Risikofaktoren und Behandlung von krebsassoziierten Schlaganfällen

Das Risiko von thromboembolischen Ereignissen wie unter anderem ischämischen Schlaganfällen ist bei Krebspatienten bekanntermassen signifikant erhöht. Eine paraneoplastische Gerinnungsstörung wird bei onkologischen Patienten häufig als primäre Ursache für Schlaganfälle, tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien angesehen. Neben dieser paraneoplastischen Thrombusbildung trägt auch das Vorhandensein klassischer kardiovaskulärer Risikofaktoren, die Krebs- und Schlaganfallpatienten gemeinsam haben, erheblich zum Auftreten von Schlaganfällen bei Krebspatienten bei. Bestimmte Chemo-, Hormon- und Immuntherapien sowie Strahlentherapien im Bereich des Halses und des Gehirns erhöhen ebenso das Schlaganfallrisiko bei Krebspatienten. Es ist daher wichtig, die entsprechenden Krebspatienten mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko zu erkennen und entsprechend zu sensibilisieren.

The risk of thromboembolic events is known to be increased in cancer patients. This also applies to cerebrovascular events such as strokes. Paraneoplastic coagulopathy is often regarded as the main cause of strokes and other thromboembolic events (venous thrombosis and pulmonary embolism) in cancer patients. In addition to paraneoplastic coagulopathy, the presence of classic cardiovascular risk factors, which cancer and stroke patients have in common, also contributes significantly to the occurrence of strokes in cancer patients. Certain chemo-, hormone- and immunotherapies and radiotherapy to the neck and brain also increase the risk of stroke in cancer patients. It is therefore crucial to be able to identify and provide care for cancer patients at increased risk of stroke.
Key words: Cancer-associated stroke, Hypercoagulability, Paraneoplastic coagulopathy, Secondary prevention, Anticoagulation therapy

Fallbericht

Eine 68-jährige Patientin wurde mit Verdacht auf einen Schlaganfall mit einer schweren Aphasie, einer leichtgradigen motorischen Hemiparese rechts und einer deutlichen Vernachlässigung (Neglekt) der linken Körperseite in ein Zentrumsspital eingeliefert. Einige Monate zuvor war bei der Patientin ein metastasierendes Bronchialkarzinom diagnostiziert worden. Bildgebende Untersuchungen zeigten das Vorliegen multipler zerebraler Infarkte in verschiedenen zerebralen Versorgungsgebieten, was auf eine proximal-embolische Genese schliessen liess (Abb. 1).
Die laborchemische Untersuchung zeigte eine ausgeprägte Gerinnungsaktivierung mit stark erhöhten D-Dimer-Werten von 9835 µg/L (Referenzbereich <500 µg/L), die nach Ausschluss einer tiefen Beinvenenthrombose und Lungen­embolie auf das Vorliegen einer paraneoplastischen Gerinnungsstörung zurückgeführt wurde. Auch das C-reaktive Protein (CRP) war mit 48 mg/L (Referenzbereich <5 mg/L) signifikant erhöht. In Abwesenheit weiterer Hinweise auf eine Infektion oder systemische Entzündung wurde dieser Anstieg ebenfalls im Kontext der zugrundeliegenden aktiven Krebserkrankung interpretiert. Zusätzlich wurde eine Anämie mit einem Hämoglobinwert von 108 g/L (Norm: 121-154 g/L) festgestellt, die mangels Anzeichen einer akuten Blutung als chronische Anämie gewertet und höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit der Krebserkrankung gesehen wurde.
Im Rahmen der ätiologischen Abklärung des Schlaganfalls konnten keine alternativen Ursachen festgestellt werden. Insbesondere fanden sich keine Hinweise auf eine kardiale Emboliequelle, welche häufig ein ähnliches multiterritoriales Verteilungsmuster der Schlaganfälle aufweist. Der Schlaganfall wurde letztlich ätiologisch der Krebserkrankung zugeschrieben. Als Sekundärprävention wurde nach 6 Tagen eine therapeutische Antikoagulation mit niedrigmolekularem Heparin (Clexane) in voller Dosierung eingeleitet.
Da die tägliche subkutane Injektion für die Patientin unangenehm war, entschied sie sich nach zwei Wochen, selbstständig die Antikoagulation abzusetzen. In der darauffolgenden Konsultation in der hausärztlichen Praxis wurde eine blutverdünnende Therapie mit Eliquis initiiert und diesmal konsequent fortgeführt.

Risikofaktoren für krebsassoziierte
Schlaganfälle

Krebsassoziierte Schlaganfälle werden neben allgemeinen kardiovaskulären Risikofaktoren auch durch spezifische Risikofaktoren beeinflusst, die sowohl mit der Tumor­erkrankung selbst als auch mit den therapeutischen Massnahmen zusammenhängen (Tab. 1).
Dabei treten die Schlaganfälle häufig innerhalb des ersten Monats nach der Krebsdiagnose auf, wobei das Risiko insbesondere in den ersten drei Monaten nach Diagnosestellung signifikant erhöht ist und anschliessend wieder abnimmt (1).

Hyperkoagulabilität und Krebs

Bestimmte Krebserkrankungen wie Lungen-, Pankreas-, Gastrointestinal- und Ovarialkarzinome, insbesondere in lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Stadien, sind eng mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko verbunden. Darüber hinaus weisen vor allem histologische Adenokarzinome eine deutliche Assoziation mit thromboembolischen Ereignissen auf (2–5). Es wird angenommen, dass alle diese spezifischen und fortgeschrittenen Krebsformen zu einer Hyperkoagulabilität führen, indem prothrombotische Elemente (z. B. von Willebrand-Faktor, Tissue Factor, Tumorantigene, zirkulierende Tumorzellen und entzündungsfördernde Zytokine) in den Kreislauf freigesetzt werden (3, 6, 7).
Diese prothrombotischen Prozesse führen zu einer verstärkten Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin sowie zu einer erhöhten Thrombinaktivität wodurch die Thrombusbildung begünstigt wird (4, 8–10). D-Dimere, Abbauprodukte von Fibrin, werden daher häufig als Marker für eine Hyperkoagulabilität verwendet und sind bei Krebspatienten mit Schlaganfällen deshalb oft stark erhöht (5). Auch die mikroskopische Zusammensetzung von krebs­assoziierten Thromben weist entsprechend oft einen höheren Fibringehalt auf als bei anderen Schlaganfallursachen (11). Der detaillierte Pathomechanismus der paraneoplastischen Gerinnungsstörungen ist jedoch insgesamt noch zu wenig verstanden und weitere Studien sind notwendig, um konkrete Behandlungsansätze zu entwickeln.

Krebstherapie als Risikofaktor für Schlaganfall

Krebstherapien können das Schlaganfallrisiko erhöhen, da sie prothrombotische Nebenwirkungen haben und die Blutgefässe schädigen können (12–15). Dabei ist auch bei diesem Prozess weitere Forschung zum genauen Verständnis der Pathophysiologie notwendig.

1. Chemotherapie: Gewisse Chemotherapeutika (Cisplatin, Bevacizumab, Thalidomid) können eine prokoagulierende Aktivität oder Erhöhung der Blutviskosität verursachen und erhöhen daher das Risiko eines Schlaganfalls (16). Darüber hinaus sind einige Chemotherapeutika (Doxorubicin, Cyclophosphamid) direkt toxisch für das Gefässendothel, was die lokale Bildung von Thromben fördern kann.
Ebenso können die kardiotoxischen Nebenwirkungen verschiedener Chemotherapien (z.B. Anthrazykline oder Trastuzumab) durch die Entstehung einer akuten und/oder chronischen Kardiomyopathie oder Herzrhythmusstörungen zu Schlaganfällen führen (17).
2. Immuntherapien: Checkpoint-Inhibitoren (z. B. Pembrolizumab, Nivolumab) können durch beschleunigte Zunahme von Atherosklerose thrombotische Ereignisse begünstigen. CAR-T Cell Therapien wurden ebenfalls mit Schlaganfällen assoziiert, aber der Mechanismus ist derzeit noch nicht geklärt (18, 19).

3. Hormontherapien: Bei bestimmten Krebsarten, insbesondere Brust- und Prostatakrebs, werden häufig Hormontherapien eingesetzt. Diese Therapien (z.B. Tamoxifen, Aromatasehemmer [z. B. Anastrozol, Letrozol] und LHRH-Agonisten [z. B. Goserelin, Leuprolid]) stören das hormonelle Gleichgewicht und können dadurch einen prothrombotischen Zustand induzieren.
4. Strahlentherapie: Strahlentherapie bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich kann zur direkten Schädigung der zerebralen Gefässe führen und weiterhin auch atherosklerotische Gefässveränderungen durch Entstehung von Plaques begünstigen. Beide Phänomene erhöhen langfristig das Schlaganfallrisiko.

Kardiovaskuläre Risikofaktoren bei Krebsassoziierten Schlaganfällen

Neben der direkten Wirkung des Tumors und seiner Therapie spielen klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren eine erhebliche Rolle bei der Entstehung von Schlaganfällen bei Krebspatienten. Patienten mit Krebs haben häufig eine Reihe zusätzlicher «gemeinsamer» Risikofaktoren mit Schlaganfallpatienten, die das Schlaganfallrisiko weiter erhöhen (20, 21). Hierbei sind vor allem Hyper­lipidämie, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Alkoholkonsum und Nikotinabusus aufzuführen.

Akuttherapeutische Möglichkeiten bei krebsassoziierten Schlaganfällen

Die Behandlung akuter Schlaganfälle bei Krebspatienten stellt eine besondere klinische Herausforderung dar, da die Hyperkoagulabilität und die vorliegenden kardiovaskulären Risikofaktoren dieser Patienten das Risiko von neuen thromboembolischen Ereignissen, Blutungen als auch von peri- und postinterventionellen Komplikationen erhöhen können (4, 13).

Intravenöse Thrombolyse

Studien haben gezeigt, dass die intravenöse Thrombolyse bei Schlaganfallpatienten mit Krebs im Thrombolysezeitfenster sicher durchgeführt werden kann. Krebspatienten zeigten nach einer Thrombolysebehandlung eine Verbesserung der Schlaganfall-Symptome. Allerdings besteht bei diesen Patienten ein erhöhtes Risiko für Nachblutungen, insbesondere bei metastatischen Erkrankungen oder bei fortgeschrittenem Tumorstadium (22, 23). Dabei wurde jedoch kein Unterschied zwischen symptomatischen intrakraniellen Nachblutungen nachgewiesen (24). Zusammenfassend ist die intravenöse Thrombolyse bei Schlaganfallpatienten mit Krebs eine sichere Behandlung, wobei jedoch aufgrund eines erhöhten Nachblutungsrisikos eine sorgfältige Abwägung der Risiken und Nutzen erforderlich ist.

Mechanische Thrombektomie

Im Allgemeinen haben Studien gezeigt, dass die Behandlung mittels mechanischer Thrombektomie von Schlaganfallpatienten mit Krebs sicher ist. Die langfristig
verbleibenden Defizite nach einer mechanischen Thrombektomie bei Schlaganfallpatienten mit Krebs waren
jedoch schlechter als bei Patienten ohne Krebs. Dieser Unterschied scheint aber hauptsächlich auf die Krebserkrankung selbst zurückzuführen zu sein und nicht primär auf das Ergebnis der mechanischen Thrombektomie an sich (25).

Prävention von krebsassoziierten Schlaganfällen

Primäre Prävention bei Krebspatienten zur Vermeidung von Schlaganfällen ist derzeit nicht indiziert (26, 27). Eine kürzlich veröffentlichte Literaturübersicht und eine Metaanalyse zeigten keine Reduktion der arteriellen Thrombosen (einschliesslich Schlaganfälle) bei Krebspatienten unter systemischer Therapie, die zur Primärprävention mit Antikoagulanzien behandelt wurden. Thrombozytenaggregationshemmer spielen eine Rolle bei der Primärprävention von arteriellen Thrombosen bei myelo­proliferativen Erkrankungen, werden aber nicht generell zur Primärprävention von Schlaganfällen empfohlen.

Sekundärprävention von krebsassoziierten Schlaganfällen

Post-hoc-Analysen von randomisierten klinischen Studien haben ergeben, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) und Aspirin in der Sekundärprävention bei Schlaganfallpatienten mit Krebs gibt (28). Aufgrund der jeweiligen Studiengestaltung sind diese Ergebnisse allerdings nicht ausreichend, um evidenzbasierte Empfehlungen zur Sekundärprävention abzugeben.
Aktuell werden basierend auf der Annahme ihrer Wirksamkeit auf die paraneoplastische Hyperkoagulabilität bei Krebspatienten zumeist DOAKs nach krebsassoziiertem Schlaganfall als Sekundärprävention eingesetzt. Eine Studie hat gezeigt, dass eine Senkung des D-Dimer-Spiegels durch Antikoagulanzien mit einer reduzierten 1-Jahres-Mortalität verbunden ist, was diese Hypothese unterstützt (29, 30).
Die Langzeitdurchführung einer Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin hingegen wurde aufgrund der unzureichenden Patienten-Compliance infrage gestellt (31). Die Anwendung von DOAKs gilt als sicher, erfordert jedoch weitere Evidenz (32). Generell ist bei der Wahl der Sekundärprävention das spezifische Blutungsrisiko des individuellen Patienten zu berücksichtigen (33).
Ebenso kommt auch der Behandlung von generellen kardiovaskulären Risikofaktoren eine wichtige Bedeutung zu, um das Schlaganfallrisiko insgesamt zu reduzieren.

Fazit für die ärztliche Praxis

Krebsassoziierte Schlaganfälle sind eine erhebliche Herausforderung in der klinischen Praxis, insbesondere aufgrund der komplexen Wechselwirkungen zwischen Krebserkrankungen und thromboembolischen Ereignissen.
Dabei werden krebsassoziierte Schlaganfälle neben gemeinsamen kardiovaskulären Risikofaktoren auch durch spezifische krebsbedingte Einflüsse verursacht. Besonders Patienten mit fortgeschrittenen oder metastasierten Tumoren weisen ein erhöhtes Schlaganfallrisiko auf. Das Schlaganfallrisiko ist hierbei insbesondere in den ersten Monaten nach der Krebsdiagnose erhöht.
Zudem können bestimmte Krebsbehandlungen prothrombotische Zustände begünstigen. Hinsichtlich der Akutbehandlung gelten sowohl die intravenöse Thrombolyse als auch die mechanische Thrombektomie bei Krebspatienten als sicher durchführbar. Entsprechend ist eine schnelle notfallmässige Vorstellung auf einer Notfallstation beim Auftreten von Schlaganfallsymptomen von entscheidender Bedeutung.
Eine Primärprophylaxe von krebsassoziierten Schlaganfällen ist aktuell nicht indiziert.
Die Wahl der Sekundärprophylaxe in Abwesenheit klarer Richtlinien bleibt oft in der Entscheidung des behandelnden Arztes. Während DOAKs bei vielen Patienten aufgrund der zugrundeliegenden Hyperkoagulation bevorzugt werden, zeigen aktuelle Studien keine klare Überlegenheit gegenüber Thrombozytenaggregationshemmer.

Dr. med. Moritz Kielkopf

Neurologische Klinik, Inselspital
Rosenbühlgasse 25
3010 Bern

moritz.kielkopf@insel.ch

Prof. Dr. med. Hakan Sarikaya

Universitätsklinik für Neurologie
Inselspital Bern
Rosenbühlgasse 25
3010 Bern

Dr. med. Morin Beyeler

Universitätsklinik für Neurologie
Inselspital Bern
Rosenbühlgasse 25
3010 Bern

  • Patienten mit fortgeschrittenen oder metastasierten
    Tumoren haben ein signifikant erhöhtes Risiko für Schlag­anfälle, insbesondere in den ersten drei Monaten nach der Krebs­diagnose. Diese sind oft durch paraneoplastische Gerinnungsstörungen verursacht.
  • Krebsassoziierte Schlaganfälle werden durch prothrombo­tische Mechanismen begünstigt, die von fortgeschrittenen Krebsformen ausgelöst werden, wie die Freisetzung von Tissue Factor und anderen entzündungsfördernden Faktoren. Stark erhöhte D-Dimer-Werte sind ein häufiger Marker für diese Prozesse.
  • Gewisse Chemotherapien, Immuntherapien, Hormon­therapien sowie Strahlentherapie können durch prothrombotische Nebenwirkungen und Gefässschädigungen das Schlaganfallrisiko erhöhen.
  • Sowohl die intravenöse Thrombolyse als auch die mechanische Thrombektomie sind bei krebsassoziierten Schlagan­fällen sicher, erfordern jedoch eine sorgfältige Abwägung der Risiken aufgrund eines erhöhten Blutungsrisikos bei meta­stasierten Tumoren.
  • Während DOAKs häufig zur Sekundärprävention bei krebs­assoziierten Schlaganfällen eingesetzt werden, gibt es keine klaren evidenzbasierten Empfehlungen. Eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung, einschliesslich des Blutungs­risikos und der Patienten-Compliance, ist entscheidend.

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Die Nerven-Kekse der Hildegard von Bingen. Ein Palmares von psychotropen Eigenschaften

Gewürze spielen in der Hildegard Medizin eine grosse Rolle und werden in vielfältiger Weise auch als Heilmittel eingesetzt. Ein bekanntes Beispiel sind die Nerven-Kekse, die für eine bessere Befindlichkeit sorgen. Die Gewürz-Mischung der Nerven-Kekse enthält Muskat-Nuss, Zimt und Nelken. Muskat-Nuss ist bekannt für die psychoaktiven Inhaltsstoffe Myristicin. Safrol, Elemicin und Eugenol, alles Verbindungen aus der Familie der Allylbenzole. In Tierversuchen wurde gezeigt, dass Allylbenzole zu stickstoff-haltigen Amino-
Ketonen metabolisiert werden, die angeblich für die Psychoaktivität verantwortlich sind.

Im Handbuch der Pharmakognosie von Alexander Tschirch findet sich ein Hinweis auf eine weitere psychotrope Komponente in der Muskatnuss mit unbekannter chemischer Struktur. Mehrere Autoren berichteten über eine opium-ähnliche Wirkung dieses Inhaltsstoffes. Dazu passend wird in neueren Arbeiten der Nachweis von Alkaloiden in der Muskatnuss erbracht. Bei der Herstellung von Nerven-Keksen hat man die Möglichkeit, ein alkaloid-freies Produkt herzustellen, indem man Macis («Muskat-Blüte») oder ätherisches Muskat-Öl anstelle von Muskatnuss verwendet. Muskat-Nuss und Macis enthalten weitere pharmakologisch wirksame Bestandteile in Form der Lignane Licarin und Malabaricon mit Wirkung auf das endocannabinoide System beim Menschen.

Eine weitere Komponente in der Gewürzmischung besteht aus dem ätherischem Öl Eugenol aus den Nelken. Eugenol ist ein Allylbenzol mit bekannter Fisch-Toxizität mit schnellem Wirkungseintritt der Narkose bei der Verwendung, z.B. in der Fisch-Zucht. Eugenol stand am Anfang bei der Entwicklung von Propofol (Disoprivan) als Narkose-Mittel. In Anlehnung an die Propofol-Daten steht eine Beteiligung der GABA-Rezeptoren bei der zentralen Wirkung der Allylbenzole in der Muskatnuss im Vordergrund. Bekanntlich unterliegt Propofol einem ausgeprägten First-Pass-Effekt und ist daher nach peroraler Einnahme wirkungslos. Die Aktivität von Glykoprotein P bestimmt das Ausmass des First-Pass-Effekts und es gibt mehrere Beispiele wo die Hemmung von Glykoprotein P für eine erhöhte systemische Verfügbarkeit von oral verabreichten Substanzen erhöht wird. Wohl das wichtigste Beispiel für diese Hemmung findet sich mit Alkohol. Falls diese Überlegung auch auf die Allylbenzole zutrifft, dann wäre bei den Nerven-Keksen eine erhöhte Wirkung zu erwarten, wenn sie in Kombination mit Alkohol eingenommen werden. Das könnte im Kloster bei Hildegard von Bingen sehr wohl der Fall gewesen sein, weil die Einnahme von Bier wegen der Ungeniessbarkeit von Wasser im Mittelalter weit verbreitet war.

Was die Verwendung von Zimt in der Gewürz-Mischung betrifft, könnte es sich um eine Fehlinterpretation bei der Übersetzung des Begriffs «Cinnamomum» im lateinischen Originaltext handeln. Cinnamomum kann anstatt mit Zimt auch korrekt mit Kampfer übersetzt werden. Der Kampfer und seine Wirkung waren bei der Äbtissin Hildegard von Bingen (1089-1179) gut bekannt. An anderer Stelle berichtet sie, dass die Verwendung von Kampfer die Aufmerksamkeit bei ihren Ordens-Schwestern im Gottesdienst fördert. Daher ist es naheliegend, dass Kampfer anstelle von Zimt bei der Herstellung der Gewürzmischung verwendet werden kann. Eine neue Rezeptur bei der Herstellung der Gewürzmischung unter Verwendung von natürlichem rechtsdrehendem Kampfer wird erwartungsgemäss eine verstärkte Wirkung gegen die Herbst-Melancholie und gegen den Winter-Blues zeigen. Die zusätzliche Verwendung von Zimt gibt der Gewürzmischung eine olfaktorische Note, die für eine weihnächtliche Stimmung sorgt.

Prof. em. Dr. pharm. A. Küpfer
Herzogenbuchsee

Advances in treatment of hyperuricemia and gout

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Friedrich Nietzsche: «Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich selbst hat, ist ein Sklave»

Der deutsche klassische Philologe und Philosoph Friedrich Wilhelm Nietzsche gehört zu den umstrittensten Persönlichkeiten der deutschen Philosophie. Bezeichnet als Genie, hochintelligenter Philosoph, aber auch als Irrer und Vordenker des Rassen- und Züchtungswahns wurde er bewundert und zugleich heftig kritisiert.

Patient: Friedrich Nietzsche
Geboren: 15. Oktober 1844, Röcken, Sachsen D
Gestorben: 25. August 1900, Weimar, Thüringen D

Friedrich Nietzsches Vater war evangelischer Pfarrer, die Mutter Pfarrerstochter. Nietzsche war stets Klassenprimus und mit 24 Jahren bereits Professor an der Universität Basel. Zu seiner Tätigkeit gehörte auch der Unterricht am traditionsreichen Basler Gymnasium am Münsterplatz. 1879, nach Jahren, legte er aus gesundheitlichen Gründen die Professur nieder. Bereits seit seiner Kindheit hatte Nietzsche an gesundheitlichen Problemen gelitten, unter anderem an Migräne, Depressionen, Schlafstörungen und Kurzsichtigkeit. Nietzsches Symptomatik wurde nie komplett aufgeklärt.

Nietzsche konsultierte zahlreiche Ärzte. Sie vermuteten unter anderem Syphilis, Chloralhydrat-Vergiftung, geistige Überarbeitung, Schizophrenie, Epilepsie, präsenile Demenz, Manie, Depression. Am gesichertsten schien lange die Diagnose seiner Ärzte einer «progressiven Paralyse» als Folge einer damals unbehandelbaren Neurosyphilis von 1889. Neuerdings wird dies wieder bezweifelt und eher ein Hirntumor, ein CADASIL-Symptom vermutet (Tenyi, 2012).

Getrieben von seinen Krankheiten, suchte Nietzsche ständig nach für ihn optimalen Klimabedingungen. Im Sommer hielt er sich meist in Sils-Maria GR auf, im Winter vorwiegend in Italien und Südfrankreich. Er lebte von seiner kleinen Pension und Spenden von Gönnern. Es folgten lange produktive Schaffensperioden, in denen seine Hauptwerke entstanden. Sie erschienen meist in Kleinstauflagen von ein paar Dutzend Exemplaren als Privatdrucke.

1888, im Alter von 44 Jahren, schien Nietzsche wahnsinnig zu werden. Er lebte in Turin, wo er in den letzten Dezembertagen ein Droschkenpferd umarmte und bitterlich weinte. Was war passiert? Der Kutscher hatte sein Pferd getreten. Nietzsche hing dem Tier am Hals und schluchzte jämmerlich. Zwei Carabinieri befreiten das Pferd schliesslich aus den Armen des tränenüberströmten Fremden. Signor Davide Fino, der in der Nähe einen Zeitungsstand betrieb, erkannte, dass der zitternde Fremde zwischen den Carabinieri sein Mieter war: der von ihm und seiner Familie hoch geachtete Professor Friedrich Nietzsche. Er übernahm ihn, stützte ihn, führte ihn nach Hause und steckte ihn ins Bett. Er schickte nach einem Arzt und setzte sich zum Kranken, der im Wachschlaf vor sich hindämmerte.

Nietzsche in der psychiatrischen Klinik «Friedmatt»

Zu dieser Zeit begann Nietzsche «Wahnsinnsbriefe» zu versenden. Am Sonntag, 6. Januar 1889 erhielt ein guter Freund von Nietzsche, Franz Overbeck, Professor für Kirchengeschichte in Basel, unverhofften Besuch des bekannten Historikers Jacob Burckhardt. Dieser hielt einen Brief von Nietzsche in der Hand: «Meinem verehrungswürdigen Jacob Burckhardt. Das war der kleine Scherz, dessentwegen ich mir die Langeweile, eine Welt geschaffen zu haben, nachsehe. Nun sind Sie – bist du – unser grosser, grösster Lehrer, den ich, zusammen mit Ariadne, haben nur das goldene Gleichgewicht aller Dinge zu sein, wir haben in jedem Stücke Solche, die über uns sind…» gezeichnet: Dionysos. Ein paar Tage später erhielt auch Overbeck einen Brief von Nietzsche: «Eine letzte Botschaft: Ich lasse alle Antisemiten erschiessen… Dionysos.»

Overbeck war alarmiert. Er besprach sich mit Professor Ludwig Wille, dem Leiter der erst drei Jahre vorher gegründeten psychiatrischen Anstalt «Friedmatt». Wille riet Overbeck dringend, Nietzsche aus Turin in die Basler Klinik zu holen. Gleichentags stieg Overbeck in den Zug nach Turin, wo er nach 18 Stunden Fahrt erschöpft ankam. Mit Mühe fand er die kleine Pension, wo Nietzsche im 4. Stock grau und verfallen in einer Sofaecke kauerte. Als er seinen Freund Overbeck aus Basel erkannte, stürzte er auf ihn zu, umarmte ihn, schluchzte und brach dann stöhnend und wimmernd zusammen. Die Finos, die Vermieter, kannten das, sie pflegten ihn seit Tagen, flössten ihm Bromwasser ein, das Nietzsche beruhigte.

Ein deutscher Dentist war bereit, die Reise von Overbeck und Nietzsche nach Basel mitzumachen. Overbeck ging auf Nietzsches Grössenwahn ein und erklärte ihm, er sei ein Fürst, er werde im Triumphzug in die Schweiz einreisen. Unten am Wagen bat Nietzsche Signor Fino um seine Mütze. Er sagte, er brauche sie für den Triumphzug, als Krone.

Overbeck, der den Freund in die Klinik begleitete, war höchst erstaunt, wie Nietzsche in der verbindlichsten Manier seiner besten Tage und mit würdiger Haltung Wille begrüsste: «Ich glaube, dass ich Sie schon früher gesehen habe… Sie sind Irrenarzt. Ich habe vor einigen Jahren ein Gespräch mit Ihnen über religiösen Wahnsinn gehabt…» Was Overbeck besonders erschütterte, war, dass Nietzsche diese Erinnerungen nicht in die geringste Beziehung zu seiner eigenen augenblicklichen Lage brachte und dass kein Zeichen verriet, dass ihn der Psychiater etwas anging. «Ruhig lässt er sich dem eintretenden Assistenzarzt übergeben und verlässt mit ihm, auf erhaltene Aufforderung, ihm zu folgen ohne weiteres das Zimmer…», notierte Overbeck.

Der Befund des aufnehmenden Arztes in der «Friedmatt»:
«Pupillen different, rechte grösser als die linke, sehr träge reagierend. Strabismus convergens. Starke Myopie. Zunge stark belegt. Keine Deviation, kein Tremor. Facialisinnervation wenig gestört. Fühlt sich ungemein wohl und gehoben. Gibt an, dass er seit acht Tagen krank sei und öfters an heftigen Kopfschmerzen gelitten habe. Er habe auch einige Anfälle gehabt, während derselben habe sich Pat. ungemein wohl und gehoben gefühlt und hätte am liebsten alle Leute auf der Strasse umarmt und geküsst, wäre am liebsten an den Mauern in die Höhe geklettert.» Als Diagnose wurde notiert: progressive Paralyse.

Mutter holt Nietzsche nach Hause

Gegen alle Widerstände setzte die nach Basel angereiste Mutter Nietzsches durch, dass ihr Sohn in die nächstgelegene Klinik seiner Heimatstadt Naumburg nach Jena verlegt wurde. Der damalige Klinikleiter von Jena, Professor Otto Binswanger, hatte sich wissenschaftlich intensiv mit der progressiven Paralyse beschäftigt. Bei der Aufnahme in Jena wurde bei der Erhebung der somatischen Befunde unter anderem eine leicht unregelmässig verzogene Pupille diagnostiziert.

In den nächsten Monaten beherrschen Wahnideen mit starken Erregungszuständen das klinische Bild. Im Oktober 1889 kam es zu einer inneren und äusseren Beruhigung, die als deutliche Remission interpretiert wurde. Wiederum gegen alle Widerstände nahm ihn die Mutter im März 1890 mit nach Hause. Im Herbst 1890 verschlechterte sich sein Geisteszustand rapide. «Es scheint nun, als ob der Wahnsinn zum Blödsinn umzuschlagen Miene macht», schreibt ein Jugendfreund Nietzsches im Februar 1891 an Overbeck.

Ab 1893 entwickelte sich zusätzlich eine Tabes dorsalis, die als eine quartäre Manifestation der Syphilis gesehen wurde: Nietzsche erkannte alte Freunde nicht mehr, ab Herbst nur noch die Mutter, die Schwester und die Hausgehilfin. Nach dem Tod der Mutter 1897, auf den Nietzsche in keiner erkennbaren Weise mehr reagierte, übernahm die Schwester die Pflege. Sie erwarb die Rechte an den bisher wenig beachteten Schriften des Bruders und machte sie bekannt. In der Nacht vom 24. auf den 25. August starb Nietzsche an einem Gehirnschlag. Eine Obduktion fand nicht statt.

Jörg Weber

1. Hemelsoet D, Hemelsoet K, Devreese D. The neurological illness of Friedrich Nietzsche. Acta Neurol Belg. 2008 Mar;108(1):9-16. PMID: 18575181

Weitere Quellen:
– Tényi, T.: The madness of Dionysus – six hypotheses on the illness of Nietzsche, Psychiatria Hungaria 27/2012
– Gschwend, G.: Pathogramm von Nietzsche aus neurologischer Sicht. Schweizerische Ärztezeitung 81/2000
– Volz, P.D.: Nietzsche im Labyrinth seiner Krankheit. Eine medizinisch-biographische Untersuchung. Königshausen + Neumann, Würzburg, 1990

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

SWISSMEDIC INFO

Public Summary SwissPAR vom 12.01.2024

Imjudo® (Wirkstoff: Tremelimumab)

Erstzulassung in der Schweiz: 13.09.2023
Arzneimittel (Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung) in Kombination mit Durvalumab zur Erstlinienbehandlung von Patientinnen und Patienten mit inoperablem hepatozellulärem Karzinom (uHCC)

Über das Arzneimittel

Das Arzneimittel Imjudo mit dem Wirkstoff Tremelimumab wird in Kombination mit dem Wirkstoff Durvalumab1 eingesetzt zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit inoperablem hepatozellulärem Karzinom (uHCC). Die Patientinnen und Patienten haben noch keine systemische Vorbehandlung2 erhalten.
Hepatozelluläre Karzinome sind aggressive Tumore und treten häufig im Zusammenhang mit chronischen Lebererkrankungen und Leberzirrhose auf. Sie werden in der Regel erst spät im Verlauf der Lebererkrankung diagnostiziert.
Da es sich bei uHCC um eine seltene und lebensbedrohende Krankheit handelt, wurde das Arzneimittel als «Orphan Drug» zugelassen. Mit «Orphan Drug» werden wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten bezeichnet.

Wirkung

Der Wirkstoff von Imjudo, Tremelimumab, ist ein monoklonaler Antikörper. Monoklonale Antikörper sind Proteine (Eiweisse), die spezifisch an andere Proteine binden können. Tremelimumab bindet an das sogenannte «CTLA-4-Antigen», ein Protein, welches die Aktivität von T-Zellen steuert. T-Zellen sind ein Teil des Immunsystems (körpereigenes Abwehrsystem). Durch die Bindung von Tremelimumab an CTLA-4 wird CTLA-4 gehemmt. Dies wiederum bewirkt ein Anstieg der Anzahl und der Aktivität der T-Zellen, welche Krebszellen abtöten können.
Durvalumab bewirkt über einen anderen Mechanismus ebenfalls eine erhöhte Aktivi-tät des körpereigenen Abwehrsystems gegen den Tumor, was die antitumorale Immunantwort von Tremelimumab noch verstärkt und die Ausbreitung des Krebses verlangsamt.

Anwendung

Imjudo mit dem Wirkstoff Tremelimumab ist rezeptpflichtig.
Imjudo wird als Infusion in die Venen (intravenös) über einen Zeitraum von einer Stunde verabreicht.
Die empfohlene Dosis Imjudo beträgt für Patientinnen und Patienten mit 30 kg oder mehr Körpergewicht 300 mg, in Kombination mit 1500 mg Durvalumab im Zyklus 1 am 1. Tag, gefolgt von einer Durvalumab (1500 mg) Monotherapie alle 4 Wochen.
Für Patientinnen und Patienten unter 30 kg Körpergewicht beträgt die empfohlene Dosis 4 mg Imjudo/ kg Körpergewicht und 20 mg Durvalumab/ kg Körpergewicht im Zyklus 1 am 1. Tag, gefolgt von einer Monotherapie mit Durvalumab (1500 mg), alle 4 Wochen bis das Körpergewicht 30 kg beträgt.
Die Behandlung sollte solange fortgesetzt werden, bis es zu einem Fortschreiten der Erkrankung kommt (Progression) oder bis die Nebenwirkungen zu gross sind.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Imjudo wurde in einer Studie (HIMALAYA) mit 1324 Patientinnen und Patienten untersucht. Die Patientinnen und Patienten wurden in 4 Gruppen aufgeteilt. Dabei wurden 2 Dosierungen von Imjudo (300 mg oder 75 mg) in Kombination mit Durvalumab gegen die alleinige Behandlung mit Durvalumab oder Sorafenib (zugelassene Behandlungsoption) verglichen.
Der primäre Endpunkt der Studie war das Gesamtüberleben (OS)3 der Patientinnen und Patienten, die mit 300 mg Imjudo in Kombination mit Durvalumab behandelt wurden.
Die Behandlung mit 300 mg Imjudo in Kombination mit Durvalumab zeigte eine statistisch signifikante Verbesserung des OS im Vergleich zur Behandlung mit Sorafenib. Jene Patientinnen und Patienten, die mit Imjudo in Kombination mit Durvalumab behandelt wurden, hatten ein medianes4 Gesamtüberleben von 16,4 Monaten. Im Vergleich dazu lebten jene Patientinnen und Patienten, welche mit Sorafenib behandelt wurden, im Median 13,8 Monate.

Vorsichtsmassnahmen, unerwünschte Wirkungen & Risiken

Imjudo darf bei einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe nicht angewendet werden.
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen (betrifft mehr als 1 von 10 Anwendern) sind Durchfall, Hautausschlag, Juckreiz, Husten, Fieber, Schmerzen in der Bauchregion, Schilddrüsenunterfunktion und erhöhte Aspartataminotransferase und Alaninaminotransferase5. Häufige schwerwiegende Nebenwirkungen (betrifft bis zu 1 von 10 Anwendern) sind Entzündungen des Dickdarms und Lungenentzündungen.
Durch die Hemmung des körpereigenen Abwehrsystems können auch immunvermittelte unerwünschte Wirkungen auftreten.
Alle Vorsichtsmassnahmen, Risiken und weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind in der Patientinnen- und Patienteninformation (Packungsbeilage) sowie in der Fachinformation aufgeführt.

Begründung des Zulassungsentscheids

Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist weltweit die fünfthäufigste Krebsart und die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache bei Männern.
Obwohl es schon Therapien zur Behandlung von HCC gibt, ist die Krankheit unheilbar und es besteht ein grosser medizinischer Bedarf an sicheren und wirksamen Behandlungsmöglichkeiten.
Die durchgeführte Studie HIMALAYA zeigte, dass Imjudo in Kombination mit Durvalumab die Überlebenszeit von Patientinnen und Patienten im Vergleich zur Behandlung mit Sorafenib verlängern kann. Die Nebenwirkungen von Imjudo in Kombination mit Durvalumab können schwerwiegend sein.
Unter Berücksichtigung aller Risiken und Vorsichtsmassnahmen und aufgrund der vorliegenden Daten überwiegen die Vorteile von Imjudo in Kombination mit Durvalumab die Risiken. Swissmedic hat daher das Arzneimittel Imjudo mit dem Wirkstoff Tremelimumab für die beantragte Indikation des inoperablen hepatozellulärem Karzinom (uHCC) für die Schweiz zugelassen.

Weitere Informationen zum Arzneimittel

Information für medizinisches Fachpersonal:
Fachinformation Imjudo® auf www.swissmedicinfo.ch
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.

1. Durvalumab ist ein bereits zugelassener Wirkstoff. Es ist ein monoklonaler Antikörper, aus der Gruppe der Checkpoint-Inhibitoren, der zur Behandlung von bösartigen Tumoren eingesetzt wird.
2. Systemische Therapie: Im Gegensatz zu einer lokalen Therapie (Behandlung am Ort der Erkrankung) wird bei der systemischen Therapie die Behandlung des gesamten Körpers zur Bekämpfung der Erkrankung eingeschlossen.
3. Gesamtüberleben: Das Gesamtüberleben (OS, overall survival) bezeichnet die Zeitspanne zwischen Therapiebeginn und Tod des Patienten bzw. der Patientin.
4. Median: Der Wert, der genau in der Mitte einer Datenverteilung liegt, nennt sich Median oder Zentralwert. Die eine Hälfte aller Daten ist immer kleiner, die andere grösser als der Median.
5. Aspartataminotransferase (AST) und Alaninaminotransferase (ALT): Dies sind beides Enzyme, welche vor allem in den Leberzellen produziert werden. Erhöhte Blutwerte der Aktivität dieser Enzyme können einen Hinweis auf Erkrankungen im Bereich der Leber darstellen.

Der Stand dieser Information entspricht demjenigen des SwissPAR. Neue Erkenntnisse über das zugelassene Arzneimittel fliessen nicht in den Public Summary SwissPAR ein.

In der Schweiz zugelassene Arzneimittel werden von Swissmedic überwacht. Bei neu festgestellten unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder anderen sicherheitsrelevanten Signalen leitet Swissmedic die notwendigen Massnahmen ein. Neue Erkenntnisse, welche die Qualität, die Wirksamkeit oder die Sicherheit dieses Medikaments beeinträchtigen könnten, werden von Swissmedic erfasst und publiziert. Bei Bedarf wird die Arzneimittelinformation angepasst.

SWISSMEDIC INFO

Public Summary SwissPAR vom 20.02.2024

Talvey® (Wirkstoff: Talquetamab)

Befristete Zulassung in der Schweiz: 30.10.2023
Arzneimittel (Injektionslösung) zur Viertlinien-Behandlung des rezividierenden oder refraktären multiplem Myeloms bei Erwachsenen

Befristete Zulassung in der Schweiz: 30.10.2023
Arzneimittel (Injektionslösung) zur Viertlinien-Behandlung des rezividierenden oder refraktären multiplem Myeloms bei Erwachsenen

Über das Arzneimittel

Das Arzneimittel Talvey mit dem Wirkstoff Talquetamab wird zur Behandlung des multiplen Myeloms («Knochenmarkkrebs») bei Erwachsenen eingesetzt, die mindestens drei vorausgegangene Behandlungsphasen durchlaufen haben, einschliesslich der Behandlung mit Medikamenten der drei Standardtherapieklassen, und deren Erkrankung nach der letzten Behandlungsphase ein Fortschreiten gezeigt hat.
Das multiple Myelom (MM) ist eine seltene Krebsart, welche etwa 1-2 Prozent aller Krebserkrankungen ausmacht. Die Häufigkeit der Neuerkrankungen mit MM nimmt mit dem Alter zu. Zwei Drittel der neuerkrankten Personen sind über 65 Jahre alt. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch eine übermässige Vermehrung der Plasmazellen. Plasmazellen sind eine Unterart der weissen Blutkörperchen, welche im körpereigenen Abwehrsystem (Immunsystem) für die Produktion von Antikörpern verantwortlich sind. Im Rahmen des MM vermehren sich Plasmazellen unkontrolliert im Knochenmark und manchmal auch in anderen Organen. Dies verhindert die normale Bildung von Blutzellen und kann Knochen und andere Organe zerstören bzw. in ihrer Funktion beeinträchtigen.
Da es sich beim multiplen Myelom um eine seltene und lebensbedrohende Krankheit handelt, wurde das Arzneimittel als «Orphan Drug» zugelassen. Mit Orphan Drug werden wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten bezeichnet.
Talvey wurde im Rahmen des «Project Orbis» zugelassen. Project Orbis ist ein von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA koordiniertes Programm für vielversprechende Krebsbehandlungen. Es bietet einen Rahmen für die gleichzeitige Einreichung und Prüfung von Krebsmedikamenten durch mehrere internationale Partnerbehörden verschiedener Länder. Damit wird das Ziel verfolgt, Patientinnen und Patienten einen schnelleren Zugang zu innovativen Krebsbehandlungen zu ermöglichen. Zurzeit sind die Zulassungsbehörden von Australien (TGA), Brasilien (ANVISA), Israel (MOH), Kanada (HC), Singapur (HSA), Schweiz (Swissmedic) und dem Vereinigten Königreich (MHRA) im Project Orbis vertreten.

Wirkung

Der Wirkstoff in Talvey, Talquetamab, ist ein Antikörper (ein immunologisch wirksames Protein), der sowohl an die Tumorzelle über das sogenannte GPRC5D-Antigen als auch an den CD3-Rezeptor (Bindungsstelle) auf den T-Zellen (Zellen des Immunsystems) bindet. Dadurch bringt Talquetamab die Tumorzellen mit den T-Zellen zusammen. Dies wiederum aktiviert die T-Zellen, die dann die multiplen Myelom-Zellen abtöten können.
Anwendung
Talvey mit dem Wirkstoff Talquetamab ist rezeptpflichtig. Talvey ist als Injektionslösung in den Dosen 3 mg gelöst in 1.5 ml und 40 mg gelöst in 1 ml in jeweils einer Durchstechflasche erhältlich. Talvey wird unter die Haut gespritzt. Die Dosierung wird schrittweise auf die Behandlungsdosis erhöht.
Die Anwendung von Talvey soll nur unter der Anleitung von ärztlichem Personal mit Erfahrung in der intensivmedizinischen Behandlung der möglicherweise auftretenden unerwünschten Wirkungen erfolgen. Zu Beginn der Therapie mit Talvey, und bei Bedarf auch im späteren Verlauf der Behandlung, ist eine stationäre Überwachung während mindestens 48 h nach der Verabreichung notwendig.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Talvey wurde in einer offenen Studie1 (MonumentTAL-1) ohne einen Kontrollarm mit 265 MM-Patientinnen und -Patienten untersucht. Die erwachsenen Patientinnen und Patienten hatten schon mindestens 3 vorangehende Behandlungsphasen, einschliesslich der Behandlung mit Medikamenten der drei Standardtherapieklassen erhalten.
Historisch betrachtet haben Patientinnen und Patienten mit wiederkehrendem oder behandlungsresistentem MM, die bereits mit den drei Standardtherapieklassen vorbehandelt wurden, einen ungünstigen Krankheitsverlauf (schlechte Prognose). Nach historischen Daten lag die Gesamtansprechrate (ORR)2 bei ca. 30 %. Das mediane3 progressionsfreie Überleben (PFS)4 lag bei ca. 3 bis 6 Monaten und das gesamte Überleben (OS) bei ca. 6 bis 12 Monaten.
Von den 122 Patientinnen und Patienten, der Patientengruppe, welche in der Studie mit 0,4 mg/kg Talvey wöchentlich behandelt wurden, wurde bei 89 Studienteilnehmenden ein Ansprechen und somit eine ORR von 73% erreicht. Das mediane PFS betrug 7,0 Monate. Aufgrund der zum Zeitpunkt der befristeten Zulassung noch nicht vollständig vorliegenden Daten, kann das Gesamtüberleben zurzeit noch nicht geschätzt werden. Daten von weiteren Patientengruppen der Studie unterstützten diese Ergebnisse.

Vorsichtsmassnahmen, unerwünschte Wirkungen & Risiken

Talvey darf bei einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe nicht angewendet werden.
Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen (betrifft mehr als 1 von 10 Anwendern) gehören das Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS)5, Geschmacksstörungen, Hypogammaglobulinämie6, Erkrankungen der Nägel, Muskelschmerzen, Neutropenie und Lymphopenie (niedrige Anzahl einer jeweils bestimmten Gruppe von weissen Blutkörperchen), Erkrankungen oder Ausschläge der Haut, Müdigkeit, Gewichtsabnahme, Blutarmut, trockener Mund, Fieber, trockene Haut, Thrombozytopenie (geringe Anzahl an Blutplättchen), Schluckstörungen, Durchfall, Infektionen der oberen Atemwege, Juckreiz, Husten, Schmerzen, verminderter Appetit und Kopfschmerzen.
Alle Vorsichtsmassnahmen, Risiken und weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind in der Fachinformation aufgeführt.

Begründung des Zulassungsentscheids

Patienten und Patientinnen mit einem wiederkehrendem oder behandlungsresistentem stark vorbehandelten MM haben eine schlechte Prognose. Daher besteht ein grosser Bedarf an neuen Therapiemöglichkeiten.
Die Daten der vorgelegten Studie zeigten eine hohe Ansprechrate unter Talvey verglichen zu den historischen Daten. Die Aussagekraft der Ergebnisse zum Überleben ist begrenzt, da die Studiendauer zum Zeitpunkt der Datenbetrachtung noch nicht ausreichend lang war.
Das Arzneimittel Talvey wurde deshalb in der Schweiz befristet zugelassen (Art. 9a HMG), da zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht alle klinischen Studien vorliegen oder abgeschlossen waren. Die befristete Zulassung ist zwingend an die zeitgerechte Einreichung der von Swissmedic verlangten ergänzenden Daten gebunden. Nach Erfüllung dieser Zulassungsauflagen kann die befristete Zulassung bei positiver Nutzen-Risiko-Beurteilung der Resultate in eine Zulassung überführt werden.

Weitere Informationen zum Arzneimittel

Information für medizinisches Fachpersonal: Fachinformation Talvey® auf www.swissmedicinfo.ch
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.

1. Offene Studie: Bei einer offenen (unverblindeten) Studie, wissen die Gesundheitsfachpersonen, sowie auch die Patientinnen und Patienten, welche Therapie die Studienteilnehmenden erhalten.
2. ORR (objective response rate) ist definiert als prozentualer Anteil von Patientinnen und Patienten mit Ansprechen auf die Therapie.
3. Median: Der Wert, der genau in der Mitte einer Datenverteilung liegt, nennt sich Median oder Zentralwert. Die eine Hälfte aller Daten ist immer kleiner, die andere grösser als der Median.
4. PFS: Progressionsfreies Überleben (PFS, progression-free survival): Zeitspanne zwischen dem Start einer Behandlung oder einer klinischen Studie und dem Beginn des Fortschreitens der Krankheit oder dem Tod der Patientin oder des Patienten.
5. Zytokin-Freisetzungssyndrom ist eine systemischen Entzündungsreaktion aufgrund massiver Ausschüttung von Zytokinen (Eiweisse), die die weissen Blutkörperchen aktivieren.
6. Hypogammaglobulinämie: Erkrankung des Immunsystems (körpereigenes Abwehrsystem), bei der zu wenig oder keine Immunoglobluline im Blut vorhanden sind. Immunoglobuline sind Proteine (Eiweisse), welche das Immunsystem unterstützen.

Der Stand dieser Information entspricht demjenigen des SwissPAR. Neue Erkenntnisse über das zugelassene Arzneimittel fliessen nicht in den Public Summary SwissPAR ein.
In der Schweiz zugelassene Arzneimittel werden von Swissmedic überwacht. Bei neu festgestellten unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder anderen sicherheitsrelevanten Signalen leitet Swissmedic die notwendigen Massnahmen ein. Neue Erkenntnisse, welche die Qualität, die Wirkung oder die Sicherheit dieses Medikaments beeinträchtigen könnten, werden von Swissmedic erfasst und publiziert. Bei Bedarf wird die Arzneimittelinformation angepasst.