möglich zu umgehen, so auch zwischen Meggen und Udligenswil. Über das Gränzetürli bestand damals eine solche Route, um schadlos in den Kanton Schwyz oder in umgekehrter Richtung auf Luzerner Gebiet zu gelangen. Gegen Westen erreichen wir leicht ansteigend eine dreifache Wegverzweigung. Wir wählen jene nach rechts, überqueren nach wenigen Metern einen breiten Weg und steigen anschliessend wieder in südwestlicher Richtung ins Tälchen des Foremooses ab.
Nach der Überschreitung der Autostrasse in einer leider unübersichtlichen Kurve finden wir im Süden die Fortsetzung unseres Weges. Dieser erklimmt die Rippe, die das Foremoos nach Süden begrenzt und folgt dieser bis zu einem breiten Waldweg, über den wir die letzte Moorlichtung vor Meggen, das Bächtelemoos erreichen. Entlang des abfliessenden Baches gelangen wir schliesslich zum Waldrand bei der Buchmatt von Meggen, wo sich beim Englischen Friedhof eine Bushaltestelle der Linie 25 Richtung Luzern anbietet. Wer noch etwas weiter gehen und für die Rückfahrt nach
Udligenswil nicht umsteigen möchte, der wendet sich bei den roten Häusern am Waldrand gegen Norden und findet so den Weg zum Würzebach hinunter. Wir entscheiden uns für die Quartierstrasse, die jenseits des Baches in einem Schlag Richtung Osten zur Strasse nach Adligenswil hinauf führt. Dort treffen wir auf die Haltestelle Schädrütihalde der Buslinie 73, die uns nach Udligenswil zurückbringt (Abb. 4). Auf der Rückfahrt und im Trubel der Luzerner Agglomeration erscheint uns die Stille des soeben durchwanderten Naturschutzgebietes wie eine Fata morgana.
Aufgepasst
In dieser Rubrik werden Berg- und Schneeschuhwanderungen vorgestellt, die in der Regel wenig bekannt sind, zu aussergewöhnlichen Orten führen und die Genugtuung einer besonderen persönlichen Leistung bieten, sei es, dass man sich am Abend nach der Arbeit noch zu einer kleinen körperlichen Anstrengung überwindet, bzw. sich in ein oder zwei Tagen abseits breit getretener Wege unvergessliche Naturerlebnisse erschliesst. Zur besseren Beurteilbarkeit des Schwierigkeitsgrades der Tourenvorschläge wird jeweils eine Einschätzung anhand der SAC-Skala für Berg- (B, EB, BG) und für Schneeschuhwanderungen (WT 1–6) gegeben. Die schwierigste Wegstelle, unabhängig von ihrer Länge, bestimmt jeweils die Gesamtbewertung der Route. Letztendlich bleibt aber jeder selbst für die Beurteilung seiner Fähigkeiten und Eignung für die vorgestellte Wanderung verantwortlich. Die Gehzeiten sind Richtwerte und gelten für normal trainierte Wanderer. Sie müssen nicht zwingend mit den Angaben auf Wegweisern übereinstimmen.