«Prävention und Früherkennung» im Krebsbereich

Als Resultat zum erfolgreich durchgeführten Netzwerkanlass vom 22. März 2023 mit rund 100 Repräsentant:innen von Krebsfrüherkennungsprogrammen, Gesundheitsbehörden, Bund, Krankenversicherungen, Patientenorganisationen, Krebsregister, Universitäten, Haus- und spezialisierten Ärzt:innen, Pflege, Krebs-Nachsorge-Organisationen, Industrie und Vertreter:innen von Public Health, publiziert Oncosuisse die von den Expert:innen erarbeiteten Handlungsempfehlungen zu «Prävention und Früherkennung» im Krebsbereich. Die an diesen Workshops erarbeiteten Resultate und daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen wurden nun im Bericht «Handlungsempfehlungen für die Schweizer Krebsversorgung zum Thema «Prävention und Früherkennung» festgehalten.

Inhaltlich wurden die 3 Gebiete der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention behandelt und unter den Akteur:innen diskutiert. Fragestellungen wie beispielsweise der aktuelle Stellenwert von Tabak als Hauptrisikofaktor bei Krebs in unserer Gesellschaft; wie kann das Potential von Bewegungs- und Ernährungsangeboten optimal genutzt werden oder wo steht die Schweiz beim «europäischen Kodex zur Krebsbekämpfung hinsichtlich UV-Strahlen, Radon und weiteren Umwelteinflüssen wurden diskutiert.

Der Bereich der sekundären Prävention / Screening setzte den Fokus auf eine koordinierte, zugangsgerechte, nationale Krebsfrüherkennung und beschäftigte sich mit der Frage, ob Fortschritte durch neue Screening-Programme erzielt werden können.

Im Bereich der tertiären Krebs-Prävention stellte das Thema der Krebsnachsorge und die Frage, ob genügend Angebote vorhanden sind und ob deren Vernetzung gewährleistet ist, den Schwerpunkt.

Ausblick

Der Inhalt dieses Berichts wird zusammen mit den anderen Berichten der 3 weiteren Themenplattformen in den Oncosuisse «Masterplan 2030» einfliessen. Der nächste Oncosuisse Netzwerkanlass ist wie folgt geplant:
18. September 2023 – Themenplattform «Forschung»

Die publizierten Berichte sind einsehbar unter:
www.oncosuisse.ch/berichte-themenplattformen

Geschäftsstelle Oncosuisse – info@oncosuisse.ch

Dr. sc. nat. Michael Röthlisberger

Empathie und Pflege

Vielleicht mag es befremdlich erscheinen, sich mit Empathie und Pflege zu beschäftigen, weil diese Haltung so definitorisch und so selbstverständlich für den Pflegeberuf erscheint. Ein Blick in die Medien oder gängige Krankenhaus-TV-Formate scheint diese Haltung zu bestätigen. Pflegende haben unendlich Zeit, wenden sich mit fürsorglicher Haltung dem Patienten, der Patientin und den Angehörigen zu und wenn es die Situation verlangt, fahren sie zu ihnen nach Hause und versorgen den Hund.

Empathie als Arbeitsinstrument

Pflegenden, die diese Bilder nach einem anspruchsvollen, stressigen Dienst sehen, könnte dies wie ein Hohn erscheinen. «Wissen Sie, was hier los ist? Für Empathie und Zuwendung haben wir leider keine Zeit», waren Rückmeldungen, die wir von vielen Pflegenden in Projekten erhalten haben. Dabei ist eine Gesundheitsversorgung ohne Empathie eigentlich nur sehr schwer vorstellbar. Empathie ist eine wichtige Voraussetzung und zugleich ein zentrales Arbeitsinstrument für Caring-Berufe. Sie ermöglicht es erst, Bedürfnisse und Gefühle anderer Menschen zu erschliessen, um daran das Handeln auszurichten.

Empathie als Alltagskommunikation

Die «Selbstverständlichkeit» von Empathie mag sich auch aus deren breitem Einzug in den Alltag unserer Gesellschaft ergeben haben. Bücher, Ratgeber und Seminare rund um Empathie werden rege nachgefragt. Auch in der alltäglichen Kommunikation finden sich häufig Beschreibungen von Personen als «empathisch», oder Krisen wie die der Corona-Pandemie werden in den Medien eine «empathische Kraft» zugeschrieben, die die Gesellschaft enger zusammenführen würden. Typischerweise wird bei diesen Aussagen nicht näher ausgeführt, was unter Empathie genau zu verstehen sei. Es macht den Anschein, als verstehe sich Empathie in der Alltagskommunikation vermeintlich von selbst (Thiry, Kocks et al., 2021), was auch für die Pflege gilt, wie ein Blick in gängige Pflegelehrbücher oder Ausbildungscurricula zeigt.

Empathie – ein Versuch der begrifflichen Näherung

Was ist nun genau unter Empathie zu verstehen? Häufig werden emotionale Zustände und prosoziale Verhaltensweisen im Alltag als empathisch bezeichnet. Auch wenn in der wissenschaftlichen Psychologie ein breites, teilweise sehr heterogenes Verständnis von Empathie zu finden ist, so lassen sich doch einige charakteristische Aspekte ausmachen. Empathie ist durch das Zusammenspiel von affektiven Aspekten und kognitiven Komponenten gekennzeichnet. Die kognitive Komponente umfasst das intellektuelle Nachvollziehen der Situation einer anderen Person. Dadurch wird es uns möglich, eine andere Person hinsichtlich ihrer Emotionen und Gedanken zu verstehen. Demgegenüber beschreibt die affektive Komponente der Empathie, dass die Emotionen eines Gegenübers geteilt bzw. miterlebt werden. Deutlich wird dies beispielsweise an der «Gefühlsansteckung», in denen sich Emotionen, die sich beispielsweise in Weinen oder Lachen zeigen, mehr oder weniger ohne willentliche Steuerung auf eine andere Person übertragen. Dabei passen sich Gestik, Mimik und Körperhaltung des Gegenübers an, was als eine Art emotionale Spiegelung verstanden werden kann (Iacoboni und Mazzotta 2007). Die Fähigkeit, zwischen den eigenen Emotionen und denen des Gegenübers zu unterscheiden, wird in der Psychologie mit der Selbst-Andere-Differenzierung (Lamm et al 2007) beschrieben. Empathie wird in der Regel definiert als die Fähigkeit, die emotionale Situation eines anderen Menschen zu erkennen, zu verstehen und mitzufühlen. Dabei muss zugleich ein Bewusstsein dafür bestehen, dass die mitgefühlten Emotionen empathisch übertragen sind, also ihr Ursprung in der anderen Person liegt (nach Roth und Altmann in Thiry, Kocks et al., 2021).

Die dunkle Seite der Empathie

Freilich erscheint Empathie erst einmal als eine uneingeschränkt zu bejahende Fähigkeit des Menschen, welche zu moralisch richtigem und prosozialem Verhalten führt. Der klare Zusammenhang von empathischen Empfindungen und altruistischem Verhalten (z. B. Mitgefühl, Wärme, Fürsorge etc.) dürfte für diese Zuschreibung verantwortlich sein. Die Empfindung von Empathie gegenüber leidenden Personen begünstigt demnach die Motivation, zu helfen. Diese gute Seite der Empathie soll hier nicht bestritten werden, und doch müssen wir uns von möglicherweise überhöhten Zuschreibung der Empathie verabschieden. Neben den positiven Auswirkungen von Empathie verweisen einige Befunde der psychologischen Forschung auch auf eine Kehrseite. So konnten beispielsweise Zusammenhänge zwischen erhöhter Empathie und dem vermehrten Auftreten von depressiven Verstimmungen (O`Conner et al., 2007) wie auch Erschöpfungssymptomen (z. B. Williams et al., 2017) aufgezeigt werden. Dabei kann vermutet werden, dass nicht die empathische Emotion an sich negative Auswirkungen hat, sondern vielmehr der Umgang mit dem eigenen empathischen Erleben (Altman und Roth 2014). Nach diesen Überlegungen sind insbesondere Personen bzw. Berufsgruppen als «Risikogruppen» anzusehen, die häufig und mit intensiven empathischen Anforderungen, wie sie eben in der Pflege anzutreffen sind, konfrontiert werden.

Empathie und Pflege

Seit Florence Nightingale werden Mitgefühl, Empathie und Interaktion als wesentliche und unverzichtbare Elemente der Pflege-Patientenbeziehung beschrieben und finden Niederschlag in relevanten Pflegetheorien (z. B. Peplau 1952, Nightingale 1859). Pflege findet in der Regel im intensiven Austausch in teilweise sehr persönlichen Situationen mit anderen Personen statt. Dies bedingt die zwangsweise Auseinandersetzung mit intensiven Bedürfnissen und Gefühlen. Hoffnung, Wut, Enttäuschung, Glück – Pflegende können sich dieser Auseinandersetzung nicht entziehen. Hinzu kommt, dass Pflegende selbst mit ihren eigenen Bedürfnissen und ihren (situativen) Gefühlen in die Pflegearbeit gehen. Pflegende sind nicht neutral, auch wenn der Anspruch der Kontrolle, der eigenen Gefühle im Sinne der Service-Arbeit in der Pflegepraxis einen großen Raum einnimmt. Spezifisch für die Pflege ist dabei, dass ihr neben der verbalen und der nonverbalen Kommunikation insbesondere über die Körperarbeit eine weitere wesentliche Kommunikationsmöglichkeit zur Verfügung steht. Kommunikation ist die grundlegende Bedingung für alle notwendigen Aushandlungsprozesse und Vertrauensbildung in der Pflegearbeit. Ohne Empathie, ohne das Hineinversetzen in das Erleben und die Bedürfnisse des Gegenübers ist diese Gesundheitsversorgung nur schwer möglich. Empathie ist demnach als notwendiges Arbeitsinstrument der Pflege zu verstehen.

Empathie: Pflege für sich und andere

Welche Schlussfolgerungen lassen sich nun für die Pflege ableiten? Caring-Berufe sind empathische Berufe. Die Fähigkeit, sich in Situationen und Bedürfnisse anderer Personen hineinzuversetzen, ist die Voraussetzung für gelingende Interaktionsarbeit und notwendige Aushandlungsprozesse. Für Pflegende ist es zentral, sich selbst dabei nicht zu vergessen, sondern die Bedürfnisse des Gegenübers und die eigenen Bedürfnisse in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Dies darf nicht zu der vereinfachten Schlussfolgerung drängen, Pflegende sollten lernen, empathisch Nein zu sagen. Vielmehr geht es darum, Gefühle und Bedürfnisse beim Gegenüber und bei sich selbst zu entdecken und anzusprechen. Dies ist die Basis für die gemeinsame Suche nach Lösungsmöglichkeiten. Anregung und Orientierung können hierzu sogenannte Gefühle- und Bedürfnislisten im Internet geben, denn interessanterweise fällt es uns nicht leicht, über diese zu sprechen. Gleichzeitig möchte ich Pflegende auch zur Selbstempathie, Selfcare und Teamcare ermutigen. Was finden Sie schön? Was spendet Ihnen Kraft oder tut Ihnen gut? Manchmal sind dies sehr kleine alltägliche Dinge wie die Tasse Kaffee am Morgen oder die Sonnenstrahlen am Fenster. Diese bewusst und vor dem Hintergrund der Bedürfnisbefriedigung genossen, sind eine wunderbare Kraftquelle, die uns und dem Gegenüber guttut.

Andreas Kocks; BScN, MScN
Pflegewissenschaftler Universitätsklinikum Bonn Sprecher im Netzwerk Pflegewissenschaft und Praxisentwicklung der Universitätsklinika in Deutschland
Mitentwickler des empathischen Entlastungskonzeptes empCARE

Erstpublikation des Artikels in der Zeitschrift Onkologiepflege 1/2023

Iacoboni M, Mazziotta JV (2007): The mirror neuron system and the consequences of its dysfunction, Nat Rev Neurosci, 7(12):942-51
Lamm C, Batson CD, Decety J (2007) The neural substrate of human empathy: effects of perspective-taking and cognitive appraisal, J Cogn Neuroscim (1):42-58
Nightingal F (1859): Notes on nursing, what it is und what it is not, J.B. Lippincott Company, London
Peplau HE (1952): Interpersonal Relations In Nursing: A Conceptual Frame of Reference for Psychodynamic Nursing, Putnam, New York
Thiry, L, Schönefeld V, Deckers M, Kocks A (2021): empcare, ein Arbeitsbuch zur empathiebasierten Entlastung in Pflege und Gesundheitsberufen, Springer, Heidelberg

Wenig beachtete Herzkreislauf-Risikofaktoren

Aus den beiden Risiko-Gruppen Verhalten und Umwelt sind uns einige kardiovaskuläre Risikofaktoren (cv RF) im Alltag oft zu wenig präsent. Bei den Verhaltensrisikofaktoren kennen wir: Rauchen und andere Genussmittel, Ernährung, NaCl, Alkohol, Adipositas, Bewegungsmangel, soziales Verhalten, negativer Stress und Schlafstörungen. Bei der Umwelt berücksichtigt man als cv RF Luftschadstoffe, den Lärm (>55dB), die Lichtverschmutzung in der Nacht, Hitzewellen und auch eine nicht optimale urbane Stadtplanung. Zu den Umwelt-Risikofaktoren gibt es fünf sehr gute informative und aktuelle Publikationen der ESC resp. der DGK (1-5).

In dieser Ausgabe wird ein lesenswerter Artikel zum Thema Alkohol und Herz von Prof. Dr. R. Darioli aus Lausanne publiziert. Der Alkoholeinfluss wird heute kontrovers diskutiert. Die frühere Empfehlung der regelmässigen geringen Rotwein Einnahme ist nicht mehr allgemein gültig. Nach einer sehr grossen aktuellen Metaanalyse besteht ein erhöhtes Gesamtmortalitätsrisiko ab mehr als 2 Drinks pro Tag. Frauen sind deutlich empfindlicher. Kleine Mengen wirken nicht protektiv (6). Auch sollten Patienten mit paroxysmalem VHFli auf Alkohol verzichten.

Eine regelmässige körperliche Betätigung ist definitiv gesund; dies betrifft vor allem Herz-Kreislauferkrankungen. Um die gesundheitlichen Vorteile von «herzgesundem» Sport zu erreichen, sind mindestens 30 Minuten moderate körperliche Belastung an 5 Tagen/Woche notwendig (7).

Mit einigen Gedanken zu den cv RF Umwelt resp. Schlafstörungen möchte ich dieses Editorial ergänzen. Ein Infekt als entzündliches Ereignis, wie z.B. ein Grippevirus, erhöht das cv Risiko deutlich. So schützt eine präventive Impfung ältere und Risikopatienten vor kardiovaskulären Events.

Die Feinstaub- bzw. die Ultrafeinstaub-Exposition war 2019 für 12% aller weltweiten Todesfälle verantwortlich, davon sind 50% kardiovaskulär. Es ist der vierthäufigste cv Risikofaktor bezüglich Mortalität mit mehr Todesfällen als Lipide, Adipositas, Bewegungsmangel oder Alkohol. Beim Feinstaub sind neben den alltäglichen Belastungen (Heizungen, Industrie, Verkehr) auch Vulkanausbrüche, Waldbrände und Wüstenstürme zu berücksichtigen. Auch Stickstoffdioxid und Ozon spielen als Gas neben den feinen Partikeln eine wichtige Rolle mit einem erhöhten Risiko für Krankenhauseinweisungen bei kardiovaskulären Ereignissen (4). Nach der Europäischen Umweltagentur verursachen Luftschadstoffe in einem aktuellen Bericht jährlich europaweit mehr als 1200 vorzeitige Todesfälle bei Menschen unter 18 Jahren und erhöhen das Risiko von Krankheiten im weiteren Lebensverlauf erheblich. Extreme Temperaturen haben negative Auswirkungen auf den Organismus mit kardiovaskulären Events bei entsprechenden Vorerkrankungen (5).

Schlafstörungen neben der OSA sind ebenfalls assoziiert mit kardiovaskulären Erkrankungen. Ein schlechter oder ungenügender Schlaf (Dauer <6h) führt zu Hypertonie, Adipositas, Diabetes, Vorhofflimmern und Schlaganfällen. Ein kurzer und unruhiger Schlaf begünstigt die Atherosklerose. Eine schlechte Schlafqualität ist auch ohne manifeste Schlafapnoe in drei grossen Studien ein Risikofaktor für VHFli. Ein gesunder Schlaf von 7 bis 8 Stunden ohne signifikante Einschlafschwierigkeiten mit einem Gefühl ausgeruht zu sein an mindestens 5 Wochentagen senkt das Sterberisiko um 30% und verlängert die Lebenserwartung um 4,7 Jahre (8).

Diese Risikofaktoren führen zu oxidativem Stress, zu einer Entzündungsreaktion, zu einer Aktivierung des Sympathikus und des RAAS-Systems und zu einer autonomen Dysbalance mit Endotheldysfunktion, beschleunigter Atherosklerose und Gerinnungsstörung mit entsprechenden kardiovaskulären Erkrankungen und vermehrten kardiovaskulären Events. Bei der Schlafstörung wird zusätzlich der zirkadiane Rhythmus gestört.
Daher sollten auch diese erwähnten Risikofaktoren im Alltag mehr Beachtung finden.

Ein sehr interessanter Artikel zum Heart Team und seinen heutigen vielseitigen Aufgaben in der modernen Herzmedizin aus der Herzklinik Hirslanden bereichert diese Ausgabe. Dabei wird das individuell beste interventionelle Verfahren für jeden Patienten festgelegt.

Mit den herzlichsten Wünschen für eine spannende Lektüre bei erholsamen Sommerferien in einer gesunden ruhigen Natur mit nicht zu heisser Umgebungstemperatur, mit viel Bewegung und täglicher moderater sportlicher Betätigung, genügend tiefem Schlaf, mediterraner Ernährung, nicht zu viel Kochsalz und nicht zu viel und nicht zu regelmässig Alkohol.

Dr. med. Urs Dürst, Forch

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

1. Newby D.E. et al. Expert position paper on air pollution and cardiovascular
disease ; EHJ 2015 ;36:83-93
2. Brauner M. et al. Taking a stand against air pollution – the impact on cardiovascular disease ; EHJ 2021 ;42:1460-1463
3. Münzel Th. et al. Environmental risk factors and cardiovascular diseases: a
comprehensive expert review; Cardiovascular research 2022 ;118:2880-2902

RETO KRAPFs Medical Voice

Frisch ab Presse:

Behandlung des Gestationsdiabetes: Ist früher auch besser?

Die wichtigsten Risikofaktoren für einen Gestationsdiabetes sind ein erhöhter BMI bei einer eher älteren Mutter sowie die Prävalenz des Typ 2 Diabetes in der Allgemeinbevölkerung. Ein unbehandelter Gestationsdiabetes kann zu erhöhtem fetalem Wachstum, vermehrten Geburtskomplikationen, Präeklampsie oder einer neonatalen Hypoglykämie führen. Aus diesen Gründen wird mit einem oralen Glukosetoleranztest im 2.Trimester (24-28. Schwangerschaftswochen) ein Gestationsdiabetes gesucht. Führen eine frühere Abklärung und Behandlung auch zu einer besseren Prognose für Mutter und Kind? Der Hintergrund für diese Fragestellung ist die Beobachtung, dass negative Schwangerschaftsverläufe mit steigenden Glukosekonzentrationen in der Frühschwangerschaft korrelieren. Dies gilt auch für Glukosewerte, die formell noch im Normbereich sind. Für die Korrelation konnte kein Glukoseschwellenwert nachgewiesen werden.

Bei etwa 800 Frauen mit Einzelschwangerschaft und einer Risikokonstellation, wurde die Diagnose eines Gestationsdiabetes im Schnitt schon in der 16. Schwangerschaftswoche gestellt, und zwar mittels eines oralen Glukosetoleranztestes. Die Hälfte davon wurde danach beobachtet und erst behandelt, wenn der zweite Glukosetoleranztest im angestammten 2. Trimester den Gestationsdiabetes bestätigte. Die zweite Gruppe wurde sofort behandelt. Die frühe Behandlungsgruppe wies marginal weniger Komplikationen beim Kind auf, aber ohne nachweisbaren Effekt auf die Gesundheit der Mutter. Wie aus früheren Studien bekannt, hat der mit der Glukosetoleranz abgeklärte Gestationsdiabetes eine signifikante Spontanremissionsrate: In dieser Studie hatte ein Drittel der früh getesteten Mütter zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche keinen Gestationsdiabetes mehr. Diese und die Resultate (1) einer früheren Studie, die auch keinen relevanten Effekt auf die neonatale und mütterliche Gesundheit fand, sind Argumente vorerst bei der angestammten Praxis, d.h. dem Diabetes-Screening im 2. Trimester zu verbleiben (2).

1. American Journal of Obstetrics and Gynecology 2020, doi: 10.1016/j.ajog.2019.12.021, 2. NEJM 2023, doi:10.1056/NEJMoa2214956

Sekundärprophylaxe thromboembolischer Ereignisse bei malignen Neoplasien

Die direkt wirkenden oder neuen oralen Antikoagulantien (DOAK oder NOAK) haben ihre Wirksamkeit in der Therapie und Sekundärprophylaxe von Thromboembolien unter Beweis gestellt. Patientinnen und Patienten mit einer maligne Neoplasie haben ein 7-fach erhöhtes Thromboembolie-Risiko und wegen der hohen Rezidivgefahr ist eine langdauernde Antikoagulation notwendig. Die bisherigen Wirksamkeitsstudien hatten mehrheitlich onkologische Patientinnen und Patienten ausgeschlossen. Die vorliegende Studie schliesst nun diese Lücke. Die direkt wirkenden Antikoagulantien erwiesen sich im Vergleich mit den niedermolekularen Heparinen als ebenbürtig. Die Nachbeobachtung nach einer initialen Thromboembolie bezüglich neuer Ereignisse oder Tod betrug etwas bescheidene 6 Monate. Es wurden 335, resp 336 Patientinnen und Patienten in eine der beiden Gruppen randomisiert. Die Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen ebenfalls vergleichbar (etwa 34% in beiden Gruppen). Ein praktisch wichtiges Studienresultat, das die Verhinderung weiterer Thromboembolien in dieser Patientengruppe vereinfacht.

JAMA 2023, doi:10.1001/jama.2023.7843, verfasst am 20.06.2023

Beidseitige Katarakte: Beide zusammen oder einer nach dem anderen operieren?

Mit zunehmendem Alter nimmt auch die Katarakthäufigkeit, und zwar oft bilateral zu. Eine holländische Studie kommt zum Schluss, dass die gleichzeitige Operation beider Augen gegenüber der Strategie „eines nach dem anderen“ bezüglich Sicherheit äquivalent ist. Allerdings ist der Vorbereitungs- und Kontrollaufwand geringer, sodass ökonomische Vorteile errechnet werden können. Für Holland wären dies etwa 27 Millionen Euro pro Jahr.

The Lancet 2023, doi.org/10.1016/S0140-6736(23)00525-1, verfasst am 21.06.2023

Neue Empfehlungen: Behandlung der chronischen, idiopathischen Obstipation

Etwa 10% der Individuen in der Allgemeinbevölkerung sollen darunter leiden! Anstelle von vielen Worten publizieren wir hier die aktualisierten Behandlungsempfehlungen der Amerikanischen Gesellschaft für Gastroenterologie als Figur (1). Wir empfehlen auch die Konsultation der entsprechenden, gut verfassten Kommentare in der zweiten Zitation (2).

1. Gastroenterology 2023, doi.org/10.1053/S0016-5085(23)00638-8, 2. Gastroenterology 2023, doi.org/10.1053/j.gastro.2023.03.214, beide Publikationen sind als open access frei zugänglich, verfasst 21.06.2023

Weniger als eine halbe Minute für Hintergrundwissen über…

Risikofaktoren für lokale Rezidive und Metastasen bei Plattenepithelkarzinomen der Haut

Plattenepithelkarzinome („Basaliome“ oder „Spinaliome“) der Haut sind bei Männern 3 mal häufiger als bei Frauen. Sie nehmen mit dem Alter fast exponentiell zu (z.B. sind sie 5-10 mal häufiger im Alter von 75 als in einem von 55 Jahren). Die Prognose ist meist ausgezeichnet, ausser wenn folgende Risikofaktoren vorliegen:
• Lokalisation an Schläfen, Ohren und Lippen
• Oberflächlicher Durchmesser > 2 cm
• Tumor aus einer Narbe hervorgegangen
• Histologisch schlechte Differenzierung
• Infiltrationstiefe von > 2 mm oder Wachstum unter das subkutane Fett
• Nachweis einer Lymphgefäss- oder einer perineuralen Infiltration

NEJM 2023, DOI: 10.1056/NEJMra2206348, verfasst am 23.06.2023

Welche Diagnose würden Sie stellen?

Ein 48-jähriger Mann beklagt über mehrere Wochen Müdigkeit, Appetitlosigkeit und einen Gewichtsverlust von 6 kg. Sein Kalzium ist erhöht (2,65 mmol/L). Das PET-CT zeigt supra- und infradiaphragmale Lymphknotenvergrösserungen, die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate beträgt 44 ml/min ohne Proteinurie und bei einem unauffälligen Urinsediment.

Die wahrscheinlichste Diagnose ist:
1. Malignes Lymphom mit paraneoplastischer Glomerulo­pathie (membranöse Glomerulonephritis)
2. Sarkoidose

Antwort:
Ein Malignes Lymphom könnte einen grossen Teil der Symptome und der Befunde erklären. Ein blandes Urinsediment und das Fehlen einer Proteinurie sprechen aber dagegen.
Die Hyperkalzämie und die Niereninsuffizienz ohne
wegweisenden Urinbefund sind typisch für eine Sarkoidose. Bei dieser gibt es eine grosse Palette von Veränderungen des Nierengewebes. Typisch – wie bei diesem Patienten bioptisch bestätigt – ist aber eine granulomatöse interstitielle Nephritis. Histologisch findet man sog. nicht-verkäsende Granulome gebildet aus mehrkernigen Riesenzellen, epitheloide Makrophagen und Fibrose. Die Aetiologie der Sarkoidose ist immer noch ungeklärt. Die Hyperkalzämie ist Folge einer endogenen Hypervitaminose D, da die Makrophagen in den Granulomen die sog. 1-alpha-Hydroxylase exprimieren können, welche das Vitamin D bioaktiviert (Konversion von 25-Hydroxy- in das 1,25-Dihydroxy-Vitamin D).
Richtig ist also Antwort 2. Die nachstehenden Abbildungen der Biopsie bei diesem Patienten illustrieren typische Befunde bei einer Sarkoidose.

Kidney 360, DOI: 10.34067/KID.0000000000000176, verfasst am 20.06. 2023

A) Interstitielle Fibrose/Granulationsgewebe mit Makrophagen (einige sog. epitheloidzellig) und Lymphozyten (schwarzer Pfeil)
B) Mehrkernige Riesenzellen (entstehen aus verschmelzenden Makrophagen) mit lamellierten Ablagerungen sog. Schaumann Körperchen, die bei 70% der Fälle nachweisbar sind (roter Pfeil).Im unteren Bildrand eine kugelförmige Fibrose ohne zentrale Nekrose, als ohne «Verkäsung» (blauer Pfeil).
C) Mehrkernige Riesenzelle umgeben von einer lymphoplasmozytären Infiltration. Im Zentrum der Riesenzelle ein sog. Asteroidkörperchen, das aus verschiedenen intrazellulären Strukturen entstanden ist. Es kommt im Gegensatz zu den Schaumann-Körperchen eher selten vor (10%) und ist nicht spezifisch für eine Sarkoidose (grüner Pfeil).
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Bertrand Chauveau (Université de Bordeaux) für die freundliche Erlaubnis, diese schönen
histologischen Bilder zu publizieren.

Pr Dr Reto Krapf

krapf@medinfo-verlag.ch

Update in der kardiovaskulären Medizin: das Heart Team als medizinischer Kulturwandel

Der Fortschritt in der kardiovaskulären Medizin hat bedeutend zur Verbesserung der Lebensqualität als auch der Lebenserwartung auf der ganzen Welt beigetragen. Dabei waren die Kardiologie sowie die Herzchirurgie anfänglich zu beiden Teilen gleich beteiligt, wobei das Schwergewicht nun mit der Einführung und Standardisierung von Kathetereingriffen für strukturelle Herzerkrankungen wegen der geringeren Invasivität auf der interventionellen Kardiologie liegt.
Um die verschiedenen Therapieoptionen der Kardiologie und der Herzchirurgie objektiv diskutieren zu können, wurde ein interdisziplinäres Fachgremium mit Kardiologen/Herzchirurgen/Anästhesisten, das sog. Heart Team institutionalisiert, in dem das individuell beste Verfahren für jeden Patienten festgelegt wird.

Progress in cardiovascular medicine has contributed significantly to improving quality of life as well as life expectancy around the world. Both cardiology and cardiac surgery have been equally involved, with the emphasis now on interventional cardiology with the introduction and standardization of catheter interventions for structural heart disease due to its less invasiveness.
In order to be able to objectively discuss the different therapy options of cardiology and cardiac surgery, an interdisciplinary expert committee with cardiologists/cardiac surgeons/anesthesiologists, the so-called Heart Team, has been institutionalized, in which the individually best procedure for each patient is determined.
Key Words: Heart Team, TAVI, minimal-invasive cardiac surgery

Die kardiovaskuläre Medizin hat in den letzten Jahrzehnten unglaubliche Fortschritte gezeigt, die sich in einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität als auch in einer Zunahme der Lebenserwartung niederschlugen (1). Während die Kardiologie ursprünglich als diagnostisches Fachgebiet aus der Inneren Medizin hervorging, entstand die Herzchirurgie aus der Allgemeinchirurgie, wobei sie sehr spezialisierte chirurgische Verfahren für angeborene als auch für erworbene Herzerkrankungen entwickelte. Speziell die interventionelle Kardiologie als etablierte Subspezialität innerhalb jeder grossen kardiologischen Abteilung hat sich zu einer eigentlichen Disziplin an der Grenze zwischen klinischer Kardiologie und der Herzchirurgie entwickelt und sich mit der Einführung der perkutanen Koronarintervention 1977 neben der Herzchirurgie etabliert (2). Seither ist der Trend ungebrochen, die weniger invasive Therapie der chirurgischen Behandlung von Herzkrankheiten vorzuziehen, da der Wunsch nach körperlicher Unversehrtheit und nach einer schnellen Genesung sowie der Wiederherstellung der Lebensqualität, intuitiv sehr attraktiv ist.

Seit der Einführung von perkutanen Klappenbehandlungen vor mehr als 15 Jahren und mit der Gründung von Heart Teams hat nun ein deutlicher Kulturwandel eingesetzt, mit dem Ziel einer verbesserten patientenorientierten Behandlung.

PCI versus koronare Bypassoperation

Die Herzchirurgie war über 30 Jahre die einzige Möglichkeit zur Behandlung von koronaren Gefässerkrankungen, Herzklappenerkrankungen und angeborenen Herzfehlern. Im Laufe der Zeit erwies sich die perkutane Behandlung der Koronarsklerose (PCI) als besonders nützlich für Patienten mit akuten Koronarsyndromen, da sie eine rasche Reperfusion im Falle eines partiellen oder vollständigen koronaren Gefässverschlusses gewährleisten (3). Die aorto-koronare Bypasschirurgie (ACBP) hingegen zeigte vor allem bei Patienten mit komplexer und fortgeschrittener koronarer 3-Gefässerkrankung signifikante Vorteile gegenüber der PCI (4). Bemerkenswert ist auch, dass das Operationsrisiko der ACBP nicht vom Ausmass der zugrundeliegenden koronaren Herzkrankheit abhängt, aber eher von der linksventrikulären Funktion, der pulmonalen Hypertonie sowie den Begleiterkrankungen (5). Obwohl die Herzchirurgie nach wie vor die Therapie der Wahl bei Patienten mit fortgeschrittener koronarer Herzkrankheit ist, gibt es grosse Unterschiede bezüglich Qualitäts- und Outcome Daten zwischen den verschiedenen herzchirurgischen Zentren, insbesondere bei der vollständigen arteriellen Revaskularisierung. Obwohl es keine eindeutige Überlegenheit der beidseitigen gegenüber der alleinigen Benutzung der inneren Brustwandarterie gezeigt hat (6), rechtfertigt dieses Ergebnis nicht das Konzept einer vollständigen Revaskularisierung mit 2 Brustwandarterien aufzugeben. Derzeit werden immer noch in den wenigsten Fällen ein ACBP mit doppelter A. mammaria durchgeführt, obwohl die Ergebnisse in erfahrenen Händen hervorragend sind (7). Chirurgen müssen sich deshalb immer der Risiken bewusst sein, dass, wenn sie nicht die optimalste Operation durchführen, sie in Zukunft auch bei der Behandlung der fortgeschrittenen koronaren Herzkrankheit von den Kardiologen verdrängt werden. Deswegen sind von der herzchirurgischen Community weitere randomisierte Studien notwendig, die eindeutige Qualitätsindikatoren für eine chirurgische Revaskularisation aufzeigen, um weiterhin attraktiv zu bleiben.

TAVI versus chirurgischer Aortenklappenersatz

Die Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) ist das jüngste Beispiel für eine minimal-invasive Alternative zum chirurgischen Aortenklappenersatz (AKE), die eine ähnliche Wirksamkeit und Sicherheit im kurz- bis mittelfristigen Verlauf sowie in der Wiederherstellung der Lebensqualität zeigt (8). Mit der Einführung von Transkathetertherapien kam es zu einer Vielzahl von randomisierten klinischen Studien durch die Kardiologen. Diese neuen Erkenntnisse haben sich auf die Empfehlungen in den Guidelines zur Behandlung von Klappenerkrankungen ausgewirkt (9).
Obwohl keine Kontroverse mehr darüber besteht, dass bei Patienten mit erhöhtem Operationsrisiko die TAVI dem chirurgischen Aortenklappenersatz (AKE) überlegen ist, hat die Debatte über Patienten mit niedrigem Risiko gerade erst begonnen. Die Resultate aus allen randomisierten Studien, die TAVI und AKE untereinander vergleichen, deuten darauf hin, dass es keine grossen Unterschiede zwischen den beiden Therapien gibt, unabhängig vom chirurgischen Risiko (10). Bemerkenswert ist, dass ein geringes Risiko in diesen Studien nicht mit einem jungen Alter gleichzusetzen ist, denn das Durchschnittsalter lag bei 74±6 Jahren. Ausserdem ist das Follow-up bei dieser Patientenpopulation begrenzt und die langfristigen Auswirkungen einer leichten paravalvulären Regurgitation oder das erhöhte Risiko einer permanenten Schrittmacherimplantation nach TAVI müssen noch genauer untersucht werden. Bei jungen Patienten ohne Komorbiditäten sollte die AKE weiterhin die Therapie der Wahl bleiben, während bei älteren Patienten (>75 Jahre) die TAVI vorzuziehen ist. Da die Definition des chirurgischen Risikos nach wie vor ziemlich unscharf ist, könnte die Lebenserwartung in Zukunft klinisch relevanter für die Wahl zwischen TAVI und AKE werden als das eigentliche biologische Alter.

Das Aufkommen der TAVI und nicht zuletzt der offensichtliche Paradigmenwechsel, wonach der chirurgische Aortenklappenersatz nicht mehr als Standardtherapie bei Patienten mit schwerer, symptomatischer Aortenstenose angesehen wird, wirft Fragen auf, die weit über die Behandlung der Aortenstenose hinausgehen. Dies betrifft auch weitere Themen wie das Zusammenspiel zwischen Kardiologen und Herzchirurgen, die künftige Aus- und Fortbildung sowie die Wahlfreiheit der Patienten (11). Die Ausweitung der TAVI auf Patienten, die von randomisierten klinischen Studien ausgeschlossen wurden (z.B. übermässiger Verkalkung des Aortenklappenrings, bikuspide Aortenklappen, schwere native Koronarsklerose oder Multiklappenerkrankung) ist vergesellschaftet mit weniger guten Resultaten und sollte deshalb in diesen Fällen nicht als Alternative zur Chirurgie angesehen werden. Auch wenn die Ergebnisse für Patienten, die sich einer transfemoralen TAVI unterziehen, hervorragend sind, ist die Evidenz klar, dass es bei Patienten, die wegen schlechtem ilio-femoralen Zugang einen alternativen TAVI-access benötigen, vermehrt zu peripheren vaskulären Komplikationen oder Blutungen führt. Diese Beispiele verdeutlichen, wie wichtig es ist, die Vor- und Nachteile der beiden Therapieoptionen im Rahmen des Heart Teams genau abzuwägen.

TMVR versus chirurgische Mitralklappenoperation

Bezüglich der Behandlung der Mitralklappe ist die chirurgische Mitralklappenrekonstruktion bei primärer Mitralinsuffizienz in high-volume Zentren weiterhin der Goldstandard, auch wenn es neue Transkatheter-Mitralklappentherapien (TMVR) gibt. Umgekehrt profitieren Patienten mit einer sekundären Mitralklappeninsuffizienz nachweislich von der TMVR, wenn sie isoliert und bei hochselektionierten Patienten durchgeführt wird. Die häufig zitierte Studie von Acker et al. (12) ist ein Beispiel dafür, wie eine prospektive randomisierte Studie, auch wenn sie in einer angesehenen Zeitschrift veröffentlicht wurde, eine irreführende Botschaft vermitteln kann, nämlich, dass der Mitralklappenersatz bei ischämischer sekundärer Mitralinsuffizienz die bessere Wahl gegenüber der Mitralklappenrekonstruktion sei. Daher müssen prospektive randomisierte Studien klare Einschlusskriterien, geeignete Endpunkte und eine vollständige Erfassung des Follow-ups aufweisen.

Die Zukunft der Herzchirurgie sollte sich nicht auf komplexe Fälle beschränken, sondern auch weiterhin einfache Pathologien einschliessen, sofern die Chirurgie die besseren Langzeitergebnisse liefert und sich die Herzchirurgen auf eine gemeinsame Technik für eine bestimmte Pathologie einigen können. Die Kardiologen scheinen diesbezüglich besser organisiert zu sein, da normalerweise eine Technik von allen in standardisierter Weise angewendet wird. Beim chirurgischen Aortenklappenersatz, dem häufigsten und gängigsten Klappenersatzverfahren, gibt es unter den Chirurgen immer noch widersprüchliche Auffassungen, ob nun die mediane Sternotomie oder die Mini-Sternotomie oder die anteriore Mini-thorakotomie die bevorzugte Technik ist. Die Chirurgen sind diesbezüglich gefordert, valide Langzeitdaten vorzulegen, die eine Verbesserung und Dauerhaftigkeit gegenüber anderen therapeutischen Optionen nachweisen.

Minimal-invasive Herzchirurgie

Minimal-invasive Verfahren sowie die robotergestützte Chirurgie, werden in der Herzchirurgie immer beliebter. Vor allem die minimal-invasive video-assistierte Mitralklappenchirurgie, welche über eine seitliche Minithorakotomie durchgeführt wird, gehört in modernen herzchirurgischen Zentren zum Standard. Bei diesen Verfahren wird das Herz durch einen kleinen Schnitt erreicht, was das Risiko von Komplikationen und den Blutverlust verringert und die Erholungszeit für die Patienten verkürzt (13). Ebenfalls wird seit dem Aufkommen der TAVI vermehrt auch der chirurgische AKE immer häufiger minimal-invasiv durchgeführt, wobei dabei idealerweise auch auf eine Eröffnung des Brustbeines verzichtet werden kann. Dieser minimal-invasive AKE über eine anteriore Minithorakotomie von 5 cm ist jedoch wegen der erhöhten Komplexität der Operation noch wenig verbreitet, darf aber als zurzeit beste Alternative zur TAVI angesehen werden (14).

Da sich die Technologie weiter verbessert, ist es wahrscheinlich, dass immer mehr komplexe Eingriffe mit minimal-invasiven Techniken durchgeführt werden.

Die robotergestützte Chirurgie, die vor allem in U.S.-amerikanischen Zentren sehr populär ist, hat das Potenzial, die Präzision und Genauigkeit noch weiter zu verbessern und die Notwendigkeit grösserer Schnitte und damit auch die Erholungszeit weiter zu verringern. Die in der Herzchirurgie eingesetzten Robotersysteme werden kontinuierlich weiterentwickelt und verfeinert, wobei dann in Zukunft auch neue Materialien und Technologien wie Sensoren und künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen könnten.

Heart Team

Der eigentliche offizielle Beginn des Heart Team ist schwierig zu bestimmen, jedoch wurde dieses Konzept bei der Durchführung der randomisierten SYNTAX-Studie zum Vergleich von PCI mit einer Bypass-Operation bei Patienten mit koronarer Dreigefäss- und Hauptstammstenosen erstmalig offiziell propagiert (15) und wurde anschliessend in die gemeinsamen ESC/EACTS-Guidelines 2010 zur myokardialen Revaskularisation (16) aufgenommen. Seither wurde dieses Konzept auch auf die Behandlung von valvulären Herzerkrankungen, der Herzinsuffizienz sowie des Vorhofflimmerns übertragen. Unser Team der HerzKlinik hat sehr früh dieses Konzept für die Evaluation von komplexen Behandlungen übernommen und als Prinzip der Betreuung aller Herzpatienten adoptiert (17). Die verstärkte Interaktion zwischen der interventionellen Kardiologie und der Herzchirurgie hat sich seither als sehr fruchtbar erwiesen, nicht zuletzt wegen des interdisziplinären Wettbewerbs, der die Herzmedizin deutlich vorantreibt, wie die zahlreichen randomisierten Studien zwischen interventionellen und chirurgischen Techniken klar beweisen. Die Aortenklappeneingriffe und die myokardialen Revaskularisationen gehören seither zu den am besten untersuchten Behandlungen in der Medizin.

Die Funktion des Heart Teams hängt massgeblich von der Zusammensetzung, der Verfügbarkeit der einzelnen Mitglieder sowie den örtlichen Gegebenheiten ab. Als Grundprinzip für ein erfolgreiches Heart Team gilt die gegenseitige Anerkennung und der Respekt der fachlichen Kompetenzen der Kollegen anderer Fachrichtungen. Üblicherweise beinhaltet ein Heart Team einen nicht-invasiven Kardiologen, einen interventionellen Kardiologen, einen Herzchirurgen sowie einen Herzanästhesisten. Heart Teams sind jedoch nicht in allen Zentren vorhanden oder sinnvoll durchführbar. Das Fehlen einer Herzchirurgie vor Ort zum Beispiel schliesst eine transparente und offene Diskussion von Fällen aus, was unweigerlich zu einem Bias in der Entscheidung für oder gegen eine Therapieoption führt. Dies gilt auch für die Fälle, die eine dringende Entscheidung erfordern, wenn die Chirurgen grad nicht innert nützlicher Frist für eine Besprechung zu Verfügung stehen. Ausserdem können überweisende Kardiologen, Internisten oder Allgemeinmediziner Erwartungen beim Patienten wecken, die dann in den anschliessenden Gesprächen des institutionellen Heart Teams nur schwer umzustossen sind. Dies kann z.B. dazu führen, dass bei der Patientenüberweisung ein Transkatheterverfahren gegenüber einem chirurgischen Eingriff nur auf der Grundlage etablierter Überweisungswege und nicht nach medizinischen Gesichtspunkten geplant und durchgeführt wird. In einem idealen Heart Team würde man jeden einzelnen Fall in Anwesenheit der wichtigsten Hauptakteure diskutieren und entscheiden, was in den meisten Fällen jedoch häufig zeitlich nicht machbar ist. Eine Möglichkeit zur Erleichterung der Fallbesprechung wäre die Ausarbeitung von institutionellen Protokollen, damit die «Routinefälle» einfach abgehandelt werden können, sodass dann die Diskussion komplexer oder kontroverser Fälle dem physisch anwesenden Heart Team vorbehalten wäre. Voreingenommenheit in der Diskussion können überwunden werden, indem der Patient in den Mittelpunkt der Entscheidungsfindung gestellt wird mit dem Ziel, das beste Ergebnis und die beste Qualität zu erzielen.

Obwohl mehrere Konklusionen aus randomisierten klinischen Studien in die chirurgischen und kardiologischen Guidelines integriert wurden, sind die Ergebnisse sowohl für katheter-technische als auch chirurgische Interventionen nachweislich abhängig von der Anzahl gemachter Eingriffe des jeweiligen Operateurs und des institutionellen Volumens sowie einer angemessenen Risikostratifizierung. Dies sind alles Parameter, die in der Regel nicht öffentlich zugänglich sind, aber einen wichtigen Einfluss auf die Ergebnisse haben (18). Daher ist die Konzentration der Versorgung auf grosse Zentren mit Kardiologie und Herzchirurgie wünschenswert und sinnvoll, was dann echte Heart Team-Diskussionen erleichtert und somit auch das Vertrauen zwischen den überweisenden und den behandelnden Ärzten stärkt, dass die Entscheidung des Heart Teams wirklich die effektivste und beste Therapieoption darstellt.

Obwohl die Wünsche des Patienten im Entscheidungsprozess des Heart Teams häufig angeführt wird, sind die Gründe, aus denen sich ein Patient für oder gegen eine bestimmte Therapieoption entscheidet, sehr vielschichtig und komplex. Die TAVI hat sich in zahlreichen randomisierten Studien als ebenso sicher und wirksam wie der chirurgische Aortenklappenersatz erwiesen, und die meisten Patienten würden naturgemäss immer das weniger invasive Verfahren bevorzugen, um eine Narbe, perioperative Schmerzen, eine verlängerte Erholungszeit und einen Aufenthalt auf der Intensivstation zu vermeiden.

Während die Daten zu beiden Verfahren sicherlich auf ältere Pa-tienten gut anwendbar sind, stehen uns jedoch derzeit keine Follow-up Informationen über 10 Jahre oder 15 Jahre bei jüngeren Patienten (<75 Jahren) zur Verfügung. Dies wirft die Frage auf, wie objektiv Patienten informiert werden können und wie relevant die Vorstellungen und Wünsche der Patienten sind und ob ihre Entscheidung aufgrund kurz- und mittelfristigen Outcome-daten überhaupt ausreicht. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass die Patienten in der Lage sind, diese Informationen zu verstehen, und dass sie auch die Möglichkeit haben, nicht nur mit einem interventionellen Kardiologen sondern auch mit einem Herzchirurgen zu sprechen.

Allgemeinmediziner und Zuweiser nehmen eine zentrale Rolle in der Informationskaskade für eine bestimme Therapie ein. Deswegen ist es wichtig, dass sie in alle Schritte der Entscheidungsfindung einbezogen werden, um gleichzeitig auch unrealistische Erwartungen auf Seiten des Patienten zu vermeiden. Es ist sehr schwierig für einen Patienten, der sich über das Internet informiert hat und von einem überweisenden Kardiologen über eine bestimmte Therapieform schon aufgeklärt wurde, vom Gegenteil zu überzeugen, selbst dann, wenn das Heart Team zu dieser Entscheidung gekommen ist. Noch weiterhin unklar bleibt auch die juristische Haftung, wenn die medizinische Entscheidung im Widerspruch zur Entscheidung oder Überzeugung des Patienten steht und es dann zu ernsthaften Komplikationen kommen sollte. Hat dann die Entscheidung des Patienten Vorrang? Aus diesem Grund sollte ausdrücklich davon abgeraten werden, einen Patienten in seinem Wunsch für eine bestimmte Therapie zu bestärken noch bevor ein Heart Team Entscheid vorliegt.

Die moderne Herzklinik

Moderne herzmedizinische Zentren sind so konzipiert, dass die klassische Trennung der medizinischen und chirurgischen Disziplinen eliminiert wurde, indem sie die Kardiologie und Herzchirurgie in eine gemeinsame Organisationseinheit überführt haben, um das gesamte Spektrum der präventiven, diagnostischen und therapeutischen Optionen in krankheitsorientierten Behandlungspfaden anzubieten. Der Anreiz besteht natürlich darin in jedem einzelnen Gebiet die beste Medizin anbieten zu können, was zwangsläufig zu einer Superspezialisierung führen wird, die gepaart mit Innovation und organisatorisch flachen Hierarchien idealerweise auch den Bedarf an hochqualifizierten interventionellen Kardiologen und Herzchirurgen sichern wird.
Diese Herzkliniken sollten in spezialisierte Einheiten (=Units) für die am häufigsten auftretenden Herzkrankheiten wie der koronaren Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Herzklappenerkrankungen und Herzrhythmusstörungen organisiert werden. Ebenfalls sollte die kardiale Bildgebung auch als eine eigene Unit organisiert sein, wie es in der HerzKlinik Hirslanden schon seit Beginn der Fall ist, da das Imaging nicht mehr nur zur Diagnostik, sondern auch peri-interventionell oder peri-operativ immer wichtiger wird. In jeder «Unit» sind spezialisierte Fachleute tätig, die modernste Diagnoseverfahren, kardiale Bildgebung, interventionelle und chirurgische Behandlung auf höchstem Niveau anbieten. Bestimmte Krankheitsbilder erfordern natürlich auch spezielle chirurgische Fähigkeiten, wie z.B. Spezialisten für minimal-invasive Klappenrekonstruktionen oder Kathetereingriffe, minimal-invasive Bypassoperationen, Aortenchirurgie sowie Spezialisten für Herztransplantation und Herzunterstützungssysteme (VAD-Systeme). Eine wichtige Voraussetzung für eine solche Konzentration der kardiovaskulären Versorgung in grosse tertiäre Versorgungszentren ist ein genügend grosses Volumen an Fällen, damit auch hervorragende Resultate gewährleistet werden können.

Solche überregionale herzmedizinische Versorgungszentren können jedoch nur aufgebaut werden, wenn sie von den Gesundheitsbehörden politisch gewollt und auch unterstützt werden. Nur so kann der Wettbewerb zwischen den einzelnen Spitälern durch ein gemeinsames Ziel ersetzt werden, nämlich hervorragende medizinische Qualität zu erzielen und eine angemessene Ausbildung in allen Bereichen und allen Stufen zu gewährleisten.
Um ein modernes Zentrum für kardiovaskuläre Medizin, das sowohl kardiologische (interventionelle/nicht-interventionelle) als auch herzchirurgische Leistungen anbietet, zukunftsgerichtet zu betreiben, wird man jedoch nicht mehr darum herumkommen, ein gemeinsames Budget für Kardiologie und Herzchirurgie zu verwalten, wie wir es bei uns in der HerzKlinik Hirslanden (www.swiss-heart-clinic.com) schon seit der Gründung der Herzklinik vor 10 Jahren betreiben. Dies hat zu Folge, dass die jeweiligen Vergütungen für die verschiedene Eingriffe weder der Kardiologie noch der Herzchirurgie gutgeschrieben werden, sondern dem ganzen Zentrum zugutekommt, weil nur so die Bias in der Indikationsstellung für oder gegen eine bestimmte Therapie aus finanziellen Gründen eliminiert werden kann.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Jürg Grünenfelder

HerzKlinik Hirslanden
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich
www.swiss-heart-clinic.com

Prof. Dr. med. Georg Noll

HerzKlinik Hirslanden
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich
www.swiss-heart-clinic.com

Prof. Dr. med. Roberto Corti

HerzKlinik Hirslanden
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Um in Zukunft erfolgreich sein zu können, sollte die Kardiologie und die Herzchirurgie nicht nur Hand in Hand arbeiten, sondern vielmehr eine Einheit in Bezug auf Ausbildung, Fortbildung, Abteilungsstruktur und in der Fachgesellschaft bilden. Die interventionelle Kardiologie hat unbestritten das therapeutische Spektrum zur Behandlung degenerativer Herzkrankheiten insbesondere der koronaren Herzkrankheit und der Herzklappenerkrankung erweitert. Dennoch liegt es weiterhin im Interesse der Kardiologie, einen starken herzchirurgischen Partner an ihrer Seite zu haben.
◆ Es sollte nicht länger eine künstliche Grenze zwischen Herzchirurgen, interventionellen und nicht-invasiven Kardiologen gezogen werden, sondern es sollte eine neue Form der Organisation geschaffen werden, die entsprechend den zugrundeliegenden Pathologien ein umfassendes Heart Team (herzchirurgisch/kardiologisch/anästhesiologisch) zur Hand hat, zum uneingeschränkten Nutzen der Patienten.

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Chronische Niereninsuffizienz – Wissenswertes für den hausärztlichen Alltag

Eine chronische Nierenerkrankung (chronic kidney disease, CKD) definiert sich über die Chronizität (mindestens 3 Monate), einen strukturellen Schaden und/oder eine glomeruläre Filtrationsrate (GFR) < 60 ml/min./1.73 m2, d.h. eine CKD muss nicht automatisch mit einer verminderten Ausscheidungsfunktion assoziiert sein. Analog zur Definition basiert die heutige Stadieneinteilung der CKD auf einem funktionellen (estimated GFR = eGFR, Clearance) und einem strukturellen (Albuminurie) Parameter. Zur Bestimmung der eGFR sollen primär die auf Alter, Geschlecht und Serumkreatinin basierten Formeln CKD-EPI 2009 (bis 69 Jahre) und CKD-BIS-1 (ab 70 Jahren) verwendet werden. Kreatinin per se ist kein Nierenwert, sondern ein Abbauprodukt des Muskelstoffwechsels, so dass z.B. bei enorm geringer Muskelmasse (hohes Alter, Kachexie) die Kreatinin-basierte eGFR die Nierenfunktion überschätzt. In dieser Situation scheint die eGFR-Messung mittels der deutlich teureren Cystatin-C-Bestimmung präziser zu sein. Als Ursachen einer CKD stehen nebst einer Vielzahl weniger häufiger Ätiologien seit Jahren Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie mit Abstand an vorderster Stelle. Jeder Patient mit CKD soll früher oder später nephrologisch beurteilt werden, sicher bei eGFR < 30 ml/Min./1.73 m2 (bei Einnierigkeit < 60 ml/min./1.73 m2), konstanter Albuminurie > 30 mg/mmol Kreatinin, persistierender nicht-urologischer (Mikro-)Hämaturie, therapierefraktärer arterieller Hypertonie und extensiv rezidivierender Nephrolithiasis. Bei allen Patienten mit CKD soll mindestens 1 x jährlich nebst der eGFR auch der Albumin/Kreatinin-Quotient in einem 2. Morgenurin vor dem Frühstück bestimmt werden.

Chronic kidney disease (CKD) is defined by chronicity (at least 3 months), structural damage, and/or GFR < 60 ml/min./1.73 m2, i.e., CKD need not automatically be associated with decreased excretory function. Analogous to the definition, the current staging of CKD is based on a functional (estimated GFR = eGFR, clearance) and a structural (albuminuria) parameter. Primarily, the age-, sex-, and serum creatinine-based formulas CKD-EPI 2009 (up to 69 years) and CKD-BIS-1 (70 years and older) should be used to determine eGFR. Creatinine per se is not a renal value, but a breakdown product of muscle metabolism, so that, for example, in the case of enormously low muscle mass (old age, cachexia), creatinine-based eGFR overestimates renal function. In this situation, eGFR measurement using the much more expensive cystatin C determination appears to be more accurate. For years, diabetes mellitus and arterial hypertension have been the leading causes of CKD, along with a variety of less common etiologies. Sooner or later, every patient with CKD should be evaluated nephrologically, certainly in the case of eGFR < 30 ml/min./1.73 m2 (in the case of singleness < 60 ml/min./1.73 m2), constant albuminuria > 30 mg/mmol creatinine, persistent non-urological (micro-) hematuria, refractory arterial hypertension and extensive recurrent nephrolithiasis. In all patients with CKD, the albumin/creatinine quotient should be determined at least once a year in addition to the eGFR in a 2nd morning urine before breakfast.
Key Words: chronic kidney disease, CKD

Definition der chronischen Nierenerkrankung

Die heute gebräuchliche Definition und Stadieneinteilung wurde von der KDIGO (Kidney Diseases – Improving Global Outcomes) 2002 vorgeschlagen (1), 2012 ergänzt (2) und 2020 nochmals breit diskutiert (3). Dabei ist der Begriff «chronische Nierenerkrankung» (englisch «chronic kidney disease; CKD») im Vergleich zu «chronischer Niereninsuffizienz» angebrachter, da er nicht automatisch eine eingeschränkte Nierenausscheidungsfunktion (Clearance), sondern auch strukturelle/funktionelle Nierenveränderungen ohne eingeschränkte Funktion beinhaltet. Zudem sollte der für PatientInnen angstmachende Begriff «terminale» Niereninsuffizienz vermieden werden (3).
Die Definition einer chronischen Nierenerkrankung (2) ist wie folgt:

Während mindestens 3 Monaten
(arbiträre Definition der Chronizität)
1. Nierenschaden mit oder ohne Funktionseinschränkung (GFR), manifestiert durch
►strukturelle Veränderungen (bioptisch gesichert)
►Marker des Nierenschadens (Proteinurie/Albuminurie,
Hämaturie, sonografische Veränderungen wie Narben nach Pyelonephritis etc.)
und/oder
2. GFR < 60 ml/min./1.73 m2, mit oder ohne Nachweis eines strukturellen Nierenschadens

Stadien der chronischen Nierenerkrankung (KDIGO)

Unbehandelte chronische Nierenerkrankungen können schneller zur Nierenersatztherapie (Dialyse, Transplantation) führen und sind je nach Stadium mit einem zunehmend höheren Risiko für Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Ereignisse und Hospitalisationen assoziiert (4). Die heute gebräuchliche Stadieneinteilung ist in Abbildung 1 dargestellt (3). Sie kombiniert den Grad der Funktionseinschränkung (eGFR, Clearance) mit der Albuminurie als Marker der strukturellen Nierenschädigung. Die vermehrte Albuminurie hat sich in zahlreichen Studien als entscheidender Progressionsfaktor einer chronischen Nephropathie erwiesen (5, 6)

Ursachen der chronischen Niereninsuffizienz

Seit Jahren sind Diabetes mellitus und schlecht kontrollierte arterielle Hypertonie die führenden Ursachen der chronischen Niereninsuffizienz (7). Bereits im jährlichen Bericht des US Renal Data Systems 2004 standen diese 2 Ursachen bei neu mittels Hämodialyse zu behandelnden Patienten an vorderster Stelle (8), wie in Abbildung 2 illustriert. Dies ist bis heute unverändert (9).

Weitere Ursachen (nach 7) sind Nierenarterienstenosen (renovaskuläre Nierenkrankheit), Anamnese von schwerem/prolongiertem akutem Nierenversagen, ausgeprägte Adipositas, schwere Herzinsuffizienz, Leberversagen, Autoimmunkrankheiten, rezidivierende komplizierte Harnwegsinfekte, verminderte Nierenzellmasse (Einnierigkeit nach Operation oder wegen Agenesie), Glomerulopathien, hereditäre Nierenkrankheiten, Malignome (v.a. Multiples Myelom), St. n. Chemo-/Radiotherapien, obstruktive Uropathie, Viruskrankheiten wie Hepatitis B/C und HIV sowie nephrotoxische Medikamente (z.B. Lithium, überdosiertes Vancomycin).

Indikationen für ein nephrologisches Konsilium

Diese sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Wichtig ist die Familienanamnese bezüglich hereditärer Nephropathien, falls sonographisch grosse Zysten in Nieren und Leber vorhanden sind (adulte polyzystische Nierenkrankheit) oder Schwerhörigkeit mit Proteinurie kombiniert ist (Alport-Syndrom). Eine chronische hypoproliferative Anämie (ungenügend stimulierte Retikulozyten!) ist bei fehlendem Mangel von Eisen, Vitamin B12 und Folsäure meist Ausdruck einer chronischen Nierenerkrankung. Persistierende Urin-pH-Werte > 6 (einfacher Multistix) können Hinweis auf die häufige, meist inkomplette distale renal-tubuläre Acidose sein, welche Nephrolithiasis/Nephrokalzinose und Osteopenie/-porose begünstigt (10, 11).

Bestimmung der Nierenfunktionsparameter im klinischen Alltag

Serum-Kreatinin und Kreatinin-Clearance

Kreatinin stammt aus dem Metabolismus von Kreatin im Skelettmuskel und wird relativ konstant ins Blut abgegeben, was zu stabilen Serumkonzentrationen führt (12). Weil Kreatinin als kleines Molekül glomerulär frei filtriert wird, wurde es seit Jahrzehnten zur Bestimmung der Nierenfunktion mittels der klassischen Clearance-Formel verwendet:

wobei V das 24h-Urinvolumen, (UKrea) die Urinkonzentration von Kreatinin, (SKrea) die Konzentration von Kreatinin im Serum und t die Sammelzeit (24h = 1440 Minuten) bedeuten. Da 24-Stunden-Urinsammlungen im Praxisalltag nicht beliebt und gelegentlich nicht praktikabel sind, wurden Formeln zur Schätzung der GFR anhand von Alter, Geschlecht und Serum-Kreatinin entwickelt – estimated GFR = eGFR (13, 14). Bereits 2013 empfahlen die KDIGO-Richtlinien, nur die CKD-EPI-Formel 2009 und nicht mehr die ältere MDRD-Formel zu verwenden (15, 16). Eine neu entwickelte CKD-EPI-Formel 2021 schneidet klar schlechter ab als die CKD-EPI-Formel 2009, so dass man sich zumindest in Europa weiterhin auf die Verwendung der Formel von 2009 geeinigt hat (17).

Da in der Kohorte, in welcher die CKD-EPI-Formel entwickelt worden war, nur 13% der Probanden über 65 Jahre alt waren, entwickelten Schaeffner et al. (18) 2012 eine neue Kreatinin-basierte Formel (Berlin Initiative Study-1 = CKD-BIS1) für Patienten ab 70 Jahren mit hohem kardiovaskulärem Risiko. Im Vergleich zur CKD-EPI-Formel 2009 reklassifizierte die CKD-BIS1-Formel die eGFR-Klasse in rund 35%, davon die grosse Mehrheit (98%) in eine schlechtere GFR-Klasse mit demzufolge höherem kardiovaskulärem Risiko (19). Die CKD-BIS1-Formel wies auch eine signifikant bessere Zuverlässigkeit in der Voraussage harter kardiovaskulärer Endpunkte auf (18). Aus diesem Grund verwenden Labors bei Pa-tienten ab 70 Jahren zunehmend die CKD-BIS1-Formel. Sowohl die CKD-EPI- als auch die CKD-BIS1-Formel sind auf verschiedenen Internetseiten abrufbar.
Bei den eGFR-Formeln ist zu bedenken, dass Kreatinin als Abbauprodukt des Muskelstoffwechsels nicht nierenspezifisch ist und im Serum aus nicht-renalen Gründen erhöht sein kann. So ist es bei Patienten mit nicht altersdurchschnittlicher Muskelmasse ratsam, eher die «klassische» Kreatininclearance durchzuführen, wie folgende Fallbeispiele zeigen:

Fallbeispiel 1 – Unterschätzung der Nierenfunktion anhand des Serumkreatinins: ein 27-jähriger Mann wurde wegen Nierenfunktionsstörung zugewiesen. Er hatte sich zwecks «Muskelaufbau» wöchentlich Schwarzmarkt-Anabolika intramuskulär spritzen
lassen und 8 kg an Gewicht zugenommen. Anhand des Serum-Kreatinins von 139 μmol/l betrug die eGFR mittels CKD-EPI 59 ml/min./1.73 m2. Die zur Klärung durchgeführte 24-Stunden-Urinsammlung mit Kreatinin-Clearance ergab angesichts der hohen Kreatininausscheidung im Urin (Ausdruck der vermehrten Muskelmasse) einen normalen Wert von 95 ml/min./1.73 m2.
Fallbeispiel 2 – Überschätzung der Nierenfunktion anhand des Serum-Kreatinins: Eine 81-jährige Frau mit jahrelanger Hypertonie und Diabetes mellitus Typ 2 erkrankte an einem Kolonkarzinom und verlor 9 kg an Gewicht. Bei 1.49 m2 Körperoberfläche betrug anhand des Serum-Kreatinins von 79 μmol/l die eGFR 65 ml/min./1.73 m2. Die anschliessend durchgeführte «klassische» Kreatinin-Clearance ergab dann 39 ml/min./1.73m2
Solche Diskrepanzen müssen klinisch vermutet werden. Gerade bei alten Patienten mit verminderter Muskelmasse überschätzen die eGFR-Formeln die effektive GFR, was Implikationen für die Medikamentendosierung hat (20).

Urin-Kreatinin und Kreatinin-Clearance: wurde der Urin
richtig gesammelt? Im Steady State ist die über 24 h ausgeschiedene Menge Kreatinin einigermassen konstant. Somit kann über die Kreatininausscheidung – und nicht über das Harnvolumen – abgeschätzt werden, ob eine 24-Stunden-Urinsammlung vollständig erfolgte oder nicht. Dies geschieht mittels folgender Formeln (21):
Sollwert Männer : Urin-Kreatinin (mmol / kg KG / Tag) = (28.2 – (0.172 X Alter)) x 0.0088
Sollwert Frauen : Urin-Kreatinin (mmol / kg KG / Tag) = (21.9 – (0.115 x Alter)) x 0.0088

Cystatin-C

Cystatin-C ist ein kleinmolekulares Protein (13 kDa), das von kernhaltigen Zellen in konstanter Menge produziert, glomerulär frei filtriert und tubulär weder reabsorbiert noch ausgeschieden wird (22). Vor allem bei Untergewichtigen (siehe Fallbeispiel 2) wird die mit Cystatin-C berechnete eGFR weniger überschätzt als mit der Kreatinin-basierten eGFR, was Konsequenzen für die Stadieneinteilung der CKD mit entsprechender prognostischer Bedeutung hat (22). Die Cystatin-C-Bestimmung ist aber deutlich teurer als jene von Kreatinin, weshalb die eGFRCys nur dann angewendet werden sollte, wenn der Wert des Serumkreatinins ungenügend zuverlässig scheint. Dies ist der Fall bei extrem tiefem (Sarkopenie/Kachexie) oder hohem (morbide Adipositas) Körpergewicht oder bei extremen Ernährungsgewohnheiten (aussergewöhnlich proteinreich oder streng vegetarisch) (22).

Mikroalbuminurie

Wie in Abbildung 3 gezeigt, nehmen kardiovaskuläre Komplikationen und Gesamtmortalität mit steigender Albuminurie progredient zu (23). Das Gleiche wurde neulich in einer Meta-Analyse von 28 Kohortenstudien mit 693’816 Probanden für das Erreichen einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz gezeigt (6). Im klinischen Alltag sollte deshalb bei Patienten mit CKD mindestens 1 x jährlich nicht nur die eGFR, sondern auch der Albumin/Kreatinin-Quotient in einem 2. Morgenurin vor dem Frühstück bestimmt werden (24). Normal liegt dieser < 3 mg/mmol, die Mikroalbuminurie ist definiert als 3–30 mg/mmol, und eine stark erhöhte Albuminurie («Makroalbuminurie») als >30 mg/mmol Albumin/Kreatinin (2).

Erhaltung der Nierenfunktion bei CKD

Eingeschränkte Nierenfunktion bedeutet immer eine Reduktion der Anzahl noch funktionierender Nephronen. Bei 50% eingeschränkter Funktion muss somit die «Entgiftung» des Körperstoffwechsels mit der halben Nierenleistung bewerkstelligt werden. Dadurch unterliegen die noch intakten Nephronen einem erhöhten Workload, weshalb sie aber zur Erhaltung der Nierenfunktion möglichst geschont werden sollten. Dies geschieht durch Reduktion v.a. des intraglomerulären Drucks mit Verminderung von Albuminurie/Proteinurie – Nephroprotektion (5). Je geringer die Albuminurie, desto länger das Überleben noch intakter Nephronen. Klinisch wird der intraglomeruläre Druck entweder durch Dilatation der efferenten glomerulären Arteriole (ACE-Hemmer, Angiotensin II-Rezeptorantagonisten, Aldosteron-Antagonisten oder Lercandipin) oder – via tubulo-glomerulären Feedback – durch Konstriktion der afferenten glomerulären Arteriole (SGLT2-Hemmer, Reduktion der Zufuhr von Fleischeiweiss) erreicht (5).

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PD Dr. med. Bernhard Hess

Innere Medizin & Nephrologie/Hypertonie
NierensteinZentrumZürich
Klinik Im Park
Bellariastrasse 38
8038 Zürich

bernhard.hess@hirslanden.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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