Eine seltene Ursache für die Reizung des Nervus medianus

Eine Läsion des Nervus medianus aufgrund einer Nervenkompression im Sinn eines Karpaltunnelsyndroms ist mit einer Inzidenz von 3,3–3,45 Fälle auf 1000 Personen und Jahr sehr häufig. In der vorliegenden Fallberichtserie berichten wir über Kompressionen des Nervus medianus nach dem Tragen einer Smartwatch, was unseres Wissens vorher nicht in der Literatur beschrieben wurde. Beschrieben werden fünf Patienten mit typischer Karpaltunnelsymptomatik und pathologisch sensibler Neurografie bei mehrwöchigem engem Tragen einer Smartwatch über 24 h/Tag zur Detektion eines Vorhofflimmerns, deren Beschwerden und Elektrophysiologie sich nach Tragstopp wieder besserten. Smartwatches können eine interessante Ergänzung für die Diagnose verschiedener Erkrankungen – zum Beispiel Herzrhythmusstörungen – sein. Allerdings kann das dafür notwendige enge Tragen möglicherweise auch eine Kompression des Medianusnervs begünstigen und zu Beschwerden wie bei einem Karpaltunnelsyndrom führen. Um Schmerzen beim Tragen einer Smartwatch zu vermeiden, ist es gemäss Hersteller wichtig, beim Kauf die richtige Bandgrösse zu wählen und die Uhr nur sehr enganliegend zu lassen, wenn Sie die Sensoren benötigen (ohne sich dabei unwohl zu fühlen) und sonst das Armband locker zu tragen, es abzunehmen oder das Handgelenk zu wechseln.
Schlüsselwörter: Nervus medianus, Smartwatch, Nervenkompression

A Rare Cause for Median Nerve Irritation

A lesion of the median nerve due to nerve compression comparable to carpal tunnel syndrome is very common, with an incidence of 3.3 to 3.45 cases per 1000 inhabitants and year. In the present case series, we report compressions of the ­median nerve due to wearing a smartwatch, which to our knowledge has not been previously reported in the literature. We ­describe five patients with typical carpal tunnel symptoms and pathological sensory neurography who had been wearing a smartwatch more than 24 hours/day for several weeks to detect atrial fibrillation, and whose symptoms and electrophysiology improved after they stopped wearing it. Smartwatches can be an interesting additional gadget for diagnosing diseases such as cardiac arrhythmias. However, the tight wearing that is necessary can possibly also compress the median nerve and lead to symptoms such as the carpal tunnel syndrome. According to the manufacturer, it is important to choose the right strap size when buying and only leave the watch very tight when you need the sensors (but without feeling uncomfortable) and otherwise to tie the strap loosely, to take it off or alternate the wrist in order to avoid pain and injury.
Keywords: Median nerve, smart watch, nerve compression

Une cause plus rare d‘irritation du nerf médian

Une lésion du nerf médian par compression nerveuse au sens de syndrome du canal carpien est très fréquente avec une incidence de 3,3 à 3,45 cas pour mille habitants et par an. Dans la présente série de cas, nous rapportons des compressions du nerf médian dues au port d‘une montre connectée qui, à notre connaissance, n‘ont jamais été rapportées dans la littérature. Cinq patients présentant des symptômes typiques du canal carpien et une neurographie sensorielle pathologique qui ont porté une montre intelligente plus de 24 heures sur 24 pendant plusieurs semaines pour détecter une fibrillation auriculaire et dont les symptômes et l‘électrophysiologie se sont améliorés après l‘arrêt du port. Les montres connectées peuvent être un complément intéressant pour le diagnostic de diverses maladies telles que les arythmies cardiaques. Cependant, le port serré qui est nécessaire pour cela peut également favoriser la compression du nerf médian et entraîner des symptômes tel que le syndrome du canal carpien. Selon le fabricant, pour éviter les douleurs lors du port d’une montre intelligente, il est important de choisir la bonne taille de bracelet lors de l‘achat et de ne laisser la montre très serrée que lorsque vous avez besoin des capteurs (sans vous sentir mal à l‘aise) et sinon porter le bracelet lâchement, l‘enlever ou changer de poignet.
Mots-clés: Nerf médian, montre intelligente, compression nerveuse

Hintergrund

Erkrankungen des Nervus medianus gehören zu den häufigsten peripheren Neuropathien, wovon der Grossteil durch eine Störung distal des Handgelenks entsteht. Das Karpaltunnelsyndrom ist das mit Abstand häufigste Engpasssyndrom und macht ca. 45 % aller nicht traumatischen Nervenschädigungen aus. Etwa jeder sechste Erwachsene ist hiervon mehr oder weniger betroffen. Dabei handelt sich um eine Druckschädigung des N. medianus durch ­einen anatomischen Engpass [1] als konstitutionelle Prädisposition oder eine Variante des Os hamatum [2]. Auslöser ist eine Volumenverschiebung und es kommt aufgrund der anatomischen Gegebenheiten zu einer Druckzunahme. Der physiologische Druck im Karpaltunnel beträgt 2–10 mmHg. Druckerhöhungen im Karpalkanal führen zu einer Kompression der Venolen, später auch der Arteriolen und Kapillaren des Epi- und Perineuriums, die dann auch eine Ischämie des N. medianus zur Folge haben. Die Inzidenz wurde in zwei separaten Studien mit 3,3 Fällen auf 1000 Einwohnende (italienische Studie) angegeben bzw. 3,45 Fällen in einer amerikanischer Studie [3, 4]. In einer Metaanalyse aus 87 Studien, in dem alle Artikel in den Datenbanken PubMed, Cochrane, EMBASE und Web of Science untersucht wurden, die am oder vor dem 15. Februar 2011 veröffentlicht wurden, zeigte sich eine Prävalenz von 10,6 % [5]. Das Syndrom tritt häufig beidseits auf mit einer Prävalenz von 80 % [6], und eine beidseitige Behandlungsbedürftigkeit besteht in mehr als 50 % der Fälle. Am häufigsten erkranken Menschen im Alter von 40–60 Jahren. Frauen sind wesentlich häufiger betroffen als Männer. Dabei spielt die Gravidität einen begünstigenden Faktor. Weitere Fak­toren, die die Entstehung eines Karpaltunnelsyndroms ­begünstigen, sind körperlich fordernde Tätigkeit sowie sportliche Aktivitäten wie Kegeln und Radfahren. Signi­fikante Risikofaktoren sind Übergewicht, rheumatoide ­Arthritis, Diabetes mellitus, exzessiver Alkoholkonsum sowie Dialyse aufgrund des Shunt. Dabei ist dann auch häufig der Arm, an dem der Shunt angelegt wurde, betroffen. Ausserdem kann eine übermässige Nutzung von elektronischen Handgeräten wie Smartphones oder Tablets den N. medianus und das Ligamentum carpi beeinträchtigen [7]. Seltenere Ursachen sind Leiomyome mit Bildung von Narbenneuromen [8]. Begünstigende Faktoren sind beispielsweise eine Thrombose oder ein Aneurysma der Arteria mediana [9]. Ein typisches Erstsymptom ist die Brachialgia paraesthetica nocturna, die nahezu als pathognomonisch bezeichnet werden kann. Die Ursache liegt dabei häufig in einer Flexion des Handgelenks im Schlaf. Die schmerzhaften Kribbelparästhesien, Missempfindungen und Brennschmerzen betreffen die ersten drei und den halben vierten Finger (Ringfinger) mit Schmerzausstrahlung in den Arm. Tagsüber verstärken sich die Symptome bei Tätigkeiten mit Flexion des Handgelenks wie Zeitung lesen, Stricken oder Telefonieren. Bei Seniorinnen und Senioren, die Gehhilfen benutzen, können die Griffe von Rollatoren auf den N. medianus drücken. «Ausschütteln» der Hände, Stellungswechsel oder kaltes Wasser bringen Linderung. Im fortgeschrittenen Stadium kommt es zu einer Atrophie des Thenar und zu einer Abduktions- und Oppositionschwäche des Daumens. Selten werden auch vegetative Störungen wie Hautatrophie oder Nagelveränderungen beobachtet. Die klinische Beurteilung beinhaltet neben Inspektion und Palpation die Prüfung der Oberflächen- und Stereoästhesie, die Prüfung der Motorik (Abduktions- und Oppositionstests, z.B. positives Flaschenzeichen sowie Provokationstests [am häufigsten sind der Phalen-Test und das Hoffmann-Tinel-Zeichen]). Zusätzlich gibt es Fragebögen wie das Boston Carpal Tunnel Questionnaire, CTS-6, Visuelle Analogskala. Die Provokations-Tests liefern im Frühstadium der Erkrankung wichtige Hinweise auf einen Reizzustand des N. medianus, wenn andere klinische und diagnostische Tests negativ ausfallen. Sie sind jedoch weniger sensitiv und zuverlässig und eher ein Indikator für die Tenosynovitis [10].
Der relevante und zuverlässigste Untersuch für die ­Diagnostizierung einer Funktionsstörung des Nervus medianus ist die elektoneurografische Diagnostik. Die motorische Neurografie hat eine hohe Spezifität, jedoch eine relativ niedrige Sensitivität, die sensorische Neurografie eine hohe Spezifität (98 %) und Sensitivität (89 %) [11]. Bildgebende Verfahren wie die Nervensonografie etablieren sich immer mehr in der Routinediagnostik und können vor allem eine andere Ursache einer Nervenkompression oder -veränderung, eine Nervenverletzung oder auch eine Normvariante wie den Nervus medianus bifidus nach­weisen. Die Kernspintomografie, die Computertomografie oder Röntgenaufnahmen haben einen in der Diagnose sehr geringen Stellenwert.
In dieser Fallserie berichten wir über fünf Patienten mit Beschwerden ähnlich einem Karpaltunnelsyndrom und leicht veränderter Neurografie des Nervus medianus an der nicht dominanten Hand (Tabelle 1). Alle Patienten ­trugen über mehrere Wochen 24 h/Tag eine Smartwatch (Abb. 1) zur Detektion eines Vorhofflimmerns. Hierfür muss die Uhr eng getragen werden. Die Symptome besserten sich rasch nach Ablegen der Uhr.

Ergebnisse

Eine Übersicht geben auch die Tabellen 2 und 3.

Fall 1

Ein 42-jähriger Patient wurde vom Hausarzt aufgrund eines seit drei Wochen bestehenden Kribbelns in der linken Hand vorgestellt. Der Patient berichtete, dass er das Kribbeln mittlerweile Tag und Nacht in den ersten drei Fingern, teilweise aber auch in der ganzen linken Hand ­merken würde. Auf Nachfrage gab er an, dass er sich sechs Wochen zuvor eine Smartwatch gekauft habe, um sein Herz besser beobachten zu können, und die Uhr daher sehr eng tragen müsse. In der fokussierten neurologischen ­Untersuchung zeigten sich eine Hypästhesie der Fingerkuppen der Dig I–III und des halben Dig IV links sowie ein positives Hofmann-Tinel-Zeichen links, keine Paresen und keine pathologischen Befunde der rechten Hand. Elektrophysiologisch fand sich eine normgerechte motorische Elektrophysiologie sowie im Seitenvergleich eine signifikant verminderte Amplitude links gegenüber rechts. Nervensonografisch zeigte sich eine vergrösserte Querschnittsfläche des Nervus medianus im Bereich des linken Handgelenks im Querschnitt, ohne Zeichen der Kompression unter dem Karpaldach im Längsschnitt. Nachdem der Patient vier Wochen eine volare Handgelenkschiene in der Nacht und die Smartwatch nicht mehr am Handgelenk getragen hatte, waren die Kribbelparästhesien der linken Hand nicht mehr vorhanden, und elektrophysiologisch zeigte sich eine deutlich gebesserte Amplitude in der sensiblen Neurografie des linken Nervus medianus.

Fall 2

Ein 38-jähriger Patient wurde vom Handchirurgen aufgrund eines seit acht Wochen bestehenden Kribbelns in der linken Hand vor geplanter operativer Karpaldachspaltung (Operationstermin in drei Wochen) vorgestellt. Der Patient berichtete, dass er ein Kribbeln und Taubheitsgefühl eher am Tag als in der Nacht in der gesamten linken Hand spüren würde. Vor zwölf Wochen habe er sich eine Smartwatch zugelegt, um sein Herz während des Sports überwachen zu können. In der fokussierten neurologischen Untersuchung zeigte sich ein Abdruck der Smartwatch im Bereich des Handgelenks links sowie eine Hypästhesie der Dig I–III und des halben Dig IV links sowie ein positives Hofmann-Tinel-Zeichen links, keine Paresen und keine pathologischen Befunde der rechten Hand. Elektrophysiologisch fanden sich eine normgerechte motorische Elektrophysiologie sowie im Seitenvergleich eine signifikant verminderte Amplitude links gegenüber rechts. Nervensonografisch zeigte sich eine vergrösserte Querschnittsfläche des Nervus medianus im Bereich des linken Handgelenks im Querschnitt, ohne Zeichen der Kompression unter dem Karpaldach im Längsschnitt. Der Termin in der Handchirurgie wurde abgesagt. Nachdem der Pa­tient sechs Wochen eine volare Handgelenkschiene in der Nacht und die Smartwatch nicht mehr am Handgelenk getragen hatte, waren die Kribbelparästhesien der linken Hand und die Hypästhesie der ersten drei und des halben vierten Fingers verschwunden, und elektrophysiologisch zeigte sich eine deutlich gebesserte Amplitude in der sensiblen Neurografie des linken Nervus medianus.

Fall 3

Ein 28-jähriger Patient wurde vom Hausarzt unter dem Verdacht eines Karpaltunnelsyndroms der linken Hand vorgestellt. Der Patient berichtete, dass er seit fünf Wochen ein Kribbeln und eine Taubheit vor allem am Morgen beim Aufwachen, aber auch ab und zu am Tag merken würde. Auf Nachfrage gab er an, dass er sich vor 16 Wochen eine Smartwatch gekauft habe. In der fokussierten neurologischen Untersuchung zeigten sich eine Hypästhesie der Fingerkuppen der Dig I–III und des halben Dig IV links ­sowie ein positives Hofmann-Tinel-Zeichen links, keine ­Paresen und keine pathologischen Befunde der rechten Hand. Elektrophysiologisch fanden sich eine normgerechte motorische Elektrophysiologie sowie im Seitenvergleich eine links gegenüber rechts signifikant verminderte Amplitude. Nervensonografisch zeigte sich eine vergrösserte Querschnittsfläche des Nervus medianus im Bereich des linken Handgelenks im Querschnitt, ohne Zeichen der Kompression unter dem Karpaldach im Längsschnitt. Nachdem der Patient sechs Wochen eine volare Handgelenkschiene in der Nacht und die Smartwatch nicht mehr am Handgelenk getragen hatte, waren die Kribbelparästhesien der linken Hand nicht mehr vorhanden, und elektrophysiologisch zeigte sich eine deutlich gebesserte Amplitude in der sensiblen Neurografie des linken Nervus medianus.

Fall 4

Ein 34-jähriger Patient wurde vom Hausarzt aufgrund eines seit acht Wochen bestehenden Taubheitsgefühls in der linken Hand vorgestellt. Der Patient berichtete, dass er die Taubheit mittlerweile Tag und Nacht in den ersten drei Fingern, teilweise aber auch in der ganzen linken Hand merken würde. Auf Nachfrage gab er an, dass er sich vor zehn Wochen eine Smartwatch gekauft habe. In der fokussierten neurologischen Untersuchung zeigten sich eine Hypästhesie der Fingerkuppen der Dig I–III und des halben Dig IV links sowie ein positives Hofmann-Tinel-Zeichen links, keine Paresen und keine pathologischen Befunde der rechten Hand. Elektrophysiologisch fanden sich eine normgerechte motorische Elektrophysiologie sowie im Seitenvergleich eine signifikant verminderte Amplitude links gegenüber rechts. Nervensonografisch zeigte sich eine vergrösserte Querschnittsfläche des Nervus medianus im Bereich des linken Handgelenks im Querschnitt, ohne Zeichen der Kompression unter dem Karpaldach im Längsschnitt. Nachdem der Patient vier Wochen eine volare Handgelenkschiene in der Nacht und die Smartwatch nicht mehr am Handgelenk getragen hatte, waren die Kribbelparästhesien der linken Hand nicht mehr vorhanden, und elektrophysiologisch zeigte sich eine deutlich gebesserte Amplitude in der sensiblen Neurografie des linken Nervus medianus.

Fall 5

Ein 31-jähriger Patient wurde vom Orthopäden aufgrund eines seit einer Woche bestehenden Kribbelns in der linken Hand unter dem V.a. eine Radikulopathie C6 links vorgestellt. Der Patient berichtete, dass er das Kribbeln vor allem am Tag merken würde, in der Nacht könne er gut schlafen. Auf Nachfrage gab er an, dass er sich zwei Wochen zuvor eine Smartwatch gekauft habe. Schmerzen im Nacken mit Ausstrahlung in den Arm habe er nicht. In der fokussierten neurologischen Untersuchung zeigten sich eine Hypästhesie der Fingerkuppen der Dig I–III und des halben Dig IV links sowie ein positives Hofmann-Tinel-Zeichen links, keine Paresen und keine pathologischen Befunde der rechten Hand. Elektrophysiologisch fand sich eine normgerechte motorische Elektrophysiologie sowie im Seitenvergleich eine signifikant verminderte Amplitude links gegenüber rechts für die sensible Neurografie. Nervensonografisch zeigte sich eine vergrösserte Querschnittsfläche des Nervus medianus im Bereich des linken Handgelenks im Querschnitt, ohne Zeichen der Kompression unter dem Karpaldach im Längsschnitt. Nachdem der Patient dann vier Wochen eine volare Handgelenkschiene in der Nacht und die Smartwatch nicht mehr am Handgelenk getragen hatte, waren die Kribbelparästhesien der linken Hand nicht mehr vorhanden, und elektrophysiologisch zeigte sich eine deutlich gebesserte Amplitude in der sensiblen Neurografie des linken Nervus medianus.

Diskussion

Es kommt nicht selten vor, dass Benutzerinnen und Benutzer beim Tragen einer Smartwatch Schmerzen von den Schultern bis zum Handgelenk spüren [6]. Die meisten dieser Probleme werden dem CTS (Karpaltunnelsyndrom) zugeschrieben, bei dem Kribbelparästhesien und Hypästhesie oder Schmerzen im Bereich des Handgelenks verspürt werden. Interessant ist, dass es zu Druckläsionen des N. medianus, nicht aber des N. radialis gekommen ist. Gerade das enge Tragen von Handgelenksuhren könnte auch zu einer Kompression des sensiblen Endastes des Nervus radialis auf Höhe des distalen Unterarms zwischen Musculus extensor carpi radialis longus und Musculus brachioradialis im Sinn eines Wartenberg-Syndroms [12] führen. Dies haben wir aber weder bei diesen noch bei anderen Patientinnen und Patienten, die eine Smart-Watch enganliegend trugen, gesehen.
Smartwatches bieten interessante Möglichkeiten zur Messung von Körperfunktionen. Neben der Anzeige der Uhrzeit können sie in lebensbedrohlichen Situationen hilfreich sein. Es wurden beispielsweise Algorithmen entwickelt, die Vorhofflimmern mit hoher Zuverlässigkeit entdecken können [13].
Für verschiedene Funktionen ist jedoch ein enges und ununterbrochenes Tragen der Uhr notwendig. Dadurch kann es zu einer Nervenkompression des Nervus medianus im Bereich des Handgelenks mit entsprechender Schädigung des Nervs kommen, wenn der Druck zu lange andauert und keine druckfreien Intervalle eingelegt ­werden. Da bei all unseren Patienten eine Smartwatch der selben Marke getragen wurde, stellt sich die Frage, ob ­beispielsweise Material, Elastizität und Breite des Uhrenbandes oder weitere Faktoren eine Rolle spielen. Hierfür sind weitere Studien notwendig.

Dr. med. Menderes Omeri

Rappjmed
Allmeindstrasse 5

menderes.omeri@rappjmed.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

 

Historie
Manuskript eingereicht: 11.11.2022
Nach Revision angenommen: 21.11.2022

 

ORCID
Menderes Omeri
https://orcid.org/0000-0002-0077-0801
David Czell
https://orcid.org/0000-0001-6077-1921

  • Das Karpaltunnelsyndrom tritt häufig zuerst an der dominanten Hand auf.
  • Hauptsächlich kommt es zu nächtlichen Parästhesien.
  • Selten kann es auch durch den Druck von Armbändern einer Uhr durch eine Reizung des Nervus medianus (dann an der adominanten Hand, an der die Uhr getragen wird) zu einer ähnlichen Symptomatik kommen.
  • Anamnese, Klinik und Elektrophysiologie führen zur Diagnose.

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5. Spahn G, Wollny J, Hartmann B, Schiele R, Hofmann GO. [Metaanalysis for the evaluation of risk factors for carpal tunnel syndrome (CTS) Part I. General factors]. Z Orthop Unfall. 2012;150(5):503–515.
6. Rosenbaum RB, Ochoa JL. Carpal tunnel syndrome and other disorders of the median nerve. Butterworth Heinemann; Amsterdam: 2002.
7. Woo EHC, White P, Lai CWK. Effects of electronic device overuse by university students in relation to clinical status and anatomical variations of the median nerve and transverse carpal ligament. Muscle Nerve. 2017;56(5):873–880. DOI: 10.1002/mus.25697.
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10. El Miedany Y, Ashour S, Yossef S. Mehann A, A Meky F. Clinical diagnosis of carpal tunnel syndrome: old tests – new concepts. Joint Bone Spine. 2008;75(4):451–457.
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12. Mumenthaler M, Schliack H, Stöhr M. Läsionen peripherer Nerven und radikuläre Syndrome. 7. Auflage. Stuttgart; Thieme: 1998.
13. Bumgarner JB, Lambert CT, Hussein AA, et al. Smartwatch Algorithm for Automated Detection of Atrial Fibrillation J Am Coll Cardiol. 2018;29;71(21):2381–2388.

Anordnungsmodell: Herausforderung und Chance für Ärzt_innen und psychologische Psychotherapeut_innen

Im vorliegenden Artikel werden die Abläufe des Anordnungsmodells erklärt, das seit dem 1. Juli 2022 in Kraft ist. Dieses Modell erlaubt es psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, auf ärztliche Anordnung als selbstständige Leistungserbringer via Grundversicherung tätig zu sein und abzurechnen. In diesem Artikel wird der Behandlungsprozess im Rahmen des neuen Modells beschrieben. Der Beitrag weist zudem auf die Herausforderungen bei der Umsetzung des neuen Modells hin und benennt das Potenzial einer besseren interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen anordnender Ärztin/anordnendem Arzt und psychologischer Psychotherapeutin/psychologischem Psychotherapeuten bei der Behandlung gemeinsamer Patientinnen und Patienten.
Schlüsselwörter: Anordnungsmodell, psychologische Psychotherapie, psychische Erkrankungen, interprofessionelle Zusammenarbeit

This article illustrates the procedures of the prescription model which came into force on July 1, 2022. The prescription model allows psychological psychotherapists to treat and bill patients referred to them by a physician as independent service providers via mandatory health insurance. The article describes the treatment process under the new model. It also points out the challenges when implementing the new model and identifies potential for better interprofessional collaboration between the prescribing doctor and the psychological psychotherapist in the treatment of their shared patients.
Keywords: Prescription model, psychological psychotherapy, mental disorders, interprofessional cooperation

 

Cet article explique le fonctionnement du modèle de prescription en vigueur depuis le 1er juillet 2022. Ce modèle permet aux psychologues-psychothérapeutes d‘exercer leur activité de manière indépendante et de facturer à la charge de l‘assurance de base sur prescription médicale. L‘article décrit le processus thérapeutique dans le cadre du nouveau modèle. Il met également en évidence les défis liés à sa mise en oeuvre et la possibilité d‘une meilleure collaboration interprofessionnelle entre les médecins prescripteurs et les psychologues-psychothérapeutes dans la prise en charge de leur patientèle commune.
Mots-clés: Modèle de la prescription, psychothérapie effectuée par un-e psychologue, troubles mentaux, collaboration interprofessionnelle

 

Von der delegierten Psychotherapie zum Anordnungsmodell: Was verändert sich für Behandelnde und Patient_innen?

Ausgangslage

Seit dem 1. Juli 2022 ist das sogenannte Anordnungs­modell in Kraft. Es ermöglicht kantonal zugelassenen psy­chologischen Psychotherapeut_innen, als eigenständige Leistungserbringer via Grundversicherung abzurechnen. Der Modellwechsel, welcher auch dem seit 2013 gelten­den Bundesgesetz über die Psychologieberufe (PsyG) Rechnung trägt, bedeutet für die psychologischen Psycho­therapeut_innen mit eidgenössisch anerkanntem Fachtitel eine bessere und autonomere, aber auch verantwortungs­vollere Stellung im Gesundheitssystem. Die psycholo­gischen Psychotherapeut_innen werden im Anordnungs­modell mit höheren Kompetenzen ausgestattet. Nicht zuletzt ermöglicht es den Patient_innen einen erleichter­ten Zugang zur Psychotherapie bei niedergelassenen, selbstständig arbeitenden Psychotherapeut_innen – ohne die Notwendigkeit, dazu eine Zusatzversicherung abzu­schliessen oder die Kosten selbst zu übernehmen.
Psychologische Psychotherapeut_innen mussten im al­ten Delegationsmodell zwingend bei befugten Ärzt_innen angestellt sein, wenn sie Patient_innen via Grundversiche­rung behandeln wollten. Neu arbeiten sie selbstständig, und die Rechnungsstellung erfolgt nicht mehr durch den/die anstellende Ärzt_in via Tarmed, sondern direkt über den neuen PsyTarif.

Psychische Erkrankungen in der Hausarztpraxis

Psychische Erkrankungen sind sehr häufig. Die Jahresprä­valenz psychischer Erkrankungen im Erwachsenenbereich wird auf durchschnittlich 27 % geschätzt [9]. Jede zweite Person in Europa durchlebt in ihrem Leben eine psychi­sche Krise mit Behandlungsbedarf [3]. Psychische Krank­heiten nehmen bereits heute den Spitzenplatz bei den Dia­gnosen in der ärztlichen Praxis ein [Interpharma 2017]. Am häufigsten sind Angststörungen (14 %), affektive Stö­rungen (7,8 %), somatoforme Störungen (4,9 %) und Stö­rungen durch Alkohol (3,4 %) [9]. Der Anteil der Bevölke­rung, der sich wegen psychischer Beschwerden behandeln liess, hat im Verlauf der letzten 20 Jahre stetig zugenom­men und lag 2017 bei gut 6 % [8]. In einer Modellrechnung [4] wird geschätzt, dass bei 13,8 % der Schweizer Wohn­bevölkerung ein psychiatrisch­psychotherapeutischer Be­handlungsbedarf besteht.
Damit stehen psychische Störungen in Sachen Krank­heitslast hinter Krebs (16,4 %) und den Erkrankungen des Bewegungsapparats (15,1 %) an dritter Stelle, noch vor kar­diovaskulären Erkrankungen (12,9 %) [8].

Wirksamkeit von Psychotherapie

Mit hohen und konsistenten Effektstärken [2, 10] ist Psy­chotherapie eine hocheffektive Behandlungsform. Bei vie­len psychischen Erkrankungen ist sie die Behandlung der ersten Wahl. Zudem brechen psychisch erkrankte Patient_ innen eine Psychotherapie seltener ab als eine medika­mentöse Behandlung [6]. Die Effekte der Psychotherapie sind oft nachhaltiger als bei medikamentösen Behand­lungen: Bei einem grossen Teil der Patient_innen wirkt die Behandlung über das Therapieende hinaus positiv im  Sinne einer Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität weiter [1].

Indikationsstellung

Wann sollte eine Hausärztin/ein Hausarzt eine Psycho­therapie anordnen? Ärzt_innen in der Hausarztpraxis ken­nen ihre Patient_innen oft am besten. Sie behandeln meist ganze Familiensysteme – und das teilweise über mehrere Generationen hinweg. Oftmals äussern Patient_innen bei entsprechendem Leidensdruck selbst den Wunsch nach einer Psychotherapie. Falls bei einer Konsultation psychi­sche Symptome mit Krankheitswert festgestellt werden, kann die Indikation für eine Abklärung oder Behandlung gestellt werden. Eine genaue Erhebung der Diagnose oder des Schweregrads der psychischen Erkrankung ist bei die­sem Schritt nicht notwendig. Der/die psychologische Psy­chotherapeut_in wird in den ersten Sitz ungen eine vertief­te Diagnose mit Behandlungsplan erstellen. Ein Beispiel: Bei Abhängigkeitserkrankungen ist es oft wegen mangeln­der Krankheitseinsicht sehr schwierig, Patientinnen und Patienten für eine psychotherapeutische Behandlung zu motivieren, obwohl der Behandlungsbedarf erheblich ist.
Bei bestimmten Krankheitsbildern, wie beispielsweise einer bipolaren Erkrankung, ist eine Mitbehandlung durch eine psychiatrische Fachärztin/einen psychiatrischen Fach­arzt sinnvoll.
Bei psychisch gesunden Patient_innen, die lediglich den Wunsch nach Selbsterfahrung oder einer Paarberatung äussern, ist bei der Ausstellung einer Anordnung durch die Ärztin/den Arzt Zurückhaltung angezeigt. Nur Störungen mit Krankheitswert sind OKP­Leistungen (obligatorische Krankenpflegeversicherung).

Der Behandlungsprozess im Anordnungsmodell

Was es beim Anordnungsprozess zu beachten gilt: Grund­sätzlich ist die Anordnungsbefugnis von maximal zweimal 15 Sitzungen Psychotherapie auf folgende Fachärzt_innen beschränkt: Ärzt_innen mit einem eidgenössischen oder einem anerkannten ausländischen Weiterbildungstitel in Allgemeiner Innerer Medizin, in Psychiatrie und Psycho­therapie, in Kinderpsychiatrie und ­psychotherapie, in Kinder­ und Jugendmedizin sowie Ärzt_innen mit inter­disziplinärem Schwerpunkt Psychosomatische und psy­chosoziale Medizin der Schweizerischen Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin (SAPPM). Handelt es sich um Leistungen zur Krisenintervention oder um Kurztherapien für Patienten und Patientinnen mit schweren Erkrankungen bei Neudiagnose oder bei  einer lebensbedrohlichen Situation, darf psychologische Psychotherapie von Ärzt_innen aller Fachrichtungen – auch diejenigen, die über einen Weiterbildungstitel «prak­tischer Arzt/praktische Ärztin» verfügen – einmalig für zehn Sitzungen angeordnet werden.
Die Schritte im Anordnungsmodell werden gut nach­vollziehbar in einer Grafik beschrieben. Sie finden sie im elektronischen Supplement (ESM) 1 in der Online­Version dieses Artikels.

Fallstricke bei der Anordnung – praktische Erfahrungen

Vor Beginn der Therapie: 1. Anordnung

Nicht nur juristisch zwingend, sondern auch fachlich wich­tig ist, dass eine Anordnung nur nach einer persönlichen Konsultation zwischen Hausärzt_in und Patient_in ver­schrieben werden kann. Auch für den später womöglich anstehenden interdisziplinären Austausch mit dem/der psychologischen Psychotherapeut_in ist dieses initiale Ge­spräch eine wichtige Basis. Die Erfahrungen der ersten Monate zeigten, dass die vom Gesetzgeber verfügte  Unterscheidung der als Hausärzt_innen tätigen prakti­schen Ärzt_innen und der anderen genannten Fachärzt_ innen Verwirrung auslöste. So stellten auch praktische Ärzt_innen Anordnungen über 15  Sitzungen aus, was zu Rückweisungen führte. Dieses Problem wurde in der Folge so zu lösen versucht, indem etwa in der Gemeinschafts­hausarztpraxis eine anordnungsbefugte Ärztin oder ein anordnungsbefugter Arzt die Anordnung stellvertretend ausstellte. In ländlichen Regionen war es manchmal nicht möglich, eine Ärztin/einen Arzt für eine reguläre Anord­nung zu finden, da dort nicht selten Hausarztpraxen von Ärzt_innen ohne Facharzttitel Allgemeine Innere Medizin geführt werden. Hier sind die involvierten Stellen aktuell daran, kantonale oder regionale Lösungen zu finden. Für manche Patient_innen bedeutet dies aber Verzögerungen oder sogar eine Verhinderung von dringend indizierten psychotherapeutischen Behandlungen. Wir möchten dar­auf hinweisen, dass in keinem Fall eine Diagnose auf dem Anordnungsformular vermerkt sein sollte. Das Formular landet in der Abrechnungsstelle der Versicherung, wo kei­ne vertraulichen Angaben der Patient_innen hingehören.
Sie finden das Anordnungsformular im ESM 2.

Verlängerung der Therapie: 2. Anordnung

Für die zweite Anordnung reicht in der Regel eine telefo­nische Kontaktaufnahme des Psychotherapeuten mit der anordnenden Ärztin. Dabei ist eine vorgängige, am besten schriftlich erfolgende Schweigepflichtsentbindung durch den Patienten zu empfehlen. Im telefonischen Austausch können die Behandelnden sich gegenseitig informieren und die Behandlung koordinieren, insofern sie für die Weiterbehandlung der Patient_innen relevant ist. Ein schrift licher Bericht nach 15 Sitzungen ist nicht zwingend erforderlich. Wir empfehlen, den administrativen Auf­wand nicht unnötig zu erhöhen.

Verlängerung der Therapie nach der 30. Sitzung

Um die Psychotherapie über 30 Sitzungen hinaus zu ver­längern, erstellt die psychologische Psychotherapeutin ei­nen Behandlungsbericht inklusive eines Vorschlags zur Behandlungsverlängerung. Der anordnende Arzt kann auf einem Formular, das von den beteiligten Verbänden erar­beitet worden ist, die Behandlungsverlängerung beantra­gen. Dabei muss aber eine schriftliche Fallbeurteilung durch eine Fachärztin/einen Facharzt Psychiatrie oder Kinder­ und Jugendpsychiatrie beigelegt werden. Diese Fallbeurteilung muss vorgängig entweder durch eine Kon­sultation der Patientin/des Patienten erfolgen oder durch eine Beurteilung aufgrund des Patientendossiers bezie­hungsweise des Behandlungsberichts des/der psychologi­schen Psychotherapeut_in.
Sie finden das Anordnungsformular im ESM 3.

Fallvignetten

A) Herr A., ein 24­jähriger frisch ausgebildeter Ingenieur, erlitt, ausgelöst durch eine Beziehungskrise, eine mit­telgradige depressive Reaktion mit Rastlosigkeit, Schuldgefühlen, Zukunftsängsten, mangelndem An­trieb und Suizidgedanken. Während der Anamneseer­hebung wurde deutlich, dass er als Kind und Jugend­licher unter ausgeprägten Trennungsängsten litt, die ihn während der Schul­ und Lehrzeit stark beeinträch­tigt hatten. Der Bindungsstil der Eltern war von Über­fürsorglichkeit, starker Ängstlichkeit und Kontrolle ge­prägt. So musste er sich noch als 18­Jähriger beim abendlichen Ausgang stündlich bei seiner Mutter mel­den. Während den psychotherapeutischen Sitzungen wurde dem Patienten klar, wie sehr diese Beziehungs­gestaltung ihn bisher geprägt hatte und er in der aktuel­len Partnerschaft den Interaktionsstil  wiederholte. Nach dieser Bewusstmachung klang die Symptomatik allmählich ab und Herr A. beschloss, aus dem für ihn beengenden Familiensystem erste Ablösungsschritte zu wagen. Er begab sich aktiv auf Wohnungssuche. Die Psychotherapeutin tauschte sich vor der 15. Psychothe­rapiesitzung mit dem langjährigen Hausarzt der Fami­lie aus, der die Beobachtungen zur Familiendynamik der Psychotherapeutin teilte und die Autonomiebestre­bungen des jungen Mannes als essenziell erachtete. Der Grundversorger unterstützte in der Folge die Ablö­sungsbestrebungen des jungen Manns, aber auch den Rest der Familie in der für alle heraus fordernden neuen Lebensphase.
B) Frau Y., eine 25­jährige Primarlehrerin, meldete sich nach einem Spitalaufenthalt im Zusammenhang mit ei­nem gynäkologischen Eingriff. Sie habe ihr Leben seit­dem nicht mehr im Griff. Neben den ihr bereits seit der Jugendzeit bekannten Energie­ und Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Ein­ und Durchschlafstö­rungen machten ihr auch erhebliche Konzentrations­störungen und Vergesslichkeit zu schaffen. Am schlimmsten seien ihre Erinnerung aus der Kindheit. Sie habe manchmal grosse Angst, die Kontrolle über sich und ihre Gefühle zu verlieren. Die Arbeit falle ihr schwer. Auch ihre Arbeitskolleg_innen hätten sie be­reits darauf angesprochen. Da zu diesem Zeitpunkt noch keine Anordnung vorlag, ersuchte Frau Y. vor dem psychotherapeutischen Erstgespräch um einen Termin in ihrer Hausarztpraxis. Im Rahmen der ersten anam­nestischen Sitzungen zeigte sich schnell, dass Frau  Y. unter massiven intrusiven, sich unwillentlich aufdrän­genden Erinnerungsbildern und Flashbacks eines wäh­rend ihrer Kindheit über viele Jahre hindurch erlittenen sexuellen Missbrauchs litt. Die mit dem gynäkolog­ischen Eingriff einhergehende intensive Fokussierung auf die Operation mit Kontrollverlustängsten überstieg das bis dahin von Frau Y. im Rahmen einer  komplexen PTBS persistierende Vermeidungsvermögen. Die ko­morbide mittelschwere depressive Episode muss zu­dem als Teil einer rezidivierenden depressiven Störung eingestuft werden, deren Beginn im frühen Jugendalter lag. Obwohl das zwischenzeitlich durch den Hausarzt verschriebene Antidepressivum den Schlaf etwas er­leichterte, war die Symptomlast und deren Einfluss auf die meisten Bereiche ihres täglichen Lebens weiterhin beträchtlich. Um die Basis für die psycho therapeutisch indizierte Traumatherapie zu schaffen, erachtete die behandelnde Psychotherapeutin zum  damaligen Zeit­punkt zusätzlich eine weiterführende psychopharma­kologische Behandlung als wichtig. In Absprache mit dem Hausarzt wurde entschieden, dafür und für die medikamentöse Verlaufskontrolle eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in die Behandlung mit einzubeziehen. Es zeigte sich, dass die Patientin sehr gut auf die kombinierte Medikation ansprach. Der auf diesem Weg etablierte interdisziplinäre Fachaustausch wurde von allen Behandelnden als hilfreich erlebt und sollte damit auch eine voraussichtliche Fallbeurteilung zur Kostengutsprache nach der 30. Sitzung erleichtern.

Herausforderungen und Chancen

Der Gesetzgeber hat bei der Konzeption des Anordnungs­modells einen starken Fokus auf die Behandlungskoordi­nation gelegt. So ist es in der ersten Behandlungsphase zwingend, dass mindestens alle 15 Sitzungen ein Aus­tausch zwischen anordnenden Ärzt_innen und psycholo­gischen Psychotherapeut_innen erfolgt. Diese Regelung ist einerseits mit mehr koordinativem Aufwand verbun­den, anderseits bietet der Austausch aber die Chance, die interprofessionelle Zusammenarbeit zu stärken. Ziel des interdisziplinären Dialogs ist es, die Patientin/den Patien­ten aus der Perspektive der jeweils anderen Disziplin zu sehen und die Problematik der psychischen Erkrankung besser zu verstehen. Durch diesen Austausch kann die  Behandlung von psychisch kranken Patient_innen deut­lich verbessert werden.

Ausblick: gemeinsam versorgen!

Die Autor_innen hoffen, dass sich die noch wenig bekann­ten Abläufe mit der Zeit besser einspielen und bekannt wer­den. Die Etablierung einer persönlichen Beziehung zwi­schen den Behandelnden sowie das Knüpfen von Netzwerken wird dabei als positiv für die Etablierung einer gelungenen und zufriedenstellenden interprofessionellen Zusammenarbeit angesehen. Problematisch bleiben Situa­tionen, in denen es nicht gelingt, Anordnungsbefugte oder Fachärzt_innen für die psychiatrische Fallbeurteilung zu fin­den. Letzteres wird für die Behandlung schwer und chro­nisch erkrankter Patient_innen eine Herausforderung sein. Die bestehenden kantonalen Lösungsansätze sind zu be­grüssen. Positiv zu vermerken ist, dass die Schweizerische Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medi­zin erreicht hat, dass Fachärzt_innen mit einem Fähigkeits­ausweis für psychosoziale Medizin zur Behandlungsverlän­gerung nach 30 Sitzungen für ihre eigenen Patient_innen keine psychiatrische Fallbeurteilung benötigen.

Elektronisches Supplement

Das elektronische Supplement (ESM) ist mit der Online- Version dieses Artikels verfügbar unter:
ESM 1. Schritte im Anordnungsmodell (Grafik).
ESM 2. Anordnung psychologische Psychotherapie (Formular).
ESM 3. Antrag Fallbeurteilung nach der 30. Sitzung (Formular).

Lernfragen

1. Was bedeutet das «Anordnungsmodell» für die psychologischen Psychotherapeut_innen?
a) Sie arbeiten nun selbstständig und die Rech-nungsstellung erfolgt nicht mehr durch die anstel-lende Ärztin/den anstellenden Arzt via Tarmed, sondern direkt über den neuen PsyTarif.
b) Sie dürfen ihren Patient_innen rezeptpflichtige Medikamente verschreiben.
c) Sie müssen ihre Praxis per Gesetz nach den Prin-zipen des Feng-Shui einrichten.
2. Welche Ärzt_innen dürfen grundsätzlich anordnen?
a) Nur Ärzt_innen, die selbst schon einmal eine Psychoanalyse durchlaufen haben.
b) Alle Ärzt_innen, inklusive Assistenz- und Ober-ärzt_innen.
c) Ärzt_innen mit einem eidgenössischen oder einem anerkannten ausländischen Weiterbildungstitel in Allgemeiner Innerer Medizin, in Psychiatrie und Psychotherapie, in Kinderpsychiatrie und -psycho-therapie, in Kinder- und Jugendmedizin sowie Ärzt_innen mit interdisziplinärem Schwerpunkt Psychosomatische und psychosoziale Medizin.
3. Der Kreis der Ärzt_innen, die anordnen dürfen, wird bei diesen Situationen grösser: Krisenintervention oder Kurztherapie für Patienten und Patientinnen mit schweren Erkrankungen bei Neudiagnose oder bei einer lebensbedrohlichen Situation. Welche zusätz lichen Ärzt_innen dürfen in diesen Situationen einmalig 10 Sitzungen anordnen?
a) Assistenz- und Oberärzt_innen.
b) Die «Ärzte» der Punkrockband «Die Ärzte».
c) Ärzt_innen aller Fachrichtungen – auch diejenige, die über einen Weiterbildungstitel «praktischer Arzt/praktische Ärztin» verfügen.
Yvik Adler

Co-Präsidentin
Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen – FSP Effingerstrasse 15
3008 Bern

yvik.adler@fsp.psychologie.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

 

Historie
Manuskript angenommen: 30.01.2023

 

 

  • Seit dem 1. Juli 2022 ist das Anordnungsmodell in Kraft. Psychologische Psychotherapeut_innen kön-nen neu selbstständig über die Grundversicherung abrechnen. Dieses Modell löst das Delegationsmodell ab. Das Anordnungsmodell wird die Versorgung von psychisch erkrankten Menschen verbessern helfen.
  • Psychische Erkrankungen sind häufig. Die Jahresprä-valenz psychischer Erkrankungen bei Erwachsenen wird auf durchschnittlich 27 % geschätzt. In vielen Fällen ist eine Psychotherapie die Behandlung der Wahl. Eine grosse Anzahl von Ärzt_innen kann eine Anordnung ausstellen.
  • Eine enge Zusammenarbeit zwischen psychologischen Psychotherapeut_innen und den anordnenden Ärzt_ innen ist für den Behandlungserfolg massgebend.

Albani C, Blaser G, Geyer M, Schmutzer G, Brähler E. Ambulan-te Psychotherapie in Deutschland aus Sicht der Patienten. Teil 2: Wirksamkeit. Psychotherapeut. 2010;6:1–9.
2. Barkham M, Lambert MJ. The Efficacy and Effectiveness of Psychological Therapies. In Barkham M, Lutz W, Castonguay LG. Handbook of Psychotherapy and Behaviour Change. Wiley: 2021.135–190.
3. Kessler RC, Berglund P, Demler O, Jin R, Merikangas KR, Wal-ters EE.. Lifetime Prevalence and Age-of-Onset Distributions of DSM-IV Disorders in the National Comorbidity Survey Repli-cation. Arch Gen Psychiatry. 2005;62:593–602. DOI: 10.1001/archpsyc.62.6.593.
4. Künzi K, Stocker D, Schläpfer D. Volkswirtschaftlicher Nutzen des Anordnungsmodells und damit eines niederschwelligeren Zugangs zu ambulanter Versorgung bei psychischen Erkran-kungen. Bern; Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen: 2020.
5. Leichsenring F, Rabung S. Effectiveness of Longterm Psycho-dynamic Psychotherapy. A Meta-Analysis. JAMA. 2008;300: 1551–1565.
6. Margraf J. Kosten und Nutzen der Psychotherapie. Berlin; Springer: 2009.
7. Mathers CD, Loncar D.  Projections of Global Mortality and Burden of Disease from 2002 to 2030. PLOS Med. 2006; 3(11):e442.
8. Schuler D, Tuch A, Peter C. Psychische Gesundheit in der Schweiz. Monitoring 2020. (Obsan Bericht 15/2020). Neuchâ-tel; Schweizerisches Gesundheitsobservatorium: 2020.
9. Wittchen HU, Jacobi F. Size and burden of mental disorders in Europe – a critical review and appraisal of 27 studies. Eur Neuropsychopharmacol. 2005;15:357–376.
10. Nübling et al. Versorgung psychisch kranker Erwachsener in Deutschland: Bedarf und Inanspruchnahme sowie Effektivität und Effizienz von Psychotherapie. Psychotherapeutenjournal. 2014;13:389–397.

EDITORIAL – PRAXIS

Sehr geehrte Leserinnen und Leser der Praxis

Seit mehr als einem Jahrzehnt begleite ich als Haupt­herausgeber die Zeitschrift PRAXIS, die in dieser oder anderer Form seit über 100 Jahren besteht. Dieses Editorial soll einerseits die extreme Nachhaltigkeit dieser Zeitschrift in Vergangenheit und auch Zukunft reflektieren. Gleichzeitig sind wir Ärztinnen und Ärzte bezüglich Informationsbeschaffung mehr denn je und nachhaltig auf eine peer-reviewte und seriöse Zeitschrift wie die PRAXIS angewiesen, um nicht von wenig deklarierten Interessen in Artikeln von Gratiszeitschriften, der Reduktion auf einige wenige Themen oder in der Zukunft Informationsbeschaffung durch Artificial Intelligence abhängig zu sein.

Während meiner Zeit als Herausgeber konnten wir, die Herausgeber, Redaktoren und Redaktorinnen sowie Verlagsmitarbeiter das Themenspektrum stetig erweitern, um vielfältigen und sich ständig weiterentwickelnden medizinischen Herausforderungen gerecht zu werden. Wir waren durch Verlage nie auch nur ein bisschen in Auswahl der Themen oder Inhalte eingeschränkt oder beeinflusst. Wir durften machen und lassen, was wir wollten. Dies ist den Verlagen hoch anzurechnen, denn eine solche korrekte und ethische Haltung (!) ist weniger gewinnbringend.

Die Reise der PRAXIS während der letzten 10 Jahre begann mit dem Hans Huber Verlag, Bern, und führte uns dann zum Verlag Hogrefe. Nun übernimmt der schweizerische medinfo Verlag die Praxis mit neuem Elan, Ideen und Mut. Diese Veränderung ist ein weiterer Meilenstein in der Geschichte dieser Zeitschrift, die stets neueste Erkenntnisse aus allen Domänen der Medizin in die Praxis von Ärztinnen und Ärzten in Spital und Praxis in ihre tägliche Arbeit einbrachte und transferierte.

In einer Zeit, in der Gratiszeitschriften den Markt zunehmend einengen, ist es wichtiger denn je, eine verlässliche, autoritative Quelle für medizinisches Wissen zu sein. Qualität und evidenz- und erfahrungsbasierter Wahrheitsgehalt unserer Artikel ist von grösster Bedeutung. So unterliegen die Artikel der Praxis einem wohlwollend stützenden, aber streng fachorientierten Peer-Review-Prozess durch von den Autorinnen und Autoren unabhängigen Gutachterinnen und Gutachtern.
Die PRAXIS ist in der National Library of Medicine, also Pubmed, gelistet und leistet damit einen Beitrag über unsere Landesgrenzen hinaus. Die Tatsache der Pubmed Listung unterstützt auch bei der Rekrutierung von seriösen Autorinnen und Autoren.

Mit dem Aufkommen der künstlichen Intelligenz (KI) eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten, medizinische Themen zu bearbeiten. Geben Sie auf ChatGPT eine Bitte nach Zusammenfassung eines Medizinischen Inhaltes ein, werden Sie ein interessantes Resultat erhalten. Doch stimmt dieses? AI kann selbst im besten Fall die langjährige persönliche Erfahrung nicht ersetzen, die in jeden Artikel der Praxis mit einfliesst. So bringen unsere Autorinnen und Autoren nicht nur ihr grosses Fachwissen ein, sondern auch ihre klinischen Erfahrungen, ihre Intuition und ihr Mitgefühl. Aspekte, die eine Maschine oder ein Programm nur zum Schein aber nicht wahrhaftig einbringen kann.

Als Hauptherausgeber werde ich den medinfo Verlag bis Ende Jahr weiterhin beraten. Die Zeitschrift soll einen Schub der Erneuerung und der weiteren Etablierung zu seriöser, unabhängiger, breitgefächerter und qualitativ hochstehender Informationsbeschaffung durchgehen. Dabei wird die Praxis von einem innovativen, unternehmerischen und seriösen Verlag – dem medinfo Verlag von Verlegerin und Geschäftsinhaberin ­Eleonore Droux – mit Wissen um Ihre Bedürfnisse, sehr wesentlich unterstützt. Das grosse Engagement für Qualität, Integrität und Vielfalt bleibt gleich wie beim vorherigen Verlag. Die Praxis wird weiterhin aktuelle, relevante und praxisnahe Informationen liefern, die Sie in Ihrer täglichen Arbeit unterstützen.

Herausgeberschaft, Redaktorinnen und Redaktoren und die involvierten Verlage danken Ihnen für Ihre Treue und Ihr Vertrauen und vor allem: Wenn es die Praxis nicht schon gäbe, müsste man sie gerade jetzt neu erfinden!

Praxis Artikel lesen

Prof. Dr. med. FACP Edouard Battegay

Facharzt Allgemeine Innere Medizin, ESH Specialist in Hypertension, Fellow SSPH+
Leiter International Center for Multimorbidity and Complexity in Medicine (ICMC)
Universität Zürich, Universitätsspital Basel (Klinik für Psychosomatik), Merian Iselin Klinik Basel

edouard.battegay@uzh.ch

Kongressausgabe ASCO/EHA 2023

Hier finden Sie das PDF der ASCO/EHA-Kongresszeitung

EDITORIAL ASCO

Auch dieses Jahr nahmen wir den Weg nach Chicago an den Kongress der American Society of Clinical Oncology wieder auf uns.
Bereits an der Immigration sah man, dass Corona definitiv als beendet erklärt wurde, die Warteschlange an der Passkontrolle hatte Gotthard ähnliche Verhältnisse angenommen! Auch im Kongress-Gebäude war – im Gegensatz zum vorherigen Jahr – wieder Normalität eingekehrt. Nur die allgegenwärtigen Alkoholspender, die kaum mehr genutzt wurden, und vereinzelte Kongressteilnehmer mit Maske erinnerten an die Pandemie.
Dass die Forschung trotz Pandemie keinen vollständigen Stopp gemacht hat, beweisen die vielen Highlights und zum Teil Resultate vom diesjährigen ASCO, die practice changing sind und über die Sie in unserer Kongresszeitung lesen.
Ferner finden Sie Interviews mit PD Dr. Richard Cathomas, Prof. Reinhard Dummer, Prof. Martin Früh, PD Dr. Michael Mark und Dr. Egle Ramelyte.
Stolz sind wir auch, dass wir vor Ort mit Schweizer Experten ein Video organisieren konnten zu den Themen:
Dr. med. Tämer Philip EI Saadany, Chur, Thema: SAKK 80/19 Raucher Studie, Prof. Dr. med. Martin Früh, St. Gallen & PD Dr. med. Michael Mark, Chur: Thoraxmalignome, Dr. med. Michael Schwitter, Chur: Mammakarzinome, Dr. med. Andreas Müller, Winterthur: Gynäkologische Tumore, Dr. med. Alexander Siebenhüner, Schaffhausen: Obere Gastrointestinaltumore, Prof. Dr. med. et phil. nat. Markus Jörger, St. Gallen: Frühe klinische Studien,
PD Dr. med. Richard Cathomas, Chur: Urogenitalkarzinome.
Die Videos finden Sie hier.

Wir wünschen Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen.
Prof.  Dr. med. Roger von Moos & Eleonore E. Droux

EDITORIAL EHA

Rückblick EHA 2023 Kongress: Die Immuntherapie schreitet voran!

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen

Ich freue mich, Ihnen erneut ein paar Höhepunkte vom diesjährigen Jahreskongress der europäischen Gesellschaft für Hämatologie (EHA) vorstellen zu dürfen. Der Kongress fand in Frankfurt am Main statt und viele Kolleginnen und Kollegen nutzten die Gelegenheit des persönlichen Austausches. Die maligne Hämatologie stellte wie in den Vorjahren ­einen wesentlichen Schwerpunkt dar und greift zunehmend auf die ­zelluläre und humorale Immuntherapie als wesentlichen Eckpfeiler unseres zukünftigen Armamentariums zurück.
Ein gutes Beispiel dafür ist die S1826 Studie (F. Herrera et al., Abstract LBA4), die die Hinzunahme des PD-1-Inhibitors Nivolumab anstelle von Brentuximab Vedotin zur Erstlinien-Chemotherapie bei Kindern und Erwachsenen mit neu diagnostiziertem klassischem Hodgkin-Lymphom (cHL) im Stadium 3 oder 4 getestet hat. Fast 1000 Patienten/innen im Alter > 12 Jahren wurden randomisiert, um 6 Zyklen Nivolumab plus AVD (Doxorubicin, Vinblastin, Dacarbazin) oder Brentuximab-Vedotin plus AVD zu erhalten. Nach 12 Monaten war das progressionsfreie Überleben (PFS) mit Nivolumab-AVD signifikant höher als mit Brentuximab Vedotin-AVD (94% vs. 86%; HR 0,48). Dieser Vorteil war in allen Untergruppen gleich.
Generell ist die Immuntherapie in der Lymphom- und Myelom­behandlung weit fortgeschritten und uns stehen mit bispezifischen Antikörpern als auch CAR T Zellen beide neuen Immuntherapien zur Verfügung. Die CAR T Zelldaten sind derzeit ausgereifter und besondere Beachtung erlangte die CARTITUDE-4 Studie (H. Einsele et al., Abstrakt S100) zur Behandlung von Patienten/innen mit Lenalidomid-refraktärem Multiplem Myelom nach 1 bis 3 vorangegangenen Behandlungslinien. Verglichen wurde die einmalige Ciltacabtagene-Autoleucel-Infusion mit einer Standardbehandlung (Pomalidomid-Bortezomib-Dexamethason oder Daratumumab-Pomalidomid-Dexamethason). Nach 12 Monaten lag die PFS-Rate der CAR T Gruppe bei 75,9% im Vergleich zu 48,6% für die Standardtherapie. Darüber hinaus wies die CAR T Therapie höhere und länger anhaltende Ansprechraten und eine höhere Negativität der minimalen Resterkrankung (MRD) auf.
Als letztes möchte ich gerne der IELSG Studiengruppe ein Kränzchen binden. Sie hat wieder eine Industrie-unabhängige, klinisch relevante Therapieoptimierungsstudie in einer selten Lymphomentität, dem primär mediastinalen B-Zell Lymphom (PMBL), durchgeführt (M. Martelli et al., Abstrakt S101) und belegt, dass eine mediastinale Strahlentherapie bei Patienten/innen, die nach einer Chemoimmuntherapie eine komplette metabolische Remission (CMR) erreicht haben, sicher weggelassen werden kann. Das PFS war mit 96,2% für die Beobachtung vs. 98,5% mit Strahlentherapie nahezu identisch (P = .274) und die Studie unterstützt somit den Verzicht auf eine Strahlentherapie bei PMBL Patienten/innen, die nach einer Chemo­immuntherapie eine CMR erreichen.

Ich hoffe, mit diesen ersten Studien Ihr Interesse geweckt zu haben und wünsche viel Spass beim Lesen!

Prof. Dr. med. Christoph Renner

Neuromuskuläres Praxiswissen: Fokus Muskelschwäche

Muskelschwäche ist ein häufiges Symptom, das zur Vorstellung in einer allgemeinen Praxis führt. Die diagnostische Aufarbeitung beginnt mit der Unterscheidung einer «echten» Muskelschwäche von einer Fatigue. Die Lokalisationsverteilung, zeitliche Entwicklung und Schwere der Muskelschwäche können unter Beachtung von Begleitsymptomen und -erkrankungen, der Medikamenten- und Familienanamnese helfen, eine erste ätiologische Einordnung durchzuführen. Diese umfasst genetische, inflammatorische, infektiöse, neoplastische, toxische und metabolische/endokrine Ursachen als Hauptkategorien. Weitergehende Untersuchungen mit gezielten laborchemischen Abklärungen, ENMG, MRI, Muskelbiopsie und genetischer Abklärung können helfen, das weite Feld möglicher Differenzialdiagnosen genauer abzugrenzen. Insbesondere durch Fortschritte in der genetischen Abklärung und gezieltere immunmodulierende Therapie hat sich das Spektrum behandelbarer Erkrankungen, die mit einer Muskelschwäche einhergehen, in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. .
Schlüsselwörter: Muskelschwäche, Fatigue, Myopathie, Parese

Neuromuscular Practical Knowledge: Focus On Muscle Weakness 

Muscle weakness is a common symptom in the general practice. The diagnostic work-up starts with distinguishing true muscle weakness from fatigue. The localization, time course and severity of muscle weakness as well as associated symptoms, concomitant diseases, medication and family history can help classify the weakness into certain main categories. These are genetic, inflammatory, infectious, neoplastic, toxic and metabolic/endocrine causes. Further laboratory investigations, ENMG, MRI, muscle biopsy and genetic testing can help to further narrow the differential diagnosis. Due to recent advances, particularly in the field of genetics and targeted immunomodulatory therapies, a growing number of diseases which present with muscular weakness can be treated successfully.
Keywords: Muscle weakness, fatigue, myopathy, paresis

Connaissances pratiques neuromusculaires: Focale sur la faiblesse musculaire

La faiblesse musculaire est un symptôme fréquent conduisant à une consultation en médecine générale. L’élaboration du diagnostic commence par la distinction entre une «vraie» faiblesse musculaire et une fatigue. La répartition de la localisation, l’évolution dans le temps et la sévérité de la faiblesse musculaire peuvent aider à établir une première classification étiologique en tenant compte des symptômes et maladies associés et de l‘anamnèse médicamenteuse et familiale. Les principales catégories sont les causes génétiques, inflammatoires, infectieuses, néoplasiques, toxiques et métaboliques/endocrinologiques. Des examens plus approfondis avec des analyses chimiques ciblées en laboratoire, l‘ENMG, l‘IRM, la biopsie musculaire et l‘analyse génétique peuvent aider à délimiter plus précisément le vaste champ des diagnostics différentiels possibles. L‘éventail des maladies traitables associées à une faiblesse musculaire s’est considérablement élargi au cours des dernières années, notamment grâce aux progrès réalisés dans le domaine de l’analyse génétique et des thérapies immunomodulatrices ciblées.
Mots-clés: Faiblesse musculaire, fatigue, myopathie, parésie

Einführung

Die Evaluation einer Person mit Muskelschwäche sollte im Allgemeinen drei Punkte umfassen [1]:
◆ Die Unterscheidung einer «echten» Muskelschwäche (Parese oder muskuläre Fatigue) von einer allgemeinen Mattigkeit/Müdigkeit (Fatigue mit emotionalen, kognitiven oder körperlichen Subtypen, s.a. Definitionen in Tab. 1) oder Bewegungseinschränkung, die nicht auf eine Reduktion der Muskelkraft zurückzuführen ist.
◆ Die Lokalisation der Muskelschwäche im neuromuskulären System («Mustererkennung» der Verteilung der Parese oder muskulären Fatigue).
◆ Die Feststellung der Ursache der Muskelschwäche (ätiologische Einordnung).

Unterscheidung einer «echten» Muskelschwäche von Fatigue

Ein häufiges Problem in der Praxis ist, dass eine Patientin/ ein Patient über «Muskelschwäche» klagt, ohne dass sich eine zu objektivierende Muskelschwäche (d. h. muskuläre Parese im eigentlichen Sinn oder muskuläre Fatigue) findet. Eine gezielte Anamnese und körperliche/neurologische Untersuchung können helfen, eine «echte» Muskelschwäche von einer erhöhten körperlichen oder kognitiven Ermüdbarkeit (Fatigue) oder mechanischen Bewegungseinschränkung, beispielsweise durch primär im Vordergrund stehende Schmerzen oder orthopädische/rheumatologische Beschwerden, abzugrenzen.

Anamnese

Diverse systemische Erkrankungen führen zu einer reduzierten Belastungsfähigkeit, die subjektiv als Schwäche bei bestimmten Aufgaben empfunden wird. Hierzu gehören u.a. kardiopulmonale Erkrankungen, rheumatologische/ orthopädische Beschwerden, eine Anämie, eine Kachexie durch maligne Erkrankungen, chronische infektiöse oder inflammatorische Erkrankungen (körperliche Fatigue) oder auch eine Depression mit Adynamie (emotionale Fatigue). Personen mit diesen Beschwerdebildern sind funktionell eingeschränkt, haben aber keine eigentliche Muskelschwäche im Sinne einer muskulären Parese.
Hauptbeschwerde bei Patientinnen und Patienten mit erhöhter körperlicher Ermüdbarkeit (Fatigue) ist ein (oft generalisiertes) körperliches Schwächegefühl und fehlende körperliche Belastungsfähigkeit, während Kranke mit Muskelschwäche typischerweise über aufgabenspezifische Einschränkungen (Einschränkungen beim Haarekämmen oder Treppensteigen) und/oder ein Gefühl von Schwere oder Steifigkeit in den Extremitäten klagen. Im Vordergrund stehende Muskelschmerzen sind bei neuromuskulären Erkrankungen relativ selten, bei Personen mit rheumatologischen Beschwerdebildern und Fibromyalgie dagegen häufig [5]. So steht beispielsweise bei einer Polymyalgia rheumatica eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung und eine Steifheit im Vordergrund, während sich in der Untersuchung keine Einschränkung der Kraftgrade findet.

Untersuchung

Die Untersuchung ergänzt die in der Anamnese erhobenen Befunde durch die gezielte Suche nach Begleitzeichen, die eine subjektiv wahrgenommene Muskelermüdung von einer objektivierbaren Muskelschwäche abgrenzen können. Zwei Bemerkungen können hierbei hilfreich sein:
◆ Trotz einer fortgeschrittenen Muskelatrophie ist bei Patientinnen und Patienten mit Kachexie die Muskelkraft im Verhältnis zur Muskelmasse im Allgemeinen nicht eingeschränkt.
◆ Eine vermehrte Druckempfindlichkeit der Muskulatur ist in der Regel nicht mit einer «echten» Muskelschwäche assoziiert. Seltene Ausnahmen bilden hier infektiöse Ursachen (Trichinellose, virale Myositis), bestimmte toxische Myopathien, eine Myopathie hervorgerufen durch Störungen der Schilddrüsenfunktion und hereditäre metabolische Myopathien.
Eine Muskelschwäche wird durch eine formale Krafttestung objektiviert. Hierbei wird die Kraft ermittelt, die notwendig ist, um eine maximale Kraftentwicklung in einem Muskel zu überwinden. Etabliert hat sich hierbei eine Graduierung nach dem Medical Research Council von 0 bis 5 (Tab. 2) [3].

Lokalisation der Muskelschwäche

Um die mannigfaltigen Ursachen einer Muskelschwäche genauer eingrenzen zu können, bedarf es einer strukturierten Vorgehensweise und Einordnung gemäss der anatomischen Organisation des neuromuskulären Systems. Von zentral nach peripher beginnt diese mit dem motorischen Kortex und verläuft über den kortikospinalen Trakt, die Motoneurone im Vorderhorn und spinalen Nervenwurzeln zu den peripheren Nerven, der neuromuskulären Endplatte und schliesslich dem Muskel selbst (Tab. 3). Läsionen des zentralen vom peripheren Nervensystems können meistens gut durch eine neurologische Basisuntersuchung abgegrenzt werden (Tab. 4). Eine Untersuchung mittels Elektroneuromyografie (ENMG) kann helfen, unklare Untersuchungsbefunde zu objektivieren.

Verteilungsmuster einer muskulären Schwäche als Hilfestellung zur Eingrenzung der Lokalisation und Ursache der Läsion

Wurde eine Muskelschwäche festgestellt, so sollte in einem weiteren Schritt das Verteilungsmuster beschrieben werden, um einer ätiologischen Diagnosestellung näher zu kommen (Abb. 1) [6].
◆ Eine generalisierte muskuläre Schwäche besteht bei den generalisierten Formen der Myasthenia gravis, länger bestehenden periodischen Paralysen (seltenen genetischen Ionenkanalerkrankungen), nach längerer Bettlägerigkeit, Muskelatrophie bei maligner Grunderkrankung oder fortgeschrittener Motoneuronenerkankung.
Wenn die Schwäche nicht generalisiert ist, sollte als nächster Schritt beschrieben werden, ob die Schwäche symmetrisch oder asymmetrisch ausgeprägt ist. Eine asymmetrische Muskelschwäche ist in der Regel durch eine Erkrankung des zentralen oder peripheren Nervensystems bedingt. Zudem haben Läsionen des motorischen Kortex, des Rückenmarks und der spinalen Nervenwurzeln und peripheren Nerven allesamt charakteristische Verteilungsmuster. Eine symmetrische Schwäche kann weiter in ein distales, proximales oder spezifisches Verteilungsmuster aufgeteilt werden [1]:
◆ Eine distale Schwäche ist durch einen reduzierten Faustschluss, eine Schwäche der Handflexion und/oder -extension, reduzierte Plantarflexion und/oder Fussheberschwäche gekennzeichnet. Diese Patientinnen und Patienten haben Probleme auf den Fersen (Steppergang) oder Zehen zu laufen. Eine distal-symmetrische Schwäche ist viel öfter [7] durch eine periphere Neuropathie (v.a. Polyneuropathie) oder beginnende Motoneuronenerkrankung als durch eine Myopathie bedingt (wobei es seltener auch distale Myopathieformen gibt, wie zum Beispiel eine Einschlusskörperchenmyositis mit reduzierter Fingerflexion).
◆ Eine proximale Muskelschwäche umfasst dagegen die axiale Muskulatur, die Schultergürtelmuskulatur und die Hüftflexoren. Betroffene können auch eine Schwäche der Kopfflexion und/oder -extension aufweisen. Eine einfache Möglichkeit, die Funktion der axialen Muskulatur zu überprüfen, ist es, die Betroffenen aus der Rückenlage aufstehen zu lassen und zu beobachten. Bei einer Nackenbeugeschwäche bleibt der Kopf beim Aufsitzen zurück, bei einer Schwäche der Schultergürtelmuskulatur werden die Arme vermindert eingesetzt, und bei einer Schwäche der Bauchmuskulatur wird über eine Seite abgerollt. Die Schwäche der Schultergürtelmuskulatur, insbesondere des M. deltoideus, kann durch Armabduktion mit flektiertem Ellenbogen getestet werden. Es sollte für den Untersucher nicht möglich sein, die Arme herunterzudrücken, wenn die Kraft normal ist. Patientinnen und Patienten mit relevanter Schwäche der vorderen Oberschenkelmuskulatur (M. quadriceps) schaffen es nicht, ohne Hilfe der Arme (verschränkt vor der Brust) aus dem Sitzen aufzustehen oder eine Kniebeuge zu machen. Kompensatorisch wird mit breiter Standachse an «den Beinen entlangkletternd» aufgestanden (Gowers-Zeichen). Eine proximale Muskelschwäche kann bei vielen Myopathien, Muskeldystrophien und der Myasthenia gravis gesehen werden (Tab. 5).
◆ Einige Neuropathien und Myopathien bzw. Muskeldystrophien weisen charakteristische Verteilungsmuster auf. Einige der häufigeren Ursachen bei Erwachsenen sind hier beispielsweise die Einschlusskörperchenmyositis, die Fazioskapulohumerale Muskeldystrophie (FSHD), der Morbus Pompe und die Charcot-Marie- Tooth(CMT)-Neuropathie (Tab. 6).

Ätiologische Einordnung

Ist die Muskelschwäche nun lokalisert und das Verteilungsmuster beschrieben, kann anhand weiterer Untersuchungsbefunde eine Kategorisierung zu einer genetischen, inflammatorischen/immunologischen, infektiösen, neoplastischen, toxischen oder metabolischen Ursache geschehen (Tabelle 3).

Läsionsort

Erkrankungen des 1. Motoneurons
Läsionen des 1. Motoneurons treten nach Schlaganfällen oder bei raumfordernden Läsionen des ZNS oder Rückenmarks auf. Weitere Ursachen vor allem auch des Rückenmarks sind Traumata, Infektionen, Tumore, vaskuläre Anomalien, hypertrophe degenerative skelettale Veränderungen, demyelinisierende Läsionen und angeborene Leukodystrophien. Entsprechende bildmorphologische Untersuchungen und ggf. Liquoranalysen können hier helfen, differenzialdiagnostisch die zugrundeliegende Ätiologie besser abzugrenzen.

Erkrankungen der Vorderhornzellen
Diese treten bei Motoneuronenerkrankungen, der spinalen Muskelatrophie, Bleivergiftungen oder Poliomyelitis auf. Seltene infektiologische Ursachen können das West- Nil- oder Echovirus sein. Insbesondere hier können der zeitliche Verlauf, eine Exposition und das Alter der Erstmanifestation der Symptome sowie ggf. auch eine Liquoranalyse in der Differenzialdiagnose weiterhelfen.

Erkrankungen des peripheren Nervensystems
Krankheitsmanifestationen der peripheren Nerven können typischerweise in zwei Formen auftreten:
◆ als symmetrische Manifestation einer Polyneuropathie, vor allem als Folge eines Diabetes. Andere Ätiologien sind verschiedene toxische oder metabolisch bedingte Störungen. Bei nicht-konklusiver Abklärungsollte je nach Befall und Verlauf auch an eine hereditäre Genese gedacht werden;
◆ als Mononeuropathie, am häufigsten ausgelöst durch eine Kompression (Karpaltunnel- oder Sulcus-Ulnaris- Syndrom). Eine Mononeuritis multiplex (asymmetrische, initial stark schmerzhafte Polyneuropathie) kann durch einen Diabetes oder eine Vaskulitis, wie z.B. eine Polyarteriitis nodosa, bedingt sein.

Eine Auswahl von speziellen behandelbaren Erkrankungen des peripheren Nervensystems, die mit einer Muskelschwäche einhergehen kann, findet sich in Tabelle 7.

Erkrankungen der neuromuskulären Endplatte
Neben der klassischen autoimmun bedingten Myasthenia gravis können auch eine Inhibition der Acetylcholinesterase durch Organophosphate (Intoxikation) und eine oft paraneoplastisch bedingte Störung der präsynaptischen Kalziumkanäle im Rahmen eines Lambert-Eaton-Syndroms bei einem kleinzelligen Lungenkarzinom eine fluktuierende belastungsabhängige Schwäche bzw. erhöhte muskuläre Ermüdbarkeit/Fatigue bedingen, die für Störungen im Bereich der neuromuskulären Endplatte charakteristisch ist. Hierbei sollte man eine Myasthenie aufgrund ihrer potenziell bedrohlichen Beteiligung der Atem- und Schluckmuskeln (Krise) und Behandelbarkeit nicht verpassen (siehe Abb. 1, Merksatz: «Sag niemals nie zur Myasthenie»). Die Krankheitsausprägung reicht hier von mild und fokal bis zur Generalisierung mit Tetraparese. Neben der klassischen okulären Erstmanifestation (> 50 % der Fälle mit fluktuierender, oft asymmetrischer Ptosis und Doppelbildern) [10], sollte vor allem auch bei fluktuierenden bulbären Symptomen und bei älteren Menschen an eine Myasthenie gedacht werden. Beispiele hierfür sind ein hypophones nasales Sprechen oder Lispeln, das sich mit zunehmender Sprechdauer verschlechtert, oder eine Kauschwäche und -ermüdung, insbesondere für harte Konsistenzen. Oft gehen diese Symptome auch mit einer Dysphagie einher. Eine einfache klinische Testung besteht in der Detektion einer Hypophonie beim laut zählen nach tiefer Inspiration bis bspw. 20 (zwei Zahlen je Sekunde) oder einem Räuspern und Husten nach Trinken eines Glases Wasser als Zeichen für eine Dysphagie. Da die bulbäre Muskulatur sich eine segmentale Innervation mit der respiratorischen Muskulatur teilt, ist die Kenntnis dieser heutzutage sehr gut behandelbaren Krankheitsmanifestationen der Myasthenie wichtig, um Folgebeschwerden wie z.B. einer Mangelernährung und respiratorischen Schwäche mit Gefahr von Aspirationen und Pneumonie früh entgegenwirken zu können.

Myopathien
Die Hauptkategorien von Myopathien, die eine inflammatorische, endokrine, metabolische, toxische oder hereditäre Genese umfassen, sind, wie auch häufige Ursachen einer Rhabdomyolyse, in Tabelle 5 dargestellt.
◆ Alter und Geschlecht können differenzialdiagnostisch helfen, wenn eine Muskeldystrophie vermutet wird.
◆ Eine Anamnese mit wiederholter belastungsabhängiger Pigmenturie (colafarbener Urin) und begleitender Schwäche kann den Verdacht auf eine metabolische Myopathie lenken. Nichtsdestotrotz haben viele metabolische Myopathien aber einen chronisch-progredienten anstatt eines episodischen Verlaufs.
◆ Eine Anamnese der Medikation (z.B. Neuaufnahme Statine, Immuncheckpoint-Inhibitoren), des Alkohol-und Drogenkonsums ist differenzialdiagnostisch unerlässlich.
◆ Einige Endokrinopathien (Hypo- oder Hyperthyreose, Elektrolytstörungen) können bei oft weiteren systemischen Untersuchungsbefunden durch ein einfaches Basislabor eingeordnet werden. An ein Cushing-Syndrom und Steroid-induzierte Myopathie sollte zudem bei proximal betonter Beinmuskelschwäche gedacht werden.
◆ Eine inflammatorische Myopathie kann bei einer proximal betonten symmetrischen Muskelschwäche vermutet werden, wenn alternative Erklärungen für eine Myopathie nicht konklusiv sind und/oder Zeichen für das Vorliegen einer systemischen rheumatolgischen Affektion mit Ausschlag, interstitieller Lungenerkrankung, Polyathritis oder Raynaud-Syndrom bestehen. Der Onset ist hier zumeist mit subakutem Beginn, oft schwererprogredienter symmetrischer, proximal betonter Muskelschwäche und begleitenden Myalgien.

Klinische Untersuchungen

Laborbefunde
Einige Laboruntersuchungen können bei der Evaluation einer Muskelschwäche sinnvoll sein [4].
Klinische Chemie und Urinanalyse: Erhöhungen der Muskelenzyme im Serum (neben der Creatinkinase (CK) auch Aldolase, Laktatdehydrogenase und Aminotransferase) sind suggestiv für das Vorliegen einer Muskelerkrankung. Bei fehlenden klinischen muskulären Symptomen und Untersuchungsbefunden ist aber insbesondere eine Hyper-CK-ämie bis zum 3–5 Fachen der Norm ein weitgehend unspezifischer Laborparameter, der zudem durch vorherige Muskelbelastung, falsch-hohe Werte im Rahmen einer Makro-CK-Ämie, Injektionen in die Muskulatur und Muskeltraumata verzerrt sein kann. Diese Fehlerquellen sollten daher vor der Abnahme einer CK ausgeschlossen werden (drei Tage zuvor keine schwere Muskelbelastung) und teils deutlich voneinander abweichende Normwerte müssen je nach Geschlecht, Ethnie und Alter beachtet werden [11]. Zudem sollte ein Basislabor mit Abnahme u.a. von TSH, Nierenparametern inkl. der Elektrolyte und wichtigsten Vitamine (Folsäure, Vitamin B12 inkl. Methylmalonsäure) erfolgen. Ein blutiger bzw. colafarbener Urin ohne Nachweis von erhöhten Erythrozyten im Urin-Stix ist suggestiv für das Vorliegen einer Myoglobinurie und damit einer Rhabdomyolyse.
Immunologische Parameter sind erforderlich, wenn eine Myasthenie (Anti-AChR, Anti-MuSK, selten Anti- LRP4), inflammatorische Ursache (z.B. Anti-histidyl-t- RNA Synthase [anti-Jo-1], Anti-HMGCR, Anti-SRP) oder Bindegewebserkrankung (Anti-Ro/SSA, Anti-La/SSB, Anti-Sm, und Anti-RNP) vermutet wird.
Anti-neutrophil zytoplasmatische Antikörper(ANCA)- Titer, Hepatitis-B- und C-Serologien und Kryoglobuline können bei Vd.a. das Vorliegen einer systemischen Vaskulitis mit Muskelbeteiligung bestimmt werden. Diese dann zu den inflammatorischen Myopathien gezählte Manifestation ist insgesamt selten und kommt nach einem kürzlich erschienenen Review v.a. im Rahmen einer Polyarteriitis nodosa oder ANCA-assoziierten Vaskulitis vor [9].

Elektrophysiologische Untersuchung
Ein ENMG kann zusammen mit den laborchemischen Resultaten helfen, klinische Befunde weiter differenzialdiagnostisch einzuordnen, insbesondere, wenn klinische Hinweise für den Befall des peripheren Nervensystems, einer neuromuskulären Übertragungsstörung oder eine Myopathie bestehen. Zunehmenden Wert gewinnt hier auch die gezielte Ergänzung mit einem Nerven- bzw. Muskelultraschall (beispielsweise für die Lokalisation
einer Muskelbiopsie oder zugrundeliegender struktureller Ursachen) [8].

Magnetresonanztomografie (MRI)
Die Magnetresonanztomografie gewinnt aufgrund der immer besseren Auflösungsmöglichkeiten und spezifischen Sequenzen als Ganzkörper-MRI bei Muskelerkrankungen und als MRI-Neurografie bei Plexo- oder Neuropathien (insbesondere für im ENMG schwer zu messendem oft proximale Nervenabschnitte (z.B. Plexus-MRI)) einen zunehmenden Stellenwert. Aus den ersichtlichen Veränderungen (z.B. Ödembildung, fibrotischer Umbau) und den Befallsmustern der Muskeln kann zum Beispiel eine gezielte Muskelbiopsie besser geplant und bei Verlaufsuntersuchungen ein Krankheitsprogress bzw.- ansprechen besser abgeschätzt werden. Eine MRI-Untersuchung ohne klinische Befunde ist dagegen bei unspezifischer Muskelschwäche in aller Regel nicht wegweisend [7].

Muskelbiopsie
Die Muskelbiopsie hat in den vergangenen Jahren durch die zunehmenden Möglichkeiten einer genetischen Untersuchung aufgrund der Invasivität der Untersuchungstechnik und Problematik «unspezifischer» Befunde (verschiedene hereditäre oder erworbene Ätiologien können ein ähnliches Muster haben) und «Sampling Errors» an Wertigkeit verloren. Dennoch gibt es vor allem bei den inflammatorischen Nerven- und Muskelerkrankungen (vaskulitische Neuropathien, auch Lymphomatose; Dermatomyositis, Antisynthetase-Syndrome, nekrotisierende immunvermittelte Myositis) sowie bei bestimmten Muskeldystrophien, der Einschlusskörperchenmyositis und Vaskulitiden charakteristische Befunde, die bei der Differenzialdiagnose helfen können. Spezielle Färbungen und enzymatische Testungen können zudem bei der ätiologischen Aufarbeitung bei Vd.a. das Vorliegen von Mitochondriopathien oder weiteren metabolischen Myopathien helfen.

Genetische Testung
Nicht zuletzt aufgrund der erfreulicherweise zunehmenden Behandlungsmöglichkeiten – vor allem auch der genetischen – von Erkrankungen, die mit einer Muskelschwäche einhergehen (Morbus Pompe, SMA, ATTR-Amyloidose) wird die genetische Testung zunehmend früher und parallel in der diagnostischen Aufarbeitung eingesetzt. Neben den therapeutischen Möglichkeiten (Tabelle 6) hat sie ihren Wert auch in der genetischen Beratung, der Prognoseabschätzung sowie der Möglichkeit zur Teilnahme an Studien, die in den vergangenen Jahren exponentiell zugenommen haben.

Respiratorische Muskelschwäche

Wie bereits im Abschnitt der Erkrankungen an der neuromuskulären Endplatte beschrieben, sollte bei Patientinnen und Patienten mit Leitsymptom einer Muskelschwäche die Untersuchung der axialen und respiratorischen Muskulatur nicht vergessen werden, dies insbesondere, wenn zudem eine Dysphagie, Dysarthrie und/oder Dyspnoe besteht.

Dr. med. Kai Michael Schubert Ph.D

Universitätsspital Zürich
Frauenklinkstrasse 26, 8048 Zürich

kaimichael.schubert@usz.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

 

Historie
Manuskript akzeptiert: 18.01.2023

 

ORCID
Kai Michael Schubert
https://orcid.org/0000-0003-1438-7544
Bettina Schreiner
https://orcid.org/0000-0001-6983-4124

  • Muskelschwäche ist ein häufiger Vorstellungsgrund in der allgemeinen Praxis, der, aufgrund mannigfaltiger Differenzialdiagnosen, ein strukturiertes Vorgehen erfordert, dem mit einem Dreischritt aus Erkennen einer «echten» Muskelschwäche (aus Anamnese und Untersuchung), Beschreibung des Lokalisationsmusters der Schwäche und anschliessender differenzialdiagnostischer ätiologischer Einordnung nachgekommen werden kann.
  • Zur Lokalisation der Muskelschwäche eignen sich Algorithmen, die die Differenzialdiagnose mit Hilfe von weiteren anamnestischen Informationen über zeitlichen Verlauf und Schwere der Schwäche, über Begleiterkrankungen und -symptome, über Medikamenteneinnahme und familiäre Belastung einengen können
  • Durch rasche Fortschritte im Verständnis der Genetik und Pathophysiologie zahlreicher mit einer Muskelschwäche einhergehenden Erkrankungen, der zunehmend besseren Verfügbarkeit von genetischen Abklärungen und daraus auch gezielter abgestimmten therapeutischen Möglichkeiten besteht eine rasch ansteigende Anzahl von behandelbaren Erkrankungen mit Muskelschwäche.
  • Der erwähnte strukturierte Untersuchungsansatz einer Muskelschwäche ermöglicht hierbei das Erkennen von «Red Flags» für behandelbare Erkrankungen einhergehend mit einer Muskelschwäche, bei denen die Zuweisung an ein spezialisiertes Zentrum in der Regel sinnvoll ist.

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Demenz: Übersicht zur Nomenklatur und den häufigsten Formen

Dieser Artikel erläutert die gebräuchliche Nomenklatur der Demenz und stellt die für die häufigsten Demenzformen typischen Symptome und Befunde in einem kurzen Überblick vor. Ein besonderer Fokus wird auf die häufig unterdiagnostizierte Lewy-Body-Demenz gelegt.
Schlüsselwörter: Demenz, Nomenklatur, Demenzformen, Lewy-Body-Demenz

Dementia: Overview of Nomenclature and the Most Common Forms

This article explains the nomenclature of dementia in common use and presents a brief overview of the typical symptoms and findings of the most common forms of dementia. A particular focus is placed on Lewy body dementia, which is often underdiagnosed.
Keywords: Dementia, nomenclature, forms of dementia, Lewy body dementia

 

Démence: Aperçu de la nomenclature et des formes les plus courantes de démence

Cet article explique la nomenclature de la démence en cours et donne un bref aperçu des symptômes et des résultats typiques pour les formes les plus courantes de démence. Un accent particulier est mis sur la démence à corps de Lewy, souvent sous-diagnostiquée.
Mots-clés: Démence, nomenclature, formes de démence, démence à corps de Lewy

 

Neurodegenerative Erkrankungen stellen eine der grössten Herausforderungen der öffentlichen Gesundheit weltweit dar [1]. Bereits heute leben in der Schweiz schätzungsweise 150 000 Menschen mit einer Demenzerkrankung, mit etwa 32 200 Neuerkrankungen jährlich, wobei aufgrund der demografischen Entwicklung mit einer deutlichen Zunahme der Patientenzahlen auszugehen ist [2, 3]. So stellt das Alter den grössten Risikofaktor für eine Demenzerkrankung dar [3]. Nach dem 65. Lebensjahr steigt das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, auf 1:3 bis 1:4 [3]. Für das Jahr 2050 wird in der Schweiz mit etwa 300 000 demenzerkrankten Personen gerechnet, weltweit mit 135 Millionen [4, 5]. Die Kosten aufgrund von Demenzerkrankungen betragen in der Schweiz ungefähr 7 Milliarden Franken [3]. Die Demenz verläuft progressiv und kann zur kompletten Pflegebedürftigkeit führen [6]. Ein frühzeitiges Erkennen des Krankheitsbildes ermöglicht Betroffenen eine autonome Zukunftsplanung sowie medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapiemöglichkeiten im Sinne eines interprofessionellen Krankheitsmanagements [7]. Nur solange die Urteilsfähigkeit gegeben ist, können Vorsorgeauftrag, Patientenverfügung und Erbschaften geregelt werden [3]. Massnahmen zur Progressionsverlangsamung, Therapie einer begleitenden Depression, Unterstützung für Angehörige und Hinauszögern einer Institutionalisierung werden möglich [7].

Nomenklatur

Demenz beschreibt ein Syndrom, bei dem es zu einer Abnahme der Leistungsfähigkeit in einer oder mehreren kognitiven Domänen (Lernen und Gedächtnis, komplexe Aufmerksamkeit, Sprache, Exekutivfunktionen, perzeptiv-motorische Fähigkeiten und soziale Kognition) kommt, die sich im Alltag funktionell und/oder sozial beeinträchtigend auswirken [8, 9]. Die gebräuchliche Nomenklatur richtet sich nach dem «Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition» (DSM-5) und der 11. Revision der «International Classification of Diseases (ICD-11)» (Abbildung 1) [8, 9]. Gemäss der ICD-11-Klassifikation ist bei der Demenz eine Einschränkung in mindestens zwei kognitiven Domänen zu erwarten [9]. Die Kognitionseinschränkungen sind dabei nicht allein durch das Patientenalter erklärbar und repräsentieren eine Verschlechterung der Kognition im Vergleich zu einem früheren Zeitpunkt [9]. Bei der DSM-5 wird eine Abnahme der Hirnfunktion in mindestens einer der genannten kognitiven Domäne als «Neurocognitive Disorder» beschrieben [8]. Bleibt die Selbständigkeit im Alltag erhalten, wird von «Mild Neurocognitive Disorder» gesprochen [8], weniger gebräuchlich wird anstelle von «Mild» auch der Term «Minor» verwendet [8]. Zeigen sich Einschränkungen in den Alltagsaktivitäten («activites of daily living», ADL) sind die Kriterien einer Demenz erfüllt und es besteht eine «Major Neurocognitive Disorder» [8]. Diese wird im klinischen Alltag semiquantitativ in drei Schweregrade unterteilt, wobei die Übergänge häufig kontinuierlich sind [8]. Eine leichte Demenz bedeutet, dass die Person Schwierigkeiten in den instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens hat («instrumental Activites of Daily Living», iADL), z.B. gelingt der Zahlungsverkehr oder die Benützung des öffentlichen Verkehrs nicht mehr [8]. Bei einer mittelschweren Demenz besteht ein Supervisions- resp. Unterstützungsbedarf in den basalen Aktivitäten des täglichen Lebens («basic Acitivites of Daily Living», bADL) wie beispielsweise der Körperpflege oder dem An- und Auskleiden [8].
Im schweren Demenzstadium besteht kompletter Pflegebedarf [8]. Für die Demenz vom Alzheimer-Typ erfolgt die Einteilung in die Stadien des «Clinical Dementia Rating» (CDR-Stadien) [10]. Weiter sollten die Kognitionsstörungen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung nicht allein durch ein Delir oder eine psychiatrische Erkrankung (z.B. Depression) erklärbar sein [8]. Neben den kognitiven Einschränkungen leiden Patientinnen und Patienten mitunter auch unter Verhaltenssymptomen (früher auch behaviorale und psychologische Symptome der Demenz (BPSD) genannt) [11]. Diese haben prognostische Bedeutung und beeinflussen die Selbständigkeit im Alltag und die Lebensqualität und belasten unter Umständen das soziale Umfeld [11, 12]. Gerade in frühen Stadien, bei Komorbiditäten (z.B. Depression), Überlappungen zwischen den Demenzformen und deren Koexistenz kann eine Diagnosestellung schwierig sein [13, 14]. Es erfolgt ein schrittweises Vorgehen: Die gesamte medizinische Vorgeschichte muss eingeholt, eine neurologische Untersuchung durchgeführt und die Resultate der kognitiven Untersuchung müssen interpretiert werden [15]. Zusätzlich sind Laboruntersuchungen und bildgebende Verfahren notwendig [6]. Ziele der Diagnosestellung sind der Ausschluss behandelbarer Ursachen, die Etablierung einer Therapie und Unterstützung der Betroffenen und Angehörigen sowie das Vermeiden von Gefahrensituation (z.B. Abklärung der Fahreignung oder Testierfähigkeit) [3]. Die Empfehlungen des Vereins «Swiss Memory Clinics» können hier hilfreich sein [16].

Demenzformen

Basierend auf der zugrundeliegenden Neuropathologie erfolgt die Klassifizierung in verschiedene Demenzformen [14]. Die neurodegenerativen Demenzerkrankungen sind geprägt von einer abnormalen Proteinaggregation in den Neuronen und in der Glia [14]. Die meisten neurodegenerativen Demenzformen werden durch eine Fehlfaltung folgender Proteine verursacht: β-amyloid (Aβ), Tau-Protein, «TAR DNA-Binding Protein 43» (TDP-43), Alpha-Synuclein und Prionen [13, 14]. Zu diesen gehören die Alzheimer-Demenz (AD) (Aβ, Tauopathie), die frontotemporale Demenz (FTLD) (Tauopathie, TDP-43) und die Lewy-Body-Demenz (LBD) (Lewy-Körperchen bestehend aus alpha-synuclein) [3, 17]. Eine typische Prionenerkrankung ist die Creutzfeld-Jakob-Erkrankung [17]. Die häufigste nicht-neurodegenerative Demenzform stellt die vaskuläre Demenz dar [18]. Die unterschiedlichen Ursachen einer Demenz führen zu unterschiedlichen Krankheitsbildern, auf denen die Diagnosestellung beruht (Abbildung 2) [13, 14]. Oftmals kommt es zu Überlappungen zwischen den verschiedenen Krankheitsbildern [19]. Auf die häufigsten Demenzformen sowie die gemischte Demenz wird nachfolgend eingegangen.

Alzheimer-Demenz

Die AD ist mit 50–75 % die häufigste Demenzform [20, 21]. Die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter [20, 21]. Es ist davon auszugehen, dass nach dem 90. Lebensjahr etwa 40 % der Bevölkerung unter einer AD leidet. [3]. Das «National Institute on Aging and Alzheimer‘s Association Research Framework» definiert die AD anhand der zugrundeliegenden Neuropathologie: dem Vorliegen von Aβ und phosphorylierten Tau-Proteinen [22]. Klinisch ist die AD durch einen schleichenden Beginn charakterisiert [23]. Am häufigsten findet sich ein amnestisches Syndrom mit Einschränkungen im Lernen und Gedächtnis [23]. Bei den non-amnestischem Erscheinungsbildern finden sich Wortfindungsstörungen (logopenische Variante), Einbussen in den visuospatialen Fähigkeiten (posteriore kortikale Atrophie) oder Störungen in den Exekutivfunktionen (frontale Variante) [23]. Eine genetische Form bei Mutation des «Amyloid Precursor Protein» (APP), Präsenilin-2 (PSEN2) oder des Präsenilin-1 (PSEN1) ist bei autosomal-dominanter Vererbung mit fast vollständiger Penetranz bei auffälliger Familienanamnese und einem Symptombeginn von unter 65 Jahren zu vermuten [3, 23]. Diese ist jedoch mit einer Prävalenz von unter 1 % sehr selten anzutreffen [24].

Vaskuläre Demenz

Eindeutige Diagnosekriterien liegen nicht vor, vielmehr umfasst die vaskuläre Demenz heterogene Vaskulopathien, die eine Demenz verursachen können [18]. Studien haben gezeigt, dass der grösste Teil der Patientinnen und Patienten mit einer vaskulären Demenz an einer subkortikalen vaskulären Demenz leidet, weniger hingegen an der kortikalen vaskulären Demenz (Multiinfarkt-Demenz) [25]. Erstere beruht auf einer Erkrankung der kleinen Gefässe («small vessel disease»), die zu kleinen Infarkten (Lakunen) und kortikaler Atrophie führt [18]. Begleitend finden sich inkomplette respektive komplette Infarkte [18]. Inkomplette Infarkte äussern sich in den für die subkortikale vaskuläre Demenz typischen periventrikulären Läsionen der weissen Hirnsubstanz, die vaskuläre Leukenzephalopathie [3, 18]. Die ischämischen Läsionen betreffen insbesondere die präfrontalen subkortikalen Schaltkreise, was die klinischen Eigenschaften der subkortikalen vaskulären Demenz erklärt. So finden sich in erster Linie Aufmerksamkeitsstörungen, Einschränkungen in den Exekutivfunktionen und eine psychomotorische Verlangsamung [26].

Lewy-Body-Demenz

Bei Personen über 65 Jahre repräsentiert die LBD nach der AD die zweithäufigste neurodegenerative Demenzform [27]. Sie beinhaltet die Demenz mit Lewy-Körperchen (DLB) und die Parkinson-Demenz (PD) [28]. Beiden Erkrankungen liegt dieselbe Pathophysiologie zugrunde und beide stellen vermutlich ein Kontinuum einer Lewy-Körperchen-Erkrankung dar [29]. Unterschieden werden sie durch den zeitlichen Ablauf motorischer und kognitiver Symptome: Bei der PD bestehen die motorischen Veränderungen mindestens ein Jahr vor Auftritt der Kognitionsstörungen, bei der DLB tritt die Demenz entweder vor Beginn des Parkinsonsyndroms, gleichzeitig oder innerhalb eines Jahres danach auf [27]. Die Punkte-Prävalenz einer Demenz bei Personen mit einer Parkinsonerkrankung liegt bei ungefähr 25 %, und das Risiko, eine Demenz zu erleiden, steigt mit der Erkrankungsdauer [30]. So beträgt diese etwa 50 % nach einer Dauer von 10 Jahren [31]. Trotz ihrer Häufigkeit wurde die LBD oft nicht diagnostiziert oder als AD missinterpretiert, sodass 2017 eine Revision der Diagnosekriterien zur LBD erfolgte [32]. Neu werden klinische Eigenschaften sowie diagnostische Biomarker unterschieden (Abbildung 3) [32]. Grundsätzliche Voraussetzung ist das Vorliegen einer Demenz [32]. Bei der LBD zeigen sich insbesondere Einschränkungen in der Aufmerksamkeit, in den Exekutivfunktionen und der Visuokonstruktion [32]. Kernmerkmale sind eine Fluktuation der Kognition, visuelle Halluzinationen, REM-Schafstörungen und mindestens ein klinisches Symptom eines Parkinsonsyndroms [32]. Fluktuationen erscheinen als Veränderungen der Kognition, der Aufmerksamkeit und der Psychomotorik [32]. Typischerweise treten diese als Lethargie oder inkohärentes Sprechen auf [32]. Komplexe, detailreiche visuelle Halluzinationen zeigen sich oft in Form von Menschen oder Tieren; sie können durch die kranke Person selbst berichtet werden [32]. Bei den REM-Schlafstörungen, bei denen es zum Verlust der normalen REM-Schlaf-Atonie kommt, wird nicht selten seitens der Partnerin/des Partners von Verletzungen aufgrund von Extremitätenbewegungen der betroffenen Person während des Träumens berichtet [32]. In den supportiven klinischen Kriterien wurde neu die Hypersomnie, typischerweise als ausgeprägte Tagesschläfrigkeit, aufgenommen [32]. Biomarker beinhalten den Nachweis einer reduzierten Bindung der Dopamintransporter (DAT) in der Positronen-Emissions-Tomografie (PET)/«Single-Photon Emission-Computed Tomography» (SPECT) [32]. Weiter ist für die LBD eine reduzierte Aufnahme in der Iodine- Metaiodbenzylguanidine(MIBG)-Myokardszintigrafie sowie die Bestätigung einer fehlenden REM-Schlaf-Atonie mittels Polysomnografie charakteristisch [32].

Gemischte Demenz

Der Begriff «gemischte Demenz» verweist auf das Vorliegen mehrerer Demenzursachen [19]. Häufig wird die Kombination einer Alzheimer- und vaskulären Demenz beschrieben [19]. Neuropathologisch korreliert eine Demenzerkrankung oft mit den Befunden der Alzheimererkrankung oder der vaskulären Demenz, Autopsie-basierte Studien suggerieren jedoch eine unterschätzte Prävalenz der gemischten Demenz [33]. Weiter ergab eine Autopsie-basierte Studie, dass bei Hochbetagten das Vorhandensein multipler Pathologien mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit und Schwere einer Demenz verbunden ist [34]. Bei einer prospektiven Studie mit 209 Teilnehmern war die gemischte Demenz sogar am häufigsten vertreten [35]. Die Diagnose erschwert sich weiter durch den fehlenden Konsens zu klinischen und auch apparativen Diagnosekriterien [19]. So wird die gemischte Demenz gemäss DSM V unter «Major Neurocognitive Disorder» aufgrund mehrerer Ätiologien beschrieben [8]. Laut ICD-10 kann die Diagnose bei Personen gestellt werden, die Kriterien einer Alzheimer- und vaskulären Demenz erfüllen [36].

Lernfragen
1. Um die Diagnose einer Demenz zu stellen, müssen gemäss DSM-5 und ICD-11 folgende Kriterien erfüllt sein (Mehrfachauswahl):
a) Einschränkungen in mindestens drei kognitiven Domänen
b) Einschränkungen in den Alltagsaktivitäten oder -funktionen
c) Ausschluss eines Delirs
d) Verschlechterung im Vergleich zur früheren kognitiven Leistungsfähigkeit

2. Eine Lewy-Body-Demenz ist eher unwahrscheinlich, wenn folgende Befunde vorliegen (Mehrfachauswahl):
a) Rezidivierende Stürze
b) Cerebrovaskuläre Erkrankungen, die das klinische Bild verursachen können
c) REM-Schlafstörungen
d) Parkinsonsyndrom als alleiniges Kernmerkmal
e) Reduzierte Aufnahme der DAT-Liganden in der PET/SPECT

3. Eine 69-jährigen allein lebende Patientin leidet unter zunehmenden Gedächtnisstörungen und benötigt seit einem Jahr Unterstützung in den administrativen Aufgaben. Die Tochter der allein lebenden Frau bestätigt häufiges Nachfragen und eine zunehmende Verwahrlosung des Haushalts ihrer vormals sehr ordentlichen Mutter. Folgende Aussagen sind zutreffend (Mehrfachauswahl):
a) Aufgrund der geschilderten Gedächtnisstörungen ist das Vorliegen einer Depression sehr unwahrscheinlich.
b) Eine sekundäre Demenzursache sollte ausgeschlossen werden.
c) Sollte eine Diagnostik eine Alzheimer-Demenz nachweisen, wäre bereits ein schweres Demenzstadium erreicht.
d) Die Empfehlungen der «Swiss Memory Clinics» bieten Hilfestellung für weitere Abklärungsschritte.
e) Es empfiehlt sich eine genetische Abklärung der Tochter hinsichtlich einer Alzheimer-Demenz, da die Mutter vor dem 70. Lebensjahr erkrankt ist.

Dipl. Ärztin Catherine Klaghofer

Stadtspital Zürich Waid
Tièchestrasse 99
8037 Zürich

catherine.klaghofer2@stadtspital.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

 

Historie
Manuskript eingereicht: 14.01.2023
Nach Revision angenommen: 18.01.2023

 

ORCID
Catherine Klaghofer
https://orcid.org/0000-0002-1930-3082

 

  • Die Nomenklatur richtet sich nach dem «Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition» (DSM-5), wobei hier eine Abnahme der Hirnfunktion in mindestens einer der genannten kognitiven Domäne als «Neurocognitive Disorder» beschrieben wird: Lernen und Gedächtnis, komplexe Aufmerksamkeit, Sprache, Exekutivfunktionen, perzeptiv-motorische Fähigkeiten und soziale Kognition.
  • Bleibt die Selbständigkeit im Alltag erhalten, wird von «Mild Neurocognitive Disorder» gesprochen. Zeigen sich Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens, sind die Kriterien einer Demenz erfüllt und es besteht eine «Major Neurocognitive Disorder».
  • Zu den häufigsten Demenzformen gehören die Alzheimer-Demenz, die gemischte Demenz, die vaskuläre Demenz und die Lewy-Body-Demenz.
  • Ziele der Diagnosestellung einer Demenz umfassen den Ausschluss behandelbarer Ursachen, die Etablierung einer Therapie und die Unterstützung der Betroffenen und Angehörigen sowie das Vermeiden von Gefahrensituation (z.B. Abklärung der Fahreignung oder Testierfähigkeit).

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