Inhalationstherapie in der hausärztlichen Praxis

Mit Inhalativa lassen sich Erkrankungen der Atemwege, v.a. Asthma und COPD, direkt erreichen. Durch die lokale Gabe werden systemische Nebenwirkungen der eingesetzten Medikamente drastisch reduziert. Es existieren ganz verschiedene Inhalationsformen, die in Abhängigkeit von den Bedürfnissen des Patienten und physikalischen Gegebenheiten ausgewählt werden müssen. Die Medikation richtet sich nach dem Krankheitsbild. Hier haben die Guidelines für Asthma (GINA) und die COPD (GOLD) in den letzten Jahren relevante Neuerungen vorgesehen, die jedem Hausarzt bewusst sein sollten. Ein wichtiger Faktor, der selbstdispensierenden Ärzten eine gewisse Begrenzung in der Wahl der Inhaler auferlegt, ist die Notwendigkeit, dass sich eine Praxis-Apotheke auf wenige Medikamente für ein Krankheitsbild beschränken muss.

Inhalatives can be used to directly treat respiratory diseases, especially asthma and COPD. Local administration drastically reduces the systemic side effects of the drugs used.There are various forms of inhalation, which must be selected depending on the needs of the patient and physical conditions. The medication depends on the clinical picture. Here the guidelines for asthma (GINA) and COPD (GOLD) have provided relevant innovations in recent years, which every family doctor should be aware of. An important factor that imposes a certain limitation on self-dispensing physicians in the choice of inhalers is the need for a practice pharmacy to limit itself to a few medications for one clinical picture.
Key Words: respiratory diseases, inhalation, asthma, COPD

Wie erreichen die Medikamente den Ort des Krankheitsgeschehens

Mit einer Schale heissen Kamillentees, über den der Kopf gehalten wurde, wurden früher Erkältungen der oberen Atemwege behandelt. Mit dem Verdampfen entstehen grosse Tröpfchen, die direkt nach dem Eindringen in die oberen Atemwege dort durch Impaktation deponiert werden. Ein modernes Inhalationssystem kann dagegen sehr feine Tröpfchen der Grösse von 1 bis 5 μm erzeugen. Beim Feuchtvernebler (z.B. Typ Pari Boy®) geschieht dies durch den Verneblungsdruck. Kleinste Tröpfchen/Partikel sind in der Lage, die peripheren Atemwege zu erreichen und werden dort teilweise sedimentiert. Dies erfordert Zeit, weshalb der Atem nach erfolgter tiefer Inspiration angehalten werden muss.

Die intrabronchiale Deposition hängt neben der Partikelgrösse auch von der inspiratorischen Stromstärke ab. Wird schnell und kräftig eingeatmet, was bei einem Pulverinhalator (PI) notwendig ist, damit feine Partikel entstehen können, ist der Anteil zentraler Deposition höher als bei einem modernen «in Lösung» Dosieraerosol (DA) oder einem soft-mist Inhaler (Typ Respimat®). Bei diesen wird die Vernebelung manuell aktiviert, nicht durch die Einatmung. Dies erlaubt eine sehr langsame Inhalation mit besserer peripherer Deposition.

Pro und Contra der verschiedenen Inhalationssysteme

Am Markt sind verschiedene Inhalationsformen vertreten, Pulverinhalatoren (PI), Dosieraerosole (DA), der soft-mist Inhaler Respimat® und Flüssigkeitsvernebler. Hier unterscheidet man konventionelle Feuchtvernebler von MeshVerneblern (Pari Velox®, Philips Innospire Go®).

Verschiedene Faktoren bewirken, dass beim einzelnen Patienten die eine oder die andere Inhalationsform zu favorisieren ist. Dies sind die auch altersabhängige Fähigkeit zur Kooperation bei der Inhalation, die inspiratorische Kraft, die Praktikabilität (Mitnahme im Alltag) und die Resistenz gegen Umwelteinflüsse (Hitze, Kälte).

Dosieraerosole existieren seit den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts, d.h. sind altbewährt, kostengünstig und relativ einfach zum Einnehmen. Neue DA mit dem Medikament in Lösung im Treibgas HFA (z.B. Alvesco®, Foster®) erzeugen sehr kleine Partikel mit guter Deposition in den kleinsten Atemwegen, was v.a. beim Asthma ein Vorteil sein kann. Entsprechend ist die laryngeale Deposition gering, so dass topische Kortikosteroide (ICS) in dieser Form seltener zu Mundsoor bzw. Heiserkeit führen. Bei konventionellen DA liegt eine Dispersion vor, d.h. vor dem Inhalieren muss das DA geschüttelt werden, damit das Medikament in Pulverform sich kurzzeitig gleichmässig im HFA verteilt. Ohne Schütteln würde nur das Treibgas vernebelt werden. Leider verstärkt HFA den Treibhauseffekt um ein Vielfaches mehr als CO2, so dass der Einsatz von DA aus diesen Gründen reduziert werden sollte. DA sind sehr kälteempfindlich. Schon bei Temperaturen <50, z.B. beim Wintersport, kann die Wirkung von DA ausbleiben (1).

Bei konventionellen DA sollte eine Vorschaltkammer vom Typ Aerochamber® blau mit Mundstück (bei Kindern >5 Jahre und Erwachsenen) zur Hilfe genommen werden. Damit lässt sich die sonst hohe laryngeale Deposition massiv reduzieren. Bei den «in Lösung» DA ist die Vorschaltkammer entbehrlich, ausser die Pa-tienten haben Probleme, die Auslösung des DA mit dem Beginn der Einatmung zu koordinieren. Bei einem Koordinationsproblem kann sogar ein soft mist Inhaler vom Typ Respimat® mit einer Aerochamber® versehen werden (2).

Pulverinhalatoren wurden vor ca. 60 Jahren eingeführt, zuerst monodose, später auch multidose Inhaler. Sie sind meist einfach zum Ein- und zum Mitnehmen. Bei Patienten, die ICS erhalten und beruflich auf die Stimme angewiesen sind, kann eine persistierende Heiserkeit aber limitierend sein. Bei PI ist zur Erzeugung feiner Partikel eine kräftige Inspiration nötig. Es existieren von manchen Herstellern dummies der PI (z.B. roter Turbuhaler®), mit dem beim individuellen Patienten geprüft werden kann, ob die inspiratorische Stromstärke für den jeweiligen Inhaler ausreichend ist. In der Exazerbation nimmt die Atemkraft oft ab, so dass aber bei Patienten mit bekannten Krisen schwerster Obstruktion für den Notfall ein DA, das auch einen schnell wirkenden Betastimulator enthält, zur Verfügung stehen sollte.

Der soft-mist Inhaler Respimat® ist mit flüssigem Medikament gefüllt. Durch eine halbe Drehung wird eine Feder gespannt. Bei der Freigabe der Feder durch Knopfdruck presst sie eine bemessene Dosis durch feinste Kanäle. Beim Wiederaustreten der Flüssigkeit entsteht eine sehr feine Aerosolwolke, die wie beim DA langsam eingeatmet werden kann. Da dem Medikament Reservepatronen beiliegen und kein HFA nötig ist, stellt dieses System auch im Hinblick auf den Umweltschutz ein Novum dar. Leider wurde bisher in der Schweiz keine Zulassung des Respimat® mit kurzwirkende Betastimulatoren bzw. ICS beantragt.

Feuchtvernebler haben in der Schweiz stark an Bedeutung verloren. Wichtige Medikamente existieren nicht in flüssiger Form. Die Inhalationszeiten sind lang, bei den MeshVerneblern allerdings etwas kürzer als bei Flüssigverneblern. Der Einsatz macht vor allem noch bei Kindern mit Asthma und bei cF-Patienten jeden Alters Sinn. Für die letzteren stehen Antibiotika (z.B Colistin und Tobramycin) zur Verfügung, die zur Exazerbationsprophylaxe bei einer Kolonisation der Atemwege mit Pseudomonas regelmässig inhaliert werden müssen.

Das Inhalationssystem bestimmt die Inhalationstechnik

Für jede korrekte Inhalation gilt, dass zuvor ausgeatmet wird, anschliessend tiefe Inspiration mit nachfolgendem Atemanhalten über 10 Sekunden. Mit Beginn des Inspirationsmanövers müssen DA bzw. soft-mist Inhaler zeitgleich aktiviert werden. Bei PI führt die Inspiration automatisch zur Freisetzung der Partikel. Vorteil davon ist, dass die Koordination von Aktivierung und Beginn der Inspiration entfällt. Auf der anderen Seite bedarf die Inhalation aus einem PI einen hohen Atemfluss mit teilweiser Deposition im Larynxbereich, und es besteht die Gefahr, dass bei akuter Obstruktion die Inspirationskraft reduziert ist, sodass das Pulver ungenügend freigesetzt wird.

Die korrekte Inhalation muss bei jedem Patienten instruiert und geübt werden. Es ist sinnvoll, wenn dafür Praxispersonal ausgebildet wird. Dem Patienten muss bewusst gemacht werden, dass die Inhalation mit dem PI kräftig und schnell erfolgen soll. Bei einem DA und soft mist Inhaler ist es dagegen wichtig, dass ganz langsam inspiriert wird. Insofern macht es Sinn, dass bei der Verordnung von mehr als einem Inhalativum eher ein Kombinationspräparat gewählt wird, möglichst nicht 2 Systeme, die eine unterschiedliche Inhalationstechnik erfordern.

Die einmalige Instruktion der Inhalationstechnik hat sich in der Praxis als ungenügend erwiesen. Bei wiederholten Konsultationen ist es deshalb wünschenswert, wenn die Patienten ihren Inhaler mitbringen und die Inhalation dem geschulten Personal demonstrieren. Die spezifische Inhalationstechnik für jedes hier erhältliche System lässt sich auf der Homepage der Lungenliga Schweiz (3) in Form von Videoclips anschauen und auch dem Patienten zeigen.

Wahl der Medikamente für den spezifischen Patienten

Da nicht alle Medikamente in den 4 möglichen Inhalationsformen zur Verfügung stehen, muss vor der Verordnung überlegt werden, was der am besten geeignete Inhaler für den Patienten sein könnte. Dann wird aufgrund des Krankheitsbildes und Schweregrades die richtige Substanz bzw. Kombination ausgewählt und geschaut, ob der gewünschte Inhaler überhaupt mit dem gewählten Medikament erhältlich ist. Anderenfalls ist ein Kompromiss unumgänglich.

Die Medikamente lassen sich in ICS, Betastimulatoren mit kurzer (SABA) bzw. langer Wirkungsdauer (LABA) und in die Anticholinergika (LAMA) unterteilen. Bei den LABA ist noch von Bedeutung, dass nur Formoterol einen ähnlich schnellen Wirkungseintritt wie Ventolin®, Bricanyl® oder Berotec® besitzt. Dies hat praktische Konsequenzen:

Die aktuellen Asthma-GINA-Guidelines (4) sehen neu in erster Linie bei allen 5 Schweregradstufen des Asthmas vor, dass der Notfall-Inhaler nicht mehr ein SABA ist, sondern ein Kombinationspräparat aus ICS/Formoterol (LABA), da SABA beim Asthma die Asthmakontrolle verschlechtern kann. Nur die folgenden beiden Kombinationspräparate wurden in Studien dafür getestet: Symbicort TH® (5) und Foster DA® (6). Bei leichtem Asthma wird diese Kombination in stabilen Phasen nur bei Bedarf eingesetzt. Beim mittelschweren und schweren Asthma kann das Medikament sowohl als Basis wie auch als Bedarfsmedikation verordnet werden. Der grosse Vorteil von Formoterol ist auch, dass es eine grosse therapeutische Breite besitzt. Die normale Menge Formoterol in einem Hub Symbicort TH® 200/6 beträgt 6μg. Kurzfristig darf jedoch die Tagesdosis auf maximal 72μg erhöht werden, d.h. auf 12 Hübe. Diese Therapieform trägt den Namen MART (maintenance and rescue therapy). ICS in Kombination mit dem schnell wirkenden Formoterol als MART haben auch einen weiteren Vorteil. Die Patienten dürfen ihrem natürlichen Bedürfnis entsprechen, in stabilen Phasen weniger zu inhalieren, merken aber bei massiver Dosiserhöhung im Rahmen des häufigeren Bedarfseinsatzes eine rasche Verbesserung einer beginnenden Exazerbation. Dies zeigt ihnen eine Selbstwirksamkeit ihres Handelns, was wiederum die langfristige Adhärenz verbessert.

Bei schwerem Asthma macht die Zugabe eines LAMA Sinn.

Auch im COPD GOLD-Update (7) hat es eine wichtige Veränderung gegeben. Über Jahre war von der Gabe von ICS bei COPD abgeraten worden, da diese die Pneumonie-Rate erhöhen können. In den letzten Jahren wurde jedoch viel Evidenz publik, dass die fürs Asthma typische eosinophile Entzündung auch bei COPD auftreten im Sinne einer Asthma-COPD Koexistenz (8). Neue Studien (9) zeigten dann auch klar, dass sich bei Patienten mit einer Bluteosinophilie von > 0.3 G/L mit einer alleinigen LAMA/LABA-­Therapie das Exazerbationsrisiko erhöht. In dieser Situation stellten Pneumonien unter den ICS kein Problem dar. Das Pneumonie-Risiko steigt jedoch eindeutig, wenn man ICS bei Eosinophilenwerten < 0.1 G/L verordnet (10). In der gelben Zone mit Eosinophilen > 0.1 und < 0.3 G/L kann bei gehäuften Exazerbationen ein Therapieversuch unternommen werden.

Die Chance, eine Eosinophilie zu finden, ist in der Exazerbation, noch vor Gabe oraler Kortikosteroide, am höchsten. Da die meisten Praxis-Coulter die Eosinophilen nicht getrennt zählen, müssen diese Blutbilder separat in externe Labors gesandt werden.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Thomas Rothe

Chefarzt Pneumologie a.i.
Kantonsspital Graubünden
7000 Chur

thomas.rothe@ksgr.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die Verordnung von Medikamenten zur Inhalation bei Asthma und COPD erfordert eine ausreichende Kenntnis der verschiedenen Inhalationssysteme sowie der aktuellen Empfehlungen der Guidelines.
◆ Bei der Rezeptierung muss berücksichtigt werden, welches Medikament für den individuellen Patienten ideal wäre, aber auch welches Inhalationssystem für ihn am besten geeignet ist.
◆ Die Inhalation mit dem verordneten Medikament sollte gut instruiert werden. Da sich im Verlauf jedoch Fehler einschleichen können, ist es unabdingbar, dass man bei späteren Konsultationen den Patienten immer wieder die Inhalationstechnik demonstrieren lässt.
◆ Bei der Instruktion der Inhalationstechnik darf nie vergessen gehen, dass DA und soft mist Inhaler eine sehr langsame Inspiration erfordern, PI dagegen eine forcierte, schnelle und kräftige Inhalation.

1. Rothe T, Fronkova A, Pein T, Latshang TD. Physikalische und klinische Aspekte der Inhalations-therapie bei Asthma und COPD. PRAXIS 2020; 109: 1-6
2. Wachtel H, Nagel M, Engel M et al. In vitro and clinical characterization of the valved holding chamber AeroChamber Plus for administering tiotropium Respimat® in 1-5-year-old children with persistent asthmatic symptoms. Resp Med 2018; 137: 181-90
3. https://www.lungenliga.ch/de/krankheiten-ihre-folgen/asthma/richtig-inhalieren.html
4. www.ginasthma.org
5. Bateman E, Reddel H, O’Byrne et al. As needed budesonide-formoterol versus maintenance budesonide in mild asthma. N Engl J Med 2018; 378: 1877-87
6. Papi A, Corradi M, Pigeon-Francisco M et al. Beclometasone-formoterol as
maintenance and reliever therapy in patients with asthma: a double-blind,
randomised controlled trial. Lancet Respir Med. 2013; 1: 23-31
7. www.copdgold.org
8. Miratvitlles M, Alvarez-Guitierrez F, Calle M et al. Algorithm for identification of asthma COPD overlap. Eur Respir J 2017; 49: 1700068 [https://doi.org/10.1183/13993003.00068-2017]
9. Lipson DA et al. Once-daily single-inhaler triple versus dual therapy in patients with COPD. NEJM 2018; 3: 1671-80
10. Martinez-Garcia MA et al. Inhaled Steroids, Circulating Eosinophils, Chronic
Airway Infection, and Pneumonia Risk in Chronic Obstructive Pulmonary Disease. A Network Analysis. J Respir Crit Care Med 2020; 201: 1078-85

Typ-2-Diabetes und Nephropathie 2022

In den letzten Jahren hat es eine historische Veränderung in der Behandlung von Typ-2-Diabetespatienten mit albumin­urischer diabetischer Nephropathie gegeben. Tatsächlich wurden zwischen 2019 und 2022 qualitativ hochwertige randomisierte kontrollierte Studien veröffentlicht, die den Behandlungsalgorithmus verändert haben (1,2). Ziel dieses Artikels ist es, den aktuellen Stand in Bezug auf die diabetische Nephropathie erneut darzustellen.

In recent years, there has been a historic shift in the treatment of type 2 diabetes patients with albuminuria and diabetic nephropathy. In fact, high-quality randomised controlled trials have been published between 2019 and 2022 that have changed the treatment algorithm (1,2). The aim of this article is to reevaluate the current status with regard to diabetic nephropathy.
Key Words: albuminuria, diabetic nephropathy, type 2 diabetes

Epidemiologie und Screening

Die Prävalenz der diabetischen Nephropathie nimmt aufgrund der Alterung der Bevölkerung und der steigenden Prävalenz von Typ-2-Diabetes zu. Der Hausarzt und der Diabetologe stehen beim Screening auf diabetische Nephropathie weiterhin an vorderster Front. Eine jährliche Beurteilung mit einer Schätzung der glomerulären Filtrationsrate (eGFR nach CKD-EPI basierend auf Kreatinin) und einem Albumin/Kreatinin-Verhältnis im Urin auf einem Spot wird bei allen erwachsenen Diabetikern empfohlen. Ein Stix oder Urinsediment wird zur Vervollständigung dieser Untersuchung durchgeführt und bei pathologischem Sediment wird nach anderen Ursachen für eine Nierenschädigung gesucht. Die Häufigkeit der Kontrollen wird bei Personen, die bereits eine Nephropathie haben, erhöht (Tab.1). Von einer chronischen Nierenerkrankung spricht man bei einer eGFR < 60ml/min/Jahr und/oder bei einer Albuminurie im Stadium A2-A3. Je nach Alter kann diese Einteilung jedoch verfeinert werden (wenn Alter <40 Jahre <75ml/min/1.73 m2, wenn Alter >65 Jahre <45ml/min/1.73 m2). Letztendlich weist jeder Patient mit einer Albuminurie im Stadium A3 eine beschleunigte Abnahme der Nierenfunktion auf und benötigt eine intensive multifaktorielle Betreuung (Kontrolle des Blutzuckers, des Blutdrucks, der Lipide, des Gewichts, des Tabakkonsums, der Therapietreue …).

Algorithmus für die Behandlung

Die Behandlung von Patienten mit diabetischer Nephropathie ist vielfältig und komplex. Ein Schweizer Konsensus zur diabetischen Nephropathie fasst das aktuelle Wissen und das therapeutische Management detailliert zusammen (Abb.1) (2). Es gibt einfache Messwerte (Blutzucker, Blutdruck, Lipide) sowie Ziele für den Nierenschutz (ACE-Hemmer oder Sartan, SGLT2i, Finerenon). Wichtig ist, andere Ursachen für eine Nierenschädigung auszuschliessen und den Patienten im Zweifelsfall an einen Nephrologen zu überweisen. Das Behandlungsziel besteht darin, die Lebensqualität zu verbessern und gleichzeitig den Rückgang der Nierenfunktion zu verlangsamen und das kardiovaskuläre Risiko zu senken. Die überwiegende Mehrheit der Diabetespatienten mit Nephropathie wird an kardiovaskulären Erkrankungen sterben, bevor sie eine terminale Niereninsuffizienz erreichen. Manchmal ist ein multidisziplinäres Management erforderlich, das eine medizinische, pflegerische, diätetische, pharmakologische und podologische Betreuung umfasst. Die Verbesserung der Selbstversorgung und die Einhaltung der Behandlung sind ebenfalls Faktoren, die sich positiv auf die Prognose auswirken können.

Nephroprotektive Medikamente

ACE-Hemmer/Sartane: Die Blockade des Renin-Angiotensin-Systems durch ACE-Hemmer oder Sartane steht bei der Albuminurie-Nephropathie an erster Stelle. Studien, die über 20 Jahre zurückreichen, zeigen eine Verringerung der renalen Ereignisse. Ihre Kombination (ACE-Hemmer, Sartan, Reninhemmer) wird jedoch nicht vorgeschlagen, da die Studien eine Zunahme der Nebenwirkungen gezeigt haben. Eine Bestimmung von Kreatinin und Kaliämie wird 1-2 Wochen nach Beginn der Behandlung vorgeschlagen und bei einem Kreatininanstieg von mehr als 30% ausgesetzt. Ein erhöhter Kaliumwert macht die Suche nach anderen begünstigenden Ursachen wie NSAR, metabolische Azidose und kaliumreiche Ernährung nötig.

SGLT2-Inhibitoren (SGLT2i) (3-6): SGLTi induzieren eine Glukosurie, indem sie die renale Glukose-/Natrium-Rückresorption hemmen. Diese Medikamente verbessern die glykämische Kontrolle bei einer eGFR >45ml/min/1.72m2, verringern das Risiko einer Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz (bei einer eGFR >20ml/min/1.73m2) und verlangsamen den Rückgang der Nierenfunktion und der Albuminurie (bei einer eGFR >25ml/min/1.73m2). Die Einführung eines SGLT2i ab einem KDIGO G2A3-Stadium der Albuminurie kann das Auftreten einer terminalen Niereninsuffizienz um mehr als 10 Jahre verzögern. Diese mittelpreisigen Medikamente werden einmal täglich oral eingenommen. Die Verträglichkeit ist in den meisten Fällen gut. Dennoch ist es wichtig, den Patienten über die Nebenwirkungen aufzuklären, insbesondere über das Risiko einer Genitalmykose (5-10% Risiko) und die Bedeutung einer guten Hydratation. Ihre Anwendung ist bei Typ-1-Diabetikern aufgrund des Risikos einer Ketoazidose derzeit kontraindiziert. Bei Typ-2-Diabetikern ist dieses Risiko gering, sollte aber bei Bauchschmerzen/Übelkeit gesucht werden. Schließlich wird, wie bei Blockern des Renin-Angiotensin-Systems, eine Kontrolle des Kreatinin-/Kaliumspiegels 1-2 Wochen nach Einführung eines SGLT2i bei Personen mit Nierenschäden oder akutem Nierenversagen in der Vorgeschichte empfohlen. Es ist anzumerken, dass neuere Analysen eine Verringerung des Risikos für akutes Nierenversagen und Hyperkaliämie unter SGLT2i zeigen.

Finerenon (7-9): Finerenon ist ein nichtsteroidaler Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonist (MRA). Es unterscheidet sich von den steroidalen MRAs (Aldacton, Eplerenon) dadurch, dass es keine sexuellen Nebenwirkungen hat. Es ist der erste MRA mit nachgewiesener Nephro- und Kardioprotektion bei Typ-2-Diabetespatienten mit albuminöser Nephropathie. Das Risiko einer Hyperkaliämie ist hingegen ein limitierender Faktor, diese Behandlung kann bei einem Kaliumwert ≤4.8mmol/l nicht eingeführt werden und erfordert ein häufiges Monitoring mit Rücknahme bei einem Kaliumwert über 5.5mmol/l. Seine Verwendung bei Diabetespatienten mit Nierenschäden (bis zu 25ml/min/1.73m2) ist von Swissmedic anerkannt, über den Preis wird jedoch noch verhandelt. Aufgrund der Fülle an positiven Studien mit SGLT2i wird Finerenon als zweite Wahl nach der Einführung von SGLT2i eingesetzt werden. Auch wenn es an Studien mangelt, könnte ihre Kombination mit synergistischen Effekten und einer Verringerung des Hyperkaliämie-Risikos interessant sein.

Therapeutische Zielvorgaben

Blutzuckerkontrolle: Zur Primärprävention der diabetischen Nephropathie wird ein Zielwert von HbA1c <6,5-7% empfohlen. Ab einer eGFR<60ml/min können die Zielwerte gelockert werden, da das Hypoglykämierisiko bei Nierenschäden und einer Behandlung mit Insulin, Sulfonylharnstoffen oder Gliniden steigt. Ein älterer Dialysepatient mit einer begrenzten Lebenserwartung wird einen Zielwert von <8,5% haben. Bei Personen mit einer Albuminurie-Nephropathie werden zwar vorrangig SGLT2i gewählt, aber diese Behandlung wird nicht immer ausreichen, um eine gute Blutzuckerkontrolle zu erreichen. Bei einem BMI von über 28 kg/m2 werden GLP1a vorgeschlagen, da es einen kardiovaskulären Schutz bietet und das Fortschreiten der Albuminurie verlangsamt. Die Kombination von GLP1a und SGLT2i erfordert jedoch eine vorherige Genehmigung der Krankenversicherung.

Blutdruckkontrolle: Bei Diabetikern im Alter von 18-64 Jahren ist das Ziel ein systolischer Blutdruck von 130mmHg in der Praxis oder niedriger, wenn dies toleriert wird. Bei Personen ab 65 Jahren ist der Zielwert ein systolischer Blutdruck von 130-139mmHg. Bei einer Nierenschädigung liegt der Zielwert bei 130-139mmHg, wenn toleriert, mit einem Zielwert für den diastolischen Blutdruck von 70-79mmHg.

Lipidkontrolle: Bei Diabetes und Nierenschädigung (nicht dialysiert, nach KDIGO >G3b oder G3aA2 oder A3) wird das kardiovaskuläre Risiko als sehr hoch eingestuft. In diesem Fall ist das erste Ziel ein LDL-Cholesterin <1,8mmol/L mit 50% Reduktion. In einem zweiten Schritt wird ein Zielwert <1,4mmol/L vorgeschlagen, vor allem bei nachgewiesener kardiovaskulärer Erkrankung. Statine bleiben die erste Wahl bei diabetischer Nephropathie.

Bilanz der Komplikationen

Sobald eine signifikante Nierenschädigung vorliegt, wird eine umfangreichere Bilanzierung von Komplikationen vorgeschlagen, die auch die Bilanzierung von Anämie, metabolischer Azidose und Phosphor-Kalzium-Bilanz umfasst. Bei Veränderungen ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Nephrologen angezeigt.

Schlussfolgerungen

Es gibt mittlerweile neue Therapien, die bei der albuminurischen diabetischen Nephropathie wirksam sind, wie SGLT2i und Finerenon. Diese neuen Therapien senken das Nieren- und Herzrisiko bei diesen Hochrisikopatienten. Die Behandlung dieser Patienten ist komplex, muss multifaktoriell und multidisziplinär sein und eine therapeutische Begleitung beinhalten, um die Therapietreue zu verbessern.

Übersetzung aus «la gazette médicale» 02-2023

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

PD Dr. med. Anne Zanchi Delacrétaz

Abteilung für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel
Abteilung für Nephrologie, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
Rue du Bugnon 17
1011 Lausanne

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. ElSayed NA, Aleppo G, Aroda VR, Bannuru RR, Brown FM, Bruemmer D,
Collins BS, Hilliard ME, Isaacs D, Johnson EL, et al. 11. Chronic Kidney Disease and Risk Management: Standards of Care in Diabetes-2023. Diabetes Care. 2023;46:S191-S202.
2. Zanchi A, Jehle AW, Lamine F, Vogt B, Czerlau C, Bilz S, Seeger H and de Seigneux S. Diabetic kidney disease in type 2 diabetes: a consensus statement from the Swiss Societies of Diabetes and Nephrology. Swiss Med Wkly. 2023;153:40004.
3. Perkovic V, Jardine MJ, Neal B, Bompoint S, Heerspink HJL, Charytan DM, Edwards R, Agarwal R, Bakris G, Bull S, et al. Canagliflozin and Renal Outcomes in Type 2 Diabetes and Nephropathy. N Engl J Med. 2019.
4. Heerspink HJL, Stefansson BV, Correa-Rotter R, Chertow GM, Greene T, Hou FF, Mann JFE, McMurray JJV, Lindberg M, Rossing P, et al. Dapagliflozin in Patients with Chronic Kidney Disease. N Engl J Med. 2020;383:1436-1446.
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9. Pitt B, Filippatos G, Agarwal R, Anker SD, Bakris GL, Rossing P, Joseph A, Kolkhof P, Nowack C, Schloemer P, et al. Cardiovascular Events with Finerenone in Kidney Disease and Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2021;385:2252-2263.

Was jedermann über die Herpes Zoster Vakzine Shingrix® wissen sollte

Impfen gegen Herpes Zoster ist der einzige Weg sich gegen Herpes Zoster und postherpetische Neuralgie, die häufigste Komplikation von Herpes Zoster zu schützen. Shingrix® ist zu mehr als 90% wirksam in der Prävention von Herpes Zoster und postherpetische Neuralgie. Der Schutz besteht für die ersten 7 Jahre auch Impfung. Bei eingeschränkter Immunantwort ist die Impfung mit Shingrix® immer noch zu mehr als 60% wirksam.

Wer sollte mit Shingrix® geimpft werden?

Das Bundesamt für Gesundheit BAG und die Eidgenössische Kommission für Impffragen EKIF empfehlen die Impfung gegen Herpes Zoster mit dem adjuvantierten Subunit-Impfstoff Shingrix®für gesunde Personen ab 65 Jahren sowie für Patientinnen und Patienten mit Immundefizienz ab 50 bzw. mit schwerer Immundefizienz ab 18 Jahren. Die bisherigen Empfehlungen vom November 2017 für den Lebendimpfstoff Zostavax® gelten nur noch für Personen im Alter von 65 bis 79 Jahren ohne Immundefizienz, die Zostavax® gegenüber Shingrix® vorziehen. Zwei Dosen Shingrix® sollten im Abstand von 2-6 Monaten gegeben werden. Die Impfung sollte auch bei Personen, die einen Herpes Zoster durchgemacht haben, erfolgen, wobei mit der Impfung 6-12 Monate gewartet werden kann.

Wer sollte nicht geimpft werden?

Personen, die eine schwere allergische Reaktion auf eine Komponente der Vakzine oder bei der ersten Impfdosis hatten. Personen die gerade an einer Herpes Zoster Infektion erkrankt sind, sowie Schwangere.

Die Shingrix®-Impfung kann auch bei leichten Erkrankungen, wie Erkältungen, durchgeführt werden. Bei schwereren Erkrankungen, mit und ohne Fieber, sollte gewöhnlich mit der Impfung bis zur Erholung gewartet werden.

Wirksamkeit der Shingrix® Impfung

Die Wirksamkeit von Shingrix® lag für alle Altersgruppen zwischen 96,6% und 97,9% (1). Die Wirksamkeit gegen Herpes Zoster betrug 89,8% (95% CI; 84,2–93,7%; P < 0,001) und war bei Personen im Alter von 70 bis 79 Jahren (90,0%) und bei Personen ab 80 Jahren (89,1%) ähnlich (2). Die Wirksamkeit gegen postherpetische Neuropathie betrug 88,8% (95% CI; 68,7–97,1; P < 0,001) (2). In einer weiteren ähnlichen Studie mit insgesamt 13900 Teilnehmenden (im Alter von ≥70 Jahren) trat Herpes Zoster während eines mittleren Follow-ups von 3,7 Jahren bei 23 Teilnehmenden nach Shingrix®-Impfung versus 223 nach Placebo auf (0,9 vs. 9,2 pro 1000 Personenjahre).

Die Wirksamkeit für Shingrix® wurde nach der Zulassung in der realen Welt, ausserhalb von Studien, nach einem Follow-up von zwei Jahren bei 1,01 Millionen Medicare-Begünstigten in den USA im Alter ab 65 Jahren nach zwei Impfdosen sowie bei 1,50 Millionen Personen mit nur einer Dosis untersucht: Gegenüber einer ungeimpften Kontrollgruppe betrug die Wirksamkeit 56,9% (95% CI: 55,0–58,8%) nach einer Dosis und 70,1% (95% CI: 68,6–1,5%) nach zwei Dosen. Die Wirksamkeit bei 2 verabreichten Dosen lag im Alter von ≥80 Jahren bei 68,5% (95% CI: 65,1%–71,6%). Die Wirksamkeit nach zwei Dosen gegenüber postherpetischer Neuropathie betrug 76,0% (95% CI: 68,4–81,8)(3).

Mögliche Nebenwirkungen der Impfung mit Shingrix®

Shingrix®, welches das Adjuvans AS01B enthält, ist sehr sicher und gut verträglich. Die lokale Reaktogenität ist höher, und Schmerzen an der Injektionsstelle sind häufiger als bei den meisten anderen Impfstoffen. In einer Phase-2-Studie mit 410 Erwachsenen wurden unerwünschte Nebenwirkungen über eine Zeitspanne von einem Jahr erfasst. Dabei wurden keine wesentlichen Probleme in Bezug auf die Sicherheit von Shingrix® festgestellt. Unerwünschte Nebenwirkungen waren im Allgemeinen leicht bis mittelschwer und vorübergehend. In der Shingrix®-Gruppe berichteten 87% über ein Symptom, von denen 9% als Grad 3 (schwer) eingestuft wurden (zum Vergleich Placebo: 21% bzw. 5%). Schmerzen waren das häufigste lokale Symptom (83%), gefolgt von Rötungen (29%) und Schwellungen (15%); Placebo: 8%; 0%; 0%). Müdigkeit (48%) war das häufigste allgemeine Symptom, gefolgt von Muskelschmerzen (41%), Kopfschmerzen (37%) und Fieber (17%); Placebo: 18%; 5%; 10%; 3%) [48]. In der ZOE-70-Studie waren Berichte über Reaktionen an der Injektionsstelle und systemische Reaktionen innerhalb von sieben Tagen nach der Injektion mit Shingrix® häufiger als mit Placebo (79,0% vs. 29,5%). Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, potenzielle immunvermittelte Krankheiten und Todesfälle traten in den beiden Studiengruppen ähnlich häufig auf (2). In einer Sicherheitsanalyse der ZOE-50-/ZOE-70-Studiendaten wurden unerwünschte Nebenwirkungen bei 14645 Teilnehmenden in der Shingrix®- und 14660 in der Placebo-Gruppe untersucht; unerwünschte Nebenwirkungen traten insgesamt bei 50,5% bzw. 32,0% auf; insgesamt waren die Sicherheitsergebnisse, abgesehen von den erwarteten lokalen und systemischen Symptomen, zwischen der Shingrix®- und der Placebogruppe vergleichbar, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Rasse der Teilnehmenden (4). In einem systematischen Review bei 18- bis 49-jährigen immunkompromittierten Personen wurden schwere unerwünschte Nebenwirkungen in der Shingrix®-Gruppe in 8,1% bis 30,8% (vs. 4,1% bis 36,5% in der Placebogruppe) festgestellt, wobei diese nach medizinischer Abklärung sowohl in der Shingrix®- als auch in der Placebogruppe zu weniger als 1% in kausalem Zusammenhang mit der Impfung bzw. Placebogabe standen (5).

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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2. Cunningham AL et al. Efficacy of the Herpes Zoster Subunit Vaccine in Adults 70 Years of Age or Older. New Engl J Med 2016; 375(11): 1019–32. 10.1056/NEJMoa1603800
3. Izurieta H et al. Recombinant Zoster Vaccine (Shingrix) real-world effectiveness in the first two years postlicensure. Cli. Infect Dis 2021 ; 73 : 941-948
4. López-Fauqued M et al. Safety profile of the adjuvanted recombinant zoster vaccine: Pooled analysis of two large randomised phase 3 trials. Vaccine 2019; 37(18): 2482–93. 10.1016/j.vaccine.2019.03.043
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Inanspruchnahme und Rechtzeitigkeit der Impfung gegen FSME bei Erwachsenen in der Schweiz

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist eine schwere Erkrankung des zentralen Nervensystems, die durch das FSME-Virus verursacht und durch infizierte Zecken übertragen wird. FSME gehört zu den am häufigsten diagnostizierten viralen, durch Zecken übertragenen Krankheiten in Europa, und sowohl die Inzidenz als auch die geografische Verbreitung nehmen weiter zu.

Zwei Impfstoffe, Encepur und FSME-Immun, sind in Europa zugelassen. Beide Impfstoffe werden als erste Serie von drei Injektionen verabreicht, gefolgt von Auffrischungsimpfungen zur Aufrechterhaltung des schützenden Antikörpertiters. Die von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zugelassenen «konventionellen” Impfschemata umfassen Dosen am Tag 0, im Alter von 1-3 Monaten und im Alter von 9-12 Monaten für Encepur bzw. am Tag 0, im Alter von 1-3 Monaten und im Alter von 5-12 Monaten für FSME-Immun Unter bestimmten Umständen kann auch ein beschleunigtes «Schnell»-Schema verwendet werden, bei dem Dosen an den Tagen 0, 7 und 21 verabreicht werden, gefolgt von einer vierten Dosis 12-18 Monate nach der dritten für Encepur oder an den Tagen 0 und 14, gefolgt von einer dritten Dosis 5-12 Monate nach der zweiten für FSME-Immun. Nach der Primärserie mit drei Dosen wird eine erste Auffrischung nach drei Jahren empfohlen, danach alle fünf Jahre für Personen bis zum Alter von 60 Jahren und alle drei Jahre für Personen über 60.

Die Reaktion auf die FSME-Impfung wird von mehreren Faktoren beeinflusst. Das Alter der Erstimpfung wirkt sich auf die anfängliche Immunogenität und die Dauer der Schutzreaktion aus. Bei Personen über 50 Jahren sind die Antikörpertiter reduziert (1-4) und darüber hinaus ist die Persistenz von FSME-spezifischen Antikörpern im Vergleich zu jüngeren Personen deutlich geringer (4 – 6). Darüber hinaus sind die Raten des FSME-Impfversagens bei älteren Erwachsenen höher als bei jüngeren (7-10). Die Einhaltung der Zeitpläne für die Grund- und Auffrischungsimpfung hat ebenfalls Einfluss auf die Immunogenität, und eine unregelmäßige FSME-Impfung wurde in Studien zur Wirksamkeit im Feld mit einem signifikant höheren Risiko einer FSME-Erkrankung nach Exposition in Verbindung gebracht als bei regelmäßig geimpften Personen (10, 11). Obwohl weniger klar, scheint die uneinheitliche Verwendung eines einzigen Impfstofftyps, entweder Encepur oder FSME-Immun, während des Primings die neutralisierenden Antikörperreaktionen zu beeinflussen, was wiederum die Immunogenität beeinträchtigen könnte (12,13) (15, 16).

Obwohl es klare Richtlinien für die FSME-Impfung gibt, ist nicht bekannt, ob sie von Einzelpersonen oder Gesundheitsdienstleistern eingehalten werden. Darüber hinaus hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die offizielle Empfehlung für die FSME-Impfung im Jahr 2006 grundlegend geändert. Es empfiehlt die Impfung für alle Personen über 6 Jahren in Endemiegebieten und verlängert das von der EMA zugelassene Auffrischungsintervall von 3-5 Jahren, je nach Alter (17,18) (2, 3), auf 10 Jahre für alle Personen (19,20) (17, 18). Wie sich diese Änderung auf die Durchimpfung ausgewirkt haben könnte, ist unklar. Derartige Informationen sind jedoch für Impfstrategien von großer Bedeutung und könnten zur Verbesserung der Wirksamkeit genutzt werden. Ziel dieser Studie war es, die Durchimpfung von Erwachsenen gegen FSME in der Schweiz zu evaluieren und möglicherweise verbesserungswürdige Bereiche zu identifizieren.

In einer in der Schweiz erhobenen Querschnittsstudie (Quelle) wurden die Impfdaten von zufällig ausgewählten Erwachsenen zwischen 18 und 79 Jahren in der ganzen Schweiz erfasst. Von 4.626 Teilnehmern wurden die Daten von Personen ausgewertet, die mindestens eine FSME-Impfung erhalten hatten (n = 1875). Wir ermittelten das Jahr und das Alter der ersten Impfung sowie die Impftreue und bewerteten die Pünktlichkeit der Impfung. Die Teilnehmer galten als «pünktlich», wenn sie die Dosen gemäß dem empfohlenen Zeitplan ± 15 % Toleranzfrist erhielten. 45 % der Teilnehmer erhielten ihre erste FSME-Impfung zwischen 2006 und 2009, was einer Änderung der offiziellen Empfehlung für die FSME-Impfung in der Schweiz im Jahr 2006 entspricht. 25 % wurden im Alter von 50 Jahren und älter erstmals geimpft (Durchschnittsalter 37 Jahre). Mehr als 95 % der Personen, die die erste Dosis erhalten hatten, erhielten auch die zweite Dosis; ~85 % der Personen, die die zweite Dosis erhalten hatten, erhielten auch die dritte. Von den Personen, die die Primärserie abschlossen, erhielten 30 % 3 Dosen Encepur, 58 % 3 Dosen FSME-Immun und 12 % eine Kombination. Nach den «konventionellen» Zeitplänen erhielten 88 % bzw. 79 % der Personen ihre zweite und dritte Dosis «rechtzeitig». 20 % der Personen, die Encepur erhielten, bekamen ihre dritte Dosis «zu früh». Von den Personen, die die Erstimpfung abgeschlossen hatten, war bei 19 % eine Auffrischung überfällig. Bei den 31 % der Personen, die eine Auffrischungsimpfung erhielten, betrug die durchschnittliche Zeit bis zur ersten Auffrischung 7,1 Jahre. Die Autoren schätzen, dass ein Viertel der Erwachsenen in der Schweiz im Alter von über 50 Jahren erstmals gegen FSME geimpft wurde. Etwa 80 % der Teilnehmer, die mindestens eine Impfdosis erhielten, schlossen die erste Impfserie ab. Sie schätzen weiter, dass 66 % der Personen, die die FSME-Impfserie abgeschlossen haben, mit einem einzigen Impfstofftyp geimpft wurden und sich an den empfohlenen Zeitplan hielten.

Fazit

Die Studie zeigt eine vergleichsmässig hohe FSME Impf-Compliance in der Schweiz, obschon ein substanzieller Teil der Bevölkerung erst in fortgeschrittenem Alter zum ersten Mal geimpft wurde. In einem Bericht aus dem Jahr 2014 wurde ein Impfversagen von 4 % bei FSME-Fällen in der Schweiz geschätzt. Die Autoren schlagen vor, zu untersuchen, wie sich eine unregelmäßige FSME-Impfung und ein fortgeschrittenes Alter bei der Erstimpfung auf die Wirksamkeit des Impfstoffs auswirken, um inskünftig bessere Entscheidungen über die Impfpolitik zu treffen.

Quelle: Zens KD, Baroutsou V, Sinniger P, Lang P. A cross-sectional study evaluating tick-borne encephalitis vaccine uptake and timeliness among adults in Switzerland. PLoS One. 2021;16(12): e0247216. Published 2021 Dec 14. doi:10.1371/journal.pone.0247216

1. Hainz Uet al.Insufficient protection for healthy elderly adults by tetanus and TBE vaccines. Vaccine. 2005;23(25):3232–5. Epub 2005/04/20. doi: 10.1016/j.vaccine.2005.01.085
2. Weinberger B et al. Decreased antibody titers and booster responses in tick-borne encephalitis vaccinees aged 50–90 years. Vaccine. 2010;28(20):3511–5
3. Paulke-Korinek M et al. Factors associated with seroimmunity against tick borne encephalitis virus 10 years after booster vaccination. Vaccine 2013;31(9):1293–7
4. Stiasny K et al. Age affects quantity but not quality of antibody responses after vaccination with an inactivated flavivirus vaccine against tick-borne encephalitis. PLoS One. 2012;7(3):e34145
5. Paulke-Korinek M et al. Factors associated with seroimmunity against tick borne encephalitis virus 10 years after booster vaccination. Vaccine. 2013;31(9):1293–7.
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10. Hansson K et al. Tick-borne encephalitis (TBE) vaccine failures: A ten-year retrospective study supporting the rationale for adding an extra priming dose in individuals from the age of 50 years. Clin Infect Dis. 2019. Epub 2019/03/08. doi: 10.1093/cid/ciz176
11. Heinz FX, Holzmann H, Essl A, Kundi M. Field effectiveness of vaccination against tick-borne encephalitis. Vaccine. 2007;25(43):7559–67. Epub 2007/09/18. doi: 10.1016/j.vaccine.2007.08.024 . [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]
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13. Lindqvist R et al. The envelope protein of tick-borne encephalitis virus influences neuron entry, pathogenicity, and vaccine protection. Journal of Neuroinflammation. 2020;17(1):284.

Evidenz aus Meta-Analyse und mendelscher Randomisierung mit zwei Stichproben

Das humane Papillomavirus (HPV) ist die häufigste sexuell übertragbare Infektion. Blasenkrebs (BCa) ist weltweit die zehnthäufigste Krebsart, mit jährlich etwa 550’000 Neuerkrankungen und schätzungsweise 17980 Todesfällen in den Vereinigten Staaten pro Jahr Der Zusammenhang zwischen einer HPV-Infektion und dem BCa-Risiko ist jedoch nach wie vor umstritten und nicht eindeutig geklärt. Eine kürzlich veröffentlichte systematische Übersicht widmete sich der Wechselwirkung zwischen einer HPV-Infektion und dem Risiko für Blasenkrebs (1).

Das humane Papillomavirus (HPV), ein Mitglied der Familie der Papillomaviren, ist ein DNA-Virus, das das Haut- oder Schleimhaut­epithel infiziert. Studien haben ergeben, dass HPV die häufigste sexuell übertragbare Infektion beim Menschen ist (2). So wurde beispielsweise berichtet, dass etwa 45,2 % der Männer zwischen 18 und 59 Jahren in den Vereinigten Staaten eine HPV-Infektion haben (3). Im Gegensatz dazu haben etwa 80 % der produktiven Frauen ein lebenslanges Risiko, eine HPV-Infektion zu entwickeln (4). Bisher wurden mehr als 100 HPV-Genotypen identifiziert, die je nach ihrem onkogenen Potenzial in Niedrigrisiko- und Hochrisikogruppen eingeteilt werden können (4). HPV-Typen mit niedrigem Risiko, wie HPV-6 und 11, verursachen rezidivierende Papillomatose der Atemwege (RRP) und anogenitale Warzen, die sich selten zu Krebs entwickeln. Andererseits verursachen Hochrisiko-HPV-Typen wie HPV-16, 18, 31 und 33 etwa 10 % der Krebserkrankungen weltweit, darunter mehr als 90 % der Gebärmutterhalskrebserkrankungen, die meisten Analkrebserkrankungen und einen Teil der Vulva-, Vaginal- und Peniskrebserkrankungen (5,6).

Blasenkrebs kann in nicht-muskelinvasiven Blasenkrebs (NMIBC) und muskelinvasiven Blasenkrebs (MIBC) unterteilt werden. Diese Einteilung hängt davon ab, ob der Tumor in die Muskelschicht der Blase eingedrungen ist. Studien haben ergeben, dass es sich bei fast 75 % der BCa-Fälle um NMIBC und bei den übrigen um MIBC handelt (7). Histologisch gesehen besteht BCa aus Urothelkarzinom (UC), Plattenepithelkarzinom (SCC) und Adenokarzinom, wobei UC 94 % aller Fälle ausmacht (5). Andererseits haben Studien auch ergeben, dass Tabakrauchen, die berufliche Exposition gegenüber verschiedenen chemischen Verbindungen wie aromatischen Aminen und Arsen (8, 9) und genetische Faktoren zu einem höheren Auftreten von BCa beitragen können (7).
Diese systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse wurde gemäss der PRISMA 2020-Richtlinie durchgeführt. Im Rahmen dieser Studie wurden vier bibliografische Datenbanken ohne Sprachbeschränkung durchsucht. Zu den Datenbanken gehörten PubMed (Medline), EMBASE, Cochrane Library und Web of Science. Studien, die die Wechselwirkung zwischen einer HPV-Infektion und dem BCa-Risiko von Beginn an bis zum 21. Mai 2022 untersuchten, wurden identifiziert und in dieser Studie verwendet. In dieser Studie wurden die allgemeine und typspezifische HPV-Prävalenz und die 95 %-Konfidenzintervalle (95 % CI) anhand von Modellen mit zufälligen Effekten und Modellen mit festen Effekten geschätzt. Darüber hinaus wurden in dieser Studie auch das gepoolte Odds Ratio und das gepoolte Risikoverhältnis mit 95 % CI berechnet, um die Auswirkungen der HPV-Infektion auf das Risiko und die Prognose von Blasenkrebs zu bewerten. Ausserdem wurde eine MR-Studie mit zwei Stichproben durchgeführt, bei der genetische Varianten, die mit dem HPV-E7-Protein assoziiert sind, als instrumentelle Variablen verwendet wurden.

Resultate

Im Rahmen dieser Studie wurden 80 Artikel aus den vier bibliografischen Datenbanken abgerufen. Bei 27 davon handelte es sich um Fall-Kontroll-Studien und 53 um Querschnittsstudien. Die Ergebnisse zeigten, dass die Prävalenz von HPV bei den BCa-Patienten 16 % (95 % CI: 11 %-21 %) betrug, wobei die meisten HPV-16 (5,99 % [95 % CI: 3,03 %-9,69 %]) und HPV-18 (3,68 % [95 % CI: 1,72 %-6,16 %]) Subtypen waren. Die Studie ergab jedoch, dass die Prävalenz je nach Region, Nachweismethode, histologischem BCa-Typ und Probenquelle variierte. Ein signifikant erhöhtes BCa-Risiko wurde für die Positivität von HPV insgesamt festgestellt (Odds Ratio [OR], 3,35 [95 % CI: 1,75-6,43]), das auch von der Studienregion, der Nachweismethode, dem histologischen Typ und der Probenquelle beeinflusst wurde. Darüber hinaus ergab die Studie, dass eine HPV-Infektion signifikant mit dem Fortschreiten von BCa assoziiert war (RR, 1,73 [95 % KI: 1,39-2,15]). Die MR-Analyse mit zwei Proben ergab, dass sowohl die Exposition gegenüber HPV 16 als auch 18 E7-Protein das Risiko für BCa erhöhte (HPV 16 E7-Protein: IVW OR pro Einheit Anstieg des Proteingehalts = 1,0004 [95% CI: 1,0002-1,0006]; p = 0,0011; HPV 18 E7-Protein: IVW-OR pro Einheit Anstieg des Proteingehalts = 1,0003 [95% CI: 1,0001-1,0005]; p = 0,0089).

Konklusionen

Die HPV-Infektion spielt eine Rolle bei der Entstehung von Blasenkrebs und kann zu einer schlechteren Prognose für Patienten mit BCa beitragen. Daher sollten sich Menschen, insbesondere Männer, gegen HPV impfen lassen, um Blasenkrebs zu verhindern. Künftige Studien sollten den Zusammenhang zwischen HPV-Infektion und Blasenkrebs anhand gross angelegter Stichproben in verschiedenen Populationen untersuchen. Ausserdem sollten die Mechanismen hinter diesen Phänomenen aufgeklärt werden.

Quelle: Sun J-X, et al. The association between human papillomavirus and bladder cancer: Evidence from meta-analysis and two-sample mendelian randomization. J Med Virol 2023 Jan;95(1):e28208. doi: 10.1002/jmv.28208. Epub 2022 Oct 25.

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1. Sun J-X, et al. The association between human papillomavirus and bladder cancer: Evidence from meta-analysis and two-sample mendelian randomization. J Med Virol 2023 Jan;95(1):e28208. doi: 10.1002/jmv.28208. Epub 2022 Oct 25.
2. Tognon M et al. Investigation on Spontaneous abortion and human papillomavirus infection. Vaccines (Basel). 2020; 8(3): 473.
3. Han JJ et al.. Prevalence of genital human papillomavirus infection and human papillomavirus vaccination rates among US adult men: national health and nutrition examination survey (NHANES) 2013-2014. JAMA Oncol. 2017; 3(6): 810- 816.
4. Narisawa-Saito M, Kiyono T. Basic mechanisms of high-risk human papillomavirus-induced carcinogenesis: roles of E6 and E7 proteins. Cancer Sci. 2007; 98(10): 1505- 1511.
5. Jørgensen KR, Jensen JB. Human papillomavirus and urinary bladder cancer revisited. APMIS. 2020; 128(2): 72- 79.
6. Dunne EF, Park IU. HPV and HPV-associated diseases. Infect Dis Clin North Am. 2013; 27(4): 765- 778.
7. Palma-Lara I et al. Arsenic exposure: a public health problem leading to several cancers. Regul Toxicol Pharmacol. 2020; 110:104539
8. Gamboa-Loira B, Cebrián ME, Franco-Marina F, López-Carrillo L. Arsenic metabolism and cancer risk: a meta-analysis. Environ Res. 2017; 156: 551- 558.
9. Palma-Lara I, Martínez-Castillo M, Quintana-Pérez JC, et al. Arsenic exposure: a public health problem leading to several cancers. Regul Toxicol Pharmacol. 2020; 110:104539.

Ludwig van Beethoven: «Meine Ohren, die sausen und brausen»

Der Komponist Ludwig van Beethoven litt zeitlebens an zahlreichen Gebrechen und Krankheiten, unter anderem an seinem schwindenden Gehör. Generationen von Biografen und Medizinern stritten sich über die Frage, was die schon früh einsetzende Taubheit herbeiführte und wie die von Wassersucht begleitete Leberverhärtung entstanden war, die den Tod des 57-Jährigen herbeiführte.

Der deutsche Komponist und Pianist führte die Wiener Klassik zu ihrer höchsten Entwicklung und bereitete der Musik der Romantik ihren Weg. Beethoven wird zu den überragenden Komponisten der Musikgeschichte gezählt. Sein genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt, dafür ist seine Krankengeschichte gut dokumentiert. Aus zahlreichen Briefen an Freunde und Ärzte, Notizen und 400 Konversationsheften, mit denen sich der taube Komponist am Schluss verständigte.

Als Kind erkrankte Beethoven an Pocken, die sein Gesicht mit Narben überzogen haben. Mit 17 Jahren litt er unter einer schweren «Unpässlichkeit», wie er im ältesten erhaltenen Brief aus dem Jahr 1787 schrieb. Zeit seines Lebens machten ihm Koliken und Durchfälle zu schaffen. Andauernd hatte er Erkältungen, die auch auf seine sorglose Lebensweise zurückgeführt wurden. Seine Ärzte vermerkten bekümmert das Temperament des ungestümen Patienten, der während der Arbeit aufsprang, sich eilends eine Kanne kalten Wassers über den erhitzten Kopf schüttete und dann wieder, ohne sich abzutrocknen, an seine Noten stürzte.

In den zahlreichen Quellen, Briefen, zeitgenössischen Berichten, Konversationsheften, Obduktionsbefunden und der medizinischen Beethoven-Literatur werden zahlreiche Beschwerden wie Erkältungen, Durchfall, Leibschmerzen, Koliken, Fieberzustände und Entzündungen genannt. Als Ursachen wurden von den Ärzten akute sowie mehrere chronische Erkrankungen in Betracht gezogen. Unter anderem wurden Typhus, Gelbsucht, Bleivergiftung, Brucellose, Lues erwähnt.

In seiner umfassenden Pathographie, die er nach zehnjähriger Forschungsarbeit fertig gestellt hatte und 1950 als Dissertation bei der Universität Frankfurt einreichte, führte der Arzt Dr. Walther Forster Beethovens Leiden auf eine frühe Infektionskrankheit zurück, vermutlich Bauchtyphus, von der sich die Darmorgane des Komponisten nie wieder ganz erholten. Die im nicht funktionierenden Darm entstandenen Gifte, so Forster, wirkten auf den Gehörgang und lösten dort im Lauf der Jahre eine Innenohrentzündung aus. Aus den chronisch gestörten Darmfunktionen entwickelte sich laut Forster auch die Leberzirrhose, die mit der Wassersucht den Tod herbeiführte.

Ludwig van Beethoven stammte aus einer niederdeutschen ursprünglich aus den Niederlanden eingewanderten Kunsthandwerker- und Künstlerfamilie. Grossmutter und Vater waren Trinker, die Mutter und ein Bruder starben an Tuberkulose. Dr. Forster beschrieb Ludwig van Beethoven als pyknisch-athletischen Typus: «Kräftig, fast plump… von gedrungener Gestalt mit breiten Schultern, er hatte einen kugelförmigen Kopf mit wundervoll weitgewölbter Stirn und einen kurzen Hals.»

Mit 48 war der Musiker völlig taub

1798, als Beethoven 28 Jahre alt war, kündigte sich das Gehörleiden an. Ab 1800 wurde Beethoven deswegen auf verschiedene Weise behandelt. 1801 schrieb er einem Freund: «Wisse, dass mir der edelste Teil, mein Gehör, sehr abgenommen hat, schon damals, als Du noch bei mir warst (1798/99) fühlte ich davon Spuren und ich verschwiegs. Es soll von den Umständen meines Unterleibs herrühren.»

Jahrelang versuchte Beethoven sein Ohrleiden geheim zu halten. Im 19. Jahrhundert galten Taube als dumm und lächerlich. Nur gegenüber Freunden klagte er über das ständige «Sausen und Brausen». Oft wechselte er die Ärzte, auf deren Rat nahm er verschiedene «heilende» Teesorten und allerlei vermeintlich lindernde Tropfen, stopfte sich Baumwolle mit Mandelöl oder Meerrettich in die Ohren, nahm lauwarme Donaubäder, versuchte es mit so genannten Vesikatorien, die zu Blasen auf der Haut führten. Man hoffte, dass mit dem Verschwinden der Blasen auch die Krankheit vergehe. Auch den damals gerade entdeckten Galvanismus hoffte er für therapeutische Zwecke nutzen zu können, liess sich Drähte in die Ohren legen und sich von Stromstössen malträtieren.

Von 1799 bis 1812 entstanden trotz des «Sausens und Brausens» und der immer wiederkehrenden Koliken und Fieberanfällen acht grosse Symphonien, darunter die «Eroica» (1804) und die «Pastorale» (1808), die Musik zu Goethes «Egmont» sowie die Oper «Fidelio (1805 bis 1814) und die berühmtesten Konzerte, Klavier- und Violinsonaten (Mondscheinsonate, Appassionata, Kreutzersonate).

Der Erfinder des Metronoms, Johann Nepomuk Mälzel, konstruierte vier Hörmaschinen für den Komponisten, die ihm zeitweise halfen. Dennoch waren die Klavierkonzerte, die Beethoven gelegentlich noch gab, dem verwöhnten Wiener Publikum keine reine Freude mehr. Der Komponist Ludwig Spohr (1784 – 1859) erinnerte sich: «Ein Genuss war’s nicht, denn erstlich stimmte das Pianoforte sehr schlecht, was Beethoven wenig kümmerte, da er ohnehin nichts davon hörte und zweitens war von der früher so bewunderten Virtuosität des Künstlers infolge der Taubheit fast gar nichts übriggeblieben. Im Forte schlug der arme Taube so darauf, dass die Saiten klirrten, und im Piano spielte er wieder so zart, dass ganze Tongruppen ausblieben.»

Beethoven hatte sich mit seinem Geschick abgefunden, obwohl sich sein Leiden immer mehr verschlimmerte. Neben der Taubheit, den Koliken, rheumatischen Anfällen wurde eine Gelbsucht diagnostiziert und ein «Augenübel». Beethoven war schon lange stark kurzsichtig. Er trug Sehgläser von 1,5 bis vier Dioptrien. 1825 zwang ihn wieder eine schwere «Gedärmentzündung» aufs Krankenlager. Er glich einem Greis, dabei war er erst 55 Jahre alt.

In den letzten Lebenswochen vor seinem Tod herrschte an seinem Krankenlager reger Betrieb. Täglich kamen mindestens zwei Ärzte auf Visite sowie zahlreiche Freunde und Bekannte. Auch der Komponist und Schriftsteller Ferdinand Hiller besuchte Beethoven mehrmals, zuletzt am 23. März 1827, am gleichen Tag, als Beethoven sein Testament machte. Hiller schrieb: «Matt und elend lag er da, zuweilen tief seufzend, kein Wort mehr entfiel seinen Lippen – der Schweiss stand ihm auf der Stirn. Der behandelnde Arzt, der in Wien berühmte und gefeierte Dr. Johann Malfatti, verabreichte dem Todkranken Punscheis, um ihm seine letzten Tage angenehmer zu gestalten. Am Abend des 24. März begann sein Todeskampf, der mit Unterbrechungen bis zum 26. März andauerte. Zwei Freunde berichteten: «Gegen 6 Uhr nachmittags brach ein schweres Gewitter herein. Ein Blitz zündete in der Nähe, das Haus erbebte. Da richtete sich der Sterbende auf und hielt drohend die Faust empor. Darauf fiel er zurück. Beethoven war tot.»

Unzählige Diagnosen nach dem Tod

Beethoven wurde am Tag nach seinem Tod in seinem Zimmer obduziert und am 29. März 1827 auf dem Zentralfriedhof Wien beerdigt. Zur weiteren Ermittlung seiner Todesursache wurde seine Leiche 1863 exhumiert und ein zweites Mal 60 Jahre nach seinem Ableben. Bis ins 21. Jahrhundert suchten Forscher in Europa und Amerika mit neuen Methoden nach den Ursachen von Beethovens Krankheiten. Über Beethovens Taubheit erklärte der HNO-Arzt Bernhard Richter vom Freiburger Institut für Musikermedizin: «Eine endgültige Klarheit wird man nie erreichen.» Denn die entscheidenden Knochen des Schädels Beethovens, die Felsenbeine, in denen sich die Gehörschnecke befindet, können leider nicht mehr untersucht werden, so Richter an dem von ihm organisierten Symposium im Jahr 2020 anlässlich des 250. Tauftags von Beethoven an dessen Geburtsort Bonn.

Professor William Meredith vom Beethoven-Zentrum der Universität von San Jose in Kalifornien liess zwei Stücke des Schädels, die im Besitz des Beethoven-Zentrums waren, am Pfeifer Behandlungszentrum in Illinois untersuchen. Der Experte für Spurenelemente und Vitamine, William Walsh, liess sie am Argonne National Laboratory in Illinois mit einem der stärksten Röntgenlaser der Welt analysieren. Die Röntgenstrahlen sind so intensiv und lassen sich so fein fokussieren, dass sie eine zerstörungsfreie Analyse der Elemente ermöglichen. William Walsh: «Wir haben uns besonders für Quecksilber interessiert. Seit fünfzig Jahren gibt es die Theorie, dass Beethovens Symptome von einer Lues stammen würden. Zu seiner Zeit wurde Syphilis mit Quecksilber behandelt, aber wir konnten nicht einmal Spuren von Quecksilber nachweisen. Wir sind also glücklich belegen zu können, dass er nicht an Syphilis litt.»

Eine der Ursachen für Beethovens Beschwerden könnte dagegen eine Bleivergiftung sein, erklärt William Walsh. Der untersuchte Knochen und das Haar von Beethoven enthalten Blei in hoher Konzentration. «Wir haben 20‘000 Patienten untersucht und bei allen den Bleigehalt im Blut und den Haaren gemessen. Darunter waren nur acht Menschen, die vergleichbare Bleiwerte hatten. Alle acht sind schwer krank und ihre Symptome ähneln denen von Beethoven.»

Woher stammten die hohen Bleiwerte des Meisters? Zu Beethovens Zeit gab es Wasserrohre aus Blei, Trinkbecher aus Zinn, das mit Blei verunreinigt war. Vor allem: Beethoven war für seine Vorliebe für Wein bekannt, der im 19. Jahrhundert mit Blei versetzt wurde, um ihm den bitteren Geschmack zu nehmen.

Schon als 11-Jähriger flüchtete Beethoven vor dem gewalttätigen Vater ins Wirtshaus, wo er mit Bier und Wein in Kontakt kam. Noch am Sterbebett fragten ihn Besucher via Konversationsheft, ob er auch genügend Wein habe. Der erste Sektionsarzt, Johann Wagner, notierte in seinem Obduktionsbericht vom 26. März 1827, Beethoven sei an Leberzirrhose und Pankreatitis durch jahrelangen Alkoholgenuss gestorben. Die Hörnerven waren «zusammengeschrumpft und marklos», stellte Wagner fest.
Der Mediziner und Musikwissenschaftler Franz Hermann Franken schrieb: «Beethoven gehört zu den unbegreiflichen Wundern unserer Welt, vor denen wir nur staunend stehen können und vor denen jede Kritik schweigt: Aus einer über Generationen belasteten Trinkerfamilie stammend, von deren Kindern man glaubt, es könne ohnehin nichts aus ihnen werden, zählt er zu den grössten Genies, die je über die Erde gingen.»

Jörg Weber

Quellen: Richter, Holzgreve, Spahn: Ludwig van Beethoven – Der Gehörte und der Gehörlose. Herder, Freiburg i.Breisgau, 2020
Alessandra Comini: Zur Geburt eines Mythos,Hollitzer Verlag, Wien 2020 Walther Forster: Beethovens Krankheiten und ihre Beurteilung. Breitkopf und Härtel, Wiesbaden Deutsches Ärzteblatt, 42/2002

Dr. med. Christoph Schlegel-Wagner

Klinik für Hals-Nasen-Ohren- und Gesichtschirurgie (HNO)
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6004 Luzern

christoph.schlegel@luks.ch

Literatur: Perciaccante A, Coralli A, Bauman NG. Beethoven: His Hearing Loss and His Hearing Aids Otol Neurotol 41:1305–1308, 2020.
Thomas JP et al. Aetiology of Ludwig van Beethoven’s hearing impairment: hypotheses over the past 100 years – A systematic review European Archives of Oto-Rhino-Laryngology (2021) 278:2703–2712.