Kardiologisches Management in der Schwangerschaft bei Long-QT 2 Syndrom

Das Long-QT-Syndrom (LQTS) ist eine angeborene Ionenkanalerkrankung, die eine verlängerte ventrikuläre Repolarisation verursacht und sich im Oberflächen EKG mit einer verlängerten QT-Zeit präsentiert. Diese Erkrankung prädisponiert für lebensbedrohliche ventrikuläre Arrhythmie sowie den plötzlichen Herztod. Das LQTS ohne entsprechende Therapie stellt während der Schwangerschaft und in der postnatalen Phase aufgrund der mit der Gestation verbundenen physiologischen Veränderungen ein zusätzlich erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Herztod dar. Wir präsentieren einen Fallbericht einer 30-jährigen schwangeren Frau mit bekanntem Long-QT-Syndrom Typ 2 (LQT2) und dem konsekutiven kardiologischen Management.

Einführung

Das angeborene Long-QT-Syndrom ist eine genetische Erkrankung der Ionenkanäle (Kanalopathie), charakterisiert durch eine prolongierte ventrikuläre Repolarisation (QT- Zeit Verlängerung im Ruhe EKG, siehe Abbildung 1). Bei adrenerger Aktivierung kann diese verlängerte Repolarisation – insbesondere bei LQTS 1 und 2 – zu polymorphen ventrikulären Tachykardien bekannt als ,,Torsade de pointes” mit konsekutiven Synkopen bis hin zu einem plötzlichen Herztod führen können [1,2,3].

Die korrekte Diagnose des Long-QT-Syndroms (LQTS) basiert auf der herzfrequenzkorrigierten QT-Zeit (QTc), einer Reihe anderer elektrokardiographischer Parameter sowie Informationen aus der Anamnese und Familienanamnese und ggf. der genetischen Untersuchung. Diagnosekriterien nach Schwartz et al. sind state-of-the-art. Wichtig ist zudem das Fehlen von strukturellen Herzerkrankungen, QT-Zeit verlängernden Medikamenten (siehe Abbildung 2) und anderen prädisponierenden Faktoren wie Hypokaliämie [4,5,6].

Es gibt verschiedene Methoden zur Messung der QT-Zeit, die zu unterschiedlichen Grenzwerten führen, in der Literatur am besten validiert ist die Bazett- Formel (siehe Abbildung 3). Darüber hinaus sollte, obwohl die U-Welle bei LQTS-Patienten ebenfalls abnorm sein kann, die U-Welle nicht in die QT-Zeit Messung einbezogen werden [6].

Zusätzlich sollten die Kriterien nach Priori et al. berücksichtigt werden, welche bei zutreffen von einer oder mehreren der folgenden Kriterien von einem LQTS ausgehen [7]:

  • Bei einem Vorliegen von einem LQTS-Risikowertes ≥3,5 (siehe Abbildung 2) in Abwesenheit einer sekundären Ursache für QT-Verlängerung und/oder
  • bei Vorliegen einer zweifelsfrei pathogenen Mutation in einem der LQTS-Gene oder
  • bei Vorliegen eines, unter Verwendung von Bazett- Formel korrigierten, QT-Intervalls (QTc) von ≥500 ms in wiederholten 12-Kanal-Elektrokardiogrammen (EKG) und in Abwesenheit einer sekundären Ursache für QT- Zeit Verlängerung.
  • Zudem kann LQTS diagnostiziert werden, wenn in wiederholten 12-Kanal-EKGs bei einem Patienten mit ungeklärter Synkope in Abwesenheit einer sekundären Ursache für QT-Verlängerung und in Abwesenheit einer pathogenen Mutation eine QTc- Zeit zwischen 480–499 ms vorliegt.

Das durchschnittliche Alter der ersten Symptome bei LQTS beträgt 14 Jahre. Das jährliche Risiko für einen plötzlichen Herztod (SCD) bei asymptomatischen, unbehandelten LQTS-Patienten wurde auf weniger als 0,5% beziffert, während das jährliche Risiko für einen plötzlichen Herztod auf etwa 5% bei Patienten mit bereits erlittenen Synkopen in der Vorgeschichte ansteigt [6]. Bei symptomatischen Index Patienten beträgt die unbehandelte 10-Jahres-Sterblichkeitsrate sogar um 50% [8]. Es wurden bis dato 11 Gene mit LQTS in Verbindung gebracht, die Prävalenz liegt bei 1:2500 [4,7,10]. Die häufigsten Gene sind diejenigen, die LQT1, LQT2 und LQT3 verursachen: KCNQ1, KCNH2 und SCN5A, welche jeweils gen-spezifische Auslöser wie körperliche Anstrengung (LQT1), emotionalen Stress (LQT2) und Schlaf (LQT3) aufweisen. Die genetische Untersuchung identifiziert eine Mutation bei 75% der LQTS-Fälle, wobei die drei Hauptgene für 90% der positiv genotypisierten Fälle verantwortlich sind [9]. LQT1-Patienten entwickeln meist bereits in der Kindheit Symptome und sind überwiegend männlich, während LQT2- und LQT3-Patienten Symptome etwas später, meist in der Pubertät, entwickeln und überwiegend weiblich sind [9].

Fallbericht

Wir präsentieren einen Fallbericht über eine schwangere Patientin mit einem zuvor diagnostiziertem LQT2 und erläutern die angewendeten Behandlungsstrategien für eine sichere Schwangerschaft, Entbindung und postpartale Phase.
Unsere Patientin hatte zwei Schwestern, von denen eine im Jahr 2012 im Alter von 17 Jahren plötzlich in einem Skilager in den Anden im Schlaf verstarb. 3 Monate vor ihrem Tod erlitt die Schwester unserer Patientin eine Synkope. Die Synkope ereignete sich während des Tages beim Aufstehen vom Mittagstisch, die Schwester verlor plötzlich das Bewusstsein. Während dieses Vorfalls knirschte sie mit den Zähnen, atmete nicht und zeigte tonisch-klonische Bewegungen, die insbesondere die oberen Gliedmaßen betrafen. Offenbar hatte sie keinen tastbaren Puls, aber nach 2 externen Beatmungen erlangte sie das Bewusstsein zurück und erholte sich rasch. Sie wurde in einem örtlichen Krankenhaus in der Schweiz untersucht und ein EKG zeigte eine ausgeprägte Verlängerung des QT-Intervalls von über 500 ms und morphologische Abnormalitäten der T-Welle in mehreren Ableitungen. Ein Holter-Monitor zeigte ebenfalls eine Verlängerung des QT-Intervalls und morphologische Abnormalitäten der T-Welle. Es wurde jedoch keine Diagnose gestellt, wenige Monate danach verstarb die Schwester.
Es wurde eine Autopsie durchgeführt, die jedoch unauffällig ausfiel. Eine molekulare Autopsie ergab eine pathogene heterozygote Variante in KCNH2: Trp100X, die Long QT Typ 2 verursacht und den plötzlichen Herzstillstand erklärt. Eine kaskadenartige genetische Untersuchung ergab, dass die Patientin und ihre noch lebende, jüngere Schwester ebenfalls heterozygote Träger der Variante KCNH2: Trp100X sind. Beide wurden mit Nadolol behandelt. Auch die beiden Eltern wurden getestet. Die Mutter war genetisch negativ, während der Vater positiv für Mosaikismus von KCNH2: Trp100X war. Er zeigte jedoch keine phänotypischen Merkmale.

Unsere Patientin wurde zunächst mit 40 mg/Tag Nadolol behandelt, aber die Medikation wurde aufgrund von Müdigkeit abgesetzt. Nach dem Absetzen der Betablocker-Therapie hatte sie einen „epileptiformen“ Synkopen-Anfall, der durch das Klingeln eines Weckers ausgelöst wurde. Daher wurde Nadolol in einer reduzierten Dosis von 20 mg/Tag erneut verordnet. Seitdem war die Patientin beschwerdefrei. Nach der Synkope wurde ein Event-Rekorder implantiert, um potentielle weitere ventrikuläre Rhythmusstörungen aufzeichnen und die Therapie entsprechend anpassen zu können.

Die Patientin wies eine normale QT-Zeit im Ruhezustand auf. Signifikante QT-Zeit Verlängerungen und T-Wellen- Abnormalitäten traten beim Stehen und während der Erholung nach körperlicher Anstrengung auf. Dies deutete auf ein verborgenes Long-QT-Syndrom hin, das durch einfache Manöver manifest wurde. Die T-Wellen-Morphologie war mit einem Long-QT-Typ 2 vereinbar (Abbildung 5).

Verlauf der Schwangerschaft und postnatale Periode

Die Patientin zog im Alter von 29 Jahren in die Schweiz und äusserte einen Kinderwunsch. Es erfolgte ein Beratungsgespräch einige Monate vor der Schwangerschaft, welches die Risiken, die mit LQT2 während der Schwangerschaft verbunden sind, aufzeigte. Die Patientin wurde über die Wichtigkeit der täglichen Medikamenteneinnahme informiert. Nach dem Eintritt der Schwangerschaft wurde die Patientin alle 2-3 Monate mittels EKG und Elektrolytkontrollen in der kardiologischen Praxis kontrolliert. Der Betablocker wurde langsam auf die Zieldosis von Nadolol 1mg/kg (aufgeteilt auf eine Morgen- und Abenddosis) gesteigert, um in der für die Patientin vulnerabelsten Phase, während des Peripartum, die Zieldosis zu erreichen. Aufgrund der erwarteten Gewichtszunahme während der Schwangerschaft wurde die Dosis angepasst. Während der Verlaufskontrollen wurde der Event-Rekorder regelmässig abgefragt und zwischenzeitlich Daten remote übermittelt. Im 3. Trimester verspürte die Patientin Palpitationen, die durch den Event- Rekorder aufgezeichnet wurden. Hier zeigten sich in der Abfrage isolierte ventrikuläre Extrasystolen und eine ventrikuläre Salve über 4 Schläge. Ein gesundes Baby wurde vaginal entbunden, und die postnatale Phase unter Betablocker (Nadolol 1 mg/kg aufgeteilt auf eine Morgen- und Abenddosis) verlief ereignislos. Jedoch kam es 2 Monate nach der Entbindung unter optimaler Betablocker Dosierung zu einer nicht anhaltenden Torsade de Pointes Tachykardie. Die Betablocker Therapie wurde um 10 mg/Tag (von 80 mg auf 90 mg) erhöht und die Möglichkeit einer primärpräventiven ICD-Implantation mit der Patientin diskutiert. Die erhöhte Dosierung des Betablockers wurde erst nach der Aufteilung in 3 Tagesdosen toleriert. Ausserdem wurde die tägliche Einnahme von Magnesium erst nach Wechsel auf eine stärkere Verdünnung eingehalten. In den folgenden Monaten wurden keine Rhythmusstörungen verspürt bzw. vom Event-Rekorder aufgezeichnet. Daher wurde vorerst weiterhin von einer ICD-Implantation abgesehen.

Diskussion

Anhand dieses Falles lässt sich die Wichtigkeit eines Kaskadenscreenings nach diagnostiziertem Index bei Patienten darstellen. Nach der korrekten Diagnosestellung sowie genetischer Untersuchung und Beratung, ist die weitere kardiologische Begleitung in allen Lebenslagen notwendig.

Behandlungsstrategien

Die Grundlage der Behandlung von Patienten mit Long-QT-Syndrom (LQTS) stellt die Betablocker-Therapie dar. Entgegen der gängigen Meinung sind nicht alle Betablocker gleich wirksam. Die beiden effektivsten sind zweifellos Nadolol und Propranolol. Metoprolol und Atenolol sind weniger wirksam und sollten vermieden werden [5,6]. Daher werden ausschliesslich die nicht-selektiven Betablocker Nadolol und Propranolol als die wirksamsten Medikamente empfohlen [6].
Die neuen HRS Leitlinien von 2023 sprechen sich ausserdem klar für eine durchgehende Einnahme einer Betablockade bei schwangeren Patientinnen mit Long-QT-Syndrom aus. Diese sollte auch in der postpartalen Phase einschließlich des Stillens als Zeit mit erhöhtem Risiko für kardiale Ereignisse fortgesetzt werden (Evidenz Grad I, Empfehlungsgrad B) [12]. Propanolol wird dabei deutlich weniger in der Muttermilch ausgeschieden als Nadolol [13]. Jedoch zeigte eine Studie bei 68 Lebendgeburten von 31 Frauen mit LQTS der Cleveland Clinic in 2022, dass die Betablockade, insbesondere mit Nadolol, nicht mit einer höheren Inzidenz von intrauteriner Wachstumsretardierung assoziiert war. Darüber hinaus waren neonatale Bradykardien selten und Hypoglykämien wurde nicht beobachtet [14].
Nadolol hat eine längere Halbwertszeit als Propanolol, was anstatt einer dreimaligen eine zweimalige tägliche Einnahme ermöglicht, normalerweise in einer Dosierung von 1 bis 1,5 mg/kg pro Tag. Propranolol sollte in einer Dosierung von 2 bis 3 mg/kg pro Tag, verabreicht werden [5]. Metoprolol und Atenolol sind weniger wirksam und sollten vermieden werden. Die antiarrhythmische Wirkung der Betablocker bei LQTS beruht darauf, sogenannte frühe Nachdepolarisationen zu verhindern, indem sie den Einstrom von Kalzium-ionen reduzieren. Nadolol ist in der Schweiz nicht erhältlich und muss nach einer Kostengutsprache oder auf eigene Kosten aus dem Ausland importiert werden.

Betablocker Nebenwirkungen und Stillzeit

Bei Schwangerschaften, in denen die Mutter einen Beta-blocker einnimmt, ist es notwendig, ein Monitoring auf eine intrauterine Wachstumsretardierung des Fötus während der Schwangerschaften durchzuführen [12]. Bei Neugeborenen, die in utero mit Betablockern behandelt wurden, besteht potentiell ein Risiko für postnatale Symptome einer Betablockade wie Hypoglykämie und Bradykardien. Die Betablockade hemmt die Glykogenolyse, die durch die Aktivierung des sympathischen Nervensystems verursacht wird. Insbesondere anhaltende Hypoglykämien können bei Neugeborenen schwere Hirnverletzungen verursachen, daher ist es wichtig, auch das Neugeborene im Wochenbett und während der Stillzeit regelmässig zu überwachen [13]. Sollte dies unter Nadolol der Fall sein, müsste ggf. auf Propanolol bei der Mutter gewechselt werden, sollte das Stillen weiter gewünscht sein. Der Schutz der Mutter vor Rhythmusstörungen ist dann etwas geringer [13]. Der Kinderarzt sollte im Voraus informiert werden und Mutter und Kind sollten nach der Entbindung 5 Tage im Krankenhaus zur Überwachung verbleiben [1]. Wenn das Kind jedoch ebenso von einem Long-QT-Syndrom betroffen ist, hat es durch die Einnahme der Mutter von Nadolol ebenso eine Behandlung bis zur Geburt bzw. in der Stillzeit.

Weitere Behandlungsstrategien

Eine weitere, eskalierende Therapieform besteht in der linkskardialen sympathischen Denervation (Entfernung der ersten 3 bis 4 Ganglia thoracica idealerweise durchgeführt via extrapleuralem Zugang, der einen Thorakotomie-Eingriff unnötig macht) des linken herznahen sympathischen Nervensystems (LCSD), was eine Alternative bei Betablocker-resistenten Patienten darstellt. Tatsächlich hat LCSD keinen negative Einfluss auf die kardiovaskuläre Leistung [3]. Der Expertenkonsens der HRS/EHRA/APHRS empfiehlt, LCSD bei Hochrisiko-Patienten mit der Diagnose LQTS durchzuführen, wenn die ICD-Therapie kontraindiziert ist, abgelehnt wird oder trotz maximal tolerierter kombinierter Therapie mit Betablocker nicht wirksam bei der Verhinderung von Synkopen/Arrhythmien ist. LCSD ist besonders wirksam bei LQTS1-Patienten [7].
Eine vaginale Geburt wird als eine sichere Entbindungsstrategie bei Patientinnen mit LQTS angesehen, wobei randomisierte Studien fehlen und die Empfehlungen auf Fallberichten und Expertenmeinungen fussen [2].
Die Schwangerschaft und die ersten 9 Monate nach der Geburt bei Patientinnen mit bekanntem LQTS bergen ein deutlich erhöhtes Risiko für lebensbedrohliche Arrhythmien [3]. Es wird angenommen, dass die Veränderungen in der adrenergen Aktivität in der peripartalen Phase zu einer Zunahme kardialer Ereignisse führen kann. Erklärend könnte die Zunahme der sympathischen Aktivität sein, die mit dem Stress und vor allem veränderten Schlafmuster bei der Betreuung eines Neugeborenen einhergeht. Diese könnte die ventrikulären Arrhythmien bei Patienten mit LQT1- und LQT2-Genotypen triggern [3]. Die Östrogen- und Progesteronspiegel sind während der Schwangerschaft hoch und fallen deutlich unter die normale Werte, wenn die Mutter ihr Kind stillt. Diese Veränderung der Hormonspiegel könnte die adrenergen Reaktionen der mutierten Ionenkanäle bei LQTS beeinflussen [10].
LQTS-Patientinnen bedürfen rund um die Schwangerschaft einer engmaschigen kardiologischen Verlaufskontrolle, um potentiell lebensbedrohliche Rhythmusstörungen durch eine gute Betablocker Einstellung weitestgehend zu verhindern. Eine Schwangerschaft ist jedoch möglich und sollte bei entsprechendem Patientinnen-Wunsch, wenn immer medizinisch vertretbar, befürwortet werden. In diesem Fallbericht wird die Herausforderung der Behandlung der Patientin – auch bei Nebenwirkungen des Betablockers –
beleuchtet. Die Therapie regelmässig an das Gewicht anzupassen ist gerade in der Schwangerschaft und postnatalen Phase essentiell.
Die Entbindung sollte in einem Spital erfolgen und es müssen unmittelbare Wiederbelebungsmassnahmen verfügbar sein, einschließlich eines externen Defibrillators [6,11]. Es wird empfohlen, frühzeitig einen Anästhesisten hinzuzuziehen, um eine sichere Analgesie während der Wehen und der Geburt zu planen. Die Entscheidung über eine Epiduralanästhesie und eine assistierte Entbindung sollte auf der Grundlage einer geburtshilflichen Indikation getroffen werden; diese Eingriffe sind aufgrund eines vorliegenden LQTS nur selten indiziert. Während der Entbindung ist es wichtig, Umstände zu vermeiden, die das Risiko für ventrikuläre Arrhythmien erhöhen könnten wie z. B.: Elektrolytstörungen, starke Blutungen oder QT-Zeit verlängernde Medikamente (siehe diesbezüglich crediblemeds.org). Bei Patientinnen mit LQTS wird empfohlen, in einer ruhigen Umgebung zu entbinden. Das Neugeborene hat, aufgrund der autosomal dominanten Vererbung, ein Risiko von 50%, ebenfalls von einem LQTS betroffen zu sein. Die frühzeitige Diagnose ist bei Kindern wichtig, denn sie hat therapeutische Konsequenzen. Eine genetische Testung des Neugeborenen kann via Blut aus der Nabelschnur durchgeführt werden. Diesbezüglich sollte am besten vor der Schwangerschaft eine genetische Beratung stattfinden.

Schlussfolgerung

Ein Long-QT-Syndrom stellt keine Kontraindikation für eine Schwangerschaft dar, das Risiko von Herzrhythmusstörungen wird durch eine Therapie mit Betablockern drastisch reduziert. Bei Patientinnen mit LQTS ist eine vaginale Entbindung möglich, eine Hausgeburt wird nicht empfohlen [1]. Eine regelmässige kardiologische Mitbetreuung ist unabdingbar, bezüglich des Kontrollintervalls ist eine kardiologische Konsultation alle 4-6 Wochen sinnvoll, eventuell ergänzt durch das Monitoring eines Event-Rekorders.

Abkürzungen

LQTS = Long-QT-Syndrom
LQT1 = Long–QT-Syndrom 1 (Genotyp 1 mit einer Mutation im KCNQ1-Gen)
LQT2 = Long-QT-Syndrom 2 (Genotyp 2 mit einer Mutation im KCNH2-Gen)
LQT3 = Long-QT-Syndrom 3 (Genotyp 3 mit einer Mutation im SCN5A -Gen)
EKG = Elektrokardiogramm
SCD = sudden cardiac death, plötzlicher Herztod
QT = Zeitintervall vom Anfang des QRS-Komplexes bis zum Ende der
T-Welle
QTc = frequenzkorrigierte QT- Zeit (in diesem Artikel nach Bazett- Formel)
ICD = Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator
LCSD = linkskardiale sympathische Denervation
HRS = Heart Rhythm Society: Die Heart Rhythm Society
EHRA = European Heart Rhythm Association
APHRS = Asia Pacific Heart Rhythm Society

Dr. med. univ. (A) Greta Hametner

Adlerstrasse 1
8600 Dübendorf

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

Historie:
Manuskript eingereicht: 03.11.2023
Nach Revision angenommen: 06.12.2023

  • Eine Schwangerschaft ist auch mit bekanntem Long-QT- Syndrom unter Betablocker-Therapie und engmaschigen kardiologischen Kontrollen möglich.
  • Eine primärpräventive Versorgung mit einem ICD ist nur dann notwendig, wenn kein Betablocker toleriert wird oder unter adäquater Betablockade Rhythmusstörungen auftreten.
  • Nicht selektive Betablocker, vor allem Nadolol wirken bei Long-QT Patienten am effektivsten, alternativ kann auch Propanolol verabreicht werden.

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10. Regitz-Zagrosek V, Roos-Hesselink JW, Bauersachs J, Blomström-Lundqvist C, Cífková R, De Bonis M, Iung B, Johnson MR, Kintscher U, Kranke P, et al. 2018 ESC Guidelines for the management of cardiovascular diseases during pregnancy. Eur Heart J. 2018; 39:3165–3241.
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Komplikationen der intravesikalen BCG-Therapie

Die BCG-Instillation gehört zur Standardtherapie des oberflächlichen Urothelkarzinoms der Blase. Hierbei sind ernsthafte unerwünschte Nebenwirkungen insgesamt selten. Die Diagnose eines disseminierten BCG-Infektes kann vermutet werden, sobald nach Instillationen mindestens zwei Tage Fieber mit systemischen und/oder lokalen Organmanifestationen (ausgenommen urogenitale Beschwerden) unter Ausschluss anderer Ursachen bestehen und ein rasches Ansprechen auf eine tuberkulostatische Therapie zu beobachten ist. Ein direkter Erregernachweis ist nicht obligat, da oft nicht erfolgreich; häufiger gelingt der Nachweis von Granulomen. Eine BCG-Infektion soll mit Isoniazid, Rifampicin und Ethambutol für sechs Monate behandelt werden.

Einleitung

BCG-Instillationen gehören, nach der transurethralen Blasenresektion, zur Standardtherapie beim oberflächlichen Urothelkarzinom. Dafür wird intravesikal eine abgeschwächte Form eines Mycobacterium bovis-Stammes (Bacillus Calmette-Guérin) appliziert. Die BCG-Instillation wird als erste Wahl im non-muscle invasive bladder cancer (NMIBC) und bei carcinoma in-situ (CIS), entsprechend dem Staging Ta, Tis und T1, empfohlen. Fast 75% aller Blasentumore werden in diesen Frühstadien diagnostiziert. Dabei wird diese, in mehreren Zyklen verabreichte Therapie zur Prävention neuer Neoplasien sowie zur Progressionsverhinderung der bestehenden Tumorerkrankung eingesetzt.
Die Wirkung von BCG als Immuntherapie ist nicht vollständig geklärt. Die Immunantwort des Körpers auf das BCG basiert auf einer unspezifischen Stimulation des retikuloendothelialen Systems sowie Induktion einer lokalen Entzündungsreaktion mit Migration von Granulozyten, Makrophagen und T-Helferzellen. Ausserdem werden zahlreiche Zytokine ausgeschüttet. Hierbei dominiert die zelluläre Immunantwort, auf Basis einer induzierten Spättypreaktion IV, und korreliert mit dem Ausmass der Tumordestruktion. Eine direkte zytotoxische Aktivität des Mycobacteriums wurde lediglich in vitro beobachtet (1,2).
Erstmals 1921 als Vakzination gegen die Tuberkulose entwickelt, war der Einsatz vom Bacillus Calmette‐Guérin nie ganz frei von Kontroversen. In den 1970er Jahren wurden die antineoplastischen Eigenschaften als vielversprechend beworben, jedoch verlor BCG rasch wieder an Bedeutung, als seine Wirksamkeit im Einsatz gegen das invasive Urothelkarzinom widerlegt wurde. Dank Studien in Tiermodellen und der Immunologie entdeckte man jedoch den Einsatz gegen das nicht-muskelinvasive Urothelkarzinom. Es zeigte sich, dass hierfür gewisse Voraussetzungen gegeben sein müssen: eine gute Immunantwort der Patienten, eine genügend hohe BCG-Dosis sowie räumliche Nähe zu den entarteten (aber im frühen Stadium zahlenmässig immer noch limitierten) Zellen, damit eine Tumorzelldestruktion stattfinden kann (1).
Die ersten Behandlungspläne mit einem sechswöchigen Induktionszyklus und je dreiwöchigen Erhaltungszyklen wurden entwickelt und an Patienten mit rezidivierenden Blasenkarzinomen angewandt. Dabei wurde eine zwölffache Reduktion des Rezidivrisikos nachgewiesen. Später konnte auch ein verlängertes progressionsfreies Überleben unter dieser Therapie bestätigt werden (1,3).

Klinik und Komplikationen

Die BCG-Instillation ist meistens eine komplikationsarme Behandlung. Sie kann jedoch zu einer disseminierten Mykobakterieninfektion führen. Insgesamt sind ernsthafte Nebenwirkungen selten (< 5 %), hängen jedoch fast immer mit einer solchen Infektion zusammen.
Die häufigeren, leichteren Nebenwirkungen beschränken sich auf das urogenitale System und sind z.B. Zystitiden (91 %), makroskopische Hämaturie (1 %), Blasenkontrakturen (0,2 %), granulomatöse Prostatitiden (0,9 %) und Epididymorchitiden (0,4 %). Auch ein leichtgradiges Fieber, Malaise, Schüttelfrost und Arthralgien können für Stunden bis Tage nach Instillation anhalten. Diese stehen in Zusammenhang mit der induzierten Immunantwort, welche verantwortlich für die systemischen Symptome ist. Hautausschläge hingegen zählen zu den milden, allergischen und oft selbstlimitierenden Reaktionen auf die Instillationen (2,4,5).
Zu den disseminierten Mykobakterieninfektionen gehört der miliare pulmonale oder hepatische Befall, von der Häufigkeit mit je < 1 % aller disseminierten Fälle beschrieben, mit dem histopathologischen Bild einer granulomatösen Entzündung. Ebenfalls zu einer disseminierten Infektion gehörend sind Fieber unklaren Ursprungs (fever of unknown origin, FUO) oder Sepsis (2). Die gefürchtetste unerwünschte Nebenwirkung ist die BCG-Sepsis mit oder ohne Hypersensitivitätsreaktion (Fieber, Schüttelfrost, Hypotonie und progressiver Multiorganschaden), die mit einer Inzidenz von ca. 0,4 % oder 1:15‘000 Behandlungen auftreten kann (3).
Sehr viel seltener treten auch Spondylodiszitis und Gefässaneurysmen auf. Zu Spondylodiszitis gibt es in der Literatur mindestens 22 Fälle, wobei die Streuung der Erreger mutmasslich über den klappenlosen Batson-Venenplexus in die tiefen Becken- und Thoraxvenen verläuft. In ungefähr 20 Fällen sind in der Literatur mykotische Aneurysmata nach BCG-Instillation beschrieben worden. Der Ausbreitungsweg ist noch unklar. Es gibt Theorien über eine vaskuläre Streuung über die Vasa vasorum, lymphogen über die retroperitonealen Lymphknoten oder als fortlaufend ausbreitende Infektion von einer Spondylodiszitis oder einer Psoasabszedierung ausgehend (6).
Die schweren unerwünschten Nebenwirkungen hängen meist mit einem Eindringen der Mikroben nach einer traumatischen Katheterisierung zusammen. Daher wird empfohlen, die Instillationen nicht durchzuführen, falls zuvor ein lokaler Eingriff an der Blase, wie beispielsweise TUR-B oder traumatische Katheterisierung, in den letzten zwei
Wochen stattgefunden haben und auch nicht während einer floriden Zystitis oder bei einer makroskopischen Hämaturie (1,2,7).
Daneben gehört wohl aufgrund des Pathomechanismus auch eine unerkannte Immundefizienz zu den Risikofaktoren für eine Dissemination. Dies ist insbesondere bekannt aus der Pädiatrie, wobei nach BCG-Impfungen von Kindern und deren Angehörigen, aufgrund von zu jenem Zeitpunkt unbekannter, angeborener Immunschwäche, disseminierte Infekte aufgetreten sind. (8,9).

Abklärungsstrategie und Diagnose

Die Diagnose einer disseminierten BCG-Infektion kann durch Nachweis von M. bovis oder Granulomen ausserhalb der Blase bewiesen werden. Bei systemischen Symptomen sollten Proben von Sputum, Blut und sonstigen Geweben zur Suche nach Mykobakterien im mikroskopischen Direktnachweis, Kultur und PCR-Amplifikation entnommen werden. Im Urin ist eine Suche nach Mykobakterien nicht sinnvoll, da BCG noch lange nach Instillation nachweisbar sind. Urinuntersuchungen sollten jedoch zum Ausschluss der weitaus häufiger vorkommenden, bakteriellen Zystitis nach Instillationen verwendet werden (10,11). Zudem sollte eine erweiterte Suche nach Gewebebefall, durch den Nachweis von Granulomen, beispielsweise mit Computertomographien des Thorax und des Abdomens oder Biopsien von verdächtigem Gewebe, unternommen werden.
Die BCG-Bakterien direkt nachzuweisen, gelingt meistens nicht. Zahlen aus den USA und Europa zur Detektionsrate ähneln sich: der mikrobiologische Direktnachweis gelingt durchschnittlich nur in 27,5 % der Fälle, wobei der histopathologisch-bioptische Nachweis von Granulomen am häufigsten zielführend ist (12,13). Der direkte Erregernachweis steht im zeitlichen Zusammenhang zur Erstmanifestation einer Infektion: je später systemische Symptome auftreten, desto eher gelingt dies (4).
Es kann zwischen bewiesener und möglicher BCG-Infektion unterschieden werden. Allgemein akzeptierte Kriterien für die Diagnostik einer BCG-Infektion gibt es allerdings nicht. Die Schweizerische Gesellschaft für Urologie publiziert keine Empfehlungen. Die European Association of Urology empfiehlt (gestützt auf den Empfehlungen der International Bladder Cancer Group ICBG) bei persistierendem Fieber (d.h. > 38,5 °C für länger als 48 Stunden) die BCG-Instillationen abzubrechen. Zudem sollten Urin- und Blutkulturen auf Bakterien resp. Mykobakterien sowie ein Thorax-Röntgen durchgeführt und unverzüglich eine tuberkulostatische Therapie begonnen und ein infektiologisches Konsilium eingeholt werden (7,14). Ein Ansprechen des Patientenzustandes auf die tuberkulostatische Therapie tritt prompt auf und ist beweisend für die mutmassliche Infektion (5).
Wir empfehlen anstatt eines konventionellen Röntgenbildes des Thorax eine Computertomographie der Lunge. Die high-resolution Computertomographie der Lunge ist den Röntgenbildern nicht nur zum Ausschluss einer aktiven Lungentuberkulose überlegen, sondern auch zur Unterscheidung zwischen neuen und älteren, fibrotischen Läsionen (15,16). Die low-dose Computertomographie, mit vergleichbaren Strahlendosen wie Röntgenbilder, ist sensitiv genug, um aktive Lungeninfektionen darstellen zu können und so von inaktiven Tuberkulose-Läsionen zu unterscheiden (17,18). In Abbildung 1 (siehe oben) fassen wir unseren Behandlungsvorschlag zusammen.

Therapie

In jedem Fall sollte eine disseminierte BCG-Infektion in Betracht gezogen werden, falls jemals BCG-Instillationen durchgeführt wurden und sich der Patient mit einer unklaren Entzündung präsentiert. Die Behandlung sollte nicht durch die Erregersuche verzögert werden.
Es gibt keine Richtlinien zur Behandlung der BCG-Infektion. Grundsätzlich werden die gleichen tuberkulostatischen Medikamente wie für M. bovis verwendet. Wir empfehlen eine Dreifachtherapie mit Isoniazid, Rifampicin und Ethambutol über 6 Monate, da dabei Heilungsraten zwischen 80 – 90 % beschrieben sind. Gegen Pyrazinamid weist BCG eine natürliche Resistenz auf (2,12,13).
Von einer antibiotischen oder tuberkulostatischen Prophylaxe nach BCG-Instillationen, zur Vermeidung von Komplikationen, wird aufgrund Wirkungslosigkeit abgeraten (11,19).
Eine Graduierung zur Einschätzung des Schweregrades empfiehlt die ICBG anhand der Höhe und Dauer des Fiebers
(> 38,5 °C) (10). Als moderat gilt, wenn die Körpertemperatur nach einer Instillation < 38.5 °C beträgt und nicht länger als 48 Stunden anhält; dann soll der Patient nur symptomatisch behandelt werden (10). Bei systemischen Reaktionen, mit Auftreten von Fieber für länger als 48 Stunden, sollte dagegen direkt mit der tuberkulostatischen Therapie mit Isoniazid, Rifampicin und Ethambutol für sechs Monate begonnen werden. Eine empirische antibiotische Therapie, zur Abdeckung von gramnegativen Bakterien und Enterokokken, sollte auch in Betracht gezogen werden (7,14,20).
Bei Einsatz von Ethambutol wird vor oder unmittelbar nach Therapiebeginn eine ophthalmologische Untersuchung, mit Perimetrie und Farbsehen, zur Früherkennung einer Optikus-Neuritis durchgeführt und danach alle vier Wochen fortgesetzt bis Therapieende. Eine Vitamin-B6-Substitution sollte erfolgen, um der Neurotoxizität von Isoniazid entgegenzuwirken.
Bei Hypersensitivitätsreaktion (Hautausschläge, Malaise, Arthritiden) ohne Fieber werden je nach Schweregrad Antihistaminika und NSAR eingesetzt. Bei Persistenz der Hypersensitivitätsreaktion sollte eine tuberkulostatische Therapie, zusätzlich zu den o.g. Medikamenten, begonnen werden, da von einer BCG-Sepsis ausgegangen werden muss (3).
Das weitere Therapiemanagement erfordert Kontrollen von Blutbild, Nieren- und Leberfunktionsparametern, nach zwei und vier Wochen ab Therapiestart, und bei stabilen Werten eine Ausdehnung des Kontrollintervalls auf vier Wochen.
Häufig kommt es bei einer systemischen Streuung zu einer miliaren Aussaat in die Lungen, mit Erregernachweis in den Sputum-Proben. Es empfiehlt sich daher eine erste Sputumkontrolle auf Mykobakterien zwei Monate nach Therapiestart sowie bei Therapieende (21).

Fallbericht

Anamnese des Patienten

Ein 54-jähriger Patient wurde aufgrund einer unklaren B-Symptomatik zugewiesen. Er beschrieb Malaise, Kraft­losigkeit und Abgeschlagenheit, einen ungewollten Ge­wichts­verlust von vier Kilogramm in sechs Monaten und Fieber mit nächtlichem Schüttelfrost sowie über­mäs­sigem Schwitzen. Er befand sich unter dem vierten Erhaltungszyklus einer BCG-Therapie bei Urothel­kar­zinom der Blase. Der In­duk­tionszyklus wurde zwei Jahre zuvor erfolgreich abge­schlos­sen und die Er­haltung zweimal jährlich fortgesetzt. Gegen Ende des vierten Erhaltungszyklus begannen die oben genannten Beschwerden, sodass die BCG-Dosierung auf zwei Drittel reduziert wurde. Bei Zu­nahme der Symptome wurde der Patient zur weiteren Abklärung überwiesen. Er war Raucher.

Weg zur Diagnose/Kommentar

Zu diesem Zeitpunkt bestand bereits der Verdacht auf eine disseminierte BCG-Infektion. Mit der nachfolgenden Diagnostik wurde versucht, dies zu beweisen und eine kon­s­umierende, neoplastische Erkrankung auszu­schlies­sen.

Befunde des Patienten

Status

54-jähriger afebriler, normotensiver, normokarder Patient in reduziertem Allgemeinzustand. Das aktuelle Kör­per­gewicht lag bei 98 kg, sechs Monate zuvor lag das Körper­gewicht bei 102 kg. In der klinischen Untersuchung zeigte sich ein feuchtes Integument ohne Splinter-Hämor­rha­gien, Osler-Knötchen oder Janeway-Läsionen. Enoral fand sich ein schlechter Zahnstatus, der restliche Status war unauffällig.

Mikrobiologische Befunde

Blutkulturen: aerobe und anaerob kein mikrobielles Wachstum.

Urinkultur: Mykobakterium tuberculosis-Komplex-DNA: nachweisbar; Mikroskopie: keine säurefesten Stäbchen nachweisbar; Kultur: Mykobakterium bovis BCG nach­weisbar; Resistenzspektrum: Isoniazid low-level resistent, Pyrazinamid resistent, Rifampicin und Ethambutol sensibel.

Bildgebung

Röntgen-Thorax: Unauffällige Herzgrösse. Lungenzirkulation nicht pathologisch. Kein Pleuraerguss. Kein Infiltrat.

CT-Abdomen (im Rahmen der Tumornachsorge, 1 Monat nach Symptombeginn): Stationäre einfache kortikale Nierenzysten rechts. Keine malignomsuspekte Raumforderungen der Nieren noch der oberen ableitenden Harnwege. Soweit bei geringer Blasenfüllung beurteilbar sehr diskrete, nicht noduläre Blasenwandverdickung am linken Ostium. Kein Anhalt für Lymphknoten- oder Fernmetastasen im Untersuchungsvolumen.

Weg zur Diagnose/Kommentar

Laborchemisch zeigten sich eine Erhöhung der Transaminasen und der Gamma-Glutamyltransferase sowie der alkalischen Phosphatase. Das CRP war erhöht.
In der Mikrobiologie des Urins konnte mittels PCR Mycobacterium tuberculosis-Komplex DNA und schliesslich in der Kultur Mycobacterium bovis BCG nachgewiesen werden. Die Ergebnisse aus dem Urin wurden im Rahmen der BCG-Instillationen interpretiert, da die DNS auch Jahre nach der letzten Instillation noch nachweisbar sein kann; es zeigte sich kein Wachstum normaler Bakterien im Urin. Blutkulturen, Röntgen-Thorax und CT Abdomen waren nicht hinweisend auf eine disseminierte BCG-Infektion oder einen Tumor. Bei unklarer Sachlage wurde keine Therapie begonnen.

Weiterer Verlauf und ergänzende Abklärungen

Nach ungefähr drei Monaten entwickelte der Patient einen grünlich produktiven Husten, das Körpergewicht nahm fortlaufend auf minimal 92 kg ab und er beklagte auch neu Kopf- und Rückenschmerzen. Abends mass er jeweils Körpertemperaturen von um die 37,5 °C. Der Patient wurde angewiesen bei differentialdiagnostisch möglicher Lungentuberkulose eine FFP2-Maske zu tragen.

Serologie
• HAV-IgG/ positiv, HAV-IgM negativ | Anti-HBs positiv mit 120 IE/l [<10] | Hbs-Antigen negativ | Anti-Hbc-IgG/IgM positiv | HBV-DNS nicht nachweisbar | HCV-Screening negativ | HEV-IgG/IgM negativ |
• Keine Autoimmunhepatitis-typischen Autoantikörper (Aktin, glatte Muskulatur, Mitochondrien, M2, LKM1, LC1, SLA, GP210, SP100)
• Keine ANCA (MPO und PR3)
• Nachweis unspezifische ANA 1:640 [<1:320] mit AC-8, 9, 10 Muster

Mikrobiologische Befunde

Sputum (1 von multiplen): Mikroskopie: keine säurefesten Stäbchen nachweisbar; Mykobakterium tuberculosis-Komplex-DNA: negativ; Kultur: Mykobakterium bovis BCG nachweisbar

Bildgebung

Ultraschall Abdomen: Bis auf Lebersteatose unauffällig
CT Thorax mit Kontrastmittel: vergrösserte Lymphknoten rechts hilär bis 12 mm, mehrere intrapulmonale Noduli bis max. 4mm
Low-dose-CT Thorax (im Verlauf): Verglichen mit der Voruntersuchung: Stationäre zentral betonte Bronchialwandverdickung. Vorbestehend vereinzelte pulmonale Noduli beidseits. Kein Nachweis von Infiltraten.

Weg zur Diagnose/Kommentar

Nach mehrmaligen Versuchen gelang in einer Sputum-Probe schlussendlich der Nachweis von Mycobacterium bovis BCG. Die erste Computertomographie des Thorax mit Kontrastmittel fand Lymphknotenvergrösserungen hilär und intrapulmonale Noduli; die zweite low-dose Computertomographie vor Therapiebeginn detektierte Bronchialwandverdickungen und die bekannten, vereinzelten pulmonalen Noduli auf beiden Lungen. Die FFP2-Maskenpflicht wurde aufgrund fehlender aerogenen Übertragbarkeit der BCG-Infektion aufgehoben.

Therapie des Patienten

Der Patient wurde mit Isoniazid 300mg/Tag und Rifampicin 600mg/Tag, kombiniert mit Ethambutol 25mg/kg Körpergewicht pro Tag für zwei Monate, danach 15mg pro Kilogramm Körpergewicht sowie Vitamin B6 40mg/Tag behandelt. Initial wurden alle zwei Wochen Blutbild sowie Leber- und Nierenwerte kontrolliert, zudem wurden durchgehend alle vier Wochen der Vibrationssinn geprüft, zum Ausschluss einer Polyneuropathie unter Isoniazid trotz Vitamin B6-Gabe, sowie ophthalmologische Untersuchungen mit Perimetrie und Farbsehen unter Ethambutol zur Früherkennung einer Optikusneuritis durchgeführt. Es wurden zusätzlich nach acht Wochen und bei Therapieabschluss Sputumkulturen abgenommen, welche negativ blieben.
Es ist wichtig, dass die Therapie bei Verdacht auf BCG-Infekt nach Ausschluss anderer Ursachen sofort begonnen wird. Im vorliegenden Fall wurden die Kulturresultate aus Sputumproben abgewartet, da differentialdiagnostisch eine klassische Lungentuberkulose möglich war und diese, falls vorliegend, resistenzgerechte Therapie bedingt hätte. Erst als BCG im Sputum nachgewiesen wurde, wurde die Therapie begonnen.
Nach Vertiefung in die in diesen Artikel eingeflossene Literatur sind die Autoren der Ansicht, dass die Therapie bei diesem Patienten deutlich früher, wahrscheinlich schon vor oder spätestens kurz nach der Zuweisung, hätte begonnen werden sollen. Weder das Abwarten einer klaren Organbeteiligung (produktiver Husten), der Sputumresultate, noch der Resistenzprüfung war zwingend und hat zu einer erheblichen Therapieverzögerung geführt. Wir hoffen, mithilfe dieses Praxis-Falls unseren Kolleginnen und Kollegen ein besser informiertes Vorgehen in einer ähnlichen Situation ermöglichen zu können.

Dr. med. Aresh Farokhnia

Oberarzt
Universitätsspital Zürich,
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin
8091 Zürich

aresh.farokhnia@usz.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

Historie:
Manuskript eingereicht: 25.09.2023
Manuskript akzeptiert: 08.11.2023

 

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Einführung: BCG Instillations-Sepsis bei Blasenkarzinom

Das Urothelkarzinom der Harnblase ist ein aggressives Karzinom. Die Frühdiagnose mittels Zystoskopie bei Auftreten einer schmerzlosen Makrohämaturie ist entscheidend, um das Karzinom vor der Muskelinvasivität zu erfassen und damit das Überleben zu sichern. Trotzdem versterben auch heute noch ca. 50% der Patienten mit muskelinvasivem Karzinom innerhalb von 5 Jahre nach Erstdiagnose – trotz verbesserter Systemtherapie. Initial sind rund ein Drittel der neu diagnostizierten Blasenkarzinome bereits muskelinvasiv – die Zystektomie ist 2024 die therapeutische Erstlinienempfehlung. Die laparoskopisch-roboterassisterte radikale Zystektomie inklusive Harnableitung mit Ersatzblase oder Ileum Conduit zeigt eine wesentlich kleinere Morbidität und weniger Komplikationen bei vergleichbaren onkologischen Resultaten verglichen mit der offen-chirurgischen Zystektomie. Bei oberflächlich aggressiven Blasenkarzinomen (“high grade” oder Carcinoma in situ) werden nach transurethraler Erstresektion leitliniengerecht intravesikale Instillationstherapien mit einem abgeschwächten Stamm von Mycobacterium bovis (Bacillus Calmette-Guerin) in wöchentlichen Abständen appliziert. Der Induktions-Zyklus dauert 6 Wochen, gefolgt von einem oder mehreren Erhaltungszyklen. In den letzten 50 Jahren hat sich diese Instillations-Therapie in der Urologie als Standard erhalten mit dem Ziel eines verlängerten progressionsfreien Überlebens. BCG stimuliert die entzündliche und zytotoxische Immunabwehr. Die Nebenwirkungen der intravesikalen Therapie sind häufig lokale Irritationen sowie auch Fieber und Unwohlsein. Es kann jedoch auch zu einer hämatogenen Streuung und schliesslich septischer Entwicklung kommen, was aber bei weniger als 5% der Patienten der Fall ist. Charakteristisch dafür ist die positive BCG-Blutkultur. Wie der schöne Übersichtsartikel von Dr. A. Farokhnia in diesem Heft zeigt, muss bei einer febrilen Entwicklung mit systemischer Entzündungsreaktion nach transurethralen BCG-Instillationen an eine hämatogene Streuung und BCG-Sepsis gedacht werden. Eine konsequente tuberkulostatische Therapie mit Isoniazid, Rifampicin und Ethambutol über ein halbes Jahr stellt den Therapie-Standard dar.
Prof. Dr. med. Hubert John

Chefarzt und Klinikleiter
Klinik für Urologie
EBU Certified Training Centre
Urologisches Tumorzentrum
Kantonsspital Winterthur
8400 Winterthur

hubert.john@ksw.ch

Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie der Behavioralen und Psychischen Symptome der Demenz (BPSD)

Die «Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Behavioralen und Psychischen Symptome der Demenz (BPSD)» sind parallel zur Nationalen Demenzstrategie der Schweiz 2014-2019 unter der Federführung der Schweizerischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und –psychotherapie (SGAP) entstanden und markieren den Beginn einer Reihe von Empfehlungen für alterspsychiatrische Erkrankungen. Sie bilden den evidenzbasierten und auf die klinische Erfahrung der Experten aufbauenden aktuellen Stand des Wissens über Diagnostik und Therapie ab und sind interprofessionell und interdisziplinär ausgelegt. Die nicht-pharmakologischen Interventionsmöglichkeiten und die Pharmakotherapie werden ausführlich diskutiert. Die vorliegende Version ist die revidierte Fassung der Publikation vom 2014 und stellt die Entwicklung in diesem Bereich für den klinischen Alltag zusammen.

Bei Demenzerkrankungen treten neben kognitiven Störungen eine Reihe von psychiatrischen Symptomen auf, die den Verlauf erschweren, und eine grosse Belastung für Betroffene und deren Betreuenden darstellen [1-3]. Die sogenannten BPSD (Behaviorale und Psychische Symptome der Demenz) umfassen Symptome wie Apathie, Depression, Euphorie, Angst, Agitation/Aggressivität, Wahn, Halluzinationen, mo­to­rische Unruhe, Irritabilität/Reizbarkeit, Enthemmung (sexuell und/oder Hypo-/Hyperoralität) und Schlafstörungen. Fast alle Betroffenen mit Demenz entwickeln im Verlauf der Erkrankung mehrere BPSD. Die häufigsten BPSD sind Apathie und Depression [3]. Depression tritt vor allem in der Frühphase der Demenz auf und kann eine prodromale Symptomatik sein. Psychotische Symptome sind eher im späteren Verlauf zu erwarten. Schlafstörungen umfassen eine Abnahme der nächtlichen Schlafdauer, Fragmentation des Schlafs mit mehr Aufwachphasen, Müdigkeit tagsüber, Reduktion des REM-Schlafs und das sogenannte «Sundowning» mit Angst, Agitation und Verwirrtheit gegen Abend. Die Diagnostik und die Therapie der BPSD sind erschwert durch die Multimorbidität und «Frailty», und der darauf basierenden Polypharmazie in dieser Altersgruppe. Eine wohlerwogene und der Situation angepasste Indikationsstellung der vorhandenen therapeutischen Möglichkeiten, die auf möglichst evidenz-basierten Daten beruhen, ist deshalb unerlässlich.
Eine interprofessionelle und interdisziplinäre Expertengruppe unter der Federführung der Schweizerischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und –psychotherapie (SGAP) hat 2014 die Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD in Kurz- und Langversion erarbeitet [1, 2]. 2021-2023 wurden die Empfehlungen revidiert und ausgebaut, und stehen 2024 als umfassendes Manual zur Verfügung [3]. Die vorliegende Kurzversion basiert auf diesem Manual und soll die wesentlichsten Themen für ein breiteres Publikum zusammenfassen. Die beiden Publikationen haben das Ziel die Grundsätze der BPSD-Diagnostik und -Therapie auf der Basis der aktuellen Evidenz und der klinischen Erfahrung abzubilden.

Einleitung

Für die in der Alterspsychiatrie eingesetzten Arzneimittel fehlen sehr oft die kontrollierten Studien und es sind kaum neue Zulassungen vorhanden. Deswegen muss die Evidenzlage durch Konsensus-Empfehlungen – wie die vorliegenden für die BPSD – von Expertinnen und Experten ergänzt werden, um die klinische Erfahrung in diesem Bereich abzubilden. Die Evidenzlage ist vor allem für nicht-medikamentöse Therapiemöglichkeiten sehr dünn. Die Empfehlungen sollen diese durch die Abbildung der klinischen Expertise unterstützen und in den Vordergrund stellen. Da der Einsatz von Psychopharmaka in dieser multimorbiden Patientengruppe oft mit Nebenwirkungen und Interaktionspotential verbunden ist, werden die nicht-medikamentösen Therapien als Therapie der ersten Wahl empfohlen. Diese sollen auch dann weiter eingesetzt werden, wenn Psychopharmaka zum Einsatz kommen.
Die Empfehlungen sind interprofessionell und interdisziplinär aufgestellt. Dies entspricht dem ganzheitlichen Ansatz der Therapie der Alterserkrankungen. Für die Umsetzung vor allem der nicht-medikamentösen Therapien und der standardisierten Assessments braucht es pflegerisches, therapeutisches und medizinisches Fachpersonal, welches regelmässig geschult und alterspsychiatrisch supervidiert werden soll, sowie spezifisch eingerichtete Abteilungen mit entsprechender altersgerechter Infrastruktur, die Aktivierung, Teilhabe, Geborgenheit, Mobilität und Orientierung fördern [3].
Für die Psychopharmakotherapie der BPSD kommt erschwerend hinzu, dass z.B. bei den Antipsychotika nur zwei Substanzen (Haloperidol und Risperidon) für diese Indikation zugelassen sind, und der Einsatz anderer Medikamente «Off-Label» erfolgt. Das ist zwar grundsätzlich möglich, wenn die «Therapie nach anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst» durchgeführt und «erhöhte und hinreichende Aufklärungs- und Dokumentationspflicht» eingehalten wird, bedeutet aber zusätzliche Erschwernisse wegen der krankheitsbedingten Urteilsunfähigkeit bei der Patientenaufklärung, der umfassenden Informationspflicht sowie dem Erstellungsaufwand des Behandlungsplanes. Dadurch stehen den Betroffenen oft nicht alle Therapieoptionen zur Verfügung, wodurch sich ethische und therapeutische Probleme ergeben können [3].

Pathogenetische Faktoren

Neurobiologisch

Strukturelle und Neurotransmitter-Veränderungen tragen zur Entstehung der BPSD bei [3]. Der anteriore cinguläre und der orbitofrontale Kortex sind in meisten Fällen betroffen. Die Störung des fronto-limbischen Systems, welches mit dem Hippocampus, Amygdala, Nucleus Caudatus und dem frontalen Kortex verbunden ist, ist für die Entstehung der Depression verantwortlich, während Läsionen des anterioren cingulären, subkortikalen Schaltkreises zur Apathie führen können. Bei der Agitiertheit liegt oft ein serotonerges Defizit vor bei relativ gut erhaltener dopaminerger Funktion und Überaktivität postsynaptischer noradrenerger Neuronen. Bei der Entstehung der psychotischen Symptome sind neben der dopaminergen mesolimbischen Bahn serotonerge und glutamaterge Systeme betroffen.

Psychosozial

Zu den innerpsychischen Faktoren gehören unerfüllte Lebensaufgaben, die ältere Menschen umtreiben, und ein dissoziatives Erleben von sich selbst und der Umwelt. Zusätzlich haben Umgebungsfaktoren wie die Belastung von Angehörigen, Kommunikationsstil der Betreuenden und Mangel an angenehmen und sinnvollen Alltagsaktivitäten einen grossen Einfluss auf die Entstehung der BPSD. Diese werden nach dem «Bedürfnisorientierten Verhaltensmodell bei Demenz» als Ausdruck von unbefriedigten Bedürfnissen verstanden. Sie können auch Reaktionen auf Verhaltensweisen von Betreuenden sein, die Stress und negative Emotionen auslösen.

Infrastruktur

Architektonische und andere Umgebungsfaktoren wie das Design und die Einrichtung der Räumlichkeiten, Beleuchtung, Geräusche, Gerüche, Temperatur und betriebliche Routinen können die Entstehung von BPSD begünstigen oder positiv beeinflussen. Die bestmögliche Wohnform für Menschen mit Demenz scheint das Zusammenleben in kleinen Gruppen zu sein. Klare und übersichtliche Raumaufteilung mit sicheren Bewegungsmöglichkeiten und Bereiche für das soziale Leben, Rückzug und Ruhe sowie ein eigenes Zimmer für die Privatsphäre sind wichtige zusätzliche Massnahmen.

Ko-Morbiditäten

Zusätzlich können medizinische Faktoren wie Harnwegsinfekt, Anämie, Schilddrüsenunterfunktion, Verstopfung, Elektrolytstörung, Niereninsuffizienz, Hypoxie, Infektionen, Schmerzen, zerebrovaskuläre Ereignisse, Traumata, Hörminderung sowie Medikamente (insbesondere anticholinerge Arzneimittel und Opioide) BPSD verursachen.

Interprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit als Basis der Diagnostik und Therapie

Der Grundsatz der Personenzentrierung über den gesamten Krankheitsverlauf, die Multimorbidität, die Multifaktorialität der BPSD, und die Notwendigkeit unterschiedlicher Assessmentverfahren und Therapien machen einen interprofessionellen und interdisziplinären ganzheitlichen Ansatz notwendig. Der Behandlungserfolg hängt von Absprachen und der Koordination im Team ab, um auf der Basis der Beobachtung der Betroffenen laufend Anpassungen durchführen zu können. Die Förderung der interprofessionellen Zusammenarbeit beginnt in der Ausbildung und kann mit Rotationen, Supervision, Fortbildung und der Entwicklung einer gemeinsamen Konzeption und ethischen Haltung gefördert werden. Die Grundlage ist die Finanzierung der koordinierten Versorgung durch Tarifsysteme [3].

Ganzheitliche Ansätze und strukturiertes Vorgehen

Während punktuelle Interventionen im BPSD-Management nur kurzfristig wirken, wenn die Umgebung der Betroffenen nicht deren Bedürfnissen angepasst wird, sind ganzheitliche Konzepte, die möglichst alle Aspekte des Lebens und Erlebens im sozialen Umfeld und die BPSD-auslösenden Faktoren berücksichtigen, erfolgreicher. Drei Ansätze sind gut untersucht [3]:

Personzentrierter Ansatz

Die Methode wird definiert durch drei Kernthemen mit je zwei Unterthemen: Auf die betroffene Person bezogen (mit ausgesprochener Individualisierung der Pflege mit Bezug auf die Bedürfnisse der Person und Berücksichtigung der interpersonellen Dimension in der Beziehungsgestaltung), auf die Praxis bezogen (mit Respekt und Empathie begegnen unter Wahrung der Autonomie und Privatsphäre, und genügend Raum geben zum Verstehen und um wahrzunehmen) und auf die Machtverhältnisse bezogen (mit Abbau von ungleichen Machtverhältnissen und Hindernisse überbrücken in der Arbeitsplatzkultur und in den Rahmenbedingungen). Der Ansatz beruht darauf, dass Lebensqualität und Wohlbefinden fördernde Massnahmen in den Umgebungsfaktoren, Individualisierung der Pflege und Entwicklung und Aufrechterhaltung von Pflege- und Betreuungsfertigkeiten BPSD positiv beeinflussen können.
Das Modell besteht aus folgenden Domänen: übergeordnete Faktoren (Gesundheitspolitik, Personalentwicklung und Verankerung in der strategischen Ausrichtung), Faktoren welche die Fachpersonen erfüllen müssen (Selbstkenntnis, berufliche Kompetenz und Engagement), Umgebung der Pflege (angemessener Skill-Mix, gemeinsame Entscheidungsprozesse, effektive Teambeziehungen, unterstützende Organisation und Innovation), personzentrierte Pflegeprozesse (gemeinsame Entscheidungen, die mit den Werten und Überzeugungen der Betroffenen arbeiten, und ganzheitlich pflegen, engagiert im Kontakt und mit Empathie). Diese Voraussetzungen und Prozesse unterstützen personzentrierte Resultate (positive Pflegeerfahrung, Wohlbefinden und eine gesundheitsfördernde Kultur).

Eden Alternative und Green House Model

Die Modelle betreffen vor allem die Langzeitpflege und sollen helfen, Hierarchien in der Betreuungssituation abzubauen, Betroffene mitentscheiden zu lassen und das institutionelle Leben häuslich zu gestalten. Dadurch sollen Einsamkeit und Sinnlosigkeit gelindert werden. Mit Pflanzen, Tieren und sozialen Kontakten wird eine möglichst private Umgebung geschaffen. Das Green House Modell sieht eigenständige Wohnungen bis max. 10 Personen vor mit gemeinsamen Wohn-, Garten und Küchenbereich und qualifiziertem Personal.

Der Montessori Ansatz

Ziele des Konzeptes sind Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Lebensqualität zu erhalten und zu verbessern. Selbstkorrigierende Aktivitäten, wo der Betroffene eine Rückmeldung zum Erfolg der Umsetzung erhält, sind Hauptelemente. Die Aktivität wird demonstriert und angeleitet, und ohne Ablenkung durchgeführt. Sie soll sinnvoll sein und auf die Bedürfnisse zielen. Alltägliche, vertraute Materialien werden integriert. Die Aktivität wird in einzelne Schritte aufgegliedert und am Ende wird ein Feedback gegeben. Für Gruppenaktivitäten sind z.B. Lesungen oder Rollenspiele geeignet. Betroffene sollen positive Gefühle und Erfolge erleben.

Strukturiertes Vorgehen

Für die nachhaltige Reduktion der BPSD müssen bei betroffenen Personen die individuelle Ursache, Auslöser und Beweggründe für die Verhaltensweise gefunden werden [3]. Für die strukturierte Vorgehensweise liegen Modelle vor, die auf NDB (Need-Driven Dementia-Compromised Behavior-Modell; Bedürfnisbedingtes Demenz-Verhaltensmodell) beruhen.
Serial Trial Intervention (STI)
STI ist ein abgestuftes Behandlungsprotokoll mit fünf Schritten: erste und zweite Schritte beinhalten eine körperliche und affektive Bedarfsanalyse, der dritte Schritt nicht-pharmakologische Interventionen, der vierte eine Schmerzbehandlung und der fünfte pharmakotherapeutische Interventionen.
Verstehende Diagnostik
Bei diesem Ansatz handelt es sich um einen systematischen Prozess der Entwicklung eines Verständnisses im interprofessionellem Team zusammen mit den Angehörigen. Zwei Instrumente haben sich besonders bewährt: ABC-Verhaltensanalyse und IdA (das Innovative demenzorientierte Assessmentsystem). Die ABC-Verhaltensanalyse ist Bestandteil beider Instrumente: A «Mögliche Auslöser», B «Beobachtetes Verhalten» und C «Konsequenzen/Folgen/Rektionen».
TIME
TIME (Targeted Interdisciplinary Model for Evaluation and Treatment of neuropsychiatric Symptoms) ist eine strukturierte Fallbesprechung mit folgenden Schritten; Die Registrierungs- und Bewertungsphase, die geführte Reflexionsphase und die Aktions- und Evaluierunsgphase.
DICE
DICE (Describe, Investigate, Create and Evaluate) empfiehlt bei BPSD die folgenden Schritte: Beschreiben (Symptome), Ermitteln (modifizierbare Ursachen), Entwickeln (Behandlungsplan) und Bewerten (Massnahmen überprüfen).
BPSD-DATE
Eine Arbeitsgruppe der Schweizer Universitätskliniken empfiehlt zur Evaluation von BPSD den DATE-Algorithmus als multimodales Instrument und als Weiterentwicklung von DICE.

Multimodales Assessment

Psychopathologische und neuropsychologische Assessment-Verfahren

Für das Assessment von BPSD wird ein standardisiertes Vorgehen mittels Fremdbeurteilungsinstrumenten empfohlen [3]. Von den 138 publizierten Instrumenten eignen sich das «Neuropsychiatrische Inventar» (NPI) und «Behavioral Pathology in Alzheimer’s Disease Rating Scale» (BEHAVE-AD) als die besten Verfahren für die klinische Routine resp. Forschung wobei BEHAVE-AD in deutscher Sprache nicht vorliegt. Das NPI umfasst 12 neuropsychiatrische Symptome: Wahn, Halluzinationen, Erregung/Aggression, Depression/Dysphorie, Angst, Euphorie, Apathie, Enthemmung, Reizbarkeit, abweichendes motorisches Verhalten, Schlaf- und Essstörung mit zusätzlichen symptomspezifischen Fragen. Die betreuenden Angehörigen werden befragt und deren Belastung festgehalten. Weil die Durchführung des NPI sehr zeitaufwendig ist, wurde der NPI-Questionnaire (NPI-Q) entwickelt. Bei diesem Verfahren entfallen die symptomspezifischen Fragen und eine selbstständige Beantwortung der Fragen durch Betreuende ist möglich. Teilweise bieten die Bedarfserhebungsinstrumente RAI und BESA bereits in der Langzeitpflege nützliche Assessments.
Die «Geriatrische Depressionsskala» (GDS) ist ein Selbstbeurteilungsbogen mit 15 Fragen, die mit «Ja» oder «Nein» beantwortet werden sollen. Inhaltlich ist sie sehr einfach und kann auch bei Betroffenen mit einer leichten Demenz eingesetzt werden. Das «Cohen-Mansfield Agitation Inventory» (CMAI) ist ein Fremdbeurteilungsbogen für die detaillierte Erfassung der Agitiertheit.
Nach dem «BPSD-DATE Interventionsalgorithmus» erfolgt zuerst eine Beschreibung der Problemsituation mit Angaben zu Kontext, Auslösern und Sicherheitsaspekten. Im zweiten Schritt wird die Situation analysiert mit subjektiven Erklärungsversuchen. Im dritten Schritt erfolgen die Planung und Umsetzung der Interventionen und im vierten Schritt die Evaluation mit eventueller Anpassung der Massnahmen. Dieses standardisierte Vorgehen wird zur Qualitätsverbesserung empfohlen.

Differentialdiagnostik

Delir und Altersdepression zeigen die grösste symptomatische Überlappung mit BPSD. Andere Diagnosen wie affektive und schizophrene Psychosen, zerebrovaskuläre Ereignisse, zerebrale Neoplasien sowie intellektuelle Entwicklungsstörungen sind ebenfalls in der Differentialdiagnose zu berücksichtigen.
Delir ist ein meist akutes Ereignis mit fluktuierender Symptomatik und Bewusstseinsstörung, während eine Demenz eine chronische Erkrankung ist ohne Einschränkungen des Bewusstseins. Wenn die Ursache gefunden und behandelt wird, ist ein Delir rückläufig. Die hyper- und hypoaktiven Subtypen des Delirs unterscheiden sich symptomatisch. Neben einer ausführlichen Anamnese bezüglich der Risikofaktoren ist beim Delir eine ursachenorientierte Labordiagnostik notwendig. Die gängigsten eingesetzten Skalen sind «Delirium Observation Skale» (DOS) und «Confusion Assessment Method» (CAM), und neu 4AT und I-AgeD.
BPSD wie Depression, Angst, Apathie und Schlafstörungen erschweren die Differentialdiagnose zur Altersdepression. Bei der letzteren stehen bei der neuropsychologischen Untersuchung die Störungen der exekutiven Funktionen, des episodischen Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit und der Verarbeitungsgeschwindigkeit im Vordergrund. Bei der Demenz dagegen liegen vor allem primäre Gedächtnisstörungen, aphasische und konstruktiv apraktische Symptome sowie Störungen beim Wiedererkennen und der Orientierung vor.

Psychosoziale Massnahmen in der Pflege

Massnahmen zu Befähigung von Teams

Organisationskultur ist ein Schlüsselfaktor im Umgang mit BPSD [3]. Die Teams sollen befähigt werden, den nicht-pharmakologischen Massnahmen den Vorzug zu geben um BPSD zu reduzieren. Schulungen (Vorträge, Workshops, webbasiert) sind wirksame Instrumente, wenn sie langfristig und repetitiv angeboten werden. Sie können die Selbstwirksamkeit erhöhen. Mit betroffenen Personen und deren Angehörigen gemeinsam entwickelte Pflege- und Behandlungsplanungen, die individuelle Fähigkeiten berücksichtigen, sowie Fallbesprechungen als Teil multidimensionaler Interventionen sind ebenfalls wirksam und können die Belastung der Pflegenden und Betreuungspersonen reduzieren. Unterstützung der Angehörigen mit Gesprächen und Psychoedukation schafft die Grundlage für psychosoziale Massnahmen. Wenn sie die Gründe für die BPSD verstehen, können Angehörige konstruktiv in die Therapieplanung und –umsetzung integriert werden.

Massnahmen bei Betroffenen

Beziehungsgestaltung, personenzentrierte Pflege und ein Kultur-/Prozesswandel zugunsten von psychosozialen Massnahmen sind die Voraussetzungen für wirksame Interventionen. Sie werden multiprofessionell angeboten. Ausreichende Zeit- und Personalressourcen sind für die Wirksamkeit ebenso notwendig wie Schulungen und Praxisbegleitungen, damit Pflege- und Betreuungspersonen ihren Handlungsspielraum im Umgang mit Menschen mit Demenz erweitern können. Insgesamt werden drei Kategorien unterschieden [3]:
Sensorisch-orientiert (Pflege mit Musik, Aromapflege, Licht, Snoezelen, Sensory Garden, Tiergestützte Aktivitäten, Intelligente Assistive Technologien, Massage/Berührung, Basale Stimulation, Positive Image Therapie und Clown Therapie), kognitions-orientiert (Simulierte Präsenztherapie, Kognitions- und Kommunikationsorientierte Methoden, und Validation) und bewegungsorientiert (Bewegung, Outdoor Aktivitäten, Tanz und Kinästhetik). In allen Kategorien liegt Evidenz unterschiedlichen Grades zur Wirksamkeit der Massnahmen vor. Zentral ist immer wieder, dass die Massnahmen auf den jeweiligen Menschen mit Demenz mit seinen spezifischen Symptomen und seiner Geschichte angepasst werden.

Umgebung

Anpassung der Umgebungsfaktoren mit Vermeidung von Reizüberflutung und -armut hat positiven Einfluss auf BPSD. Betroffene profitieren von kleinen, wohnlich eingerichteten Wohneinheiten, die L- oder H-förmigen oder quadratischen Grundriss haben. Die Anzahl der BewohnerInnen sollte 15 nicht überschreiten. Licht/Beleuchtung, Farben/Kontraste, Temperatur, Akustik, olfaktorische As­pek­te, Installationen (Handläufe, Kücheneinrichtung, Nasszellen usw.) und Vertrautheit der Räume sind zusätzliche Faktoren, die eine Rolle spielen.

Umgang mit spezifischen Verhaltensweisen

Aggressivität
Für die Reduktion von Aggressivität ist die Minimierung der Belastung von betreuenden Angehörigen und Pflege entscheidend. Diese sollen genügend Unterstützung und Ressourcen zur Verfügung haben. Schulungen, Trainings und Fallbesprechungen haben sich bewährt. Kleinere Wohngruppen, Wahrung der Privat- und Intimsphäre, Gestaltung der Umgebung und des Alltags nach individuellen Bedürfnissen, stressarme Körperpflege und Schlafhygiene sind wirksame Massnahmen. Auf Musik basierte Ansätze, Bewegung, Tanzen, Massage/Berührung und Aktivitäten im Freien können zusätzlich helfen.
Sexuelle Enthemmung
Das eigene Reflektieren zum Thema Sexualität ist die Grund­lage des Umgangs. Trotzdem kann sexuelle Enthemmung von den Pflegenden als Belästigung aufgefasst werden. Eine Balance zwischen den individuellen Rechten der Betroffenen und dem Schutz der Pflege- und Betreuungspersonen soll gefunden werden. Schulungen, Fallbesprechungen und ein strukturiertes Vorgehen mit Analyse des Verhaltens und der Auslöser sowie eine individuelle Pflegeplanung können präventiv wirken. Massnahmen wie Ignorieren von unangemessenen Äusserungen, Ablenken, Unterbrechen der Pflegehandlung, Kommunizieren eines deutlichen «Nein», Sicherheitsabstand, Einsatz von zwei Pflege- und Betreuungspersonen, Einsatz von Requisiten als Barrieren, Einschränken der Aktivitäten, Identifizierung der Auslöser, Schaffen eines privaten Raumes und Einsatz von Validationstechniken sind wirksam.
Disruptive Vokalisation
Kognitive Funktionsverluste, Depression, Angst, sprachliche Schwierigkeiten, sensorische Deprivation, Schlaflosigkeit und Schmerzen können ursächlich für die repetitiven Vokalisationen verantwortlich sein, die für die Umgebung sehr belastend sind. Medikamente sind hier nicht wirksam. Eine gründliche medizinische und pflegerische Anamnese und eine an den Ursachen orientierte individuelle Pflegeplanung sind notwendig. Ablenken, Snoezelen, Namaste Care sowie auf Musik, Zuwendung und Berührung basierende Interventionen können helfen.

Kognition-stabilisierende Therapien

Obwohl die Studienlage sehr heterogen ist, sind Interventionen wie Kognitive Stimulation und Reminiszenztherapie wirksam. Dabei sind kombinierte, personzentrierte Methoden Einzelinterventionen überlegen, insbesondere in der Förderung des allgemeinen Wohlergehens, der Kognition und Transfereffekte.

Psychotherapeutische Verfahren

Es besteht eine gute Evidenzlage für die Wirksamkeit von Psychotherapie bei leichten bis mittelschweren Demenz-Erkrankungen. Vor allem Symptome wie Depression und Angst sprechen gut an. Bei betreuenden Angehörigen, die eine Depression entwickeln, sind sie ebenfalls wirksam. Vor allem die kognitive Verhaltenstherapie und Lebensrückblickinterventionen sind bewährte Techniken. Spezifisch zugeschnittene Interventionen zeigen eine höhere Wirksamkeit als Standardverfahren.

Spezialtherapeutische Angebote

Musiktherapie
Musiktherapie ist vor allem bei Angst und Depression wirksam, die Wirkung ist aber nicht lange anhaltend. Sie soll regelmässig, mindestens einmal in der Woche, angepasst an die Alltagsstruktur des Betroffenen, angeboten werden. Die Biographie und die Vorlieben sind zu berücksichtigen. Sie kann gut mit anderen Interventionen kombiniert werden.
Kunsttherapie
Vor allem Depression, Apathie, Agitation und Aggression sprechen gut auf die Kunsttherapie an. Sie ist wirksam, wenn sie den individuellen Bedürfnissen und Präferenzen angepasst wird. Als Medium kann sie Emotionen ansprechen, um Stress abzubauen und Entspannung zu erleben eingesetzt werden. Die Kunsttherapie kann Kommunikation, Alltagsfähigkeiten und Reminiszenz fördern.
Aktivierungstherapie/Ergotherapie
Trotz der sehr heterogegen Studienlage wird die Ergotherapie empfohlen. Sie reduziert den medizinisch-pflegerischen Aufwand, vor allem, wenn sie strukturiert und personenzentriert eingesetzt wird. Sie ist eine effektive Massnahme im frühen bis mittleren Stadium der Demenz.
Tiergestützte Therapien
Es wird zwischen tiergestützten Interventionen und Aktivitäten unterschieden. Empfohlen werden Tiere mit einer speziellen Ausbildung. Vor allem bei affektiven Erkrankungen und sozialer Isolation sind sie wirksam und fördern die Alltagsfähigkeiten. Soziale Interaktionen, Lebensqualität und Mobilität werden verbessert.
Akupunktur, Akupressur
Bei Betroffenen mit Demenz können diese Verfahren Depression, Agitation, Angst, Schlafstörungen und Aktivitäten des täglichen Lebens verbessern. Wenige Nebenwirkungen wie Blutungen aus der Akupunkturstelle, Fatigue, Schläfrigkeit und Benommenheit sind bekannt.
Körperliche Aktivität und Sport
Inaktivität gehört zu modifizierbaren Risikofaktoren der Demenz und es sind deutliche Hinweise vorhanden, dass körperliche Aktivität bei BPSD positiv wirkt. Ausdauerübungen wie Joggen, Wandern, Gleichgewichtsübungen, Stärkung der Muskelkraft, Fahrradergometer und Kombination dieser Übungen können eingesetzt werden. Depression und Schlafstörungen profitieren am meisten. Tanzen kombiniert mit Musik kann als Aktivität angeboten werden.
Entwicklungsprozesse in Gesundheitsorganisationen
Um BPSD nachhaltig zu reduzieren ist eine partizipative und ganzheitliche Veränderung der Behandlungs-, Betreuungs- und Pflegekultur notwendig. Mit dem sogenannten PARIHS (The Integrated Promoting Action on Research Implementation in Health Services) Bezugsrahmen des «Royal College of Nursing» können die Organisationen im Gesundheitswesen gestärkt werden. Entwicklung von neuen Skills und Angeboten, effektivere Prozesse und Arbeitsplatzkultur, Empowerment des Personals, Rollenklarheit und gemeinsames Rollenverständnis sowie Entwicklung der Teamkapazität sind wichtige Faktoren.

Pharmakotherapie

Grundsätze der psychopharmakologischen Therapie

Falls nicht-pharmakologische Massnahmen nicht ausreichen, kann der Einsatz von Medikamenten eine Option sein, um eine Selbst- und Fremdgefährdung durch BPSD zu verhindern, und um die Diagnostik und Betreuung der Betroffenen zu gewährleisten. Hier sind evidenz-basierte Empfehlungen schwierig, weil kontrollierte Studien in dieser Altersgruppe selten durchgeführt werden. Deswegen ist die klinische Erfahrung mit diesen Substanzen sehr wichtig unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass der Einsatz der meisten Medikamente «Off-Label» erfolgt [3].
Zwei Faktoren sind beim Einsatz von (Psycho)pharmaka zur BPSD-Therapie in dieser vulnerablen Patientengruppe zu berücksichtigen: erstens ist der Einsatz erschwert durch verschiedene physiologische und metabolische Veränderungen wie z.B. renale Funktionseinschränkung, Reduktion der gastrointestinalen Motilität, Abnahme der Leberperfusion, der Resorption im Darmtrakt und der Plasmaträgerproteine sowie erhöhte Sensitivität gegenüber Psychopharmaka. Zweitens ist der Einsatz dieser Substanzen mit erhöhtem Risiko für Mortalität, zerebrovaskuläre Ereignisse und Stürze verbunden. Zusätzlich sind kardiale und metabolische Nebenwirkungen sowie Blutbildveränderungen und Thrombosen zu beachten. Deswegen sind Grundsätze einzuhalten (Tabelle 1).
Die Anwendung von Psychopharmaka soll nach einer Nutzen-/Risiko-Abwägung zeitlich limitiert, indikationsgerecht, in möglichst niedriger Dosierung und unter Monitoring erfolgen. Zu Beginn soll eine ausführliche klinische Untersuchung durchgeführt werden mit Anamnese (inkl. Familien-, Fremd- und Medikamentenanamnese), Labordiagnostik und EKG. Die Standard-Diagnostik in der Alterspsychiatrie berücksichtigt Multimorbidität und hirnorganische Veränderungen (Tabelle 2). Sie kann um EEG, neuropsychologisches Assessment, Liquor und Bildgebung erweitert werden. Mögliche Nebenwirkungen und Medikamenteninteraktionen sind laufend zu überwachen. Im Verlauf sollen die klinische Untersuchung, Labordiagnostik und EKG regelmässig wiederholt werden. Wenn BPSD sich zurückentwickeln, sind Reduktions- und Absetzversuche vorzunehmen.

Antidementiva

Acetylcholinesterase-Hemmer (AChE) wie Donepezil, Rivastigmin und Galantamin werden bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz (AD) eingesetzt, während Memantin bei mittelschwerer bis schwerer AD indiziert ist. Neben ihren kognitionsstabilisierenden Effekten über einen begrenzten Zeitraum hinweg haben diese Substanzen positive Wirkungen auf BPSD. Donepezil ist am besten untersucht. Neuere Meta-Analysen zeigen eine moderate Wirkung für AChE vor allem bei Apathie, Depression und Irritabilität, während Memantin vor allem bei Agitation, Aggressivität, Wahn und Halluzinationen wirksam zu sein scheint. Sie sind besser verträglich als andere Psychopharmaka bei BPSD und für die AChE ist nachgewiesen worden, dass sie das Mortalitätsrisiko reduzieren. Sie helfen den Einsatz von anderen Psychopharmaka zu reduzieren. Aufgrund ihres positiven Nutzen-/Risiko-Profils und der guten Verträglichkeit werden diese Substanzen als Medikament der ersten Wahl bei BPSD empfohlen.
Der standardisierte Ginkgo Biloba-Extrakt zählt zu den Substanzen mit kognitiven und neuroprotektiven Effekten. Über Neurotransmitter-Veränderungen sind auch Wirkungen auf Symptome wie Angst, Depression, Irritabilität, Unruhe, Schlafstörungen, Wahn und Halluzinationen nachgewiesen. Eine gute Therapieadhärenz ist notwendig, um eine gute Wirksamkeit zu erzielen.

Antidepressiva

Die Hälfte der Betroffenen mit einer Demenz-Erkrankung zeigt depressive Symptome. Die Früherkennung und eine effektive Therapie können helfen, Kognition und Alltagsfähigkeiten zu verbessern. Die beste klinische Evidenz bei Menschen mit Demenz besteht für die Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) Citalopram/Escitalopram. Diese sind Antidepressiva der ersten Wahl und sind auch bei Agitiertheit wirksam. Allerdings besteht eine Blackbox-Warnung wegen der Verlängerung des QTc-Intervalls. Deswegen sind regelmässige EKG-Kontrollen notwendig.
Trizyklische Antidepressiva werden aufgrund ihres anticholinergen Nebenwirkungspotentials bei älteren Personen nicht empfohlen. Fluoxetin wird wegen des hohen Interaktionspotentials mit anderen Medikamenten ebenfalls nicht empfohlen. Für Agomelatin und Trazodon kann keine Empfehlung für Depression, aber für Schlafstörungen ausgesprochen werden. Für Mirtazapin aktuell keine Empfehlung. Dagegen kann Moclobemid in Erwägung gezogen werden.
Nach dem Einsetzen des Antidepressivums sollen regelmässig klinische Evaluation mit Überprüfung der Nebenwirkungen stattfinden. Bei fehlender Wirksamkeit nach 4-6 Wochen Therapiedauer kann die Medikation ersetzt werden.

Antipsychotika

Wenn andere alternative Therapien nicht ausreichen, kann bei den Zielsymptomen Wahn, Halluzinationen, Agitiertheit und Aggressivität eine Intervention mit Antipsychotika erwogen werden [3]. Der Einsatz dieser Substanzen ist mit erhöhten Mortalitätsraten und Nebenwirkungen wie extrapyramidal-motorische Symptomen (EPS), Sedierung, kardialen Symptomen, orthostatischer Dysregulation, metabolischen Veränderungen, kognitivem Abbau sowie erhöhtem Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse verbunden. Deswegen sollen sie zeitlich limitiert und in möglichst niedriger Dosierung eingesetzt werden. Vor der Therapie sollen eine ausführliche klinische Anamnese, EKG und Laborkontrolle durchgeführt, Interaktionen und Nebenwirkungen überwacht und alle vier Wochen eine Indikationsüberprüfung durchgeführt werden.
Atypische Antipsychotika werden aufgrund ihres besseren Nutzen-/Risiko-Profils bevorzugt eingesetzt. Auch aufgrund von oft auftretenden EPS sowie den anticholinergen Nebenwirkungen werden typische Antipsychotika bei Betroffenen mit Demenz nicht empfohlen. Eine Ausnahme ist Haloperidol bei Übergängen zum Delir sowie bei persistierender Aggression und psychotischen Symptomen.
Von den atypischen Antipsychotika ist Risperidon (0.5-2mg/d) die einzige Substanz, die bei BPSD in der Schweiz zugelassen ist. Der Einsatz der anderen typischen Anti-psychotika ist Off-Label. Wenn Risperidon aufgrund von Nebenwirkungen (vor allem EPS) nicht eingesetzt werden kann, sind Aripiprazol, Quetiapin, Olanzapin und neuerdings auch Brexpiprazol eine Alternative. Beim Einsatz dieser Substanzen sind die Kriterien Wirkspektrum (sedierend/hohe antipsychotische Potenz), geringe anticholinerge Wirkung, Nebenwirkungsprofil und Komorbiditäten zu beachten. Sie sollen möglichst als Monotherapie verabreicht werden. Wenn bei 4-wöchiger Indikationsprüfung ein Absetzen der Substanz geplant ist, soll die Reduktion nach Kommunikation mit dem/der Betroffenen und seinen/ihren Angehörigen schrittweise erfolgen. Der Verlauf soll alle 2-4 Wochen auf erneute BPSD hin beobachtet werden.

Benzodiazepine und analoge Hypnotika

Benzodiazepine und analoge Hypnotika können eine Reihe von Nebenwirkungen wie Sedierung, psychomotorische Störungen und Verlangsamung exekutiver Funktionen herbeiführen. Sie können Delir und Stürze verursachen, und bei längerer Einnahme eine Abhängigkeitserkrankung. Deswegen werden sie bei BPSD grundsätzlich nicht empfohlen [3]. Wenn in Notfallsituationen wie extreme Agitation, Aggressivität oder Suizidalität diese trotzdem eingesetzt werden müssen, sollen sie zeitlich limitiert (max.3-4 Wochen, weil dann die Toleranzentwicklung eintritt) und als Bedarfsmedikation eingesetzt werden, jedoch nicht als regelmässige Abgabe. Grundsätzlich sollen wegen Kumulationsgefahr nur Substanzen mit kürzerer Halbwertzeit (Lorazepam, Oxazepam) verwendet werden. Benzodiazepine sind bei Schlafstörungen nicht indiziert. Für Benzodiazepin-analoge Hypnotika besteht zwar die Indikation bei chronischen Schlafstörungen, aber bei Betroffenen mit Demenz gelten dieselben Einschränkungen wie bei Benzodiazepinen.

Hypnotisch wirksame Substanzen

Bei Insomnie können – insbesondere, wenn eine längerfristige Gabe notwendig erscheint – weitere Substanzen unter Berücksichtigung des gesamten psychopathologischen Bildes und des Nebenwirkungsprofils eingesetzt werden [3]. Schlaf-anstossende Antidepressiva wie Trazodon, Mirtazapin und Agomelatin sind vor allem bei Schlafstörungen und zudem bei bestehender Depression indiziert. Substanzen mit anticholinergen Nebenwirkungen sollen vermieden werden. Antipsychotika wie Quetiapin und Pipamperon werden oft wegen ihrer sedierenden Wirkung eingesetzt. Es gelten die Grundsätze der psychopharmakologischen Therapie und eine zeitliche Limitierung.
Für Melatonin-Agonisten, Pregabalin und Gabapentin sind Hinweise vorhanden, dass sie bei Schlafstörungen bei Demenz wirksam sind. Chloralhydrat, Chlomethiazol, Diphenhydramin, Doxylamin und Promethazin sollen bei Demenz nicht eingesetzt werden. Neue Substanzen wie Orexin-Rezeptor-Antagonisten sind noch in der Entwicklungsphase.

Antikonvulsiva und Phasenprophylaktika

Carbamazepin ist zwar bei Aggressivität gut wirksam, wird aber wegen Nebenwirkungen wie Ataxie, Schwindel, Hypotonie, Verwirrtheitszuständen, Sedierung und Lebertoxizität bei BPSD nicht als Therapie der ersten und zweiten Wahl empfohlen [3]. Der Einsatz erfolgt Off-Label, regelmässige Laborkontrollen sind notwendig. Gabapentin und Pregabalin sind vor allem bei komorbiden neuropathischen Schmerzen eine Alternative. Lamotrigin kann trotz fehlender Evidenz wegen der niedrigen Nebenwirkungsrate eingesetzt werden. Da es langsam aufdosiert werden muss, eignet es sich nicht als Akutmedikation. Topiramat kann kognitive Störungen verursachen. Für Levatiracetam kann aktuell keine Empfehlung abgegeben werden. Oxcarbazin, Valproat und Lithium werden wegen des schlechten Nebenwirkungsprofils nicht empfohlen. Bei Perampanel, Lacosamid und Brivaracetam ist die Datenlage für eine Empfehlung noch unklar.

Analgetika

Schmerzen können BPSD verursachen oder verstärken, vor allem Agitiertheit und Aggressivität [3]. Deswegen ist die Schmerzbehandlung Teil der BPSD-Therapie. Betroffene mit Demenz können aber Schmerzen oft nicht zum Ausdruck bringen. Deswegen soll das Assessment um Fremdbeurteilungsskalen wie z.B. PAINAD (Pain Assessment in Advanced Dementia Scale) erweitert werden.
Für die Behandlung von neuropathischen Schmerzen bei älteren Personen werden folgende Substanzen empfohlen: Duloxetin als Antidepressivum, Gabapentin, Pregabalin, Lidocain zur topischen Anwendung, und Tramadol und Oxycodon als Opioide. Wobei Opioide sehr zurückhaltend und zeitlich limitiert eingesetzt werden sollen, wegen der sedierenden und delirogenen Wirkungen und des Abhängigkeitspotentials. Im Alter vermieden werden sollen Substanzen wie Indometacin, Acemetacin, Ketoprofen, Proxicam, Meloxicam, Phenylbutazon, Etoricoxib und Pethidin. Es werden auch zunehmend Cannabinoide eingesetzt, die vor allem bei Agitiertheit wirksam sind.

Biologische Verfahren

Lichttherapie
Lichttherapie ist bei zirkadianen Rhythmus- und Schlaf-Störungen sowie bei «Sundowning Syndrom» mit abendlicher Agitiertheit wirksam [3]. Weisses Licht mit gesamtem Spektrum bis zu einer Untergrenze von 400nm wird angewendet. Die Anwendung erfolgt bei 2‘500 Lux für zwei Stunden oder 10‘000 Lux für 30 Minuten. Als Raumbeleuchtung reichen 1‘000 Lux aus.
Schlafentzug/Wachtherapie
Der Schlafentzug (gesamte Nacht, erste oder zweite Nachthälfte) wird bei der Depression erfolgreich eingesetzt. Hirnorganische Störungen stellen aber eine relative Kontraindikation dar, weil der Schlafentzug zu einer allgemeinen Zustandsverschlechterung und Verwirrtheit führen kann. Deswegen wird dieses Verfahren nicht empfohlen.
Elektrokrampftherapie (EKT)
Obwohl kontrollierte Studien fehlen, wird EKT bei therapierefraktärer BPSD, vor allem bei Agitiertheit und Aggressivität, als wirksames Verfahren eingesetzt. Dabei wird Kognition bei vorbestehender Demenz nicht dauerhaft verschlechtert. Die wichtigsten Nebenwirkungen waren Konfusion und reversible kognitive Störungen. EKT kann eine Option sein, wenn Medikamente nicht einsetzbar sind. Die Einwilligung durch den Betroffenen nach erfolgter Aufklärung (informed consent) ist meistens jedoch nicht möglich, weswegen die Behandlung mit den Angehörigen oder Betreuern zu besprechen ist, was sehr hohe Anforderungen an den Umfang der Informationspflicht stellt.
Repetitive Transkraniale Magnetstimulation (rTMS)
rTMS hat neuromodulierende und neuronale Plastizität fördernde Eigenschaften. Vor allem Betroffene mit Demenz und Depression profitieren von der Therapie. Kopfschmerzen, Benommenheit, Hörschäden und selten epileptische Anfälle sind mögliche Nebenwirkungen. Bei Personen mit ferromagnetischem Material wie z.B. Cochlea-Implantate und Herzschrittmacher sowie mit Hörproblemen und Epilepsie in der Vorgeschichte besteht eine Kontraindikation. Bei anderen interventionellen Verfahren wie Tiefe Hirnstimulation oder Vagusnervstimulation ist die Datenlage für eine Empfehlung noch unzureichend.

BPSD und Kommunikation

Eine effektive Kommunikation kann helfen, das Wohlbefinden der Betroffenen zu verbessern, ihren Stress und Angst abzubauen [3]. Sie kann auch dazu beitragen, das Stressniveau bei den Pflege- und Betreuungspersonen zu reduzieren. Grundsätzlich soll eine offene, interessierte und wertschätzende Kommunikation erfolgen. Bei eingeschränkter Sprachfähigkeit gewinnt die nonverbale Kommunikation mit Elementen wie Gesichtsausdruck, Stimmklang, Gestik, Berührung und Körperhaltung an Bedeutung. Das Tempo soll dem Betroffenen angepasst und auf die Schlüsselwörter fokussiert werden. Bei abnehmender Fähigkeit des Verstehens sollen mehr sprachbegleitende Gesten verwendet, die wichtigsten Wörter betont, Aussprache rhythmisch gestaltet und Informationen wiederholt werden.

Mit der Realitätsorientierungstherapie, der Reminiszenztherapie und der Validation stehen validierte Verfahren zur Verfügung, um die Orientierung, die Erinnerung zu verbessern, resp. um die subjektive Wirklichkeit der Betroffenen zu würdigen und zu akzeptieren. Ein wichtiger Faktor ist auch das Kommunikationstraining für die Pflege- und Betreuungspersonen: theoretische Kenntnisse über die spezifischen Herausforderungen und Kommunikationstechniken sowie praktische Übungen und Simulationen sind hilfreich. In den letzten Jahren werden zudem telemedizinische Verfahren vermehrt untersucht. Trotz technischer und regulatorischer Schwierigkeiten haben sich Video-Konferenzen bei patientenzentrierten Interventionen und telefonbasierte Interventionen bei Pflege- und Betreuungspersonen als effektiv erwiesen. Diese Verfahren reduzieren BPSD und steigern das Wohlbehalten bei hoher Akzeptanz.

Prof. Dr. med. Egemen Savaskan

Klinik für Alterspsychiatrie
Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Minervastrasse 145
8032 Zürich

egemen.savaskan@puk.zh.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

Historie
Manuskript eingereicht: 04.01.2024
Manuskript angenommen: 05.02.2024

  • BPSD wie z.B. Depression, Apathie, Agitation/Aggressivität, Wahn und Halluzinationen sind belastend für Betroffene, Angehörige und das involvierte Fachpersonal. Für deren Behandlung werden primär nicht-pharmakologische/psychosoziale Massnahmen verfolgt. Der Einsatz von Psychopharmaka kann situativ notwendig sein, was in dieser multimorbiden Patientengruppe mit Nebenwirkungen und Interaktionen verbunden sein kann.
  • Auf Evidenz und klinische Erfahrung basierende Empfehlungen, die einen interprofessionellen und interdisziplinären Ansatz befolgen, sollen die aktuellen Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie aufzeigen.
  • Die nicht-pharmakologischen Therapieoptionen stehen im Vordergrund und sollen auch dann angeboten werden, wenn Psychopharmaka zum Einsatz kommen.
  • Beim Einsatz von Psychopharmaka muss der aktuelle medizinische Standard eingehalten werden. Es soll regelmässig eine Indikationsprüfung durchgeführt und auf zeitliche Limitierung geachtet werden. Falls der Einsatz dieser Substanzen Off-Label erfolgt, muss sich die Behandlung nach den «Guidelines» der Fachgesellschaften richten.

1. Savaskan E, Bopp-Kistler I, Buerge M et al. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der behavioralen und psychologischen Symptome der Demenz (BPSD). Praxis. 2014; 103(3): 135–148.
2. Savaskan E, Bopp-Kistler I, Buerge M et al. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der behavioralen und psychologischen Symptome der Demenz (BPSD) – lange Version. https://www.sgap-sppa.ch/fileadmin/user_upload/Empfehlungen_zur_Diagnostik_und_Therapie_der_BPSD_-_November_2014.pdf
3. Savaskan E, Georgescu D, Zuniga F (Hrsg.). Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Behavioralen und Psychischen Symptome der Demenz (BPSD). Bern; Hogrefe: 2024.

Formen interprofessioneller Zusammenarbeit in der ambulanten Gesundheitsversorgung – Eine fallübergreifende Analyse in der deutschsprachigen Schweiz

Die Qualität der Versorgung chronisch kranker Menschen soll durch eine verstärkte interprofessionelle Zusammenarbeit (IPZ) verbessert werden. Bisher konzentrieren sich (Forschungs-) Projekte zur IPZ meist auf den stationären Bereich. Ziel war es, mittels eines multiplen Fallstudiendesigns Formen von IPZ in der Grundversorgung zu untersuchen, um fördernde und hemmende Faktoren zu identifizieren. Zu den Faktoren, die die Implementierung von IPZ förderten, gehörten eine verantwortliche Person, die für diese Leistung angestellt wurde, unterstützende Schulungsmassnahmen, sowie die Einführung evidenzbasierter Interventionen. Insgesamt schienen die Anreize zur Implementierung von IPZ unzureichend und die Bedürfnisse chronisch kranker Menschen wenig integriert. Es bedarf einer systematischeren Evaluation ambulanter IPZ-Initiativen, um deren Mehrwert für eine nachhaltige Versorgung aufzuzeigen. Zentral ist eine stärkere Integration der Bedürfnisse von Patient/-innen.

Einleitung

Aufgrund einer alternden Bevölkerung nimmt die Zahl von chronisch kranken, multimorbiden Menschen mit Pflegebedarf zu [1]. Dies stellt die Grundversorgung aufgrund des steigenden Fachkräftemangels vor Herausforderungen [2]. Bereits 2017 lancierte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) das Förderprogramm «Interprofessionalität im Gesundheitswesen» [3]. Ziel war es, die interprofessionelle Zusammenarbeit (IPZ) zwischen den Berufsgruppen sowie die Effizienz und Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Auch unterstützte die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaft (SAMW) seit 2014 Initiativen und Aktivitäten zur Förderung der interprofessionellen Praxis und Bildung [4]. Insgesamt werden damit seit fast zehn Jahren Initiativen zur interprofessionellen Versorgung gefördert. Zwar wurden in der Grundversorgung Modelle wie «Caring Communities» im Kontext des Nationalen Forschungsprogramms „Gesundheitsversorgung“ erforscht [5-7], bisherige (Forschungs-) Projekte mit Fokus auf IPZ konzentrieren sich jedoch eher auf die stationäre Versorgung [8].
Ziel dieser Studie war es, die Erfahrungen der IPZ in der ambulanten Grundversorgung zu untersuchen, um fördernde und hemmende Faktoren zu identifizieren. Dies erfolgte anhand einer gezielten Auswahl von interprofessionellen Versorgungsformen mit Fokus auf chronisch kranke und/oder pflegebedürftige Menschen.

Methode

Ein qualitatives multiples Fallstudiendesign wurde gewählt, da es sich für die Untersuchung fallübergreifender Phänomene im realen Kontext eignet [9-11]. Es erlaubt, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den IPZ Formen herauszuarbeiten. Die Fallstudien wurden in die Studie eingeschlossen, wenn sie mindestens drei der folgenden vier Kriterien erfüllten:
– gemeindenahe ambulante Grundversorgung,
– Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen,
– Versorgung chronisch kranker und/oder
pflegebedürftiger Menschen,
– deutschsprachige Schweiz.
Entsprechend dem gewählten Studiendesign [11] erfolgte die gezielte Stichprobenziehung anhand der formulierten Kriterien auf der Basis einer Recherche im «Verzeichnis Modelle guter Praxis -Interprofessionalität» des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) [12] und einer umfassenden Internetrecherche via Google.
Pro Versorgungsform, z.B. ein im hausärztlichen Setting etabliertes Behandlungsteam aus Ärzt/-innen und Pflegefachpersonen für die Langzeitbetreuung chronisch erkrankter Personen, wurde ein semistrukturiertes Interview mit einer verantwortlichen Person geführt, die entweder die Initiative oder die Evaluation leitete. Ergänzend wurden Dokumentationsmaterialen gesichtet. Der Interviewleitfaden wurde in Anlehnung an den Konsolidierten Rahmen für die Implementierungsforschung (CFIR) [13] und die Charta für Interprofessionalität [4] entwickelt und umfasste folgende Themen: 1. Projektentwicklung; 2. Ziele und Wirkungen; 3. Voraussetzungen, Einflussfaktoren und Anreize; 4. Weiteres.
Alle Interviews wurden zwischen September 2022 und Mai 2023 online durchgeführt und aufgezeichnet. Die Teilnehmenden wurden über den Zweck der Studie, die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Möglichkeit, diese jederzeit zu beenden, informiert. Alle stimmten der Teilnahme per Email und mündlich zu. Sie erhielten Einsicht in die Ergebnisse und stimmten der vorliegenden Veröffentlichung zu. Die deduktiv-induktive Datenanalyse erfolgte in Anlehnung an die Framework Methode [14].

Ergebnisse

Acht Versorgungsinitiativen wurden identifiziert und die Verantwortlichen angeschrieben. Eine Person antwortete nicht und eine weitere lehnte die Teilnahme ab. Insgesamt wurden sechs Versorgungsformen für Interviews (Tabelle 1; 1-6) einbezogen.

Ziele und Zielgruppen

Wie Tabelle 1 zeigt, unterscheiden sich die IPZ-Ansätze. Allen gemeinsam ist das Ziel, durch IPZ zu einer qualitativ besseren und effizienteren Gesundheitsversorgung und Prävention beizutragen. Einige Initiativen sind stärker präventiv ausgerichtet. Andere haben eine über die Gesundheitsversorgung hinausgehende Grundversorgung zum Ziel. Die Zielgruppe wird nur punktuell mit in die Entwicklung eingebunden.

Interventionen

Die vorgestellten IPZ-Initiativen sind an unterschiedliche internationale Konzepte angelehnt und erreichen IPZ mittels Interventionen im Bildungsbereich und in der Praxis, dargestellt in Tabelle 2.
Interventionen im Bildungsbereich ist gemein, dass sie die jeweiligen Fachpersonen bestärken, in eine neue Rolle innerhalb eines interprofessionellen Teams hineinzuwachsen: Die Projekte «Sicher durch den Alltag» und «StoppSturz» basieren auf einer interprofessionell entwickelten Aus- bzw. Weiterbildung, die Fachpersonen auf Hausbesuche zur Sturzrisikoreduktion vorbereitet (Tabelle 1; 1,6). Bei «StoppSturz» werden, nach der Risikoeinschätzung, Massnahmen für ein interprofessionelles Team erarbeitet (I6). Das Projekt «Pflegegeleitetes Versorgungsmodell in Schweizer Pflegeinstitutionen: Verbesserung der interprofessionellen Pflege für bessere Bewohnerergebnisse», kurz «INTERCARE», unterstützt Pflegende, eine IPZ-Führungsrolle mittels Weiterbildung und Coaching zu übernehmen (I2). Bildungsmassnahmen vermitteln direkt oder indirekt zentrale Kompetenzen für die Arbeiten im interprofessionellen Team.
Interventionen in der Praxis zielen darauf ab, die Prozesse der Zusammenarbeit zu verändern. Dazu gehört die Einführung regelmässiger, gemeinsamer Besprechungen. Diese wurden erfolgreich etabliert, insofern die Organisation von Personen verantwortet wurde, die gezielt gefördert und geschult wurden bzw. die Besprechungen an den Kontext angepasst wurden. Kooperationsprozesse wurden zudem durch evidenzbasierte Instrumente zur Verbesserung der Kommunikation im interprofessionellen Team unterstützt: Im Projekt «INTERCARE» befähigte die Einführung von ISBAR («Introduction, Situation, Background, Assessment, Recommendation»), einem evidenzbasierten Instrument zur Verbesserung der klinischen interprofessionellen Kommunikation, Pflegende, das Reporting gegenüber Ärzt/-innen klarer zu strukturieren [15]. Der Verein «xunds-grauholz» hat Tools zur Unterstützung der Kommunikation im multidisziplinären Team eingeführt (I3). Die Spitex Zürich hat den «StoppSturz»-Ansatz zur evidenzbasierten und strukturierten Sturzprävention im häuslichen Umfeld übernommen (I6). Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie Fachpersonen befähigen, eine aktive, partnerschaftliche Rolle einzunehmen und dadurch zur Klärung von Zuständigkeiten und Rollen beizutragen. Auch wird somit ein abgestimmtes Handeln der verschiedenen Fachpersonen unterstützt. Es wird berichtet, dass so Barrieren abgebaut, informelle Begegnungen gefördert, und Vertrauen gestärkt werden können.
Für den Erfolg von IPZ, insbesondere mit der Ärzteschaft, scheint der direkte Austausch und die persönliche Zusammenarbeit zentral zu sein. Dies scheint dort möglich, wo ÄrztInnen Teil des IPZ-Teams vor Ort sind (z.B. Hausarztpraxis, Pflegeheim) und Arbeitsentlastung erfahren. Hier kann die Verlagerung ärztlicher Tätigkeiten auf Fachpersonal gelingen. Andererseits erscheint die Zusammenarbeit dort herausfordernd, wo Rollen, Aufgaben und Interessen divers sind oder die Barrieren der Zusammenarbeit aufgrund von räumlicher, institutioneller, interorganisationaler Distanz erhöht sind. Auch braucht es einen Mehrwert für die beteiligte Ärzteschaft: Im Kontext von «Medi Porta» – einem Projekt, das Apotheke und Arztpraxis vereint [16]- zeigte sich, dass der IPZ-basierte Walk-in zwar als Entlastung für die Hausärzteschaft geplant war, dies jedoch nicht mittels des Projekts realisiert werden konnte (I5). Im Projekt «Soziale Arbeit in der Arztpraxis» führte die IPZ hingegen zu einer deutlichen Entlastung der Hausärzteschaft, die sich so auf die ärztliche Sprechstunde konzentrieren können [17].
Drei der Initiativen wurden auf Projektebene evaluiert («INTERCARE», «Sicher durch den Alltag», «Soziale Arbeit in der Arztpraxis») und konnten den Mehrwert der IPZ belegen: Zielgruppen und beteiligte Berufsgruppen zeigten eine hohe Zufriedenheit [15, 17, 18]. Die Attraktivität der Arbeit in «INTERCARE»-Pflegeeinrichtungen wurde erhöht, gemessen an einer steigenden Zahl von Bewerbungen von Pflegekräften. Die Versorgung der Zielgruppe wurde verbessert: die Sturzrate wurde reduziert [18], ungeplante Spitalaufenthalte wurden verringert [19], die finanzielle, soziale und physische Gesundheit wurde verbessert [17]. Die Sturzprävention wirkte zu 48 Prozent kosteneinsparend [18]. Das «INTERCARE»-Programm konnte zu einer effektiveren Versorgung beitragen [20]. Auch wenn nicht alle Initiativen evaluiert wurden, so wurde doch von einer gesteigerten Mitarbeiterzufriedenheit («xunds-grauholz», «Soziale Arbeit in der Arztpraxis», I3,4) sowie einer Verbesserung und Strukturierung der Abläufe und der Zusammenarbeit mit den Patient/-innen berichtet («StoppSturz», «xunds-grauholz», «Soziale Arbeit in der Arztpraxis», I3,4,6).

Organisation und Finanzierung

Die Organisation und Finanzierung der IPZ ist vielfältig. Wird die IPZ innerhalb eines Leistungserbringers realisiert (z.B. Pflegeheim), erfolgt die Umsetzung der Massnahmen über das jeweilige Finanzierungssystem. Wird die IPZ zwischen verschiedenen Leistungserbringern erbracht, geht dies mit einer Vielfalt an Finanzierungsformen einher, ergänzt durch projektgebundene Mittel: Während die Weiterbildungen in den Präventions-Projekten «Sicher durch den Alltag» und «StoppSturz» von den Institutionen selbst getragen werden, werden die Kosten für Abklärungen und Massnahmen von Krankenversicherern, privaten Zusatzversicherungen oder teilweise über kantonale Subventionen abgegolten (Tabelle 1: 1,6). Im Projekt «Soziale Arbeit in der Arztpraxis» realisieren die Praxen verschiedene Finanzierungsansätze für die Anstellung der Sozialarbeiter/-innen (Praxisertrag, Stiftungen, Gemeinden oder Kanton, I4). Das komplexeste Finanzierungssystem setzt der Verein «xunds-grauholz» um (I4). Die Leistungen werden ehrenamtlich erbracht, Sponsoren unterstützen und es werden projektbezogene Mittel akquiriert.

Diskussion

Diese Studie untersucht anhand eines qualitativen multiplen Fallstudiendesigns [11] hemmende und fördernde Faktoren für IPZ in der Schweizerischen Grundversorgung. Wurde IPZ zwischen verschiedenen Leistungserbringern angestrebt, brauchte es vielfältige Finanzierungslösungen. Diese Vielfalt verweist auf aktuelle Versorgungslücken, die Koordination, Gesundheitsförderung und Prävention nicht hinreichend vergüten [21]. Wird IPZ innerhalb einer Organisation (z.B. Pflegeheim) realisiert, erscheinen die Hürden zur Umsetzung der IPZ zwischen den unterschiedlichen Mitarbeitenden geringer [22]. Dabei trägt die Verantwortung für Risiko und Verstetigung der IPZ der einzelne Leistungserbringer, der vom potentiellen Mehrwert profitiert. Damit rücken Personen bzw. einzelne Initiativen in den Vordergrund, die in Vorleistung gehen, um IPZ zu realisieren. Diese Personenabhängigkeit und der individuelle Aufwand sind für den Schweizer Kontext belegt [1, 7], auch das finanzielle Hürden den Nutzen von IPZ reduzieren [23].
Die Ergebnisse zeigen, dass IPZ dort funktioniert, wo Personen für das Management der IPZ-Massnahmen verantwortlich sind. Für die Befähigung zum Rollenwechsel waren Bildungsinterventionen zentral. INTERCARE leitet Pflegende an, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen und begleitet dies durch Coaching. Bildungsangebote sollten jedoch nicht nur Wissen vermitteln sondern IPZ-relevante Kompetenzen zu Gruppendynamik und Problemlösungsstrategien einüben, um diese in der Praxis zu verstetigen [24]. Dies schien auch die Berufsattraktivität zu steigern. Die Ergebnisse unterstreichen zudem die Bedeutung von neuen kontextangepassten Kommunikationsroutinen, die die Vernetzung zwischen den Berufsgruppen und auch den Patient/-innen unterstützen. Der schnelle, teils informelle Austausch scheinen zentral zu sein. Dies deckt sich mit vorliegenden Studienergebnissen [1, 21, 25, 26]. Besprechungen ermöglichen die Umverteilung von Aufgaben [22]. Gegenseitiger Austausch und kontinuierliche Beziehungspflege sowie standardisierte Prozesse und Organisationsstrukturen tragen zum Gelingen bei, da sie klare Regeln und Rahmenbedingungen vorgeben [26, 27]. Wichtig erscheint, dass die Initiativen von interprofessionellen Teams erarbeitet wurden, nicht nur um einen Austausch auf Augenhöhe zu unterstützen, sondern alle relevanten Arbeitsabläufe und Prozesse aus unterschiedlichen Perspektiven zu berücksichtigen und zu stärken. Der Einsatz von elektronischen Datenbanken und digitalen Tools wie Apps schien bisher weniger gebräuchlich.
Hausärzt/-innen spielen eine zentrale Rolle. Diese lancieren teils selbst IPZ-Initiativen, investieren Zeit und Ressourcen, während zugleich die Zusammenarbeit mit Hausärzt/-innen nur dann gelingt, wenn für diese der direkte Mehrwert und Arbeitsentlastung spürbar ist. Dies ist im Einklang mit bestehender Literatur, die territoriales Verhalten und einen «Revierkampf» zwischen Berufsgruppen in der Grundversorgung attestiert [21, 27]. Daher ist festzuhalten, dass IPZ dort gelingt wo diese finanziert ist und ein zeitlicher wie beruflicher Mehrwert für alle involvierte Berufsgruppen entsteht.
Obwohl Patientenzentriertheit als kennzeichnend für die IPZ angesehen wird [4], werden Erfahrungen von Patient/-innen nur punktuell integriert. Einzig xunds-grauholz und die beiden Sturzpräventions’ Interventionen berücksichtigen durchgehend deren Bedürfnisse. Die Einbeziehung von Patient/-innen für die (Weiter)Entwicklung des Gesundheitswesens wird jedoch als zentral erachtet [5, 7]. Wenn Gemeinden und Kantone dahingehend partizipative Initiativen und die Vernetzung von etwa Pflege und medizinischer Behandlung im Sinne einer integrierten Versorgung unterstützen [7], kann dies auch eine stärkere Berücksichtigung von sozialen Aspekten von Gesundheit fördern [5, 28, 29].
Bei der Einordnung der Studienergebnisse ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des gewählten Studiendesigns zwar vertiefte Einblicke in ausgewählte Formen von IPZ gegeben werden können, jedoch kein repräsentatives Bild gezeichnet werden kann [11], da die Stichprobe mit insgesamt sechs Initiativen überschaubar ist. Dennoch wird ein vertieftes Bild zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden herausgearbeitet und die Ergebnisse der Interviews korrespondieren mit den Ergebnissen der Dokumentenanalyse. Das Manuskript wurde durch die Interviewpartner/-innen validiert.

Schlussfolgerung

Soll IPZ in der Grundversorgung gelingen, braucht es eine strategische Verankerung und nachhaltige Unterstützung von allen Akteuren des Gesundheitswesens. Neue interprofessionelle Versorgungsformen könnten auf Gemeindeeben geschaffen werden, gerade weil diese eng mit dem Gemeinwesen verbunden ist. Dies ermöglicht die Integration der Bereiche Gesundheit, Soziales und Gemeinwesen/Ehrenamt, die für die Versorgung chronisch Kranker von zentraler Bedeutung sind. Dies setzt neue Rollen und Tätigkeiten der Gesundheits- und Sozialberufe voraus.
IPZ kann dort gelingen, wo ein zeitlicher wie beruflicher Mehrwert für alle involvierten Berufsgruppen entsteht. Hausärzt/-innen spielen nach wie vor eine Schlüsselrolle in gelingender IPZ – und können dazu nicht nur einen wichtigen Beitrag leisten, sondern einen Mehrwert durch Arbeitsentlastung erfahren.
Postgraduale Bildungsmassnahmen müssen Fachkräfte befähigen und dabei begleiten, IPZ Prozesse – auch gegen Widerstand – einzuführen und zu verantworten. Dazu braucht es Kompetenzvermittlung, die in der Praxis verstetigt wird; auch indem innovative, digitale Methoden Anwendung finden, die eine flexible und didaktisch hochwertige Weiterbildung gewährleisten.
Schlussendlich braucht es mehr Forschung, die IPZ und deren Mehrwert aus der Perspektive von Patient/-innen untersucht. Nur so kann eine interprofessionelle Versorgung von chronisch kranken Menschen auch bei ansteigendem Fachkräftemangel nachhaltig realisiert werden. Insgesamt ist mehr Evidenz zur Qualität und Wirkung von IPZ Ansätzen im ambulanten Bereich nötig, die die Verschränkung von gesundheitlichen und sozialen Aspekten berücksichtigt, um so deren Beitrag zu einer nachhaltigen Grundversorgung zu belegen.

Im Artikel verwendete Abkürzungen
CFIR = Consolidated framework for implementation research oder «Konsolidierten Rahmen für die Implementationsforschung»
BAG = Bundesamt für Gesundheit
INTERCARE = Pflegegeleitetes Versorgungsmodell in Schweizer Pflegeinstitutionen: Verbesserung der interprofessionellen Pflege für bessere Bewohnerergebnisse (Nurse-led model of care in Swiss nursing homes: improving interprofessional care for better resident outcomes)
IPZ = Interprofessionelle Zusammenarbeit
ISBAR-Modell = “Introduction, Situation, Background, Assessment, Recommendation” Modell, evidenzbasiertes Modell welches die strukturierte interprofessionelle Kommunikation unterstützt – v.a. zwischen Pflegepersonal und Ärzteschaft
SAMW = Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften

Dr. Jana Gerold, PhD

Schweizerisches Tropen- und Public Health Institut
Universität Basel
Kreuzstrasse 2
CH-4123 Allschwil

jana.gerold@swisstph.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

Historie
Manuskript eingereicht: 04.10.2023
Nach Revision angenommen: 22.01.2024

  • Alle Akteure des Gesundheitswesens sollten IPZ Vorhaben im ambulanten Bereich stärker (finanziell) unterstützen.
  • IPZ in der ambulanten Versorgung scheint dort zu gelingen, wo Hausärzt/-innen, Pflege(fach)personen und andere Fachpersonen des Gesundheits- und Sozialwesens auf Augenhöhe Initiativen zur IPZ erarbeiten und umsetzen.
  • Die Förderung der Autonomie und Lebensqualität von Patient/-innen kann nur dort gelingen, wo ihre Rückmeldungen eine Rolle in der Gestaltung der IPZ spielen.
  • Innovative Bildungsansätze sind zentral für die Umsetzung von IPZ, insbesondere solche, die Gesundheitsfachkräfte befähigen, in eine neue Rolle hineinzuwachsen.

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Interprofessionelle Zusammenarbeit in der ambulanten Gesundheitsversorgung

Einführung

Das Management der Patientengesundheit erfordert ein interprofessionelles Gesundheitsteam. In der Allgemeinmedizin ist interdisziplinäre Zusammenarbeit entscheidend, um Fragmentierung und Ineffizienzen, die aus der traditionellen, auf isolierten Fachrichtungen basierenden Struktur des Gesundheitswesens resultieren, zu überwinden (1). Diese Kooperation verbessert die patientenzentrierte Versorgung, da sie umfassende Behandlungspläne ermöglicht, die sowohl physische als auch psychosoziale Aspekte berücksichtigen (2).
Zudem trägt interdisziplinäres Arbeiten zur Optimierung des Gesundheitssystems bei, indem es die Ressourcenallokation und die Kommunikation effizienter gestaltet (3). Innovation und Problemlösung werden durch die Vielfalt der Perspektiven und Kenntnisse gefördert, die in einem interdisziplinären Team zusammenkommen (4). Darüber hinaus werden die berufliche Entwicklung und der Wissensaustausch unter Gesundheitsdienstleistern gestärkt (5).
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Adressierung sozialer Determinanten der Gesundheit. Ein multidisziplinäres Team kann dabei helfen, soziale Einflussfaktoren auf die Gesundheit zu erkennen und zu mildern (5).
Allerdings müssen Herausforderungen wie Kommunikationsbarrieren überwunden werden, um eine wirksame Zusammenarbeit zu gewährleisten (6).
Die aktuelle Studie, die sich mit der interprofessionellen Zusammenarbeit in der ambulanten Grundversorgung befasst, unterstreicht die Wichtigkeit dieses Aspekts (7). Ihr Ziel ist es, sowohl die fördernden als auch die hemmenden Faktoren in der interprofessionellen Patientenversorgung zu erforschen und zu beleuchten.

Dr. med. Katja Weiss

Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich
(IHAMZ)
Pestalozzistrasse 24, 8091 Zürich

katja@weiss.co.com

1. Braithwaite J, Westbrook M. Rethinking clinical organisational structures: an attitude survey of doctors, nurses and allied health staff in clinical directorates. J Health Serv Res Policy. 2005;10(1):10-7.
2. Elsayem A, Swint K, Fisch MJ, Palmer JL, Reddy S, Walker P, et al. Palliative care inpatient service in a comprehensive cancer center: clinical and financial outcomes. J Clin Oncol. 2004;22(10):2008-14.
3. Reeves S, Lewin S, Espin S, Zwarenstein M. Interprofessional Teamwork in Health and Social Care2010.
4. Baer M, Frese M. Innovation is Not Enough: Climates for Initiative and Psychological Safety, Process Innovations, and Firm Performance. Journal of Organizational Behavior. 2003;24:45-68.
5. Bosch B, Mansell H. Interprofessional collaboration in health care: Lessons to be learned from competitive sports. Can Pharm J (Ott). 2015;148(4):176-9.
6. Kvarnström S. Difficulties in collaboration: A critical incident study of interprofessional healthcare teamwork. Journal of Interprofessional Care. 2008;22(2):191-203.
7. Bettina Schwind, Formen interprofessioneller Zusammenarbeit in der ambulanten Gesundheitsversorgung. Eine fallübergreifende Analyse in der deutschsprachigen Schweiz, PRAXIS 2024. 113(02): 28-33.