Wie kann man einer chronischen Nierenkrankheit vorbeugen?
Die primäre Prävention der chronischen Nierenkrankheit (CKD) umfasst die Identifizierung von Risikofaktoren, die Bewältigung der Fettleibigkeit, eine verbesserte Kontrolle des Blutzuckers und des Blutdrucks, Vermeidung eines hohen Salzkonsums, gesunde Ernährung und gesunder Lebensstil, stellte PD Dr. med. Pietro Crippà, Lugano, fest.
Die Ziele der sekundären Prävention sind Verlangsamung der CKD Progression, Verzögerung der Dialysebehandlung, Korrektur der Risikofaktoren (Vermeidung unkontrollierter Hypertonie, kein hoher Protein- und Salzkonsum, Vermeidung von Azidose und akuten koronaren Ereignissen.
Die Tertiärprävention hat die Vermeidung urämischer Symptome und Komorbiditäten zum Ziel, und zwar durch massgeschneiderte kardiovaskuläre und Ernährungstherapie und Pharmakotherapie. Die Mortalität nimmt bei zu niedrigem aber auch bei zu hohem eGFR-Wert zu.
Das bescheidene Organ
Der Referent zitiert eine Kolumne von Milan Moser «Genau das ist es ja» sagt Victor «Die Niere ist bescheiden. Sie macht kein Theater, wenn sie leidet. Sie begehrt nicht auf wie das Herz oder die Lunge. Erst wenn’s schon fast zu spät ist, wenn sie gar nicht mehr kann, macht sie sich bemerkbar» (www.faszinierend.swiss).
Nierenerhaltende Pflege
Diät und Lebensstil
Pflanzliche, eiweissarme und salzarme Ernährung. Körperliche Aktivität, Gewichtsabnahme und Raucherentwöhnung.
Pharmakotherapie
Für Krankheitsprogression: RAAS Blocker, SGLT2-Inhibitoren, MR Antagonisten, Krankheitsspezifische Medikamente
Für kardiovaskuläres Risikomanagement: Blutdrucksenker, Glucose-senkende Medikamente, Lipidsenker, Diuretika
Für andere Komorbiditäten: Azidose-Management, Kaliumbinder, Anämie-Management, Aufrechterhaltung der Knochengesundheit, schrittweiser Übergang zu Dialyse.
Der Referent präsentierte die hauptsächlichen klinischen Studien mit ACE-Inhibitoren und ARB bei CKD, die REIN Stratum 2 (Ramipril vs Placebo), die RENAAL (Losartan vs. Placebo), die ASASK Studie (Ramipril vs. Metoprolol vs. Amlodipin) und die IDNT (Irbesartan vs Placebo vs Amlodipin).In der REIN Stratum 2 war der renoprotektive Effekt vor allem durch die Reduktion der Proteinurie bedingt. Bei Patienten mit Background ACE-Hemmer-Therapie ergab die intensivierte Blutdruckkontrolle keine Wirkung auf die Proteinurie und schien mit einer schnelleren Proteinurie einherzugehen. In RENAAL war der Basis-systolische Blutdruck ein stärkerer Prädiktor für Nierenergebnisse als der diastolische Blutdruck. Diejenigen Patienten mit dem höchsten Ausgangs SBP hatten das höchste Risiko für Nephropathie- Progression, erzielten aber auch die grösste Risikoreduktion wenn der SBP auf weniger als 140mmHg gesenkt wird. In der ASASK-Studie scheinen die ACE-Inhibitoren bei der Verlangsamung des GFR -Rückgangs wirksamer zu sein als der Kalziumkanalblocker Amlodipin (Ramipril 22% Risikoreduktion vs Metoprolol, 38% vs. Amlodipin). IDNT zeigte eine relative Risikosenkung für Irbesartan vs Placebo von 19%, und von 24% vs Amlodipin. Der Mineralkortikoidrezeptor Antagonist Finerenone ergab in der FIDELIO DKD Studie eine Risikosenkung des primären Outcomes (Nierenversagen, anhaltende Senkung der eGFR von mindestens 40% oder Tod infolge renaler Ursachen) um 18%.
SGLT2 Inhibitoren
Die Meta-Analyse der Studien CREDENCE, DECLARE-TIMI58, CANVAS Program, EMPA-REG Outcome ergab bezüglich End Stage Kidney Disease eine Overall Relative Risikoreduktion von 35%, Bezogen auf einen substanziellen Verlust der Nierenfunktion, End Stage Kidney Disease oder Tod eine relative Risikoreduktion von 42% und bezüglich substanziellen Verlust der Nierenfunktion End Stage Kidney Disease oder Tod infolge kardiovaskulärer oder Nierenkrankheit um 29%. Die DAPA-CKD-Studie mit Dapagliflozin bei Patienten mit oder ohne Typ 2 Diabetes, die unter ACEi/ARB bei max. Dosierung während 24 Wochen stabil waren, zeigte eine relative Risikoreduktion von 39%.
Neue Perspektiven für die Nierenersatztherapie
Nierentherapieoptionen: Organreparatur
In situ
– Faktoren, die die Reparatur auslösen/verbessern
Ex vivo Modelle
– Adulte Nierenstammzellen
– Humane pluripotente Stammzellen
– Krankheitsmodelle für die Arzneimittelentwicklung
De novo
– Biotechnologisch hergestelltes Nierengewebe für die Ersatztherapie
– Neuartige Geräte für die Ersatztherapie
Der Wegbereiter?
Der Referent erwähnt zum Schluss die erfolgreiche Schweinenierentransplantation an menschlichen Patienten. Viele der Hindernisse, die bisher den Fortschritt in der Xenotransplantation hemmten, wurden durch die Entwicklung von CRISP / Cas9 basierten Gen Editing Methoden überwunden. Damit wurden die Organe von Schweinen besser mit dem menschlichen Immunsystem kompatibel gemacht. Selbst mit dieser Modifikation ist noch nicht klar, ob die Anwendung ein ähnliches Überleben wie die Allotransplantation ermöglichen kann. Gezielte Kombinationen von Wirtsimmunität und der gentechnischen Veränderung von Schweinespendern werden wahrscheinlich zu einem klinischen Erfolg der Xenotransplantation in naher Zukunft führen.
Der Patient zeigte keine Anzeichen einer Abstossung des genetisch modifizierten Organs, litt aber an vielen Komplikationen (Zeichen von tierischem Virus) vor dem Tod.
Es stellt sich die Frage: bahnbrechend? – gefährlich? – ethisch akzeptabel?
An der Herbsttagung der SGAIM berichtete Prof. Dr. med. Jörg D. Leuppi, Liestal, über den chronischen Husten und über seine Wahrnehmung unter Schweizer Hausärzten und Pneumologen.
Die verschiedenen Arten von Husten werden klassifiziert nach:
Subakut
Dauer 2-8 Wochen
Aetiologie Anhaltender Husten nach viraler Infektion
Chronisch
Dauer ≥ 8Wochen
in ca. 20% der Fälle kann kein Grund gefunden werden (chronischer unerklärbarer Husten)
Chronischer Husten beeinflusst die Lebensqualität. Er ist eine häufige und unterschätzte Erkrankung, die das allgemeine Wohlbefinden und die täglichen Aktivitäten beeinträchtigt. Chronischer Husten hat erhebliche negative Auswirkungen auf den psychologischen Status des Patienten (Schlaf, Beziehungen, Ängste), seine Lebensqualität, seine soziale und berufliche Situation (insbesondere während der COVID-19-Pandemie) und stellt eine erhebliche Belastung für das Gesundheitssystem dar. Die Frequenz des chronischen Hustens wurde in der Schweizer Sappaldia-Erhebung untersucht. Nie-Raucher wiesen eine Prävalenz von 3.3% (2.8-3.8), ehemalige Raucher eine Prävalenz von 3.0% (2.3-3.7) und derzeitige Raucher eine Prävalenz von 9.2 (8.2-10.2) auf.
Die demographischen Daten des chronischen Hustens zeigen einen Peak im Alter von 60-69 Jahren, wobei Frauen fast doppelt so häufig an einem chronischen Husten leiden als Männer.
Die Ursachen eines chronischen Hustens sind
Häufig (>80%): Nicht-Raucher
– Hustensyndrom der oberen Atemwege
– post-infektiöser Husten
– Asthma
– Gastroösophagealer Reflux Raucher
– Chronische Bronchitis/COPD
– Plus die obigen
Für chronischen Husten gibt es multiple Ursachen: In 53% liegt eine Ursache vor (postnasales Drip Syndrom (PND) (33%), Asthma 14%, GER 3%). Zwei kombinierte Ursachen kommen in 36% vor (PND+Asthma in 22%, PND + GER in 11%, Asthma + GER in 3%) und 3 Ursachen in 11% (PND+Asthma + GER); der psychogene Husten wird mit 2% beziffert.
Chronisch refraktärer Husten versus chronisch unerklärten Husten
Diagnostischer Ausschluss von möglichen Ursachen (Ausschlussdiagnostik)
Chronisch unerklärter Husten (Diagnostik zur Klärung der zugrunde liegenden Krankheiten
Lungenfunktionstest
Radiologie (Röntgen, CT-Scans
ENT-Diagnostik
EKG
Neurologie
Mögliche Medikamente als Ursache (z.B. ACE-Hemmer, …)
Diagnostik von GERD
Bronchoskopie
Diagnostische Schritte bei chronischem Husten
Schritt 1: Anamnese: Länge des Hustens >8 Wochen, Anamnese & körperliche Untersuchung, Beachte Red Flags, Frage nach Rauchen, Suche mögliche Trigger, schliesse offensichtliche Diagnosen wie z. B. kardiologische (EKG, Echo) und neurologische Diagnosen aus, Untersuchung auf Medikamente wie z. B. ACE-Blocker, Thorax-Röntgen, Lungenfunktion.
Schritt 2: Grunderkrankungen: Falls keine Diagnose gestellt werden kann, weil Nichtraucher und/oder keine ACE-Hemmer, normale körperliche Untersuchung und normale radiologische Befunde, dann sollte eine andere mögliche zugrunde liegende Krankheit gesucht werden (auch mögliche Kombinationen von) Asthma, Sinubronchiales Syndrom, GERD, UACS (upper airway cough syndrome) oder NAEB (non-asthmatic eosinophilic bronchitis).
Schritt 3: Der Husten bleibt: Chronisch refraktäres Hustensyndrom. Zugrunde liegendes Leiden diagnostiziert und optimal behandelt (gemäss Guidelines), aber der chronische Husten persistiert: Chronisch unerklärter Husten.
Wissen und Wahrnehmung über chronischen Husten von Ärzten in der Schweiz
Um das Wissen und die Wahrnehmung von chronischem Husten zu verstehen und zu beschreiben, führte der Referent zusammen mit Kollegen und der Firma MSD kürzlich eine Studie unter Schweizer Hausärzten und Pneumologen durch (Leuppi JD et al Curr Med Res Op 2022). Während bei den Pneumologen 73% chronischen Husten als länger als 8 Wochen dauernd definierten, war dies nur bei 38% der Hausärzte der Fall. Hausärzte berichteten COPD als häufigste (60%), Rauchen (37%) und Asthma (40%) als gelegentlich zugrunde liegende Ursache für chronischen Husten. Unter den Pneumologen betrug dies 70%, 24% und 36%. Es gab keinen Konsensus für persistierenden Husten. Hausärzte tendierten dazu, ihn als «chronisch persistierenden Husten» zu bezeichnen, während Pneumologen eher zur Bezeichnung «chronisch refraktärer Husten» tendierten. Wenn der Verdacht auf eine Grunderkrankung bestand, führte die überwiegende Mehrheit der Hausärzte bei neuen Patienten mit chronischem Husten ein Blutbild, eine einfache Spirometrie und eine Thorax-Röntgenuntersuchung durch. Die Pneumologen berichteten, dass sie bei einem neuen Patienten, der sich mit chronischen Husten-Symptomen präsentiert und der Verdacht auf eine zugrunde liegende Krankheit besteht, häufig FeNO (Fraktioniertes Exhaliertes Stickstoffmonoxid) (94%) testen und eine Körper Plethysmographie (94%) durchführen. Ein Blutbild (inkl. Eosinophile) führen Pneumologen in 91% durch.
Die Behandlung mit inhalierten Kortikosteroiden, allein oder in Kombination mit Bronchodilatatoren wurde als häufigste verschriebene Therapie zitiert. Opioid Derivative wurden häufiger von Pneumologen als von Hausärzten verschrieben.
Zusammenfassung
Chronischer Husten ist häufig
Chronischer Husten reduziert die Lebensqualität
Wenn eine zugrunde liegende Krankheit gefunden werden kann, muss diese gemäss den Richtlinien behandelt werden
Wenn der Husten bestehen bleibt, wird der chronische Husten in chronisch refraktären und chronisch unerklärten Husten unterteilt
Die Früherkennung des Prostatakarzinoms wurde, aufgrund von berechtigten Bedenken vor Überdiagnostik sowie -therapie, lange kontrovers diskutiert. Langzeitdaten der grössten internationalen Studien konnten zeigen, dass das PSA-gesteuerte Screening die Mortalität des Prostatakarzinoms effektiv reduzieren kann, sodass die Europäische Kommission erst kürzlich die Einführung von entsprechenden nationalen Screening-Programmen empfohlen hat. Mittels multiparametrischer Magnetresonanztomographie (MRT) der Prostata können die Anzahl unnötiger Biopsien reduziert und die Erkennungsrate klinisch signifikanter Tumore erhöht werden.
Prostate cancer screening has long been controversial due to legitimate concerns about overdiagnosis and overtreatment. Long-term data from the largest international studies have shown that PSA-guided screening can effectively reduce prostate cancer mortality, and the European Commission has recently recommended the introduction of national screening programs. The multiparametric magnetic resonance imaging (MRI) of the prostate can reduce the number of unnecessary biopsies and simultaneously increased the detection of clinically significant prostate tumours. Key Words: PSA, Prostate Cancer, Screening, Preventive Medicine
Das Prostatakarzinom stellt bei Männern die häufigste Krebserkrankung und die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache in der Schweiz dar. Seit den frühen 1990er Jahren ist anhand der Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) im Serum die Prostatakarzinomfrüherkennung möglich (PSA-Screening). Zeitgleich ist die Sterblichkeit aufgrund des Prostatakarzinoms in den meisten westlichen Ländern zurückgegangen (1), jedoch wurde der Nutzen des Prostatakarzinom-Screenings aufgrund der mit Risiken assoziierten invasiven Diagnostik sowie der Gefahr der Übertherapie klinisch nicht relevanter Prostatakarzinome lange kontrovers diskutiert (2, 3). Im Jahr 2012 veröffentlichte die «US Preventive Services Task Force» (USPSTF) die Empfehlung gegen das PSA-basierte Screening (4). Zur selben Zeit wurde der Stellenwert des PSA-basierten Screenings in der Schweiz ebenso intensiv diskutiert, mit divergierenden Empfehlungen des Swiss Medical Boards sowie der Schweizerischen Gesellschaft für Urologie (5, 6). Seither sind Langzeitdaten der wichtigen europäischen Studie der «European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer» (ERSPC) publiziert worden, welche durch PSA-Screening eine signifikante Reduktion der Prostatakarzinom-assoziierten Mortalität nachweisen konnten (7). Diese Daten waren mitunter ausschlaggebend für die Umkehr der Screening-Empfehlung der USPSTF im Jahr 2017, zur individuellen Besprechung eines PSA-Screening mit Männern im Alter von 55-69 Jahren.
Die Bedeutung der Prostatakarzinomvorsorge wurde kürzlich (am 20. September 2022) von der Europäischen Kommission unterstrichen, indem die Empfehlung zur Förderung organisierter Prostatakarzinom-Screenings bei Männern unter 70 Jahren ausgesprochen wurde (8). Im nachfolgenden Artikel wird auf die aktuellen Empfehlungen zur Prostatakarzinomvorsorge näher eingegangen.
Screening
Die primären Ziele des Prostatakarzinom-Screenings sind die Senkung der Sterblichkeit sowie die Erhaltung der Lebensqualität. Entsprechend den Empfehlungen der europäischen Gesellschaft für Urologie (EAU) wird empfohlen, ab dem 50. Lebensjahr mit dem Prostatakarzinom-Screening zu beginnen. Bei erhöhtem Risiko wird ein Screening ab dem 45. Lebensjahr empfohlen, dazu gehören Männer mit relevanter positiver Familienanamnese (Vater oder Bruder vor dem 70. Lebensjahr an Prostatakarzinom erkrankt) und Männer afrikanischer Abstammung. Bei Männern mit BRCA2 Mutation besteht die Empfehlung zum Screening bereits ab dem 40. Lebensjahr (Tab. 1). Da das Prostatakarzinom ein langsam wachsendes Malignom ist, wird das Screening nur bei einer verbleibenden Lebenserwartung von mindestens 10 – 15 Jahren empfohlen. In der Literatur wird daher oftmals die Obergrenze von 70 Jahren aufgeführt, wobei bei biologisch jüngeren, respektive gesünderen Patienten ein Screening auch später sinnvoll sein kann. Umgekehrt sollte bei jüngeren Patienten mit relevanten Komorbiditäten nach entsprechender Abwägung ebenfalls von einer PSA-Bestimmung abgesehen werden (sog. «competing risks»). Diese Überlegungen sollten idealerweise vor einer PSA-Bestimmung durchgeführt werden, um unnötige Tests und die daraus resultierenden Behandlungsentscheidungen zu vermeiden.
Prostatakarzinom
Eine PSA-Elevation, eine suspekte digital-rektale Untersuchung (DRU) oder eine auffällige Magnetresonanztomographie (MRT) der Prostata führen zu einer Prostatabiopsie. Hierbei werden multiple Stanzen aus der Prostata entnommen und anschliessend zur histopathologischen Untersuchung eingeschickt. Im Falle eines Karzinomnachweises wird dies in den «International Society of Urological Pathology» (ISUP) Grade Group 1 bis 5 eingeteilt, was den vorherigen alleinigen Gleason-Score ablöst. ISUP 1 entspricht einem Gleason-Score 3+3=6 Prostatakarzinom und wird als «Niedrigrisiko-Prostatakarzinom» bezeichnet (Tab. 2). Die allermeisten ISUP 1 Prostatakarzinome können mittels aktiver Überwachung betreut werden, sodass Patienten die potenziellen Nebenwirkungen einer kurativen Therapie erspart werden können. Prostatakarzinome welche ISUP 2 und höher sind, werden als sogenannte «klinisch signifikante Prostatakarzinome» beschrieben, für die eine aktive Therapie oftmals indiziert ist. Zwar können streng selektionierte Patienten mit ISUP 2 Tumoren ebenfalls erfolgreich mittels aktiver Überwachung betreut werden (9), aber die Mehrheit der Patienten sollten einer kurativ intendierten Therapie zugeführt werden (10).
PSA
Das PSA ist eine Peptidase, welche ausschliesslich in den epithelialen Zellen («Drüsenzellen») der Prostata produziert wird und in grösseren Mengen im Ejakulat nachweisbar ist, sowie in geringen Konzentrationen auch im Blut. Das PSA verdünnt das Ejakulat und unterstützt die Motilität der Spermien. Im Blut hat das PSA keine Funktion. Die Erstbeschreibung des PSA erfolgte 1979 (11), und die erste Beschreibung zur Verwendung für das Prostatakarzinom-Screening erfolgte 1991 (12). Da das PSA kein tumorspezifischer, sondern ein organspezifischer Biomarker ist, kann der PSA-Wert nicht nur im Rahmen einer Prostatakrebserkrankung erhöht sein, sondern auch bei einer gutartigen Prostatavergrösserung (benigne Prostatahyperplasie [BPH)), einer (oftmals subklinischen) Prostataentzündung, nach sexueller Aktivität sowie durch perinealen Druck (bspw. exzessives Fahrrad fahren).
Die Wahrscheinlichkeit eines Prostatakarzinoms nimmt mit steigendem PSA zu, jedoch ist kein allgemeingültiger PSA-Normwert definiert (13). Der PSA-Wert steigt mit dem Alter, sodass altersspezifische PSA-Normwerte beschrieben sind (bspw. PSA Obergrenze von 2.5 µg/l für Männer im Alter 40 – 49 Jahre, und PSA Obergrenze von 6.5 µg/l für Männer im Alter von 70 – 79 Jahre) (14). Im Falle eines erhöhten PSA-Wertes ist stets eine zweite PSA-Abnahme empfohlen, wobei je nach Empfehlung 3-7 Tage davor auf sexuelle Aktivität oder Fahrrad fahren verzichtet werden sollte, um einen möglichen Einfluss auszuschliessen. In unserer Klinik sprechen wir bei wiederholtem Nachweis eines PSA-Wertes über 3.0 µg/l von einem «erhöhten PSA-Wert» (für Männer bis 50 Jahre: 2.5 µg/l) und empfehlen eine weiterführende Abklärung.
Zusätzlich zu erwähnen ist die PSA-Dichte (PSAD), welche sich aus dem Verhältnis des PSA-Wertes zum Prostatavolumen zusammensetzt. Das Risiko eines klinisch signifikanten Prostatakarzinoms steigt mit zunehmender PSAD, und sinkt mit abnehmender PSAD (4% Risiko eines klinisch signifikanten Prostatakarzinoms bei PSAD <0.09 µg/l/cc) (15).
Digital-rektale Untersuchung
Historisch wurden 18% aller Prostatakarzinome allein aufgrund der digital-rektalen Untersuchung (DRU), unabhängig des PSA-Wertes, diagnostiziert (16). Der positiv-prädiktive Wert eines suspekten Tastbefundes im Falle eines PSA-Wertes <4 µg/l ist 5 – 30% (PSA 0 – 1.0 µg/l: 5%; PSA 1.1 – 2.5 µg/l: 14%; PSA 2.6 – 4.0 µg/l: 30%) (17). Die Daten der ERSPC zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Karzinomnachweises bei Männern mit erhöhtem PSA-Wert und suspektem DRU-Befund, im Vergleich zu erhöhtem PSA-Wert allein, verdoppelt ist (48.6% vs. 22.4%) (18). Im Falle einer suspekten digital-rektalen Palpation der Prostata ist, unabhängig vom PSA-Wert, die Zuweisung an einen Urologen zur erneuten klinischen Beurteilung und Evaluation eines multiparametrischen MRTs zur weiterführenden Abklärung empfohlen.
Magnetresonanztomographie (MRT) der Prostata
Die Einführung der multiparametrischen MRT der Prostata hat im letzten Jahrzehnt die Diagnostik des Prostatakarzinoms revolutioniert. Durch die Beurteilung verschiedener Sequenzen werden suspekte Läsionen der Prostata anhand der «Prostate Imaging Reporting and Data System» (PI-RADS) Klassifikation bewertet. Die Skala reicht von 1 (Prostatakarzinom sehr unwahrscheinlich) bis 5 (Prostatakarzinom sehr wahrscheinlich). In der Praxis wird eine Biopsie von PI-RADS 3 Läsionen und höher empfohlen, wobei bei tiefer PSAD in ausgewählten Situation von einer Biopsie bei PI-RADS 3 Läsionen abgesehen werden kann (10). Durch diese Selektion kann die Anzahl an Biopsien um über 30% reduziert werden, ohne dass es zu einer Reduktion der Detektionsrate von klinisch signifikanten Prostatakarzinomen kommt (19). In einer Cochrane Metaanalyse hatte die MRT verglichen mit Saturationsbiopsien (>20 Biopsiestanzen) eine gepoolte Sensitivität von 0,91 (95% CI: 0,83-0,95) und eine gepoolte Spezifität von 0,37 (95% CI: 0,29-0,46) für klinisch signifikante Prostatakarzinome (ISUP ≥ 2) (20). Die MRT ist weniger empfindlich bei der Erkennung von ISUP 1 Prostatakarzinomen (21), was ja eigentlich gewollt ist, da diese Karzinome im Normalfall keine Behandlung benötigen. Diese Bildgebung hilft nicht nur bei der Entscheidung, ob eine Biopsie der Prostata notwendig ist, sondern liefert auch wertvolle räumliche Informationen für die anschliessende Durchführung der Biopsie und gegebenenfalls auch Therapie.
Biopsie der Prostata
Klassischerweise erfolgte die Biopsie der Prostata mittels transrektalen Ultraschalls (TRUS) und transrektaler Entnahme von 12 Stanzbiopsien der Prostata (sogenannte «systematische Biopsie»). Im Anschluss an eine Biopsie der Prostata kann es unter anderem zu Hämatospermie, Hämaturie oder einem Harnverhalt kommen. Weiterhin kann es trotz lokaler Desinfektion und antibiotischer Prophylaxe in bis zu 3% der Fälle zu einem postinterventionellen Harnwegsinfekt/Urosepsis kommen (22), was insbesondere aufgrund der immer häufigeren Antibiotikaresistenzen bei E. Coli ein grosses Problem darstellt. Zur Reduktion der Infektionsrate wird daher empfohlen, wenn immer möglich die Biopsien transperineal zu entnehmen. Die diagnostische Sicherheit ist dieselbe wie bei der transrektalen Biopsie bei deutlich niedrigerem Risiko für einen Harnwegsinfekt.
Wie zuvor erwähnt, werden mittels MRT suspekte Veränderungen in der Prostata identifiziert. Um diese Läsionen gezielt biopsieren zu können bestehen heutzutage diverse Möglichkeiten zur Fusion der MRT- und der TRUS-Bilder, beispielsweise mit spezialisierten Geräten (bspw. Artemis oder BiopSee), oder mittels kognitiver Fusionierung. Hierdurch können «gezielte Biopsien» der suspekten Läsionen entnommen werden, was zu einer deutlich höheren Detektionsrate von klinisch signifikanten Prostatakarzinomen (ISUP ≥ 2) führt. Die Leitlinien der EAU empfehlen daher bei der Erstbiopsie die Durchführung einer gleichzeitigen systematischen und gezielten Biopsie der Prostata (10).
Biomarker
Aufgrund der fehlenden Spezifität des PSAs wurden in den letzten drei Jahrzehnten etliche Blut-, Urin- sowie Gewebe-Biomarker entwickelt. Diese Biomarker verwenden oft klinische Variablen (bspw. Prostatavolumen oder Patientenalter) und können bei der Beurteilung zur Notwendigkeit einer Prostatabiopsie helfen, um eine Überdiagnostik und -therapie zu vermeiden (23). Die Verwendung solcher Biomarker hat bisher in der Schweiz noch keine weitverbreitete Verwendung gefunden. Mögliche Gründe dafür sind die teilweise hohen Kosten der Tests, die fehlende Verfügbarkeit oder die fehlende Deckung durch die Krankenkassen. Aktuell ist die Verwendung von Biomarker für Routine Screening Programme noch nicht empfohlen (10). Für einzelne Patienten können sie jedoch sehr nützlich sein, beispielsweise die Verwendung des SelectMDx® bei Patienten welche nicht mittels MRT untersucht werden können (Klaustrophobie oder Hüftartefakte) (24).
Das freie (f) PSA ist einer der wenigen Biomarker, der verbreitete Verwendung gefunden hat, und in kombinierter Anwendung mit dem totalen (t) PSA hilfreich zur Risikoabschätzung sein kann. Aufgrund der relativen Instabilität des freien PSAs ist die Verwendung der f/t PSA Ratio nur bedingt empfohlen (10). Eine neuere Option, welche auch in der Schweiz verfügbar ist, stellt die Anwendung des Proclarix® Risk Scores dar. Dieser blutbasierte Test schliesst neben Patientenalter, PSA und freiem PSA auch zwei weitere Proteine ein. Es wurde nachgewiesen, dass hiermit die Zahl an notwendigen Biopsien reduziert werden kann (25).
Risikokalkulatoren
Es existieren verschiedene Risikokalkulatoren welche mithilfe von klinischen Parametern (u.a. Alter, DRU und PSA Wert) basierend auf grossen Kohorten (bspw. ERSPC Kohorte (26)) das individuelle Risiko eines Prostatakarzinoms abschätzen können. Der stärkste Prädiktor in den Risikokalkulatoren ist die PSAD (10). Risikokalkulatoren sind sehr nützlich zur Besprechung des individuellen Risikos eines Patienten und können dabei helfen unnötige Biopsien zu vermeiden (27).
Risiken assoziiert mit dem PSA-Screening
Männer müssen über die potenziellen, mit dem PSA-Screening assoziierten Risiken informiert werden. Die unmittelbaren Risiken der PSA-Bestimmung (Blutentnahme) und der digital-rektalen Untersuchung (DRU) sind gering, jedoch können die weiteren Abklärungen Morbidität verursachen. Die Biopsieentnahme zur Gewebeuntersuchung kann zu Komplikationen wie Harnwegsinfekt, Blutung oder Harnverhalt führen (22). Weiter können Nebenwirkungen im Rahmen der Therapie eines diagnostizierten Prostatakarzinoms auftreten, wie Urininkontinenz, erektile Dysfunktion und Schmerzen sowie eine behandlungsassoziierte Mortalität (28).
Zusammenfassung
Die Früherkennung des Prostatakarzinoms durch PSA-Screening wurde lange kontrovers diskutiert. Die Langzeitdaten der ERSPC Studie konnten inzwischen zeigen, dass das PSA-Screening die Prostatakarzinom-assoziierte Mortalität signifikant senken kann. Durch die MRT der Prostata konnten unnötige Biopsien der Prostata signifikant reduziert und die diagnostische Sicherheit durch gezielte Biopsien zeitgleich verbessert werden. Ebenso wurde die Gefahr der Übertherapie von entdeckten Niedrigrisiko-Prostatakarzinomen durch die weit verbreitete aktive Überwachung reduziert. Im beiliegenden Flussdiagramm ist die Abklärung eines erhöhten PSA-Wertes dargestellt, basierend auf den Empfehlungen der EAU Prostatakarzinom Leitlinien (10) (Abb. 1). Die Prostatakarzinomvorsorge ist evidenzbasiert, die Entscheidung zum Screening soll erst nach vorheriger Besprechung des potenziellen Nutzens sowie der Risiken erfolgen.
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Dr. med. Manolis Pratsinis, MSc
Klinik für Urologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen
PD Dr. med. Daniel Engeler
Klinik für Urologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen
Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Ein Screening mittels DRU und PSA-Abnahme zur Früherkennung des Prostatakarzinoms ist sinnvoll und evidenzbasiert.
◆ PSA ist ein organspezifischer, aber kein tumor-spezifischer Biomarker und kann deswegen auch aufgrund einer gutartigen Prostatavergrösserung oder Prostataentzündung erhöht sein.
◆ Neuartige Technologien, wie das multiparametrische MRT sowie
Risikokalkulatoren, helfen unnötige Biopsien zu vermeiden und reduzieren hierdurch die Morbidität der Prostatakarzinomfrüherkennung.
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Guidelines vs. individualisierte Medizin:
Typische Konsultationen. Ein sehr instruktives und geistreiches Narrativ präsentierte Prof. Dr. med. Jürg H. Beer, Baden, an Hand zweier Patientenbeispiele.
Der Referent relativierte die Absolutheit der 10 Gebote der DOACs 2022 und sagte, dass die Wahrheit in der Grauzone liegt.
1. Individuelle Risikobewertung für Thrombose und Blutungen vor der Wahl des Medikaments und der Therapie-Dauer, Berücksichtigung von Risikomodifikatoren = die Fussnoten in den Leitlinien
2. Dosisreduzierung nach 6 Monaten nach TVT meistens möglich (aber nicht bei Vorhofflimmern)
3. Keine Anpassung der DOAC-Dosis auf der Grundlage der Plasmaspiegel (die in vielen Situationen hilfreich sind)
4. Dreifach- und Zweifach-Antikoagulationstherapie so kurz wie möglich anwenden (und mit den Kardiologen besprechen)
5. Nutzung der DOAC-Ergebnisdaten für Patientendiskussionen/Patientenbefähigung
6. DOACs können bei krebsassoziierter Thrombose verwendet werden, wenn dies angemessen ist.
7. Stets Leber-/Nierenfunktion und Anämie berücksichtigen
8. Anwendung einer korrekten Risikobewertung für das perioperative Management.
9. Ein Reversal ist stets möglich (ist jedoch oft nicht notwendig).
10. Vermeiden Sie einsame Entscheidungen (je komplexer die Situation wird, desto besser ist es, die Gründe für die Wahl und die Dauer der DOAC mit dem Patienten zu besprechen; überdenken Sie Ihre Entscheidung alle 3 Monate
Diese 10 Gebote wurden anhand der Vignetten von Giovanni, 60jährig, aus Lugano und Claire, 75jährig, aus Genf diskutiert.
A’Bericht: Für 3 Monate vorgesehen, da postoperativ, «provoziert», «low recurrence risk». Gemäss den patient’s pages der ASH (Giovanni hat diese gelesen) beträgt das Wiederauftreten 33% in 5-10 Jahren. Der Referent erinnert an die ESC Guidelines (2020): Giovanni wäre entsprechend im grünen Bereich (low risk, <3% pro Jahr). Nun spielt aber die Familiengeschichte eine zusätzliche Rolle. Der Vater hat mit 45 Jahren eine Lungenembolie («spontan») erlitten, der Grossvater eine Venenthrombose in unbekanntem Alter, die Tante hatte eine TVT mit 60J. Damit rutscht Giovanni in den gelben Bereich der ESC Guidelines mit erhöhtem Risiko (3-8% pro Jahr). Der Vater hat sich weiter abklären lassen, wobei eine heterozygote APC-Resistenz (x3-5) und ein Protein C Mangel (5-30% Thrombosen-Rezidive) gefunden wurde. Damit kommt man in die personalisierte antithrombotische Analyse. Dazu zitierte der Referent eine Schweizer Publikation, bei der er Mitverfasser war (Lüscher TF et al Towards a personalized antithrombotic management with drugs and devices across the cardiovascular spectrum. Eur Heart J 2021 ;00 :1-24).
Insgesamt ergab sich folgendes Bild für Giovanni:
Rezidiv-Risiko ca. 30% /5 Jahre, transienter RF Op. ca-3%p.a. Mann (x1-2), Familienanamnese (x9) Thrombophilie des Vaters, heterozygote APC-Resistenz (x3-5%). Falls Protein C Mangel (bis 30% in den nächsten 5 Jahren). Es ergibt sich für die Rezidivrate 8%-10% pro Jahr, womit Giovanni in den intermediären bis roten Bereich der Guidelines rutscht.
Die Entscheidungsfindungshilfen sind der Padova-Score, die D-Dimer-Testung und die Ultraschallbewertung für Restthrombose.
Damit kommt die andere Seite: Giovanni hat vor 10 Jahren eine Ulcusblutung gehabt. Nach den Guidelines ist das Problem abgeheilt. Er hat seither keine entsprechenden Rückfälle gehabt.
Die Evidenz:
Der Referent zeigte die Daten mit Apixaban. Eine verlängerte Antikoagulation mit Apixaban in einer Behandlungsdosis (5 mg) oder einer thromboprophylaktischen Dosis (2,5 mg) verringerte das Risiko wiederkehrender venöser Thromboembolien, ohne die Rate schwerer Blutungen zu erhöhen (Agnelli G et al N Engl J Med 2013; 368:699-708). Ähnliche Resultate wurden auch mit Rivaroxaban auch mit der halbierten Dosis erhalten. Auch Aspirin hat eine Wirkung, jedoch lange nicht so gut wie die Antikoagulanzien.
Antidotes sind vorhanden. Sie werden aber wenig benützt, da die Halbwertszeit sehr kurz ist. Bei Dabigatran ist es Idaruzimab (Praxbind), bei den Faktor Xa Inhibitoren Andexanet mit welchen die Aktivität rückgängig gemacht werden kann.
Vignette Giovanni cont.
Der Patient hat die Histologie erhalten, dass die Pankreaszysten einem Pankreaskarzinom entsprachen. Es wurde ein Staging vorgenommen, was in der Folge zu Lungenembolien führte, multiple Lungenembolien als Zufallsbefund. Damit ist er in den roten Bereich gerutscht, solange er den aktiven Tumor in sich trägt. Dazu gibt es Daten mit Edoxaban und Dalteparin bei Krebsassoziierter Thrombose, wie der Referent explizierte. Edoxaban hatte etwas mehr Blutungen, Dalteparin etwas mehr Thrombosen. Insgesamt sind DOACs bei krebsassoziierten VTE effektiver in der Verhinderung der VTE im Vergleich zu LMWH, während das Blutungsrisiko mit DOACs zunimmt, besonders bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Der Referent erwähnte den Algorithmus zur Krebs-assoziierten Thrombose des kanadischen Expert Panels. Wann weichen wir aus auf die NMWH. Bei CAT, wenn die Plättchenzahl unter 50 liegt, wenn der Tumor im GI-Trakt ist.
Zudem sollten die Interaktionen geprüft werden. Giovanni erhält Antibiotika Clarithromycin, Erythromycin: moderate P-gp und starke CYP3A4 Inhibition, Rifampicin: starker Pgp/BCRP und CYP3A4/CYP2/2 Induktor und natürlich die HIV Protease Inhibitoren.
Leber und Niere: CHILD A alles grün, Child B verwende mit Vorsicht, Child C Kontraindikation. Bei der Nierenfunktion vor allem Reduktion der Dabigatran-Dosis ab CrCl 50ml/min, Rivaroxaban ab CrCl 50ml/min, Apixaban Dosisreduktion ab CrCl 30ml/min.
Vignette Claire, 75jährig
Sie ist «gesund», hat vom Enkel eine Smart Watch erhalten. Damit 1Min VHFLi, asymptomatisch festgestellt, ACE-Hemmer, gebrechlich (<60kg, CrCl 40ml/min. Hausarzt entscheidet sich für 2x5mg Apixaban. Dauer -Antikoagulation. Echo: HFpEF. Totaler CHA2DS2-VASc 4. Kürzlich wurde am ESC Congress in Barcelona gezeigt, dass die Smartphone App die Erfassung eines Vorhofflimmerns gegenüber dem Standardscreening mehr als verdoppelt (e-BRAVE-AF Study). Der Enkel von Claire sagt, dass man mit einem Herzgeräusch bei VHFLi Sintrom nehmen müsse. DOACS beim rheumatischen VHFLI, also nicht einfach bei einem Geräusch, wie bei Claire. In der Invictus Studie, einer Studie bei rheumatischem VHFLI, hat der Vitamin K Antagonist (VKA) besser abgeschlossen als die DOACs. Dort hätte der Enkel recht. Claire darf aber die DOACs haben, wenn man sich dafür entscheidet.
Risiko von Claire
Was ist nun das Risiko von Claire in Bezug auf Blutung und Thromboembolie? Die DOACS machen signifikant weniger Hirnblutungen als die VKA. Sie sind gleich gut oder besser als die VKA in Bezug auf Blutungen. Sie sind mindestens gleich gut bei Stroke und sie sind einfacher zu handhaben. Ausserhalb der Studien verwendet der Referent ein Register, welches im JAMA publiziert wurde ((JAMA 2021;326:2395-2404). Die Faustregel ist 1-2% Ereignisse pro Jahr, die in einer riesigen Kohorte über 5 Jahre erhoben wurde.
Welches DOAC ist für Claire empfohlen?
Bei einem CHA2DS2VASc Score von 5 hat die Patientin ein Schlaganfallrisiko von 6.7% pro Jahr. Head to Head Vergleiche der einzelnen DOACS gibt es keine. Sie möchte etwas zum Messen haben. Zur individualisierten Risikoabwägung des Blutungsrisikos unter DOAC bei Vorhofflimmern wird der HAS BLED Score verwendet. Claire hätte etwa 6% Schlaganfallrisiko und ca. 4% Blutungsrisiko.
Eine Individualisierung für die Wahl des DOACs zur Stroke-Prävention bei VHFLI entsprechend der Patientencharakteristika findet sich in einer Publikation in Blood (Blood 2019;133:2269-2278). Für ältere Patienten werden DOACS gegenüber VKA empfohlen. Bei hohem Risiko für Blutungen eher Apixaban, Dabigatran 110mg, oder Edoxaban. Bei vorheriger GI-Blutung eher Apixaban oder Edoxaban. Bei schwerer Niereninsuffizienz eher Apixaban>Rivaroxaban>Edoxaban. Bei Dyspepsie oder GERD eher Apixaban, Rivaroxaban oder Edoxaban. Bei Ernährung über eine nasogastrale oder PEG-Sonde Apixaban oder Rivaroxaban. Bei Nicht-Adhärenz zu einem zweimal täglichen Regime eher Rivaroxaban oder Edoxaban.
Zu den Spiegelmessungen
Es gibt grosse Streuungen. Wir wissen über die Auswirkungen bei hohen DOAC-Konzentrationen, wo die Blutungsrisiken anzusteigen beginnen, und die Auswirkungen bei tiefen Konzentrationen, wo die ischämischen Strokes zunehmen. Die Dosis sollte nicht aufgrund der Spiegel angepasst werden.
Für das Monitoring von DOACs gibt es 10 Gründe: Trauma im Notfall (Antagonisieren), Stroke trotz DOACs, Stroke vor Thrombolyse, VTE trotz DOAC, Schwere Blutung, Überdosis incl. Suizidversuch, vor Chirurgie (Punktionen, Endoskopie) Compliance? >75j. Patienten, Medikamente mit Interaktionen, akute und chronische Organversagen (Niere, Leber, Herz).
Vignette Claire cont
Claire hat im Checkup einen Eisenmangel, sie braucht eine Coloskopie, CrCl 20ml/min(2v3>80j; <60kg, Creatinin >133µg/l. Die Gastroenterologen sagen Antikoagulation nur am Tag der Untersuchung absetzen. Bei Claire wird Apixaban 2 Tage vorher abgesetzt.
Nun hat sie Thoraxschmerzen und erhält einen Stent. Sie erhält eine Triple Therapie während eines Monates, anschliessend DAPT (DOAC +SAPT während 4 Monaten gefolgt von DOAC allein.
Zusammenfassung:
Die 10 Gebote für Giovanni und Claire
1. Individualisierung der Risikoabwägung für Thrombose und Blutung vor der Wahl des Medikaments und der Dauer der Therapie.
2. Ziehe eine Dosisreduktion nach 6 Monaten bei TVT in Betracht, nicht aber bei Vorhofflimmern
3. Adaptiere die DOAC-Dosis nicht basierend auf dem Plasmaspiegel (welche in manchen Situationen hilfreich sind)
4. Verwende triple und duale Antikoagulationstherapie so kurz wie möglich (und diskutiere sie mit dem Kardiologen)
5. Verwende DOAC Outcome Daten für die Diskussion mit dem Patienten und die Patientenbefähigung
6. DOACs können bei krebsassoziierter Thrombose angewandt werden, wenn sie angemessen sind
7. Leber- und Nierenfunktion immer berücksichtigen, sowie die Anämie
8. Korrekte Risikoabwägung beim perioperativen Management
9. Eine Revertierung ist stets möglich
10. Vermeide einsame Entscheidungen
Der Chirurg von Giovanni ruft an. Was tun bei BMI >50 und Vorhofflimmern? Die Wirksamkeit und Sicherheit von DOACs ist nicht inferior zu Warfarin, die Daten ab BMI >40 sind knapp, Apixaban und Edoxaban empfohlen.
Synthese der Empfehlungen/Guidelines
Bis BMI 40 reguläre Dosierung
Wechsel auf Apixaban oder Edoxaban erwägen
Spiegel messen (Tal) bei BMI >40 oder >120kg oder Wechsel auf VKA (EHRA)
Bei subtherapeutischen Spiegeln auf VKA (ESC) eher als Dosis Adaptation
Das Hauptprogramm der ZAIM MEDIDAYS 2022 wurde mit einem Symposium über die Zukunft der Gesundheitsversorgung und die künftige Ausbildung von Ärzten eröffnet.
Welche Ärzte brauchen wir für die Gesundheitsversorgung in der Zukunft?
Die drei Themen Veränderung am Arbeitsmarkt, Berufs- oder Versorgungssystem sowie die Zukunft und ihre Auswirkungen auf den Arztberuf wurden von Dr. Christof Schmitz behandelt. Der Referent zeigte zunächst die Anzahl Krankenhausmitarbeiter pro 1000 Einwohner im Jahre 2019 in verschiedenen Ländern. Die Schweiz hat in dieser Hinsicht eine super-komfortable Situation, wie der Referent feststellte. Sie liegt an der Spitze mit über 25/1000 vor dem vereinigten Königreich und Norwegen, während Neuseeland und die Tschechische Republik mit 15/1000 den Schluss bilden. Im Hinblick auf die Anzahl Ärzte liegt die Schweiz an 4. Stelle mit etwas über 4 pro 1000 Einwohner im Jahr 2018. Hier bildet Österreich die Spitze mit über 4.5 und Indien den Schluss mit 0.7/1000 Einwohner. Die Schweiz weist aber mit 2.5% im Jahr 2022 auch eine historisch hohe Anzahl von unbesetzten Stellen auf. «Irgendwo muss es ein Loch geben, das die Arbeitskräfte absaugt und in ein Paralleluniversum verschiebt», so der Referent. Dazu gibt es drei Thesen: Vielfache Pensenreduktionen, ausländische Arbeitskräfte kehren heim, oder Babyboomer scheiden aus dem Arbeitsmarkt aus.
Die Zukunft der Versorgung: die vier «üblichen Verdächtigen»
Erwartungen & Kompetenzen, Patient*innen
Komplexität Medizin
Demografie/chronische Krankheiten
Cost-Effectiveness
Ein Fazit
Das Berufsbild des Arzt/Ärztin wird vielfältiger (und die Motivlagen fragiler)
Ärztliche Laufbahnen werden zukünftig mehr Rollenwechsel beinhalten
Die Frage der Ko-Evolution der Gesundheitsberufe wird relevanter.
Fragen, die sich stellen
Wie kann die Ko-Evolution der Gesundheitsberufe besser befördert werden? Welche neuen Rollenverständnisse sind von den Ärztinnen und Ärzten gefordert?
Wie kann der zunehmenden Laufbahn- und Rollenvielfalt aber auch steigender Unsicherheit von Ärztinnen und Ärzten besser Rechnung getragen werden?
Wie kann die Vielfalt der Erwartungen, Präferenzen und Prioritäten von Patientinnen und Patienten sowie ihren Angehörigen besser in Aus-, Weiter- und Fortbildung bedacht werden?
Wie können eine sich verändernde Attraktivität der ärztlichen Arbeit, neue Erwartungen an Arbeitgeber und Karriereorientierungen in Aus- und Weiterbildung (als auch den Gesundheitsorganisationen) berücksichtigt werden?
Welche professionsspezifischen Kompetenzen werden als grundlegend, welche als ergänzend verstanden? Wie viel Generalistentum ist erforderlich?
Wie kann der enorme Spannungsbogen von avancierten naturwissenschaftlichen biomedizinischen Kenntnissen bis zu verhaltensorientierten und sozialwissenschaftlichen Kenntnissen vermittelt und verarbeitet werden?
Wie müssen wir heute unsere Ärzte ausbilden, damit sie in 10 Jahren Medizin ausüben können?
Der Studiendekan Humanmedizin an der ETH Zürich, Prof. Dr. Christian Wolfram beschäftigte sich zunächst mit dem Einfluss der Technologie in der Medizin. Warum lehnen Ärzte Instrumente ab, die ihnen die Arbeit erleichtern? Der Referent zeigte die verschiedenen Technologien und ihr Impact in der Medizin. Die Top 10 der technologischen Fortschritte, die das Gesundheitswesen und die Grösse der Störung prägen, sind Telemedizn, Smartphone Apps, Sensoren und Wearables für Diagnostik und Fernüberwachung, das Lesen des Genoms, Spracherkennung und Verarbeitung natürlicher Sprache, virtuelle und erweiterte Realität, automatisierte Bildauswertung mithilfe von KI, Robotik für Eingriffe und Rehabilitation, prädiktive Analytik unter Einsatz von KI, schreiben des Genoms.
Kein Arzt der Zukunft wird ohne fortgeschrittene Technologien praktizieren können. Schwächen in «soft skills» sind problematisch, Automation wird den Arzt nicht ersetzen, Künstliche Intelligenz ist das Stethoskop des 21. Jahrhunderts, Patienten werden aktiver an den Entscheidungsprozessen partizipieren.
Ärztin der Zukunft – Visionen des SIWF
Die Lernziele, die die Referentin, Frau PD Dr. med. et MME Monika Brodmann Maeder, Präsidentin des SIWF, formulierte, sind:
Herausforderungen an zukünftige Ärztinnen und Ärzte erkennen.
CanMEDs, CBME und EPAs als Ausdrücke kennen.
Über den Stand der Einführung der kompetenzbasierten ärztlichen Weiterbildung in der Schweiz informiert sein.
Die Herausforderungen heute und morgen sind Digitalisierung, Technologien, komplexe Erkrankungen, ökonomischer Druck alternde Gesellschaft, Interprofessionalität, Task shifting, Wissensflut, kulturelle Vielfalt, Spezialisierung, Fragmentierung, Vielfalt der Erkrankungen, Erwartungen der Kunden.
CanMEDS
CanMEDs beinhalten die Lernziele gemäss dem international anerkannten und am weitesten verbreiteten System der kanadischen Ärztegesellschaft. Die Abbildung 1 gibt eine Zusammenfassung wieder.
Kompetenzbasierte medizinische Bildung CBME
Outcome statt Inhalt
Wissen
Fähigkeiten und Fertigkeiten
Werte und Haltung
Entrustable Professional Activitites EPAs
EPAs: «Entrustability» oder Selbstständigkeitsgrad
Die Ebenen der Unabhängigkeit:
Level 1: Der Auszubildende ist in der Lage zu beobachten.
Level 2: Der Auszubildende ist in der Lage die Tätigkeit unter direkter Aufsicht auszuführen.
Level 3: Der Auszubildende ist in der Lage die Tätigkeit unter indirekter Aufsicht auszuführen, auf Anfrage der Aufsicht muss der Auszubildende um Hilfe bitten, die Aufsicht ist jederzeit verfügbar.
Level 4: Der Auszubildende arbeitet ohne Supervision (Supervisor jederzeit abrufbar).
Level 5: Der Auszubildende kann jüngere Kollegen supervidieren.
Zusammenfassung
Kompetenzbasierte Bildung CBME
– Outcome statt Inhalte
– Kulturwandel in der medizinischen Bildung
– CanMEDs, EPAs
– Zentrale Rolle der Weiterbildnerinnen und Weiterbildner
Situation in der Schweiz
– >1/3 aller Weiterbildungsstätten bereits dabei
– Entwicklung von «Clinical Teachers»
– Pilotkliniken und Pilotspitäler
Der langfristige Nutzen von Pneumokokken-Konjugatimpfstoffen (PCV) bleibt aufgrund des Serotypenwechsels unbekannt. Das Ziel einer kürzlich veröffentlichten Studie war es, die Auswirkungen der Einführung von PCV auf die Inzidenz invasiver Pneumokokkenerkrankungen in Frankreich abzuschätzen (1).
Die Autoren haben eine quasi-experimentelle unterbrochene Zeitreihenanalyse mit Daten aus einem nationalen prospektiven französischen Überwachungssystem durchgeführt. Es wurden alle Fälle invasiver Pneumokokkenerkrankungen bei Kindern und Erwachsenen aus mehr als 250 teilnehmenden Krankenhäusern zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 31. Dezember 2017 einbezogen. Das primäre Ergebnis war die Inzidenz invasiver Pneumokokkenerkrankungen (Meningitis und Nicht-Meningitis) im Zeitverlauf, die mittels segmentierter Regression mit autoregressivem Fehler analysiert wurde. Die Isolate wurden durch Latexagglutination mit Antiserumproben serotypisiert.
Resultate
75 903 Patienten mit invasiver Pneumokokkenerkrankung wurden eingeschlossen, darunter 4302 (5-7 %) Kinder unter 2 Jahren und 37 534 (49-4 %) Erwachsene im Alter von 65 Jahren oder älter. Vor der Einführung von PCV7 lag die geschätzte monatliche Inzidenz invasiver Pneumokokkenerkrankungen bei 0-78 Fällen pro 100’000 Einwohner, was sich bis Mai 2010 nicht wesentlich änderte. Auf die Einführung von PCV13 im Jahr 2010 folgte ein deutlicher Rückgang der Inzidenz invasiver Pneumokokkenerkrankungen (-1.5 % pro Monat, 95 % CI -2.2 bis -0.8), der im Dezember 2014 eine geschätzte monatliche Inzidenz von 0.52 Fällen pro 100 000 Einwohner erreichte. Ab Januar 2015 stieg die Inzidenz allerdings wieder an (1.8 % pro Monat, 95 % KI 1.0 bis 2.6) und erreichte im Dezember 2017 eine geschätzte monatliche Inzidenz von 0.73 Fällen pro 100’000 Einwohner. Die geschätzte monatliche Inzidenz stieg von 0.93 Fällen pro 100’000 Einwohner im Dezember 2014 auf 1.73 Fälle pro 100’000 Einwohner im Dezember 2017 für Kinder unter 2 Jahren und von 1.54 Fällen pro 100’000 Einwohner im Dezember 2014 auf 2.08 Fälle pro 100’000 Einwohner im Dezember 2017 für Erwachsene im Alter von 65 Jahren oder älter. Die wichtigsten Nicht-PCV13-Serotypen, die an diesem Anstieg beteiligt waren, waren 24F bei Kleinkindern und 12F, 22F, 9N und 8 bei Erwachsenen im Alter von 65 Jahren oder älter.
Schlussfolgerungen
Die Einführung von PCV13 führte zu einem deutlichen Rückgang der Inzidenz invasiver Pneumokokkenerkrankungen. Ein erneuter Anstieg der Fälle bei Kindern und Erwachsenen seit 2015, der auf mehrere neu auftretende Nicht-PCV13-Serotypen zurückzuführen ist, gefährdet jedoch den langfristigen Nutzen von PCV. Sollten sich diese Erkenntnisse in den kommenden Jahren bestätigen, sollten sie bei der Entwicklung von PCV der nächsten Generation berücksichtigt werden und könnten den politischen Entscheidungsträgern bei der Auswahl künftiger Pneumokokken-Impfstoffe als Orientierung dienen.
Quelle: Ouldali N et al. Invasive Pneumococcal Disease Incidence in Children and Adults in France During the Pneumococcal Conjugate Vaccine Era: An Interrupted Time-Series Analysis of Data From a 17-Year National Prospective Surveillance Study. Lancet Infect Dis 2021; 21:137–47