Vitrakvi (Larotrectinib)

Wirkmechanismus

Larotrectinib ist ein niedermolekularer hochselektiver Inhibitor der drei Tropomyosin-Rezeptor-Kinase-Proteine TRKA, TRKB und TRKC, die zur Schmerzregulierung, Propriozeption, Appetitsteuerung sowie Gedächtnisregulierung beitragen. Bei etwa einem Prozent aller soliden Krebsarten und in gut 1000 Fällen jährlich in Europa liegt ein Fusionsprotein vor, an dem eines der drei Gene der Tropomyosin-Rezeptor-Kinase-Proteine beteiligt ist. Die Gene heissen Neurotrophic receptor tyrosine kinase 1-3, abgekürzt NTRK 1-3. Die TRK-Fusion führt zur Überexpression dieser funktional pathogenen Proteine, was dann dauerhaft Liganden unabhängig den entsprechenden Signalweg aktiviert und ein unkontrolliertes Zellwachstum bewirkt. Daher wird auch von TRK-Fusionstumoren gesprochen.
Für Larotrectinib wurden konzentrationsabhängig eine starke sehr selektive Hemmung der TRK Proteine sowie eine Hemmung der Proliferation von Tumorzellen nachgewiesen. In Xenograft-Mausmodellen mit TRK-Fusion induzierte Larotrectinib eine signifikante Reduktion des Tumorwachstums. Nach Progression unter TRK-Inhibitoren wurden erworbene Resistenzmutationen beobachtet. Larotrectinib hatte minimale Aktivität in Zelllinien mit Punktmutationen in der TRKA-Kinasedomäne, einschliesslich der klinisch nachgewiesenen erworbenen Resistenzmutation G595R. Punktmutationen in der TRKC-Kinasedomäne, die eine klinisch relevante erworbene Resistenz gegenüber Larotrectinib verleihen, sind G623R, G696A und F617L.
Bisher sind ca. dreissig solide Tumorarten und Sarkome bekannt, bei denen TRK-Fusionen wiederholt nachgewiesen wurden. Die meisten gehören zu den Weichteilsarkomen aber auch papillären Schilddrüsenkarzinomen, Speicheldrüsenkarzinomen und Gliomen, für die es international auch bereits Zulassungen gab.

Klinische Wirksamkeit

Da das NTRK-Fusionsprotein bei verschiedenen weiteren Tumoren auftreten kann, wurden 3 Tumortyp-unabhängige sog. Basket-Studies durchgeführt, in die alle Patienten aller Alterskategorien mit einem TRK-Fusionsprotein-positiven Tumor, lokal fortgeschritten oder metastasiert, nach primär erfolgloser Standardtherapie eingeschlossen wurden.
Phase I Studie «LOXO-TRK-14001» (NCT02122913): Offene Dosis­eskalations- und expansionsstudie, welche erwachsene Patienten (≥18 Jahre) mit fortgeschrittenen soliden Tumoren einschloss (für die Expansionsphase war das Vorliegen einer NTRK Genfusion erforderlich). Es wurden 8 Patienten in die Wirksamkeitspopulation aufgenommen.
Phase II Studie «NAVIGATE» (NCT02576431): Offene Basket-Studie, welche erwachsene und pädiatrische Patienten (≥12 Jahre) mit fortgeschrittenen soliden Tumoren mit NTRK-Genfusion einschloss. Die verabreichte Dosis betrug 100 mg zweimal täglich. Aus dieser Studie flossen 65 Patienten in die gesamte Wirksamkeitspopulation ein.
Phase I/II Studie «SCOUT» (NCT02637687): Offene Dosiseskalations- und expansionsstudie, welche pädiatrische Patienten (≥28 Tage bis 21 Jahre) mit fortgeschrittenen soliden Tumoren oder primären ZNS-Tumoren einschloss (für die Expansionsphase war das Vorliegen einer NTRK Genfusion erforderlich). Die verabreichte Dosis betrug bis zu 100 mg/m2 zweimal täglich. Aus dieser Studie flossen 38 Patienten in die gesamte Wirksamkeitspopulation ein.
Primärer Endpunkt war die Gesamtansprechrate. In Tabelle 1 werden die Ansprechraten aus den drei Zulassungsstudien in Bezug auf die Art der Isoform des NTRK Fusionsproteins gezeigt.


In der Tabelle 2 sind das Ansprechen (ORR) und die Dauer des Ansprechens (DOR) der Patienten aus den drei Zulassungsstudien aufgelistet. Sie zeigten ein hohes und auch lange anhaltendes Ansprechen bei Erwachsenen und Kindern. Die Ansprechrate lag bei 81% für alle Altersgruppen nach medianen 7-18 Monaten und bei Kindern lag das Ansprechen bei 94%. Bei den 34 Kindern wurde in 35% eine komplette Remission, bei 59% eine partielle Remission und 6% eine Stabilisierung beobachtet.
Die Baseline-Charakteristika für die 18 Patienten mit primären ZNS-Tumoren mit einer NTRK-Genfusion, welche nicht in dieser Tabelle angeführt sind, lauten wie folgt: medianes Alter 10 Jahre (1-79 Jahre); 14 Patienten <18 Jahre, 4 Patienten ≥18 Jahre, 13 weiss, 8 männlich und 10 weiblich. Folgende Tumor-Typen lagen vor: Glio­blastom (6 Patienten), Gliom (4 Patienten), Glioneural (3 Patienten), nicht spezifiziert (3 Patienten) und Astrozytom (2 Patienten).
Alle Patienten hatten zuvor eine Behandlung für ihre Krebserkrankung erhalten (definiert als chirurgischer Eingriff, Radiotherapie oder systemische Therapie). Im Median hatten die Patienten 1 vorheriges systemisches Therapieregime erhalten.
Baseline-Charakteristika waren:
Folgende NTRK Genfusions-Isoformen sind bei den primären ZNS-Tumoren bestimmt worden: BCR-NTRK2 (bei 3 Patienten), SPECC1L-NTRK2 (bei 2 Patienten), ETV6-NTRK3, TPM3-NTRK1, AFAP-NTRK1, AGTPBP1-NTRK2, KANK2-NTRK2, AGAP1-NTRK2, BCR-NTRK3, GKAP1-NTRK2, KANK-NTRK2, KCDT8-NTRK2, NTRK2-AGAP1, TNS3-NTRK2, sowie nicht bestimmt (bei je 1 Patient). Zum Zeitpunkt des Cut-off waren 14 der 18 aufgenommenen Patienten mit primären ZNS-Tumoren für das Ansprechen auswertbar. Ein komplettes Ansprechen wurde bei 1 Patienten beobachtet, eine partielle Remission bei 3 Patienten und bei 6 Patienten wurde eine stabile Erkrankung über mindestens 16 Wochen beobachtet. Die Gesamtansprechrate betrug 29% (95% Konfidenzintervall: 8%, 58%). Zum Zeitpunkt des Cut-off lag die Behandlungsdauer bei 0.03 bis 16.6 Monaten und wurde bei 13 von 18 Patienten fortgesetzt.

Unerwünschte Wirkungen

Die Sicherheit von Vitrakvi wurde an total 208 Patienten mit lokal fortgeschrittenen oder metastasierten soliden Tumoren (unabhängig vom NTRK-Genfusionsstatus) beurteilt, welche mindestens eine Dosis Vitrakvi in einer der drei klinischen Studien «LOXO-TRK-14001», «NAVIGATE» und «SCOUT» erhalten hatten. Die gesamte Sicherheitspopulation umfasste Patienten mit einem medianen Alter von 42 Jahren (28 Tage bis 82 Jahre), wobei 27% der Patienten pädiatrische Patienten (28 Tage bis 18 Jahre) waren. Die Mehrheit (82%) der Erwachsenen (ab 18 Jahren) erhielt 100 mg Vitrakvi zweimal täglich als Anfangsdosis. Die mediane Behandlungsdauer für die gesamte Sicherheitspopulation betrug 4,1 Monate (Spanne: 0,03 bis 40,7).
Die am häufigsten gemeldeten unerwünschten Wirkungen unter Vitrakvi waren Fatigue (36%), Schwindelgefühl (29%), Übelkeit (28%), Obstipation (27%), ALT erhöht (26%), AST erhöht (26%), Anämie (26%), Erbrechen (24%), Myalgie (16%), Gewichtszunahme (14%), Muskelschwäche (13%), Neutrophilenzahl erniedrigt (12%), Leukozytenzahl erniedrigt (11%). Die meisten unerwünschten Wirkungen waren von Grad 1 oder 2. Die höchsten für Vitrakvi gemeldeten Grade waren erniedrigte Neutrophilenzahl und erhöhte ALT (Grad 4) sowie Anämie, Fatigue, Schwindelgefühl, Gangstörung, Parästhesie, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Myalgie, AST erhöht, Alkalische Phosphatase im Blut erhöht, Leukozytenzahl erniedrigt und Gewichtszunahme (Grad 3). Es wurden keine unerwünschten Wirkungen Grad 5 berichtet. Die meisten Ereignisse, die zu einer Dosisreduktion führten, traten innerhalb der ersten drei Behandlungsmonate auf. Zum dauerhaften Absetzen von Vitrakvi aufgrund behandlungsbedingter unerwünschter Wirkungen des Prüfpräparats kam es bei 2% der Patienten (ALT erhöht, AST erhöht, Muskelschwäche, Übelkeit, Enterokutanfistel und Amylase erhöht).

Kommentar

Es handelt sich um die zweite Zulassung, welche «tumor agnostic» erfolgt, d.h. dass nicht primär eine Indikation für eine einzelne organdefinierte Erkrankung, sondern für ein hochspezifisches Target verschiedener maligner Erkrankungen gleichzeitig erfolgt. Die erste solche Zulassung betraf Patienten mit einer «microsatellite instability-high (MSI-H) or mismatch repair deficient (dMMR)» Konstellation, welche von einer Pembrolizumab Therapie profitieren konnten.
Hier nun liegt ein für NTRK-Fusionsproteine hochselektives Medikament vor, welches eine klassische Orphan-Disease Situation betrifft. Es werden pro Jahr in Europa etwa 1000 solche Neuerkrankungen erwartet. Die aktuell bereits ersichtliche Wirksamkeit ist klinisch bedeutsam und ohne Alternative für diese Patientengruppen. Die Nebenwirkungen sind nach bisheriger Erfahrung moderat. Allerdings ist angesichts der Seltenheit dieser Tumorerkrankungen die Datenlage noch sehr schmal und entsprechend laufen die Studien weiter. Damit es gelingt, die Sicherheit hoch zu halten, sollten solche Therapien nur an Zentren zur Anwendung kommen, wo solche Therapien regelmässig zur Anwendung kommen, damit eine genügende Erfahrung zur weiteren Optimierung erlangt werden kann. Die seit Januar 2020 auch in der Schweiz nun mögliche zeitlich befristete Zulassung nach Art. 9a des Heilmittelgesetzes wird in den folgenden Jahren zeigen müssen, ob die aktuelle Datenlage durch Langzeiterfahrungen bestätigt wird und somit diese frühe Zulassung von Vitrakvi aufrechterhalten werden kann.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Der Autor hat keine Interessenskonflikte
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Swissmedic genehmigte Fachinformation zu Vitrakvi Kapsel 2020

Neoadjuvante immun-modulierende Radiotherapie in Kombination mit Immuntherapie

Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) stellt in dieser Ausgabe eine Studie vor. Die SAKK ist eine Non-Profit-Organi­sation, die klinische Studien in der Onkologie durchführt. Bei Interesse für die hier vorgestellte Studie oder falls Sie eine Patientin oder einen Patienten zuweisen möchten, kontaktieren Sie bitte den Studienverantwortlichen (Coordinating Investigator) oder den Studienkoordinator (Clinical Project Manager).

Neoadjuvante immun-modulierende Radiotherapie in Kombination mit Immuntherapie bei nicht-klein-zelligem Lungenkrebs im Stadium III

Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs im Stadium III können in kurativer Absicht behandelt werden. Dennoch ist die Rezidivrate hoch. Im Rahmen der Studie SAKK 16/18 wird untersucht, ob die Kombination einer Immuntherapie mit einer immun-modulierenden Radiotherapie, die zusätzlich zur Standardtherapie erfolgt, die Prognose verbessern kann.

Für Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Bronchuskarzinom (NSCLC) im Stadium III mit Befall der N2-Lymphknoten (St. III(N2)) stehen verschiedene multimodale Therapieoptionen zur Verfügung. In der Schweiz besteht die Standardbehandlung für operable Patienten mit einem resezierbaren NSCLC im Stadium III(N2) aus einer neoadjuvanten Chemotherapie (Cisplatin/Docetaxel) mit anschliessender Tumoroperation. Doch obwohl die Behandlung mit kurativer Intention erfolgt, erleiden die meisten Patienten ein Rezidiv. Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt daher nur ca. 40%. In der soeben abgeschlossenen Studie SAKK 16/14 wurde untersucht, ob eine zusätzliche perioperative Immuntherapie mit dem PD-L1 Inhibitor Durvalumab die Prognose verbessert. Es konnte gezeigt werden, dass die Anzahl der Patienten ohne «Ereignis» (Tumorprogress oder Tod, «event-free survival») nach 12 Monaten im Vergleich zu einer historischen Kontrollgruppe mit alleiniger neo­adjuvanter Chemotherapie (SAKK 16/00) um mehr als 50% zunimmt (von 48 auf 73%).

Verbessert eine zusätzliche immun-modulierende Radiotherapie die Prognose?

Aus präklinischen Studien und klinischen Beobachtungen gibt es Hinweise, dass eine Bestrahlung der Tumorzellen die antitumorale Immunantwort und damit auch die Wirksamkeit einer PD-L1 Blockade verbessern kann. Es ist aber nicht bekannt, mit welchem Radiotherapieprotokoll (Gesamtdosis, Fraktio­nierung) dieser «immun-modulierende» Effekt am besten erzielt wird. In der Studie SAKK 16/18 wird untersucht, ob eine zusätzliche immun-modulierende Radiotherapie, welche gleichzeitig mit der präoperativen Immuntherapie mit dem anti-PD-L1 Antikörper Durvalumab appliziert wird, die Prognose im Vergleich zu einer historischen Kontrolle weiter verbessern kann. Hierbei werden nur der Primärtumor oder Anteile davon bestrahlt, um das Risiko zusätzlicher Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten und um die in den zentralen (N2-) Lymphknoten ablaufende Aktivierung des Immunsystems nicht zu beeinträchtigen. Immun- und Radiotherapie erfolgen zusätzlich zur Standardtherapie (neoadjuvante Chemotherapie und Operation). An der Studie können 90 Patientinnen und Patienten mit NSCLC im lokal-fortgeschrittenen Stadium III(N2) teilnehmen.

Behandlung in vier Phasen

Die Therapie innerhalb der Studie gliedert sich in vier Phasen:
1. Standardtherapie: drei Zyklen neoadjuvante Chemotherapie mit Cisplatin und Docetaxel (à je 3 Wochen)
2. Studientherapie: einmalige intravenöse Gabe von Durvalumab und gleichzeitig Beginn der immun-modulierenden Radiotherapie. Die teilnehmenden Patienten werden in drei unterschiedliche Radiotherapie-Gruppen randomisiert – das Ziel ist herauszufinden, ob sich die drei verschiedenen Bestrahlungsprotokolle in der Wirksamkeit unterscheiden:
a) 20 Bestrahlungen à 2 Gray während 4 Wochen
b) 5 Bestrahlungen à 5 Gray während 1 Woche
c) 3 Bestrahlungen à 8 Gray während 1 Woche
3. Standardtherapie: Tumoroperation.
4. Studientherapie: adjuvante Immuntherapie mit Durvalumab, welches nochmals für 1 Jahr alle 4 Wochen intravenös verabreicht wird (insgesamt 13 Infusionen).

Lebenslange Nachbeobachtung

Anschliessend an die Studientherapie folgt die Nachbeobachtungsphase mit regelmässigen Nachkontrollen:

  • In den ersten zwei Jahren alle drei Monate,
  • In den nächsten drei Jahren alle sechs Monate,
  • Ab dem sechsten Jahr nach Therapieabschluss einmal jährlich (lebenslang).

Studienname: Immune-modulatory radiotherapy to enhance the effects of neoadjuvant PD-L1 blockade and neoadjuvant chemotherapy in patients with stage III(N2) non-small cell lung cancer (NSCLC). A multicenter single-arm phase II trial.

Teilnehmende Zentren: Kantonsspital Aarau, Kantonsspital Baden, Claraspital Basel, Universitätsspital Basel, EOC – Istituto Oncologico della Svizzera Italiana, Inselspital Bern, Kantonsspital Graubünden, Hôpital Fribourgeois – Hôpital Cantonal, Hôpitaux Universitaires de Genève, Kantonsspital St. Gallen, Spital STS AG Thun, Kantonsspital Winterthur, Hirslanden Klinik Zürich, UniversitätsSpital Zürich

Coordinating Investigator: Dr. med. Laetitia Mauti, Kantonsspital Winterthur, laetitia.mauti@ksw.ch

Clinical Project Manager: Eloïse Kremer, SAKK Koordinations­zentrum Bern, eloise.kremer@sakk.ch

Prof. Dr. med. Roger von Moos

Direktor Tumor- und Forschungszentrum
Kantonsspital Graubünden
7000 Chur

tumorzentrum@ksgr.ch

Von der Nationalen Strategie gegen Krebs zum Oncosuisse Forum

Im Interview erklärt Michael Röthlisberger, wie die Arbeit der Nationalen Strategie gegen Krebs (NSK) weitergeführt wird.

Michael Röthlisberger, weshalb endet die Nationale Strategie gegen Krebs? Braucht es diese Initiative nicht mehr?

Die NSK endet, weil es von Anfang an ein zeitlich begrenzter Auftrag vom Bund (EDI) und den Kantonen (GDK) war. Der ursprüngliche Zeitraum 2014–2017 konnte verlängert werden bis 2020. Für eine weitere Verlängerung sind die Voraussetzungen seitens Bund und Kantone nicht gegeben. Diese Initiative endet also aus administrativen Gründen. Das heisst aber nicht, dass es sie inhaltlich nicht mehr
braucht – im Gegenteil! Es braucht unbedingt weiterhin ein gemeinsames Voranschreiten der Akteure im Krebsbereich auf nationaler Ebene, um die Herausforderungen anzugehen.

Also mehr Neuanfang als Ende?

Neuanfang oder vielleicht noch besser «nächster Schritt» auf Basis des Erreichten. Dies ist übrigens der dritte oder vierte solche Schritt, wenn man so will: Auf das 2001 gestartete «Nationale Krebsprogramm I» folgte das «Nationale Krebsprogramm II», dann die NSK inklusive Verlängerung und jetzt eben Oncosuisse Forum. Das grundsätzliche Ziel bleibt das Gleiche. Auch Oncosuisse Forum ist ideell eine «nationale Strategie», einfach in veränderter Form und unter anderer Bezeichnung.

Was hat die NSK in diesen sieben Jahren erreicht?

Wenn man es auf zwei Worte reduzieren möchte: Vernetzung und Zusammenarbeit. Eine Rückmeldung, die wir häufig erhalten haben, ist, dass es die NSK braucht, um Akteure mit unterschiedlichen Haltungen und Ansprüchen quasi auf «neutralem Grund» zusammenzuführen, um gemeinsam Projekte und Aktivitäten zu entwickeln – und umzusetzen. Insgesamt wurden von den zahlreichen Projekten die meisten beendet und in allen davon bedeutende Fortschritte erzielt.
Wenn man auf einzelne Beispiele eingehen will, sind sicherlich die Zusammenarbeit im Rahmen der «Charta Darmkrebs-Früherkennung» oder auch die Erarbeitung und Einführung der nationalen Krebsregistrierung gute Beispiele. Die Krebsregistrierung ist zwar Sache des BAG und der ausführenden Stellen, die Entwicklung hat aber zu wichtigen Teilen auch in NSK-Arbeitsgruppen stattgefunden. Auch was gemeinsames politisches Handeln wie beispielsweise eine konzertierte Ein&ussnahme auf krebsrelevante Vernehmlassungen angeht, hat das «Gefäss» NSK beziehungsweise die Oncosuisse sicherlich geholfen. Wichtig ist zu betonen, dass die NSK vor allem unterstützend gewirkt hat, den «Lead»in den Projekten hatten in den meisten Fällen die Akteure.

Und was soll man sich unter dem neuen «Oncosuisse Forum» vorstellen?

Wir haben bewusst den Begriff des Forums gewählt. Ein Forum ist ein Ort, an dem Ideen und Meinungen ausgetauscht werden. Wie eben erwähnt, war dies bereits in der NSK sehr wichtig, wir möchten aber noch mehr Gewicht auf diesen Aspekt legen. Kernstück von Oncosuisse Forum werden denn auch themenspezi%sche Plattformen sein, welche dem Austausch unter den Akteuren sowie dem Entwickeln von Ideen und Aktivitäten dienen sollen. Hierfür möchten wir die Akteure noch breiter und vollzähliger als bisher einbinden. Auch die Initiative «Zugang zu neuen Krebsmedikamenten» (den Involvierten auch als «die Lernspirale» bekannt, da diese Methodik im Mittelpunkt steht) ist stark von diesem Austausch-Charakter geprägt und wird im Rahmen von Oncosuisse Forum weitergeführt. Dafür werden wir nicht 15 Projektaktivitäten parallel führen können wie in der NSK.

Viel Arbeit für die Zukunft…

In der Tat, ja! Der Anfang wird vom Aufbau und vom Etablieren der neuen Strukturen geprägt sein. Allerdings muss man sagen, dass wir im Team mit Kathrin Kramis, Catherine Gasser und Nuria del Rey schon viel Vorarbeit geleistet haben. Nun schauen wir gespannt und vorfreudig vorwärts und hoffen, dass möglichst viele Akteure sich im Oncosuisse Forum einbringen möchten, denn je mehr Personen und Institutionen am gleichen Strick in die gleiche Richtung ziehen, umso mehr können wir bewegen! So hoffen wir auch, dass möglichst viele Organisationen aus dem Krebsbereich bei den Themenplattformen mitmachen werden – die Einladung dazu folgt und wer auf dem Laufenden bleiben will, kann sich auch sehr gerne für unseren Newsletter einschreiben unter www.oncosuisse.ch.

Lars Haefner

Oncosuisse ist der Verbund von neu acht Institutionen im Krebsbereich (Krebsliga Schweiz, Krebsforschung Schweiz, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK), Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Onkologie, Schweizerische Gesellschaft für Hämatologie, Schweizerische Pädiatrische Onkologie Gruppe, NICER und seit 1. Januar 2021 neu auch Onkologiep&ege Schweiz). Die Geschäfts- und Koordinationsstelle von Oncosuisse/Oncosuisse Forum befindet sich in Bern.

Für Fragen zu Oncosuisse & Oncosuisse Forum: m.roethlisberger@oncosuisse.ch Schweizer Krebsbulletin Nr. 1/2021

Bund bestätigt erstmals Ungleich- behandlung bei Off-Label-Vergütungen

Der Schlussbericht des Bundesamtes für Gesundheit zur Evaluation der Vergütung im Einzelfall zeigt die hohe Bedeutung der Artikel 71a–71d KVV für den raschen Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten und bestätigt gleichzeitig, was zahlreiche Onkologen und die Krebsliga seit Jahren bemängeln: Die heutige Situation ist in der Praxis unbefriedigend. Es besteht eine stossende Ungleichbehandlung bei der Kostenübernahme von Off-Label-Medikamenten und der administrative Aufwand für alle beteiligten Akteure ist unverhältnismässig gross.

In kaum einem Fachgebiet werden Therapien so häufig ausserhalb ihrer zugelassenen Indikation eingesetzt wie in der Onkologie: Rund ein Drittel aller erwachsenen Krebsbetroffenen und fast alle Kinder mit Krebs werden in sogenannten Off-Label-Anwendungen behandelt. Mit der rasanten medizinischen Entwicklung und der personalisierten werden Off-Label-Behandlungen weiter stark zunehmen. Der Zugang zu diesen mehrheitlich lebensnotwendigen Therapien ist momentan abhängig davon, ob die obligatorische Grundversicherung der Krankenkasse die Kosten vergütet. Lehnt die Krankenkasse die Übernahme ab, gehen die Kosten, die sich auf mehrere 100 000 Franken belaufen können, aktuell zu Lasten der Patientinnen und Patienten und ihrer Familien – und sind für diese meist unbezahlbar.

Aktuelle gesetzliche Regelung ist veraltet

Sinnvolle Behandlungen dürfen nicht nur denjenigen Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen, welche diese selbst finanzieren können. Deshalb sind die geltenden Art. 71a-71d der Krankenversicherungsverordnung (KVV) im Grundsatz begrüssenswert. Darin ist geregelt, unter welchen Bedingungen Off-Label-Behandlungen über die obligatorische Grundversicherung vergütet werden müssen: Mittels Kostengutsprache kann im Einzelfall für Patientinnen und Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen ein nicht zugelassenes oder nicht auf der Spezialitätenliste aufgeführtes Medikament verschrieben werden – sofern ein hoher therapeutischer Nutzen zu erwarten und keine gleichwertige Alternative zugelassen ist. Letztendlich entscheidet dabei aber die Krankenversicherung, ob die Kosten übernommen werden. Die Mehrheit der Kostengutsprachegesuche wird gutgeheissen. Bei den restlichen, mehrheitlich komplexen Fällen, stellen Fachleute aus dem onkologischen Bereich unfaire Ungleichbehandlungen in Bezug auf die Vergütung fest. Hinzu kommt der grosse administrative Aufwand für alle beteiligten Akteure in der Gesuchstellung und deren Beurteilung. Zudem gelten die Artikel als überholt: Aufgrund der laufend zunehmenden Zahl der Kostengutsprachegesuche kann man längst nicht mehr von einer Ausnahmeregelung sprechen. Letztes Jahr stammte rund die Hälfte der 38 000 erfassten Gesuche um Kostengutsprache aus dem Bereich Onkologie.

Praxisorientierte Massnahmen müssen gesetzlich verankert werden

Die Krebsliga begrüsst deshalb, dass der umfassende Schlussbericht die heutige herausfordernde Situation gut aufzeigt und konkrete Empfehlungen zur Optimierung formuliert. Die Überarbeitung der Rechtsgrundlage, ein nationales Register inkl. digitaler Plattform zur Einreichung der Gesuche, die Erhöhung der Transparenz und eine zentrale Stelle für die Nutzenbeurteilung von komplexen Fällen lassen hoffen, dass sich die Zugangsgerechtigkeit in der Schweiz massgeblich verbessert. Für Krebspatientinnen und -patienten und ihre Angehörigen ist es zentral, dass die Vergütung und damit der Zugang zur lebensnotwendigen Behandlung fair, zeitgerecht und verbindlich geregelt ist.

Schlussbericht

Bundesamt für Gesundheit: Schlussprodukte der Evaluation der Vergütung von Arzneimitteln im Einzelfall nach den Artikeln 71a–71d KVV. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/publikationen/evaluationsberichte/evalber-kuv.html

Projekt «Empfehlungsliste»

Das Projekt unter der Leitung der Krebsliga Schweiz nimmt sich alten Medikamenten an, die nicht mehr patentgeschützt sind und die wissenschaftlich erwiesen einen therapeutischen Fortschritt im «Off-Label-Use» (Art. 71a KVV) versprechen. Bei gewissen Medikamenten akzeptieren die Krankenkassen die Vergütungsanträge in (fast) allen Fällen. Ziel ist es, eine Liste dieser Medikamente zu erstellen und einen vereinfachten Prozess für Vergütungsanträge zu entwickeln. Während der Arbeitssitzungen einigten sich die beteiligten Parteien auf eine Liste von Medikamenten. Diese Liste muss noch von den am Projekt teilnehmenden Krankenkassen formell validiert werden. Ein digitalisiertes Verfahren wird nun implementiert, um das Pilotprojekt Anfang 2021 starten zu können.

Franziska Lenz

Leiterin Politik und Public Affairs Krebsliga Schweiz

Preisverleihungssession

Die von Prof. Dr. med. Markus Manz und Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Wicki, Zürich, präsidierte Preisverleihungssession mit den Vorträgen der Preisträger fand wegen der COVID-19 Pandemie online statt. Von der Schweiz. Gesellschaften für Hämatologie (SGH), der Schweiz. Gesellschaft für medizinische Onkologie (SGMO), der Peter Anton und Anna Katharina Miescher Stiftung und der Jacques und Gloria Gossweiler Stiftung wurden insgesamt 6 Preise für abgeschlossene Arbeiten oder Projekte vergeben.

SGH/SGMO bestes Abstract & Award Session: Hämatologie & Onkologie

Hämostase, Transfusionsmedizin, Gefäss- und Labormedizin (SSH-Preis für Hämostase)

Der Preis ging an Dr. sc. Raja Prince Eladnani, Bern, für das Abstract «Targeting protein S using small interfering RNA is well tolerated and protects mice with hemophilia A from acute hemarthrosis»
Die Quintessenz der Arbeit von Dr. Prince Eladnani, Bern ist:

  • Ein kompletter Mangel an Protein S bringt die Homoeostase wieder ins Gleichgewicht und verhindert die akute und chronische Hämarthrose bei hämophilen Mäusen vollständig.
  • Gegen Protein S gerichtete Therapie unter Verwendung von
    GalNAc siRNA könnte ein wichtiger therapeutischer Ansatz für die Behandlung der Hämophilie sein.

Klinische Hämato-Onkologie (Lymphome, Myelom, Leukämie, Transplantation (SGH/SGMO Award für klinische Onkologie solider Tumore)

Der Preis ging an Dr. Claire Seydoux, Basel, für das Abstract
«Busulfan-Cyclophosphamide (BuCy) versus Cyclophosphamide-Busulfan (CyBu) as conditioning regimen before allogenic hematopoietic transplantation: a prospective randomized trial».
Dr. Seydouxs Arbeit führte zu den folgenden Schlussfolgerungen:
Geringere frühe Hepatotoxizität bei CyBu
– Niedrigere ALAT-Spiegel
– Geringere Frequenz von VOD Kriterien
– Tendenz zu geringer gradigen CTCAE Kriterien für Hepatotoxizität
Besseres Langzeit-Outcome mit CyBu
– geringere nicht-Rezidivmortalität
– Tendenz zu besserem Gesamtüberleben
– kein signifikanter Unterschied in der Rezidivinzidenz, sowie akuter und chronischer GvHD

Klinische Onkologie solider Tumore (SGMO Preis für klinische Onkologie solider Tumore)

Der Preis ging an PD Dr. med. Dr. phil. Sacha Rothschild, Basel, für das Abstract
«SAKK 16/14: Anti PD-L1 antibody durvalumab in addition to neoadjuvant chemo-therapy in patients with stage IIIA(N2) non-small cell lung cancer (NSCLC)»
Es handelte sich um die grösste Kohorte von Patienten mit resezierbarem Stadium IIA(N2) NSCLC, die präoperativ eine Immuncheckpoint-Therapie erhielten.
Die präoperative Zugabe von Durvalumab zur Standard­therapie mit Cisplatin/Docetaxel ist sicher, resultiert in einem ermutigenden 1-Jahres EFS-Rate, die historische Daten der alleinigen Chemotherapie übertrifft. Sie führt zu einer höheren pathologischen Ansprechrate nodalen Downstagings. Die exploratorischen Gewebs- und Biomarker-Analysen sind noch im Gange.
Die perioperative PD-L1 Inhibition zusätzlich zur neoadjuvanten Standardchemotherapie bildet das Rückgrat der nächsten Studie, die den zusätzlichen Nutzen der neoadjuvanten immunmodulatorischen Radiotherapie untersucht (SAKK16/18).

Experimentelle Hämatologie/Onkologie (SGH/SGMO Preis für experimentelle Hämatologie/Onkologie

Der Preis ging an Dr. Jan Stetka, Basel, für das Abstract
«Loss of Dnmt3a confers resistance to peg/FNα in JAK2-V617F mouse model»
Die Schlussfolgerungen aus den Untersuchungen von Jan Stetka waren
Peg-IFNα konnte ein hämatologisches Ansprechen in VF-Mäusen und VF,Dnmt3a-Mäusen induzieren
Die Anzahl von phänotypischen und funktio­nellen LT-HSC Zahlen wurde nicht gesenkt, sondern vielmehr durch peg-IFNαbei VF;Dnmt3a doppelt mutierten Mäusen erweitert.

  • Doppelt mutierte LT-HsCs waren vor IFN vermittelten DNA-Schäden geschützt.
  • LT-HSCs von VF;Dnmt3a doppelt mutierten Mäusen konnten bei sekundären und tertiären Transplantationen nicht erschöpft werden, was darauf hindeutet, dass Veränderungen durch die pegIFNα Therapie auf die LT-HSC im primären Wirt stabil an die Nachkommen vererbt wurden.
  • Die Daten deuten darauf hin, dass die Behandlung mit pegIFNα von Patienten, die die JAK2-V617F und DNMT3a Mutationen tragen, ungünstig sein kann.

Peter Anton und Anna Katharina Miescher Stiftung für die Forschung in Hämatologie


Der Preis im Wert von CHF 100 00.- wird alle 2 Jahre vergeben. Alle Gebiete der Hämatologie (Grundlagen-, klinische Hämatologie und Transfusion) sind eingeschlossen. Die Kandidaten müssen in der Schweiz arbeiten oder eine aktive Verbindung zu einer schweizerischen Institution haben, erläuterte Prof. Dr. med. Fotis Beris, Genf.

Der Gewinner des 2020/2021 Preises ist Prof. Steffen Böttcher, Zürich, für das Projekt «Hypomethylating agents in the treatment of TP53 mutant myeloid malignancies:  Elucidating the molecular mechanisms to improve clinical efficacy».


Fragen, die untersucht werden sollen sind: Sagen TP53-Mutationen HMA-induzierte Ansprechen bei myeloischen Malignomen voraus? Sagt der Typ der TP53-Mutation (missense vs. trucating) Ansprechen voraus? Ist die klinische Aktivität von HMAs, zwischen AML vs. MDS unterschiedlich? Gibt es einen funktionellen Unterschied zwischen Azacitidin und Decitabin? Was ist die mechanistische Grundlage für die HMA-Aktivität bei TP53-mutanter-AML? Können wir die thera­peutischen Strategien für TP53-mutante myeloische Malignome verbessern?

Jacques & Gloria Gossweiler Stiftung

Die Stiftung wurde 2006 ins Leben gerufen. Sie unterstützt Forschung auf den Gebieten Hämatologie, Neurologie, Impact Investments (vom Klimawandel bis zur Wasserknappheit, vom fehlenden Zugang zu Grundversorgung bis hin zu Bildung und erschwinglichem Wohnraum mit dem Ziel auch finanziell Gewinn zu machen) und wirtschaftliche und unternehmerische Themen in der Bildung, wie Marc Baumann, Bern, erklärte.
Es wurden 2 Forschungsprojekte ausgewählt:

Das Forschungsprojekt von PD Dr. med. Alexandre Theocharides, Zürich
«The role of protein degradation pathways in calreticulin-mutated myeloproliferative neoplasms»
Die Ziele des Projekts sind:
1. Aufklärung des Aktivierungsstatus von ERAD (Endoplasmic Reticulum Protein Degradation) und Autophagiepfaden Bewertung des proteasomalen und lysosomalen Durchsatzes in CALR-mutierten Zellen Expressionsanalyse von Autophagie-/ER-Phagie-Aktivierungsmarkern
2. Erforschung des therapeutischen Potenzials der dualen ERAD- und Autophagie-Hemmung

Das zweite von der Stiftung geförderte Projekt ist
«BioCAP- Platelet biotinylation for in vivo functional analysis in humans» von Prof. Dr. med. Lorenzo Alberio, Lausanne.

Die Ziele des Forschungsvorhaben von Prof. Alberio sind:

  • GMP-Protokoll zur Markierung von menschlichen Blutplättchen und Biotin zur Untersuchung ihres Verhaltens in vivo:
  • Lebensdauer
  • altersabhängige funktionelle Veränderungen, während sie in vivo zirkulieren
  • Die Auswirkungen unterschiedlicher Produktions- und Lagerungsstrategien von Thrombozyten konzentrieren sich auf das in-vivo-Überleben und die Funktion transfundierter Thrombozyten.

Abschliessend gratulierten die beiden Vorsitzenden den Preisträgern nochmals ganz herzlich und bedankten sich für die ausgezeichneten Referate.

Ein besonderer Dank ging an die Preisstifter für ihre grosszügigen Spenden.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Pfizer Forschungspreis 2021

Auch dieses Jahr wurden wiederum hervorragende Arbeiten von jungen Schweizer Forschern auf den Gebieten Kardiovaskuläre Medizin, Urologie und Nephrologie, Infektionskrankheiten, Rheumatologie und Immunologie, Neurologische Wissenschaften und Erkrankungen des Nervensystemes, Onkologie und Pädiatrie vergeben.

Die Eröffnungsansprache hielt Frau Sabine Bruckner, Country Manager Pfizer. Durch den Abend führte Dr. med. Rahel Troxler, Präsidentin der Stiftung Pfizer Forschungspreis und Country Medical Director Switzerland.

Ziele der Tumor-Immunerkennung entschlüsseln

Die medizinische Krebsforschung konzentriert sich zunehmend auf die Entwicklung von Therapien, die spezifisch gegen Tumore gerichtet sind. Dies erfordert die Identifizierung von molekularen Merkmalen, die nur den Krebszellen, nicht aber den gesunden Zellen im Körper eigen sind. Fast alle Zellen im menschlichen Körper haben solche spezifische Strukturen auf ihrer Oberfläche, die so genannten humanen Leukozyten-Antigene, abgekürzt HLA-Peptide. Auch Tumorzellen haben diese Proteine auf ihrer Oberfläche und diese haben das Potenzial, Zielstrukturen für Krebsimmuntherapien zu sein.
Allerdings müssen solche potenziellen Targets zunächst auf den Tumorzellen identifiziert werden. Die Forschergruppe um Chloe Chong und Michal Bassani-Sternberg entwickelte ein Modell, das auf einer Vielzahl von tumorspezifischen Merkmalen aus immunologischen, genetischen und zellbiologischen Daten basiert. Der Fokus lag dabei insbesondere auf nicht-kodierenden genetischen Sequenzen. Zusätzlich wurden Ergebnisse aus Massenspektrometer-Analysen rechnerisch kombiniert.
Dieser neuartige Ansatz identifizierte Hunderte von HLA-Peptiden aus völlig unterschiedlichen genetischen Regionen des Genoms in einer Vielzahl von Tumorproben. Darüber hinaus entdeckten die beiden Lausanner Wissenschaftlerinnen identische, von den Patienten geteilte HLA-Peptide in den Tumorproben. Schliesslich wurde mit der neuen Methode ein immunogenes Peptid identifiziert, das mit Stammzellmarkern für das maligne Melanom assoziiert ist.
Die grosse Anzahl der neu entdeckten Antigene kann zur Entwicklung neuartiger Krebsimmuntherapien beitragen. Diese Ergebnisse, die auch anderen Forscherteams frei zur Verfügung stehen, werden bereits in laufende klinische Studien im Frühstadium am Universitätsspital Lausanne integriert.
Integrated proteogenomic deep sequencing and analytics accurately identify non-canonical peptides in tumor immunopeptidomes. Chloe Chong, Markus Müller, Hui Song Pak, Dermot Harnett, Florian Huber, Delphine Grun, Marion Leleu, Aymeric Auger, Marion Arnaud, Brian J. Stevenson, Justine Michaux, Ilija Bilic, Antje Hirsekorn, Lorenzo Calviello, Laia Simó-Riudalbas, Evarist Planet, Jan Lubiński, Marta Bryśkiewicz, Maciej Wiznerowicz, Ioannis Xenarios, Lin Zhang, Didier Trono, Alexandre Harari, Uwe Ohler, George Coukos, Michal Bassani-Sternberg. Nat Commun 2020; 11(1):1293.

Erfolgreicher Einsatz von Antikörpern gegen myeloische Leukämiezellen

Bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) kommt es durch veränderte leukämische Stammzellen zu einer unkontrollierten Vermehrung von unreifen Vorläuferzellen im Knochenmark, so dass immer mehr «defekte» und immer weniger gesunde Blutzellen entstehen. Leukämische Stammzellen sind oft resistent gegen die herkömmliche Chemotherapie und andere Therapien. Die Behandlungsmöglichkeiten, z. B. mit hypomethylierenden Substanzen als Standardtherapie, sind speziell auf ältere und gebrechliche Patienten beschränkt.
Der molekulare Hintergrund dieser Resistenzen ist wenig verstanden. Ein Grund für das Forscherteam um Carsten Riether, sich dieser Sache anzunehmen. Dieses stellte fest, dass bei der Behandlung von AML-Patienten mit hypomethylierenden Substanzen ein bestimmtes Molekül von den pathologischen Stammzellen verstärkt produziert wird. Dabei handelt es sich um den Liganden CD70. Dieser wird auf der Oberfläche von leukämischen Stammzellen exprimiert und fördert die Resistenz gegen die Krebsmedikamente. Wäre es möglich, diesen Liganden mit einem Antikörper zu blockieren und so den Behandlungserfolg zu verbessern? Genau dieses Ziel verfolgte der Berner Forscher. Mit einer Kombination aus hypomethylierenden Substanzen und dem Antikörper Cusatuzumab, der sich gegen CD70 richtet, konnten im Labor Zellen der myeloischen Leukämie eliminiert werden. Basierend auf diesen Ergebnissen wurden behandlungsnaive AML-Patienten in einer klinischen Phase-1-Studie mit einer Kombination aus Cusatuzumab und − danach − mit einer Standardtherapie behandelt. Die Leukämiezellen und die leukämischen Stammzellen wurden durch die Bekämpfung von CD70 mit Antikörpern signifikant reduziert und alle 12 untersuchten Patienten sprachen auf die Behandlung an.
Diese klinische Phase-1-Studie hat einen neuen Mechanismus der Therapieresistenz bei myeloischen Leukämiezellen entdeckt und gleichzeitig die Untersuchung einer gangbaren Behandlungsstrategie ermöglicht, die anschliessend in weiteren klinischen Studien mit einer grösseren Studienpopulation getestet werden muss.

Targeting CD70 with cusatuzumab eliminates acute myeloid leukemia stem cells in patients treated with hypomethylating agents.
Riether C, Pabst T, Höpner S, Bacher U, Hinterbrandner M, Banz Y, Müller R, Manz MG, Gharib WH, Francisco D, Bruggmann R, van Rompaey L, Moshir M, Delahaye T, Gandini D, Erzeel E, Hultberg A, Fung S, de Haard H, Leupin N, Ochsenbein AF. Nat Med. 2020 Sep;26(9):1459-1467

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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