Schlafstörungen im Zusammenhang mit Ernährung und Verdauungserkrankungen

Schlafstörungen im Zusammenhang mit Ernährung und Verdauungserkrankungen: ein vernachlässigter klinischer Zustand.

Schlafstörungen betreffen viele Menschen auf der ganzen Welt und ihre Prävalenz nimmt zu. Schätzungen zufolge leiden bis zu 70 Millionen Menschen in den USA und 45 Millionen in Europa an einer chronischen Schlafstörung, die sich negativ auf die Gesundheit und die Lebensqualität auswirkt (1, 2). Eine aktuelle Übersichtsarbeit (3) fasst die Daten zusammen, die Schlafstörungen mit der Ernährung und einer Reihe von Krankheiten in Verbindung bringen, darunter gastroösophagealer Reflux, peptische Erkrankungen, funktionelle gastrointestinale Störungen, entzündliche Darmerkrankungen, Veränderungen der intestinalen Mikrobiota, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen und Fettleibigkeit. Die Beweise für die komplexe Interaktion zwischen Schlafstörungen, Ernährung und Verdauungserkrankungen werden diskutiert.

Schlafstörungen sind häufig die Folge eines unangemessenen Lebensstils, falscher Ernährungsgewohnheiten und/oder von Verdauungserkrankungen. Diese klinische Situation wurde in dieser Hinsicht jedoch noch nicht ausreichend erforscht. Mehrere Studien haben einen Zusammenhang zwischen dem zirkadianen Synchronisationssystem und der Physiologie der Kontrollmechanismen des Stoffwechsels, der Regulierung des Energiehaushalts und der Ernährung hergestellt. Es wird angenommen, dass Schlafstörungen Verdauungsstörungen auslösen oder umgekehrt eine spezifische klinische Manifestation von gastrointestinalen Erkrankungen darstellen. Ein schlechter Schlaf kann die Symptome von Magen-Darm-Erkrankungen verschlimmern und die Lebensqualität beeinträchtigen. Umgekehrt gilt dies auch. Ein kurzer Schlaf kann die Wahl der Nahrungsmittel sowie den Zeitpunkt der Mahlzeiten beeinflussen, und das circadiane System führt zu zeitlichen Veränderungen in den Stoffwechselmustern. Neue Daten legen nahe, dass Patienten mit unangemessenen Essgewohnheiten und chronischen Verdauungsstörungen im Vergleich zu gesunden Menschen oft weniger schlafen und eine geringere Schlafeffizienz aufweisen. Schlafstörungen könnten daher ein Primärsymptom von Verdauungserkrankungen darstellen. Weitere kontrollierte Studien sind erforderlich, um den Zusammenhang zwischen Schlafstörungen, Essgewohnheiten und Verdauungsstörungen genau zu verstehen. Es ist auch denkbar, dass sich die Beurteilung der Schlafqualität als nützlich erweisen könnte, um positive Interventionen durchzuführen und die Lebensqualität eines Teils der Patienten zu verbessern.

Der Zusammenhang zwischen Ernährung, Essenszeiten und Schlaf ist wechselseitig, da der zirkadiane Rhythmus zu Veränderungen des Stoffwechselmusters führt, während Veränderungen des Stoffwechsel- und Ernährungsstatus den zirkadianen Rhythmus beeinflussen. Schlechter Schlaf wird systematisch mit Veränderungen des zirkulierenden Melatonins, Cortisols, Ghrelins und Leptins in Verbindung gebracht, aber die Existenz zusätzlicher Mechanismen ist wahrscheinlich.

Es wurden auch Assoziationen zwischen einer kurzen Schlafdauer, einer hohen Gesamtenergieaufnahme und einer minderwertigen Ernährung gefunden. Menschen mit wenig Schlaf haben oft ein unregelmäßiges Essverhalten und nehmen ihre Hauptmahlzeit spät am Tag ein. Schlafstörungen und Schlafmangel können entweder zu viszeralen Störungen führen oder diese verschlimmern, können aber auch ihrerseits ein Symptom der Krankheit darstellen. Chronische Verdauungserkrankungen wie der gastroösophageale Reflux und gastroduodenale Erkrankungen, funktionelle und entzündliche gastrointestinale Störungen und Lebererkrankungen führen oft zu kürzerem und schlechterem Schlaf. Die Daten beruhen jedoch hauptsächlich auf Studien von schlechter Qualität. Daher sind ausreichend starke epidemiologische Studien und kontrollierte Versuche mit Personen, die an chronischen Schlafstörungen leiden, erforderlich, um die Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu bestätigen. Versuche zur Schlafverlängerung, an denen Patienten mit Magen-Darm-Störungen beteiligt sind, sind ebenfalls erforderlich, um Beweise für den Zusammenhang zwischen Magen-Darm-Störungen, Ernährung und Schlafdauer und -qualität zu liefern.

Ein integrierter Ansatz, an dem Schlafspezialisten und Gastroenterologen beteiligt sind und der validierte Fragebögen und die ICSD-3-Klassifikation verwendet, wird daher empfohlen, um das spezifische Schlafmuster zu definieren und zu kategorisieren, das durch gastrointestinale Störungen beeinträchtigt wird oder an diesen beteiligt ist. Ein fachübergreifender Ansatz könnte in der Tat zu einem besseren Verständnis der komplexen bidirektionalen Interaktion zwischen Schlafstörungen und Erkrankungen des Verdauungstrakts führen und möglicherweise neue therapeutische Ziele zur Verbesserung der Lebensqualität der Patienten aufzeigen.

Quelle: Vernia F et al. Les troubles du sommeil liés à la nutrition et aux maladies digestives :un état clinique négligé. Int J Med Sci 2021;18 (3) :593-603

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Colten HR, Altevogt BM. Institute of medicine, committee on sleep medicine and research, board on health sciences policy. Sleep disorders and sleep deprivation: an unmet public health problem. Washington DC, USA: National Academies Press. 2006.
2. 2. Olesen J, Gustavsson A, Svensson M, Wittchen HU, Jönsson B; CDBE 2010 Study Group. European brain council the economic cost of brain disorders in Europe. Eur J Neurol. 2012;19:155–162
3. Vernia F, Di Ruscio M, Ciccone A, et al. Sleep disorders related to nutrition and digestive diseases: a neglected clinical condition. Int J Med Sci. 2021;18(3):593-603.

Praxiserfahrungen mit Bictegravir/Emtricitabin/Tenofovir Alafenamid

Praxiserfahrungen mit Bictegravir/Emtricitabin/Tenofovir Alafenamid in einem grossen klinischen Referenzzentrum

Reverese-Tranksriptase-Inhibitoren werden in Kombination mit Intergase-Inhibitoren zur initialen HIV-Therapie eingesetzt. Bictegravir ist ein neuer Integrase-Inhibitor mit hoher antiviraler Aktivität, der ein geringes Potenzial für Wechselwirkungen zeigt (1,2). Der Einsatz einer Coformulierung von Bictegravir/Emtricitabin/Tenofovir Alafenamid (BIC/FTC/TAF) stützt sich hauptsächlich auf solide, zulassungsrelevante klinische Studien (3-5). Dabei zeigte Bictegravir eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit sowie ähnliche Knochen-, Nieren- und Lipidprofile und gastrointestinale Verträglichkeit wie Dolutegravir, Abacavir und Lamivudin bei behandlungsnaiven Erwachsenen mit HIV-1-Infektion, ohne dass eine behandlungsbedingte Resistenz entwickelt wurde.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurden nun die Real World-Erfahrungen bei Patienten, die mit Bictegravir /Emtircitabin/Tenofovir/Alafenamid behandelt wurden untersucht (6).

Es handelte sich um eine retrospektive Beobachtungsstudie an einem einzigen Zentrum. Es wurden alle erwachsenen, therapienaiven (TN) und therapieerfahrenen (TE) Patienten mit HIV (PLWH) eingeschlossen, die ab dem 8. Juni 2018 eine Therapie mit BIC/FTC/TAF begannen. Die Autoren bewerteten die Wirksamkeit unter Behandlung (OT), modifizierte Intention-to-Treat (mITT) und Intention-to-Treat (ITT), die Verträglichkeit und Sicherheit bei den Patienten, die eine Nachbeobachtungszeit von 6 Monaten erreichten (M6).

Resultate

Es wurden insgesamt 1584 PLWH in die Studie eingeschlossen [213 TN (13%) und 1371 TE (87%)]. Der Median (IQR) der Nachbeo­bachtungszeit betrug 16 (7-21) Monate, wobei 81 % und 53 % der PLWH M6 bzw. M12 erreichten. Nach OT, mITT und ITT lag die HIV-RNA <50 Kopien/ml bei 77%, 70% und 62% bei M6 und 92%, 77% und 63% bei M12 für TN PLWH und 94%, 89% und 83% bei M6 und 93%, 85% und 78% bei M12 für TE PLWH, jeweils. Bei PLWH, die eine M184V/I-Substitution tragen, lag die OT-RNA <50 Kopien/ml bei 89,5 % in M6. Die mediane CD4-Zellzahl stieg bei TN-PLWH von 329 auf 511/μL und bei TE-PLWH von 630 auf 683/μL zu M6. 1148 (88 %) der PLWH setzten die Behandlung mit BIC/FTC/TAF nach M6 fort. Der häufigste bekannte Grund für den Abbruch der Behandlung war Toxizität [42 (69 %) Fälle]; nur 7 Fälle wurden als virologisches Versagen betrachtet (0,6 % der gesamten OT-Kohorte zu M6), wobei keine Substitutionen durch neu auftretende Resistenzen.

Schlussfolgerungen

In der Praxis zeigte die Coformulierung BIC/FTC/TAF hohe Raten virologischer Suppression, auch bei PLWH mit Lamivudin/Emtricitabin-Resistenzsubstitutionen. Die Verträglichkeit und Sicherheit von BIC/FTC/TAF waren gut, und bei Patienten, die dieses Regime bis M6 einnahmen, wurde eine hohe Persistenz beobachtet.

Weitere Vorteile sind, dass bei der Kombination aus Bictegravir, Emtricitabin und Tenofovir-Alafenamid es nicht nötig ist, den HLA-B*5701-Status des Patienten zu überprüfen und dass die Behandlung ebenfalls die Therapie einer Koinfektion mit Hepatitis B erlaubt.

Quelle: Ambrosioni J et al. Real-life experience with bictegravir/emtricitabine/tenofovir alafenamide in a large reference clinical centre. J Antimicrob Chemother 2022 Mar 31;77(4):1133-1139.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Gallant JE et al. Antiviral activity, safety, and pharmacokinetics of bictergravir as 10-day monotherapy in HIV-1 infected adults. J Acquir Immune Defic Syndr 2017;
75 :61-66
2. Tsiang M et al . Antiviral acitivty of bictegravir (GS-9883), a novel potent HIV-1
integrase strand transfer inhibitor with an improved resistance profile. Antimicrob Agents Chemother 2016 ;60 :7086-7097
3. Markham A. Bictegravir : First global approval Drugs 2018;78:601-606
4. Molina JM et al. Switching to fixed-dose bictegravir, emtricitabine, and tenofovir alafenamide from dolutegravir plus abacavir and lamivudine in virologically suppressed adults with HIV-1: 48 week results of a randomised, double-blind, multicentre, active-controlled, phase 3, non-inferiority trial.Lancet HIV. 2018 Jul;5(7):e357-e365.
5. Sax PE et al. Coformulated bictegravir, emtricitabine, and tenofovir alafenamide versus dolutegravir with emtricitabine and tenofovir alafenamide, for initial treatment of HIV-1 infection (GS-US-380-1490): a randomised, double-blind, multicentre, phase 3, non-inferiority trial..Lancet 2017 ;390 :2073-2082
6. Ambrosioni J et al. Real-life experience with bictegravir/emtricitabine/tenofovir alafenamide in a large reference clinical centre. J Antimicrob Chemother 2022 Mar 31;77(4):1133-1139.

Erschöpfungszustände und integrales Kapazitätsmanagement

«Ich bin so müde» – mehrmals am Tag höre ich diese Aussage von Patientinnen, von KollegInnen von FreundInnen.

Viele sprechen v.a. von einer emotionalen Müdigkeit, einer Erschöpfung, Antriebslosigkeit, auch eine körperliche Müdigkeit wird beklagt. Nicht selten wird die Corona-Pandemie mit den entsprechenden Massnahmen immer noch als Grund angefügt. Die Notwendigkeit, in der Familie maximale Flexibilität gegenüber z.B. dem Home­schooling, den Familienmitgliedern – erkrankt oder in Quarantäne – zu zeigen, hat erschöpft.
Dazu kommen Veränderungen am Arbeitsort, viele notfallmässige Einsätze v.a. im Spital, da KollegInnen oder Angehörige erkrankt sind.
Seit wir im Spital die Maske nicht mehr tragen müssen, fällt mir zudem auf, dass ich über zwei Jahre die Patientinnen und meine Kolleginnen nur mit hoher Konzentration richtig verstehen konnte, da mit der Maske ein grosser Teil der Mimik und somit der nonverbalen Kommunikation wegfiel.

Es war ermüdend, einen ganzen Tag Sprechstunde zu halten, die Maske klebte einem immer mehr am Mund und Sauerstoffmangel machte sich bemerkbar.

Im Spital hat die Müdigkeit, die Erschöpfung beim Personal bereits grosse Auswirkungen. Es besteht ein erheblicher Personalmangel in verschiedenen Spitälern v.a. beim Pflegepersonal. Es werden wesentliche Bemühungen durchgeführt, um diese Engpässe abzuschwächen, sei es mit attraktiveren Arbeitsbedingungen und somit leichterem Rekrutieren oder mit Professionalisierung des Kapazitätsmanagements der Spitäler. Dieses sogenannte integrale Kapazitäts­management (IKM) beinhaltet ein gemeinsames Disponieren und Abstimmen der verschiedenen Organisationseinheiten wie Operationskapazität, Betten­kapazität und Ips bereits bei der Planung. Kennzahlen werden erhoben und gesammelt, Abläufe simuliert, um mit den Annahmen für die prospektive Planung möglichst nahe an der Realität zu sein, v.a. in einem Betrieb mit reichlich Notfalleintritten. So sollen auch Mitarbeitende vor Überlastung geschützt werden.

Das Ganze funktioniert vor allem dann, wenn sich alle Berufsgruppen als Team verstehen. Wird bekannt, dass es an gewissen Orten akut oder auch längerfristig zu wenig Personal hat, muss dies gemeinsam gelöst werden, mit gegenseitigem Vertrauen und Wertschätzung. Dann geben erfahrungsgemäss alle ihr Bestes und suchen nach konstruktiven Lösungen.

Manchmal ist die Müdigkeit aber auch Krankheits­bedingt, dies gilt es nicht zu verpassen. Deshalb lege ich Ihnen den Artikel der Kolleginnen Dr. med. Frey und KD Dr. med. Weber sehr ans Herz.

Und nun wünsche ich viel Kraft und Energie für einen wunderbaren Sommer. Mit herzlichem Gruss

 

KD Dr. med. Stephanie von Orelli
stephanie.vonorelli@stadtspital.ch

KD Dr. med. Stephanie von Orelli

Stadtspital Triemli
Frauenklinik
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

stephanie.vonorelli@zuerich.ch

Chronisch rezidivierende vaginale Infektionen

Die beiden häufigsten chronisch rezidivierenden vaginalen Infektionen sind die bakterielle Vaginose (BV) und die chronisch rezidivierende Vulvovaginalcandidose (VVC). Diese Erkrankungen verursachen bei vielen Frauen hohen Leidensdruck und Therapiebedarf. Eingesetzt werden bei der VVC lokal oder systemisch angewandte Antimykotika und bei der BV eine lokale Erhaltungstherapie mit Antibiotika. Obgleich Studien zu Impfungen bei VVC oder die Einnahme eines neuen Biotherapeutikums (lebende Lactobacillus-Stämme) Hoffnung auf therapeutische Möglichkeiten geben, sind neue, erfolgsversprechende Medikamente oder Therapiemöglichkeiten leider noch nicht auf dem Markt zugelassen.

The two most common chronic recurrent vaginal infections are bacterial vaginosis (BV) and chronic recurrent vulvovaginal candidosis (RVVC). These diseases cause high suffering and need for therapy in many women. Antifungal agents applied locally or systemically are used for the VVC, and local maintenance therapy with antibiotics is used for BV. Although studies on vaccination in VVC or the use of a new biotherapeutic (live Lactobacillus strains) give hope for therapeutic possibilities, new promising drugs or therapeutic options are unfortunately not yet approved on the market.

Key Words: Chronic recurrent vaginal infections, bacterial vaginosis, recurrent vulvovaginal candidosis

Eine Vaginitis ist eine Entzündung der Vaginalschleimhaut entweder infektionsbedingt oder nicht-infektionsbedingt, gelegentlich ist auch die Vulva mitbeteiligt.

Vaginale Entzündungen mit den Symptomen Juckreiz, vaginales Brennen und veränderter Ausfluss gehören zu den häufigsten Gründen, warum Frauen sich in der gynäkologischen Praxis vorstellen.

Es kann sich hierbei um ein akutes und einmaliges Ereignis oder um ein rezidivierendes oder auch chronisch rezidivierendes Krankheitsbild handeln.

Je nach Alter und Lebensabschnitt kommen verschiedene Formen der Vaginitiden vor. Tabelle 1 zeigt die häufigsten Krankheitsbilder, unabhängig vom akuten oder chronischen Verlauf.

Im Folgenden wird hier nur auf die vaginalen Infektionen eingegangen, insbesondere auf die zwei häufigsten, die BV und die VVC und deren chronisch rezidivierende Krankheitsverläufe.

Die bakterielle Vaginose (BV)

Per definitionem ist die BV eine vaginale Dysbiose, gekennzeichnet durch das Überwachsen der normalen Vaginalflora mit opportunen Bakterien. Entgegen der Erwartung zeichnet sich die Vaginalflora der Dysbiose durch eine hohe Diversität und das Vorhandensein von fakultativ anaeroben Bakterien, wie z.B. Gadnerella vaginalis, Prevotella species, Bacteroides species und vielen mehr aus.
Ausserdem kommt es zu einer relativen Abnahme der physiologisch vorkommenden Vaginalbakterien, d.h. der Lactobazillen.

Die Rolle des Biofilms

Die gesunde Vaginalflora zeichnet sich unter anderem durch eine die Vaginalschleimhaut bedeckende Bakterienschicht aus. Diese Bakterien (aus der Gruppe der Lactobacillen) bilden eine Vielzahl von antimikrobiell wirkenden Proteinen und Enzymen wie z.B. Wasserstoffperoxid und Milchsäure, welche helfen, die natürliche Barrierefunktion der Vagina aufrecht zu halten.

Wenn diese Vaginalflora gestört wird und es zur sogenannten Dysbiose kommt, entsteht ein verändertes «neues» Mikrobiom. Synergistische Faktoren verschiedener pathogener Bakterienstämme begünstigen die Degradierung der normalen, schützenden Bakterienschicht und bewirken ein besseres Anhaften von weiteren pathogenen Bakterien am Vaginalepithel.

Es entsteht in der Folge ein neuer, für die BV typischer Biofilm.
Das Vorhandensein des Biofilms scheint auch Konsequenzen für die Therapie zu haben, so ist beim Vorliegen des Biofilms die Behandlung der BV erschwert und die Rezidivrate erhöht.

Eine Studie von Swidinski et al konnte zeigen, dass der pathologische Biofilm nicht nur in der Vagina vorliegt, sondern auch bis in das Endometrium des Uterus vordringt (1).
Die Äthiologie der BV ist nicht vollständig geklärt, obwohl seit über 60 Jahre aktiv daran geforscht wird.

Symptome/Klinik

50-75% der Frauen mit einer BV sind asymptomatisch.
Die Symptome der bakteriellen Vaginose sind im akuten Ereignis die gleichen wie im chronisch rezidivierenden Setting:

  • Vermehrter dünnflüssiger Ausfluss
  • Fischiger Geruch des Ausflusses
  • Vaginale Irritation und Brennen (selten bei alleiniger BV)

Prävalenz der BV

Bei Frauen im reproduktiven Alter liegt die Prävalenz bei ca. 23-29% (siehe uptodate), weltweit bestehen aber grosse Unterschiede. Die Prävalenz variiert zwischen ca. 20-60 %, die höchste Prävalenz mit 58,3% besteht in Afrika (Subsahara), die niedrigste Prävalenz in Australien (4-8%) (2).

Begünstigende Faktoren für die Entwicklung einer BV

Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, welche mit dem Auftreten einer bakteriellen Vaginose in Zusammenhang gebracht werden, z.B. sexuelle Aktivität, mehrere Sexualpartner, frühe Kohabitarche, Häufigkeit von vaginal-penetrativem Geschlechtsverkehr und WSW (women having sex with women). Diese Faktoren erhöhen das Risiko eine BV zu entwickeln. Die BV gilt nicht als STD aber ist mit sexueller Aktivität assoziiert (2).

Diagnose

Diese wird entweder über die klinischen Amsel-Kriterien (Tab. 2) oder das mikrobiologische Gram-Präparat mittels Nugent-Score gestellt. Der Nugent Score wird durch Charakterisierung der verschiedenen Bakterienarten (grampositive Lactobazillen, gramnegative bzw. labile Stäbe, und gramlabile gebogene Stäbe), welche im Grampräparat beurteilt und ausgezählt werden, erhoben. Beim Vorliegen verschiedener Stämme werden unterschiedliche Punktwerte verteilt. Je höher der Punktwert, desto wahrscheinlicher ist das Vorliegen einer bakteriellen Vaginose. Diese Nachweismethode zur bakteriellen Vaginose gilt als Goldstandard, wird aber im klinischen Alltag selten durchgeführt, da sie sehr zeit- und kostenintensiv ist. Diese Nachweismethode findet hauptsächlich Anwendung in der Forschung.

Behandlung der BV

Sowohl eine systemische antibiotische Therapie (z.B. Metronidazol 500mg 2×1 Tbl pro Tag über 7 Tage oder Clindamycin 300mg 2×1 Tbl. Pro Tag für 7 Tage) steht zur Verfügung, als auch die lokale Anwendung eines Antiseptikums (z.B. Fluomizin vaginal 1×1 Tbl für 7 Tage). Die Behandlung der akuten BV ist in den meisten Fällen erfolgreich. In der Literatur ist eine 80-90% Heilungsrate nach einem Monat angegeben (3). Eine Partnertherapie bei asymptomatischen Partnern ist nicht empfohlen.

Rezidivierende BV

Nach erfolgreicher Behandlung der BV ist die Rate an rekurrierenden Infektionen hoch mit ca. 58% im ersten Jahr (4). Leider gibt es in der Literatur keine einheitliche Definition der rezidivierenden BV, was die korrekte Diagnosestellung schwierig gestaltet. Im klinischen Alltag gilt das mehrmalige Wiederauftreten einer BV nach Behandlung als Hinweis für das Vorliegen einer rezidivierenden BV. So geht man bei mindestens drei Episoden einer BV innerhalb von 12 Monaten vom Vorliegen einer chronisch rezidivierenden BV aus. Es ist nicht klar, ob es sich bei der chron. rez. BV um eine Reinfektion oder um ein Rezidiv der Primärinfektion handelt. Für beide Hypothesen gibt es Argumente.

Für eine Reinfektion sprechen die Resultate einer Studie, bei der gezeigt wurde, dass Frauen, welche nach einer durchgeführten Therapie für eine gewisse Zeit sexuell abstinent waren, weniger Rezidive hatten (5).

Für die Reaktivierung einer persistenten Infektion sprechen die Resultate einer anderen Studie, bei der es nach Partnerbehandlung nicht zu einer Senkung der Rate an Rezidiven kam (6). Weitere Gründe, warum es zu einer chron. rez. Erkrankung kommt, sind die Persistenz des Biofilms durch die pathogenen Bakterien und die fehlende Restitution der lactobazillenreichen Vaginalflora. Wahrscheinlich ist die Entstehung einer chron. rezidivierenden Erkrankung demnach multifaktoriell.

Implikationen auf die Gesundheit

Neben der grossen Belastung, welche eine chronisch rezidivierende bakterielle Vaginose für die Patientinnen, ihre Partner/innen und die behandelnden Ärzt/innen bedeutet, hat das Vorliegen dieser Erkrankung auch zusätzlich negative gesundheitliche Folgen. So steigt beispielsweise beim Vorliegen einer BV das Risiko, sich an einer anderen sexuell übertragbaren Krankheit wie HIV, Chlamydien, Trichomonaden, Gonokokken oder Herpes simplex zu infizieren (7). Bei HIV-positiven Frauen, welche gleichzeitig an einer BV leiden, steigt das Risiko der Transmission von HIV an männliche Partner; dies erklärt man sich über vermehrtes «viral shedding» beim gleichzeitigen Vorliegen einer HIV-Infektion und einer bakteriellen Vaginose (8). Bei Schwangeren mit chron. rezidivierenden Vaginosen steigen die geburtshilflichen Risiken, z.B. das Frühgeburtsrisiko, das Spätabort- und IUFT-Risiko, das Risiko eines vorzeitigen Blasensprungs und das Risiko eines Amnioninfektionssyndroms. Ausserdem steigen die Risiken einer genitalen Infektion nach Abort und in der Postpartumperiode (9). Nicht bei allen Risiken ist geklärt, ob es eine Assoziation oder tatsächlich ein Kausalzusammenhang ist.

Behandlung der chronisch rezidivierenden bakteriellen Vaginose

Die Behandlung der rezidivierenden BV besteht momentan aus einer länger andauernden topischen Applikation von Metronidazol im Sinne einer Suppressionstherapie (2x wöchentlich über 6 Monate). Als Alternative kann auch Clindamycin eingesetzt werden, welches aber im Vergleich zum Metronidazol die Lactobazillenflora stärker angreift und somit die Restaurierung der normalen Vaginalflora verzögert. Auch bei länger anhaltenden Suppressionstherapien zeigen sich nach Abschluss häufig Rezidive resp. Reinfektionen (10). Ausserhalb der Schweiz (z.B. in den USA) wird die lokale Applikation von borsäurehaltigen Vaginalzäpfchen ergänzend vorgeschlagen, diese sollen den Biofilm zerstören und somit die Wirkung des Antibiotikums auf die Eradikation der die BV begünstigenden Keime verbessern. Borsäurehaltige Produkte sind jedoch in der Schweiz nicht verfügbar und nicht zugelassen. Die hohe Rezidivrate nach einer Behandlung erfordert dringend die Erforschung von neuen therapeutischen Möglichkeiten. Ein erfolgsversprechendes Produkt ist das Biotherapeutikum Lactin-V (lebende Lactobacillus crispatum Stämme). In einer randomisierten, doppel-blinden, plazebo-kontrollierten Studie (Phase 2a Studie), welche im Mai 2020 im New England Journal of Medicine publiziert wurde, konnte gezeigt werden, dass die 12-wöchige lokale vaginale Anwendung von LactinV nach Behandlung mit Metronidazol die Rezidivrate der BV im Vergleich zu Plazebo signifikant reduziert, nach 12 Wochen hatten 30% in der Lactin-V Gruppe ein Rezidiv der BV versus 45% in der Placebo-Gruppe, nach 24 Wochen waren es 39% Rezidive in der Lactin-V Gruppe und 54% in der Placebo-Gruppe (11).

Die vulvovaginale Candidose (VVC)

Die VVC ist die zweithäufigste Ursache für eine Vaginitis nach der BV, ca. 75% aller Frauen leiden mindestens einmal im Leben an einer VVC.

Definition

Eine VVC liegt vor, wenn eine Entzündung der Vagina und der Vulva (gel. auch übergreifend auf die Perineal- und Perianalregion) besteht und gleichzeitig Candiaerreger (Hyphen oder Pseudohyphen) in der Nativ-Mikroskopie nachgewiesen werden können. Die Diagnose wird daher meist klinisch und mit Hilfe der Nativ-Mikroskopie gestellt. Wenn die Nativ-Mikroskopie nicht aufschlussreich ist, kann eine Pilzkultur abgenommen werden. Dies ist besonders wichtig im Falle der chronisch rezidivierenden Erkrankungen, da nur beim tatsächlichen Vorliegen einer Candidainfektion eine chronische Erhaltungstherapie indiziert ist. Zu differenzieren sind hierbei insbesondere andere Ursachen für (meist) vulvären Juckreiz wie z.B. das atopische Vulvaekzem, als Dermatose oder Kondylombefall.

Äthiologie

Die Erreger bei der VVC sind in den meisten Fällen Hefepilze der Spezies Candida albicans (85-95 % der Fälle bei akuter VVC). In besonderen Situationen z.B. Immunsuppression, Diabetes mellitus können auch seltenere Nicht-Albicans Arten wie z.B. Candida glabrata oder Candida krusei für die Erkrankung verantwortlich sein. Es ist bekannt, dass bei einigen Frauen eine asymptomatische Kolonisation der Vagina mit Candida ohne Entzündungszeichen vorliegt. Der Übergang von Kolonisation zu Entzündung ist abhängig von verschiedenen Faktoren, diskutiert werden hier die individuelle Immunlage, die Infektabwehr und Virulenzfaktoren der Hefepilze. Unter Virulenzfaktoren versteht man bestimmte Enzyme oder Proteine der Candia-Hefen, welche eine Inflammation im Vaginalgewebe der Frau hervorrufen können. Dies sind z.B. verschiedene Proteasen, Lipasen und das Candidalysin. Invasion der Candida-Pilzen in das Gewebe, hierfür muss sich der Pilz von der Hefeform in die Hyphenform umwandeln, dieser Schritt wird durch das Vorhandensein von Östrogen erleichtert.

Prädisponierende Faktoren

Bestimmte Bedingungen, Erkrankungen oder Lebensabschnitte gelten als prädisponierend für eine VVC. Darunter zählt man unter anderem den Diabetes mellitus. Die erhöhten Serumglukosewerte (besonders bei schlecht eigestelltem Diabetes) erleichtern die Adhäsion der Pilze am Vaginalepithel und verlangsamen gleichzeitig wichtige Mechanismen der Abwehr wie zum Beispiel die Migration von neutrophilen Granulozyten.

Andere Faktoren, welche die Entstehung einer VVC begünstigen sind z.B. die Durchführung einer antibiotischen Behandlung, verändertes vaginales Mikrobiom mit geringer Anzahl von Lactobacillen, hormonelle Faktoren wie Schwangerschaft, Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva und Hormontherapie in der Menopause. Zusätzlich gibt es noch genetische Prädispositionen, welche eine VVC begünstigen wie z.B. atopische Diathese und angeborene Störungen des Immunsystems mit Immunsuppression. Nicht zuletzt werden Life-Style Faktoren diskutiert wie z.B. spezielle zuckerreiche Ernährung, psychosozialer Stress und sexuelle Praktiken. Hier ist die Evidenz jedoch gering (12).

Symptome

Das Hauptsymptom der VVC ist der Juckreiz und die vaginale Rötung mit Brennen. Oft besteht ein vermehrter und krümmelig-weisslicher Ausfluss. Zusätzlich geben Patientinnen das Gefühl von Wundsein an und leiden häufig an Dyspareunie und Dysurie.

Behandlung der chronischen VVC

Diese besteht immer aus einem Antimykotikum. Diese können sein: Imazolderivate für die topische Anwendung, Triazole für die systemische Applikation, ausserdem noch alternative Antimykotika wie Nystatin (Polyen) und Ciclopiroxicam. Ähnlich wie bei der bakteriellen Vaginose ist die Behandlung eines symptomlosen Sexualpartners nicht empfohlen. Die verschiedenen Präparate mit den entsprechenden Dosierungen sind in den Tabellen 3a und 3b aufgeführt.

Medikamentöse Therapie der VVC

Chronisch rezidivierende VVC

Wenn es nach der Behandlung einer VVC zu einem Rezidiv kommt und Frauen mindestens 4 Krankheits-Episoden innerhalb eines Jahres erleiden, besteht eine chronisch rezidivierende VVC. Die Behandlung der chron. rezidivierenden VVC ist eine Erhaltungs- bzw. Suppressionstherapie und es kommen die gleichen (meist oralen) Antimykotika zum Einsatz wie bei der akuten Erkrankung. Im klinischen Alltag existieren verschiedene Schemata, insgesamt gibt es wenig Evidenz, welches Schema am besten ist. Aber allgemein gilt, dass ungefähr ein Jahr lang deeskalierend, in der Regel mit einem azolhaltigen Antimykotikum behandelt werden sollte.

Zu den off-label Alternativen bei der Behandlung der VVC gehören borsäurehaltige Rezepturen und jodhaltige Desinfektiva, sowie Propolis (Bienenprodukt, harzartiger Masse mit antimykotischer Wirkung) und die Heilpflanze Salvia officinalis. Allen Präparaten ist gemeinsam, dass es keine wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit gibt.

Neue Therapieansätze, insbesondere immunologische Therapie werden untersucht. Leider ist bislang jedoch noch kein neues Präparat zur Behandlung der chron. rez. VVC zugelassen.

Erwähnenswert ist der Ansatz der Hyposensibilisierung gegen ein Candida abicans-Antigen und die Idee der Impfung. Im Tierversuch und bei ersten Studien an Menschen konnte nach Impfung die Bildung von Antikörpern nachgewiesen werden. In einer klinischen Studie konnte gezeigt werden, dass die Impfung mit einem rekombinant hergestellten Impfstoff, welcher aus einem spezifischen Candida-Protein und einem aluminiumhaltigen Adjuvans besteht, sicher, immunogen und therapeutisch wirksam ist. Es kam zu einer Reduzierung von symptomatischen VVC Episoden innerhalb von 12 Monaten (13).

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Nina Manz

Stadtspital Waid und Triemli
Frauenklinik
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

nina.manz@triemli.zuerich.ch

Es besteht kein Interessenkonflikt in Verbindung mit dem vorgelegten Artikel.

◆ Die chronisch rezidivierenden Vaginitiden führen zu häufigen
Konsultationen in der gynäkologischen Praxis, sind für die betroffenen Patientinnen eine grosse Belastung und gehen mit einem grossen individuellen Leidensdruck einher.
◆ Chronisch rezidivierende Infektionen haben zusätzlich negative gesundheitliche Folgen, z.B. das häufigere Auftreten von anderen gynäkologischen Infektionen. Zusätzlich steigen geburtshilfliche
Risiken.
◆ Die Therapie besteht bei den zwei häufigsten chronisch rezidivierenden vaginalen Infektionen aus einer antimikrobiellen bzw. antimykotischen Langzeit- oder Erhaltungstherapie.
◆ Es gibt wenig neue, innovative Therapien; zu nennen sind immunologische Ansätze wie z.B. die Desensibilisierung oder die Imfpung gegen Candida und die Verwendung von biologisch aktiven Lactobacillus Stämmen zur Behandlung der BV.

1. Swidsinski A, Verstraelen H, Loening-Baucke V, Swidsinski S, Mendling W,
Halwani Z. Presence of a polymicrobial endometrial biofilm in patients with bacterial vaginosis. PLoS One. 2013;8(1):e53997. doi: 10.1371/journal.pone.0053997. Epub 2013 Jan 8. PMID: 23320114; PMCID: PMC3540019.)
2. Coudray MS, Madhivanan P. Bacterial vaginosis-A brief synopsis of the literature. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 2020 Feb;245:143-148. doi: 10.1016/j.ejogrb.2019.12.035. Epub 2019 Dec 24. PMID: 31901667; PMCID: PMC6989391.
3. Joesoef MR, Schmid GP. Bacterial vaginosis: review of treatment options and
potential clinical indications for therapy. Clin Infect Dis. 1995 Apr;20 Suppl 1:S72-9. doi: 10.1093/clinids/20.supplement_1.s72. PMID: 7795111.
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Back to the roots? 20 Jahre Women’s Health Initiative Study

2022 jährt sich die erste Publikation zur Women’s Health Initiative-Studie (WHI-Studie) zum 20. Mal. Diese Studie wurde bei asymptomatischen Frauen mit einem mittleren Alter von 63 Jahren durchgeführt, von denen rund ein Drittel mit vorbestehenden Risikofaktoren belastet war. Diese Population ist für jüngere symptomatische peri- und früh postmenopausale Frauen nicht repräsentativ. Bei der Datenanalyse waren deshalb Subanalysen bei der jüngsten Altersgruppe zwischen 50-59 Jahren notwendig. Dies beeinträchtigte die statistische Power, führte aber zu neuen Erkenntnissen wie dem «Window of Opportunity». Die WHI-Studie muss immer im Zusammenhang mit anderen Studien interpretiert werden. Eine individualisierte transdermale E2-Gabe, wenn nötig kombiniert mit mikronisiertem Progesteron oder Dydrogesteron, kann auch nach der WHI-Studie als sicher gelten. Die Menopausale Hormon-Therapie deckt als einziges Therapieprinzip gleichzeitig die Behandlung des klimakterischen
Syndroms und die Frakturprävention ab.

2022 marks the 20th anniversary of the first publication on the Women’s Health Initiative study (WHI study). This study was conducted in asymptomatic women with a median age of 63 years, about one-third of whom had pre-existing risk factors. Such a population is not representative for younger symptomatic peri- and early postmenopausal women. Therefore, subanalyses were essential in the youngest age group between 50-59 years. This affected the statistical power, but allowed the discovery of new therapeutic laws such as the «window of opportunity». The WHI study must always be interpreted in the context of other studies. Transdermal estradiol, if needed combined with micronised progesterone or dydrogesterone is considered to be safe. Menopause Hormone Therapy is the only therapeutic principal that covers at the same time the treatment of the climacteric syndrome as well as fracture prevention.

Key Words: WHI Study – menopause – estrogens – climacteric syndrome – osteoporosis – cardiovascular diseases

Das späte Eingeständnis von WHI-Investigatoren, dass nach der Erstpublikation aus der WHI-Studie wissenschaftliche und ethische Regeln verletzt worden waren, erlaubt es, die Daten­lage zur Menopausalen Hormon-Therapie (MHT) objektiv in ihren methodischen Grenzen zu sehen. Die WHI-Studie hat neue Erkenntnisse gebracht wie die Existenz eines «günstigen Fensters» innerhalb dessen der Nutzen die Risiken überwiegt. Jede MHT erfordert eine klare individualisierte Indikation. In die Nutzen-Risiko-Abwägung müssen die günstigen Nebenwirkungen einer MHT ebenso wie die evidenzbasierten nicht-hormonalen Alternativen mit einbezogen werden. Eine individualisierte transdermale E2-Gabe, wenn nötig kombiniert mit mikronisiertem Progesteron oder Dydrogesteron, kann auch nach der WHI-Studie als sicher gelten. Diesen Sommer jährt sich die erste Publikation zur Women’s Health Initiative-Studie zum 20. Mal. Seither wurden die durch diese Studie aufgeworfenen Fragen weitgehend geklärt. Es ist daher zulässig, eine Bilanz zu ziehen.

Indikationen der Hormon-Ersatz-Therapie bis 2002

Vor 2002 galt, dass eine Hormonersatztherapie (HET) die Symptome des klimakterischen Syndroms lindert, die Lebensqualität nach der Menopause verbessert und die Abnahme der Knochendichte reduziert. Ein «International Position Paper on Women’s Health and Menopause» (1) hielt diese Punkte gestützt auf die bereits damals solide Evidenz (2-9) als Indikationen fest. Die Reduktion der gesamten und der kardiovaskulären Mortalität wurde im Lorenzini-Report als günstige Nebenwirkungen, aber nicht als Indikation aufgeführt.

Ziele der Women’s Health Initiative-Studie

Die WHI-Studie wollte zeigen, dass die Prävention weiterer estrogenmangel-bedingter Krankheiten, insbesondere der kardiovaskulären Erkrankungen, zu den Indikation einer HET gehören soll. Wegen der Vorgabe einer niedrigen Drop-Out-Rate in der Placebo­gruppe und einer raschen Rekrutierung schlichen sich folgende Biases in die Studie ein:

1. Die Behandlung des klimakterischen Syndroms war kein Studien­ziel. Symptomatische Frauen wurden ausgeschlossen. Das mittlere Alter betrug daher bei Studieneinschluss 63 Jahre, der mittlere Abstand zur Menopause 12 Jahre. Aus heutiger Sicht hätte in dieser älteren asymptomatischen Population eine HET nicht mehr begonnen werden dürfen.

2. Es wurden überproportional viele Frauen mit vorbestehenden Erkrankungen rekrutiert. Die Volontärinnen wiesen in 34%
einen BMI ≥ 30kg/m2, waren in 50 % Raucherinnen und litten in 36 % an einer arteriellen Hypertonie; knapp 13 % nahmen bereits Statine und 20 % eine Aspirintherapie ein.

Somit wurde für den WHI-Trial eine Studienpopulation selektioniert, die nicht der Normalpopulation entsprach, bei der in der Praxis eine HET verschrieben wird. Ungünstig wirkten sich auch die Wahl einer ausschliesslich peroralen HET mit konjugierten equinen Estrogenen (CEE) und Medroxyprogesteron-Azetats (MPA) aus, ein Gestagen mit glucocorticoider Partialwirkung. CEE und MPA waren 2002 Marktführer in den USA und wurden von einem Sponsor der Studie produziert.

Erste Analyse zur WHI-Studie und deren Folgen

Die erste Publikation zum WHI-Trial von 2002 (10) umfasste die Gesamtpopulation im Alter von 50-79 Jahren (mittleres Alter: 63 Jahre). Nur die Senkung des Frakturrisikos und der Anstieg venöser thrombo-embolischer Ereignisse waren signifikant (Abb. 1), alle andern Parameter veränderten sich nicht signifikant. Durch gezielte Leaks vor dem Erscheinen des Artikels bekamen Laienmedien einen Vorsprung vor den nicht informierten Experten (Abb. 2), was sich auf die Wahrnehmung der Studienresultate verheerend auswirkte (11). Leider wurde nicht nur in den Laienmedien übersehen,

  • dass sich diese Daten auf ältere und mit Krankheiten vorbelastete Frauen bezogen,
  • dass nicht zwischen korrigierten und unkorrigierten Resultaten unterschieden und dass nicht-signifikante Risikoveränderungen wie diejenige von Brustkrebs hochgespielt wurden.
  • dass die Risiken überschätzt und falsche Schlüsse zur Indikation der HET bei gesunden symptomatischen Frauen im Alter von 50-59 Jahren gezogen wurden.

Als direkte Folge dieses Artikels lehnten viele Frauen eine HET ab. Nach 2002 litten in den USA 20 % der Frauen unter 55 Jahren an starken klimakterischen Beschwerden, da die noch eingesetzten alternativen Methoden nicht wirksam genug waren. Dies liess nach 2002 auch Morbidität und Mortalität ansteigen:

◆ Zwischen 2002-2011 verstarben in den USA 58’000 Frauen im Alter von 50-59 Jahren mit Estrogenmangel vorzeitig. Diese vermeidbare Exzess-Mortalität betraf 13/10,000 Frauen/Jahr. 12 der 13 vorzeitigen Todesfälle waren kardiovaskulär bedingt (12, 13).
◆ Eine Abnahme der HET um 50 % führte in den USA zu einem um 50 % erhöhten Frakturrisiko, entsprechend 43’000 vermeidbaren zusätzlichen Frakturen/Jahr (14).

Erkenntnisse aus den Subanalysen zur WHI-Studie

Erst die ab 2007 publizierten Subanalysen in der Altergruppe von 50-59 Jahren erlaubten ein differenziertes Bild zu Nutzen und Risiken einer Menopausalen Hormon-Therapie (MHT = HET). Dies wurde mit einem Verlust an statistischer Power erkauft.

Totale Mortalität
Die Subanalyse von 2007 ergab für Frauen von 50-59 Jahren unter MHT eine um 30% verminderte totale Mortalität (p<0.05). Bei Frauen von 70-79 Jahren stieg sie an (15). Dies stimmte mit einer älteren Metaanalyse überein, welche für die totale Mortalität bei Frauen ≤ 60 Jahren unter MHT einen signifikanten Abfall der Odds Ratio (0,61; VI 0,39-0,95; 9) gefunden hatte. Die kumulativen 13-Jahres-Daten (27) zeigten unter CEE als einzigen Risikoanstieg eine nicht-signifikante Zunahme des Todes an Lungenembolien (Tab. 1). Alle andern in der Erstanalyse von 2002 (10) vermuteten Risiken sanken in absoluten Fallzahlen ab. Die kumulativen 18-Jahres-Daten zeigten für die gesamte Studienpopulation, alle Altersgruppen und beide Studien (CEE allein und CEE+MPA) zusammengenommen, für die Interventionsphase und den kumulativen Follow-Up keine Veränderungen der totalen, der kardiovaskulären und der krebsbedingten Mortalität (28). In der Interventionsphase kam es für Frauen zwischen 50-59 Jahren im Gegenteil zu einer signifikanten Reduktion der Mortalität (Hazard Ratio 0,69 (p = 0,01) (28). Diese Ergebnisse bestätigen ältere Langzeitresultate (29, 42). Auch die NHS (30) fand bis zu einer Beobachtungszeit von 36 Jahren keinen Anstieg der Gesamtmortalität.

Kardiovaskuläre Mortalität

Der Tod an koronaren Herzkrankheiten nahm in der WHI-Studie unter MHT signifikant ab (Tab. 1). Dies überrascht nicht, da perorale und transdermale Estrogene unter anderem die Inzidenz von Diabetes mellitus senken (28, 31-33) und einen günstigen Effekt auf die Arterienwand ausüben (34). Nach Absetzen der MHT steigt das Risiko wieder an (13).

Das Brustkrebs-Risiko

Unter CEE fiel das Risiko für Morbidität und Mortalität an Brustkrebs nach einem medianen Follow-Up von 11,8 Jahren signifikant (37). Die kumulativen 13-Jahres Daten fanden eine nicht-signifikant gesenkte Mortalität an Brustkrebs, die auch nach 18 Jahren erniedrigt blieb (38). Dies könnte auch dadurch erklärt werden, dass Frauen mit metabolischem Syndrom und Adipositas in der WHI-Studie überrepräsentiert waren. In einem RCT bei einer dänischen Normalpopulation fand sich nach 16 Jahren für Brustkrebs keine Risikoveränderung (29). Die NHS (30) beobachtete erst bei einer HET-Einnahme von >20 Jahren einen Anstieg des relativen Risikos auf 1,42. (95% VI 1,13–1,77). Bei Beginn innerhalb des «günstigen Fensters» ist nach der Internationalen Menopausegesellschaft (IMS; 20) das Risiko eines mit einer MHT assoziierten Mammakarzinoms klein und wird auf weniger als 0.1 % pro Jahr oder auf eine Inzidenz von <1.0 per 1000 Frauen pro Anwendungsjahr geschätzt. Dies ist vergleichbar oder niedriger als alltägliche Risiken wie geringe körperliche Aktivität, Adipositas oder Alkoholeinnahme (20, 21). Dennoch hält sich das Misstrauen gegenüber einer MHT weiter, obwohl in der Schweiz sechsmal mehr Frauen an Herz-Kreislauf-Krankheit als an einem Brustkrebs sterben (Abb. 3).

Das Eingeständnis von 2016

Das offizielle Eingeständnis der Schwächen der WHI-Studie kam erst 2016 über eine Review mit dem Titel ««Getting Clinical Care back on Track» (25). Sie wurde von WHI-Investigatoren verfasst und enthält folgende Kernaussagen:

  • Die Resultate aus der WHI-Studie bei älteren Frauen wurden auf unangemessene Weise dazu benützt, um therapeutische Entscheide für jüngere Frauen in ihren 40-ern und 50-ern zu treffen. Damit wurden wissenschaftliche und ethische Regeln verletzt.
  • Die systemische MHT ist die wirksamste heute verfügbare Behandlung der klimakterischen Symptome und sollte bei Fehlen von Kontraindikationen bei mittelstarken bis schweren vasomotorischen Symptomen empfohlen werden.
  • Unbehandelte menopausale Symptome sind mit höheren Gesundheitskosten und einem Verlust an Leistungsfähigkeit verbunden.
  • Das Widerstreben gegen die hormonelle Behandlung klimakterischer Beschwerden ist nach der WHI-Studie entgleist und führte zu einer grossen und unnötigen Last an Leiden und zur Propagierung von ungeprüften und unregulierten Ersatzbehandlungen, welche die Gesundheit von peri- und postmenopausalen Frauen nachhaltig schädigen können.
  • Es hat sich der Konsensus herauskristallisiert, dass der Nutzen einer MHT die Risiken überwiegt

Mit dieser Review schlossen sich die WHI-Autoren den internationalen und nationalen Empfehlungen an (Global Consensus, Empfehlungen der IMS, Schweizer Expertenbrief) (20, 21, 26).

Erkenntnisse zur modernen MHT aus anderen Studien

Gleichzeitig zum WHI-Trial wurden vor allem in Europa Studien zu nicht-oralen Präparaten und zu metabolisch günstigen Gestagenen vorangetrieben.

Transdermal oder peroral?

Eine transdermale Gabe von E2 vermeidet den Anstieg von thrombo-embolischem Risiko und CVI einer oralen MHT, solange die Standarddosis von 50µg E2/Tag nicht überschritten wird (16-19). Orale und transdermale MHT unterscheiden sich nicht in ihrer Wirkung auf das klimakterische Syndrom, das Skelett und auf die Brust.

Welches Gestagen?

Gestagene beeinflussen das Risiko einer Estrogentherapie. Nicht alle Gestagene haben das gleiche metabolische Risikopotential. Ein Klasseneffekt für Gestagene existiert nicht. Die Zugabe von mikronisiertem Progesteron oder Dydrogesteron zu E2/EV besitzt ein signifikant niedrigeres Risiko für das kardiovaskuläre System, Bustkrebs und thrombo-embolische Ereignisse als diejenige anderer Gestagene (16-19, 22-24); weiterführende Literatur in (20, 21).

Wie lange behandeln?

In Europa geben im Mittel 74% (Range 60%-88%) aller Frauen klimakterische Symptome an. Oft wird unterschätzt, wie lange VMS andauern können (39-41):

  • rund 25 % aller Frauen leiden noch mit > 65 Jahren unter VMS
  • Bei 85-jährigen Frauen litten noch 16 % tagsüber und/oder nachts an VMS, 10 % litten stark bis mittelstark darunter
  • in dieser Gruppe benötigten 6,5 % noch regelmässig eine MHT

Die Fortführung einer MHT nach dem Alter von 65 Jahren darf somit nicht willkürlich limitiert werden. Die Indikation muss jährlich auf das Auftreten von Kontraindikationen überprüft werden. Bei Frauen ≥ 60 Jahren wird bei Verdacht auf fortgeschrittene Athero­sklerose eine Messung der Carotis-Intima-Media-Dicke empfohlen.

Indikationen für eine MHT 2022

Behandlung des klimakterischen Syndroms

Die MHT bleibt die wirksamste Behandlungsmöglichkeit schwerer klimakterischer Beschwerden, die auf nicht-hormonale Möglichkeiten nicht ansprechen (Abb. 4). Oft reicht für klimakterische Symptome eine niedrigere als die Standard-Dosierung aus (2mg E2 peroral, 50µg E2 transdermal, 1,0–1,5mg E2 als Gel pro Tag). Bei symptomatischer vaginaler Atrophie ist die lokale niedrig dosierte Gabe von Estrogenen oder DHEA der systemischen MHT überlegen.

Frakturprävention

Die Wahrscheinlichkeit einer Fraktur an einer der vier Hauptlokalisationen (Wirbelsäule, Schenkelhals, Vorderarm, proximaler Humerus; «Major Fractures») liegt bei 40 % oder mehr, das lebenslängliche Risiko bei einer gesunden 50-jährigen Frau bei 52.3 %. Die verbleibende Ueberlebenszeit nach einer «Major Fracture» ist weniger günstig als nach einem Mammakarzinom. (43, 44). Die fatale erste Fraktur muss daher vermieden werden. Nur für eine Estrogengabe wurde auch bei gesunden Frauen (≤60 Jahre) ohne erhöhtes Frakturrisiko eine signifikante Senkung um 25–40 % für einen Knochenbruch an allen Lokalisationen nachgewiesen (Tab. 2) (44). Eine MHT verbessert zudem die «Stossdämpferfunktion» der Zwischenwirbelscheiben (46, 47). Sie ist wirksam, sicher und kosteneffektiv (NNT = 7) (45). Ihr Schutzeffekt hält bis zu 15 Jahre nach Absetzen an (45). Frakturdaten gibt es nur für die obige Standard-Dosierung. Beim Einsatz einer niedrigen oder ultraniedrigen E2-Dosierung zur Frakturprävention sollte deren Wirksamkeit durch die Messung der Knochendichte mittels DXA oder allenfalls durch die Bestimmung von Knochenmarkern überprüft werden. Raloxifen, das einzige in der Schweiz zugelassene SERM, ist bei Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko eine Alternative zur MHT. Sein osteoprotektiver Schutz ist nur an der Wirbelsäule, aber nicht am nicht-vertebralen Skelett gesichert (48).

Prämature Ovarialinsuffizienz (POI)

Bei jeder POI besteht zumindest bis zum Alter des normalen Menopauseneintritts eine absolute Indikation für eine MHT (49, 50)

Relevante günstige Nebenwirkungen

Die Verminderung des kardiovaskulären Risikos durch eine MHT wird heute als Zusatznutzen, aber nicht als selbstständige Indikation für eine MHT anerkannt (11, 20, 21, 27-28, 42). Eine weitere günstige Nebenwirkung der MHT scheint auch eine Neuroprotektion zu sein (11, 20, 21, 27, 28, 35, 36). Günstige Nebenwirkungen können bei der Individualisierung einer MHT einbezogen werden.

Schlussfolgerungen

Das Eingeständnis von WHI-Investigatoren, dass nach der Erst­publikation aus der WHI-Studie (10) wissenschaftliche und ethische Regeln verletzt worden sind, erlaubt es uns heute, die Datenlage zur MHT objektiv in ihren methodischen Grenzen zu sehen. Nicht immer ist ein RCT die beste verfügbare Evidenz. Dies kann auch eine solide und gut geplante Beobachtungsstudie sein, wenn diese als einzige bei derjenigen Population durchgeführt wurde, die später mit dem untersuchten Präparat behandelt werden soll. Nach Jahren von Hybris und Fehlschlüssen sind wir zu den schon im Lorenzini-Report von 2002 (1) empfohlenen und seit vier Jahrzehnten gesicherten Indikationen zurückgekehrt: back to the roots! Die WHI-Studie ist dennoch eine wichtige Studie. Sie hat uns zu neuen Erkenntnissen geführt wie der Existenz eines «günstigen Fensters». Innerhalb dieses «günstigen Fensters» (Beginn der MHT bei Frauen < 60 Jahre oder weniger als 10 Jahre von der Menopause entfernt) überwiegt der Nutzen die Risiken. Eine individualisierte transdermale E2-Gabe, wenn nötig kombiniert mit mikronisiertem Progesteron oder Dydrogesteron, kann auch bei älteren gesunden Frauen als sicher eingestuft werden. Jede MHT erfordert eine klare individualisierte Indikation. Bis heute ist die MHT das einzige therapeutische Prinzip, das gleichzeitig beide Indikationen abdeckt, klimakterisches Syndrom und Frakturprävention. In die Nutzen-Risiko-Abwägung müssen die günstigen Nebenwirkungen einer MHT ebenso wie die evidenzbasierten nicht-hormonalen Alternativen mit einbezogen werden.

Zweitabdruck aus der_informierte@arzt_03-2022

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. em. Dr. med. Martin Birkhäuser

Gartenstrasse 67
4052 Basel

martin.birkhaeuser@bluewin.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Auch 20 Jahre nach der Erstpublikation bleibt der WHI-Trial eine der wichtigsten Studien zur Menopause und zur MHT. Seine Resultate müssen aber wegen der ungünstig ausgewählten Studienpopulation vor der Praxis­anwendung immer mit den Ergebnissen aus andern RCTs, grossen prospektiven Beobachtungsstudien und soliden Registerstudien abgeglichen werden.
◆ Beim klimakterischen Syndrom bleibt die MHT die wirksamste Behandlung. Sie verbessert die gesundheitsbezogene Lebensqualität und ist als einzige therapeutische Option gleichzeitig auch osteoprotektiv. Bei individualisierter Indikation und Beginn der MHT innerhalb des «günstigen Zeitfensters» überwiegt der Nutzen die Risiken
◆ Eine transdermale Gabe von Estradiol vermeidet das unter oraler Gabe erhöhte Risiko für thromboembolische Ereignisse und kann als sicher gelten.
◆ Zur Behandlung des klimakterischen Syndroms ist oft eine niedrigere als die früher übliche mittlere Dosierung («Standard») ausreichend. Dies gilt nicht für die Osteoprotektion, wo Frakturdaten unter niedriger Dosierung fehlen.
◆ Die Behandlungsdauer ist nicht starr nach oben begrenzt. Eine MHT kann ohne Kontraindikationen über das günstige Fenster hinaus weitergeführt werden.
◆ Die MHT ist keine moderne Variante des alten Traums vom Jungbrunnen.

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Operative Therapie der Endometriose – bestimmt das Ziel die Radikalität?

Am 10.-11. Februar fand am Universitätsspital Zürich der 9. Internationale Kongress für Gynäkologie, organisiert durch die Klinik für Gynäkologie unter der Leitung von Prof. Dr. med. Gabriel Schär, statt. Nationale und internationale Experten präsentierten in 4 Symposien aktuelle Daten in den Gebieten Allgemeine Gynäkologie, Gynäkologische Onkologie, Senologie und Urogynäkologie. Im Folgenden wird über ein Referat aus der allgemeinen Gynäkologie berichtet.

Zu den Grundprinzipien in der Therapie der Endometriose äusserte sich PD Dr. med. Dimitri Sarlos, Aarau, wie folgt: Die Endometriose ist eine chronische Erkrankung. Es gibt keine kausale Therapie. Das Therapiekonzept muss verschiedene Aspekte miteinbeziehen (Beschwerden, Kinderwunsch, Alter, Begleiterkrankungen, vorausgegangene Therapien und Operationen). Die Wahl der Therapie und mögliche Folgen (Komplikationen) sind mit der Patientin genau zu besprechen.

Chirurgische Therapie der Endometriose

Die Laparoskopie ist Gold-Standard in der Therapie der Endometriose (EM). Die Exzision von peritonealen EM-Herden führt zu einer deutlichen Verbesserung der Schmerzsymptomatik. Bei symptomatisch tief infiltrierender EM sollte eine makroskopische komplette Resektion erfolgen. Ziele der chirurgischen Therapie sind: Festlegen des Ausmasses der Erkrankung (Staging), histologische Bestätigung und Ausschluss einer Malignität (Ovar), Verbesserung der Lebensqualität/Fertilität. Das Begleittrauma ist möglichst klein zu halten (Fertilität/Funktionalität). Der Referent machte die folgenden Statements: Es gibt ein Dilemma zwischen Radikalität und Funktionserhaltung. Die Endometriose ist kein Tumor. Die Frage stellt sich, von welcher Läsion die Beschwerden kommen. Eine inkomplett operierte tief infiltrierende Endometriose sollte vermieden werden.

Endometriome

Der Referent nannte die folgenden Massnahmen: Histologische Klärung und Verbesserung der Schmerzsituation, Erhaltung/Verbesserung der Fertilität (der AMH-Wert ist bei Endometriomen signifikant tiefer und die Chirurgie traumatisiert die Ovarialreserve. Bei geplanten IVF die Endometriome <2-4cm belassen.

Chirurgie der Endometriose

Einfluss der Operation auf die Ovarialreserve: Einflussgrössen sind die Grösse des Endometrioms und die Bilateralität, das Rezidivendometriom; die Naht ist besser als die Koagulation. Die Erfahrung des Operateurs spielt eine Rolle. Die Zystektomie ist besser als die Ablation (Strom, Laser, Argon) betreffend Rezidiv und Schmerz. Ist eine IVF/ICSI-Behandlung geplant, verbessert die Zystektomie die Schwangerschaftsrate nicht. Aus der S2K-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Endometriose 2020 ergeben sich die folgenden Massnahmen: Operation vor allem bei symptomatischen Patientinnen, AMH muss präoperativ bestimmt werden. Zystektomie, danach keine Koagulation aber Adaptation. Suspension zur Rezidivprophy­laxe. Wenn IVF geplant ist: nicht operieren (<4cm), sofern schmerzfrei. Im Rezidivfall Vorsicht mit Zystektomie, vor allem bei Infertilität.

Tief infiltrierende Endometriose (DIE)

Sie wurde von Rokitansky 1860 erstmals beschrieben. Sie kann grundsätzlich überall auftreten (rektovaginal, vesikouterin, parametran) Es existieren verschiedene Klassifizierungssysteme (Keckstein J, 2017, Koninckx PR, 2012). Histologisch ist sie charakterisiert durch Entzündung und Fibrose. Die Fibrose führt zu veränderter Anatomie, fehlenden Schichten.

Grundsätze zur Chirurgie der rektovaginalen (RV) Endometriose

Die komplette Resektion der DIE und ein möglichst kleiner Kollateralschaden (Funktionalität) sind anzustreben. Es sollte in Arealen, wo keine Endometriose besteht, begonnen werden und die zu schonenden Strukturen sollten vor der Resektion dargestellt werden.Die Radikalität bei der Therapie der RV Endometriose ist wichtig, weil die Komplettresektion die Schmerzen, die Dyspareunie, die Dyschezie und die Lebensqualität verbessert. Rezidive sind bei inkompletter Resektion häufig, Rezidivoperationen sind schwierig, Fibrose der Endometriose und postoperative Fibrose. Der Effekt auf die Fertilität ist unklar. Risiken der Radikalität bei RV Endometriose sind RV Fisteln, Nahtinsuffizienzen (5-14%), persisitierende Realharnbildung (3-5%), Hypästhesien am Genitale und an Oberschenkeln. Nervenläsionen der rektovaginalen Endometriose können vermieden werden durch nervenerhaltende Operation. Die relative Risikoreduktion für Restharn postoperativ gegenüber konventioneller Chirurgie beträgt 0.19. Allerdings cave Peritektomie (Nervi hypogastrici), cave Pararektale laterale Resektion (Nn Splanchnici). Der Operateur muss die Anatomie der Beckennerven gut kennen.

Kolorektale Endometriose: Prinzipiell existieren drei mögliche chirurgische Behandlungsmethoden bei kolorektaler Endometriose: «rectal shaving», diskoide Resektion und Segmentresektion des Rektums. Der Vergleich der Segmentresektion versus Shaving oder Diskoide Exzision ergibt die folgenden Resultate: Anastomoseinsuffizienzen nach Segmentresektion in 3-5%. «Low anterior resection syndrome» bis zu 30%. Shaving ergibt weniger Komplikationen als Diskoide Exzision, Diskoide Exzision gibt weniger Komplikationen als Segmentresektion.

Indikationen für Segmentektomie: Dazu gehören mehrsegmentale Läsionen, Stenosen, grosse Noduli (ab 3-4cm), breitflächige Infiltration (ab 30% der Zirkumferenz).

Vermeiden der schweren Komplikationen bei Operationen der RV Endometriose: Der Referent empfiehlt Shaving, Diskoide Exzision statt Segmentresektion, cave darmnahe Koagulation, seromuskuläre Rektumnaht nach Darmwandexzision, Dichtigkeitsprobe. Darm nicht unnötig devaskularisieren, bei sehr tiefer Anastomose (<5-6cm) protektives Ileostoma.

Fazit

  • Die operative Therapie der Endometriose ist komplex. Die Operation muss individualisiert durchgeführt werden.
  • Bei Endometriomen scheint die endokrine Zystektomie Methode der Wahl zu sein.
  • Rektovaginale EM sollte komplett exzidiert werden. Für rektovaginale EM ist Shaving besser als Diskoide Exzision/Segmentektomie. Nervenanatomie und Nerve-Sparing Surgery sind zu beachten. Selbstverständlich bestimmt das Ziel die Radikalität.

Quelle: 9. Gynäkologie-Kongress, Universitätsspital Zürich, 10.-11. Februar 2022

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch