Überregulierung im Gesundheitswesen der Schweiz: Eine Herausforderung für die Effizienz und Innovation

Das Gesundheitswesen in der Schweiz gilt als eines der besten, wenn auch nicht effizientesten der Welt, doch es steht auch vor der Herausforderung der Überregulierung. Diese wirkt sich negativ auf die Effizienz, die Innovationskraft und letztlich auch auf die Qualität der Patientenversorgung aus.

Ein zentrales Problem ist die Vielzahl an Vorschriften und Gesetzen, die sowohl für Leistungserbringer als auch für Patienten oft schwer verständlich sind. Die daraus entstehende Komplexität führt zu einem hohen administrativen Aufwand und kann Entscheidungen verzögern. Ärzte und Pflegekräfte verbringen einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit Bürokratie, statt sich um die direkte Patientenversorgung zu kümmern. Viele Ärztinnen und Ärzte beginnen ihre Laufbahn gar nicht erst in der Patientenarbeit – schätzungsweise rund 25 % – oder steigen rasch wieder aus. Unattraktive Anstellungsbedingungen und überbordende Administration werden als Hauptgründe genannt. Auch im Pflegebereich zeigt sich ein ähnliches Bild.

Ein weiterer Aspekt ist die Innovationsbremse, die durch übermässige Regulierungen entstehen kann. In einem sich schnell entwickelnden Bereich wie der Medizintechnik und der digitalen Gesundheit ist es entscheidend, dass neue Technologien und Behandlungsmethoden schnell und effizient in die Praxis umgesetzt werden können. Überregulierung kann jedoch dazu führen, dass vielversprechende Innovationen unnötig lange auf Genehmigungen warten müssen, was letztlich die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Gesundheitswirtschaft gefährdet.

Besonders problematisch ist auch, dass Überregulierung Innovationen ausbremst. Doch langwierige Genehmigungsverfahren gefährden die Wettbewerbsfähigkeit des Gesundheitsstandorts Schweiz. Kleine Praxen und Start-ups, denen Ressourcen fehlen, haben Mühe, die komplexen Anforderungen zu erfüllen, und geraten gegenüber grösseren Institutionen ins Hintertreffen. Die Schweiz rühmt sich ihrer Innovationskraft, verliert aber an Attraktivität für klinische Forschung und industrielle Umsetzung. Viele Start-ups weichen in Länder wie die USA aus, wo bessere Bedingungen und mehr Risikokapital locken.

Neben der Flut an Vorschriften erschwert auch Mikromanagement den Alltag im Gesundheitswesen. So sollte etwa das Herausschneiden einzelner Tabletten aus einer Folie als Medikamentenzubereitung gelten – mitsamt Bewilligung, Schulungspflicht und Zertifikat. Nach Kritik wurde die Teilabgabe zwar geregelt, doch die Vielzahl an beteiligten Behörden – Swissmedic, BAG, BWL (nein, nicht die Betriebswirtschaftslehre, sondern das Bundesamt für Wirtschaftliche Landesversorgung), Kantone – führte zu uneinheitlichen Lösungen. In manchen Kantonen war es teilweise erlaubt, in anderen nur für Apotheken, nicht aber für Ärzte. Dass Letztere operieren dürfen, aber keine Tablette aus der Blisterfolie schneiden, ist ein weiteres Beispiel für die Abwesenheit gesunden Menschenverstands – man denkt unweigerlich an den Vorschlag einer ehemaligen Bundesrätin, eine Bewilligung fürs Grosi einzuführen, wenn es am Mittwochnachmittag die Enkel betreuen will.

Um die Herausforderungen der Überregulierung zu bewältigen, braucht es einen konstruktiven Dialog im Gesundheitswesen. Eine gezielte Vereinfachung der Vorschriften könnte helfen, Effizienz und Qualität der Versorgung besser in Einklang zu bringen. Es braucht ein neues Gleichgewicht zwischen notwendiger Kontrolle und Raum für Innovation.

Insgesamt ist die Überregulierung im Gesundheitswesen der Schweiz ein Thema, das dringend angegangen werden muss, um die Stärken des Systems zu bewahren und gleichzeitig Raum für Fortschritt und Verbesserung zu schaffen. Wer in der Politik hat den Mut das anzupacken?

Prof. Dr. med. Beat Thürlimann

Brustzentrum, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

Die Zukunft mitgestalten: Ein Rückblick zur Arbeit von SHOOT

Seit seiner Gründung im Jahr 2021 hat SHOOT beeindruckende Meilensteine erreicht, welche nicht nur die Mitglieder direkt betreffen, sondern auch weitreichende Auswirkungen auf die beiden Fachrichtungen Hämatologie und Onkologie in der Schweiz haben. Mit rund 100 Mitgliedern aus der ganzen Schweiz hat SHOOT eine starke Basis geschaffen, die jungen Hämatologinnen und Hämatologen und Onkologinnen und Onkologen eine Plattform für Austausch, Vernetzung und professionelle Weiterentwicklung bietet.

Weiterbildung

Ein Kernstück der Aufgabe bilden die innovativen SHOOT Kurse in Onkologie und Hämatologie, die seit 2023 angeboten werden und wesentlich zur Facharztausbildung beitragen. Besonders hervorzuheben sind dabei die Workshops «SHOOT – Challenge the Experts», die in einer Reihe von spezialisierten Veranstaltungen stattfinden. Die nächste Fortbildung am 8. Mai 2025 findet zum Thema «seltene Tumore» statt. Hier werden Diagnostik und Therapieansätze für seltenere Tumorentitäten mit namhaften Expertinnen und Experten diskutiert. Alle diese Veranstaltungen bieten eine einzigartige Plattform, auf der junge Ärztinnen und Ärzte direkt von führenden Experten lernen und komplexe Fälle kennenlernen und diskutieren können.

Darüber hinaus findet am 16. September 2025 in Zürich der von der SGMO anerkannte Ethikkurs statt, der seit 2024 ein fester Bestandteil des Bildungsangebots von SHOOT ist und direkt bei der Facharztausbildung angerechnet werden kann. Dieser Kurs bietet essenzielles Wissen und Orientierungshilfen zu ethischen Fragen, welche im medizinischen Alltag regelmässig auftreten.

Aufgrund der grossen Nachfrage wird zudem während des Schweizer Onkologie- und Hämatologie-Kongresses (SOHC) ein Kurs in molekularer Onkologie organisiert. Dieser Kurs zielt darauf ab, das Verständnis für molekulare Mechanismen in der Krebsentstehung und -behandlung zu vertiefen und die Teilnehmer mit den neuesten Technologien und Therapieansätzen vertraut zu machen.

Alle diese von SHOOT organisierten und praxisorientierten Kurse sind entscheidend, um die fachliche Kompetenz und das praktische Verständnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu erweitern und sie optimal auf die grossen Herausforderungen in ihrer täglichen klinischen Praxis vorzubereiten.

Gestaltung Facharztausbildung

Darüber hinaus hat sich SHOOT zum weiteren Ziel gesetzt, wichtige Anliegen in den Vorständen der Schweizerischen Gesellschaft für Hämatologie (SGH) und der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO) einzubringen und zu vertreten. Diese Aufgabe ist von grossem Wert, da sie es ermöglicht, die Interessen und Bedürfnisse junger Onkologen und Hämatologen rechtzeitig und zielorientiert direkt in die Weiterentwicklung der beiden Fachbereiche einzubringen und hier auch Änderungen anzustossen. So wurde z. B. in enger Zusammenarbeit mit der SGH ein Antrag an das SIWF zur Revision/Anpassung des Weiterbildungsprogramms Hämatologie mit dem Ziel, die Weiterbildung besser auf die Bedürfnisse der Weiterzubildenden abzustimmen, gutgeheissen.

Die laufenden Projekte zur Weiterentwicklung des Weiterbildungsprogramms Hämatologie und zur Reakkreditierung des Weiterbildungsprogramms Medizinische Onkologie zeigen das grosse Engagement von SHOOT, die Ausbildungsstandards konsequent zu verbessern und zu aktualisieren. Diese Bemühungen stellen sicher, dass die Ausbildung junger Hämatologinnen und Hämatologen und Onkologinnen und Onkologen auf dem neuesten Stand der medizinischen Forschung und Praxis bleibt.

Vertretung an Kongressen

Weiter ist SHOOT auf nationalen und internationalen Kongressen wie dem Schweizer Onkologie- und Hämatologie-Kongress (SOHC), dem Deutschen Kongress für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) und «medifuture» vertreten. Diese Präsenz auf wichtigen Fachtagungen ermöglicht es SHOOT, sich in die Diskussionen auf höchstem wissenschaftlichem Niveau einzubringen und die Interessen ihrer Mitglieder national und international zu vertreten. Auch wurde jeweils an den Tagungen auch ein «SHOOT-Apéro» organisiert, um den Austausch und die Vernetzung unter jungen Fachärztinnen und Fachärzten zu fördern.

Die Errungenschaften von SHOOT sind ein gutes Beispiel dafür, wie junge Fachärztinnen und Fachärzte auch in medizinischen Spezialgebieten durch gezielte Förderung und Vernetzung entscheidend zur Weiterentwicklung ihres Faches beitragen können. Diese Erfolge von SHOOT sind nicht nur für junge Hämatologinnen und Hämatologen und Onkologinnen und Onkologen von Bedeutung, sondern sie stärken auch die gesamte hämatologisch-onkologische Gemeinschaft in der Schweiz. Indem SHOOT rechtzeitig auch die Weichen für die Zukunft stellt, sichert es die hohe Qualität der Patientenversorgung und die Innovationskraft in der Schweizer Onkologie und Hämatologie.

Weitere Informationen
https://www.ssh-ssmo-shoot.ch

Dr. med. Tämer El Saadany

Kantonsspital Graubünden
Onkologie / Hämatologie
Loestrasse 170
7000 Chur

Dr. med. Eveline Daetwyler

HOCH Health Ostschweiz
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

Journal Watch von unseren Experten

Semaglutid bei T2DM und CKD: FLOW-Studie und zwei Subanalysen

Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) und die chronische Nierenerkrankung (CKD) nehmen weltweit stark zu. Diabetes und Hypertonie sind die Hauptursachen einer CKD. Das Mortalitätsrisiko ist bei Patienten mit einem T2DM und CKD über 10 Jahre 4 × höher als ohne diese beiden Erkrankungen; Die Lebenserwartung ist vor allem wegen den kardiovaskulären (cv) Folgeerkrankungen deutlich vermindert. Das Risiko für eine rasche Progression der CKD ist erhöht. Durch eine Adipositas können diese und die cv Folgeerkrankungen (Hypertonie, HI, KHK, VHFli) deutlich verschlimmert werden. Diese Krankheiten beeinflussen sich gegenseitig. Ab einer Urin-Albumin-Kreatinin Ratio (UACR) von 5 mg/g steigt das Risiko bez. cv Mortalität kontinuierlich an und je schlechter die eGFR, desto höher sind die cv Komplikationen.

GLP-1 Rezeptor-Agonisten (GLP-1 RA) reduzieren das Gewicht, verbessern den Blutzucker, verringern cv Ereignisse bei T2DM und haben wie die SGLT2-H. kardio- und nephroprotektive Wirkungen. An der Niere wirken sie antientzündlich und antioxidativ, verstärken die Natriurese und hemmen die Fibrose. Auch haben sie eine pluripotente Wirkung auf verschiedene Organe.

In der 2024 publizierten RCT-Studie FLOW (1) reduzierte Semaglutid das Risiko für klinisch bedeutsame renale Endpunkte sowie den kardiovaskulären Tod und die Gesamtmortalität in der Hochrisikopopulation von 3533 Patientinnen und Patienten mit T2DM und CKD mit einer eGFR von ≥ 50 – ≤ 75 ml/min/1.73m2 und einer UACR > 300 – < 5000 mg/g oder einer eGFR von ≥ 25 – < 50 ml und einer UACR > 100 – < 5000 mg/g; HbA1c ≤ 10 %., in der Vorgeschichte 22.9 % MI oder Apoplexie, 19.2 % HI.

Diese Studie ist insofern relevant, da 79.6 % eine eGFR von weniger als 60 ml/min/1.73 m² und 11.3 % eine eGFR von weniger als 30 ml/min/1.73 m² aufwiesen (96.9 % Stadium A2 oder höher, davon 68.5 % Stadium A3). Im Durchschnitt (D) waren die Patienten 66.6 Jahre, die D-eGFR betrug 47, die D-UACR 567.6 mg/g Kreatinin, 15.6 % hatten einen SGLT2-H. Die Studie wurde infolge positiver Resultate vorzeitig abgebrochen.

Mit einer s. c. Semaglutid-Dosis von 1 mg/Woche (Diabetes-Dosis) über durchschnittlich 3.4 Jahre vs. Placebo u. einer Standardtherapie (RAS-H., potentes Statin, Diuretika, Insulin) im Verh. 1 : 1 konnte der primär kombinierte Endpunkt: Nieren-Outcome, bestehend aus ≥ 50 % Abfall der geschätzten eGFR, eGFR < 15 ml/min/1.73 m², Beginn einer Nierenersatztherapie, renaler und kardiovaskulärer Tod, um 24 % (HR 0.76; p = 0.0003) gesenkt werden. Dies entspricht in 3 Jahren einer sehr guten NNT von 20, zur Verhinderung von einem primären Ereignis. Die sekundären Endpunkte cv-Tod, MACE (cv-Tod, MI, Apo) und Gesamtmortalität wurden auch reduziert, die jährliche eGFR-Abnahme (Slope) war unter Semaglutid weniger stark als unter Placebo. Vorteile gab es auch in Bezug auf Albuminurie, Gewichtsreduktion (–4 kg), verbesserten Stoffwechsel und die BD-Kontrolle.

In einer vordefinierten Analyse der Flow-Studie konnte gezeigt werden, dass das Risiko eines kombinierten Ergebnisses von HI-Ereignissen oder kardiovaskulärem Tod und HI-Ereignissen allein signifikant um 27 % reduziert wurde. Das Risiko, allein am Herz-Kreislauf-Tod zu versterben, wurde um 29 % gesenkt. Die positiven Wirkungen von Semaglutid waren bei Teilnehmern mit und ohne HI zu Studienbeginn und in einer Reihe ­klinisch relevanter Untergruppen ähnlich (2).

In einer weiteren vorab spezifizierten Analyse der FLOW-Studie wurden die Auswirkungen dieses GLP-1 RA auf die cv Ereignisse und die Sterblichkeit durch den Schweregrad der CKD untersucht (3). Die Ergebnisse zeigen, dass Semaglutid das Risiko für den cv-Tod, nicht-tödlichen Herzinfarkt und nicht-tödlichen Schlaganfall um 18 % sowie die Sterblichkeit jeglicher Ursache um 20 % reduziert. Diese positiven Effekte waren unabhängig von der Schwere der CKD, gemessen durch die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR: < 60 oder ≥ 60 ml/min/1.73 m²), das Albumin-Kreatinin-Verhältnis im Urin (UACR-Werten von < 300 oder ≥ 300 mg/g) und die KDIGO-Risikoklassifikation «heat map»: Albuminurie und eGFR, die in niedriges/moderates bei 6.8 % der Patienten (HR: 0.67), hohes bei 24.9 % (HR: 0.75) und sehr hohes Risiko bei 68.3 % der Patienten (HR: 0.84) eingeteilt wurde. Dieses Risiko bezieht sich auf den cv-Tod, den nicht fatalen MI und den nicht fatalen Stroke.

Fazit
Semaglutid reduziert deutlich das Risiko klinisch wichtiger Nierenergebnisse und des Todes durch kardiovaskuläre Ursachen bei Hochrisiko-Patienten mit Typ-2-Diabetes und chronischer Nierenerkrankung.

• Das Risiko eines kombinierten Ergebnisses von HI-Ereignissen oder kardiovaskulärem Tod und HI-Ereignissen allein wurde signifikant reduziert.
• Auch reduziert dieser GLP-1 RA das Risiko für kardiovaskulären Tod/MI/Schlaganfall unabhängig vom Schweregrad der CKD zu Studienbeginn.

Semaglutid sollte als Teil der therapeutischen Strategie zur Verringerung des kardiovaskulären Risikos bei Menschen mit T2DM und CKD in Betracht gezogen werden. Grössere absolute Risikoreduktion mit zunehmender Schwere der CKD. Dies zusätzlich zur modernen «Hintergrundtherapie» mit RAS-H. und Statinen.

Dr. med. Urs Dürst

Literatur
1. Perkovic V et al., Effects of Semaglutide on Chronic Kidney Disease in Patients with Type 2 Diabetes. Published May 24, 2024. In: NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa240334

Vergleichende Analyse des grossen Blutbilds bei Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus und normalen Kontrollen: Assoziation und klinische Implikationen.

Hintergrund und Ziele
Der Zusammenhang zwischen dem grossen Blutbild undi Patienten mit Diabetes mellitus wurde in meherern Studien untersucht. Ziel einer im Jahre 2023 durchgeführten Studie (1) war es, eine umfassende Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Parametern des grossen Blutbilds und Diabetes mellitus zu liefern, wobei der Schwerpunkt auf Markern wie MPV, RDW und NLR lag. Durch die Synthese der verfügbaren Literatur wollen wir das Potenzial dieser Biomarker für das Verständnis der pathophysiologischen Mechanismen, die Diabetes und seinen Komplikationen zugrunde liegen, sowie ihre Rolle bei der Überwachung des Krankheitsverlaufs und der Prognose hervorheben. Letztendlich hoffen wir, Beweise zu liefern, die die Integration dieser Marker in die routinemäßige klinische Praxis als Instrumente zur Verbesserung des Managements und der Ergebnisse von Diabetikern unterstützen.

Methodik
Literatur in englischer Sprache wurde über die Suchmaschine Google Scholar und die PubMed-Datenbank (1980–2024) recherchiert und abgerufen. Als Schlüsselwörter wurden “Diabetes mellitus”, “Anzahl der Blutzellen”, “Mittleres Blutplättchenvolumen”, “Leukozyten” und “Entzündung” verwendet.

Ergebnisse
DM erhöht die vaskuläre Entzündung und den oxidativen Stress, während die vaskuläre Entzündung die Erythropoese und die Verformung der roten Blutkörperchen beeinflusst und so die Verteilungsbreite der roten Blutkörperchen (RDW) erhöht. Das mittlere Thrombozytenvolumen (MPV) ist ein weiterer nützlicher prognostischer Biomarker für DM-Patienten. Darüber hinaus sind erhöhte Spiegel des neutrophilen Lymphozytenverhältnisses (NLR) mit einer schlechten glykämischen Kontrolle bei T2DM-Patienten verbunden, so dass es als Screening-Instrument bei der Nachsorge von Diabetikern eingesetzt werden kann.

Schlussfolgerung
RDW kann als wertvoller unabhängiger Biomarker zur Beurteilung der Prognose von Patienten mit DM verwendet werden. MPV kann auch als nichtinvasiver, weit verbreiteter und kostengünstiger Marker als Schlüsselfaktor sowie als prognostischer/diagnostischer Biomarker verwendet werden, der für DM-Patienten verwendet werden könnte. Die Gesamtzahl der weißen Blutkörperchen, NLR, das mittlere Thrombozytenvolumen-Lymphozytenverhältnis (MPVLR) und das Verhältnis von Monozyten zu High-Density-Lipoproteinen (MHR) sind wertvolle Biomarker bei der Vorhersage von DM.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

Quelle
Essawi K et al.: Comparative Analysis of Red Blood Cells, White Blood Cells, Platelet Count, and Indices in Type 2 Diabetes Mellitus Patients and Normal Controls: Association and Clinical Implications. Diabetes Metab Syndr Obes 2023;16:3123-3132.

Wer sich bewegt lebt besser – und länger

Dass wir uns heute dank moderner Technik zu wenig bewegen, ist eine Binsenwahrheit – eine, die wir zwar kennen, aber allzu oft ignorieren. Dabei belegten neulich wieder zwei Studien, dass mehr Bewegung nicht nur die Lebensqualität verbessert, sondern auch die Lebensdauer deutlich verlängert (1, 2).

Die Unsterblichkeit ist ein Menschheitstraum. Die Sehnsucht, dem Altern zu entkommen, hat inzwischen einen eigenen Wirtschaftszweig hervorgebracht: Mit longevity (Langlebigkeit) lässt sich viel Geld verdienen. Zum Beispiel ist der US-amerikanische Unternehmer Bryan Johnson in den Medien präsent, weil er im Rahmen seines «Project Blueprint» mit 100 Pillen am Tag, speziellen Fitnessübungen, Vorsorgeuntersuchungen und sogar Blutplasma seines Sohnes den Leuten schmackhaft macht, dass sie mit derartigen Massnahmen länger leben werden.

In diesem Zusammenhang stellt sich die seit langem umstrittene Frage, wie hoch der Anteil der Genetik an der individuellen Lebenserwartung ist. Die aktuelle Antwort lautet: 10–30 % (3, 4). Eine neue Studie basierend auf der UK Biobank (n = 492 567) fand 17 % des Sterberisikos mit äusseren Faktoren in Verbindung, während weniger als 2 % auf Gene zurückzuführen waren (5). Das ist eine gute Nachricht, weil wir damit die Möglichkeit haben, unsere Lebensqualität und Lebenserwartung selber zu beeinflussen.

2019 wurde gezeigt, dass leichte körperliche Aktivität wie Spazieren eine lineare Korrelation mit der Lebenserwartung hat. Bei 325 Minuten täglich ergibt sich eine ca. 50 % geringere frühzeitige Sterblichkeit (6). Wer sich noch länger bewegt, hat keinen zusätzlichen Vorteil mehr. Sowohl akute als auch chronische körperliche Aktivität vermindern die epigenetische Altersbeschleunigung (7).

Die Kombination von Vitamin D (2000 IU/d), Omega-3-Fettsäuren (1 g/d) und SEHP (simple home exercise program) für 3 Jahre ergab eine 39 %-ige Verminderung der frühzeitigen Gebrechlichkeit (und eine 61 %-ige Verminderung der Krebserkrankungen). Mit den modernen Biomarkern für den Alterungsprozess (PhenoAge, GrimAge, GrimAge2, DunedinPACE) konnte mit dieser Dreierkombination eine Verminderung des Alterns um 3–4 Monate in 3 Jahren berechnet werden (8).

Epigenetische Faktoren haben ein enormes Potential. Bekannt sind die von der Harvard University bezeichneten fünf Lebensstilfaktoren: nicht rauchen, ein normaler BMI (18.5–24.9 kg/m²), mindestens 30 Minuten tägliche Bewegung, moderater Alkoholkonsum und eine gesunde Ernährung mit einem ­Qualitätsscore über 40 %. Jeder einzelne dieser Faktoren verlängert das Leben, mit additivem Effekt der Kombination aller fünf.

Weniger bedeutend dürften einzelne Substanzen sein, obwohl auf dem Markt viele angeboten werden. Aus wissenschaftlicher Sicht ist Taurin in Tierstudien und beim Menschen zwar vielversprechend, aber eine doppelblinde Vergleichsstudie fehlt (9). Weitere diskutierte Substanzen sind Metformin, Rapamycin, Senolytika und GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA).

Doch zurück zur Bewegung als modifizierender Faktor für 30 chronische Erkrankungen, kognitive Fähigkeiten, mentale Gesundheit und Lebensqualität im Alter und möglicherweise wichtigster Faktor für Langlebigkeit. Eine kanadische Sportmedizinerin, die beim Internationalen Olympischen Komitee die Abteilung Gesundheit, Medizin und Wissenschaft leitet, hat sich unlängst für mehr Bewegung ausgesprochen (10). Auch die WHO fordert, dass ältere Menschen pro Woche 150 bis 300 Minuten in mässiger bis starker körperlicher Aktivität verbringen; ausserdem sollten sie nach Möglichkeit 2-mal wöchentlich eine Einheit Krafttraining und 3-mal wöchentlich Mehrkomponentenübungen mit Schwerpunkt Gleichgewicht absolvieren.

Die Schlussfolgerung für uns Ärztinnen und Ärzte ist klar: Wir sollten unseren Patienten Bewegung verordnen, und wir sollten sie auch selbst praktizieren. Denn wer sich bewegt, lebt besser – und länger.

KD Dr. med. et lic. phil. Marcel Weber

Chefarzt emeritus Rheumaklinik Triemli
8800 Thalwil

marwebdr@gmail.com

1. Veerman L. et al. Physical activity and life expectancy: a life-table analysis. Br J Sports Med 2024:bjsports-2024-108125.
2. Cacciatore S. et al. Physical performance is associated with long-term survival in adults 80 years and older: Results from the ilSIRENTE study. J Am Geriatr Soc 2024;72:2585-2589.
3. López-Otín C. et al. The hallmarks of aging. Cell 2013;153(6):1194-1217.
4. Passarino G. et al. Human longevity: Genetics or Lifestyle? It takes two to tango. Immun Ageing 2016;13:12.
5. Austin Argentieri M. et al. Integrating the environmental and genetic architectures of aging and mortality. Nat Med 2025. doi: 10.1038/s41591-024-03483-9.
6. Ekelund U. et al. Dose-response associations between accelerometry measured physical activity and sedentary time and all cause mortality: systematic review and harmonised meta-analysis. BMJ 2019;366:l4570
7. Voisin S. et al. Exercise training and DNA methylation in humans. Acta Physiol (Oxf) 2015;213(1):39-59.
8. Bischoff-Ferrari H.A. et al. Individual and additive effects of vitamin D, omega-3 and exercise on DNA methylation clocks of biological aging in older adults from the DO-HEALTH trial. Nat Aging 2025;5(3):376-385.
9. Singh P. et al. Taurine deficiency as a driver of aging. Science 2023 Jun 9;380(6649):eabn9257.
10. Thornton J.S. et al. Move more, age well: prescribing physical activity for older adults. CMAJ 2025;197(3):E59-E67.

Vigilance sur la polymédication et ses enjeux

Polymédication en gériatrie: au-delà du nombre, une question de qualité des prescriptions

Nous connaissons tous les enjeux de la polymédi-cation chez nos aînés, en lien avec la prévalence accrue des comorbidités avec l’ âge. La polymédi-cation est classiquement définie par la prise de cinq médicaments ou plus. Toutefois, cette défini-tion purement numérique ne suffit pas à appréhen-der pleinement la complexité du problème. La dimension qualitative, fondée sur l’ adéquation des prescriptions aux conditions du patient, implique de repérer les pres-criptions inappropriées. Celles-ci, encore trop fréquentes chez les personnes âgées, peuvent entraîner une iatrogénie significative, alté-rant la qualité de vie et augmentant le risque d’ hospitalisation et de perte d’ autonomie. Il n’ est pas rare par exemple de constater à l’ ad-mission d’ un patient pour chute, la présence de deux antidépresseurs associés à d’ autres psychotropes dont l’ indication n’ est plus établie; ou des hémorragies sous anticoagulants oraux associés à une polymédication à risque; ou encore des admissions pour état confusionnel aigu à la suite de la prise de plusieurs médicaments à effet anticholinergique «caché». Ces exemples soulignent l’ importance de vérifier l’ adéquation des traitements dans cette population fragile, polymédiquée et plus sensible à l’ iatrogénie médicamenteuse.

Vigilance accrue et bons réflexes pour la prévention de ­l’  iatrogénie médicamenteuse chez la personne âgée
Les effets indésirables médicamenteux sont étroitement liés à la poly-médication et surviennent deux fois plus souvent après 65 ans. Ils conduisent chez un à trois patients sur dix à une hospitalisation, un chiffre alarmant d’ autant qu’ au moins la moitié pourraient être évités. Le plus souvent, ces effets indésirables résultent d’ une prescription ou d’ une utilisation de médicaments non justifiés cliniquement, de poso-logies, fréquences ou durées inadéquates, d’ un rapport risque/bénéfice défavorable, ou d’ une inadéquation avec l’ espérance de vie et l’ auto-nomie du patient. Par ailleurs, la non-prescription d’ un médicament indiqué constitue également une forme de prescription inappropriée. De façon générale, corriger l’ iatrogénie médicamenteuse suppose de suspecter systématiquement comme diagnostic différentiel une cause médicamenteuse devant tout nouveau problème clinique sans étiologie évidente, afin d’ éviter l’ escalade thérapeutique. Les cascades médicamenteuses, phénomène par lequel un effet indésirable d’ un médicament est interprété à tort comme un nouveau symptôme et traité par un autre médicament, sont souvent sous-estimées, alors qu’ elles contribuent à la prescription inappropriée et aggravent la polymédication. Parmi les exemples typiques, on peut citer les inhibiteurs calciques provoquant des œdèmes périphériques, traités à tort par des diurétiques; les ISRS induisant des insomnies, menant à la prescription de benzodiazépines; les anticholinergiques urinaires causant des troubles cognitifs, traités par des procognitifs. Récemment élaboré par Lisa M. McCarthy et al, ThinkCascades (Drugs & Aging 2022) facilite l’ identification et la pré-vention de neuf cascades jugées cliniquement significatives, touchant les systèmes cardiovasculaire, nerveux central, musculosquelettique et urogénital. La Société Européenne de Gériatrie va d’ ailleurs étendre ce travail pour des dizaines de cascades médicamenteuses jugées cliniquement significatives. L’ i mputabilité d’ un effet indésirable à un médicament demeure toutefois complexe à établir, de surcroît lors qu’ i l s’ agit de distinguer un événement iatrogène des manifestations d’ une maladie sous-jacente: l’ hypotension orthostatique chez un patient parkinsonien peut être liée aussi bien à la pathologie elle-même qu’ à la prise de lévodopa.

Finalement, n’ oublions pas qu’ une adhésion stricte aux recommandations cliniques, qui ne tiennent souvent pas compte de l’ ensemble des co-morbidités présentes, peut induire des incitations néfastes lorsque ces dernières ne sont pas adaptées au profil du patient et de son degré de fragilité au détriment du bénéfice clinique attendu. La priorisation des traitements et la dé-prescription des médicaments inappropriés est un processus devenu essentiel lors de la révision des traitements en gériatrie. Des outils d’ aide à la (dé)-prescription, tels que les critères de Beers ou de STOPP/START, ou des recommandations de dé-prescription basées sur les preuves (i.e www.deprescribing.org) peuvent guider cette démarche. Par ailleurs, une collaboration interprofessionnelle étroite entre médecins, pharmaciens et soignants permet une meilleure sécurisation de la prise en charge et la diminution du risque iatrogénique.

En somme, l’  enjeu central de la polymédication réside dans la qualité des prescriptions, pierre angulaire d’  une prise en charge médicamenteuse optimale et sécurisée de nos aînés. Il est essentiel d’ adopter une approche gériatrique globale dans la prescription qui tient compte du rapport risque bénéfice des médicaments et des objectifs de soins: prolonger la vie, maintenir les fonctions ou maximiser le confort, et de régulièrement la réévaluer en raison de son caractère rapidement évolutif. Chers et chères collègues, pensez à dédier quelques minutes précieuses pour vérifier les traitements de vos patients âgés en pensant ThinkCascade, Think Deprescription, Think Health objectives afin de préserver au mieux la santé, l’  autonomie et la qualité de vie des patients âgés!

Source: Lisa M. McCarthy et al. Drugs & Aging 2022; 39:829–840

Pre Chantal Csajka

Centre de Recherche et d’ Innovation en Sciences Pharmaceutiques
Cliniques
Centre Hospitalier Universitaire et Université de Lausanne
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1011 Lausanne

Chantal.Csajka@chuv.ch