Die schmerzhafte Schultergelenksarthrose – Wie können wir unseren Patienten helfen?

Die Schultergelenksarthrose kann in eine primäre Arthrose und eine sekundäre Arthrose eingeteilt werden. Während bei der primären Arthrose mit Ausnahme des eventuell höheren Alters und des damit einhergehenden Verschleisses keine eindeutige Ursache genannt werden kann, ist die sekundäre Arthrose auf einen klaren Grund zurückzuführen der eine frühzeitige Degeneration des Schultergelenkes auslöst. Stellt sich in der Anamnese und in der klinischen Untersuchung der Verdacht einer Schultergelenksarthrose, benötigt man zur weiteren Diagnostik eine Bildgebung in Form von Röntgenaufnahmen. Initial steht eine schmerzlindernde Kortisoninfiltration und anti-entzündliche medikamentöse Therapie im Vordergrund, welche durch physio­therapeutische Massnahmen begleitet werden sollte. Bei therapierefraktären Beschwerden und grossem Leidensdruck besteht die Indikation zur operativen Versorgung mittels einer Schulterendoprothese. Hierdurch kann sowohl im kurz- sowie langfristigen Verlauf eine deutliche Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung erzielt werden und somit die Lebensqualität der Patienten verbessert werden. Zeigt sich eine fortgeschrittene Dezentrierung des Oberarmkopfes oder ein instabiles Drehzentrum ist die Versorgung mittels einer inversen Schulterendoprothese indiziert. Moderne Planungsverfahren erlauben die individuelle Anpassung der Schulterendoprothese an die individuelle Anatomie des Schulterblattes und Oberarmkopfes sowie die Körperhaltung der Patientinnen und Patienten.

Osteoarthritis of the shoulder joints can be divided into primary osteoarthritis and secondary osteoarthritis. While in the case of primary osteoarthritis, with the possible exception of older age and the associated wear and tear, no clear cause can be named, secondary osteoarthritis is due to a clear reason that triggers premature degeneration of the shoulder joint. If the history and clinical examination raise the suspicion of shoulder joint osteoarthritis, imaging in the form of X-rays is required for further diagnosis. Initially, the focus is on pain-relieving cortisone infiltration and anti-inflammatory drug therapy, which should be accompanied by physiotherapeutic measures. In cases where the symptoms are refractory to therapy and the patient is suffering greatly, there is an indication for surgical treatment with a shoulder arthroplasty. This can lead to a significant reduction in pain and an improvement in function in both the short and long term, thus improving the patient’s quality of life. If there is advanced decentering of the humeral head or an unstable center of rotation, treatment with a reverse shoulder arthroplasty is indicated. Modern planning procedures allow the shoulder arthroplasty to be individually adapted to the anatomy of the scapula and humeral head as well as the patient’s posture.

Key Words: Schulterschmerzen, Arthrose, Omarthrose, Schulterprothese, Inverse Prothese

Hintergrund

Schulterbeschwerden sind der dritthäufigste Vorstellungsgrund unter den muskuloskelettalen Beschwerden in der primären Gesundheitsversorgung. In 21% der durch den Hausarzt aufgrund von persistierenden Schulterschmerzen überwiesenen Patienten wird in der radiologischen Bildgebung eine Omarthrose diagnostiziert (1). In Zweidrittel der Fälle liegt den degenerativen Veränderungen des Knorpels und des angrenzenden Knochens sowie des periartikulären Weichteilgewebes kein spezifischer Auslöser zugrunde. Die Prävalenz dieser sogenannten primären Arthrose steigt mit zunehmendem Alter. Während 15% bereits in der 6. Lebensdekade betroffen sind, steigt der Anteil bei Patienten über 70 Jahren auf über 25% (2). Beeinflussbare Risikofaktoren für die primäre Arthrose stellen Übergewicht, Rauchen sowie systemische Erkrankungen wie arterielle Hypertonie dar (Abb. 1) (3).

Die sekundäre GHA entstehen auf Basis einer klar definierten Ursache wie z.B. einer Gelenksinstabilität, Fehlstellung nach Trauma, oder einer medikamenteninduzierten Nekrose (Abb. 2).

Eine sehr häufige Form der sekundären Schultergelenksarthrose ist die sogenannte Cuff-Arthropathie bei Patienten mit ausgeprägten Rotatorenmanschettenrupturen und konsekutivem Humeruskopfhochstand (Abb. 3) (4).

Tritt eine primäre Arthrose frühzeitig auf, so sollte nach einer versteckten Ursache geforscht werden. Kürzlich konnten wir z.B. in einer Studie zeigen, dass häufig vergleichsweise junge Männer betroffen sind, die Sportarten mit einer hohen Belastung der Schultergelenke ausüben wie z.B. Kraftsport und Kampfsport. Vermeintlich kann eine repetitive Überlastung und ein unausgeglichenes Training zu einer Dysbalance der schulterstabilisierenden Kräftepaare führen und in weiterer Folge eine posterior-exzentrische Arthrose begünstigen (3).

Diagnostik

Die Erstvorstellung erfolgt zumeist aufgrund eines zunehmenden Schulterschmerzes, der je nach Art der vorliegenden Arthrose als Belastungs-, Ruhe-, oder Nachtschmerz auftreten kann.

Während bei einer primären Omarthrose häufig die zunehmende Steife des Gelenkes einen Funktionsverlust bedingt, so kann bei einer Cuff-Arthropathie der Verlust der Rotatorenmanschette zu einer Pseudoparalyse der Schulter führen mit mangelnder aktiver (jedoch passiv erhaltener) Elevationsfähigkeit des Armes. Bei fortgeschrittenen Omarthrosen kann bei der klinischen Untersuchung häufig eine Krepitation in der Schulter bei passiver Bewegung wahrgenommen werden. Die primäre Diagnosesicherung erfolgt über eine konventionelle radiologische Bildgebung des Schultergelenks in 2 Ebenen (antero-posterior und axiale Aufnahme). Klassische radiologische Zeichen der Omarthrose umfassen osteophytäre Anbauten am Pfannenrand oder Oberarmkopf, Gelenkspaltverschmälerung, sowie subchondrale Zystenformationen und Sklerosierung. Die Beurteilung der Schweregrade nach radiologischen Gesichtspunkten korreliert häufig nicht mit der klinischen Symptomatik der Patienten weshalb eine sorgfältige klinische Untersuchung unumgänglich ist (5).

Nicht-operative Therapie

Nach Diagnosestellung ist eine gründliche Aufklärung über das vorliegende Krankheitsbild und das zu erwartende Voranschreiten der degenerativen Gelenksveränderungen notwendig. Die Entscheidung über die Therapie ist von den Schmerzen und der Funktions- bzw. Alltagseinschränkung abhängig unter Berücksichtigung des Aktivitätsniveaus und eventueller Begleiterkrankungen. Initial ist ein konservativer Therapieversuch empfohlen. Die symptomatische Schmerztherapie steht dabei im Vordergrund. Abhängig von den patientenspezifischen Risikofaktoren sind nicht-steroidale antiinflammatorische Medikamente über einen begrenzten Zeitraum Mittel der Wahl. Opioide sollten aufgrund des limitierten Effekts bei Gelenksschmerzen und ungünstigem Nebenwirkungsprofil, sowie erhöhtem Suchtpotential, nur in Ausnahmefällen verschrieben werden (5). Bei Schmerzexazerbation kann eine intraartikuläre Kortisoninfiltration unter Beachtung der Kontraindikationen eine deutliche, wenngleich häufig leider zeitlich begrenzte, Verbesserung der Schmerzsymptomatik und Schulterfunktion herbeiführen (6). Alternativ können intraartikuläre Infiltrationen mit Hyaluronsäure durchgeführt werden (7). Die klinische Wertigkeit von Hyaluronsäureinfiltrationen gegenüber Kortisoninfiltrationen muss noch in weiteren Vergleichsstudien näher untersucht werden (8). Weitere Forschungsschwerpunkte der intraartikulären Infiltrationstherapie sind derzeit Platelet-Rich Plasma- (PRP) und Zell-Therapien. Aktuell kann bei nicht ausreichender Datenlage jedoch noch keine generelle Therapieempfehlung gegeben werden (9). Wichtig ist eine Aufklärung über das Risiko einer iatrogenen Gelenksinfektion bei Gelenkinfiltrationen, wobei es sich um eine sehr seltene aber schwerwiegende Komplikation handelt. Um das Risiko eines periprothetischen Gelenksinfektes zu vermindern ist zudem von einer Gelenkinfiltration drei Monate vor einer geplanten Endoprothesenimplantation abzuraten (10).

Die Physiotherapie ist die zweite feste Säule der konservativen Therapie. Das Ziel ist die bestmögliche Erhaltung der Schulterbeweglichkeit und Kraft sowie die Schmerzreduktion. Im Fokus steht die Kräftigung der Humeruskopf-zentrierenden Rotatorenmanschette, sowie ausgleichende Entspannungsübungen zur Entlastung der periskapulären Muskelgruppen (11). Aktive Bewegung im Alltag und Sport mit wenig Belastung für die Schultern sind empfehlenswert, während Sportarten mit hoher schulterspezifischer Belastung gemieden werden sollten (3).

Operative Therapie:

Ist die konservative Therapie ausgeschöpft kann durch die Implantation einer Schulterendoprothese eine zuverlässige Verbesserung der Beschwerden erreicht werden. Die Indikationen zur operativen Versorgung besteht bei therapieresistenten Schmerzen oder unzureichend kompensierbaren Einschränkungen des Bewegungsausmasses sowie zunehmendem Leidensdruck der Patienten. Eine endoprothetische Versorgung kann als anatomische (Total)endoprothese (aTSA) unter Erhalt der ursprünglichen Anatomie oder als inverse Totalendoprothese (rTSA) zur Stabilisierung des Drehzentrums erfolgen (Abb. 4) (12).

Wichtige Strukturen, die zur Zentrierung des Humeruskopfes beitragen sind knöchern die Schultergelenkspfanne sowie weichteilig die Muskeln und Sehnen der Rotatorenmanschette. Exzentrische Omarthrosen aufgrund einer schwerwiegenden Pfannendeformität und statischer Dezentrierung des Oberamkopfes oder aufgrund einer Rotatorenmanschetteninsuffizienz mit instabilem Gelenksdrehzentrum sprechen für die Implantation einer inversen Schulterendoprothese. Der Anteil der implantierten inversen Endoprothesen ist in den letzten Jahren aufgrund der vielfältigen Indikationserweiterungen und nicht zuletzt aufgrund der sehr guten und verlässlich erzielbaren Ergebnisse kontinuierlich gestiegen. Während die inverse Endoprothese durch das stabilere Drehzentrum überzeugt, ist bei der anatomischen Endoprothese das durchschnittlich zu erwartende postoperative Bewegungsausmass grösser. Bei Verlust der Stabilität des Drehzentrums im Verlauf nach Implantation einer anatomischen Schultertotalendoprothese aufgrund einer sekundären Rotatorenmanschetteninsuffizienz oder eines zunehmenden exzentrischen Pfannenabriebes ist der Wechsel auf eine inverse Prothese möglich (13).

Generell, kann unabhängig von der Art der gewählten Schulter­endoprothese bei Patientinnen und Patienten, die unter einer der verschiedenen Formen der Omarthrose leiden, eine zuverlässige Verbesserung der Schmerzen und des Bewegungsumfanges erreicht werden und über einen langen Zeitraum die Lebensqualität deutlich verbessert werden (Abb. 5).

Präoperative Planungssoftware wird genutzt um die Platzierung und Kombination der Prothesenkomponenten zu simulieren und so intra- und postoperative Komplikationen aufgrund von Fehlimplantation und mechanischer Konflikte zu vermeiden.[14] In eigenen Arbeiten konnten wir zudem auf die Wichtigkeit der Miteinbeziehung der Patienten-individuellen Körperhaltung auf die präoperative Planung von Schulterendoprothesen zur Verbesserung des Bewegungsausmasses hinweisen (15). Eine angepasste Auswahl von Implantatkomponenten scheint in der Lage zu sein, die negativen Auswirkungen von häufig vorkommender kyphotischer Fehlhaltung auf das erzielbare Bewegungsausmass abzuschwächen (Abb. 6) (16).

Postoperativ erfolgt je nach Knochenqualität, Beschaffenheit der Sehnen und Art der Endoprothese typischerweise eine Ruhigstellung für 1-6 Wochen sowie eine schmerz- und funktionsadaptierte physiotherapeutische Beübung. Nach der Schulterendoprothesenimplantation werden die Patienten in regelmässigen Zeitabständen im behandelnden Zentrum nachuntersucht um mögliche Verschleisserscheinungen, Lockerung und andere auftretende Probleme frühzeitig zu erkennen. Bei Verdacht auf einen periprothetischen Infekt, Fraktur oder generellen Funktionsausfall sowie Schmerzzunahme sollte eine Überweisung an den Operateur erfolgen.

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Prof. Dr. med. univ. Philipp Moroder

Schulter- und Ellenbogenchirurgie,
Schulthess Klinik, Zürich
Lengghalde 2
8008 Zürich

moroder.info@kws.ch

Prof. Moroder ist in der Entwicklung neuer Schulterendoprothesensysteme tätig (Arthrex Inc. und Medacta Corporate).

◆ Schulterschmerzen und Funktionsverlust im Alter sind häufig auf eine primäre oder sekundäre Omarthrose zurückzuführen.
◆ Initial ist ein nicht-operativer Therapieversuch empfohlen mit Physiotherapie, zeitlich limitierter Einnahme von entzündungshemmender Medikation, und Gelenksinfiltration.
◆ Ist die konservative Therapie ausgeschöpft kann durch die Implantation einer Schulterendoprothese eine zuverlässige Verbesserung der Beschwerden erreicht werden.
◆ Eine Abstimmung der Endoprothesenkomponenten auf die individuell vorliegende Art der Omarthrose, Schulteranatomie und Körperhaltung trägt zur Optimierung der klinischen Ergebnisse bei.

 

1. Tran G, Fascia D, Askew J et al. The prevalence of glenohumeral joint osteoarthritis in a primary care shoulder pain population referred for radiographs. Rheumatology 2021; 61: 1290-1292. doi:10.1093/rheumatology/keab867
2. Oh JH, Chung SW, Oh CH et al. The prevalence of shoulder osteoarthritis in the elderly Korean population: association with risk factors and function. Journal of Shoulder and Elbow Surgery 2011; 20: 756-763. doi:https://doi.org/10.1016/j.jse.2011.01.021
3. Plachel F, Akgün D, Imiolczyk JP et al. Patient-specific risk profile associated with early-onset primary osteoarthritis of the shoulder: is it really primary? Arch Orthop Trauma Surg 2021. doi:10.1007/s00402-021-04125-2. doi:10.1007/s00402-021-04125-2
4. Ibounig T, Simons T, Launonen A et al. Glenohumeral osteoarthritis: an overview of etiology and diagnostics. Scandinavian Journal of Surgery 2020; 110: 441-451. doi:10.1177/1457496920935018
5. Boselli KJ, Ahmad CS, Levine WN. Treatment of Glenohumeral Arthrosis. The American Journal of Sports Medicine 2010; 38: 2558-2572. doi:10.1177/0363546510369250
6. Metzger CM, Farooq H, Merrell GA et al. Efficacy of a single, image-guided corticosteroid injection for glenohumeral arthritis. Journal of Shoulder and Elbow Surgery 2021; 30: 1128-1134. doi:10.1016/j.jse.2020.08.008
7. Merolla G, Sperling JW, Paladini P et al. Efficacy of Hylan G-F 20 versus 6-methylprednisolone acetate in painful shoulder osteoarthritis: a retrospective controlled trial. MUSCULOSKELETAL SURGERY 2011; 95: 215-224. doi:10.1007/s12306-011-0138-3
8. Colen S, Geervliet P, Haverkamp D et al. Intra-articular infiltration therapy for patients with glenohumeral osteoarthritis: A systematic review of the literature. Int J Shoulder Surg 2014; 8: 114-121. doi:10.4103/0973-6042.145252
9. Rossi LA, Piuzzi NS, Shapiro SA. Glenohumeral Osteoarthritis: The Role for Orthobiologic Therapies: Platelet-Rich Plasma and Cell Therapies. JBJS Reviews 2020; 8: e0075. doi:10.2106/jbjs.Rvw.19.00075
10. Richardson SS, Schairer WW, Sculco TP et al. Comparison of Infection Risk with Corticosteroid or Hyaluronic Acid Injection Prior to Total Knee Arthroplasty. J Bone Joint Surg Am 2019; 101: 112-118. doi:10.2106/jbjs.18.00454
11. Bennell KL, Buchbinder R, Hinman RS. Physical therapies in the management of osteoarthritis: current state of the evidence. Current Opinion in Rheumatology 2015; 27
12. Berliner JL, Regalado-Magdos A, Ma CB et al. Biomechanics of reverse total shoulder arthroplasty. Journal of Shoulder and Elbow Surgery 2015; 24: 150-160. doi:https://doi.org/10.1016/j.jse.2014.08.003
13. Jo YH, Kim DH, Lee BG. When should reverse total shoulder arthroplasty be considered in glenohumeral joint arthritis? Clin Shoulder Elb 2021; 24: 272-278. doi:10.5397/cise.2021.00633
14. Verborgt O, Vanhees M, Heylen S et al. Computer Navigation and Patient-specific Instrumentation in Shoulder Arthroplasty. Sports Medicine and Arthroscopy Review 2014; 22: e42-e49. doi:10.1097/jsa.0000000000000045
15. Moroder P, Akgun D, Plachel F et al. The influence of posture and scapulothoracic orientation on the choice of humeral component retrotorsion in reverse total shoulder arthroplasty. J Shoulder Elbow Surg 2020; 29: 1992-2001. doi:10.1016/j.jse.2020.01.089
16. Moroder P, Urvoy M, Raiss P et al. Patient Posture Affects Simulated ROM in Reverse Total Shoulder Arthroplasty: A Modeling Study Using Preoperative Planning Software. Clin Orthop Relat Res 2022; 480: 619-631. doi:10.1097/corr.0000000000002003

Abgrenzung UVG / KVG

Für Patienten ist aufgrund der in der Krankenversicherung vorgesehenen Beteiligung des Patienten an den entstandenen Kosten (Franchise, Selbstbehalt) massgebend, ob die Behandlung seiner Gesundheitsschädigung durch die Krankenversicherung oder die Unfallversicherung übernommen wird. In diesem Artikel wird ein Überblick darüber gegeben, welche Gesundheitsschädigungen durch die Unfallversicherung gedeckt sind.

Due to the patient’s participation in the costs incurred as provided for in the health insurance (franchise, deductible), it is decisive whether the treatment of the health impairment is covered by the health insurance or the accident insurance. This article gives an overview of which health impairments are covered by accident insurance.

Key Words: accident definition, bodily injury similar to that sustained in an accident, occupational disease, causality

Das Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) sieht vor, dass Versicherungsleistungen gemäss diesem Gesetz bei Berufs-, Nichtberufsunfällen, Berufskrankheiten oder unfallähnlichen Körperschädigungen gewährt werden (Art. 6 UVG). Die soziale Krankenversicherung gewährt hingegen Leistungen bei Krankheit, soweit dafür keine Unfallversicherung aufkommt auch bei Unfall sowie bei Mutterschaft (Art. 1a des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung; KVG).

Unfall

Wann von einem Unfall im Sinne des Unfallversicherungsrechts auszugehen ist, wird im Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) definiert. Als Unfall gilt die plötzliche, nicht beabsichtigte, schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat (Art. 4 ATSG). Demgegenüber ist Krankheit jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalls ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Art. 3 Abs. 1 ATSG). Ob der Unfallbegriff erfüllt ist, ist eine Rechtsfrage und deshalb von der Rechtsanwendung zu beantworten, es handelt sich dabei um keine medizinische Frage (1). Um einen Unfall gemäss Gesetz anerkennen zu können, müssen alle aufgeführten Kriterien erfüllt sein. Insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, ob ein ungewöhnlicher äusserer Faktor gegeben ist, besteht eine reiche Rechtsprechung des Bundesgerichts (2). In der ärztlichen Arbeit ist die Beurteilung, ob ein Unfall im Sinne des Gesetzes vorliegt, häufig schwierig, sodass der Begriff des Unfalls vermieden werden sollte.

Aus der Definition des Unfalles ist ersichtlich, dass auch eine gewisse Verbindung zwischen dem Unfallereignis sowie der Gesundheitsschädigung gegeben sein muss. Das Bundesgericht und die juristische Lehre definieren dazu, dass eine Leistungspflicht eines Unfallversicherers gegeben ist, wenn zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden ein natürlicher, wie auch ein adäquater Kausalzusammenhang vorhanden ist (3).

Mit der natürlichen Kausalität wird der tatsächlich erklärbare Zusammenhang zwischen Ursache und Beschwerdebild geprüft. Dabei werden naturwissenschaftliche und technische Aspekte diskutiert. Es handelt sich um eine medizinische beziehungsweise naturwissenschaftliche Fragestellung. Das Bundesgericht hält hierzu fest, dass Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs alle Umstände sind, ohne deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg nicht als eingetreten oder nicht als in der gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten gedacht werden kann. Entsprechend dieser Umschreibung ist für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht erforderlich, dass ein Unfall die alleinige oder unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist; es genügt, dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen die körperliche oder geistige Integrität der versicherten Person beeinträchtigt hat, der Unfall mit anderen Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele (3).

Dieser natürliche Kausalzusammenhang muss mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Die blosse Möglichkeit eines Zusammenhanges genügt nicht, damit der Unfallversicherer leistungspflichtig wird (3). Nach dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit gilt ein Beweis als erbracht, wenn für die Richtigkeit der Sachbehauptung nach objektiven Gesichtspunkten derart gewichtige Gründe sprechen, dass andere denkbare Möglichkeiten vernünftigerweise nicht massgeblich in Betracht fallen (4). Das Gericht hat mit anderen Worten jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die es von allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigt (5).

Als Abgrenzung dazu ist die adäquate Kausalität zu sehen. Diese wird geprüft, wenn als Folge eines Unfalls kein organisch nachweisbarer Befund vorliegt und trotzdem weiterhin Beschwerden beklagt werden (6). Als Beispiel können persistierende Nackenbeschwerden ohne Nachweis einer strukturell objektivierbaren Veränderung durch eine Röntgen- oder MRT-Untersuchung nach einem leichten Heckauffahrunfall erwähnt werden. Gegenüber der natürlichen Kausalität handelt es sich nicht um eine logische Kausalitätstheorie, sondern um eine wertende Zurechnungstheorie. Entsprechend ist die Frage nach dem adäquaten Kausalzusammenhang im Gegensatz zur Frage nach dem natürlichen Kausalzusammenhang eine juristische Fragestellung (1). Ein Ereignis gilt gemäss Rechtsprechung dann als adäquate Ursache eines Erfolges, wenn die betreffende Ursache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Erfahrung geeignet ist, den eingetretenen Erfolg zu bewirken, sodass der Eintritt des Erfolgs als durch die fragliche Tatsache allgemein begünstigt erscheint (3). Das Bundesgericht hat zwei verschiedene Kriterienkataloge entwickelt, die die Rechtsanwendung je nach vorliegender Situation bei der Frage nach dem adäquaten Kausalzusammenhang zu prüfen hat (7).

Auch wenn ein Unfallversicherer seine Leistungspflicht bejaht hat, bedeutet dies nicht in jedem Fall eine lebenslange Leistungsübernahme. Ein Unfallversicherer hat beispielsweise seine Leistungen einzustellen, wenn zwischen den Beschwerden einer versicherten Person und dem Unfallereignis kein natürlicher Kausalzusammenhang mehr gegeben bzw. dieser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit weggefallen ist. Dabei sind insbesondere die Konstellationen zu erwähnen, bei welchen das Ereignis ein Körperteil schädigt, welches bereits von einem, häufig der versicherten Person unbekannten, Vorzustand (Abnützung oder Krankheit) betroffen ist. Damit die Leistungspflicht zeitlich unbeschränkt besteht, ist bei gegebenem Vorzustand eine dauernde oder richtunggebende Verschlimmerung als Folge des Unfalls notwendig. Sobald ein Gesundheitszustand denjenigen erreicht, wie er unmittelbar vor dem Unfall bestanden hatte (Status quo ante) oder wie er sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (Status quo sine), hat der Unfallversicherer seine Leistungen einzustellen (8). Als Beispiel für eine dauernde oder richtunggebende Verschlimmerung kann ein Sturz auf ein Knie genannt werden, nach welchem eine Gonarthrose festgestellt, jedoch auch eine vordere Kreuzbandruptur diagnostiziert wird. Mit und ohne operative Versorgung ist davon auszugehen, dass durch die vordere Kreuzbandruptur der Verlauf einer Gonarthrose negativ beeinflusst wird. Demgegenüber ist von einer zeitlich begrenzten Verschlimmerung auszugehen, falls durch eine Kontusion ohne zusätzliche Band- oder Meniskusläsion eine Gonarthrose symptomatisch wird. Je nach Heftigkeit der Prellung ist die Unfallversicherung einige Wochen bis wenige Monate leistungspflichtig. Es liegt in der Natur des Verschleissleidens, dass unabhängig eines Unfalls Schmerzen auftreten können.

Unfallähnliche Körperschädigung

Neben der Gewährung von Versicherungsleistungen bei Berufsunfällen und Nichtberufsunfällen erbringt die Unfallversicherung ihre Leistungen auch bei einer abschliessenden Liste von acht Diagnosen, sofern sie nicht vorwiegend, das heisst zu mehr als 50 % (9), auf Abnützung oder Erkrankung zurückzuführen sind (Art. 6 Abs. 2 UVG) (Tab. 1).

Die Voraussetzung für eine Leistungspflicht ist das Vorliegen einer der genannten Diagnosen. Zentral in der versicherungsmedizinischen Bewertung ist die Auseinandersetzung mit der Pathogenese der im Einzelfall zu diskutierenden Pathologie. Sofern die Betrachtung der Pathogenese zu der Konklusion führt, es bestehe eine vorwiegend auf Abnützung oder Erkrankung zurückzuführende Pathologie, ist die Zuständigkeit des Unfallversicherers zu verneinen (10).

Berufskrankheit

Abschliessend ist der Unfallversicherer bei Berufskrankheiten leistungspflichtig. Hierbei ist zu beurteilen, ob es sich um eine Krankheit handelt, die bei der beruflichen Tätigkeit ausschliesslich oder vorwiegend durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten verursacht worden ist (Art. 9 Abs. 1 UVG). Der Bundesrat hat eine Liste dieser Stoffe und Arbeiten sowie der arbeitsbedingten Erkrankungen erstellt (Anhang 1 zur Verordnung über die Unfallversicherung; UVV). Nach dem Bundesgericht ist eine «vorwiegende» Verursachung von Krankheiten durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten nur dann gegeben, wenn diese mehr wiegen als alle anderen mitbeteiligten Ursachen, mithin im gesamten Ursachenspektrum mehr als 50 % ausmachen. «Ausschliessliche» Verursachung hingegen meint praktisch 100 % des ursächlichen Anteils der schädigenden Stoffe oder bestimmten Arbeiten an der Berufskrankheit (11). Aber auch andere Krankheiten, von denen nachgewiesen wird, dass sie ausschliesslich oder stark überwiegend durch berufliche Tätigkeit verursacht worden sind, gelten als Berufskrankheiten (Art. 9 Abs. 2 UVG). Dabei muss die Berufskrankheit zu mindestens 75 % durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden sein. Vor allem diese Krankheiten, welche nicht gelistet sind, führen im Praxisalltag wiederholt zu Diskussionen. Zur Anerkennung einer Berufskrankheit gemäss Art. 9 Abs. 2 UVG ist eine vierfach höhere Inzidenzrate in der spezifischen Berufsgruppe gegenüber der Allgemeinheit gefordert, um das Kriterium der ausschliesslichen oder stark überwiegenden Verursachung durch die berufliche Tätigkeit bejahen zu können (12, 13).

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Dr. med. Josef Grab

MAS Versicherungsmedizin
EMBA HSG Insurance und Financial Services
Facharzt für Chirurgie, Mitglied FMH
Suva
Fluhmattstrasse 1
6004 Luzern

josef.grab@suva.ch

Nicole Pfrunder

MLaw, Rechtsanwältin
Suva
Fluhmattstrasse 1
6004 Luzern

nicole.pfrunder@suva.ch

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die Unfallversicherung übernimmt Leistungen bei Unfällen, unfallähnlichen Körperschädigungen und Berufskrankheiten.
◆ Die Rechtsanwendung ist bei der Prüfung der Leistungspflicht in vielen Fragen auf eine medizinische Beurteilung angewiesen. Insbesondere obliegt es der Ärzteschaft zu Fragen der natürlichen Kausalität Stellung zu nehmen.
◆ Der Unfallbegriff ist im allgemeinen Teil des Sozialversicherungsgesetzes definiert. Ob dieser erfüllt ist, ist eine Rechtsfrage und deshalb von der Rechtsanwendung zu beantworten. Es handelt sich dabei um keine medizinische Frage.
◆ Die Bejahung der Leistungspflicht durch einen Unfallversicherer bedeutet nicht in jedem Fall eine lebenslange Leistungsübernahme.

 

Rechtsprechung und Literatur:
1. Urteil des Bundesgerichts (BGer) 8C_298/2016 vom 30.11.2016 E. 5.2
2. zum ungewöhnlichen äusseren Faktor: BGE 134 V 72 E. 4.1
3. BGE 129 V 177 E. 3
4. BGE 140 III 610 E. 4.1
5. BGE 138 V 218 E. 6
6. BGE 140 V 356 E. 3.2
7. BGE 115 V 133 und BGE 134 V 109
8. Urteil des BGer 8C_589/2017 vom 21.2.2018 E. 3.1
9. BGE 146 V 51 E. 8.2.2.1
10. Koch H, Henseler S. Zur versicherungsmedizinischen Bewertung des Art. 6 Abs. 2 und der hiermit angegebenen Listendiagnosen im Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) der Schweiz. Der medizinische Sachverständige. 2020;116 (4):187-92.
11. BGE 117 V 354 E. 2a
12. BGE 116 V 136 E. 5c
13. Urteil des BGer 8C_746/2012 vom 29.10.2012 E. 5

Chronische Nierenkrankheit

Niereninsuffizienz ist ein wichtiger kardiovaskulärer Risikofaktor, welcher in der neuesten ESC- und AGLA-Risikobeurteilung direkt unabhängig von anderen Risikofaktoren für ein hohes (eGFR 30-60), respektive sehr hohes Risiko (eGFR <30 ml/min/1.73m2) klassifiziert. Die Früherkennung, Identifikation und Progressionshemmung eines Nierenschadens ist deshalb nicht nur wichtig für die Vermeidung einer Nierenersatztherapie, sondern auch zur Vermeidung einer entsprechenden kardiovaskulären Morbidität und Mortalität. Nach der länger zurückliegenden Einführung der ACE-I und ARB kam zur Progressionsverlangsamung in den 2010er Jahren die Korrektur der Azidose hinzu; in der aktuellen Dekade sind nun weitere vielversprechende Substanzklassen auf dem Markt verfügbar: die SGLT2I und ein nichtsteroidaler Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist.

Renal insufficiency is an important cardiovascular risk factor, which in the most recent ESC and AGLA risk assessment is classified as high (eGFR 30-60) or very high risk (eGFR <30 ml/min/1.73m2), independent of other risk factors. Early detection, identification, and progression of renal damage is therefore important not only for avoiding renal replacement therapy but also for preventing related cardiovascular morbidity and mortality. Following the more recent introduction of ACE-I and ARB, correction of acidosis was added to progression slowing in the 2010s; in the current decade, additional promising classes of agents are now available on the market: the SGLT2I and a nonsteroidal mineralocorticoid receptor antagonist

Key Words: Renal insufficiency, SGLT inhibitor, nonsteroidal mineralocorticoid receptor antagonist

Die Schweizerische Gesellschaft für Nephrologie publizierte neulich einen Pocketguide zum Screening und Identifikation einer CKD. Besonders gefährdete Personen mit arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus und Herz Kreislauf Erkrankungen sollten mindestens einmal jährlich auf das Vorliegen einer CKD getestet werden (1). Die CKD Diagnose ist bestätigt, wenn über 3 Monate eine eGFR <60 ml/min/1.73 m2 und/oder eine mässig erhöhte Albuminurie (ACR >30 mg/mmol) nachgewiesen werden kann. Die Abbildung 1 zeigt die CKD-Kategorien anhand von eGFR und Albuminurie, farblich codiert das Risiko für das Fortschreiten der CKD, die Kontrollfrequenz sowie ob eine Überweisung zur nephrologischen Abklärung empfohlen wird.

Da es im Falle einer akuten Nierenschädigung, bei Fieber oder extremer körperlicher Anstrengung zum eGFR-Abfall oder zur reversiblen Proteinurie/Albuminurie kommen kann, wird durch die Frist von mindestens drei Monaten eine frühzeitige CKD-Diagnosestellung vermieden. Bei einem raschen eGFR Verlust oder massiver Proteinurie sollte die Zuweisung zur fachärztlichen Beurteilung jedoch nicht verzögert werden.

Proteinurie und Albuminurie Bestimmung

Traditionell versteht sich unter der Nierenfunktion die glomeruläre Filtration. Die Klassifikation der chronischen Nierenkrankheit basiert jedoch nicht nur auf der renalen Filtrationsfähigkeit, sondern beinhaltet auch den Marker eines glomerulären Schadens, die Albuminurie. Sie ist einer der wichtigsten Prädiktoren für eine Verschlechterung der Nierenfunktion und des Nierenfunktionsverlusts (2). Aus diesem Grund sollte für das Screening und die richtige Einstufung in die CKD-Risiko-Kategorie immer eine Albuminurie quantifiziert werden. Da die 24h Urinsammlung für Patienten aufwändig und oft wegen ungenauer Sammlung schwer zu interpretieren ist, ist empfohlen, die Albuminurie in einer Urinportion gleichzeitig mit Urin-Kreatinin zu messen. Die Albumin-Kreatinin Ratio liefert eine für den klinischen Alltag gut anwendbare Abschätzung der Albuminurie und kann aufgrund der konstanten täglichen Kreatininausscheidung auch zur Verlaufs­beurteilung hinzugezogen werden. Im Falle einer konsistent stark erhöhten Albuminurie (ACR >300mg/mmol) wird eine Überweisung an Nephrologen/in empfohlen.

Bei Abklärung einer Nierenerkrankung lohnt sich immer auch, die gesamt Proteinurie (PCR – Protein-Kreatinin Ratio) analog zur Albumin-Kreatinin Ratio zu bestimmen. Eine grosse Abweichung von diesen zwei Werten weist auf eine nicht-glomeruläre Proteinurie hin, die weiter abgeklärt werden sollte (vor allem wenn PCR >> ACR und PCR >100 mg/mmol).

Metabolische Azidose

Die Aufrechterhaltung des Säuren-Basen-Haushalts ist eine der wichtigsten Rollen der Nieren. Bei chronischer Nierenerkrankung resultiert die verminderte Fähigkeit Säuren auszuscheiden zu einer positiven H+ Bilanz. Der Grund dafür ist vor allem die verminderte renale Ammoniak Ausscheidung; die Ausscheidung von titrierbarer Säure ist erst bei stark eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR <15 ml/min/1.73 m2) reduziert (3). Die Prävalenz einer metabolischen Azidose steigt bei eGFR Abnahme <40 ml/min/1.73 m2 (4), wenn die kompensatorische Ammoniak Produktion der verbleibenden Nephrone nicht mehr ausreicht.

Eine metabolische Azidose ist bei CKD-Patienten mit einem erhöhten Todesrisiko sowie anderen negativen Outcomes verbunden (Fortschreiten der CKD, Knochen- und Muskelabbau, Hyperkaliämie). Aus diesem Grund wird gemäss Richtlinien vorgeschlagen, bei CKD eine Behandlung mit oralem Bicarbonat zu etablieren um die Serum Bicarbonat Konzentration >22 mmol/l aufrechtzuhalten (5). Der Benefit einer Behandlung basiert jedoch nur auf Daten kleinerer Studien, es fehlt immer noch an guter Evidenz von grossen randomisierten klinischen Studien. Einige Observationsstudien weisen sogar auf eine U Beziehung zwischen Serum Bicarbonat und Mortalität hin, sodass übermässig hohe Bicarbonat-Werte vermieden werden sollten (6).

Neue renoprotektive Pharmakotherapie
SGLT2I

Der Durchbruch von Hemmern des Natrium-Glukose Transporters 2 (SGLT2I) änderte in den letzten Jahren die Richtlinien in vielen Fachdisziplinen; die Praxisänderung ist vergleichbar mit dem Einzug der Angiotensin-Konvertase Hemmer und Angiotensin-Rezeptorblocker. Bei Personen mit Diabetes mellitus Typ 2 (T2D), CKD und GFR >30 ml/min/1.73 m2 werden SGLT2I als Erstlinientherapie zusammen mit Metformin universell empfohlen (5). Der protektive Effekt von SGLT2I scheint auch bei eGFR <30 ml/min/1.73 m2 erhalten zu bleiben (obwohl im kleineren Ausmass) – im Gegenteil zu Metformin, müssen SGLT2I bei CKD Progression deshalb nicht abgesetzt werden. Der kardiovaskuläre und renoprotektive Effekt von SGLT2I ist durch die bessere Diabetes Einstellung alleine nicht erklärbar. So zeigte die DAPA-CKD Studie, dass auch Patienten ohne T2D profitieren: in dieser Studie wurden Patienten mit CKD (Durchschnitts eGFR 43 ml/min/1.73 m2, median ACR 107 mg/mmol) mit oder ohne T2D (32.5%) für entweder Dapa­gliflozin oder Placebo randomisiert. Nach einem medianen Follow-up von 2.4 Jahren wurde die Studie wegen klarer Wirksamkeit frühzeitig gestoppt. Dapagliflozin führte zu einem 39% tieferen Risiko (absolute Risikoreduktion 5.3%) des kombinierten primären Endpunktes (eGFR Abnahme um 50%, Nierenfunktionsverlust, Tod aus renalen oder kardiovaskulären Ursachen). Man musste nur 19 Patienten behandeln, um einen primären Endpunkt zu verhindern (Anzahl der notwendigen Behandlungen – NNT (7). Aufgrund dieser überzeugenden Daten wurde Dapagliflozin neulich auch bei Personen mit CKD (eGFR >25 ml/min/1.73 m2) mit/ohne Diabetes als Ergänzungstherapie zu einer maximal tolerierten Dosis von ACE-I oder ARB zugelassen, die Listung auf der Spezialitätenliste wird in Kürze erwartet. Ähnlich wie bei ACE-I oder ARB können SGT2I initial einen leichten eGFR Abfall verursachen; dieser ist meistens funktionell, hämodynamisch bedingt und deshalb reversibel und sollte nicht zum Absetzen von SGLT2I führen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen von SGLT2I zählen genitale Mykosen; einige Studien haben auch ein erhöhtes Risiko von Amputation der unteren Extremitäten aufgezeichnet. Eine seltene Komplikation der SGLT2I-Therapie ist die (euglykämische) diabetische Ketoazidose, die vor allem bei Stresszuständen mit einer verminderten Kohlenhydratzufuhr vorkommen kann (CAVE Operationen), weshalb bei SGLT2I, wie auch bei Metformin «sick day rules» gelten und die Therapie vorübergehend pausiert werden sollte.

Finerenon

Der nichtsteroidale Antagonist des Mineralokortikoidrezeptors Finerenon hat sich als ein neues Medikament zur Verzögerung der CKD Progression bei Patienten mit T2D in zwei grossen doppelt-randomisierten Studien bewährt (FIDELIO-DKD und FIGARO-DKD). In FIDELIO-DKD führte Finerenon zu einem um 18% reduzierten Risiko (absolute Risikoreduktion 3.3%) den primären renalen Endpunkt zu erreichen (Nierenversagen, eGFR Abnahme von 40% und Tod aus renaler Ursache). Die Anzahl der notwendigen Behandlungen (NNT) um einen primären Endpunkt zu verhindern beträgt 30 (7). In der am kardiovaskulären Risiko orientierten FIGARO-DKD Studie zeigte die Finerenon Gruppe ein um 13% tieferes Risiko (absolute Risikoreduktion 1.8%) eines kombinierten primären Endpunktes (kardiovaskulärer Tod, nicht-fataler Myokard Infarkt und Schlaganfall oder Hospitalisation für Herzversagen). Die Anzahl der notwendigen Behandlungen (NNT) um einen primären Endpunkt zu verhindern beträgt hier 56 (8). Erwartungsgemäss wurde in der Finerenon Gruppe öfters eine Hyperkaliämie beobachtet. Eine Listung auf der Spezialitätenliste durch das BAG ist noch nicht erfolgt.

Abkürzungen:
ACE-I: Angiotensin-Converting-Enzym-Hemmer
ACR: Albumin-Kreatinin Ratio
ARB: Angiotensin 1-Rezeptorblocker
CKD: Chronic Kidney Disease, chronische Nierenkrankheit
eGFR: estimated Glomerular Filtration Rate
NNT: Number Needed to Treat, Anzahl der notwendigen Behandlungen
PCR: Protein-Kreatinin Ratio
SGLT2I: Hemmer des Natrium-Glukose Transporters 2
T2D: Diabetes mellitus Typ 2

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Dr. med. Dusan Harmacek

Assistenzarzt
Klinik für Nephrologie und Transplantationsmedizin
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstrasse 95
9007 St. Gallen

dusan.harmacek@kssg.ch

Dr. med. Christian Bucher

Leitender Arzt
Klinik für Nephrologie und Transplantationsmedizin
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstrasse 95
9007 St. Gallen

christian.bucher@kssg.ch

Die Klinik für Nephrologie und Transplantationsmedizin war Untersuchungszentrum der beiden Finerenone-CKD Studien und empfing Beratungshonorare von Astra Zeneca AG. C.B. vertrat die Klinik (Advisoryboard Dapagliflozin), empfing keine Gelder.

◆ Es ist wichtig, das Auftreten einer CKD zu verhindern, eine CKD
frühzeitig zu erkennen und Patienten mit CKD optimal zu betreuen.
◆ Zur Diagnose einer CKD und zum Screening bei Risikopersonen wird neben der eGFR immer eine Albuminurie mitbestimmt.
◆ Etablierte Therapien um das Fortschreiten einer CKD zu verhindern respektive zu verlangsamen: RAAS-Blocker bei ACR >3 mg/mmol
und NaBicarbonat zur Korrektur der Azidose bei Serumbicarbonat
<22 mmol/l.
◆ Neu soll bei eGFR >25 ml/min ein für CKD zugelassener SGLT2I
eingesetzt werden mit oder ohne Diabetes mellitus Typ 2.
◆ Finerenon kann bei Typ 2 Diabetikern erwogen werden.

1. Seeger H, de Seigneux S, Cippà P. Pocketguide CKD – Richtlinien zu Screening und Identifikation der Chronischen Niereninsuffizienz für Allgemeinmediziner und Internisten [Internet]. 2021; [Abgerufen am 06.03.2022].
Erhältlich unter: https://www.swissnephrology.ch/wp/wp-content/uploads/
2021/11/161121_SGN_Pocketguide_CKD_Web_A4_d.pdf
2. Packham DK, Alves TP, Dwyer JP, Atkins R, de Zeeuw D, Cooper M, et al. Relative Incidence of ESRD Versus Cardiovascular Mortality in Proteinuric Type 2 Diabetes and Nephropathy: Results From the DIAMETRIC (Diabetes Mellitus Treatment for Renal Insufficiency Consortium) Database. Am J Kidney Dis. 2012 Jan;59(1):7
5–83.
3. Raphael KL. Metabolic Acidosis in CKD: Core Curriculum 2019. Am J Kidney Dis. 2019 Aug;74(2):263–75.
4. Moranne O, Froissart M, Rossert J, Gauci C, Boffa J-J, Haymann JP, et al.
Timing of Onset of CKD-Related Metabolic Complications. J Am Soc Nephrol. 2009 Jan;20(1):164–71.
5. KDIGO 2012 Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management
of Chronic Kidney Disease. Kidney Int Suppl. 2013 Jan;3(1):1–150.
6. Kovesdy CP, Anderson JE, Kalantar-Zadeh K. Association of serum bicarbonate
levels with mortality in patients with non-dialysis-dependent CKD. Nephrol Dial Transplant. 2008 Dec 4;24(4):1232–7.
7. Heerspink HJL, Stefánsson B V., Correa-Rotter R, Chertow GM, Greene T,
Hou F-F, et al. Dapagliflozin in Patients with Chronic Kidney Disease. N Engl
J Med. 2020 Oct 8;383(15):1436–46.
8. Bakris GL, Agarwal R, Anker SD, Pitt B, Ruilope LM, Rossing P, et al. Effect of
Finerenone on Chronic Kidney Disease Outcomes in Type 2 Diabetes. N Engl
J Med. 2020 Dec 3;383(23):2219–29.
9. Pitt B, Filippatos G, Agarwal R, Anker SD, Bakris GL, Rossing P, et al. Cardiovascular Events with Finerenone in Kidney Disease and Type 2 Diabetes. N Engl
J Med. 2021 Dec 9;385(24):2252–63.

Pharmakogenetische Untersuchungen: genetische Unterschiede in der Metabolisierung von Opioiden

Genetische Unterschiede spielen eine wesentliche Rolle bei der therapeutischen Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln, sowie beim Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen derselben. So auch im Bereich von opioidischen Schmerzmitteln. Mit Fokus auf die Patientensicherheit lohnt es sich, die Verschreibung und Dosierung von Opioiden der genetischen Disposition anzupassen. Dieser Artikel erläutert die häufigsten Gene im Bereich der Anwendung von Opioiden.

Genetic differences play an essential role in the therapeutic efficacy and safety of drugs, as well as in the occurrence of undesirable side effects of the same. This is also the case in the field of opioid analgesics. With a focus on patient safety, it is worthwhile to adapt opioid prescribing and dosing to genetic disposition. This article explains the most common genes in the field of opioid utilisation.

Key Words: pharmacogenetics, opioid analgesics, genetic disposition

Fallbeispiel: 20jährige Studentin mit massiven postoperativen Schmerzen

Ausgangslage

Aufgrund eines Teratoms des Ovars musste sich eine 20jährige Patientin in gutem Ernährungs- und Allgemeinzustand einer laparoskopischen Entfernung unterziehen. Nach einer erfolgreichen Laparoskopie hatte sie trotz angepasster Analgesie (Fentanyl, Paracetamol, Voltaren intraoperativ, postoperativ Morphin i.v. und PCA, Catapresan, Novalgin, Lidocainperfusor) massive postoperative Schmerzen. Zitat des Anästhesisten: «So etwas habe ich mein Lebtag nicht gesehen! Ich würde das nächste Mal eine hohe PDA setzen.» Bei einer vorausgegangenen Laparoskopie war es ebenfalls bereits zu sehr starken postoperativen Schmerzen gekommen.

Pharmakogenetische Analyse

In einer genetischen Beratung wurde die Familiengeschichte anhand einer Stammbaumanalyse aufgearbeitet. Es stellte sich heraus, dass auch die Mutter bereits an starken, postoperativen Schmerzen gelitten hatte. Entsprechend stellte sich die Frage nach einer pharmakogenetischen Erklärung der Symptome, d.h. ob die Schmerzen auf eine genetisch bedingte, von der Norm abweichende Metabolisierung der Schmerzmittel zurückzuführen sein könnten. Durch eine genetische Analyse wurde diese Annahme bestätigt: So zeigten sich relevante Mutationen in den Genen CYP2D6, ABCB1, COMT und OPRM1, die allesamt relevant für die Metabolisierung von Opioiden sind.

Diskussion

Die Verwendung von Opioiden zur Schmerzlinderung im klinischen Alltag wird durch das Risiko schwerer unerwünschter Ereignisse und die grosse Variabilität des Dosisbedarfs erschwert. Dank pharmakogenetischen Untersuchungen (PGx) könnten Schmerzmittel möglicherweise auf die Grundlage des genetischen Hintergrunds einer Person angepasst werden. Viele potenzielle genetische Marker wurden bereits in der Fachliteratur beschrieben: Welche genetischen Varianten sorgen für eine zu schnelle oder zu langsame Metabolisierung und entsprechend verminderte Wirksamkeit? Die Bedeutung der genetischen Veranlagung für die Wirksamkeit und Toxizität von Opioiden wurde in Knockout-Mausmodellen und menschlichen Zwillingsstudien nachgewiesen. Die aktuelle Herausforderung besteht darin, zu bestimmen, auf welche der vielen potenziellen Gene sich die klinische Umsetzung konzentrieren sollte.

PD-bezogene Kandidatengene

CYP2D6

Das am häufigsten angesprochene Kandidatengen über Schmerzen ist das hochpolymorphe CYP2D6. Dieses Phase-I-Leberenzym ist an der biologischen Aktivierung von Codein in Morphin und Tramadol in O-Desmethyltramadol sowie an der Umwandlung von Oxycodon in den aktiven Metaboliten Oxymorphon und Hydrocodon in Hydromorphon beteiligt. Die genetische Variabilität in CYP2D6 kann in 4 Phänotypgruppen kategorisiert werden, nämlich ultraschneller Metabolisierer (UM), extensiver (oder normaler) Metabolisierer (EM), intermediärer Metabolisierer (IM) und schlechter Metabolisierer (PM). Es wurden über 100 verschiedene Allele entdeckt, von denen etwa 25% zu einem Gesamtverlust der Aktivität in vivo und 6% zu einer verminderten Aktivität führen. Die Verteilung der Phänotypgruppen ist ethnisch sehr unterschiedlich.

Mehrere Fallberichte haben schwere und sogar tödliche unerwünschte Ereignisse bei Personen mit genetisch beeinträchtigtem CYP2D6-Metabolismus beschrieben, die mit Codein und Tramadol behandelt werden. Am alarmierendsten ist, dass ein 13 Tage altes Kind durch Stillen durch die genetisch beeinträchtigte Mutter an Morphintoxizität starb. Ein weiterer Bericht betrifft einen Erwachsenen mit einem CYP2D6 UM-Status, bei dem in Verbindung mit einer CYP3A4-Wirkstoff-Interaktion und einer verminderten Nierenfunktion lebensbedrohliche Nebenwirkungen auftraten, während er mit Codein behandelt wurde (25 mg dreimal täglich). Neben Codein wurde über Tramadol-bedingte Atem­depression bei einem Kind mit obstruktiver Schlafapnoe und bei einem Erwachsenen mit Nierenversagen berichtet; beide hatten eine CYP2D6-Genduplikation.

OPRM1

Opioide wie Morphin und Fentanyl üben ihre analgetische Wirkung hauptsächlich über den μ-Opioid-Rezeptor (MOR) aus, der durch das OPRM1-Gen kodiert wird. Trotz der grossen genetischen Varia­bilität bei OPRM1 wurden in klinischen Studien nur eine handvoll Varianten behandelt. Mit einer hohen «minor allele frequency» (MAF) bei Weissen (15%) und Asiaten (40%) scheint 118A > G (Asn40Asp, rs1799971) die prominenteste Variante zu sein. In-vivo-Studien an 118A>G haben eine reduzierte Signaltransduktion für den Rezeptor, der diese Variante trägt, eine reduzierte OPRM1-Expression und eine reduzierte Bindungsaffinität von Morphin und seinem aktiven Metaboliten M6G gezeigt. Andererseits wurde eine höhere Bindungsaffinität für endogene Opioide festgestellt. In jüngerer Zeit zeigten 2 unabhängige Metaanalysen zu postoperativen Schmerzen bei Erwachsenen, Stichproben­umfang 8609 (1) bzw. 4607 (2), dass Träger der 118A > G-Variante tatsächlich einen höheren Opioidbedarf und ein geringeres Risiko für unerwünschte Ereignisse haben.

Wie Morphin weisen Alfentanil und Oxycodon bei Personen mit dem 118G-Allel eine geringere Affinität/Potenz für den MOR auf. Eine Metaanalyse (3) zur Verwendung von Fentanyl bei Wehenschmerzen ergab einen niedrigeren Bedarf bei Trägerinnen des kleineren 118G-Allels.
Die Wirkung dieser genetischen Variante scheint für Codein, Tramadol und Sufentanil nicht schlüssig zu sein. Kinder, die mit dem neonatalen Abstinenzsyndrom aufgrund der in-utero-Exposition von Opioiden geboren wurden und das 118G-Allel trugen, hatten mildere Symptome, was ein kürzerer Krankenhausaufenthalt und ein geringeres Risiko für eine Behandlung des neonatalen Abstinenzsyndroms zeigen.

Zusammenfassend scheint die 118A>G-Variante auf der Grund­lage der umfangreichen Literatur ein potenzieller Biomarker für den Einsatz in der klinischen Praxis zu sein. Wir müssen jedoch das Ausmass seiner Wirkung auf die Opioidreaktion im Vergleich zu anderen genetischen Varianten (z.B. CYP2D6) aufklären. Auch die scheinbar unterschiedliche Wirkung pro Opioidart erfordert mehr Forschung.

COMT & ABCB1

Neben OPRM1 und CYP2D6 sind die COMT- und die ABCB1-Gene die am häufigsten analysierten Kandidatengene im Schmerzbereich. COMT kodiert für das Enzym Catechol-O-Methyltransferase (COMT), das durch die Regulierung der MOR-Expression an zahlreichen physiologischen Funktionen beteiligt ist, einschliesslich der Schmerzwahrnehmung. Die ATP-Bindungskassettenunterfamilie­ B-Mitglied 1 (ABCB1), auch als P-Glykoprotein oder Multidrug Resistance Protein 1 (MDR1) bezeichnet, ist durch ihre Rolle als Effluxpumpe im Darm und an der Blut-Hirn-Schranke bekannt.

Verschiedene Studien kamen diesbezüglich aber zu unterschiedlichen Resultaten, so dass es weiterer Untersuchungen bedarf, um eine qualifizierte Aussage bezüglich Opioidbedarf resp. -risiken zu machen.

Fazit

Die Verabreichung von Opioiden an Patienten mit mittelschweren bis starken Schmerzen ist nicht ohne Risiko. Nebenwirkungen, die bei der Verwendung von Opioiden auftreten können, sind Verstopfung, Übelkeit, Erbrechen, Sedierung, Mundtrockenheit oder schlimmer noch, Atemdepression und Delirium. Ein wichtiges Hindernis für die Verwendung von Opioiden ist die grosse und unvorhersehbare Dosisvariabilität, die erforderlich ist, um eine angemessene Behandlung zu erreichen. Opioide werden derzeit auf der Grundlage der klinischen Präsentation des Patienten dosiert, wie sie anhand der Selbstberichterstattung des Patienten und/oder von Pflegefachpersonen mit validierten Schmerzskalen beurteilt wird. Dies ist ein Versuchs- und Irrtumsansatz, beginnend mit einer gemeinsamen Anfangsdosis. Dieser Ansatz führt bei einigen Patienten zu einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen, während andere Patienten möglicherweise unterbehandelt werden.

Die Anwendung von PGx bei der Schmerzbehandlung mit Opioiden hat das Potenzial, die Therapie zu verbessern und sicherer zu gestalten.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Dr. iur. Thomas D. Szucs

Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

thomas.szucs@hin.ch

Der Autor hat keinen Interessenskonflikt in Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die Verwendung von Opioiden zur Schmerzlinderung im klinischen Alltag wird durch das Risiko schwerer unerwünschter Ereignisse und die grosse Variabilität des Dosisbedarfs erschwert.
◆ Genetische Unterschiede spielen eine wesentliche Rolle bei der therapeutischen Wirksamkeit und Sicherheit von Schmerzmitteln, sowie beim Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen derselben.
◆ Nebenwirkungen, die bei der Verwendung von Opioiden auftreten
können, sind Verstopfung, Übelkeit, Erbrechen, Sedierung, Mund­trockenheit oder schlimmer noch, Atemdepression und Delirium.
◆ Pharmakogenetische Untersuchungen in Bezug auf die genetische Disposition im Bereich Opioid-Metabolisierung haben das Potenzial, die Therapie zu verbessern und sicherer zu gestalten. Die wichtigsten Gene in diesem Zusammenhang sind CYP2D6, OPRM1, COMT und ABCB1.

1. Zhang X, Liang Y, Zhang N, Yan Y, Liu S, Fengxi H, Zhao D, Chu H. The Relevance of the OPRM1 118A>G Genetic Variant for Opioid Requirement in Pain Treatment: A Meta-Analysis. Pain Physician. 2019 Jul;22(4):331-340. PMID: 31337162.
2 Hwang IC, Park JY, Myung SK, Ahn HY, Fukuda K, Liao Q. OPRM1 A118G gene variant and postoperative opioid requirement: a systematic review and meta-analysis. Anesthesiology. 2014 Oct;121(4):825-34. doi: 10.1097/ALN.0000000000000405. PMID: 25102313.
3 Song Z, Du B, Wang K, Shi X. Effects of OPRM1 A118G polymorphism on epidural analgesia with fentanyl during labor: a meta-analysis. Genet Test Mol Biomarkers. 2013 Oct;17(10):743-9. doi: 10.1089/gtmb.2013.0282. Epub 2013 Aug 2. PMID: 23909491.

Operative Therapie der Endometriose – Bestimmt das Ziel die Radikalität?

Am 10.-11. Februar fand am Universitätsspital Zürich der 9. Internationale Kongress für Gynäkologie, organisiert durch die Klinik für Gynäkologie unter der Leitung von Prof. Dr. med. Gabriel Schär, statt. Nationale und internationale Experten präsentierten in 4 Symposien aktuelle Daten in den Gebieten Allgemeine Gynäkologie, Gynäkologische Onkologie, Senologie und Urogynäkologie. Im Folgenden wird über ein Referat aus der allgemeinen Gynäkologie berichtet.

Zu den Grundprinzipien in der Therapie der Endometriose äusserte sich PD Dr. med. Dimitri Sarlos, Aarau, wie folgt: Die Endometriose ist eine chronische Erkrankung. Es gibt keine kausale Therapie. Das Therapiekonzept muss verschiedene Aspekte miteinbeziehen (Beschwerden, Kinderwunsch, Alter, Begleiterkrankungen, vorausgegangene Therapien und Operationen). Die Wahl der Therapie und mögliche Folgen (Komplikationen) sind mit der Patientin genau zu besprechen.

Chirurgische Therapie der Endometriose

Die Laparoskopie ist Gold-Standard in der Therapie der Endometriose (EM). Die Exzision von peritonealen EM-Herden führt zu einer deutlichen Verbesserung der Schmerzsymptomatik. Bei symptomatisch tief infiltrierender EM sollte eine makroskopische komplette Resektion erfolgen.

Ziele der chirurgischen Therapie sind: Festlegen des Ausmasses der Erkrankung (Staging), histologische Bestätigung und Ausschluss einer Malignität (Ovar), Verbesserung der Lebensqualität/Fertilität. Das Begleittrauma ist möglichst klein zu halten (Fertilität/Funk­tionalität).

Der Referent machte die folgenden Statements: Es gibt ein Dilemma zwischen Radikalität und Funktionserhaltung. Die Endometriose ist kein Tumor. Die Frage stellt sich, von welcher Läsion die Beschwerden kommen. Eine inkomplett operierte tief infiltrierende Endometriose sollte vermieden werden.

Endometriome

Der Referent nannte die folgenden Massnahmen: Histologische Klärung und Verbesserung der Schmerzsituation, Erhaltung/Verbesserung der Fertilität (der AMH-Wert ist bei Endometriomen signifikant tiefer und die Chirurgie traumatisiert die Ovarialreserve. Bei geplanten IVF die Endometriome <2-4cm belassen.

Chirurgie der Endometriose

Einfluss der Operation auf die Ovarialreserve: Einflussgrössen sind die Grösse des Endometrioms und die Bilateralität, das Rezidivendometriom; die Naht ist besser als die Koagulation. Die Erfahrung des Operateurs spielt eine Rolle. Die Zystektomie ist besser als die Ablation (Strom, Laser, Argon) betreffend Rezidiv und Schmerz. Ist eine IVF/ICSI-Behandlung geplant, verbessert die Zystektomie die Schwangerschaftsrate nicht.

Aus der S2K-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Endometriose 2020 ergeben sich die folgenden Massnahmen: Operation vor allem bei symptomatischen Patientinnen, AMH muss präoperativ bestimmt werden. Zystektomie, danach keine Koagulation aber Adaptation. Suspension zur Rezidivprophylaxe. Wenn IVF geplant ist: nicht operieren (<4cm), sofern schmerzfrei. Im Rezidivfall Vorsicht mit Zystektomie, vor allem bei Infertilität.

Tief infiltrierende Endometriose (DIE)

Sie wurde von Rokitansky 1860 erstmals beschrieben. Sie kann grundsätzlich überall auftreten (rektovaginal, vesikouterin, parametran) Es existieren verschiedene Klassifizierungssysteme (Keckstein J, 2017, Koninckx PR, 2012). Histologisch ist sie charakterisiert durch Entzündung und Fibrose. Die Fibrose führt zu veränderter Anatomie, fehlenden Schichten.

Grundsätze zur Chirurgie der rektovaginalen (RV) Endometriose
Die komplette Resektion der DIE und ein möglichst kleiner Kollateralschaden (Funktionalität) sind anzustreben. Es sollte in Arealen, wo keine Endometriose besteht, begonnen werden und die zu schonenden Strukturen sollten vor der Resektion dargestellt werden.
Die Radikalität bei der Therapie der RV Endometriose ist wichtig, weil die Komplettresektion die Schmerzen, die Dyspareunie, die Dyschezie und die Lebensqualität verbessert. Rezidive sind bei inkompletter Resektion häufig, Rezidivoperationen sind schwierig, Fibrose der Endometriose und postoperative Fibrose. Der Effekt auf die Fertilität ist unklar.

Risiken der Radikalität bei RV Endometriose sind RV Fisteln, Nahtinsuffizienzen (5-14%), persisitierende Realharnbildung (3-5%), Hypästhesien am Genitale und an Oberschenkeln.

Nervenläsionen der rektovaginalen Endometriose können vermieden werden durch nervenerhaltende Operation. Die relative Risikoreduktion für Restharn postoperativ gegenüber konventioneller Chirurgie beträgt 0.19. Allerdings cave Peritektomie (Nervi hypogastrici), cave Pararektale laterale Resektion (Nn Splanchnici). Der Operateur muss die Anatomie der Beckennerven gut kennen.

Kolorektale Endometriose: Prinzipiell existieren drei mögliche chirurgische Behandlungsmethoden bei kolorektaler Endometriose: «rectal shaving», diskoide Resektion und Segmentresektion des Rektums.

Der Vergleich der Segmentresektion versus Shaving oder Diskoide Exzision ergibt die folgenden Resultate: Anastomoseinsuffizienzen nach Segmentresektion in 3-5%. «Low anterior resection syndrome» bis zu 30%. Shaving ergibt weniger Komplikationen als Diskoide Exzision, Diskoide Exzision gibt weniger Komplikationen als Segmentresektion.

Indikationen für Segmentektomie: Dazu gehören mehrsegmentale Läsionen, Stenosen, grosse Noduli (ab 3-4cm), breitflächige Infiltration (ab 30% der Zirkumferenz).

Vermeiden der schweren Komplikationen bei Operationen der RV Endometriose: Der Referent empfiehlt Shaving, Diskoide Exzision statt Segmentresektion, cave darmnahe Koagulation, seromuskuläre Rektumnaht nach Darmwandexzision, Dichtigkeitsprobe. Darm nicht unnötig devaskularisieren, bei sehr tiefer Anastomose (<5-6cm) protektives Ileostoma.

Fazit

  • Die operative Therapie der Endometriose ist komplex. Die Operation muss individualisiert durchgeführt werden.
  • Bei Endometriomen scheint die endokrine Zystektomie Methode der Wahl zu sein.
  • Rektovaginale EM sollte komplett exzidiert werden. Für rektovaginale EM ist Shaving besser als Diskoide Exzision/Segmentektomie. Nervenanatomie und Nerve-Sparing Surgery sind zu beachten. Selbstverständlich bestimmt das Ziel die Radikalität.

Quelle: 9. Gynäkologie-Kongress, Universitätsspital Zürich, 10.-11. Februar 2022

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Viollier Preis 2022

Der Viollier Preis wurde dieses Jahr zum 20. Mal anlässlich der Frühjahrsversammlung der Schweiz. Gesellschaft für Allgemeine
Innere Medizin (SGAIM) in Lausanne vergeben. Die Jury hatte die schwierige Aufgabe, aus den eingereichten Artikeln, die alle in hochkarätigen internationalen Zeitschriften mit hohem Impact Factor erschienen sind, den oder die Preisträgerin auszuwählen. Den mit 10’000 Franken dotierten Preis durfte nach geheimer Abstimmung Frau Stephanie Victoria Meier, MSc. von Dr. med. Edouard H. Viollier, VR-Präsident, persönlich entgegennehmen, als Auszeichnung für die Arbeit

Serum neurofilament light chain for individual prognostication of disease activity in people with multiple sclerosis: a retrospective modelling and validation study,

die in Lancet Neurology publiziert wurde. Die Preisträgerin hat diese Arbeit mit der Forschungsgruppe um Prof. Dr. Dr. Jens Kuhle vom MS Zentrum der Universität Basel durchgeführt.

Neurofilamente sind zellspezifische, zytoskelettale Proteine, welche bei neuronaler Schädigung in den extrazellulären Raum freigesetzt werden und von dort aus in den Liquor und in Spuren auch ins Blut gelangen, wo sie nur mittels hochsensitiver Verfahren nachgewiesen werden können (Abb. 1). In der preisgekrönten Studie wurde, basierend auf den Neurofilament-Werten von 5390 Kontroll­personen mit > 10’000 Serumproben aus den USA und Europa, eine Referenzdatenbank entwickelt, welche die Interpretation der gemessenen Neurofilament-Konzentrationen beim einzelnen Patienten ermöglicht. Bis anhin war dies nur im Gruppenvergleich, z.B. im Rahmen von Medikamentenstudien möglich.

E.H. Viollier, S.V. Meier, W.F. Riesen, P. Füglistaler

Für die Referenzdatenbank wurden die absoluten sNfL-Werte in Alters- und BMI-korrigierte sNfL-Perzentilen und -Z-Scores umgewandelt, da die absoluten sNfL-Konzentrationen durch diese Faktoren beeinflusst werden. Hierdurch konnte die Trennschärfe dieses Biomarkers im Blut entscheidend erhöht werden. Basierend auf der Schweizer MS-Kohorte (SMSC) und dem Schwedischen MS-Register konnten die Autoren erstmals für einen Blutbiomarker zeigen, dass erhöhte sNfL-Konzentrationen bei MS-Patienten und Patientinnen ein eindeutig erhöhtes Risiko für zukünftige Krankheitsaktivität voraussagen. Bemerkenswert ist, dass mit dieser präzisen Methodeerhöhte Konzentrationen von sNfL auch bei den Patienten und Patientinnen festgestellt werden können, bei welchen die MS subklinisch aktiv ist, d.h. wo klinische und MRI-Untersuchungen einen stabilen Verlauf vortäuschen. Mit diesen für physiologische Unterschiede adjustierten sNfL-Werten konnte auch, basierend auf einem einheitlichen Messparameter, die Wirkung verschiedener bei MS eingesetzter Therapien objektiv miteinander verglichen werden. Die Messung von sNfL-Z-Scores bzw. -Perzentilen hat für MS-Betroffene eine unmittelbare praktische Bedeutung. Sie erleichtert bei Therapiebeginn oder -wechsel eine individuell angepasste Medikamentenauswahl und ermöglicht das Monitoring des Therapie­effektes mit höherer Sensitivität als mit den bisherigen klinischen und radiologischen Methoden.

Quelle: Pascal Benkert*, Stephanie Meier*, Sabine Schaedelin, Ali Manouchehrinia, Özgür Yaldizli, Aleksandra Maceski, Johanna Oechtering, Lutz Achtnichts, David Conen, Tobias Derfuss, Patrice H Lalive, Christian Mueller, Stefanie Müller, Yvonne Naegelin, Jorge R Oksenberg, Caroline Pot, Anke Salmen, Eline Willemse, Ingrid Kockum, Kaj Blennow, Henrik Zetterberg, Claudio Gobbi, Ludwig Kappos, Heinz Wiendl, Klaus Berger, Maria Pia Sormani, Cristina Granziera, Fredrik Piehl, David Leppert, Jens Kuhle, for the NfL Reference Database in the Swiss Multiple Sclerosis Cohort Study Group. Serum neurofilament light chain for individual prognostication of disease activity in people with multiple sclerosis: a retrospective modelling and validation study. Lancet Neurology 2022; 21: 246–57.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch