Grenzen von Guidelines im klinischen Alltag

Behandlungsrichtlinien, so genannte Guidelines, sind aus unserem Klinikalltag nicht mehr weg zu denken. Guidelines geleitete Therapien gelten als Garant für das Erbringen bester Evidenz basierter Medizin. In dieser Nummer werden die neuen Guidelines zur Pulmonalen Hypertonie der europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) vorgestellt. Die ESC erarbeitet jedes Jahr vier aktualisierte Guidelines. Diese Guidelines werden von kompetenten Experten unter sorgfältiger Abwägung der Evidenz aus aktuellen klinischen Studien formuliert.

Trotz oder gerade weil die Guidelines eine grosse Bedeutung haben, ist es sinnvoll darüber nachzudenken, wo die Guidelines ihre Grenzen haben und wo sie im klinischen Alltag gar versagen. Die ­Grenzen ergeben sich aus den Grenzen der Studien, auf denen sie beruhen. Klinische Studien überprüfen vom Prinzip her in einer umschriebenen – durch Einschluss- und Ausschlusskriterien gewählten – Anzahl von Teilnehmenden den grösstmöglichen Nutzen und kleinsten Schaden einer Therapie (1). Um das zu erreichen, werden polymorbide Patienten, Schwangere sowie betagte und gebrechliche Patienten in der Regel von Studien ausgeschlossen (2). Deshalb gilt die aus einer Studie gewonnene Evidenz für die untersuchte Patientenpopulation und ist nur bedingt auf alle Patientengruppen übertragbar. Zur Illustration dieses Punktes seien die Studien, welche der Empfehlung einer doppelten Plättchenhemmung (DAPT) über 12 Monate nach einer Stentimplantation zugrunde lagen, erwähnt. Diese Studien belegten, dass eine DAPT die Rate an Stentthrombosen und ischämischen Ereignissen reduziert (3). Alle diese Studien schlossen aber Patienten mit hohem Blutungsrisiko (z.B. Alter >75 Jahre, gleichzeitige orale Antikoagulation, Leberschaden, frühere Blutungen, Karzinome etc.) aus. Erst als Studien zur DAPT bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko durchgeführt wurden, zeigten sich die häufigen Blutungskomplikationen, die durch diese Empfehlung bei ihnen verursacht wurden (4). Die Guidelines sind in der Folge differenziert und angepasst worden.

Es ist somit problematisch den in randomisierten Studien gefundenen Nutzen einer Therapie für alle Patientengruppen anzunehmen. Noch schwieriger ist es deren Nutzen auf den einzelnen Patienten zu übertragen (5). Dazu müsste man wissen, wie hoch das Risiko des individuellen Patienten ist, den in der Studie festgelegten Endpunkt zu erleiden. Studienresultate werden als Mittelwerte kommuniziert (2, 5). Mit anderen Worten: Von einer Therapie oder Intervention werden einige profitieren, viele haben keinen Nutzen und ein Teil der Studienteilnehmer wird einen Schaden nehmen. Um beim Beispiel der Empfehlung DAPT über 12 Monate zu bleiben: In den Studien stand der Reduktion der ischämischen Ereignissen von 2-3% eine vermehrte Blutungsrate von ebenfalls 2-3% gegenüber (3). Über 90% der Patienten hatten weder einen Gewinn, noch einen Schaden durch die Therapie erfahren. Der in letzter Zeit neben dem Endpunkt für den Nutzen (Efficacy) eingeführte Endpunkt für die Sicherheit (Safety Endpoint) hilft da wenig. Wünschenswert wäre eine risikobasierte Evaluation der Studien (5): Wer profitiert wirklich und wem schadet die Intervention?

Die Guidelines formulieren allgemein gültige Empfehlungen. Dazu müssen die oft komplexen Studienresultate komprimiert und verallgemeinert werden. Die Empfehlungen gelten für alle – für Männer und Frauen, für alte und junge – unabhängig davon von welcher Patientengruppe die Evidenz stammt. Des Weiteren werden häufig Mittelwerte aus Studienresultaten als Zielwerte für Therapien oder als Schwelle für eine Intervention empfohlen. Die Problematik solcher Zielwerte kann anhand des folgenden Beispiels aufgezeigt werden. Der Zielwert für das LDL-Cholesterin in der Sekundärprävention beträgt <1,4 mmol/l (6). Dieser Zielwert beruht auf den Resultaten der IMPROVE-IT, der FOURIER und der ODISSEY Studie. Die Studien schlossen Patienten nach einem Myokardinfarkt oder Schlaganfall ein, wenn sie unter maximal tolerierter Statintherapie ein LDL>2,6 mmol/l aufwiesen. Durch die Gabe von Ezetimib oder eines PCSK-9 Inhibitors sank das LDL-Cholesterin auf einen Mittelwert von 1,4 mmol/l. Der Mittelwert bedeutet, dass bei der Hälfte der Patienten ein Wert von LDL-Cholesterin >1,4 mmol/l, bei der anderen Hälfte <1,4 mmol/l erreicht wurde. Die Patienten erfuhren also einen Nutzen durch die Medikamente, welche sie zusätzlich zum Statin erhielten, aber nicht durch das Erreichen des Zielwertes. Anzunehmen, dass wir bei allen Patienten, wie von den Guidelines empfohlen, einen LDL-Wert <1,4 mmol/l erreichen, wiederspricht der Evidenz aus den Studien, auf denen dieser Zielwert beruht.

Die Grenzen der Sinnhaftigkeit von strikter Anwendung der Guidelines beim individuellen Patienten wird bei polymorbiden Patienten offensichtlich. Für alle Komorbiditäten des polymorbiden Patienten bestehen Guidelines. Der Patient wird bei Guideline konformer Behandlung sehr viele Medikamente einnehmen müssen (7). Hinweise auf mögliche Medikamenteninteraktionen finden sich in keiner Guideline (7). Therapieentscheide aufgrund von aus Studiengruppen gewonnener Evidenz ist bei polymorbiden Patienten nicht möglich, weil sie nicht in Studien eingeschlossen sind. Bei polymorbiden Patienten muss der behandelnde Arzt zusammen mit dem Patienten die Prioritäten für die Therapie festlegen. Dazu ist ein Abwägen der zu erwartenden Morbidität und Mortalität und ein pathophysiologisches Verständnis der einzelnen Krankheiten nötig. Dieses Wissen ist nicht aus den Guidelines zu gewinnen.

Was bleibt zu tun? Guidelines sind hilfreich als Empfehlung, können aber nicht unbedacht angewendet werden. Guidelines entbinden uns nicht vom Reflektieren der Evidenz auf der sie beruhen und vom sorgfältigen Abwägen des Nutzens gegen den Schaden einer Therapie beim einzelnen Patienten, insbesondere beim betagten, polymorbiden Patienten.

Prof. Dr. med. Franz Eberli

Prof. Dr. med. Franz R. Eberli

Stadtspital Zürich Triemli
Klinik für Kardiologie
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

franz.eberli@triemli.zuerich.ch

1. Swedberg K. Fallacies in clinical cardiovascular trials. Heart. 2009;95(17):1464-8.
2. Rothwell PM, Mehta Z, Howard SC, Gutnikov SA, Warlow CP. Treating individuals 3: from subgroups to individuals: general principles and the example of carotid endarterectomy. Lancet. 2005;365(9455):256-65.
3. Giustino G, Baber U, Sartori S, Mehran R, Mastoris I, Kini AS, et al. Duration of dual antiplatelet therapy after drug-eluting stent implantation: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. J Am Coll Cardiol. 2015;65(13):1298-310.
4. Urban P, Meredith IT, Abizaid A, Pocock SJ, Carrie D, Naber C, et al. Polymer-free Drug-Coated Coronary Stents in Patients at High Bleeding Risk. N Engl J Med. 2015;373(21):2038-47.
5. Kent DM, Hayward RA. Limitations of applying summary results of clinical trials to individual patients: the need for risk stratification. JAMA. 2007;298(10):1209-12.
6. Mach F, Baigent C, Catapano AL, Koskinas KC, Casula M, Badimon L, et al. 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J. 2020;41(1):111-88.
7. Dumbreck S, Flynn A, Nairn M, Wilson M, Treweek S, Mercer SW, et al. Drug-disease and drug-drug interactions: systematic examination of recommendations in 12 UK national clinical guidelines. BMJ. 2015;350:h949.

Cardio Flash

In dieser Rubrik werden wichtige Studien und Themen von den Herausgebern dieser Zeitschrift kurz zusammengefasst und kommentiert. Wir hoffen, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, diese Information schätzen.

Den Ursachen der Myokarditis nach der Covid-Impfung auf der Spur

Ungefähr 1-2/100‘000 mit den mRNA-Geimpften entwickeln meist nach der zweiten Impfung eine Myokarditis. Am häufigsten sind männliche Jugendliche betroffen. Die Pathogenese ist bis jetzt ungeklärt. Als Ursache wurden immunologische Phänomene, wie eine überschiessende oder fehlgeleitete Immun­antwort, eine durch das Testosteron veränderte T-Zell-Antwort oder die Entwicklung von Autoantikörper gegen das α-Myosin diskutiert. Jetzt bringen die Resultate einer Untersuchung des Immunprofils bei 61 Adoleszenten (16 mit Myokarditis, 45 ohne Myokarditis) nach der COVID-Impfung mit dem mRNA-Impfstoff neue Erkenntnisse bezüglich der Ursachen der Myokarditis. Das Immunprofil zeigte keine Unterschiede in Bezug auf Immun­antwort oder T-Zell-Antwort zwischen den Adoleszenten und jungen Erwachsenen mit oder ohne Myokarditis. Es fanden sich auch keine Autoantikörper, keine exzessive Antikörperproduktion oder gleichzeitige andere virale Infektionen. Im Falle einer Myokar­ditis einhergehend mit der entsprechenden Erhöhung der Zytokine fanden sich jedoch frei zirkulierende Spike-Proteine, die bei der Kontrollgruppe nicht nachgewiesen werden konnten. Es scheint, dass eine ungenügende Entfernung des Antigens (=Spike-Proteins), welches durch die lysosomale mRNA der Impfung produziert wurde, in der Pathogenese der Myokarditis eine Rolle spielt. Der genaue Charakter dieser immunologischen Dysregulation bleibt allerdings noch zu klären. Dass das Spike-Protein per se die Myokarditis verursacht, ist eher unwahrscheinlich, da auch andere Impfungen (Pocken, Grippe) eine Myokarditis auslösen können. Beruhigend ist auch die Erkenntnis, dass die Myokarditis nach der COVID-Impfung sich klar von dem multisystemischen inflammatorischen Syndrom (MIS-C), das nach einer COVID-19 Infektion vorwiegend bei Kindern auftreten kann, unterscheidet. Beim MIS-C finden sich keine freien Spike-Proteine, sondern Spike-Protein-Immunkomplexe, welche die massive systemische Inflammation auslösen.

Prof. Franz Eberli (FE)

Circulation 2023, doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.122.061025

Erhöhte kardiovaskuläre Mortalität bei initial konservativer Therapie der chronisch stabilen koronaren Herzkrankheit

Die ISCHEMIA-Studie ist die aktuellste und eine der grössten Studien, welche eine initial invasive mit einer initial konservativen Therapiestrategie zur Behandlung der chronisch stabilen Herzkrankheit verglich (1). Wie in den meisten vorausgehenden Studien erwies sich im kurzfristigen Verlauf eine initial ­medikamentöse Therapie, d.h. der Einsatz einer invasiven Abklärung und Revaskularisation nur bei Auftreten von schweren Symptomen oder einem akuten Koronarsyndrom, als prognostisch vergleichbar mit einer primär invasiven Abklärung. Die kardiovaskulären Ereignisse waren nicht signifikant verschieden. Aber obwohl die Gesamtzahl an peri-prozeduralen plus spontanen Myokardinfarkten statistisch nicht verschieden war, so war eine konservative Behandlungsstrategie doch mit einer vermehrten Anzahl von spontanen Myokardinfarkten im Verlauf von 3,2 Jahren verbunden (1). Verglichen mit peri-prozeduralen Myokardinfarkten sind spontane Infarkte mit einer erhöhten Mortalität verbunden, was sich auch in der ISCHEMIA Studie bestätigte (2). Deshalb besteht die Sorge, dass eine initial konservative Behandlungsstrategie im Langzeitverlauf zu einer erhöhten kardiovaskulären Mortalität führt. Diese Sorge wurde bestärkt durch eine Meta-analyse von 25 randomisierten Studien, welche eine 21% erhöhte kardiovaskuläre Mortalität bei einer initial konservativen versus invasiven Strategie ergab (3). Die ISCHEMIA-EXTEND Studie untersucht deshalb die Mortalität der ISCHEMIA Patienten im Langzeitverlauf (4). Die erste Interimsanalyse nach 5,7 Jahren hat nun bestätigt, dass die kardiovaskuläre Mortalität bei der initial konservativ behandelten Patienten um 22% (8.6% vs. 6.4%) erhöht ist. Aufgrund dieser Zahlen kann abgeschätzt werden, dass 45 Patienten invasiv untersucht werden müssen, um einen kardiovaskulären Todesfall zu verhindern (NNT 45). Überraschend und unerklärt ist auf der anderen Seite bei den initial invasiv behandelten Patienten die nicht-kardiovaskuläre Mortalität höher ausgefallen als bei den initial konservativ behandelten Patienten (5.6% vs. 4.4%). Die erhöhte nicht-kardiovaskuläre Mortalität war durch vermehrte Karzinomleiden und Pneumonien bedingt.

Eine initial konservative Therapie kann nach diesen Resultaten der ISCHEMIA-EXTEND Studie nicht mehr unbedacht allen Patienten mit chronisch stabiler Therapie empfohlen werden. Die gegenwärtige Studiendauer und -grösse erlaubte leider keine Risiko­abwägung, wer am meisten von einer invasiven Abklärung profitiert und bei wem ein konservatives Vorgehen möglich ist. Es ist zu hoffen, dass wir nach der geplanten 10-jährigen Nach­beobachtung dazu mehr Informationen erhalten.

FE

1. Maron DJ, Hochman JS, Reynolds HR, Bangalore S, O’Brien SM, Boden WE, et al. Initial Invasive or Conservative Strategy for Stable Coronary Disease. N Engl J Med. 2020;382(15):1395-407.
2. Chaitman BR, Alexander KP, Cyr DD, Berger JS, Reynolds HR, Bangalore S, et al. Myocardial Infarction in the ISCHEMIA Trial: Impact of Different Definitions on Incidence, Prognosis, and Treatment Comparisons. Circulation. 2021;143(8):790-804.
3. Navarese EP, Lansky AJ, Kereiakes DJ, Kubica J, Gurbel PA, Gorog DA, et al. Cardiac mortality in patients randomised to elective coronary revascularisation plus medical therapy or medical therapy alone: a systematic review and meta-analysis. Eur Heart J. 2021;42(45):4638-51.
4. Hochman JS, Anthopolos R, Reynolds HR, Bangalore S, Xu Y, O’Brien SM, et al. Survival After Invasive or Conservative Management of Stable Coronary Disease. Circulation. 2023;147(1):8-19.

Prof. Dr. med. Franz R. Eberli

Stadtspital Zürich Triemli
Klinik für Kardiologie
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

franz.eberli@triemli.zuerich.ch

Left Bundle Branch Area Pacing – die Zukunft der Herzschrittmacher-Therapie?

Die invasive Therapie der symptomatischen Bradykardie hat sich seit der ersten Herzschrittmacherimplantation im Jahr 1958 weiterentwickelt. Die klassische Form der kardialen Schrittmachertherapie ist die Stimulation des rechtsventrikulären Myokards, welche zu einer elektromechanischen interventrikulären Dyssynchronie mit konsekutivem Linksschenkelblock und Schrittmacher-induzierten Kardiomyopathie führen kann. Die seit dem Jahr 2000 aufkommende direkte Stimulation des kardialen Reizleitungssystems im Bereich des His-Bündels erreichte eine physiologischere elektromechanische myokardiale Aktivierung ohne interventrikuläre Dyssynchronie und mit sehr schmalen stimulierten QRS-Komplexen. Leider ist die Technik aber komplex in der Implantation wie auch in der Schrittmacher-Nachsorge und die Reizschwellen der His-Stimulation steigen nicht selten im Verlauf an, was einer breiten Adaptation im klinischen Alltag entgegenwirkte. Aktuell wird zunehmend die Stimulation des infrahissären elektrischen Reizleitungssystems, genauer gesagt des linken Tawara-Schenkels im interventrikulären Septum, als sogenanntes «left bundle branch area pacing» (LBBAP) durchgeführt. Dabei zeigt sich erfreulicherweise ein relativ schmaler stimulierter QRS-Komplex, hohe Erfolgsraten der Implantation, einheitliche und vergleichbar kurze Operationszeiten, sowie zu Beginn und auch im Verlauf stabile Messwerte der Elektroden. Auch ist es durch LBBAP möglich, einen bestehenden Linksschenkelblock zu korrigieren, weshalb LBBAP auch als Option in der kardialen Resynchronisationstherapie bei Patienten mit Herzinsuffizienz diskutiert wird. Jedoch ist dies insgesamt noch eine junge Technik, die Studienlage ist derzeit noch sehr begrenzt, und es fehlen Daten über den Langzeitverlauf.

Cardiac pacing has undergone significant innovation since the implantation of the first cardiac pacemaker in 1958. Pacing from the right ventricle has been the therapy of choice for many years, but it can lead to unphysiological depolarization of the ventricles with electromechanical dyssynchrony and pacing induced cardiomyopathy. Direct pacing of the conduction system in the region of the His-bundle has emerged since the year 2000, which leads to physiological ventricular depolarization with narrow QRS-complexes and without interventricular dyssynchrony. Implantation of a His-Electrode can however be technically challenging, elevated pacing thresholds are a potential downside and device follow-up is more complex compared to conventional devices. In the last few years, direct pacing of the infrahisian part of the conduction system, the left bundle branch in the interventricular septum, so called «left bundle branch area pacing» (LBBAP), has emerged as an alternative. Direct Pacing of the left bundle branch area results in relatively narrow QRS complexes, high implantation success rates, relatively short and reproducible procedural times as well as low and stable capture thresholds at implantation and during follow up. In some cases, correction of preexisting left bundle branch block is possible during LBBAP, which makes LBBAP interesting as a potential alternative to biventricular pacing in cardiac resynchronization therapy. While LBBAP is a young and promising technique, there is currently very limited scientific data and long-term follow-up results are lacking.
Key Words: pacing, cardiac pacing, LBBAP

Die invasive Therapie der symptomatischen Bradykardie mittels implantierbarer Herzschrittmacher (PM: Pacemaker, Herzschrittmacher) wurde 1958 gegründet, als in der Universitätsklinik Karolinska (Stockholm, Schweden) einem 43-jährigen Patienten erstmalig ein PM implantiert wurde. Der Patient hat bis zu seinem Tod mit 86 Jahren insgesamt 26 PM erhalten und überlebte sowohl den Ingenieur (Rune Elmqvist) als auch den Operateur (Ake Senning) des weltweit ersten implantierbaren PM. In den letzten 65 Jahren hat sich die Schrittmachertherapie deutlich weiterentwickelt. Während die ersten implantierbaren Schrittmachermodelle mit epikardialen Elektroden über eine laterale Thorakotomie abdominal implantiert wurden und die Batterie nur wenige Stunden hielt, werden die heutigen gängigen transvenösen Modelle sub­cutan oder submuskulär pectoral implantiert und haben eine Laufzeit von über einem Jahrzehnt. Ebenfalls wurde in den letzten Jahrzehnten eine «physiologischere» elektrische Stimulation des Herzens angestrebt, im Sinne einer Stimulation des Herzreizleitungssystems (und nicht des ventrikulären Myokards). Die Stimulation des linken Tawara-Schenkels im interventrikulären Septum (LBBAP: Left Bundle Branch Area Pacing) ist der nächste Schritt dieser Stimulation des kardialen Reizleitungssystems.

Left Bundle Branch Area Pacing

Die klassische Form der transvenösen Schrittmachertherapie ist die Stimulation des rechtsventrikulären Myokards (RVP: Right Ventricular Pacing), was naturgemäss zu einer elektromechanischen Dyssynchronie mit meist relativ breiter Linksschenkelblock-Konfiguration im EKG führt. Ein Teil der Patienten mit hohem RVP-Stimulationsanteil kann daher eine sogenannte Schrittmacher-induzierte Kardiomyopathie entwickeln mit negativem Remodelling des linken Ventrikels, Abnahme der linksventrikulären Ejektionsfraktion, erhöhter Inzidenz von Vorhofflimmern und erhöhter Mortalität (1-3). Die um das zweite Jahrtausend aufkommende Stimulation des His-Bündels (HBP: His-Bundle-Pacing), also des herzeigenen Reizleitungssystems unmittelbar unterhalb des AV-Knotens, zeigte eine physiologische elektromechanische Erregung der Ventrikel, schmale QRS-Komplexe und eine tiefere Inzidenz der Schrittmacher-induzierten Kardiomyopathie sowie damit assoziierten Hospitalisationen (4, 5). Leider hatte das HBP aber deutliche Limitationen, die eine breite Adaptation ausserhalb universitärer Zentren und Studien limitierten: Variierende Implantationszeiten machten eine strukturierte Patientenplanung schwierig, die Erfolgsraten waren sehr stark von der Erfahrung des Operateurs abhängig, Elektroden-Dislokationen mit benötigten operativen Revisionen waren (vor allem initial) nicht selten und zusätzlich zeigten sich nicht selten zu Beginn oder im Langzeitverlauf ansteigende Reizschwellen mit entsprechend schnellem Batterie-Verbrauch des PM. Aktuell wird deshalb vermehrt die Stimulation des infrahissären linken Tawara-Schenkels im interventrikulären Septum etwas weiter unterhalb des AV-Knotens und des His-Bündels (LBBAP: Left Bundle Branch Area Pacing) präferenziert (6). Dabei zeigte sich erfreulicherweise ein relativ schmaler stimulierter QRS-Komplex (schmaler als RVP, weniger schmal als HBP), hohe Erfolgsraten der Technik, einheitliche und vergleichbar kurze Operationszeiten, sowie zu Beginn und im Verlauf stabile Reizschwellen der Elektroden (6-8). Entsprechend wird heute zunehmend das LBBAP als optimaler Kompromiss zwischen idealer physiologischer elektrischer Stimulation des Herzens und kurz- sowie langfristiger technischer Machbarkeit angesehen.

Implantation und potenzielle Komplikationen

Die Patientenvorbereitung vor einer LBBAP-Implantation ist analog einer klassischen Schrittmacherimplantation. Neben einer standardmässigen Blutuntersuchung (Infektparameter, Elektrolyte, Nierenfunktion) wird eine präoperative Echokardiographie zur Evaluation der linksventrikulären systolischen Funktion, Septumdicke, Dimensionen der Herzhöhlen sowie möglicher Klappenpathologien empfohlen. Während der Implantation erfolgt zusätzlich die kontinuierliche Ableitung eines 12-Kanal-EKGs mit schneller Laufgeschwindigkeit (meist 100mm/s) zwecks Dokumentation der Stimulationsmorphologie während der LBBAP-Implantation. Falls die Implantation in einem Elektrophysiologie-Labor durchgeführt wird, kann ergänzend neben dem 12-Kanal-EKG fortlaufend das endokardiale Signal von der Spitze der Elektrode im Herzen dargestellt werden. Zur Implantation können verschiedene Elektroden mit oder ohne innere Lumen sowie dazugehörige lange Schleusen verwendet werden (9, 10). Die anschliessende LBBAP-Implantationstechnik hat sich seit der Erstbeschreibung 2017 nicht wesentlich verändert (6, 11). Nach der venösen Punktion erfolgt die Platzierung der Elektrode über eine lange Schleuse am basalen rechtsventrikulären interventrikulären Septum. Die Lokalisation der idealen Position erfolgt anhand anatomischer und elektrokardiographischer Kriterien mittels Pacemapping (11). Das anschliessende Einschrauben der Elektrode in das interventrikuläre Septum hinein erfolgt durch Drehen der gesamten Elektrode und unter Monitorisierung des Elektrogramms, der unipolaren Impedanz, der radiologischen Dokumentation sowie des Oberflächen-EKGs während der unipolaren Stimulation (11, 12). Die Drehbewegungen sollten gestoppt werden, wenn die typische LBBAP-Stimulationsmorphologie erreicht wurde (Abb. 1) oder ventrikuläre Extrasystolen mit LBBAP-Morphologie während dem Einschrauben provoziert werden (sogenannte «template beats» oder «fixation beats») (13-15). Ein plötzlicher Abfall der unipolaren Stimulationsimpedanz >200 Ohm, anhaltende unipolare Stimulationsimpedanzen < 400 Ohm, polymorphe VES mit Rechtsschenkelblock-Morphologie oder ein reduziertes Sensing sind Hinweise für eine mögliche Perforation in den linken Ventrikel.

Bezüglich der elektrophysiologischen Kriterien für eine erfolgreiche Stimulation des linksseitigen Tawara-Schenkels (LBB) herrscht derzeit kein wissenschaftlicher Konsens. Diese sind derzeit noch Gegenstand der aktuellen Forschung und wurden noch nicht in grossen prospektiven Studien validiert (16). Trotzdem haben sich in der aktuellen Literatur folgende Kriterien zunehmend konsolidiert: Bei Betrachtung des stimulierten Oberflächen-EKGs sollte bei Erreichen von LBBAP eine rechtsschenkelblockartige QRS-Morphologie (qR oder rsR‘ in V1) auftreten (Abb. 1). Die Zeit bis zur Aktivierung des linken Ventrikels (V6RWPT: Zeit bis zur R-Zacke in V6) sollte bei hohem und tiefem Output stabil kurz (<70-90ms) und idealerweise nicht länger als intrinsisch gemessen sein, als Zeichen der Stimulation des LBB (11, 15, 17). Das V6-V1-Interpeak-Intervall widerspiegelt die Zeit zwischen der Aktivierung des linken und des rechten Ventrikels und ist bei einem V6-V1 Intervall >33ms ein weiteres diagnostisches Kriterium für LBB-Stimulation (18). Manchmal lässt sich auf dem von der Elektrodenspitze abgeleiteten Elektrogramm ein scharfes hochfrequentes Linksschenkelpotential 20 – 35ms vor dem lokalen ventrikulären Elektrogramm nachweisen (19). Zuletzt existieren verschiedene aufwändigere Stimulations-Manöver (Nachweis von nicht-selektiver und selektiver LBB-Stimulation) (20). Wenn eine zufriedenstellende Position der Elektrode erreicht wurde, kann ergänzend ein Septogramm zur Darstellung der Tiefe der Elektrode im interventrikulären Septum erfolgen mittels Kontrastmittel-Applikation über die lange Schleuse (Abb. 1).

Neben den typischen Operationskomplikationen analog den konventionellen RVP-PM gibt es einige spezifische zu bedenkende Komplikationen bei LBBAP-PM Implantationen: Mikro-Dis­lokationen mit Verlust der LBB-Stimulation werden in 4-12% der Implantationen beschrieben, was sicher auch von der Erfahrung des Operateurs abhängig gemacht werden kann (21,  22). Makrodislokationen der Elektrode, entweder zurück in rechten Ventrikel oder eine späte Perforation des Septums mit Dislokation der Elektrode in den linken Ventrikel werden in 1-2% der Implantationen beschrieben. Akute septale Perforationen nach linksventrikulär während der Implantation werden in 3-14% der Implantation berichtet, diese scheinen aber keine relevante klinische Konsequenz für die Patienten zu haben bei intraoperativer Detektion und Replatzierung der Elektrode (23-26). Ebenfalls kann eine Verletzung des rechten Tawara-Schenkels mit konsekutivem Rechtsschenkelblock auftreten, entsprechend ist die vorübergehende Einlage einer Backup-Elektrode vor Implantation einer LBBAP-Elektrode bei vorbestehendem Linksschenkelblock empfehlenswert. Ergänzend treten während dem Eindrehen der Elektrode selten Verletzungen der septalen Koronararterien mit möglicher Myokardischämie, septale Hämatome oder Koronarfisteln auf.

Nachsorge

Im Gegensatz zu den HBP-PM zeichnen sich die LBBAP-PM durch stabile Messwerte (Sensing, Impedanzen, Reizschwellen) und weitgehend analoge Device-Programmierung sowie Nachsorge wie die konventionellen RVP-PM aus. Im Alltag fällt bei einer Nachkontrolle eines LBBAP-PM potenziell einzig eine manchmal auf unipolar programmierte Stimulation der LBBAP-Elektrode und auffällig schmale QRS-Komplexe auf, ansonsten unterscheidet sich eine Standardabfrage des LBBAP-PM meistens nicht von einem konventionellen RVP-PM. Auch in der Röntgenkontrolle fällt bis auf eine etwas proximalere Lage der LBBAP-Elektrode kein Unterschied zu einem RVP-PM auf (Abb. 2). Falls in der Nachsorge die LBB-Stimulation erneut geprüft werden möchte, ist diese detaillierte Nachsorge allerdings deutlich umfangreicher: Die LBBAP-Elektrode muss dann unter 12-Kanal-EKG-Ableitungen getestet werden in bipolarer sowie unipolarer Stimulation, sowie in hohem und tiefem Output mit Anwendung der bekannten Kriterien für LBB-Stimulation (Abb. 1, Abb. 3). Bei der LBBAP-Stimulation in bipolarer Konfiguration sollte darauf geachtet werden, ob es gegenüber der unipolaren Stimulation zu rein myokardialer Stimulation mit Verlust der LBB-Stimulation oder auch nur zu einem höheren Anteil an myokardialer Stimulation kommt. Die Wahl des Stimulationsmodus (uni- vs. bipolar) kann anschliessend neben den Reizschwellen auch vom Vorliegen und der Selektivität einer LBB-Stimulation abhängig gemacht werden. Schrittmachersysteme mit LBBAP-Elektroden sind MRI tauglich analog den konventionell implantierten RVP-Elektroden.

Wissenschaftliche Datenlage und Ausblick

Es existieren bisher leider nur eine sehr begrenzte Anzahl an nicht-randomisierten Studien und Registern für das LBBAP. Das grosse europäische multizentrische MELOS-Register mit >2500 Patienten demonstrierte eine Erfolgsrate einer LBBAP-Implantation von 92.4% mit stabilen Messwerten über >6 Monate, aber mit einer Komplikationsrate von 8% spezifisch für die LBBAP-Implantation (7). Die Mehrheit der kleineren prospektiven Studien zeigte ähnliche Ergebnisse mit einer Erfolgsrate um 90%, Operationsdauer vergleichbar mit einer RVP-Implantation und einer Komplikationsrate um 8-15% (24, 25). Allerdings ist die Definition einer «erfolgreichen» LBBAP-Implantation sehr heterogen, da bisher keine international akzeptierten Kriterien für LBBAP-Stimulation definiert wurden. Auch wenn die überwiegende Mehrheit dieser Komplikationen keine direkte langfristige Konsequenz für die Patienten beinhaltete (3.7% akute Perforation in den linken Ventrikel, 1.5% Elektrodendislokation, 1% Thoraxschmerzen, etc), sind es doch für die Implantationstechnik spezifische und somit potenziell verhinderbare Komplikationen. Langfristig unklar verbleibt aktuell zudem das «Überleben» von Elektroden in LBBAP-Position, beziehungsweise ob die Rate an Elektrodendefekten mit den aktuell verwendeten Elektroden höher sein könnte als in einer konventionellen RVP-Position. Etwas beunruhigend wurde diesbezüglich auch bereits ein früher Elektrodenbruch einer LBBAP-Elektrode berichtet (27). Auch stellt sich langfristig die Frage nach der Extrahierbarkeit von LBBAP-Elektroden angesichts der zu erwartenden Fibrose entlang der Elektrodenspitze im interventrikulären Septum. Hierzu existieren einzelne Fallberichte mit problemloser Extraktion durch leichten manuellen Zug ohne weitere Hilfsmittel und Komplikationen, allerdings waren die Elektroden auch alle <2 Jahren implantiert (28-30).

Dem erhöhten Komplikationsrisiko und Unklarheiten des Elektrodenverhaltens im langfristigen Verlauf gegenüber steht der potenzielle Benefit einer «physiologischeren» elektromechanischen ventrikulären Aktivierung, analog dem nachgewiesenen klinischen Vorteil des HBP gegenüber dem RVP bezüglich der Inzidenz einer «Schrittmacher-assoziierten-Kardiomyopathie» (1-3). Eine retro­spektive Kohorten-Vergleichsstudie mit 703 Patienten (LBBAP 321, RVP 382 Patienten) zeigte schmalere QRS-Komplexe unter LBBAP im Vergleich zu RVP (121+-23ms vs 156 +- 27ms, p < 0.001) sowie eine signifikante Reduktion des primären Endpunkts (Mortalität, Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz, Upgrade auf biventrikuläres Schrittmachersystem) bei einem Pacinganteil > 20% für LBBAP im Vergleich zu RVP (8). LBBAP zeigte gegenüber RVP auch eine Reduktion des Auftretens von Vorhofflimmern (31). Dementsprechend dürften Patienten mit einem hohen erwarteten Anteil an prozentualer ventrikulärer Stimulation potenziell am meisten von einer LBBAP-Implantation profitieren. Zunehmend attraktiv wird das LBBAP auch im Rahmen der kardialen Resynchronisationstherapie (CRT) für Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz und Linksschenkelblock, entweder zusammen mit einer linksventrikulären Elektrode (dann als Alternative zur konventionellen RVP-Implantation) oder allein als Ersatz einer linksventrikulären Elektrode (dann als «Bail-out» bei ansonsten gescheiterter CRT-Implantation). Allerdings ist die Erfolgsrate einer LBBAP-Implantation bei Patienten mit Herzinsuffizienz als deutlich niedriger zu bewerten (MELOS-Register: 82%) (7). Andererseits war eine LBBAP-Implantation bei Pa-tienten mit Linksschenkelblock und Herzinsuffizienz mit einer deutlichen Abnahme der QRS-Dauer (152 +- 32ms zu 137 +- 22ms; p< 0.01) und Verbesserung der LVEF (33 +- 10% auf 44 +- 11%, p<0.01) assoziiert (32). Die Implantation einer LBBAP-Elektrode anstelle einer RVP-Elektrode im Rahmen einer CRT-Implantation wird Left-Bundle-Optimized-CRT (LOT-CRT) genannt und zeigte gegenüber konventioneller CRT eine deutlichere Abnahme der QRS-Dauer und eine deutliche Zunahme der linksventrikulären systolischen Funktion, sodass eine nochmals inkremental bessere elektromechanische Synchronisierung proklamiert wird, allerdings auch in diesem Kontext ohne bisherige kontrollierte randomisierte Studien (33, 34). Bezüglich der Bail-Out-LBBAP-Implantation anstelle einer LV-Elektrode für CRT-Implantationen gibt es ebenfalls noch keine randomisierten Studien, jedoch konnte in Beobachtungsstudien immerhin gezeigt werden, dass LBBAP gegenüber CRT für Patienten mit Herzinsuffizienz mit einer stärkeren Reduktion der QRS-Dauer, signifikant grösseren Verbesserung der LVEF und signifikant weniger Tod oder Hospitalisation assoziiert war (35).

Konklusion

Das LBBAP zeigt aus Beobachtungsstudien vielversprechende Resultate mit Blick auf eine neue Schrittmachertherapie der Bradykardie und potenziell auch Herzinsuffizienz. Die LBBAP-Implantationstechnik zeigt hohe Erfolgsraten, vertretbare Komplikationsraten und stabile Messwerte der Elektroden. Ob sich das LBBAP als Technik in der Zukunft durchsetzen kann und breite Anwendung findet, hängt massgeblich von den dringend benötigten Resultaten aus prospektiv kontrolliert-randomisierten Studien mit harten Endpunkten, Langzeitdaten über das Elektrodenverhalten und einem Konsens bezüglich der Kriterien für LBBAP ab. Solange diese nicht verfügbar sind, sollten Indikationsstellungen individualisiert und mit einer ausführlichen Aufklärung der Patienten erfolgen.

Abkürzungsverzeichnis
PM – Pacemaker, Herzschrittmacher
RVP – Right Ventricular Pacing
HBP – His Bundle Pacing
LBBAP – Left Bundle Branch Area Pacing
LBB – Left Bundle Branch, linker Tawara-Schenkel
V6RWPT – V6 R-Wave Peak Time, Zeit bis Peak der R-Zacke in V6
CRT – Cardiac Resynchronization Therapy
LOT-CRT – Left Bundle Optimized Cardiac Resynchronization Therapy

Prakt. med. Caroline Wiederkehr 1
Dr. med. Andreas Müller 1
PD Dr. med. Alexander Breitenstein 2
Dr. med. Daniel Hofer 1,2
1 Rhythmologie, Klinik für Kardiologie, Stadtspital Triemli
Birmensdorferstrasse 497, 8063 Zürich
2 Rhythmologie, Klinik für Kardiologie, Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100, 8091 Zürich

Prakt. med. Caroline Wiederkehr

Rhythmologie, Klinik für Kardiologie, Stadtspital Triemli
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

Dr. med. Daniel Hofer

– Rhythmologie, Klinik für Kardiologie, Stadtspital Triemli
Birmensdorferstrasse 497, 8063 Zürich
– Rhythmologie, Klinik für Kardiologie, Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100, 8091 Zürich

DH erhielt educational grants, consultant fees, speaker fees oder fellowship support von Abbott (SJM), Medtronic, Biotronik, Boston Scientific, Biosense Webster, Novartis, Bayer, Pfizer, Spectranetics/Philips. CW erhielt educational grants oder fellowship support von Abbott (SJM), Biotronik, Boston Scientific, Biosense Webster. AM erhielt fellowship und training support von Biotronik, Boston Scientific, Medtronic, Abbott/St. Jude Medical und Biosense Webster; Speaker honoraria von Biosense Webster, Medtronic, Abbott/St. Jude Medical, AstraZeneca, Daiichi Sankyo, Biotronik, MicroPort, Novartis und Consultant Fees von Biosense Webster, Medtronic, Abbott/St. Jude Medcal und Biotronik.
AB erhielt consultant oder speaker fees from Abbott, Bayer Healthcare, Biosense Webster, Biotronik, Boston Scientific, Bristol-Myers Squibb, Cook Medical, Daiichi Sankyo, Medtronic, Pfizer, und Spectranetics/Philips.

◆ Potenzielle Langzeitfolgen des chronischen RVP sind eine systolische Herzinsuffizienz, daraus bedingte Hospitalisationen und eine erhöhte Mortalität.
◆ LBBAP ist eine Stimulation des kardialen Reizleitungssystems mit dem Ziel diese negativen Langzeitfolgen zu verhindern.
◆ Erste Beobachtungsstudien suggerieren einen Vorteil von LBBAP gegenüber RVP bei allerdings erhöhten Komplikationsraten
◆ Um sichere Empfehlungen und Kriterien bezüglich LBBAP zu definieren, müssen kontrollierte randomisierte prospektive Studien mit harten klinischen Endpunkten abgewartet werden.

1. Slotwiner DJ, Raitt MH, Del-Carpio Munoz F, Mulpuru SK, Nasser N, Peterson PN. Impact of Physiologic Pacing Versus Right Ventricular Pacing Among Patients With Left Ventricular Ejection Fraction Greater Than 35%: A Systematic Review for the 2018 ACC/AHA/HRS Guideline on the Evaluation and Management of Patients With Bradycardia and Cardiac Conduction Delay: A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines and the Heart Rhythm Society. J Am Coll Cardiol. 2019 Aug 20;74(7):988–1008.
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Medikamentöse Adipositastherapie – endlich Licht, jedoch auch Schatten

Adipositas wird heute als chronische Erkrankung angesehen, welche das Leben betroffener Menschen sowohl gesundheitlich als auch seelisch erheblich beeinträchtigt. Leider zeigen klassische Therapieansätze, welche alleinig auf kognitive Strategien zur Optimierung des Lebensstils insbesondere des Ess- sowie des Bewegungsverhaltens fokussieren, nur unzureichend Wirkung im Hinblick auf die angestrebte Gewichtsreduktion. Bislang war daher die bariatrische Chirurgie die einzige effektive Methode, das Körpergewicht und die überschüssige Fettmasse von Menschen mit Adipositas nachhaltig zu reduzieren. Erfreulicherweise scheint nun ein Durchbruch in der medikamentösen Adipositasbehandlung gelungen zu sein; ein lang ersehnter Lichtblick in der Adipositastherapie. Doch wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Wir möchten hier eine differenzierte Übersicht über praxisrelevante Aspekte der aktuellen und zukünftigen medikamentösen Adipositastherapie geben.

Today, obesity is regarded as a chronic disease that has a considerable impact on the lives of affected people, both in terms of health and mental health. Unfortunately, classical therapeutic approaches, which focus solely on cognitive strategies to optimize lifestyle, in particular eating and exercise behavior, are insufficiently effective in achieving the desired weight reduction. Until now, therefore, bariatric surgery has been the only effective method for sustainably reducing the body weight and excess fat mass of people with obesity. Fortunately, a breakthrough now seems to have been achieved in the pharmacological treatment of obesity; a long-awaited ray of hope in obesity therapy. But where there is light, there is also shadow. We would like to provide a differentiated overview of practical aspects of current and future drug-based obesity therapy.
Key Words: obesity, medical treatment for obesity, GLP-1 analogues

Nach langem Dunkel endlich Licht

Die Entwicklung von Medikamenten zur Gewichtsreduktion war über die letzten Jahrzehnte hinweg eine Geschichte mit Höhen und Tiefen (1, 2). Es wurde eine ganze Reihe an Medikamenten für die Behandlung von Adipositas zugelassen, welche jedoch im Verlauf wieder vom Markt verschwanden, da sie in der breiten Anwendung eine zu hohe Rate an unerwünschten Nebenwirkungen zeigten, welche das Risiko/Nutzen Verhältnis als nicht akzeptabel erscheinen liess. Umso erfreulicher ist es, dass nun Medikamente entwickelt wurden, welche einerseits deutlich effektiver sind, anderseits ein besseres Nutzen-Risiko-Verhältnis aufzuweisen scheinen. Es handelt sich dabei insbesondere um Substanzen, welche als Agonisten am «Glucagon-like peptide-1»/(GLP-1)-Rezeptor wirken. Diese Substanzgruppe kennen wir bereits seit bald 2 Jahrzehnten in der Therapie des Typ-2-Diabetes, wo sie nicht nur einen grossen Nutzen in Bezug auf die glykämische Kontrolle, sondern auch in Bezug auf die Prävention von kardiovaskulären Folgeerkrankungen zeigt. Obgleich bislang bei Menschen mit Adipositas, welche nicht zusätzlich unter einem Diabetes leiden, keine kardiovaskulären Endpunktstudien vorliegen, lassen die Erfahrungen aus dem Bereich der Diabetestherapie jedoch hoffen, dass bereits angelaufene Studien, welche diese Fragestellung untersuchen, ebenfalls positiv ausfallen werden.

Was sind GLP-1-Rezeptoragonisten?

GLP-1 ist ein körpereigenes Hormon, welches von spezialisierten Darmzellen insbesondere nach der Nahrungsaufnahme ausgeschüttet wird. Es handelt sich dabei um ein Peptidhormon, welches innerhalb weniger Minuten in der Blutbahn durch die Dipeptidylpeptidase (DDP) 4 aufgespalten und dadurch deaktiviert wird. GLP-1-Rezeptoragonisten (RA) stellen Analoga des ursprünglichen Hormons dar, welche derart modifiziert wurden, dass sie einerseits nicht durch DPP4 inaktiviert werden, andererseits, beispielsweise mittels Bindung an Albumin, lange in der Blutbahn zirkulieren. Die in der Adipositastherapie eingesetzten Medikamente werden dabei subkutan (s.c.) injiziert, da die Aufnahme von Peptiden über den Gastrointestinaltrakt prinzipiell möglich, jedoch nur mit hohem Aufwand zu erreichen ist.

Welche GLP-1-RA gibt es für die Adipositastherapie?

Für die Adipositastherapie sind in der Schweiz aktuell zwei Substanzen zugelassen. Unter dem Namen Saxenda® ist Liraglutid bereits seit einigen Jahren im Einsatz und wird aktuell unter Erfüllung der in der Spezialitätenliste definierten Limitatio von den Krankenkassen über maximal 3 Jahre finanziert (Tab. 1). Das Zweite von der Swissmedic für die Adipositastherapie zugelassene Medikament trägt den Namen Wegovy® und beinhaltet die Substanz Semaglutid, welche in der Diabetestherapie unter dem Namen Ozempic® gut bekannt ist. Obgleich zugelassen, ist Wegovy® aufgrund der grossen Nachfrage in den USA auf dem Europäischen sowie Schweizer Markt aktuell noch nicht verfügbar. Im Unterschied zu den in der Diabetestherapie eingesetzten Dosen werden für die Adipositastherapie deutlich höhere Dosen der entsprechenden Substanzen eingesetzt. Konkret beträgt die Höchstdosis von Saxenda® 3 mg s.c. pro Tag sowie bei Wegovy® 2.4 mg s.c. einmal pro Woche.

Eine dritte Substanz, welche bislang zwar nicht für die Adipositastherapie zugelassen ist, jedoch in einer grossen Phase-3-Studie bei Menschen mit Adipositas bereits getestet wurde, möchten wir hier ebenfalls vorstellen. Dieses designte Peptid namens Tirzepatid wirkt sowohl agonistisch am GLP-1-Rezeptor als auch am Rezeptor des glukoseabhängigen insulinotropen Polypeptids (GIP). Erwähnenswert ist, dass diese auch als Bi-Agonist bezeichnete Substanz von der Swissmedic bereits zur Therapie des Typ-2-Diabetes unter dem Namen Mounjaro® (3) zugelassen ist. Ebenfalls aufgrund einer hohen Nachfrage in den USA, welche offensichtlich die momentanen Produktionskapazitäten übersteigt, ist das Medikament auf dem Europäischen sowie Schweizer Markt bislang noch nicht verfügbar. Aktuell ist es für den Beginn von 2024 für den Einsatz in der Diabetes­behandlung angekündigt.

Wie wirken die Medikamente in der Adipositastherapie?

Haupteffekt der genannten Medikamente ist eine Verminderung des Appetits sowie eine frühzeitige Sättigung nach der Nahrungsaufnahme (4–7). Experimentelle Untersuchungen konnten zeigen, dass durch die Gabe von GLP-1-RA die Verarbeitung von Nahrungsreizen im Gehirn deutlich beeinflusst wird (8). Dies erleichtert es betroffenen Personen, Kontrolle über ihr Essverhalten auszuüben, um eine Energierestriktion zu erreichen. Leider gibt es jedoch auch Hinweise darauf, dass die Appetit-reduzierenden Effekte nach einer längeren Behandlungsdauer etwas nachlassen respektive von Gegenregulationsmechanismen teilweise überspielt werden (5), was zu einem Wiederanstieg des Körpergewichts führen könnte. In der Tat zeigte eine über 3 Jahre durchgeführte Studie bei Personen mit Prädiabetes, dass die nach etwa einem Jahr erreichte Gewichtsreduktion von 9.2% trotz fortgeführter Behandlung mit 3 mg Liraglutid nicht ganz erhalten werden konnte, sodass die Nettogewichtsreduktion nach
3 Jahren nur noch 7.1% betrug. Bezüglich 2.4 mg Semaglutid zeigte eine kürzlich veröffentlichte Studie, dass die nach 68 Wochen erreichte, maximale Gewichtsreduktion unter einer fortgeführten Behandlung im anschliessenden zweiten Jahr auf stabilem Niveau gehalten werden konnte (9) (Mittlerer Gewichtsverlust nach 2 Jahren 15.2%).

Dosis-Wirkung-Beziehung

Weniger mit Adipositasmedizin vertraute Leserinnen und Leser wird es möglicherweise überraschen, dass bei Anti-Adipositas-Medikamenten ebenso wie in anderen pharmakologischen Bereichen der Medizin eine klare Dosis-Wirkung-Beziehung besteht. Abbildung 1 illustriert sowohl für Liraglutid als auch für Semaglutid diese Dosis-Wirkung-Beziehung aus Phase-2-Studien (10, 11). Für die klinische Praxis ist dies von grosser Bedeutung, da sich durch eine Dosisanpassung des verabreichten GLP-1-RA die Entwicklung des Körpergewichtes bei den meisten Patienten recht gut voraussehen und ggf. auch steuern lässt.

Effektivität der Anti-Adipositas-Medikamente

Um die Effektivität der erwähnten Substanzen darzustellen, haben wir die Daten von drei grossen Phase-3-Studien zusammengefasst (12–14). Aus streng wissenschaftlicher Sicht ist diese Gegenüberstellung nicht valide, da es sich nicht um ganz vergleichbare Untersuchungskollektive handelt. Auch die Basistherapie im Sinne einer Lifestyleintervention, welche sowohl die Verum- als auch die Placebo-Gruppen erhielten, war zwischen den Studien nicht identisch. Der Body-Mass-Index (BMI) zu Beginn der Behandlung war mit 38 kg/m2 in den unterschiedlichen Behandlungsgruppen sowie auch die Behandlungsdauer (Liraglutid und Tirzepatid 72 Wochen, Semaglutid 68 Wochen) jedoch gut vergleichbar. An dieser Stelle sei nochmals explizit erwähnt, dass Tirzepatid nicht zur Behandlung der Adipositas zugelassen ist und dass wir uns bei der Darstellung der Ergebnisse auf die höchste, der in der Studie eingesetzten Tirzepatid Dosen von 15 mg s.c. pro Woche beschränken.

Wie in Abbildung 2 gut erkennbar, ist 2.4 mg Semaglutid einmal pro Woche s.c. deutlich wirksamer bzgl. Gewichtsreduktion als die tägliche Applikation von 1 mg Liraglutid. Noch effektiver scheint jedoch die wöchentliche Gabe von 15 mg Tirzepatid zu sein. Da auch in den Placebogruppen, wohl aufgrund der gleichzeitigen Lebensstilintervention, das Gewicht etwas abnahm, ist immer der medikamentöse Nettoeffekt jeweils durch Subtraktion des in der Placebogruppe erzielten Gewichtsverlusts von dem der medikamentösen Behandlungsgruppe zu errechnen (Abb. 2).

Eine klinisch relevante, in der klinischen Adipositasforschung übliche Darstellungsweise ist auch die Angabe des prozentualen Anteils der behandelten Personen in verschiedenen Gewichtsreduktionskategorien. Wie in Abbildung 3 ersichtlich, zeigten deutlich mehr Personen unter Semaglutid als unter Liraglutid eine erfolgreiche Gewichtsreduktion, wobei sich die Erfolgsquote unter Tirzepatid nochmals deutlich erhöht zeigte.

Insgesamt sind die gewichtsreduzierenden Effekte der beschriebenen Medikamente sehr beeindruckend und scheinen sich der Effektivität von bariatrischen Operationen wie dem Roux-en-Y-Magen­bypass oder der Schlauchmagenresektion, welche einen langfristigen Gewichtsverlust von etwa 25 bis 30% generieren, anzunähern (15).

Die Medikamente wirken nur solange man sie einsetzt

Adipositas ist eine chronische Erkrankung. Wir gehen heute davon aus, dass ein einmal erreichtes Körpergewicht im Sinne eines «Setpoints» über komplexe Regulationsmechanismen gegen Gewichtsreduktionsbemühungen sehr effektiv verteidigt wird. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen konsistent, dass es zu einem Wiederanstieg des Körpergewichtes kommt, sobald die Therapie, sei es eine Ernährungs- oder Bewegungs-Intervention, eine medikamentöse Therapie oder auch eine invasive Therapie, wie ein Magenballon oder Magenband, beendet wird. Dieses Grundprinzip der Adipositasmedizin wurde auch für die Behandlung mit Semaglutid einmal mehr eindrucksvoll dokumentiert. Abbildung 4 fasst zur Illustration die Daten der STEP 4 (16) sowie der STEP 1 trial extention Studie (17) zusammen. In der STEP 4 Studie wurden die eingeschlossenen Personen nach einer 20-wöchigen Semaglutid Behandlung, entweder zu je einer Gruppe mit weiteren Semaglutid- oder Placebo-Gaben randomisiert. In der STEP 1 trial extention Studie wurde Semaglutid nach 68 Wochen gestoppt. Es zeigte sich, dass es nach einem Wechsel auf Placebo oder nach Semaglutid-Stopp zu einem zügigen Wiederanstieg des Körpergewichts kam. Folglich sollte eine medikamentöse Adipositasbehandlung eine Dauertherapie darstellen, um langfristig erfolgreich zu sein.

Sowohl auf therapeutischer Seite als auch auf Patientenseite besteht jedoch oft noch die Vorstellung, dass man das Gewicht nur einfach reduzieren müsse und es dann ohne weitere pharmakologische oder chirurgische Massnahmen und ohne Ausübung einer dauerhaften, extrem ausgeprägten kognitiven Kontrolle auf dem reduzierten Niveau persistiere. Vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Evidenz ist diese Wunschvorstellung leider als veraltet und naiv zu bezeichnen. Vielmehr muss gerade vor diesem Hintergrund gefordert werden, dass vor Einleitung einer medikamentösen Adipositastherapie eine differenzierte Aufklärung über den zu erwartenden Wiederanstieg des Körpergewichts nach Beendigung der pharmakologischen Therapie erfolgen muss und für ein neues Krankheitsverständnis mit dauerhafter Behandlungsnotwendigkeit analog zur medikamentösen Therapie des Cholesterins oder des Blutdrucks geworben werden sollte.

Was sind die Schattenseiten?

Wie die meisten medikamentösen Therapien haben auch die beschriebenen Medikamente der Adipositastherapie Nebenwirkungen. Eine Übersicht der in den drei analysierten Studien vermehrt beobachteten Nebenwirkungen haben wir in Tabelle 2 zusammengefasst. Dabei stehen gastrointestinale Beschwerden klar im Vordergrund. Diese treten meist zu Beginn der Behandlung auf und lassen sich durch eine langsame Dosissteigerung oft limitieren. Im weiteren Verlauf verschwinden sie dann häufig oder reduzieren sich zumindest auf ein akzeptables Ausprägungsniveau. Es gibt jedoch auch Personen, welche die Medikamente schlichtweg nicht vertragen oder ein unzureichendes Ansprechen auf die Therapie zeigen. In dieser Situation sollte die Therapie frühzeitig beendet werden.

Als klinisch wohl relevanteste Nebenwirkungen ist die erhöhte Inzidenz von symptomatischen Gallensteinen zu erwähnen, welche auch zu einer erhöhten Rate an Cholecystektomien führt. Dabei ist die vermehrte Gallensteinbildung nicht als unmittelbare Folge der medikamentösen Therapie zu sehen, sondern als Folge der Gewichtsreduktion, da auch andere gewichtsreduzierende Behandlungen, wie die Durchführung einer sehr energierestriktiven Diät oder einer bariatrischen Operation, zu einer erhöhten Gallenstein-Inzidenz führen.

Sorge bereitet ein unkritischer Einsatz der Medikamente

Die oben beschriebenen Nebenwirkungen erachten wir insgesamt als unproblematisch und gehen davon aus, dass sie das Risiko-Nutzen-Verhältnis auch im Langzeitverlauf nicht wesentlich verschieben werden. Grössere Sorge macht uns der zunehmend unkritische Einsatz der Medikamente insbesondere im Selbstzahlerbereich, welcher keiner Regulation unterliegt. So können wir sowohl in unserem Umfeld als auch in den Massenmedien und auf Social-Media-Kanälen beobachten, dass es einen riesigen Hype um die beschriebenen Medikamente gibt. So werden sie offensichtlich nicht selten auch ohne eine medizinische Indikation unter der Motivation der subjektiven Selbstoptimierung des Körpergewichts eingesetzt. Während das Risiko-Nutzen-Verhältnis bei gegebener medizinischer Indikation aufgrund des übergewichts-bedingten, erhöhten gesundheitlichen Risikos zugunsten des Nutzens liegt, ist dies bei Personen mit nur geringem Übergewicht sowie damit fehlenden assoziierten Komorbiditäten oder gar bei Normalgewicht mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der Fall.

Potenziell problematisch ist auch der unreflektierte Einsatz der Medikamente bei Frauen im gebärfähigen Alter, welche keine konsequente Antikonzeption durchführen, und bei Frauen, die noch einen offenen Kinderwunsch hegen. Da bislang keine Daten hinsichtlich des Einsatzes der Medikamente während der Schwangerschaft vorliegen, muss die medikamentöse Therapie vor dem Eintritt einer Schwanger­schaft, spätestens jedoch mit Feststellen einer Schwangerschaft abgesetzt werden. Der dann zu erwartende, rapide Wiederanstieg des Gewichtes könnte den Schwangerschaftsverlauf erheblich komplizieren sowie auch langfristig die metabolische Entwicklung des heranwachsenden Kindes über epigenetische Mechanismen der fetalen Programmierung ungünstig beeinflussen. Aus unserer Sicht besteht diesbezüglich ein dringender wissenschaftlicher Klärungsbedarf, damit therapiebedürftige Frauen adäquat aufgeklärt und beraten werden können (18). Im Hinblick auf diese Problematik und der Unwahrscheinlichkeit von durchführbaren Anwendungsstudien in dieser Fragestellung ist es um so wichtiger, Schwangerschaften unter GLP-1-RA zu sammeln und wissenschaftlich auszuwerten. Wir möchten daher Kollegen und Kolleginnen, die Patientinnen mit eingetretener Schwangerschaft unter aktiver Therapie betreuen, ermuntern diese zu melden (19).

Wo liegt die Grenze zwischen Lifestyle und medizinischer Indikation?

Wir wissen heute sehr gut, dass das allein quantitative Ausmass des Übergewichtes gemessen am BMI wenig über die gesundheitliche Gefährdung der betroffenen Person aussagt. Fettverteilungsmuster, Fettzellvolumen, Ausmass der subklinischen Inflammation sowie der Insulinresistenz, genetische und epigenetische Prägung und viele weitere Faktoren entscheiden, ob und wann Übergewicht respektive Adipositas zu gesundheitlichen Problemen führt. Nicht vergessen werden sollten jedoch auch die funktionellen Einschränkungen sowie psychosozialen und sozioökonomischen Folgen der Adipositas, welche das Leben von betroffenen Menschen deutlich erschweren. In der klinischen Praxis ist es daher unerlässlich, eine sorgfältige Evaluation durchzuführen, bevor eine Behandlungsempfehlung abgegeben und gegebenenfalls eine Behandlung eingeleitet werden kann.

Die Limitatio der Spezialitätenliste definiert als Kriterium für eine Kostenübernahme einer Behandlung mit Saxenda® einen BMI von >28 (bis 35) kg/m2 verbunden mit dem Bestehen mindestens einer Übergewichts-assoziierten Komorbidität wie Prädiabetes, Dyslipidämie oder arterieller Hypertonie (Tab. 3). Einerseits macht die Konzentration der Finanzierung der Therapie auf Personen mit entsprechenden Komorbiditäten aus unserer Sicht Sinn, andererseits kann jedoch die explizite Einschränkung auf einzelne Komorbiditäten problematisch sein. Neben dieser BAG-seitig willkürlich definierten Komorbiditäten könnte man ebenso als finanzierungsbegründende Komorbiditäten das Schlafapnoesyndrom oder die Steatosis hepatis respektive Steatohepatitis aufführen. Ebenso sollten funktionelle Einschränkungen wie beispielsweise eine Gonarthrose sowie auch psychosoziale Beeinträchtigungen durch das Übergewicht Berücksichtigung finden. Letztlich ist es wie immer Aufgabe der ärztlichen Tätigkeit, eine differenzierte Abwägung hinsichtlich einer potenziellen Behandlungsindikation vorzunehmen.

Strukturierte Begleitung immer notwendig

Generell sollte der Einsatz der beschriebenen Anti-Adipositas-Medikamente strukturiert begleitet werden, so wie dies auch in den Zulassungsstudien immer der Fall war. Durch die Medikation wird das Essverhalten der behandelten Person erheblich beeinflusst, so dass es insbesondere darum geht, dass nicht nur eine quantitative Veränderung der Ernährung, sondern auch eine qualitative Anpassung stattfindet. Eine begleitende, qualifizierte Ernährungsberatung sowie ggf. auch Trainingstherapie kann hierbei unterstützend sehr wirksam sein (20).

Fehlende Finanzierung der Dauerbehandlung

Aktuell ist die Finanzierung der medikamentösen Adipositas­therapie zeitlich aktuell auf maximal 3 Jahre limitiert. Wir müssen leider davon ausgehen, dass sich dies zumindest kurzfristig auch nicht grundlegend ändern wird. Da es sich bei der Adipositas jedoch um eine chronische Erkrankung handelt und mit einem zügigen Wiederanstieg des Gewichts nach Absetzen der Medikation zu rechnen ist, macht eine zeitliche Begrenzung der Therapiefinanzierung medizinisch gesehen keinen Sinn. Eine Selbstfinanzierung der Therapie ist für viele betroffene Personen aufgrund ihrer sozioökonomischen Schlechterstellung nicht realistisch und aus unserer Sicht vor dem Hintergrund des Anspruchs auf soziale Gerechtigkeit auch nicht akzeptabel. Genau wie die bariatrisch-chirurgischen
Therapien sollte die Durchführbarkeit einer medikamentösen Therapie nicht von dem sozial-ökonomischen Status der betroffenen Person abhängig sein. Es kann nicht sein, dass es am Ende heisst: «Medikamente für Reiche, Operationen für Arme». Um eine solche Entwicklung zu verhindern, ist es dringend erforderlich, dass die Adipositas in der Gesellschaft, von Gesundheitsfachpersonen sowie insbesondere von regulatorischen Entscheidungsträgern endlich als chronische Erkrankung anerkannt wird.

Zweitabdruck aus «der informierte arzt» 03-2023

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Bernd Schultes

Stoffwechselzentrum St. Gallen, friendlyDocs AG
Lerchentalstrasse 21
9016 St. Gallen

stoffwechselzentrum@friendlydocs.ch

Prof. Dr. med. Gottfried Rudofsky

Praxis für Endokrinologie, Diabetes & Adipositas
Baslerstrasse 30
4600 Olten

endokrinologie-olten@hin.ch

Prof. Dr. med. Bernd Schultes gibt an, Vortrags­tätigkeiten für die Firmen Novo Nordisk und Eli Lilly durchzuführen sowie an advisory boards dieser Firmen teilzunehmen. Diese Firmen produzieren und/oder Erforschen u.a. Arzneimittel zur Behandlung von Adipositas.
Zudem war er als Investigator an klinischen Studien der Firma Novo Nordisk beteiligt.
Dr. rer. hum. biol. Barbara Ernst gibt an, als Studienkoordinatorin an
klinischen Studien der Firma Novo Nordisk beteiligt gewesen zu sein.
Prof. Dr. med. Gottfried Rudofsky gibt an, Vortragstätigkeiten für die
Firmen Novo Nordisk und Eli Lilly durchzuführen sowie an advisory boards dieser Firmen teilzunehmen. Zudem war er als Investigator an klinischen Studien der Firma Novo Nordisk beteiligt.

◆ Die Entwicklung neuer Anti-Adipositas Medikamente stellt einen
enormen Fortschritt in der Adipositasmedizin dar und wird dabei
helfen, die Erkrankung effektiver zu behandeln.
◆ Eine medikamentöse Adipositastherapie sollte immer strukturiert begleitet werden.
◆ Vor Verordnung eines Medikaments ist darauf hinzuweisen, dass diese Therapie als dauerhafte Therapie zu verstehen ist und die Kosten der Medikation nach maximal 3 Jahren von den Betroffenen wahrscheinlich selbst zu tragen sind.
◆ Zu behandelnde Personen sind im Hinblick auf den zu erwartenden Wiederanstieg des Körpergewichts nach Absetzen der Therapie sowie über die unklare Situation bezüglich einer eventuell eintretenden Schwangerschaft explizit aufzuklären.
◆ Ein unkritischer Einsatz der Medikamente sollte auch im Selbstzahlerbereich unbedingt vermieden werden.
◆ Die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung der Adipositas sollte nicht vom sozioökonomischen Status der betroffenen Person abhängig sein. Es ist daher eine dauerhafte Finanzierung der Therapie bei gegebener Indikation anzustreben.

1. Schultes B. Pharmacological Interventions against Obesity: Current Status and Future Directions. Visc Med. 2016 Oct;32(5):347–51.
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ACC-Kongress 2023

Der diesjährige Kongress der American College of Cardiology fand vom 4. - 6. März 2023 in New Orleans statt. Im folgenden werden wichtige Studien und Themen vom Kongress vorgestellt.

COAPT Trial: Mitraclip bei schwerer Mitralinsuffizienz erfolgreich

Die COAPT Studie schloss in den Jahren 2012-2017 614 Patienten (mittleres Alter 72 Jahre, 36% Frauen) mit schwerer sekundärer Mitralinsuffizienz ein. 302 Patienten wurden mit einem Mitraclip plus optimaler medikamentöser Therapie mit 312 medikamentös behandelten Patienten verglichen. Nach zwei Jahren zeigte sich bereits ein Nutzen des Mitraclips. Gregg Stone präsentierte nun am ACC Meeting die Resultate des primären Endpunkts der Studie, nämlich Gesamtmortalität und Hospitalisationen nach fünf Jahren. Die jährliche Hospitalisationsrate in den fünf Jahren betrug in der Mitraclipgruppe 33,1% in der medikamentös behandelten Gruppe 57,2% (HR 0.53; 95% CI 0.41-0.68). Die Gesamtmortalität war 57,3% vs 67,2% (HR 0.72; 95% CI0.58-0.89). Tod oder Hospitalisation für Herzinsuffizienz erlitten 73,6% der Mitraclip Patienten und 91,5% der initial medikamentös behandelten Patienten (HR 0.53; 95% CI 0.44-0.64). Bei 67 (=21.5%) Patienten der medikamentösen Gruppe wurde, bei den meisten nach über 2 Jahren, ebenfalls ein Mitraclip eingesetzt. Dadurch glich sich deren klinischer Verlauf dem der Mitraclip Gruppe an. Eine Mitralklappenoperation wurde in einem Patienten der Mitraclipgruppe und in neun der medikamentösen Gruppe nötig. Bei 4 (=1,4%) Patienten kam es zu Komplikationen des Mitraclips, bei allen innerhalb der ersten 30 Tage nach Implantation.

Fazit:

In der COAPT Studie reduzierte das Mitraclipping die Hospitalisationsrate und die Mortalität über 5 Jahre bei Patienten mit schwerer sekundärer Mitralinsuffizienz.

Interpretation:

Das Mitraclipping ist eine sichere ergänzende Therapieoption zur optimalen medikamentösen Therapie bei Patienten mit schwerer sekundärer Mitralinsuffizienz. Die fast 75%ige Ereignisrate an Tod oder Hospitalisationen trotz Mitraclip zeigt, dass 1) schwer kranke Patienten in die Studie eingeschlossen wurden und 2) dass der Mitraclip die zugrundeliegende myokardiale Dysfunktion nicht korrigieren kann.

Stone G et al. NEJM 2023; DOI:10.1056/NEJMoa2300213

TRILUMINATE: Clipping der Trikuspidalklappe vermindert Trikuspidalinsuffizienz und verbessert Lebensqualität

Die schwere Trikuspidalinsiffizienz geht einher mit Rechtsherzinsuffizienz, Leistungsintoleranz, schlechter Lebensqualität und erhöhter Mortalität. Die chirurgische Sanierung ist mit einer hohen Mortalität verbunden und so bleibt oft nur eine diuretische Therapie zur Symptomlinderung. Die transkutane edge-to-edge Reparatur (TEER), also das Clipping der Trikuspidalklappe, analog zum Clipping der Mitralklappe, hat in ersten klinischen Studien vielversprechende Resultate gebracht. TRILUMINATE ist die erste randomisierte Studie bei ­Patienten mit schwerer, symptomatischer Trikuspidalinsuffizienz (NYHA Klasse II-III-IVa), die entweder mit medikamentöser Therapie (n=175) oder mit medikamentöser Therapie plus Clipping der Trikuspidalklappe mit einem TriClip System (n=175) behandelt wurden. Die Patienten waren im Mittel 78 Jahre alt, 55% weiblichen Geschlechts und bei 70,7% war die Insuffizienz massiv oder torrential (sintflutartig). Das Clipping konnte bei 99% der Interventionen erfolgreich durchgeführt werden. Im Mittel wurden 2,2 Clips pro Patient gesetzt. Das Clipping hat die Insuffizienz in 87% der Patienten auf mittelschwer oder weniger reduziert, während dies nur in 4.8% der medikamentös behandelten Patienten nach einem Jahr erreicht wurde. Die Reduktion der Insuffizienz brachte einen Nutzen (p<0.02) gemessen am primären Endpunkt, welcher eine Kombination aus Mortalität, Notwendigkeit einer chirurgischen Sanierung, Herzinsuffizienzhospitalisation und Anstieg der Lebensqualität nach 12 Monaten war. Allerdings kam der gesamte Nutzen durch eine Verbesserung der Lebensqualität, abgeschätzt mittels des Kansas City Cardiomyopathy Questionnaires, zustande. Patienten, bei denen durch das Clipping die Regurgitation am stärksten reduziert werden konnte, berichteten über die höchste Verbesserung der Lebensqualität. Bezüglich der harten Endpunkte Mortalität und Hospitalisationen zeichnete sich nicht einmal ein Trend zugunsten des Clippings ab. (Sorajja P. et al. New Engl J Med 2023, DOI:10.1056/NEJMoa230525)

Fazit:

Bei schwerer Trikuspidalinsuffizienz kann durch TEER mittels TriClip System die Regurgitation dh. die Insuffizienz substanziell reduziert werden. Diese Reduktion geht einher mit einer Verbesserung der Lebensqualität nach einem Jahr.

Kommentar:

Das Clipping der Trikuspidalklappe kann bei ausgewählten Patienten sehr hilfreich sein zur Verbesserung der oft schweren Symptome. Ernüchternd ist, dass die Abnahme der Trikuspidalinsuffizienz nicht mit einer Abnahme der Mortalität oder der Hospitalisationen für Herzinsuffizienz einhergeht. Es ist zu hoffen, dass die 5-Jahres Resultate auch dafür einen Nutzen zeigen oder zumindest Auskunft geben, welche Patienten vom Clipping profitieren und bei welchen das Clipping keinen zusätzlichen Nutzen zur medikamentösen Therapie bringt.

CLEAR Outcomes Studie: Bempedoinsäure reduziert kardiovaskuläre Ereignisse in Statinintoleranten Patienten

Die Bempedoinsäure (Nilemdo®) hemmt die Cholesterinsynthese durch eine Hemmung der ATP-Citrat-Lyase. Bempedoinsäure ist eine pro-drug. Sie muss durch das Enzym Very Long-Chain-Acyl-CoA-Synthetase (ACSLV1) aktiviert werden. Das dieses Enzym praktisch nur in der Leber aktiv ist, hat die Bempedoinsäure keine Aktivität in den Muskelzellen und sollte keine Myopathien auslösen. Am ACC wurde die Entpunktstudie zur Prüfung der klinischen Wirksamkeit der Bempedoinsäure bei Statin-intoleranten Patienten präsentiert (und gleichzeitig im NEJM publiziert: DOI:10.1056/NEJMoa2215024). Eingeschlossen wurden 13’970 Patienten der Sekundärprävention und Primärprävention, welche Statine nicht vertrugen, oder nicht willens waren ein Statin einzunehmen. 6992 Patienten wurden mit Bempedoinsäure 180 mg/Tag behandelt und mit 6978 Placebo behandelten Patienten verglichen. In der Bempedoin-Gruppe erhielten 9,4% und in der Placebo-Gruppe 15,6% zusätzlich eine andere cholesterinsenkende Therapie. Das LDL-Cholesterin betrug in beiden Gruppen zu Beginn 3.59 mmol/L. Nach sechs Monaten lag das LDL-Cholesterin um 0,76 mmol/L (=21.1%), über die gesamte Studie im Mittel um 0.57 mmol/L (15.9%) tiefer in der Bempedoin-Gruppe als in der Placebo-Gruppe. Die Nachbeobachtungszeit betrug 41 Monate.

Die Behandlung mit Bempedoinsäure senkte die kardiovaskulären Ereignisse von 13.3% auf 11.7% (p<0.004), was eine relative Risikoreduktion von 13% ergibt. Der primäre Endpunkt wurde getrieben von einer 23%igen relativen Abnahme der tödlichen und nicht-tödlichen Myokardinfarkte und einer 19%igen relativen Abnahme der koronaren Revaskularisationen in der Bempedoin-Gruppe. Die Schlaganfälle, die kardiovaskuläre und die Gesamtmortalität wurden nicht signifikant gesenkt. Myalgien traten erwartungsgemäss wenige auf und waren seltener in der Bempedoin-Gruppe, als in der Placebo-Gruppe (5.6% vs. 6.8%). Ein Anstieg des HbA1C wurde nicht beobachtet. Allerdings kam es durch die Bempedoinsäure zum Anstieg der Harnsäure in 10.9% vs. 5.9% und zu vermehrten Gichtanfällen (3.1% vs. 2.1%) und vermehrter Cholellithiasis (2.2% vs 1.2%).

Fazit:

Bempedoinsäure senkt das LDL-Cholesterin um ca. 20% und führt zu einer Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen bei guter Verträglichkeit.

Interpretation:

Bempedoinsäure ist ein wertvolles Medikament zur individuellen Anpassung der cholesterinsenkenden Therapie. Wie die CLEAR-Outcomes Studie gezeigt hat, ist sie als Monotherapie jedoch nicht enorm wirksam. In der Kombination mit anderen Medikamenten, vor allem Ezetimib (auf dem Markt als Nustendi®) oder auch den PCSK-9 Inhibitoren, führt die Bempedoinsäure zu einer viel stärkeren LDL-Senkung. In Kombination mit diesen beiden Medikamenten dürfte sie ihren Platz in der klinischen Anwendung finden.

HALO: Hemmer der Aldosteronsynthase hat sich noch nicht als antihypertensives Medikament bewiesen

Bei Therapie resistenter Hypertonie haben sich steroidale Aldosteronantagonisten (MRA) wie Spironolacton und das etwas weniger wirksame Eplerenon, als wirkungsvollste Medikament zusätzlich zu einer Dreiertherapie (RAAS-Inhibitor, Kalziumantagonist, Diuretikum) erwiesen und werden in diesem Sinne von den Richtlinien empfohlen. Die MRA blocken den Aldosteron-Rezeptor, bewirken aber gleichzeitig die Stimulation der Aldosteron-Synthese und erhöhen so das zirkulierende Aldosteron (1,2). Zudem blockiert Spironolacton auch Androgen- und Progesteron-Rezeptoren und verursacht so eine Gynäkomastie. Beide unvorteilhaften Effekte könnten mit einer Verminderung der Aldosteronproduktion durch die Inhibition des Enzyms Aldosteronsynthase ausgeschaltet werden. Bisherige Versuche scheiterten an der zu geringen Spezifität der entwickelten Inhibitoren, so dass es auch zu eine Hemmung der Cortisolproduktion in der Nebenniere kam (2). Nun ist erstmals ein spezifischer Inhibitor des Aldosertonsynthase, das Baxtrostat (CIN-107), entwickelt und in klinischen Studien getestet worden. In der Dosisfindungsstudie (BrigHTN Trial) bei Patienten mit therapierefraktärer Hypertonie bewirkte das Medikament eine starke Blutdrucksenkung (11 mmHg mehr als Placebo) nach 12 Wochen (3). Die Substanz wurde darauf zum Teil enthusiastisch als Fortschritt und Erfolg gefeiert (1, 2). Vor allem aufgrund der Studienanlage gab es aber auch Zweifel an den guten Resultaten (4). Am ACC 2023 wurde jetzt eine nächste Studie zur Überprüfung der Sicherheit und der Wirkung von Baxtrostat vorgesellt. In dieser Studie (HALO Trial) fand sich bei keiner der drei getesteten Dosen eine gegenüber Placebo signifikante Senkung des systolischen (16-19.8 vs. 16 mmHg) oder diastolischen (5.0-5.8 vs. 5.9 mmHg) Blutdrucks (5). Als häufigste Nebenwirkung trat bei 4/186 in der Baxtrostatgruppe und in 1/63 in der Placebogruppe eine Hyperkaliämie auf. Die Resultate des HALO Trials waren negativ, weil es in der Placebogruppe zu einer unerwartet starken Senkung des Blutrucks kam. Des Weiteren scheinen 36% der Patienten, die mit der höchsten Dosis von Baxtrostat behandelt wurden, das Medikament abgesetzt zu haben (5).

Fazit:

Der spezifische Aldosteronsynthase Inhibitor Baxtrostat (CIN-107) senkt das Aldosteron bei gutem Nebenwirkungsprofil. In den bisherigen Studien ist es aber zu gemischten Resultaten gekommen. Während im BrigHTN eine eindrückliche Blutdrucksenkung gefunden wurde, konnte diese Wirkung im HALO Trial nicht reproduziert werden.

Kommentar:

Die Hemmung der Aldosteronproduktion in der Nebenniere durch einen spezifischen Hemmer der Aldosteronsynthese ist ein Durchbruch. Schwer verständlich sind die diskrepanten Resultate der bisherigen Studien und unerklärt die Gründe für den hohen Therapieabbruch bei der wirkungsvollsten, höchsten Dosierung im HALO Trial. Sollte sich jedoch die Wirksamkeit des Inhibitors der Altosteronsynthese in den nächsten Studien bestätigen, würde diese Substanz eine willkommene Ergänzung der Therapieoptionen bei der Hypertonie darstellen und könnte ein Ersatz für die nebenwirkungsreichen steroidalen Aldosteronrezeptorenhemmer sein.

1. Azizi M. NEJM 2023, 388(5):461
2. Leopold J and Ingelfinger JR. NEJM 2023;388(5): 464
3) Freeman MW. Et al, NEJM 2023;388(5):395
4) Volpe M. and Patrono C. Eur Heart J 2023;44:641
5) Bhatt D. et al. March 4, 2023 ACC Scientific Sessions

RAPIF-HF: Schrittmachertherapie für chronotrope Inkompetenz bei der HFpEF ohne Nutzen

Bei der Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF) ist der inadäquate Anstieg der Herzfrequenz während der Belastung, die so genannte chronotrope Inkompetenz, ein bekannter pathophysiologischer Faktor, der zur Leistungsintoleranz bei diesen Patienten beiträgt. Die Guidelines empfehlen deshalb eine frequenzadaptierte Schrittmachertherapie zu erwägen. In der RAPID-HF Studie wurde untersucht, ob eine frequenzadaptierte Schrittmachertherapie die Leistung unter Belastung bei Patienten mit HFpEF (EF>40%) und chronotroper Inkompetenz steigern kann. Es wurde bei 29 Patient*innen (16 Männer, 13 Frauen) ein Zweikammerschrittmacher eingelegt. In einem vier-wöchigen cross-over Protokoll mit vier Wochen Pausen wurde der Schrittmacher entweder während der Belastung eingeschaltet oder nicht aktiviert. Der primäre Endpunkt war die Sauerstoffaufnahme an der anaeroben Schwelle, dh. an der Leistungsgrenze. Die Leistungsgrenze der Patienten korrelierte mit der maximal erreichten Herzfrequenz, wenn der Schrittmacher nicht eingeschaltet war. Die Herzfrequenz stieg höher an, wenn der Schrittmacher angeschaltet war. Dies führte aber nicht zu einer Zunahme der Sauerstoffaufnahme an der anaeroben Grenze, und auch nicht zu einem Anstieg der Leistungsgrenze, des Herzzeitminutenvolumens, der Lebensqualität oder Abnahme des natriuretischen Peptids. Das frequenzadaptierte Pacing hat also keinen positiven Effekt ergeben. Im Rahmen der Studie wurden viele physiologische Parameter sorgfältig gemessen. Dabei zeigte sich, dass es durch das Pacing zu einer Abnahme des Schlagvolumens kam und deshalb das Herzzeitminutenvolumen nicht anstieg. Die frequenzadaptierte Schrittmachertherapie führte leider auch zu Komplikationen bei sechs Patienten, inklusive Perikardtamponade, Venenthrombose, Trikuspidalinsiuffizienz und Taschenkomplika-tionen.

Fazit:

Eine frequenzadaptierte Schrittmachertherapie bei Patienten mit HFpEF und chronotroper Insuffizienz bringt nicht nur keinen Nutzen, sondern kann Schaden anrichten.

Interpretation:

Die frequenzadaptierte Schrittmachertherapie sollte, anders als in den Guidelines empfohlen, bei HFpEF sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Die Studie unterstreicht die Tatsache, dass die eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Patienten mit HFpEF nicht allein auf einer kardialen Dysfunktion beruht. Sie unterstützt das Konzept, dass HFpEF ein systemisches Syndrom mit multifaktoriellen Ursachen und Dysfunktion mehrerer Organe ist. Dazu gehört auch die skelettale Muskulatur, welche mit körperlichem Training gestärkt werden kann und das bewiesenermassen zu einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit bei HFpEF Patienten beiträgt.

Prof. Dr. med. Franz Eberli

Wirksamkeit und Sicherheit des oralen PCSK9-Inhibitors MK-0616: eine randomisierte kontrollierte Phase-2b-Studie

PCSK9 Inhibitoren werden bislang subkutan appliziert, sei es als monoklonale Antikörper (Alirocumab, Evolocumab) oder als siRNA (Inclisiran). Allgemein ging man davon aus, dass die Entwicklung eines oralen PCSK9 Inhibitors unmöglich sei. Nun ist es mit MK-0616 gelungen, einen oralen PCSK9 Inhibitor zu entwickeln, der in einer Phase-2b-Studie positive Ergebnisse gezeigt hat.
Die am Kongress des American College of Cardiology präsentierte und gleichzeitig im Journal des American College of Cardiology (JACC) publizierte, randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte, multizentrische Phase-2b-Studie (NCT05261126) zielte darauf ab, die Wirksamkeit und Sicherheit von MK-0616 bei Teilnehmern mit Hypercholesterinämie zu bewerten.
Die Studie schloss erwachsene Teilnehmer mit einem breiten Spektrum an ASCVD-Risiko ein. Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip (Verhältnis 1:1:1:1:1) MK-0616 (6, 12, 18 oder 30 mg QD) oder einem passenden Placebo zugeordnet. Zu den primären Endpunkten gehörten die prozentuale Veränderung des LDL-Cholesterins gegenüber dem Ausgangswert in Woche 8 und der Anteil der Teilnehmer mit unerwünschten Ereignissen und Studienabbrüchen aufgrund von unerwünschten Nebenwirkungen. Die Teilnehmer wurden für weitere 8 Wochen nach dem Behandlungszeitraum auf Nebenwirkungen überwacht.

Resultate

Von den 381 randomisierten Teilnehmern waren 49% weiblich und das Durchschnittsalter betrug 62 Jahre. Unter 380 behandelten Teilnehmern zeigten alle Dosen von MK-0616 statistisch signifikante (p<0,001) Unterschiede in der mittleren prozentualen Veränderung des LDL-Cholesterins vom Ausgangswert bis Woche 8 im Vergleich zu Placebo: -41,2% (6 mg), -55,7% (12 mg), -59,1% (18 mg) und -60,9% (30 mg). Nebenwirkungen traten bei einem ähnlichen Anteil der Teilnehmer in den MK-0616-Armen (39,5% bis 43,4%) wie im Placebo-Arm (44,0%) auf. Abbrüche aufgrund von Nebenwirkungen traten bei 2 oder weniger Teilnehmern in einer Behandlungsgruppe auf.

Konklusionen

MK-0616 zeigte statistisch signifikante und robuste, dosisabhängige, Placebo-adjustierte Reduktionen des LDL-Cholesterins in Woche 8 von bis zu 60,9 % gegenüber dem Ausgangswert und wurde über 8 Wochen Behandlung und weitere 8 Wochen Follow-up gut vertragen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

Quelle: Ballantyne CM, Banka P, Mendez G, Garcia R, Rosenstock J, Rodgers A, Mendizabal G, Mitchel Y, Catapano AL. Efficacy and safety of the oral PCSK9 inhibitor MK-0616: a phase 2b randomized, controlled trial. J Am Coll Cardiol. 2023 Feb 16:S0735-1097(23)00412-6. doi: 10.1016/j.jacc.2023.02.018. Epub vor dem Druck. PMID: 36889610.

Prof. Dr. med. Franz R. Eberli

Stadtspital Zürich Triemli
Klinik für Kardiologie
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

franz.eberli@triemli.zuerich.ch

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

The Future of Cardiology

An den Grand Rounds des Royal Brompton Hospital in London sprach Prof. Thomas Lüscher, London/Zürich, über die Errungenschaften der Kardiologie in den letzten Jahrzehnten und über ihre Zukunft.

Der Referent begann mit der Kardiologie in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts und dem Tod von Präsident Dwight D. Eisenhower, dem 34. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Am 24. September 1955 erlitt er während eines Urlaubs in Colorado einen schweren Herzinfarkt. Zu der Zeit konnte man nur zwei Dinge tun: Papaverin und Morphin geben. Dr. Howard Snyder, sein persönlicher Arzt, diagnostizierte die Symptome fälschlicherweise als gastrointestinales Problem und versäumte es, die dringend benötigte Hilfe zu holen. Später fälschte Snyder seine eigenen Aufzeichnungen, um seinen Fehler zu ver­tuschen und um Eisenhowers Bedürfnis zu schützen, durch die Darstellung, dass er gesund genug war, um seine Arbeit weiterhin zu erledigen. Der Herzinfarkt erforderte einen sechswöchigen Krankenhausaufenthalt, und Eisenhower konnte erst Anfang 1956 wieder seinen normalen Arbeitsrhythmus aufnehmen. Eisenhower stirbt aber im Alter von 78 Jahren am 28. März 1969 im Walter Reed Army Hospital in Washington, D.C., an Herzversagen.

Kardiologie – eine einzigartige Erfolgsgeschichte

Seit dieser Zeit vor etwa 70 Jahren hat die Kardiologie eine beispiellose Erfolgsgeschichte erlebt. Mit einer Mortalität vor 70 Jahren von 50% bei denjenigen, die überhaupt das Spital erreichten über die Defibrillation, gefolgt von Reanimation, Betablocker, koronarer Angioplastie, Fibrinolyse bis zu Stents und Ballonkatheter gelang es die kardiale Mortalität bedeutend zu senken. Es verbleibt aber eine Mortalität im Spital von 10 %, wie in der Sweetheart Studie gezeigt wurde. Einige Probleme sind immer noch ungelöst, wie der Referent erläuterte. Ein Problem ist, dass Männer und Frauen nicht gleichermassen behandelt werden. Frauen erhalten weniger angiographische, invasive Massnahmen, weniger PCI als Männer. Sogar Statine werden bei weiblichen Patienten weniger verschrieben, wenn sie das Spital verlassen.

Kardiogener Schock ist ein weiteres ungelöstes Problem mit ungefähr 50 % Mortalität, wie der Referent erklärte. Bei Reanimation beträgt die Mortalität etwa 40 %. Was kann dagegen unternommen werden? Man könnte Reanimation vor Ort machen, wofür das Publikum ausgebildet werden müsste. Vor 35 Jahren wurde das totale Kunstherz entwickelt ohne grossen Erfolg. Das Gleiche gilt für die Stammzelltherapie.

Neben dem klassischen Herzinfarkt gibt es weitere Situationen, wie die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie mit ACS-ähnlichen Symptomen, was mit emotionalem physischem Stress zu tun hat. Ursprünglich wurde es als harmlos betrachtet, da es reversibel ist. In etwa 10 % kommt es aber zu Komplikationen wie kardiogenem Schock, ventrikulärer Tachykardie, Thrombenbildung und Tod.

Der kardiogene Schock

Gibt es eine medizinische Behandlung des kardiogenen Schocks?
Hoffnung wird in die Behandlung mit anti-DPP3 Antikörpern gesetzt. Die DPP3 Konzentration im Plasma ist eng mit der Mortalität von Krankheiten wie dem kardiogenen Schock verbunden. DPP3 ist ein unabhängiger Prädiktor für frühzeitigen Tod. Eine Verdoppelung von DPP3 bedeutet eine 84 % Zunahme in der 30-Tagesmortalität. Die Behandlung mit anti-DPP3 Antikörpern könnte eine Hoffnung für die Behandlung des kardiogenen Schocks bedeuten. Derzeit liegt die Hoffnung aber mehr in den mechanischen Unterstützungssystemen. In einer Propensity-matched-Analyse von Patienten, die sich einer PCI bei AMI mit kardiogenem Schock unterzogen, war der Einsatz eines linksventrikulären Unterstützungssystems im Vergleich zur intraaortalen Ballonpumpe mit einem erhöhten Kurzzeit- und 1-Jahres-Risiko für Mortalität, Blutungen, kardialer Resynchonisationstherapie und Kosten verbunden. Es besteht ein dringender Bedarf an zusätzlichen Erkenntnissen über die optimale Behandlung von Patienten mit AMI, der durch kardiogenen Schock kompliziert ist.

Die frühzeitige mit extrakorporaler Membran-Oxigenierung-unterstützte Reanimation von Patienten mit Herzstillstand ausserhalb des Spitals und refraktärem Kammerflimmern verbesserte das Überleben im Vergleich zur Standard-erweiterten Herz-Lungen-Unterstützung (ACLS) erheblich. Der extrakorporale Life Support (ECLS) ermöglicht einem Viertel der Patienten mit einer ansonsten tödlichen Prognose ein Überleben von einem Jahr. Die verfahrensbedingte Sterblichkeit ist gering und die Morbidität an der Implantationsstelle moderat.

Die Aortenstenose- ein weiteres ungelöstes Problem

Das nächste Problem ist die Aortenstenose. Über die PCI hinaus existieren strukturelle Interventionen. Balloon (koronares Stenting, renales arterielles Stenting, Karotis-Stenting), Occluder (Vorhofohrverschluss), LAA (linksatrialer Appendix-Okkluder) bei kardialer
Thromboembolie und Klappen (TAVI, Mitraclip). Aber diese Behandlungen werden übermässig angewandt zu einem zu späten Zeitpunkt, wo bereits eine Remodelling stattgefunden hat und die Patienten eine Arrhythmie haben. Sogar nach Klappenersatz ist die koronare Ereignisrate höher als bei einer altersentsprechenden Population. Die Aortenstenose sollte also mit medizinischer Behandlung vermieden werden. In einer exploratorischen Studie (Fourier-Studie) wurde mit dem PCSK9 Hemmer Evolocumab das Risiko für Aortenstenosen nach einem Jahr um 52 % gesenkt.

Atherosklerose eine Krankheit des Menschen

Der Referent erinnerte daran, dass Atherosklerose eine der häufigsten Krankheiten ist und dass sie nur beim Menschen vorkommt. Der Mensch ist gleichzeitig das einzige Lebewesen mit sehr hohen Plasma LDL-Cholesterinwerten. Werte, die diejenigen von Tieren um das Mehrfache übersteigen. Gleichzeitig ist der Mensch das einzige Lebewesen, das Herzinfarkte und Hirninfarkte, Folgen einer atherosklerotischen Erkrankung, erleidet. Wahrscheinlich ist LDL-Cholesterin im Plasma gar nicht notwendig und von einem Normalwert bei LDL-Cholesterin zu sprechen ist sicher falsch, so der Referent. Dabei ist nicht nur die Grösse der LDL-Erhöhung, sondern auch die Dauer der Exposition ursächlich, wie Mendel’sche Randomisierungsstudien, prospektive Kohortenstudien und randomisierte klinische Studien gezeigt haben. Aufgrund dieser Ergebnisse sind in den Europäischen Guidelines Zielwerte für LDL-Cholesterin empfohlen worden, die sich nach dem globalen kardiovaskulären Risiko richten. Prof. Lüscher erinnerte an die Studien mit Statinen und mit PCSK9 Inhibitoren, die in der Primär- und der Sekundärprävention eindrückliche Senkungen des kardiovaskulären Risikos gezeigt haben und insbesondere an die PACMAN-AMI Studie mit Alirocumab bei Patienten nach Herzinfarkt, einer Schweizer Studie (L. Räber et al. JAMA 2022;327:1771-1781). Sie hat zum ersten Mal gezeigt, dass mit sehr tiefen Werten eine Regression der Plaques eingeleitet werden kann.

Evolution der Pharmakotherapie

Der Referent beschrieb die historischen Entwicklungen in der Pharmakologie mit der ursprünglichen Herstellung aus Kräutern, worauf Extrakte aus Pilzen (z.B. Statine) folgten, darauf die synthetischen Moleküle, die Biologika und schliesslich Medikamente, die auf der RNA-Interferenz beruhen. Die Revolution in der Pharmakotherapie sind die Antisense Technologie und die RNA-Interferenz. Als Beispiel wurde dazu Inclisiran, ein PCSK9 RNA Silencer genannt. Die Behandlung mit Inclisiran ergibt LDL-Cholesterinsenkungen in der Grössenordnung von bis zu 60 % über ein halbes Jahr. Die Therapie, die halbjährlich erfolgt, erlaubt eine wesentlich höhere Therapieadhärenz des Patienten.

Trotz dieser grossen Fortschritte bleibt ein wesentlicher unerfüllter medizinischer Bedarf. Es bleibt ein residuelles Risiko in Bezug auf Cholesterin, Inflammation, Thrombose., Triglyceride, Lp(a) und HbA1c. Die Cantos-Studie mit Canakinumab, einem monoklonalen Antikörper gegen Interleukin 1-Beta zeigte eine moderate Senkung des kardiovaskulären Risikos bei Patienten mit Zeichen einer Inflammation. Eine Senkung des Inflammationsmarkers CRP konnte auch mit Ziltivekimab, einem IL-6-Inhibitor gezeigt werden. IL1-Beta und IL-6 sind Driver der Atherogenese. Colchicin wirkt anti-inflammatorisch und reduziert die Myokardinfarktinzidenz in geringem Masse, aber nicht die Mortalität.

Dagegen hat sich Lipoprotein (a) als ein wesentlicher und unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor erwiesen. Die Entwicklung eines Antisense Medikaments gegen Lp(a) hat eine Senkung von Lp(a) bis 80 % gezeigt. Entsprechende klinische Studien sind noch ausstehend.

Neben den erwähnten Risikomarkern wurden aber auch genetische Marker untersucht. In einer gut charakterisierten Kohorte wurde die höchste Anzahl bekannter Kardiomyopathie-Mutationen bei Plakophilin-2, Myosin-bindendem Protein C-3 und Desmoplakin gefunden. Wenn noch unbekannte, aber vorhergesagte Krankheitsvarianten einbezogen wurden, fanden sich unter den am häufigsten mutierten Genen Titin, Plakophilin-2, Myosin-bindendes Protein-C 3, Desmoplakin, Ryanodin-Rezeptor 2, Desmocollin-2, Desmoglein-2 und SCN5A-Varianten. Ferner verursachen die Lamin A/C Mutationen eine dilatierte Kardiomyopathie, eine Krankheit, die in jungen Jahren beginnt, eine hohe Penetranz hat und häufig eine Herztransplantation notwendig macht.

Das vorhandene Wissen über genetische Varianten, die das Risiko für koronare Herzkrankheiten beeinflussen, basiert größtenteils auf genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) zur Analyse menschlicher SNPs. Unter Nutzung der Haplotypen des 1000 Genom- Projekts berichtete eine Studie (Nikpay et al Nature Gen 2015) über eine GWAS-Analyse von ca. 185 000 Fällen und Kontrollen, bei der 6,7 Mio. «common minor allele frequency» und 2,7 Mio.» low frequency variants» abgefragt wurden. Zusätzlich zur Bestätigung der meisten CAD-assoziierten Loci wurden in der Studie zehn neue Loci (acht additive und zwei rezessive), die kausale Genkandidaten enthalten identifiziert, die neue biologische Prozesse in den Gefäßwänden implizieren. Diese Analyse zeigt, dass die genetische Anfälligkeit für diese weit verbreitete Krankheit grösstenteils durch häufige SNPs mit geringem Wirkungsgrad bestimmt wird. Unabhängig vom genetischen Risiko spielt die Adhärenz zu einem gesunden Lebensstil eine entscheidende Rolle, wie der Referent darlegte. Die Komplexität von Genen, epigenetischen Veränderungen und Umweltfaktoren ist eine Herausforderung für die personalisierte Medizin.

Künstliche Intelligenz

Vorhofflimmern ist häufig asymptomatisch und wird daher nicht erkannt, obwohl es mit Schlaganfall, Herzversagen und Tod in Verbindung gebracht wird. Bestehende Screening-Methoden erfordern eine lange Überwachung und sind durch Kosten und geringe Ausbeute begrenzt. In einer retrospektiven Analyse wurde mit Hilfe von maschinellem Lernen ein schnelles, kostengünstiges Point-of-Care-Verfahren zur Identifizierung von Patienten mit Vorhofflimmern zu entwickeln. Ein durch künstliche Intelligenz gestütztes EKG, das im normalen Sinusrhythmus aufgenommen wurde, ermöglicht die Identifizierung von Personen mit Vorhofflimmern am Behandlungsort.

CRISPR Cas9: die Genschere

CRISPR/Cas hat sich in den letzten Jahren zum führenden Verfahren für das «Genom-Editing» entwickelt. Die Methode kombiniert ein RNA-Molekül, das an einem bestimmten Abschnitt der DNA bindet, mit einem Enzym, das an dieser Stelle den DNA-Doppelstrang zerschneidet. Der Defekt wird dann von zelleigenen Enzymen repariert, was (etwa durch den Einbau kleiner DNA-Abschnitte) in der Regel zu einer Veränderung der DNA-Sequenz führt.

US-Forscher haben den Gendefekt einer hypertrophen Kardiomyopathie, einer relativ häufigen angeborenen Störung, die zum plötzlichen Herztod und zur Herzinsuffizienz führen kann, mit der CRISPR/Cas-Methode korrigiert – und die Embryonen dann im Stadium der Blastozyste zerstört. Für die Anwendung in der Reproduktionsmedizin scheint das Verfahren derzeit jedoch nicht ausgereift genug, auch wenn Forscher Sicherheitsbedenken ausräumen können.

Ein weiteres Beispiel, das der Referent zitierte, ist die Transthyretin Amyloidose. Transthyretin-Amyloidose, auch ATTR-Amyloidose genannt, ist eine lebensbedrohliche Krankheit, die durch eine fortschreitende Anhäufung von fehlgefaltetem Transthyretin (TTR)-Protein in Geweben, vor allem in Nerven und Herz, gekennzeichnet ist. NTLA-2001 ist ein In-vivo-Gene-Editing-Therapeutikum, das zur Behandlung der ATTR-Amyloidose durch Verringerung der TTR-Konzentration im Serum entwickelt wurde. Es basiert auf dem System der «clustered regularly interspaced short palindromic repeats» und der damit verbundenen Cas9-Endonuklease (CRISPR-Cas9) und besteht aus einem Lipid-Nanopartikel, der die Boten-RNA für das Cas9-Protein und eine einzelne, auf TTR zielende Leit-RNA enthält. Bei einer kleinen Gruppe von Patienten mit hereditärer ATTR-Amyloidose mit Polyneuropathie war die Verabreichung von NTLA-2001 nur mit leichten Nebenwirkungen verbunden und führte durch gezielten Knockout von TTR zu einer Verringerung der TTR-Proteinkonzentration im Serum.

In vivo CRISPR Base Editing von PCSK9 senkt Cholesterinspiegel bei Primaten dauerhaft, wie in einer Arbeit von Musunaru K et al. (Nature 2021;593:429–434) gezeigt wurde. Die Ausschaltung von PCSK9 in der Leber war nahezu vollständig und ging mit einer gleichzeitigen Senkung der Blutspiegel von PCSK9 und Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin um etwa 90 % bzw. etwa 60 %; einher. Diese Veränderungen blieben nach einer einmaligen Behandlung mindestens acht Monate lang stabil.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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