Eosinophile Ösophagitis

Bei der eosinophilen Ösophagitis (EoE) handelt es sich um eine allergie-artige TH2-Typ-vermittelte, chronische Entzündung der Speiseröhre mit steigender Prävalenz. Der genaue Pathomechanismus ist bis dato (noch) nicht geklärt, man geht primär von einer genetischen Prädisposition mit Exposition gegenüber verschiedenen Umweltfaktoren sowie einer atopischen Diathese aus. Zur Behandlung werden topisch-wirksame Steroide, Protonenpumpeninhibitoren (PPI) und Eliminationsdiäten empfohlen. Ohne adäquate Therapie gipfelt die EoE in Dysphagie, Bolusobstruktionen und einer progredienten (wahrscheinlich zumindest partiell irreversiblen) Fibrosierung. Das Leitsymptom bei der EoE ist bei adoleszenten und erwachsenen Patienten eine Dysphagie für solide Speisen. Da sich hinter diesem Symptom fast immer eine organische Erkrankung des Oesophagus verbirgt – Red Flag Sym­ptom – muss eine EoE aktiv mittels Endoskopie (inklusive der Entnahme von multiplen Biopsien im proximalen und distalen Ösophagus) gesucht werden. Die EoE erfordert oft eine langfristige Erhaltungstherapie und wiederholte Endoskopien, weshalb Patienten schon bei Diagnosestellung auf eine Langzeitbehandlung hingewiesen werden sollten.

Die eosinophile Ösophagitis (EoE) wurde erstmals in den frühen 90er Jahren unabhängig voneinander durch Attwood und Straumann (notabene ein Schweizer Kollege) als eigenständige Krankheitsentität charakterisiert (1, 2). Ein erster internationaler Konsensus mit Krankheitsdefinition und Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie wurde aber erst 2007 publiziert. Dies als Folge einer seit Mitte der 90er Jahre für Kinder und Erwachsene gleichermassen rasant angestiegenen Inzidenz (aktuell in der westlichen Welt 4.4/100.000 Einwohner) wie auch Prävalenz (aktuell weltweit bei 34.2/100.000 Einwohnern) (3). In der westlichen Welt lebt somit unter etwa 3000 Einwohnern ein Patient mit diagnostizierter EoE. Die Endoskopie- und Biopsieraten sind im selben Zeitraum jedoch nur geringfügig angestiegen, weshalb die Zunahme der EoE nicht allein als Folge eines gehäuften, technischen Einsatzes in der Gastroenterologie anzusehen ist. Genetisch bedingt tritt die Erkrankung überproportional häufig beim männlichen Geschlecht auf und der Altersgipfel liegt bei etwa 35 Jahren. Es können aber praktisch alle Altersgruppen, von Kleinkindern bis zu Senioren, und auch Frauen betroffen sein. In zahlreichen Untersuchungen wurde gezeigt, dass die EoE derzeit eine der häufigsten Ursachen für Dysphagie und Bolusobstruktionen ist (1).

Pathophysiologie

Im Gegensatz zu allen anderen Abschnitten des Gastrointestinal-Trakts beherbergt der Ösophagus im gesunden Zustand keine eosinophilen Granulozyten. Weshalb es bei der EoE zu einer allergie-ähnlichen TH2-Typ-vermittelten Rekrutierung von (primär) eosinophilen Granulozyten in den Ösophagus mit einer konsekutiv chronischen Entzündungsreaktion kommt, ist noch nicht abschliessend geklärt (4). Man geht in erster Linie von einem multifaktoriellen Pathomechanismus aus (5). Sehr wahrscheinlich wird die EoE bei entsprechender, genetischer Prädisposition durch die Exposition gegenüber verschiedenen Umweltfaktoren getriggert. Welche Faktoren dies im Einzelnen sind, ist bis anhin (noch) nicht abschliessend geklärt (Tab. 1). Eine zentrale Rolle dürften neben aerogenen vor allem Nahrungsmittel-Allergene wie Kuhmilch, Weizen, Eier, Soja, Hülsenfrüchte, Nüsse und Fisch/Meeresfrüchte spielen. Dementsprechend wurde auch eine Assoziation mit anderen atopischen Erkrankungen (z.B. allergische Rhinokonjunktivitis, Asthma bronchiale, allergische Dermatitis) beschrieben (9). Da die Inflammation im Ösophagus jedoch primär IgE-unabhängig vermittelt wird, gelingt es mittels IgE-basierter, allergologischer Diagnostik meist nicht das verantwortliche Antigen zu identifizieren. Eine laborchemische Erhöhung der Eosinophilenzahl und der Gesamt-IgE wird bei etwa 50%, respektive 70% der EoE Patienten gefunden, ist aber keinesfalls obligat. Im Langzeitverlauf kann es, bei fehlender oder inadäquater Therapie, durch ein Fortschreiten der Entzündungsreaktion zu einem sogenannten Remodeling (= Organumbau mit Wandverdickung und Wandstarre) der Speiseröhre mit Entwicklung von fibrotischen Strikturen und Beeinträchtigung der Funktion kommen. Dies erhöht das Risiko für die gefährlichen und praktisch nicht voraussehbaren Bolusimpaktationen.

Diagnose und Endoskopie

Die Diagnose einer EoE ist klinisch-pathologisch definiert und basiert auf dem Vorhandensein folgender Trias: Symptome passend zu einer ösophagealen Dysfunktion, histologischer Nachweis einer eosinophilen Gewebeinfiltration im Ösophagus (≥ 15 Eosinophile pro hochauflösendes Gesichtsfeld, HPF) kombiniert mit dem Ausschluss anderer Erkrankungen, welche mit einer eosinophilen Gewebeinfiltration einhergehen können und daher differentialdiagnostisch stets berücksichtigt werden sollten (Tab. 2).
Schwierig kann in diesem Zusammenhang die Abgrenzung gegenüber der äusserst häufigen gastro-ösophagealen Refluxkrankheit (GERD) sein. Gemäss einer neuen Konsensus-Arbeit (10) ist nun aber die früher propagierte, probatorische Gabe von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) zur Differenzierung zwischen GERD und EoE obsolet – man hat erkannt, dass GERD und EoE koexistieren können und dass PPI auch bei alleiniger EoE effektiv sein können – , was einen wesentlich einfacheren, diagnostischen Algorithmus zur Folge hat (Abb. 1).


Dieser Paradigmenwechsel basiert primär auf der Annahme, dass sich eine GERD und eine EoE nicht gegenseitig ausschliessen, sondern sich eher gegenseitig beeinflussen und eine PPI-responsive ösophageale Eosinophilie eine Form der EoE sein kann. Deshalb sollten somit PPI’s bei der EoE als Therapeutikum und nicht als Diagnostikum eingesetzt werden. Eine zentrale Rolle in der primären Diagnostik aber auch der Aktivitätsbeurteilung im Verlauf der EoE stellt die Ösophago-Gastroduodenoskopie (ÖGD) mit fraktionierter Biopsieentnahme aus dem distalen, mittleren und proximalen Ösophagus dar. In Folge der chronischen Inflammation kann es zu typischen, makroskopischen Veränderungen kommen wie z.B. Längsfurchen (Abb.  2A) und/oder weissen Auflagerungen (teils stecknadelkopfartig, teils eher flächig), welche eosinophilen Mikroabszessen entsprechen (Abb. 2B). Zudem zeigt sich häufig auch eine Ringbildung im Sinne einer sog. «Trachealisierung» der Speiseröhre (auch als «feliner»= katzenartiger Ösophagus bezeichnet) (Abb. 2C) und nahezu pathognomonisch ist die sogenannte «Krepppapier-Mukosa». Hierunter versteht man eine äusserst fragile, unelastische Ösophagusschleimhaut, die bei geringster mechanischer Belastung reissen kann. Ist das Remodeling bereits weiter fortgeschritten, zeigen sich Strikturen und langstreckige Einengungen des Ösophaguslumens, welche zu Passagestörungen führen können. Diese makroskopischen Merkmale müssen aber nicht zwingend vorhanden sein. So zeigte eine Studie aus 2006 (11), dass in rund der Hälfte der untersuchten EoE-Patienten die typisch endoskopischen Befunde nur diskret ausgeprägt waren. Es ist deshalb wichtig bei Patienten mit Dysphagie auch bei endoskopisch unauffällig aussehendem Ösophagus fraktioniert mindestens 6-8 Biopsien aus allen drei Abschnitten des Ösophagus zu entnehmen. Dadurch wird der Tatsache einer oftmals inhomogenen, fleckförmigen und segmentären Verteilung der eosinophilen Infiltration Rechnung getragen. Histologisch zeigt sich bei der EoE ein primär eosinophiles Infiltrat mit Basalzonenhyperplasie und eosinophilen Mikroabszessen. Wie eingangs dieses Abschnitts beschrieben, basiert die Diagnose einer EoE auf dem Vorhandensein einer Trias. Deshalb sollten die Befunde nie isoliert, sondern stets im klinischen Gesamtkontext betrachtet werden.

Nicht nur bei Dysphagie muss an die EoE gedacht werden

Hinsichtlich der klinischen Manifestation klagen Patienten mit einer EoE – abhängig vom Alter – bei der Erstdiagnose über unterschiedliche Symptome. Kinder zeigen ein etwas diffuseres Beschwerdebild. Hier sollte insbesondere bei Nahrungsverweigerung, retrosternalen und abdominalen Schmerzen, Durchfällen, Erbrechen, Regurgitation und Gedeihstörung an eine EoE gedacht werden. Bei erwachsenen Patienten stellen die Dysphagie bis und mit Bolusobstruktion, sowie reflux-artige Retrosternalschmerzen die Leitsymptome der EoE dar. Die EoE ist mit 25% die häufigste Ursache für Bolusobstruktionen (18) und bei 54% der Patienten, die wegen einer Bolusimpaktation endoskopiert werden lässt sich eine EoE nachweisen (19). Von grosser Bedeutung bei Erwachsenen ist jedoch das Vorhandensein von sogenannten «avoidance signs». Dabei handelt es sich um diätetische «Ausweichstrategien»mit Weglassen kritischer Speisen und Anpassen der Essgewohnheiten, bedingt durch die ösophageale Motilitätsstörung oder eine beginnende Lumen-Einengung der Speiseröhre. Patienten (oder manchmal fast noch mehr deren Angehörige) berichten dabei vom Vermeiden einer hastigen Nahrungsaufnahme oder dem Meiden trockener und faseriger Speisen wie Fleisch oder Reis. Oder sie erwähnen ein auffallend langsames Verzehren von Speisen in Folge sorgfältigem Kauen und regelmässigem Trinken zwischen den einzelnen Nahrungsboli im Sinne eines «Nachspülens». Mit solchen Verhaltensanpassungen lassen sich die Schluckbeschwerden oftmals über lange Zeit verbergen. Diese Symptome stellen Hinweise für das Vorhandensein einer EoE dar und ermöglichen bei frühzeitigem Erkennen und richtiger Interpretation eine entsprechende Diagnostik und den Beginn einer Therapie vor dem Auftreten einer Akutsituation mit Bolusimpaktation infolge einer Striktur.

Therapiemöglichkeiten der EoE die drei D’s: «Drugs»«Diät»«Dilatation»

Die EoE ist eine chronische Erkrankung, die unbehandelt mit einem nicht zu unterschätzenden Risiko an Komplikationen einhergeht. Das Ziel der Therapie ist die Induktion und der langfristige Erhalt einer klinischen und histologischen Remission. Bei gesicherter EoE wird – gemäss aktueller Leitlinien (10,12,17) – die Therapie mit topischen Steroiden, PPI und/oder einer Eliminationsdiät empfohlen (Abb. 3). Kürzlich publizierte Daten, liefern zudem vielsprechende Resultate hinsichtlich einer Therapie mit dem rekombinanten, humanen, monoklonalen IgG4-Antikörper Dupilumab (Dupixent®), dessen Stellenwert innerhalb der Therapieoptionen bei der EoE jedoch noch definiert werden muss. Vermutlich dürfte diese Therapie primär – nicht zuletzt auch aus ökonomischen Gründen – nur bei Therapieversagern auf bisherige Therapieoptionen zum Einsatz kommen.

Topisch-wirksame Kortikosteroide

Eine hohe Evidenz liegt für die Wirkung von topischen Kortikosteroiden zur Induktionstherapie der EoE vor (13). Für Jugendliche und Erwachsene werden als Initialdosis Budesonid 2 x 1mg/Tag bzw. Fluticason 2 x 880 µg/Tag (nicht inhaliert sondern geschluckt) empfohlen, wobei tendenziell höhere Remissionsraten für Budesonid beobachtet werden konnten (14). In verschiedenen Studien konnten mit Budesonid in Form einer Schmelztablette histologische Remissionsraten von über 90% und klinisch-histologische Remissionsraten von bis zu 85% erreicht werden (7). Dementsprechend wurde 2018 eine Budesonid Schmelztablette (Jorveza®) zur medikamentösen Behandlung der eosinophilen Ösophagitis beim Erwachsenen entwickelt und zugelassen. Das Präparat entfaltet seine Wirkung direkt am Ort der Entzündung und ist allgemein gut verträglich. Durch die Unterdrückung der Entzündungsreaktion kann sich jedoch das Risiko für lokale Infektionen – besonders für milde bis mittelschwere Pilzinfektionen in Mund, Rachen und Speiseröhre – erhöhen. Es könnten sich theoretisch zudem systemische Kortikosteroid-Nebenwirkungen zeigen. Diese treten, gemäss aktuellem Wissensstand, im Vergleich zu Placebo jedoch nicht gehäuft auf (16). Obwohl Jorveza® in der Schweiz zur zeitlich limitierten Therapie der EoE zugelassen ist (Induktionstherapie für 6-12 Wochen), wurde das Medikament vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) bis anhin noch nicht in die Spezialitäten Liste aufgenommen (Stand November 2020). Die Krankenkassen sind somit (noch) nicht verpflichtet die Kosten für Jorveza® zu übernehmen, weshalb die behandelnden Ärzte eine Kostengutsprache einzufordern haben. Alternativ können Magistralrezepturen in Form eines budesonidhaltigen Sirups oder topische Kortikosteroide welche für die Therapie von allergischen Atemwegserkrankungen entwickelt worden sind – zum Beispiel Axotide-Diskus, Pulmicort-Respules – verschrieben werden. Jedoch müssen die Patienten über die abgeänderte Anwendungsart genau instruiert werden. Diese benötigen keine Kostengutsprache, jedoch erheblich Sprechstundenzeit bei deren Verschreibung. Kürzlich hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) zudem –
basierend auf einer grossen Europäischen Langzeit-Studie – die Zulassung für eine Langzeit-Therapie mit Jorveza® erteilt (16).

Protonenpumpeninhibitoren

Bisher ist die Datenlage, hinsichtlich eines direkten Vergleichs der Wirkung zwischen einer PPI-Therapie und den topischen Kortikosteroiden, beziehungsweise einer PPI-Therapie und einer Eliminationsdiät, sehr schwach (12). Zudem basiert der Grossteil der Studien zur Wirkung der Steroidtherapie bzw. der Eliminationsdiät auf einem Patientenkollektiv, welches kein Ansprechen auf eine PPI Therapie gezeigt hat. Die wenigen vorliegenden Daten zeigen aber, dass die Wirksamkeit der PPI eine EoE klinisch und histologisch in Remission zu bringen nur bei etwa 30% bis maximal 40% liegt, also deutlich tiefer als bei den Steroiden. Gemäss verschiedenen, internationalen Guidelines (10, 12) wird trotzdem der Einsatz von PPI empfohlen, basierend auf den langjährigen Erfahrungen in der Verschreibung von PPI bei vergleichsweise geringem Nebenwirkungsprofil sowie aufgrund einiger Studien, welche nachweislich einen positiven Effekt der PPI-Therapie bei Patienten mit einer EoE zeigen konnten (10). Wichtig zu erwähnen ist, dass die PPI-Therapie eine vorgängige, ergänzende oder anschliessende anti-entzündliche Therapie nicht ausschliesst, was auch der Möglichkeit einer Ko-Existenz von GERD und EoE Rechnung tragen soll.

Eliminationsdiäten

Im Gegensatz zu den Medikamenten, welche die allergische Entzündung lediglich unterdrücken, verfolgen die Eliminationsdiäten einen kausalen Therapieansatz. Denn wenn ein entzündungsauslösendes Lebensmittel konsequent vermieden werden kann, lässt sich die EoE mittels Diät oft ohne Medikamente erfolgreich behandeln. Man unterscheidet drei Diätformen (15): da allergisierende Substanzen meistens Eiweisse (Proteine) sind, werden bei der Elementardiät proteinhaltige Speisen komplett vermieden. Um eine Malnutrition zu verhindern, sind Patienten ergänzend auf proteinfreie-aminosäurehaltige Nährlösungen angewiesen. Leider sind diese Nährlösungen geschmacklich nicht sehr attraktiv und teuer, und müssen deshalb bei Kindern oft via Magensonde verabreicht werden. Diese Diätform wird deshalb vor allem bei schweren Formen der EoE eingesetzt. Bei der allergietest-basierten Eliminationsdiät werden lediglich diejenigen Speisen weggelassen, welche mittels Allergie-Testung identifiziert worden sind. Da praktisch alle Allergie-Tests IgE-basiert sind und es sich bei der EoE aber um eine nicht-IgE-vermittelte Allergie handelt, existieren bisher leider noch keine Tests, welche die allergisierenden Speisen zuverlässig identifizieren. Es gelingt deshalb nur bei etwa 20% der Erwachsenen und bei etwa 40% der Kinder die EoE erfolgreich mittels dieser mass-geschneiderten Diät zu behandeln. Die empirische Eliminationsdiät stellt die dritte Diätform dar und basiert auf dem Wissen, dass Milchprodukte (Achtung: Milchproteine, nicht Milchzucker), Weizen (eventuell Gluten), Eier, Nüsse, sowie seltener Soja, Fisch und Meeresfrüchte die häufigsten Trigger (Auslöser) der EoE darstellen. Beim Vermeiden von allen sechs Lebensmittelkategorien spricht man von einer «6-Food-Elimination Diet» (6-FED). Erreicht man dadurch eine Remission der EoE, wird in der Folge schrittweise und kontrolliert eine Kategorie nach der anderen wieder zugeführt, um die allergisierende Speise zu identifizieren (step-down Strategie). Diese Diät hat eine gut 70%-ige Erfolgschance, jedoch ist das Verfahren zeitintensiv und erfordert wiederholte Endoskopien sowie eine engmaschige Betreuung durch erfahrene Ernährungsberater und Gastroenterologen. Alternativ können auch nur eine oder zwei Lebensmittelkategorien (1-FED, 2-FED) weggelassen werden (vorzugsweise Milch oder Weizen), und falls nötig, noch weitere Kategorien dazu gefügt werden (step-up Strategie). Letztlich sollten diätetische Behandlungen ausschliesslich bei motivierten Patienten und nur an Zentren durchgeführt werden, welche die notwendige Expertise vorweisen können.

Endoskopische Dilatation

Endoskopische Verfahren (z.B. Bougierung, Ballondilatation) sind Patienten mit Stenosen bzw. Strikturen vorbehalten, welche nicht oder nur ungenügend auf eine vorgängige, medikamentöse Therapie angesprochen haben. Erwähnt werden sollte hier das Perforationsrisiko einer endoskopischen Therapie bei EoE Patienten, welches in früheren Arbeiten aber eher überschätzt wurde. Zudem wird durch diese Therapie die der EoE zu Grunde liegende Inflammation nicht beeinflusst. Dilatationen werden deshalb praktisch immer mit anti-entzündlichen Therapien kombiniert.

Follow-Up und Prognose

Der Schweregrad der Entzündung korreliert bei der EoE schlecht mit dem Schweregrad der klinischen Symptome bzw. der makroskopischen Befunde in der ÖGD (7, 8, 10, 12, 13). Deshalb wird primär die Bestimmung der histologischen Aktivität als Standard gefordert. Dies bedingt wiederholte, endoskopische Untersuchungen mit Biopsie-Entnahmen, insbesondere nach Anpassung der Therapie. Sind bei einem Patienten aber die beiden Therapieziele – Beschwerdefreiheit und Kontrolle der Entzündung – erreicht, reichen jährliche Kontrollen im Allgemeinen aus. Da es sich bei der EoE um eine chronische Erkrankung handelt sollten Patienten bereits anlässlich der Diagnosestellung über die Notwendigkeit einer Langzeitbehandlung aufgeklärt werden. Bisher konnte bei EoE Patienten, trotz der chronisch entzündlichen Genese der Erkrankung, zum Glück kein erhöhtes Risiko für Ösophaguskarzinome nachgewiesen werden.

Verdankung: Für die kritische Durchsicht und wertvollen Anregungen danken die Autoren PD Dr. med. Luc Biedermann, Leitender Arzt an der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie am Universitätsspital Zürich.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Jon-Duri Senn

Abteilung für Gastroenterologie / Hepatologie
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse, 6000 Luzern 16

Jon-Duri.Senn@luks.ch

Dr. med. Patrick Aepli

Abteilung für Gastroenterologie / Hepatologie
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern 16

Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu deklarieren.

  • Die eosinophile Ösophagitis (EoE) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Speiseröhre, die überproportional häufig beim männlichen Geschlecht auftritt und deren Altersgipfel bei etwa 35 Jahren liegt.
  • Die EoE ist derzeit eine der häufigsten Ursachen für Dysphagie und Bolusobstruktionen.
  • Im Falle einer Dysphagie, nach einer Bolusobstruktion oder bei sog. «avoidance signs» muss die EoE aktiv mittels ÖGD (inklusive Stufen-Biopsien) gesucht werden.
  • Die (meist langfristige) Therapie der EoE basiert auf der Anwendung von topischen Steroiden, Protonenpumpeninhibitoren und Eliminationsdiäten.
  • Über den Langzeitverlauf bzw. die Langzeitbehandlung existieren bis heute nur wenig wissenschaftliche Daten.
  • Bisher konnte für die EoE kein erhöhtes Risiko für Ösophaguskarzinome gezeigt werden.

1. Dellon ES, Hirano I. Epidemiology and natural history of eosinophilic esophagitis. Gastroenterology 2018;154:319–332
2. Straumann A, Spichtin HP, Bernoulli R, Loosli J, Vögtlin J. Idiopathische, eosinophile Ösophagitis: eine häufig verkannte Krankheit mit typischer Klinik und diskretem endoskopischem Bild. Schweiz Med Wochenschr. 1994;124:1419-1429
3. Navarro P, et al. Systematic review with meta-analysis: the growing incidence and prevalence of eosinophilic oesophagitis in children and adults in population-based studies. Aliment Pharmacol Ther. 2019;49(9):116-25
4. Straumann A, et al. Idiopathic eosinophilic esophagitis is associated with a TH 2-type allergic inflammatory response. J Allergy Clin Immunol. 2001;108:954–6
5. O’Shea KM, et al. Pathophysiology of Eosinophilic Esophagitis. Gastroenterology. 2018;154(2):33-45
6. Jensen ET, et al. Early-life environmental exposures interact with genetic susceptibility variants in pediatric patients with eosinophilic esophagitis. J Allergy Clin Immunol Pract. 2018;141:632-37
7. Miehlke S. Eosinophile Ösophagitis. Falk Gasto-Kolleg. 2019;1:1-13
8. Miehlke S, et al. Eosinophilic Esophagitis: Recent Developments in Diagnosis & Treatment. Falk Gastro Review Journal. 2020;2:13-15
9. Hill DA, Cianferoni A, Spergel JM, Aceves S, Holbreich M, Venter C, et al. Eosinophilic esophagitis is characterized by a non-IgE-mediated food hypersensitivity. Allergy. 2016;71:611-20
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11. Gonsalves N, Policarpio-Nicolas M, Zhang Q, Rao S, HiranoI. Histopathologic Variability and endoscopic correlates inadults with Eosinophilic Esophagitis. Gastrointest Endoscopy. 2006;64:313–9
12. Hirano I, Edmond SC, Matthew AR, Rajiv NS, Neil HS, David RS, et al. AGA institute and the joint task force on allergy-immunology practice parameters clinical guidelines for the management of eosinophilic esophatitis. Gastroenterology. 2020;158:1776-86
13. Rank MA, Sharaf RN, Furuta GT, et al. Technical review on the management of eosinophilic esophagitis: a report from the AGA Institute and the joint Task Force on Allergy-Immunology Practice Parameters. Gastroenterology. 2020;158:1789-1810
14. De Heer J, Miehlke S, Rösch T, Morgner A, Aigner A, et al. Histologic and Clinical Effects of Different Topical Corticosteroids for Eosinophilic Esophagitis: Lessons from an Updated Meta-Analysis of Placebo-Controlled Randomized Trials. Digestion. 2020;1:1-9
15. Online unter URL: https://www.e-oe.ch/therapie.36de.html
16. Straumann A, Lucendo AJ, Miehlke S, et al. Budesonide Orodispersible Tablets Maintain Remission in a Randomized, Placebo-Controlled Trial of Patients With Eosinophilic Esophagitis. Gastroenterology 2020.
17. Miehlke S, Schlag C, Storr M, von Arnim U. Eosinophile Ösophagitis Update 2017: Neue Leitlinien der europäischen Studiengruppe EUREOS. Z Gastroenterol. 2018;56:139-50
18. Sengupta N, et al. The clinical predictors of aetiology and complications among 173 patients presenting to the Emergency Department with oesophageal food bolus impaction from 2004-2014. Aliment Phatmacol Ther. 2015;42:91-98
19. Arias A, et al. Systematic review with meta-analysis: the incidence and prevalence of eosinophilic oesophagitis in children and adults in population-based studies. Aliment Pharmacol Ther. 2016 ;43 :3-15

Calprotectin

Erstmalig beschrieben wurde das Calprotectin im Jahre 1980 als Protein L1. Heutzutage ist der aktuell relevanteste fäkale Biomarker aus dem klinischen Alltag des Hausarztes, Internisten und Gastroenterologen kaum mehr wegzudenken. Er wird häufig in Arztpraxen und im Krankenhaus dazu gebraucht, organische von funktionellen gastrointestinalen Erkrankungen abzugrenzen.

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und das Reizdarmsyndrom

Zwei Krankheitsentitäten, welche es im klinischen Alltag häufig auseinanderzuhalten gilt, sind chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (engl. inflammatory bowel disease, IBD) und das Reizdarmsyndrom (engl. irritable bowel syndrome, IBS). IBD sind in westlichen Ländern mit einer Prävalenz von bis zu 0,5% auf dem Vormarsch und das IBS gehört mit einer Prävalenz von bis zu 11,2% zu den sog. Volkskrankheiten.
Da das fäkale Calprotectin eine Entzündung im Gastrointestinaltrakt anzeigt, spielt es eine besondere Bedeutung in der Diagnostik und Therapie der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen – namentlich Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. In der Pathophysiologie dieses Krankheitsspektrums geht man von einer fehlgesteuerten Immunantwort in Zusammenhang mit dem intestinalen Mikrobiom aus. Beim Morbus Crohn liegt eine granulomatöse, transmurale Entzündung vor, welche prinzipiell den ganzen Gastrointestinaltrakt (von Mund bis Anus) betreffen kann. Im Falle der Colitis ulcerosa ist lediglich die Mukosa von der Entzündung, welche sich vom Rektum bis zum Zökum ausdehnen kann, betroffen. Prinzipiell kann die Erkrankung in jedem Alter auftreten, der dominante Altersgipfel liegt im jüngeren Erwachsenenalter (15-30 Jahre), wobei auch ein zweiter Peak im Alter (50-80 Jahre) existiert. Bei funktionellen Darmerkrankungen, hierunter stellt IBS die häufigste Entität dar, geht man u.a. von einer Dysregulation der Darm-Hirn-Achse und einer erhöhten Schmerzsuszeptibilität aus. Es handelt sich in der Regel um eine Ausschlussdiagnose, für welche die Rom-IV-Kriterien gelten.

Fäkales Protein, das bestimmten Einflüssen unterliegt

Calprotectin stammt überwiegend aus neutrophilen Granulozyten (weniger auch aus Makrophagen) und macht 60% des zytosolischen Proteins dieser Zellen aus. Es spielt eine Rolle im angeborenen Immunsystem und verfügt sogar über direkte antimikrobielle Effekte. Man kann es in verschiedenen Körperflüssigkeiten abhängig vom Entzündungsausmass nachweisen, wobei im Stuhl eine um bis zu sechsfach höhere Konzentration als im Plasma vorliegt.
Es sind viele kommerzielle Calprotectin-Assays vorhanden, welche zum Teil eine deutliche Inter-Assay-Variabilität aufweisen (von 5-1000 bis 5-8000 μg/g). Von den meisten Herstellern wird ein Cut-off von 50 μg/g als obere Grenze des normalen Referenzbereichs angegeben. Neuerdings werden bereits point-of-care Tests mit dem Smartphone angeboten. Dies wird in Studien von vielen Patienten als nützliches Eigenmonitoring wahrgenommen und könnte vermutlich gerade in Pandemiezeiten zunehmend an Bedeutung gewinnen. Insgesamt sollte der Kliniker beachten, dass Calprotectin gewissen Einflussfaktoren unterliegen kann: Alter, Medikation, GI-Blutungen und tagesabhängige Variationen gehören dazu. Bei Patienten unter 4 Jahren und denjenigen über 65 Jahren werden in der Literatur höhere Cut-off-Werte vorgeschlagen. Man geht davon aus, dass u.a. altersabhängige Veränderungen des Immunsystems relevant sein könnten. Zu den Medikamenten, die einen Calprotectin-Anstieg zur Folge haben können, gehören insbesondere NSAR (sowohl im Kurzzeit- als auch Langzeitgebrauch). Weitere Medikamente, welche das Calprotectin erhöhen können, sind Tab. 1 zu entnehmen. Auch GI-Blutungen per se scheinen eine Erhöhung des Calprotectins zu bewirken. Obwohl das Protein eine homogene Verteilung im Stuhl aufweist, liegt eine signifikante tageszeitabhängige Variabilität vor: insbesondere je grösser das Stuhlintervall, desto höher der Wert. Dies führte dazu, dass einige Autoren sich in der Vergangenheit für eine Calprotectin-Bestimmung aus dem ersten Stuhlgang des Tages aussprachen, was sich letztlich in Folgestudien nicht bestätigen liess. Dennoch kann es sicherlich nützlich sein, zwei Calprotectin-Messungen vor Therapieanpassung bei IBD-Patienten vorzunehmen (1).

Calprotectin in der (Differential-)Diagnostik gastrointestinaler Erkrankungen

Die Diagnosestellung gastrointestinaler Erkrankungen bleibt selbst für erfahrene Gastroenterologen eine diagnostische Herausforderung. Es ist in vielen Fällen nicht möglich, organische von funktionellen Erkrankungen rein klinisch auf Grundlage der Symptome zu differenzieren. Und laborchemische Untersuchungen (wie CRP und Leukozyten) haben keine ausreichende Sensitivität und Spezifität gezeigt. Daher bedarf es anderer diagnostischer Hilfsmittel. Die Endoskopie hat sich als Goldstandard etabliert, da sie die Vorteile der direkten Visualisierung mit der Möglichkeit der Biopsieentnahme kombiniert. Allerdings benötigt sie Ressourcen und kann unangenehm für den Patienten sein. Daher stellt das Calprotectin im Stuhl als nicht-invasiver fäkaler Biomarker ein sehr hilfreiches diagnostisches Instrument dar. Es eignet sich zur Beurteilung der Krankheitsaktivität und als Marker des mucosal healing. Zudem ist es ein Prädiktor für einen Schub bzw. ein Rezidiv (auch postoperativ). Damit dient es auch der Therapiesteuerung. Im Falle der Colitis ulcerosa hat sich eine enge Korrelation zur klinischen, endoskopischen und histologischen Krankheitsaktivität gezeigt, während es beim M. Crohn weniger mit der klinischen als vor allem mit der endoskopischen und histologischen Aktivität korrelierte.
Wichtig ist immer zu bedenken, dass das Calprotectin Ausdruck einer Entzündungsreaktion des Gastrointestinaltraktes ist und als solcher nicht spezifisch. So können infektiöse Gastroenteritiden genauso wie NSAR-assoziierte Enteropathien erhöhte Werte verursachen. Bei Erkrankungen wie der mikroskopischen Kolitis, Zöliakie, Divertikulitis und Ulzera des oberen GI-Traktes können erhöhte Werte festgestellt werden (2).

Mögliche Calprotectin-Grenzwerte

Die Interpretation der einzelnen Calprotectin-Werte ist aufgrund der eingangs bereits beschriebenen Variabilität oft nicht ganz einfach. Insbesondere diskrete Erhöhungen sind oft schwierig zu interpretieren. Grundsätzlich gilt, dass Calprotectin-Messungen immer im Kontext der Klinik des Patienten interpretiert werden müssen (abdominelle Schmerzen, Stuhlfrequenz und -konsistenz, Blut-oder Schleimauflagerungen, Fisteln, extraintestinale Manifestationen, etc.). Sie sollten nie isoliert betrachtet werden.
Der gängige Hersteller-Cut-off für das Calprotectin liegt bei 50 μg/g. Dieser Wert hat sicherlich seine Berechtigung als Screening-Verfahren (sehr hohe Sensitivität). Studien haben jedoch gezeigt, dass Werte bis 200 μg/g einen hohen negativ-prädikativen Wert von bis zu 97% aufweisen. Somit scheint es plausibel, diesen Wert als Cut-off für die Differenzierung von IBD und funktionellen Erkrankungen zu verwenden, um die Notwendigkeit einer ergänzenden Endoskopie einzuschätzen. Bei Patienten mit einem Wert zwischen 50 und 200 μg/g sollte allerdings eine zweite Calprotectin-Bestimmung (nach Elimination möglicher Störfaktoren wie NSAR) zur Verifizierung des Befundes erfolgen. IBD-Patienten haben im Gegensatz zu Patienten mit IBS in der Regel eine persistierende Calprotectin-Erhöhung (meist > 200 μg/g). Ein Algorithmus zur sinnvollen Calprotectin-Bestimmung in der Praxis findet sich in Abb. 1.
Ein möglicher Cut-off zur Therapiesteuerung bei IBD ist 250 μg/g, welcher eine Therapieeskalation rechtfertigt. Allerdings bedeutet dieser auch, dass 18% der Patienten ohne Krankheitsaktivität falsch-positiv und 20% mit Krankheitsaktivität falsch-negativ sind. In der STORI-Studie wurde bei Patienten mit initial doppelter Immunsuppression mit Azathioprin und Infliximab letzteres abgesetzt. Hier zeigte sich, dass ein Calprotectin über 300 μg/g ein Risikofaktor für ein Rezidiv war.

Calprotectin bei gastrointestinalen Malignomen

Auch Neoplasien des Gastrointestinaltraktes sind mit einer mukosalen Entzündungsreaktion vergesellschaftet. In Studien zeigte das Calprotectin bei einem Cut-off von 50 μg/g eine Sensitivität von 82% und einen negativ prädikativen Wert von 98%. Diesen Daten zufolge verringert ein negatives Testresultat die Wahrscheinlichkeit einer Neoplasie im GI-Trakt. Hieraus ergeben sich natürlich mögliche Implikationen für die Indikation zur Endoskopie. Es gilt allerdings immer, die Klinik des Patienten und aktuelle Guidelines miteinzubeziehen (kein Ersatz für die Vorsorgekoloskopie ab dem 50. Lebensjahr!). Auch Karzinome des oberen Gastrointestinaltraktes können Calprotectin-Werte erhöhen.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Houman Azam

Gastroenterologie und Hepatologie Kantonsspital Luzern
Spitalstrasse
6000 Luzern

houman.azam@luks.ch

Dr. med. Daniel Venetz

Gastroenterologie und Hepatologie Kantonsspital Luzern
Spitalstrasse
6000 Luzern

Die Autoren haben deklariert, in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenkonflikte zu haben.

  • Das fäkale Calprotectin ist ein Biomarker, welcher eine Entzündungsreaktion des Darms anzeigt und eine Differenzierung zwischen organischen und funktionellen Darmerkrankungen erlaubt.
  • Der Wert unterliegt Einflussfaktoren wie Medikation, Abnahmezeitpunkt, GI-Blutung. Daher kann eine zweite Messung vor Ableitung von Konsequenzen sinnvoll sein.
  • Ein Cut-off von 200 μg/g erscheint hilfreich, um funktionelle von entzündlichen Darmerkrankungen abzugrenzen. Hierbei gilt es jedoch immer die Klinik und Risikofaktoren des Patienten einzubeziehen.
  • In der Therapiesteuerung von IBD scheint ein Cut-off von 250 μg/g als Marker einer relevanten Entzündungsaktivität sinnvoll, um eine Therapieeskalation zu rechtfertigen. Allerdings ist auch hier die Klinik des Patienten entscheidend.
  • Calprotectin ist ein unspezifischer Entzündungsmarker. Auch Neoplasien des Gastrointestinaltraktes genauso wie infektiöse Gastroenteritiden, NSAR-assoziierte Enteropathien, Zöliakie, Divertikulitis, mikroskopische Kolitis sowie Ulzera des oberen GI-Traktes können Ursache für eine Erhöhung sein.

1. Ruth MA. Fecal Calprotectin. Adv Clin Chem. 2018; 87: 161 – 190
2. Burri E. The use of fecal calprotectin as a biomarker in gastrointestinal disease. Expert Rev Gastroenterol Hepatol. 2014; 8 (2): 197-210
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Dyspepsie

Als Dyspepsie (vom griechischen dys (schlecht) und pepsis (Verdauung)) bezeichnet man Beschwerden, welche in den Oberbauch lokalisiert werden. Dyspeptische Beschwerden werden meistens in Form von Brennen, Ziehen, Schmerzen, Völlegefühl oder auch Krämpfe angegeben. Der Begriff erlaubt keine exakte ätiologische Zuordnung, wobei im Alltag meist eine vermutete Herkunft von Magen/Duodenum gemeint ist.

Die häufigsten Differentialdiagnosen der Dyspepsie sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Die obere Panendoskopie (Oesophago-Gastro-Duodenoskopie) ist die Methode der Wahl, den dyspeptischen Beschwerden weiter auf den Grund zu gehen.


Etwa 20-40% der Bevölkerung klagen regelmässig über dyspeptische Beschwerden, wobei weniger als die Hälfte davon deswegen einen Arzt aufsucht. Trotzdem verursachen dyspeptische Beschwerden eine signifikante Einschränkung der Lebensqualität von Betroffenen und nicht unerhebliche Gesundheitskosten (1), weshalb eine genaue Abklärung durchaus sinnvoll ist.
Als wichtigstes sollten in Anamnese und Labor Alarmsymptome (Gewichtsverlust, Dysphagie, Odynophagie, Anämie, postprandiales Erbrechen, neu aufgetretene Beschwerden im Alter > 50 Jahren) nicht verpasst werden.
Liegen keine Alarmsymptome vor, muss v.a. auch bei jüngeren Personen nicht zwingend endoskopiert werden.
Eine Oberbauchsonographie, um insbesondere eine ursächliche Cholezystolithiasis auszuschliessen, ist sicher v.a. bei postprandialen, kolikartigen Oberbauchbeschwerden indiziert.
Weiter empfiehlt sich vor Einleitung einer allfälligen probatorischen Gabe eines Protonenpumpeninhibitors eine Abklärung auf Helicobacter pylori. Am besten geeignet sind als nicht-invasive Diagnostik ein Stuhl- oder Atemtest (beide haben eine Sensitivität von 85-95% und Spezifität 85-95%). Ist Helicobacter pylori nachgewiesen, sollte dieser auch behandelt werden. Eine Testung auf Helicobacter pylori sollte frühestens 2 Wochen nach Beendigung der PPI-Gabe und frühestens 4 Wochen nach Beendigung einer Antibiotikatherapie erfolgen.
Eine obere Panendoskopie mit Biopsien aus dem Magen würde ich nach erfolglosem erstem Eradikationsversuch durchführen lassen, um abzuklären, ob eine Helicobactergastritis, ein Helicobacter-induzierter Ulkusleiden oder ein Normalbefund (funktionelle Dyspepsie, Helicobacter POSITIV) vorliegt, um die Notwendigkeit zur erneuten Eradikationsbehandlung zu erhärten.
Bei anhaltenden, störenden Beschwerden und negativem Helicobacter-Nachweis kann bei weiterhin fehlenden Alarmzeichen bei jüngeren Personen eine 4-wöchige Therapie mit einem Protonenpumpeninhibitor in Standarddosis 1x/d erfolgen. Bei Säure-bedingten Beschwerden kommt es in diesem Zeitraum meist zu einer guten Linderung der Symptome. Bei Persistenz der Beschwerden sollte aber auch dann zur weiteren Abklärung eine obere Panendoskopie erfolgen.
Bei Vorliegen von Alarmsymptomen oder auch auf Wunsch der Patienten sollte auf jeden Fall eine obere Panendoskopie erfolgen.
Hierbei könnten ein gastroduodenales Ulkus (Abb. 1), Manifestationen einer gastroösophagealen Refluxerkrankung (Refluxösophagitis (Abb. 2), Barrett­karzinom (Abb. 3) oder eine für Reflux-prädisponierende Hiatushernie (Abb.  4) oder ein Magenkarzinom (Abb. 5) ge­funden werden.


Zusätzlich kann mit einem Normalbefund auch ein allfälliger Verdacht auf eine funktionelle Dyspepsie erhärtet werden.
Nur etwa 25% der Dyspepsien haben eine organische Ursache, 75% sind funktioneller Genese (2).


Funktionelle Dyspepsie ist eine Ausschlussdiagnose und bedingt eine vorgängige obere Panendoskopie mit Normalbefund (3).
Ein weiterer häufiger Grund von dyspeptischen Beschwerden sind medikamentöse Nebenwirkungen. In der Anamnese sollte insbesondere nach nicht-steroidalen Antirheumatika, Steroiden, Eisenpräparaten und Antibiotika gefragt werden. Meist bessern die dyspeptischen Symptome nach Absetzen der Präparate innert einiger Wochen und eine obere Panendoskopie ist nicht zwingend nötig.

Dr. med. Marcel Halama

FMH Gastroenterologie
Aerztehaus Fluntern
Zürichbergstrasse 70
8044 Zürich

marcel.halama@hin.ch

Der Autor hat in direktem Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenkonflikte deklariert.

  • Dyspepsiebeschwerden sind häufig und verursachen hohe Gesundheitskosten
  • Alarmsymptome und/oder Wunsch nach Abklärung stellen Indikationen zur oberen Panendoskopie dar
  • Bei jungen Patienten ohne Alarmsymptome muss nicht zwingend endoskopiert werden
  • 25% Prozent der Dyspepsien haben eine organische Ursache, 75% sind funktioneller Genese

1. Lacy et al; Aliment Pharmacol Ther 2013;Jul (2):170-7
2. Talley et al; Gastroenterology 1998;114:582
3. Drossmann et al; Gastroenterology 2016;150:1257-61

Die PGG-Studie

Die Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste St. Gallen haben zusammen mit der Erwachsenenpsychiatrie des Kantons St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden im Jahr 2019 eine Studie mit 100 psychisch kranken Müttern und Vätern durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Eltern einer erheblichen Belastung ausgesetzt sind und bei ihnen ein grosser Unterstützungsbedarf besteht. Insbesondere brauchen sie Angebote, die nicht mit zusätzlichem Zeit- und Energieaufwand verbunden sind und die möglichst an ihren Behandlungsorten integriert werden. Die Ergebnisse der Studie sind die Basis für die Entwicklung von passenden Angeboten in der Region.

In unserer Gesellschaft ist Elternschaft trotz des Wandels bezüglich Familienformen (1) und der damit einhergehenden Herausforderungen nach wie vor ein für Identität bedeutsamer Aspekt. Insbesondere Frauen nehmen ihre Mutterschaft als eine Bereicherung für die eigene Persönlichkeitsentwicklung und den eigenen Lebensentwurf wahr. Für psychisch kranke Elternteile kann Elternschaft einen Resilienzfaktor darstellen, der massgeblich zu ihrer Rehabilitation beizutragen vermag (2). Gleichzeitig stellt die Elternschaft für die betroffenen Personen auch eine grosse Herausforderung dar und kann zusammen mit der psychischen Erkrankung zu einer doppelten Belastung werden (3). Psychisch kranke Eltern und ihre Familien brauchen Angebote, die zu ihrem Bedarf und ihren Ressourcen gut passen, da Untersuchungen zeigen, dass die Inanspruchnahme bestehender Angebote durch psychisch kranke Eltern häufig gering ist (4).
Behandlungen und Angebote im Zusammenhang mit Elternschaft und elterlicher psychischer Erkrankung sowie mit deren Auswirkungen auf die Kinder bedürfen unbedingt einer multidimensionalen und generationenübergreifenden Betrachtung, um wirksam und nachhaltig zu sein (5). Dafür sind auch Forschungsansätze nötig, die Menschen in ihren Lebenswelten zu ihrem subjektiven Erleben und ihren Bedürfnissen befragen.

Psychische Gesundheit aus der Generationen-perspektive: Die wichtigsten Daten zum Design der PGG-Studie

Der Hauptzweck der PGG-Studie (PGG für: Psychische Gesundheit aus der Generationenperspektive) (6) bestand, neben dem Erkenntnisgewinn, darin, in der Region eine gute Grundlage für die Implementierung konkreter, möglichst passgenauer Angebote für Familien mit psychisch kranken Elternteilen zu schaffen.
Die untersuchte Gruppe setzte sich aus psychisch kranken Müttern und Vätern zusammen, die zum Zeitpunkt der Erhebungen (Mai bis September 2019) ambulant oder (teil-)stationär in psychiatrischen Institutionen der Kantone St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden in Behandlung waren. Für die umfassende Beantwortung der Fragestellungen wurden die Querschnittdaten mittels Fragebögen wie auch halbstrukturierten Interviews erhoben. Es wurden zum einen Basisdaten (Alter, Familiensituation, Beruf, Anzahl Kinder, Betreuungssituation der Kinder) und Informationen zur psychischen Erkrankung (Diagnose, Dauer der Erkrankung, Anzahl Hospitalisationen, aktuelles Befinden) erhoben. Zum Zweiten wurden verschiedene standardisierte Fragebögen verwendet, die die elterliche Belastung messen (7) und die Einschätzung der Stärken und Schwächen aus elterlicher Sicht erheben (8, 9). Zum Dritten füllten die Eltern einen Fragebogen zu ihren Erfahrungen mit verschiedenen Angeboten sowie ihren Erwartungen und ihrem Bedarf bezüglich Unterstützung aus (6).
Für die Interviews wurde ein Interviewleitfaden eingesetzt, der Fragen zur Rolle der Elternschaft in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung der Eltern, zur Lebenssituation und Charakterisierung der Kinder, zum Einfluss der elterlichen Erkrankung auf die Kinder sowie zu Erfahrungen mit bestehenden Angeboten und zum individuellen Hilfebedarf beinhaltete.
Voraussetzung zur Studienteilnahme waren ausreichende Deutschkenntnisse und dass die Kinder noch minderjährig waren. Die Teilnehmenden wurden von ihren Bezugspersonen und vom wissenschaftlichen Team sowohl schriftlich wie mündlich zu verschiedenen Zeitpunkten über den Datenschutz, Anonymität und den Forschungshintergrund aufgeklärt. Die Studie wurde von der Ethikkommission des Kantons St. Gallen unter der Projektnummer 2019-00180 bewilligt. Insgesamt dauerte die Erhebungsphase vier Monate, wobei in den teilnehmenden Institutionen an einzelnen Stichtagen Daten erhoben wurden.

Ergebnisse der Studie

Es wurden 100 Personen1 (68% weiblich) in psychiatrischer Behandlung befragt, die Eltern von 189 Kindern im Alter zwischen einem Monat und 18 Jahren waren (Durchschnittsalter: 9.7 Jahre). Die an der Studie Teilnehmenden hatten im Schnitt zwei Kinder. Eine Mehrheit (62%) war zum Zeitpunkt der Befragung in einer festen Partnerschaft, mehr als die Hälfte war berufstätig und über ein Drittel (davon 89% weiblich) primär mit Familienarbeit beschäftigt. Knapp die Hälfte (45%) der Stichprobe wies als höchsten Ausbildungsabschluss eine Berufslehre auf. Als Erstsprache wurde in 70% der Fälle Schweizerdeutsch oder Hochdeutsch angegeben. 40% der Elternteile nahmen nach dem Ausfüllen der Fragebogen an einem Einzelinterview teil. Diese Gruppe unterschied sich nicht signifikant von der Gesamtgruppe.

Diagnosen und Behandlungssetting

Die 100 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer litten mehrheitlich (60%) unter einer depressiven Erkrankung. Zusammen mit Angst- und Zwangsstörungen sowie Posttraumatischen Belastungsstörungen machten diese Erkrankungen drei Viertel der Hauptdiagnosen der Stichprobe aus. Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer litten im Durchschnitt seit 5.8 Jahren an der psychischen Erkrankung und waren im Schnitt 1.51-mal psychiatrisch hospitalisiert gewesen (Tab. 1). Rund drei Viertel (73%) der an der Studie Teilnehmenden waren zum Zeitpunkt der Studie entweder in ambulanter (54%) oder in tagesklinischer (19%) Behandlung, die übrigen waren in stationärer Behandlung.

Zusätzliche Belastungen und Einschätzung der Befindlichkeit der Kinder

Die befragten Eltern gaben neben ihrer psychischen Erkrankung durchschnittlich noch zwei weitere Belastungen an: Häufig wurden finanzielle Probleme, Konflikte mit dem anderen Elternteil und zusätzliche körperliche Erkrankungen genannt. Die Daten aus dem elterlichen Belastungsinventar zeigen, dass Items, welche die elterliche Kompetenz betreffen («Es fällt mir manchmal schwer herauszufinden, was mein Kind braucht», oder: «Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob ich den Anforderungen als Mutter/Vater gewachsen bin»), besonders häufig als «sehr zutreffend» angekreuzt wurden. Aufgrund der Daten aus den Fragebogen, die Stärken und Schwächen der Kinder abfragten, müssen über zwei Drittel der Kinder in ihrem Verhalten als «grenzwertig» oder «auffällig» betrachtet werden.

Wichtige Ergebnisse aus den Einzelinterviews

In den 40 durchgeführten Einzelinterviews berichteten die Eltern häufig über verschiedene Sorgen im Zusammenhang mit ihren Kindern, beispielsweise von der Befürchtung, diese könnten selbst psychisch erkranken. Genannt wurden auch Insuffizienzgefühle in der Elternrolle sowie konkrete Einschränkungen in der Alltagsbetreuung der Kinder sowie die Sorge um eine adäquate Kinderbetreuung während möglicher Klinikaufenthalte. Einige Elternteile sprachen von einem belastenden Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Kindern, welches teilweise ihren eigenen Heilungsprozess beeinträchtige, weil sie gedanklich zu sehr auf die Kinder fokussiert seien. Die beschriebenen Belastungen und Sorgen wurden vorwiegend von den Müttern genannt, da sie mehrheitlich für die Betreuung der Kinder zuständig waren. Die Väter machten sich hingegen gehäuft Gedanken zu genetischen Komponenten einer möglichen psychischen Erkrankung ihrer Kinder oder waren mit Besuchsregelungen beschäftigt, die sie als ungerecht und belastend beschrieben.
Die meisten Eltern haben aber auch betont, wie wichtig ihnen die Beziehung zu ihren Kindern sei und wie viel Kraft (v.a. Mütter) sie daraus schöpfen würden. Viele haben einige positive Eigenschaften ihrer Kinder genannt und stimmige Episoden mit ihnen geschildert. Der grossen Mehrheit der interviewten Eltern war bewusst, dass ihre Kinder wegen ihrer psychischen Erkrankung immer wieder mit schwierigen Situationen würden umgehen müssen und dass sie sich als Eltern mehr Unterstützung wünschten, um den Bedürfnissen der Kinder besser gerecht werden zu können.

Unterstützungsbedarf

Die befragten Eltern gaben sowohl im Fragebogen als auch in den Einzelinterviews einen deutlichen Unterstützungsbedarf an: Sie möchten in den psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlungen als Eltern gesehen und angesprochen werden. Des Weiteren möchten sich bei der Entwicklung und Gestaltung passender familiärer Lösungen und Hilfestellungen von ihren Betreuerinnen begleitet werden, um nicht verschiedene Fachstellen aufsuchen und mit unterschiedlichen Fachpersonen interagieren zu müssen. Niederschwellige, aufsuchende Angebote würden die Bedürfnisse vieler psychisch kranker Mütter und Väter – laut eigener Einschätzung – am besten decken. An der Entwicklung ihrer elterlichen Kompetenzen würden sie gerne in der gleichen Institution, in der sie psychiatrisch und/oder psychotherapeutisch behandelt werden, arbeiten. Dafür wären Elterngruppen oder «Kinderspezialistinnen» vor Ort aus ihrer Sicht hilfreich.

Geplante Angebote aufgrund der PGG-Studie im Kanton St. Gallen

Die durchgeführte Studie sollte auf empirischer Grundlage Daten generieren, die für die Implementierung von Angeboten für psychisch kranke Eltern und ihre Kinder nutzbar sind. Aufgrund der Informationen aus dem Fragebogen zum familiären Unterstützungsbedarf sowie insbesondere auch auf der Basis der differenzierten Angaben aus den Einzelinterviews mit psychisch kranken Müttern und Vätern konnten erste mögliche Angebote konzeptualisiert werden. Leitend bei der Entwicklung und Entscheidung waren der Wunsch nach Niederschwelligkeit sowie nach Integrierung im Rahmen der von den Eltern genutzten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlungsangebote. Die Studie hat gezeigt, dass psychisch kranke Mütter und Väter, die stationär betreut werden, einen anderen Bedarf aufweisen als diejenigen, die ambulant oder in einem tagesklinischen Setting behandelt werden. Für die erste Gruppe bietet sich eine Weiterentwicklung an, die die Elternschaft in den Mittelpunkt stellt, in Form der bereits seit 2018 in der Klinik St. Pirminsberg durchgeführten «Recovery Wege»-Kurse. In diesen Kursen sollen Eltern, die stationär oder teilstationär behandelt werden, sich austauschen können und Informationen erhalten, die sie in ihrem Elternsein stärken. Der Kurs wird von einer Fachperson zusammen mit einer Peer-Mitarbeiterin durchgeführt, die über geeignete berufliche Kompetenzen verfügt. Der Kurs findet innerhalb von 3 Monaten in Form von 6 Modulen à 2 Tage statt. Des Weiteren möchten die Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste St. Gallen und die Psychiatrie St. Gallen Nord gemeinsam am Standort Wil 2021 im Rahmen eines Pilotprojekts in den Räumen der Erwachsenenpsychiatrie zwei Angebote für psychisch kranke Eltern, die in ambulanter oder teilstationärer Behandlung sind, umsetzen. Zum einen soll 14-täglich an einem Nachmittag eine kinderzentrierte Beratung vor Ort angeboten werden, die durch die Eltern nach vorgängiger Anmeldung oder auch ad hoc wahrgenommen werden kann. Zum anderen sollen Elterngruppen für psychisch kranke Eltern stattfinden, in welchen während 6 Monaten in 10 Sitzungen unter der Leitung zweier Fachpersonen (Tandem Kinder- und Jugendpsychiatrie und Erwachsenenpsychiatrie) am Thema der Elternschaft, der elterlichen Reflexionsfähigkeit und der elterlichen Kompetenzen gearbeitet werden soll. Die drei Angebote werden wissenschaftlich begleitet und evaluiert. In Abhängigkeit von den Ergebnissen ist eine Überführung in das Regelangebot sowie eine regionale Ausweitung angedacht.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. phil. Maria Teresa Diez Grieser

Forschungsleitung
Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienste St. Gallen
Brühlgasse 35 / 37
9004 St. Gallen

mariateresa.diez@kjpd-sg.ch

Die Autorin hat keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

  • Die Mehrheit der psychisch kranken Eltern, die in dieser Studie befragt werden konnten, sind durch ihre Elternschaft zusätzlich belastet.
  • Die psychisch kranken Elternteile beschreiben ihre Kinder ebenfalls
    als belastet und sie geben verschiedene Verhaltens- und emotionale Probleme an, die zusammen mit den anderen Risikofaktoren (u. a. finanzielle Probleme, elterliche Konflikte) die Entwicklung negativ
    beeinflussen können.
  • Psychisch kranke Eltern möchten, dass ihre Elternschaft in der psy­chiatrischen/psychotherapeutischen Behandlung eine stärkere Rolle spielt.
  • Psychisch kranke Eltern möchten innerhalb der Erwachsenenpsy­chiatrie mit verschiedenen Angeboten in ihren Elternkompetenzen unterstützt werden.

1. Fustenberg FF, Harris LE, Pesando LM, Reed MN. Kinship Practices Among Alternative Family Forms in Western Industrialized Societies. Journal of Marriage and Family 2020; 82(5): 1403–1430
2. Bonfils KA, Adams EL, Firmin RL, White LM. Parenthood and Severe Mental Illness: Relationships With Recovery. Psychiatric Rehabilitation Journal. 2014; 37(3): 186–193
3. Grube M, Dorn A. Elternschaft bei psychisch Kranken. Psychiatrische Praxis 2007; 34: 66–71
4. Kühnis R, Müller-Luzi S, Schröder M, Schmid M. Zwischen Stuhl und Bank – Hindernisse bei der Inanspruchnahme von Hilfsangeboten für Familien mit einem psychisch kranken Elternteil. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie. 2016; 65(4): 249–265
5. Lenz A, Wiegand-Grefe S. Kinder psychisch kranker Eltern. (Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie) 2017; Göttingen: Hogrefe
6. Diez Grieser, MT, Flükiger D, Schenkel S, Schmid TB, Simonetta F, Tylla S. Psychische Gesundheit aus der Generationenperspektive (PGG). Bericht zu den Ergebnissen der explorativen Studie zu Belastungserleben und Unterstützungsbedarf psychisch belasteter Eltern. Unveröffentlichter Bericht. 2020; (https://www.kjpd-sg.ch/2020/06/24/studie-psychische-gesundheit-aus-der-generationenperspektive-pgg/; Zugriff: 7.12.2020)
7. Abidin R.R. Parenting Stress Index. Professional Manual (3. Aufl.) 1995; Odessa, Fla.: Psychological Assessment Resources. Dt. Version: Tröster H. Eltern-Belastungs-Inventar. EBI. Deutsche Version des Parenting Stress Index (PSI) von R. R. Abidin. 2011; Göttingen u. a.: Hogrefe
8. Briggs-Gowan MJ, Carter AS. BITSEA. Brief Infant Toddler Social and Emotional Assessment 2006; San Antonio, Texas: Pearson. (Deutsche Übersetzung: Hänggi, Y., Bindernagel, D. & Mögel, M. (2011), unveröffentlicht.)
9. Woerner W, Becker A, Friedrich C, Klasen H, Goodman R, Rothenberger, A. Normierung und Evaluation der deutschen Elternversion des Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ): Ergebnisse einer repräsentativen Felderhebung (Normative Data and Evaluation of the German Parent-rated Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ): Results of a Representative Field Study). Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. 2002; 30, 105–112

Update Migräne

Die Möglichkeiten der Behandlung der Migränekrankheit mit ihrem verheerenden Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen hat in den letzten Jahren eine klinisch bedeutende Entwicklung durchgemacht. Nach einem letzten Überblick über die Behandlung der Migräne in der Dezemberausgabe von «der informierte arzt» 2019 folgt hier ein Update über die aktuelle Weiterentwicklung.

Die Migränebehandlung beginnt mit der korrekten Diagnose. Diese wird aufgrund einer sorgfältigen Anamnese und einer unauffälligen neurologischen Untersuchung gestellt. Die betroffenen Patienten berichten über wiederkehrende, oft halbseitige Kopfschmerzen begleitet von einer Reizüberempfindlichkeit auf Licht und Geräusche, aber auch Gerüche, Bewegung oder Berührung (Allodynie). Neben der Migräne sind um 300 weitere primäre und sekundäre Kopfschmerzen in der ICHD-3 definiert (1). Ein wichtiges Hilfsmittel zum Erkennen von Mustern kann ein Kopfschmerztagebuch sein. Idealerwiese führen die Patienten dieses bereits 3-4 Wochen vor der Konsultation beim Spezialisten, aber auch zur Verlaufsbeobachtung unter Therapie. Bei der Migräne werden eine episodische und eine chronische Form unterschieden, je nachdem ob weniger oder mehr als die Hälfte der Tage im Monat betroffen sind. Bei der chronischen Form müssen zudem mindestens die Hälfte der Kopfschmerztage ‒ also 8 Tage pro Monat ‒ Migränekriterien erfüllen. Die wichtigste Differentialdiagnose ist hier sicherlich der Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (2). Andere Kopfschmerzarten müssen erwogen werden, wenn sich die Kopfschmerzen nicht migränetypisch zeigen und v.a. wenn sogenannte «Red Flags» vorliegen (Tab. 1. (3)).
Die Abgrenzung zu den streng einseitigen Cluster-Kopfschmerzen kann dann schwierig werden, wenn es Überlappungen von migränösen oder autonomen (Augentränen, Nasenlaufen etc.) Symptomen gibt, oder wenn beide Kopfschmerztypen gemischt auftreten. Die deutlich kürzere Attackendauer bei höherer Frequenz, aber auch die nächtlichen Attacken oder die begleitende motorische Unruhe, sprechen dann für Letzteren.
Auch wenn die Pathophysiologie nach wie vor nicht vollständig verstanden ist, kam die Migräneforschung des Rätsels Lösung in den letzten Jahren deutlich näher. Insbesondere CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) kann eine pivotale Rolle in der Schmerzentstehung zugeordnet werden (4-7), was direkte therapeutische Ansatzpunkte generiert.

Die Bausteine der Migränebehandlung

Vor Therapiebeginn sollten eine korrekte Diagnose gestellt und dazugehörende Information über die Erkrankung und deren Konsequenzen an den Patienten gegeben worden sein. Die Migränebehandlung basiert auf 3 Säulen.

Erste Säule – Akutbehandlung

Die Attackenbehandlung soll stratifiziert erfolgen (8, 9) d.h. die Medikation richtet sich nach Stärke und Begleitsymptomen. Triptane haben die beste Wirksamkeit, aber auch einfache und nicht-steroidale Analgetika (NSAR) können effizient sein (10, 11). Im Notfall oder später während der Attacke bieten sich parenterale Applikationsformen an, z.B. intranasal, subkutan oder intravenös (12). Eine regelmässige Einnahme von Akutschmerzmitteln an 10 oder mehr Tagen pro Monat birgt die Gefahr einer Chronifizierung. Opiate haben in der Migränebehandlung keinen Stellenwert (13).
Als weitere Wirkstoffklassen stehen die «Ditane» (Serotonin-Rezeptoragonisten, 5-HT1F), welche keine potentiell vasokonstriktiven Effekte haben, und auch die «Gepants» («small molecule CGRP antagonists») kurz vor der Marktzulassung in Europa und der Schweiz (14, 15).

Zweite Säule – Medikamentöse Prophylaxe

Der Zeitpunkt für den Beginn einer Basisprophylaxe hängt von der Dauer und Häufigkeit der Attacken, aber vor allem vom individuellen Leidensdruck und der Belastung im Alltag ab. Von den meisten Richtlinien wird der Beginn ab 3-5 Migränetage pro Monat empfohlen (16). Die positive Wirkung zahlreicher Medikamente auf die Migräne wurde in den letzten Jahrzehnten meist zufällig entdeckt und dann wissenschaftlich untersucht. In der Schweiz haben Amitriptylin, Propranolol, Metoprolol, Flunarizin, Topiramat und die neuen monoklonalen Antikörper eine Zulassung zur Migräneprophylaxe (16). In den letzten Jahren wurden nun spezifische Migräneprophylaktika auf Basis des CGRP-Mechanismus entwickelt (17). Durch eine medikamentöse Migräneprophylaxe darf jedoch kein «Heilung» erwartet werden. Ziel der Behandlung ist eine Reduktion der Anfallshäufigkeit um 50%.

Dritte Säule – Nicht-medikamentöse Optionen

Die nicht-medikamentösen Optionen bilden die dritte Säule. Wie in der Altersvorsorge ist diese variabel, aber nicht weniger effektiv. Die Verträglichkeit dieser Optionen ist durchwegs sehr gut, sie sind beliebig kombinierbar und haben als Nachteil vor allem den Zeitaufwand. Generell kann ein regelmässiger, ausgeglichener Lebensstil empfohlen werden. Als psychologisch-therapeutischer Ansatz wurde die positive Wirkung kognitiver Verhaltenstherapie in verschiedenen Studien belegt (18). Biofeedback-Therapie, Entspannungstechniken (z.B. progressive Muskelrelaxation) und aerobes Ausdauertraining können ebenfalls empfohlen werden (19-21). Auch die externe Neuromodulation passt in diese Säule. Schliesslich konnte durch Modulation des trigeminalen Systems sowohl akute wie prophylaktische Effekte erzielt werden (22, 23). Weitere Verfahren befinden sich in der Prüfung, so die Stimulation des Nervus vagus und die transkranielle Gleichstromstimulation (24-26).

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Prof. Dr. med. Andreas R. Gantenbein

Facharzt Neurologie
Neurologie am Untertor
Erachfeldstrasse 2
8180 Bülach
www.neurologie-untertor.ch

andreas.gantenbein@zurzachcare.ch

Dr. med. Heiko Pohl

Heiko Pohl
Klinik für Neurologie
Universitätsspital Zürich
Schweiz

AG hatte in den letzten 3 Jahren finanzielle Verbindungen (Beratungstätigkeiten, Honorare für Vorträge, Reisekostenübernahmen, Studienunterstützungen) mit folgenden Firmen: Allergan, Almirall, Eli Lilly, Novartis, TEVA/Mepha.
HP hatte in den letzten 3 Jahren finanzielle Verbindungen (Beratungstätigkeiten, Honorare für Vorträge, Reisekostenübernahmen, Studienunterstützungen) mit folgenden Firmen: Eli Lilly, Novartis, TEVA/Mepha. HP ist Forschungsstipendiat des Werner Dessauer Clusterstipendium.

  • Die Migränebehandlung beruht auf der korrekten Diagnose und dem Management aus Akutbehandlung, Prophylaxe und nicht-medikamentösen Optionen.
  • Eine stratifizierte Attackenbehandlung ist empfohlen an maximal 10 Tagen pro Monat.
  • Die Migräneprophylaxe hat das Ziel einer Reduktion der Anfallshäufigkeit um 50%.
  • Nicht-medikamentöse Optionen sind ein wichtiger Bestandteil eines multimodalen Migränemanagements.

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CPAP-Urlaub

Die obstruktive Schlafapnoe (OSA) ist aufgrund der zunehmenden Adipositas-Epidemie in der westlichen Welt auf dem Vormarsch. Die nächtliche CPAP  (Continuous Positive Airway Pressure) -Therapie gilt als Goldstandard bei der moderaten bis schweren symptomatischen OSA. In diesem Artikel werden Argumente für und gegen eine Unterbrechng dieser Therapie, z.B. während Ferien kritisch diskutiert.

Bei der OSA handelt es sich um eine Schlaf-assoziierte Atmungsstörung mit wiederholtem Kollaps des Pharynx, welcher zu Apnoen (Unterbruch des Atemflusses) oder Hypopnoen (relevante Verminderung des Atemflusses) und damit verbunden zu intermittierenden Sauerstoff-Desaturationen und kortikalen Arousals führt. Dabei spielen die Enge und Kollapsneigung der oberen Atemwege, der Muskeltonus und deren autonome Kontrolle sowie Mechanismen der Atemregulation und die Lungenvolumina in individuell unterschiedlichem Ausmass eine Rolle. Das Ausmass von Symptomen und kardiovaskulären Folgen sind dabei unabhängig von Schweregrad gemäss gemessenem Apnoe-Hypopnoe-Index sehr unterschiedlich und die primäre Indikation für eine Behandlung der OSA sind assoziierte Symptome und eine reduzierte Lebensqualität. Aus Populationsstudien weiss man, dass die Prävalenz von mindestens mittelschwerer OSA (mehr als 15 Apnoen/Hypopnoen pro Stunde) bei Erwachsenen mittleren Alters bei 10-17% liegt (1). Eine neuere Populationsstudie aus der Schweiz schätzt diese bei Männern gar auf 50% und bei Frauen auf 23% (2). Aber nur ein Teil der Betroffenen leidet an Tagesmüdigkeit oder Tagesschläfrigkeit. Allerdings können auch Symptome wie Konzentrationsstörungen, Durchschlafstörungen und Nykturie als Folge einer OSA auftreten. Bei Patienten mit kardio- und zerberovaskulären Erkrankungen wird die Prävalenz der OSA deutlich höher geschätzt als in der Allgemeinbevölkerung, insbesondere bei Patienten mit therapieresistenter arterieller Hypertonie. Bei diesen Patienten kann eine Therapieindikation auch im Hinblick auf die Blutdruckkontrolle gegeben sein.

CPAP als Goldstandard der Therapie

Als Goldstandard der Therapie der moderaten bis schweren sym­ptomatischen OSA gilt weiterhin die nächtliche CPAP (Continuous Positive Airway Pressure) -Therapie. Diese Therapieform verhindert den Kollaps der oberen Atemwege und reduziert so Apnoen und Hypopnoen, die ansonsten zu Weckreaktionen, sympathischer Aktivierung und intermittierender Hypoxie führen würden. Neben dem positiven Einfluss auf den arteriellen Blutdruck und die Endothel­funktion soll die CPAP Therapie vor allem die Lebensqualität, die neurokognitiven Funktionen und die subjektive Tagesschläfrigkeit der OSA-Patienten verbessern (3). Ob und in welchem Ausmass dies geschieht, hängt unter anderem von der Therapieadhärenz der Patienten ab. Während allgemein angenommen wird, dass mindestens 4 Stunden während mindestens 70% der Nächte nötig sind, um den vollen Benefit der CPAP-Therapie z.B. auf die Tagesmüdigkeit zu erfahren, deuten neuere Studienergebnisse eher darauf hin, dass es keinen harten Cut-off der Nutzungszeit gibt (4).

CPAP-Urlaub – sinnvoll?

Doch auch optimal Therapie-adhärente Patienten kommen in Situa­tionen, in denen sie gerne zumindest für kurze Zeit auf ein CPAP Gerät verzichten wollen. Eine solche klassische Situation ist der Urlaub. So werden Hausärzte, Pneumologen und Schlafmediziner häufig mit der Frage konfrontiert, ob das kurzzeitige Aussetzen der CPAP-Therapie einen negativen Einfluss auf die Gesundheit haben kann. Eine Vielzahl von randomisiert kontrollierten Studien hat zur Erforschung der Folgen der OSA ein Studienmodel angewendet, welches einen CPAP-Therapieunterbruch von zwei Wochen beinhaltet, um anhand der Reaktivierung der OSA deren pathophysiologische Folgen zu studieren. Diese Studien erlauben es gleichzeitig, Fragen zu negativen Folgen eines vorübergehenden CPAP-Unterbuches zu beantworten. Die OSA kehrt bei der Mehrheit der Patienten rasch nach dem Stopp der CPAP-Therapie zurück. So war bereits ein kurzer CPAP-Stopp von zwei Wochen mit einer Verschlechterung der psychomotorischen Funktionen, Erhöhung des Blutdrucks und Herzfrequenz und auch mit einer Verschlechterung der peripheren Endothelfunktion verbunden. Hingegen konnte keine Verschlechterung der myokardialen Perfusion festgestellt werden, was auf eine erhaltende koronare Endothelfunktion hinweist (5). Obwohl bei Patienten mit schwerer Schlafapnoe mit starken Sauerstoff-Desaturationen während des CPAP-Unterbruchs eine klinisch relevante zerebrale Hypoxämie nachgewiesen wurde (6), wurde in einer grösseren Gruppe von OSA-Patienten kein negativer Effekt eines kurzzeitigen CPAP-Entzugs auf die cerebrovaskuläre Reaktivität nachgewiesen (7). Somit hat sich gezeigt, dass die Mikrozirkulation der kritischen Organe wie Herz und Gehirn aufgrund des CPAP-Unterbruches keinen negativen Effekt erlitten haben.
Neben den gesundheitlichen Risiken eines kurzen CPAP-Stopps, fürchten die Patienten vor allem die Rückkehr der Tagesmüdigkeit. Young et al. konnte an 42 OSA Patienten zeigen, dass die Tagesmüdigkeit bereits am zweiten Tag nach CPAP-Pause auf das Ausgangsniveau vor CPAP Therapie zurückkehren kann (8). Neben der resultierenden kognitiven Einschränkung und der reduzierten Lebensqualität, die einem erholsamen Urlaub entgegenstehen, ist erhöhte Tagesmüdigkeit ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Autounfälle vergesellschaftet. Aber kehrt die Müdigkeit wirklich bei jedem OSA Patienten zurück, der ein paar Tage auf sein CPAP Gerät verzichtet? Eine Post-hoc Analyse von 132 OSA Patienten, die 2 Wochen auf ihr CPAP Gerät verzichtet haben, konnte zeigen, dass vor allem jüngere Patienten mit hoher subjektiver Tagesschläfrigkeit (gemessen mit Epworth Sleepiness Scale) und schwerer Form des OSA Gefahr laufen, auch in kurzen CPAP-Ferien müde zu werden (9). Es bleibt zu bedenken, dass die meisten randomisiert kontrollierten Studien zu dem Thema einem fest etablierten «CPAP-Withdrawal»-Protokoll gefolgt sind, welches einen genau zwei wöchigen CPAP-Entzug vorsieht. Demnach sind z.B. Fragen, ab welchem Zeitpunkt, die pathophysiologischen Veränderungen des OSA wiederkehren, ob nach einem Tag oder erst nach zwei Wochen, schwer zu beantworten.
Eine abschliessende, generelle Antwort, ob ein kurzer Verzicht auf die CPAP-Therapie eine klinisch relevante Verschlechterung der Gesundheit mit sich bringe, kann nicht gegeben werden. Eine individuelle Beurteilung der OSA-Symptomatik vor Therapiebeginn, des Schweregrades der OSA anhand von Apnoe-Hypopnoe-Index und dem Ausmass der nächtlichen Hypoxämie sowie der Komorbiditäten und psychosozialen Situation des Patienten muss der Risikoeinschätzung sicherlich vorausgehen. Vor dem Hintergrund einer potentiellen Rückkehr der subjektiven Tagesmüdigkeit inklusive erhöhtem Risiko für Verkehrsunfälle sollten die CPAP-Unterbrechungen bei symptomatischen Patienten, die davon profitiert haben, allerdings so kurz wie möglich gehalten werden. Hierbei können auch kleinere CPAP-Geräte hilfreich sein, die speziell für Reisen angeboten werden und im Reisegepäck weniger Platz einnehmen. Auch gibt es einen Wandel zu individuell angepassten Therapiekonzepten, die neben der CPAP-Therapie auch z.B. eine Unterkieferprotrusionsschiene als Alternative beim Reisen einbeziehen können.
Grundsätzlich bleibt zu sagen, dass es verschiedene Phänotypen von OSA mit unterschiedlicher Symptomatik gibt. Es ist jedoch anzunehmen, dass je schwerer die Tagesmüdigkeit und -schläfrigkeit vor Therapiebeginn und je höher der Nutzen der Therapie auf diese Symptome war, umso grösser die Wahrscheinlichkeit für eine rasche Rückkehr der Symptome im Falle eines Therapieunter­bruches umso grösser ist.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

PD Dr. med. Maurice Roeder

Oberarzt
Klinik für Pneumologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich

maurice.roeder@usz.ch

PD Dr. med. Esther Schwarz

Klinik für Pneumologie
UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

MR hat im Zusammengang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert. ES gibt an, von der Firma Novartis
innerhalb der letzten 5 Jahren Honorare für Vorträge bekommen zu haben.

  • Die obstruktive Schlafapnoe kehrt bei einem Grossteil der Patienten
    im Falle eines CPAP-Therapieunterbruches innert Tagen zurück.
  • Dies wird begleitet von einer graduellen Zunahme der vor Therapie-beginn allfällig bestehenden Symptomatik (Tagesmüdigkeit, erhöhte Einschlafneigung, Konzentrationsstörungen oder auch Durchschlaf-störung).
  • Bei einigen Patienten kommt es zudem zu einem klinisch relevanten Anstieg des systemischen Blutdruckes.
  • Ein Phänotyp-orientiertes und individuell angepasstes Therapiekonzept sollte zur Vermeidung von längeren Therapieunterbüchen bei symptomatischer, klinisch relevanter obstruktiver Schlafapnoe führen.

1. Peppard PE, Young T, Barnet JH, Palta M, Hagen EW, Hla KM. Increased prevalence of sleep-disordered breathing in adults. Am J Epidemiol 2013; 177(9): 1006-14.
2. Heinzer R, Vat S, Marques-Vidal P, et al. Prevalence of sleep-disordered breathing in the general population: the HypnoLaus study. Lancet Respir Med 2015; 3(4): 310-8.
3. Bakker JP, Weaver TE, Parthasarathy S, Aloia MS. Adherence to CPAP: What Should We Be Aiming For, and How Can We Get There? Chest 2019; 155(6): 1272-87.
4. Gaisl T, Rejmer P, Thiel S, et al. Effects of suboptimal adherence of CPAP-therapy on symptoms of obstructive sleep apnea: a randomised, double-blind, controlled trial. European Respiratory Journal 2019: 1901526.
5. Schwarz EI, Stradling JR, Kohler M. Physiological consequences of CPAP therapy withdrawal in patients with obstructive sleep apnoea-an opportunity for an efficient experimental model. J Thorac Dis 2018; 10(Suppl 1): S24-s32.
6. Schwarz EI, Furian M, Schlatzer C, Stradling JR, Kohler M, Bloch KE. Nocturnal cerebral hypoxia in obstructive sleep apnoea: a randomised controlled trial. Eur Respir J 2018; 51(5).
7. Thiel S, Lettau F, Rejmer P, et al. Effects of short-term CPAP withdrawal on cerebral vascular reactivity measured by BOLD MRI in OSA: a randomised controlled trial. European Respiratory Journal 2018: 1801854.
8. Young LR, Taxin ZH, Norman RG, Walsleben JA, Rapoport DM, Ayappa I. Response to CPAP withdrawal in patients with mild versus severe obstructive sleep apnea/hypopnea syndrome. Sleep 2013; 36(3): 405-12.
9. Roeder M, Sievi NA, Kohler M, Schwarz EI. Predictors of changes in subjective daytime sleepiness in response to CPAP therapy withdrawal in OSA: A post-hoc analysis. J Sleep Res 2020: e13078.