Therapie der Angst im zahnmedizinischen Kontext mit Hypnose

Patienten befinden sich in medizinischen Institutionen in einem emotionalen Ausnahmezustand individuell unterschiedlicher Ausprägung. Dieser wird gerade im somato-interventionellen Kontext, im Speziellen in der Zahnmedizin, durch das hohe Potential an negativen Suggestionen verstärkt und kann mit existentiellen Ängsten verbunden sein. Die medizinische Hypnose ist eine wirksame psychosomatische Kommunikations- und Therapiemethode, um solche Angstzustände im medizinischen Umfeld zu vermeiden bzw. zu behandeln.

Patienten fühlen sich häufig in Ihrer Existenz bedroht und haben Angst. Dabei können neben einer oder mehreren Erkrankungen eine ganze Reihe anderer Faktoren ursächlich wirksam werden. So zeigen Betroffene eine deutlich erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit für die Atmosphäre im ihnen fremden Umfeld und für die Gestimmtheit des (zahn-) medizinischen Personals. Aussagen werden häufig wörtlich und mit negativer Auswirkung auf das Selbst verstanden. Die Menschen erstarren (Katalepsie), entsprechend werden sie vielfach und fälschlicherweise als ruhig wahrgenommen. Weiter besteht die grosse Gefahr, dass Informationen oder Handlungen ausgeblendet (selektive Amnesie) werden, was zu Missverständnissen bei der Aufklärung vor Interventionen oder bei der Therapie führen kann. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers, der Umgebung und der Zeit sind verändert. Die Menschen zeigen eine stark erhöhte Suggestibilität. Dabei weisen gerade in der somato-interventionellen Medizin apparative Ausrüstung und Handlungen ein besonders hohes Potential für negative Suggestionen auf (1, 2). Im Folgenden sollen diese Ängste und deren Therapie durch Hypnose am speziellen Beispiel der Zahnmedizin dargestellt werden.

Zahnbehandlungsangst – eine seltsame Angst

In der frühkindlichen Entwicklung verschliesst sich die Mundhöhle schon sehr bald für Handlungen durch das soziale Umfeld. Nach Durchlaufen der Phase des Saugens (Stillzeit) und der Exploration, in der die hohe Sensitivität der Mundhöhle für das Entdecken der Welt genutzt wird, beginnt das Kleinkind selbst zu entscheiden, für was und wen es seinen Mund öffnet. Missachtung dieses Eigenwillens kann zu Übergriffen mit hohem traumatischem Potential führen (3). Dabei verstärkt die ausgeprägte Sensitivität der Mundhöhle, die im Gehirn in einem grossen Areal des primär sensiblen Cortex ihre Abbildung findet, negativ konnotierte Reize deutlich (4). Angst im zahnmedizinischen Kontext entsteht aber nicht nur durch Selbsterfahrung, sondern kann auch Folge einer Tradierung durch das soziale Umfeld sein. Dabei steigt die Wahrscheinlichkeit negativer Selbsterfahrungen oder Tradierung von Furcht und Angst mit der Häufung allgemeiner bzw. oraler Gesundheitsprobleme (5).
Schliesslich spielen auch die emotionalen Grundbedürfnisse des Menschen eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Entstehung von Angst. Insbesondere die Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz, Orientierung und Bezogenheit werden allein schon durch die spezielle Untersuchungs- und Behandlungsposition des Patienten mit individuell unterschiedlichster Auswirkung verletzt oder ganz in Frage gestellt (6).

Keine Seltenheit

Etwa 60 – 80% der Patienten erfahren ein deutliches Unbehagen bis hin zu Angst im zahnmedizinischen Kontext. 10 – 20% leiden unter einer deutlichen Zahnbehandlungsangst (7). Diese wird durch verschiedenste Reize ausgelöst, die einen oder mehrere der fünf Sinne ansprechen. Allein der für Zahnarztpraxen typische Geruch vermag bereits eine solche Angstreaktion auszulösen. Dabei können die gesamten diagnostischen und therapeutischen Vorgänge zu einer besonderen Herausforderung werden, oder nur Teilaspekte betroffen sein, wie etwa die Angst vor dem Nadeleinstich im Rahmen einer Lokal- oder Leitungsanästhesie (Nadelphobie) (8). In diesem Zusammenhang wird im Wesentlichen zwischen zwei unterschiedlichen Formen und Ausprägungen der Angst unterschieden. Einerseits umfasst diese einen emotionalen Zustand, der noch vor der erstmaligen Exposition mit dem Reiz auftritt und mit Furchtsamkeit oder Ängstlichkeit (dental anxiety) umschrieben werden kann. Andererseits kann die Angst eine Reaktion auf eine bereits bekannte Situation sein und zu einem Konflikt führen, bei dem die Betroffenen vor die Entscheidung Verharren (Totstellreflex), Vermeiden (Flucht) oder Abwehr (Kampf) gestellt werden (dental fear) (9, 10).
Für rund 5% der Patienten erreicht diese Angst eine Dimension, die für sie nicht mehr bewältigbar ist. Diese Menschen leiden an einer Odontophobie. Diese wird als eine persistierende, unrealistische und das Selbst bedrohende Angst beschrieben, die zu einer totalen Vermeidung oralmedizinischer Diagnostik und Therapie führen kann, oft mit fatalen Folgen für die Zahn-, Mund- und allgemeine Gesundheit. Im Gegensatz zu Ängstlichkeit und Angst stellt die Odontophobie eine psychische Erkrankung dar (7, 9, 10).

Medizinische Hypnose

Eine nicht medikamentöse Behandlungsmöglichkeit von Furchtsamkeit, Angst und Phobie im somato-interventionellen, also auch zahnmedizinischen Kontext stellt die Hypnose dar. Es handelt sich dabei um eine psychosomatische Behandlungsmethode, die durch zahlreiche Studien ihre wissenschaftliche Begründung gefunden hat. So konnte gezeigt werden, dass die medizinische Hypnose eine geeignete Methode darstellt, um Furcht, Angst und Phobie im (zahn-) medizinischen Kontext zu behandeln (11, 12).
Die medizinische Hypnose nutzt verbale, paraverbale und nonverbale Kommunikationssignale mit dem Ziel, den Patienten in einen Bewusstseinszustand möglichst tiefer Entspannung zu führen, in der die Aufmerksamkeit fokussiert und eine erhöhte Achtsamkeit erzeugt wird. Es entsteht ein Zustand hoher Suggestibilität und Kreativität, der auch als Trance bezeichnet wird und sich vom Alltagsdenken deutlich unterscheidet (13). Der Mensch gewinnt die notwendige Distanz und somit Unvoreingenommenheit zu psychischen und somatischen Herausforderungen, um neue Lösungswege zu finden, die ihm auf der autobiographischen Bewusstseinsebene nicht in vergleichbarem Ausmass zur Verfügung stehen. Hierzu wird die Wirkung problembezogener Suggestionen, Metaphern und Geschichten genutzt, die eine innere Vorstellung erzeugen, mit der es Betroffenen möglich wird, psychische und physische Abläufe positiv zu verändern. Gefühle können je nach Bedarf für das Wohlbefinden der Betroffenen verstärkt oder abgeschwächt, Schmerzen und Angstzustände positiv beeinflusst werden (11, 12). Hypnotische Zustände bzw. Trance können fremd, durch eine therapeutische Fachperson oder selbst induziert werden. Somit hat die Hypnotherapie auch das Ziel, den Patienten selbst zu befähigen, mit Hypnose die gestellten Herausforderungen, also auch Furchtsamkeit oder Angst im somato-interventionellen Kontext schliesslich selbständig bewältigen zu können (14).

Fallbeispiel

Eine 45-jährige Frau, von Beruf Grundschullehrerin, beantwortete im Anamnesebogen, der vor der Erstkonsultation ausgefüllt wurde, die Frage nach Zahnbehandlungsangst positiv. Zudem gab sie an, über deutlich mehr als zehn Jahre jeden zahnmedizinischen Kontakt vermieden zu haben. Deshalb erfolgte die Erstkonsultation bewusst in einem neutralen Büroraum, der auf Augenhöhe eine von Angst auslösenden Faktoren dissoziierte Exploration der Patientensituation erlaubte. Dabei wurde als Metapher für die bevorstehende zahnmedizinische Diagnostik und Therapie die Planung einer Bergtour verwendet, bei der es ja auch darum geht, Vertrauen zur führenden Person und zur sicheren Bewältigung der Herausforderung zu gewinnen (Abb. 1).

Die Patientin vermochte auf diese Weise differenziert aus ihrer Sicht über die Ursachen für die Odontophobie zu berichten. Sie war als Kind in einer Urwaldschule aufgewachsen und unterrichtet worden, in der ihre Eltern als Lehrpersonen tätig waren. In der Pubertät kehrte sie mit ihren Eltern in die Schweiz zurück und wurde hier mit einer ihr völlig fremden Gesellschaft und insbesondere mit einem durch sie als äusserst einengenden Schulsystem konfrontiert. Zusätzlich wurde bei ihr nach Diagnose einer Kiefer- und Zahnfehlstellung eine festsitzende kieferorthopädische Therapie begonnen, die das Mädchen in ihrer schwierigen Lebenssituation vollends überforderte und die damit verbundenen Sorgen bzw. Ängste in nur noch schwer zu ertragendem Mass steigerte. Die häufig notwendigen Kontrollsitzungen wurden schliesslich zu einer nicht mehr bewältigbaren Belastung, sodass es zum Abbruch der Therapie kam. Danach erfolgte keine zahnmedizinische Betreuung mehr, bis die Angst vor Zahn- und Munderkrankungen die Odontophobie zu überwiegen begann.
Wie sich herausstellte, war die Patientin in ihrer Freizeit eine passionierte Berggängerin. Beim Klettern bezwang sie schwierige Passagen, wo die physische Kraft allein nicht ausreichte, mit ihrem unbändigen Willen, oder wie sie sagte, «mit ihrem harten Kopf». Diese Passion wurde zur möglichen Ressource für die Bewältigung der Angst, indem der Patientin angeboten wurde, während der Behandlung mit der ihr vertrauten lockeren, aber hoch fokussierten Art klettern zu gehen. Entsprechend wurde in der zweiten Konsultation bereits im Behandlungszimmer mit Hilfe der Suggestion einer Bergtour eine so tiefe Trance erzielt, dass die klinische und radiologische Diagnostik entspannt durchgeführt werden konnte. Im Nachgespräch zeigte sich die Patientin überrascht über die dissoziative Wirkung der hypnotischen Intervention und über die Möglichkeit, nach den suggerierten Kletterpartien in den kommenden Behandlungssitzungen gesunde Zähne zurückzubekommen. Durch das empfohlene Training der Selbstinduktion einer entspannenden Trance wurde das Mass der hypnotischen Unterstützung durch das Behandlungsteam vor und während der nachfolgenden Interventionen immer geringer. Mit Abschluss der Therapie war die Patientin in der Lage, die herausfordernde Situation im zahnmedizinischen Kontext selbständig und ohne belastende Emotionen zu bewältigen.

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Milos M. Savanovic, cand. med. dent.

Klinik für Orale Gesundheit und Medizin sowie
Klinik für Rekonstruktive Zahnmedizin
Universitäres Zentrum für Zahnmedizin, Universität Basel

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

Riedstrasse 9
6430 Schwyz

christian.besimo@bluewin.ch

CB ist Mitglied, Ausbildner und Supervisor der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose SMSH. Im Zusammenhang mit diesem Artikel haben die Autoren ansonsten keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Menschen im medizinischen Kontext befinden sich in einer emotionalen Ausnahmesituation, die Ängste induzieren und die Kommunikation erschweren können.
  • Furchtsamkeit und Angst treten in der somato-interventionellen Medizin sehr häufig auf, wie das Beispiel der Zahnmedizin zeigt.
  • Die Odontophobie ist eine psychische Erkrankung und bedroht bei fehlender Behandlung nicht nur die orale, sondern auch die allgemeine Gesundheit.
  • Die Hypnose ist eine geeignete psychosomatische Methode für die Behandlung von Ängsten und Phobien, die im medizinischen Kontext auftreten können.
  • Die Anwendung der Hypnose erfordert allerdings eine fundierte Ausbildung, die in der Schweiz von der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose SMSH oder der Gesellschaft für klinische Hypnose Schweiz ghyps angeboten wird.

1. Hansen E, Zimmermann M, Dünzl G: Hypnotische Kommunikation mit Notfallpatienten. Notfall + Rettungsmedizin 2010; 13: 314-321.
2. Wehrli H: Hypnotische Kommunikation und Hypnose in der ärztlichen Praxis. Praxis 2014; 103: 833-839.
3. Piaget J: Meine Theorie der geistigen Entwicklung. Beltz, Weilheim 2016.
4. Penfield W, Rasmussen T: The cerebral cortex of man: a clinical study of localization of function. Macmillan Company, New York 1950.
5. Hmud R, Walsh LJ: Dental anxiety: causes, complications and management approaches. J Minim Interv Dent 2009; 2: 67-78.
6. Deci EL, Ryan RM: Self-determination theory: a macrotheory of human motivation, development, and health. Canadian Psychology 2008; 49: 182-185.
7. Enkling N, Marwinski G, Jöhren P: Dental anxiety in a representative sample of residents of a large German city. Clin Oral Investig 2006; 10: 84-91.
8. Oosterink FMD, De Jongh A, Aartman I: What are people afraid of during dental treatment? Anxiety provoking capacity of 67 stimuli characteristic of the dental setting. Eur J oral Sci 2008:116; 44-51.
9. Appukuttan DP: Strategies to manage patients with dental anxiety and dental phobia: literature review. Clin Cosmet Investig Dent 2016; 8; 35-50.
10. Armfield JM, Heaton LJ: Management of fear and anxiety in the dental clinic: a review. Aust Dent J 2013; 58: 390-407.
11. Hermes D, Gerdes V, Trübger D, Hakim SG, Sieg P: Evaluation des intraoperativen Einsatzes standardisierter Hypnose mit State-Trait-Angst-Inventar (STAI). Mund Kiefer GesichtsChir 2004; 8: 111-117.
12. Glaesmer H, Geupel H, Haak R: A controlled trial on the effect of hypnosis on dental anxiety in tooth removal patients. Patient Educ Couns 2015; 98: 1112-1115.
13. Halsband U, Wolf TG: Functional changes in brain activity after hypnosis. Neurobiological mechanisms and application to patients with a specific phobia-limitations and future directions. Int J Clin Exp Hypn 2019; 67: 449-474.
14. Besimo C: Hypnotische Intervention bei Zahnbehandlungsangst. CH-Hypnose 2013; 1: 25-27.

Hospiz St. Gallen

Es hat noch nie so viele, so alte und so gesunde Menschen gegeben wie aktuell bei uns. Dem entsprechend werden Sterben und Tod im Alltag ausgeblendet. «What do you think about dying?» «I am against it» so Woody Allen. Dennoch: Bei guter Gesundheit befragt, möchten die meisten Menschen zu Hause sterben. Tatsächlich sterben aber 4 von 5 Personen in Spitälern oder Pflegeheimen. Mit einer Palliativstation am Kantonsspital, dem palliativen Brückendienst zur Unterstützung der Sterbenden zu Hause und der palliativen Grundversorgung ambulant und in Pflegheimen ist der Kanton St. Gallen für die Sterbephase gut gerüstet. Ein Hospiz für medizinisch und/oder psychosozial sehr komplexe Sterbende, die weder zu Hause noch im Akutspital noch im Pflegeheim betreut werden können, hat bisher gefehlt. Nach langjähriger Vorbereitung wurde das Hospiz St. Gallen im Februar 2018 eröffnet und hat sich seither bewährt.

Die Medizin hat in den letzten 50 Jahren enorm grosse Fortschritte gemacht. Es ist heute zum Beispiel möglich, über eine periphere Arterie die Aortenklappe zu ersetzen ohne den Brustkorb zu eröffnen, bisher nur palliativ behandelbare Krebskrankheiten können geheilt, versagende Organe können mit voller Funktion ersetzt werden und bei Bedarf ist praktisch jedes angeschlagene Gelenk ersetzbar. Diese als faktisch unbegrenzt wahr genommenen Möglichkeiten führen dazu, trotz medizinischer und ökonomischer Grenzen den Tod als nicht existent oder zumindest immer weit weg, hinaus schiebbar, zu betrachten. Ewiges Leben und ewige Jugend werden angestrebt. Aus diesem Grund werden oft in aussichtslosen Situationen in Kollusion von Arzt und Patient kurative Massnahmen ergriffen, die nicht mehr Sinn machen. «Defining the Point of no return», also den Zeitpunkt des Übergangs von kurativer zu palliativer Betreuung zu bestimmen, ist immer wieder schwierig (1). Zum Zeitpunkt des Hospizeintritts müsste der Wunsch nach ewigem Leben eigentlich im Hintergrund sein, aber auch wenn jemand am Sterben ist, muss er weiterleben, bis er stirbt.
Es ist tatsächlich so, dass der Zeitpunkt des Todes durch das Einsetzen oder Weglassen von therapeutischen Massnahmen z.T. substantiell verschoben werden kann. Das Horaz zugeschriebene römische Sprichwort «Mors certa, hora incerta», also dass der Tod uns allen sicher ist, der Zeitpunkt aber unbestimmt, hatte wegen der geringen medizinischen Möglichkeiten vor 50 Jahren durchaus seine Gültigkeit: Der Tod und Sterben wurden als gegeben erachtet und damals öffentlich wenig diskutiert. Heutzutage ist der Tod trotz aller Unsterblichkeitsbemühungen immer noch für alle Menschen sicher, aber die Todesstunde kann mitbestimmt werden, z.B. durch Verzicht auf medizinische Massnahmen oder selbstbestimmt (2). Obwohl die meisten Menschen, wenn bei guter Gesundheit befragt, am liebsten zuhause sterben möchten, versterben in der Schweiz 4 von 5 Personen in Institutionen. Möglicherweise hat das unter anderem auch mit dem Wunsch zu tun, die Todesstunde möglichst lange hinauszuzögern.

Die Hospizbewegung

Der Begriff Hospiz stammt vom lateinischen «hospitium» für Gasthaus, Herberge und Gastfreundschaft. In der römischen Antike stand hospitium für zeitweiliges Obdach und Bewirtung von Fremden. Unter den Bezeichnungen Hospice, Hôtel Dieu, Hospital entstanden im Mittelalter die in christlicher Tradition von Klöstern errichteten Hospize, vor allem entlang der grossen Pilgerwege zur kostenlosen Beherbergung und Pflege der Gläubigen, sowie zur Betreuung von Armen, Waisen, mittellosen Gebärenden, Leprakranken und Sterbenden. Letztere machten nur einen kleinen Teil der Gäste aus. Im Gegensatz zu heute war der Tod im Mittelalter allgegenwärtig (Kindsbettfieber, Seuchen, Kriege), was eine spezielle Einrichtung für das Sterben absurd erscheinen lässt.

«To a patient, who makes inquiries which, if faithfully answered might prove fatal to him, it would be a gross and unfeeling wrong to tell the truth.» (Thomas Percival, Medical Ethics 1803)

Bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden Patienten und ihre Angehörige nicht über ihre unheilbaren Krankheiten aufgeklärt, Sterben und Tod wurden ausgeblendet, Sterbende nur marginal betreut oder ganz allein gelassen. Die Glarner Ärztin Elisabeth Kübler-Ross hat in den USA als erste das Tabu der Verschwiegenheit durchbrochen und sich ans Bett von Sterbenden gesetzt, ihnen zugehört, ihre Anliegen aufgenommen und sie in den Tod begleitet (On Death and Dying, 1969) (3). Diese Pionierleistung hat die Entwicklung der heutigen Form der Institution Hospiz erst ermöglicht.
Dame Cicely Saunders, Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin hat 1967 das St Christopher Hospice in London eröffnet. Es ist das erste moderne Hospiz mit der Zielsetzung Schwerstkranken ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Die Grundprinzipien der Palliative Care, nämlich Zuwendung durch ein interprofessionelles Team und Symptomlinderung wurden von Cicely Saunders wesentlich mitentwickelt und etabliert. Wenig vertraut mit diesen Entwicklungen habe ich damals als junger Assistenzarzt mit Staunen von der «Brompton mixture» für die Schmerzbehandlung erfahren. Sie enthält Morphin oder Heroin, Cocain, Cannabis, Gin und Chloroform und ist heute obsolet, war aber der erste Schritt zu einer ernsthaften, differenzierten und effizienten Schmerzbehandlung (4).
Die weitere Entwicklung, Einrichtung und Verbreitung von Hospizen sind in verschiedenen Ländern ganz unterschiedlich (5). Im Gegensatz zu Deutschland mit einer langjährigen, vorwiegend christlichen Tradition, gibt es in der Schweiz nur wenige Hospize.16 unterschiedlich konzipierte und funktionierende Institutionen sind im Dachverband Hospize Schweiz zusammengeschlossen (Abb. 1).

Der lange Weg zum Hospiz St. Gallen

Ausgangslage: Palliative Care, die Behandlung, Betreuung und Begleitung von unheilbar kranken und sterbenden Menschen haben im Kanton St. Gallen eine lange Tradition. 1991, vor mehr als 20 Jahren, wurde am Kantonsspital St. Gallen auf Initiative von Prof. Hansjörg Senn eine der ersten Palliativstationen in der Schweiz aufgebaut und eröffnet. Von jeher besteht aber bei vielen Menschen der Wunsch, zu Hause zu sterben. Konsequenterweise wurde als weiterer wichtiger Schritt vor 10 Jahren der palliative Brückendienst mit Hilfe der Krebsliga Ostschweiz entwickelt. Um eine Betreuung von Sterbenden zu Hause zu ermöglichen, stehen der Spitex und den betreuenden Hausärzten rund um die Uhr in Palliative Care speziell ausgebildete Pflegende und Ärzte zur Verfügung. Zusätzlich können die Freiwilligen des Hospiz-Dienstes St. Gallen eingesetzt werden. Auch in Spitälern und geriatrischen Pflegeinstitutionen hat Ausbildung und Praxis von Palliative Care an Wichtigkeit gewonnen. Grundsätzlich ist die palliative Grundversorgung im Kanton gewährleistet.
Problemstellung: Während der Arbeit im Brückendienst in den letzten 10 Jahren haben die Pflegenden jedoch immer wieder eine entscheidende Versorgungslücke festgestellt. Bei Sterbenden, vor allem auch jüngeren Menschen mit kleinen Kindern, mit komplexen pflegerischen und medizinischen Problemen oder schwieriger psychosozialer Situation kommt es vor, dass Angehörige und Betreuende zu Hause trotz all den genannten Hilfestellungen überfordert sind. Es stellt sich akut die Frage “Wo kann der Patient betreut werden, wenn es zu Hause nicht mehr geht?“. Das Akutspital kann den Patienten für längere Zeit nicht aufnehmen und ist von seiner Struktur her auch nicht der richtige Ort. Bei grossem Betreuungsaufwand über 24 Stunden sind die Pflegeinstitutionen nach eigenen Angaben oft nicht geeignet und überfordert. Zudem möchten jüngere Menschen ihre letzte Zeit, wenn möglich nicht im Heim verbringen. Das Problem wurde offensichtlich: Für diese speziellen Situationen ist ein spezielles Angebot nötig. Fehlt dieses Angebot, kommt es in der ohnehin schwierigen Situation zu belastenden Irrwegen mit Dekompensation von Betroffenen und Betreuenden und unsinniger Einweisung in die Notfallstation als einzig mögliche und teure Sofortmassnahme.
Problemlösung: Es braucht eine Langzeitinstitution mit der Qualität und den Möglichkeiten des Akutbetriebs, es braucht ein Hospiz mit spezialisierter Palliative Care (1), und das war damals in St. Gallen nicht vorhanden. Das nächstgelegene Hospiz war das Lighthouse in Zürich, das wegen fehlender Nähe zum Familiennetz nicht in Frage kam. Um diesem Missstand beizukommen, haben in den letzten zehn Jahren drei Pflegefachleute der St. Galler Palliative Care unter Beizug eines Ökonomen neben ihrer Arbeit unbezahlt ein ausgereiftes Projekt zur Realisierung eines Hospizes erarbeitet. Der Bedarf in St. Gallen und angrenzenden Gebieten wurde sorgfältig abgeschätzt und liegt bei 10 bis 12 Betten mit Aufenthaltsdauer von ca. 3 Wochen und etwa 60 Bewohnenden pro Jahr. Im Hospiz soll die Atmosphäre so sein wie zu Hause und gleichzeitig eine intensive pflegerische, ärztliche, und nach Bedarf spirituelle, psychologische und soziale Betreuung mit Einbezug der Angehörigen über 24 Stunden möglich sein (siehe Tabelle 1) (6). Mit der Gründung des Vereins «Freunde stationäres Hospiz St. Gallen» wurde eine Basis für Öffentlichkeitsarbeit und das Fundraising geschaffen und schliesslich in langjähriger Fronarbeit ermöglicht, dass das Hospiz St. Gallen im Februar 2018 eröffnet werden konnte (Tabelle 2).

Pflegen im Hospiz, eine herausfordernde Aufgabe

«Wie kann man nur in einem Sterbehospiz arbeiten? Nur sterben, sterben, Tag und Nacht, schrecklich!», so die Bemerkung eines Bekannten beim Besuch des Hospizes. In medizinisch aussichtslosen Situationen hören wir Ärzte oft sagen: «Jetzt können wir nichts mehr für Sie tun!». Wer im Hospiz arbeitet wird gewahr, dass wir sehr viel tun können, um den Bewohnenden das Leben bis zum Schluss zu erleichtern und ihnen mit den Angehörigen auf dem Weg zum Ende beizustehen. Aber wir müssen uns auf die Sterbenden einlassen können. Die Grundlage für die Betreuung ist die Beziehung. Beziehung mit Menschen in Grenzsituationen ist heikel. Im Hospiz ist die Grenzsituation des Sterbens Alltag. Fragen der Kommunikation, von Nähe und Distanz, von Betroffenheit, Mitgefühl und Abgrenzung stehen bewusst oder unbewusst ständig im Raum. Diese emotionale Spannung zu handhaben, ist tatsächlich eine Herausforderung, auch wenn durch die Alltäglichkeit der Grenzsituation eine gewisse Gewöhnung und dadurch Entspannung entsteht. Zuwendung und «da sein» ist der wichtigste Pfeiler für die Betreuung Sterbender. Der zweite zentrale Aspekt ist die Symptomkontrolle. Eine effektive und effiziente Milderung der Symptome kann oft den Zugang zu den Bewohnenden erst ermöglichen. Die Palliative Wissenschaft hat uns sehr gute Methoden und Richtlinien zur Beherrschung von Symptomen wie Schmerz, Atemnot, Angst, Asthenie, Übelkeit, Erbrechen und anderen erarbeitet. Auch wenn die Richtlinien sehr hilfreich sind, gibt es doch bei jedem Sterbenden individuelle Aspekte. Diese zu erkennen und entsprechend zu berücksichtigen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe der Pflege und kann für Sterbende und Betreuende sehr befriedigend sein. Das Erreichen von kleinen Zielen charakterisiert die Hospizarbeit und wirkt Angst und Frustration entgegen. Auch wenn das für Aussenstehende schwer nachvollziehbar ist, kann eine gelungene Sterbebegleitung durchaus als eine gut gelöste schwierige Aufgabe erlebt werden und mit grosser Befriedigung einhergehen.
Um im Hospiz pflegen zu können, sind eine klare Führung und regelmässige Supervisionen im Team unverzichtbar. Als Voraussetzung ist zudem Ausbildung in (spezialisierter) Palliative Care sowohl für Pflegende als auch für Freiwillige eine Notwendigkeit.

Das erste Jahr

Im Alltag im Hospiz stehen im Gegensatz zu manchen kurativen medizinischen Institutionen tatsächlich Sterbende und ihre Angehörigen im Mittelpunkt. Die Pflegenden verbringen die meiste Zeit mit den Bewohnenden. Der administrative Aufwand ist gering. Das macht die Arbeit im Hospiz attraktiv. Die Rekrutierung von Pflegenden und Freiwilligen gestaltete sich entsprechend einfach und im ersten Jahr ist das Team unter Führung der Pflegedienstleitung stabil und tragfähig geworden.
Die zu Beginn schlechte Auslastung der 7 Betten um 40% hat sich mit optimierten Abläufen und besserer Vernetzung mit den Zuweisern bei 70% stabilisiert. Von insgesamt 66, vorwiegend krebskranken Bewohnenden mit Durchschnittsalter 69, waren 57 Sterbefälle, die sich durchschnittlich während 19 Tage im Hospiz aufhielten. Die spontanen Rückmeldungen von Angehörigen und Bewohnenden waren zu einem grossen Teil ausgezeichnet.

Finanzierung und Fundraising

Die Finanzierung gestaltet sich schwierig. Auch nachdem der Kantonsrat im Nachtrag zum Gesundheitsgesetz vom 20. November 2018 Palliative Care inklusiv Hospize zur öffentlichen Aufgabe erklärt hat, sind die Beiträge von Gemeinden, Kantonen und Krankenkassen bei weitem nicht kostendeckend. Wie aus Abb. 2 ersichtlich kostet ein Pflegetag rund 850 Franken, mit dem Hauptanteil von 80% für das (Pflege)personal. Das muss so sein, denn im Gegensatz zum Pflegeheim braucht es im Hospiz über 24 Stunden intensive Pflege. Das Pflegeheim ist mit rund 400 Franken wesentlich günstiger. Im Vergleich zur Spitalabteilung mit 1 500 bis 2 000 Franken und einer Intensivstation mit 3 500 bis 5 000 Franken pro Tag ist das Hospiz dennoch relativ kostengünstig. Auf der Einnahmenseite berappen Bewohner, Krankenkassen, Restfinanzierer und Kanton rund 550 Franken, die restlichen rund 300 Franken muss das Hospiz durch Spenden beschaffen. Dieser Spendenbedarf macht je nach Auslastung rund eine halbe Million Franken pro Jahr.
Das Fundraising ist neben dem Führen des Betriebes das anstrengendste Hauptproblem. Im Jahr 2013 haben wir den Verein Hospiz St. Gallen gegründet, dessen Mitglieder uns stetig materiell und mental unterstützen und wir halten sie mit einem Newsletter auf dem Laufenden. Vor 10 Jahren hatten das breite Publikum und zum Teil auch Professionelle im Gesundheitsbereich keine Vorstellung von Sinn und Zweck eines Hospizes. Durch unsere wiederholten Aktionen und Vorträge in verschiedensten Bevölkerungsgruppierungen und Vereinen hat sich das verändert. Das Hospiz ist in St. Gallen und in der Ostschweiz ein Begriff. Den Hauptanteil für unsere Betriebsvorbereitung (Projektierung, Investitionen usw.) haben wir von Stiftungen erhalten. Stiftungen unterstützen gerne etwas im Aufbau, machen Anschubfinanzierungen. Seit 1 ½ Jahren sind wir ein laufender Betrieb und brauchen Mittel zur Finanzierung der ungedeckten Kosten. Das ist kaum attraktiv für eine Stiftung. Kurzfristig ist dank aufwändigen Fundraising Bemühungen die Finanzierung gesichert. Auf der anderen Seite ist das Führen eines Hospizes eine öffentliche Aufgabe und klarer Bestandteil der Palliativen Versorgung des Kantons. Zudem verhindert es häufig, belastende und teure Irrwege von Sterbenden und spart Kosten ein. Damit das Hospiz überleben kann, wünschen wir uns für die Zukunft eine substantielle Beteiligung der öffentlichen Hand.

Prof. Dr. med. Christoph Hürny

Obere Felsenstrasse 15
9000 St. Gallen

christoph.huerny@hospizstgallen.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Mit der Palliativstation am Kantonsspital, dem palliativen Brücken-dienst zur Unterstützung der Sterbenden zu Hause und der palliativen Grundversorgung ambulant und in Pflegheimen ist der Kanton St. Gallen für die Sterbephase gut gerüstet. Die Versorgungslücke für medizinisch und/oder psychosozial sehr komplexe Sterbende, die weder zu Hause noch im Akutspital noch im Pflegeheim betreut werden können, wurde mit der Eröffnung des Hospiz St. Gallen im Februar 2018 geschlossen.
  • Grundlage für die Begleitung und Betreuung im Hospiz ist die intensive Zuwendung zum Sterbenden durch das interdisziplinäre Team unter dem Lead der Pflege, die effiziente und effektive Symptomkontrolle zur Erhaltung von möglichst viel Lebensqualität in einer wohnlichen Umgebung, der Einbezug der Angehörigen und deren Betreuung nach dem Tod. Im Sinne des Solidaritätsgedankens sind immer auch Freiwillige beteiligt.
  • In der Schweiz gibt es im Vergleich zu anderen, westlichen Ländern wie Deutschland nur wenig Hospize. Sie sind im Dachverband Hospize Schweiz zusammengeschlossen. Struktur, Funktion und Finanzierung der einzelnen Institutionen sind aber ganz unterschiedlich. In den meisten Fällen tragen wie in St. Gallen öffentliche Hand und Krankenkassen nur einen geringen Teil der Kosten. Der Hauptanteil muss mit Spenden und durch den Bewohner bezahlt werden. Da das Hospiz im Gesundheitsgesetz als öffentliche Aufgabe definiert ist, muss sich das in Zukunft ändern.

1. Hürny C. Palliative care in high-tech medicine: defining the point of no return. Support Care Cancer 1994;2:3-4.
2. Zimmermann M, Felder St, Streckeisen U, Tag B. Das Lebensende in der Schweiz. Individuelle und gesellschaftliche Perspektiven. Basel: Schwabe-Verlag, 2019
3. Kübler-Ross E, Interviews mit Sterbenden.6.Auflage.Stuttgart-Berlin;Kreuzverlag Gmbh,1969
4. Student JC. Das Hospizbuch.4. Auflage, Freiburg: Lambertus Verlag,1999
5. Heller A. Die Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland. Ludwigsburg: Der Hospiz Verlag, 2012
6. Student JC. Sterben,Tod und Trauer-Handbuch für Begleitende, 3. Auflage, Freiburg: Herder, 2008

Personalisierte Medizin in der Onkologie

Von jeher versucht die Medizin eine auf den individuellen Patienten ausgerichtete «personalisierte Medizin» mit dem zu der jeweiligen Zeit verfügbaren Wissen, Können und gewonnen Erfahrungen auszuüben. In der Zeit der biochemisch, molekulargenetisch und immunologisch dominierten Medizin, wird es möglich, immer bessere zielgerichtete, hochpräzise Behandlungsformen zu entwickeln. In diesem Artikel wird die Begrifflichkeit der «Personalisierten Medizin» geklärt und mit Beispielen aus der Onkologie erläutert.

Das jeweils aktuell vorherrschende Medizin-Modell war schon immer abhängig vom Einfluss der zeitgleich dominierenden Ergebnisse der Wissenschaften. War in der 1. Hälfte des letzten Jahrhunderts die Psychoanalyse gross en vogue, so verhalf dies der psychosomatisch orientierten Medizin zu einem beachtlichen Aufschwung und in Erweiterung durch die soziologischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zum Model der biopsychosozialen Medizin. Die Entdeckung und Entwicklung der Narkose, das erfolgreiche Konzept der Sterilität und antiinfektiösen Therapien, die Entdeckung der Blutgruppen und damit Etablierung der Transfusionsmedizin sowie die apparative Bildgebung wiederum haben der modernen operativ, pharmakologisch und technisch dominierten Medizin in der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts zu eindrücklichen Höhenflügen verholfen.
Nun befinden wir uns seit der Entschlüsselung des genetischen Codes in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts in der Zeit der biochemisch, molekulargenetisch und immunologisch dominierten Medizin, neuerdings ergänzt mit den grossen Versprechungen der intelligenten «Big Data»-Analysen und künstlichen Intelligenz. Da ist nun potentiell jeder Mensch permanent Objekt und Subjekt in seiner Totalität, mit seiner ganz individuellen vollständigen molekulargenetischen Signatur und seinem Verhalten in Gesundheit und Krankheit. Eine breite öffentliche Diskussion ist nun notwendig, damit die einerseits wohl zu Recht grossen Chancen, andererseits die nicht zu unterschätzenden Risiken für den verletzlichen gläsernen Patienten verstanden werden. Das Bundesamt für Gesundheit hat ein eigenes Merkblatt zur Begrifflichkeit der «Personalisierten Medizin» verfasst, was die Bedeutung dieser Entwicklung für die hiesige Öffentlichkeit klar unterstreicht. In den USA hat sich in letzter Zeit der Begriff «Precision Medicine» vermehrt etabliert gegenüber von «Personalized Medicine», da hier mehr zum Ausdruck kommt, dass es sich um eine genau auf eine für den Patienten passende Zielstruktur gerichtete Medizin handelt. Es soll nicht übersehen werden, dass dieser Begriff auch bewusst manipulativ medial eingesetzt wird, um die teilweise exorbitant hohen Preise und Kosten neuer Therapien zu rechtfertigen.

Definitionen zu personalisierter Medizin und Gesundheit

Bundesamt für Gesundheit (BAG)

«Die personalisierte Medizin (auch Präzisionsmedizin oder individualisierte Medizin genannt) umfasst im Allgemeinen diagnostische, präventive und therapeutische Massnahmen, die auf ein Individuum optimal zugeschnitten sind. Die Person wird untersucht, insbesondere um genetische Merkmale zu bestimmen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen fliessen anschliessend in den Entscheidungsprozess für Therapie- und Präventionsmassnahmen zur Behandlung jener Person ein. Von solch massgeschneiderten Behandlungen erhofft man sich wirksamere Therapien und weniger Nebenwirkungen. Langfristig sollen sie somit auch positiv auf die Kostenentwicklung wirken.
Das Konzept der Personalisierten Gesundheit geht über dasjenige der Personalisierten Medizin hinaus und spielt insbesondere für die Prävention eine wichtige Rolle. Für die Personalisierte Gesundheit stehen nicht nur die Patientinnen und Patienten im Fokus, sondern auch gesunde Personen. Es werden neben Informationen zur «Biologie» der Person weitere gesundheitsbezogene Daten aus unterschiedlichen Quellen berücksichtigt.»

USA National Cancer Institute (NCI-Dictionary)

«Personalized Medicine: A form of medicine that uses information about a person’s genes, proteins, and environment to prevent, diagnose, and treat disease. In cancer, personalized medicine uses specific information about a person’s tumor to help diagnose, plan treatment, find out how well treatment is working, or make a prognosis. Examples of personalized medicine include using targeted therapies to treat specific types of cancer cells, such as HER2-positive breast cancer cells, or using tumor marker testing to help diagnose cancer. Also called precision medicine».

Die personalisierte Medizin und die moderne Onkologie

Die onkologische Hämatologie und Onkologie haben sich als klare medizinische Frontdisziplin dieser rasanten Entwicklung in den letzten 3 Jahrzehnten etabliert und sind somit mit vielen neuen offenen Fragen jeweils als Erste konfrontiert. Schon alleine durch die heute immer rascher verfügbare und auch zunehmend bezahlbare Entschlüsselung der molekulargenetischen Signatur der individuellen Tumorerkrankung unterscheiden wir von Monat zu Monat neue Untergruppen von bisher als einheitlich verstandenen Tumorentitäten. So haben wir es bereits heute mit über 1000 Untergruppen von Malignomen zu tun; letztlich ist jeder Tumor eines individuellen Patienten sogar einzigartig in seinem Muster von Mutationen und weiteren genetischen und epigenetischen Veränderungen. Diese genetische Signatur verändert sich dann noch weiter im Verlauf der Erkrankung mit den vielen Generationen an weiteren fehlerhaften Zellteilungen und ist vom Primärtumor zu den verschiedenen Metastasen dazu noch weiter variabel. Auch die Therapien verändern die genetischen Informationen zusätzlich und können die malignen Zellen mit insbesondere die Resistenz unterstützenden Mutationen selektionieren. Bei diesen häufig tausendfachen genetischen Veränderungen muss man die informativen und nicht-informativen Mutationen unterscheiden.
Für die therapeutische Nutzung dieser Daten ist es entscheidend für den jeweiligen Patienten herauszufinden, welche der vielen genetischen Veränderungen den Krankheitsprozess bestimmen («driver mutations») und welche nicht («passenger mutations»), um die dafür richtigen hochpräzisen Therapien im entsprechenden Krankheitsverlauf zu entwickeln und verwenden.
Das heutige Konzept der «Personalisierten Medizin» ist also im «Management» der einzelnen Patienten mit sehr grossen komplexen Datenmengen, die weit über die Erfahrung des einzelnen Arztes oder eines lokalen Spezialistenteams hinausgehen, konfrontiert. Der unmittelbare Austausch dieser Daten unter den Experten in grossen nationalen und internationalen Netzwerken erlaubt es grundsätzlich, die Ergebnisse bisheriger und neuer diagnostischer und therapeutischer Verfahren zeitnah zu erfassen, zu vergleichen und auszuwerten. Damit wird die Effizienz der neuen Erkenntnisse enorm gesteigert und die jeweils beste diagnostische und therapeutische Vorgehensweise für den individuellen Patienten damit viel schneller verfügbar.
Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat mit dem Swiss Personalized Health Network (SPHN) die Infrastrukturen geschaffen, um die vielen Gesundheitsdaten in der Schweiz für die Forschung und letztlich die Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen. Das vom Forum Genforschung betriebene Themenportal «Personalisierte Gesundheit» und das Dialogprojekt «Mensch nach Mass» der Stiftung Science et Cité sind weitere Aktivitäten, die von der SAMW mitgetragen werden. In einem eigenen Positionspapier überprüft die SAMW zudem den Nutzen und die Risiken des medizinischen Fortschritts für die nachhaltige Entwicklung des Gesundheitssystems insgesamt. Bei allen Erwartungen, welche die Personalisierte Medizin weckt, ist es auch eine Aufgabe der SAMW und anderer nationaler und internationaler unabhängiger Organisationen, diese im Kontext eines nachhaltigen Gesundheitssystems kritisch zu hinterfragen.

Beispiele der «Personalisierten Onkologie»

Das wohl berühmteste und auch erste Beispiel zielgerichteter Therapie stammt aus der Onkologie, nämlich die Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie (CML). Es konnte gezeigt werden, dass sie durch eine einzigartige pathognomonische Translokation zwischen den Chromosomen 9 und 22 verursacht wird, welche zytogenetisch und molekularbiologisch nachgewiesen werden kann. Aus dieser Translokation entsteht ein neues Protein mit einer veränderten Funktion, das BCR-ABL-Eiweiss, welches ein ungebremstes Wachstum und damit die Leukämie auslöst. Diese Funktion kann durch neue Krebsmedikamente, sogenannte Kinase-Inhibitoren wie Imatinib, geblockt werden – mit dramatischer Verbesserung des Überlebens von CML-Patienten. BCR-ABL ist in der CML somit ein diagnostischer Biomarker, wie auch ein prädiktiver Test – er sagt die Wirkung von Kinase-Inhibitoren voraus.
Eine weitere onkologische Erkrankung, bei der zielgerichtete Therapien das Überleben deutlich verlängern konnten, ist das malignes Melanom. Es konnte gezeigt werden, dass rund 60 % der metastasierten Melanome der Haut eine Punktmutation im BRAF-Gen aufweisen. BRAF-Kinase- Inhibitoren (wie Vemurafenib, Dabrafenib oder Encorafenib) sind in dieser Situation sehr gut wirksam; allerdings entwickelt sich meist rasch eine Resistenz, was die Gabe weiterer Medikamente bedingt.

Als Beispiel wie heute die personalisierte Onkologie praktiziert wird sei hier das Nichtkleinzellige Lungenkarzinom NSCLC angeführt. Hatten wir noch vor 20 Jahren im Wesentlichen die Nichtkleinzelligen Lungenkarzinome unterschieden in die Plattenepithel- und Adeno-Karzinome so unterschieden wir heute circa 20 molekulargenetisch verschiedene Typen und diese Zahl nimmt laufend zu. Ein aktueller Behandlungsalgorithmus für Patienten mit NSCLC und nachweisbaren bekannten Driver-Mutationen ist in Abbildung 1 (4) dargestellt.
Trotz den rasanten und sehr kostspieligen Fortschritten in der Onkologie und onkologischen Hämatologie muss festgehalten werden, dass die bisherige konventionelle Chemotherapie und Radiotherapie keineswegs ausgedient haben. In vielen Situationen ergänzen sich die verschiedenen bewährten und neuen Therapieformen und bei vielen Patienten haben wir noch keine zielgerichteten Therapien verfügbar oder sie sind noch nicht ausreichend oder nur kurzfristig wirksam.
Es ist aber auch legitim die bereits absehbaren enormen Erfolge insbesondere auch der Immuntherapien z.B. in der jetzt möglichen kurativen Behandlung der Patienten mit metastasierendem malignen Melanom oder mit bisher therapierefraktären akuten Leukämien oder Lymphomen und anderen mehr zu erwähnen. Wir stehen hier erst am Anfang eines weiten Weges.
In einer breit angelegten Studie in den USA wurde kürzlich untersucht wie viele der 94 157 zielgerichtet behandelten Patienten im Zeitraum 2006-2018 profitiert haben (Abb. 2, 3) (5). In der gleichen Population betrug die Ansprechrate («response rate») 54%, während sich die Dauer des Ansprechens («duration of response») im Median auf 29,5 Monate aufsummierte (5).

Ausblick

Es wird entscheidend sein, dass der Nutzen der personalisierten Medizin als Resultat der weitgehend von der Öffentlichkeit getragenen hunderte von Milliarden Franken schweren Grundlagen- und Klinischen Forschung der breiten Bevölkerung auch umfassend zu Gute kommt. Die bisherige zu einseitige Kommerzialisierung des medizinischen Fortschritts insbesondere durch die zu grosszügige Monopolisierung durch privatisierte Patente aus der öffentlichen Forschung muss den heutigen Realitäten wieder gerecht werden und die Preise der innovativen Medikamente in ein nachvollziehbares transparentes und faires Verhältnis von Aufwand und Ertrag gesetzt werden. Eine freie Preissetzung neuer Medikamente und Indikationen, wie es die USA zulässt, ist nicht mehr haltbar in solidarisch getragenen Gesundheitssystemen wie in Europa.
Für uns als Experten der Medizin sind wir nun mitten im Aufbruch dieser Revolution der Medizin, welche in sehr raschem Tempo voranschreitet, enorm gefordert. Die therapeutischen, diagnostischen und präventiven Optionen der nahen Zukunft sind noch kaum absehbar gross und haben enorme Konsequenzen für die ganze Gesellschaft. Die Demographie, die Prävalenz und Inzidenz der Erkrankungen sind in raschem Wandel mit grossen Auswirkungen auf die Veränderungen der Gesellschaft. Die Möglichkeiten, ins Genom des Menschen, insbesondere auch in die Keimbahn einzugreifen, wie z.B. durch die CRISPER-Cas9 Methoden sind gerade erst in der Initialphase der öffentlichen Diskussion ebenso wie die Optionen der Verschmelzung von Mensch und Technik im «Transhumanismus», wo der einzelne Mensch durch technischen Implantate «verbessert» werden soll.
Prof. Daniel Scheidegger, bis Ende 2019 Präsident der SAMW schreibt: «Alle Gesundheitsfachleute müssen sich heute mit diesen neuen Trends auseinandersetzen. Da die Medizin sich in Zukunft nur noch multi- und interprofessionell weiterentwickeln kann, sind die Inhalte nicht nur auf alle Berufsgruppen ausgerichtet, sondern auch interprofessionell entstanden. Die Personalisierte Medizin wird in den nächsten Jahren rasant an Bedeutung gewinnen. Ob sich die grossen Hoffnungen bewahrheiten, wird die Zukunft zeigen.»

Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny

Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen

thomas.cerny@kssg.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Personalisierte Medizin und Personalisierte Gesundheit sind als Begriffe jeweils im Kontext zu interpretieren
  • In der Onkologie wird damit meist die zielgerichtete «Precision
    Medicine» gemeint
  • Immer mehr ist «Big Data» unterwegs zum gläsernen Patienten/
    Bürger
  • Die Chancen und Risiken der Personalisierten Medizin und Gesundheit transparent und verständlich zu machen, ist dabei die grösste Herausforderung.

1. Publikation «Personalisierte Medizin» der SAMW: www.samw.ch unter Publikationen
2. Faktenblatt Personalisierte Medizin des BAG: unter www.bag.admin.ch eingeben: Faktenblatt Personalisierte Medizin
3. Swiss Personalized Health Network (SPHN) Initiative: www.sphn.ch
4. Onkopedia Leitlinien: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/lungenkarzinom-nicht-kleinzellig-nsclc/@@guideline/html/index.html)
5. Marquart J, Chen EY, Prasad V. Estimation of the percentage of US patients with cancer who benefit from genome-driven oncology [published online April 17, 2018]. JAMA Oncol.

Topische Phytopharmaka in der Gynäkologie

Gerade in der Gynäkologie besitzt die Phytotherapie einen hohen Stellenwert, fragen Patientinnen doch oftmals gezielt nach «natürlichen» Alternativen oder Ergänzungen ihrer Behandlung, z.B. bei Wechseljahresbeschwerden oder PMS. Auch topisch angewandt haben Arzneipflanzen mit ihren Vielstoffgemischen in der Gynäkologie Einiges zu bieten und lassen sich bei diversen Beschwerden vielseitig, effizient und direkt am Wirkort einsetzen.

Bei hormonell bedingten trockenen und atrophen Schleimhäuten kommen fette Pflanzenöle mit Phytosterolen, die die Schleimhäute hydratisieren und regenerieren, zum Einsatz, allenfalls in Kombination mit hormonausgleichenden, regenerierenden und wundheilenden ätherischen Ölen.

Hormonähnliche Inhaltsstoffe: Granatapfelkern- und Sanddornfruchtfleischöl

Granatapfelkernöl (Punica granatum) (Abb. 1) enthält diverse Phytoöstrogen-Komponenten wie z.B. Coumestrol oder Estron (1, 2), sowie andere hormonähnlich wirkende Stoffe wie Phytosterole, Flavonoide und β-Sitosterol, und hat daher eine hormonausgleichende Wirkung (2, 3). Ferner weist das Öl einen hohen Gehalt an Punicinsäure auf, welche durch ihre inhibierende Wirkung auf die Lipoxygenase und die Cyclooxygenase (COX) entzündungshemmend wirkt (2). Das Öl kann formuliert in Ovula, in halbfesten Zubereitungen oder in Ölmischungen als tägliche Pflege benutzt werden, beispielsweise in Kombination mit Nachtkerzen- oder Johannisöl, sowie eventuell mit regenerierenden oder hormonell ausgleichenden ätherischen Ölen wie Rosengeranie (Pelargonium grav.), Sandelholz (Santalum album), Muskatellersalbei (Salvia sclarea) oder Rose (Rosa damascena) (1).

Sanddornfruchtfleischöl (Hippophae rhamnoides) eignet sich aufgrund seines hohen Gehaltes an Palmitoleinsäure, die auch Bestandteil unseres hauteigenen Fettes ist, besonders für die Behandlung von diversen (Schleim-)Hautkrankheiten. Ebenfalls in hoher Konzentration vorhanden sind Tocopherol und Carotinoide, welche eine zellregenerierende Wirkung aufweisen, sowie das hormonähnliche β-Sitosterol (2). Gerade bei Erosionen, Läsionen und Rissen im Genitalbereich, welche unter anderem auf einen Mangel an B-Carotin und Tocopherol zurückzuführen sind, eignet sich Sanddornfruchtfleischöl als Inhaltsstoff in einer geeigneten Zubereitung (2). Zu beachten ist die starke orange Färbung des Öls.
Andere hormonausgleichende Pflanzenöle sind beispielsweise Lein-, Nachtkerzen- oder Borretschsamenöl, auch sie können lokal pur oder in Rezepturen angewendet werden, oder zur systemischen Therapie trockener (Schleim-)Haut innerlich eingenommen werden.
Eine von vielen GynäkologInnen verschriebene Rezeptur für trockene und juckende Schleimhäute mit Infektionstendenz ist die Vaginalcreme nach Rina Nissim (4) (Rezeptur 1).

Sonderfall Lichen sclerosus

Essentiell ist bei diesem Beschwerdebild die intensive Pflege (5), idealerweise mit obengenannten zellregenerierenden fetten Pflanzenölen in einer Ölmischung oder halbfesten Zubereitung. Bei Rötungen und Reizungen kann der Creme beruhigendes und reizmilderndes Lavendelöl (6) beigegeben werden, je nach Verträglichkeit 1-2%ig. Auch ätherisches Rosmarinöl (Rosmarinus officinalis ct cineol) kann 5-10%ig in einer rückfettenden Grundlage zur Durchblutungsförderung eingesetzt werden, am besten wird die Creme jeweils morgens angewendet (5). Bei Verletzungen durch Kratzen oder akuten entzündlichen Zuständen kommen Waschungen mit verdünnter Calendula- oder Kamillentinktur infrage, oder auch Sitzbäder mit entzündungshemmenden Arzneipflanzen (s. unten).

Bei Entzündungen Gerbstoffdrogen und entzündungshemmende Arzneipflanzen

Gerbstoffdrogen wie Eichenrinde (Quercus cort.), Hamamelis (Hamamelidis cort./fol.) oder Taubnesselblüten (Lamii albi flos) weisen adstringierende, entzündungshemmende und juckreizstillende Eigenschaften auf und eignen sich für nässende, entzündliche oder mit Sekretion verbundene Zustände (z.B. Fluor albus) (7). Taubnessel wirkt dabei aufgrund der Iridoïde über eine Hemmung der Zyklooxygenase zusätzlich entzündungshemmend (7). Die Pflanzen kommen als Waschungen oder Sitzbäder zur Anwendung. Dazu kombiniert werden kann die entzündungshemmende und keimhemmende Kamille (Matricariae flos) oder Schafgarbe (Millefolii flos) (8) (Rezeptur 2). Bei starker Entzündung kann dem Sitzbad zur Wirkungsverstärkung 10-30 ml Kamillenextrakt oder Ringelblumentinktur beigegeben werden. Des Weiteren können im Handel erhältliche Hamamelis-Hämorrhoidalzäpfchen auch vaginal eingeführt werden (z.B. Hametum®) (6); auch Eichenrindenovula in diversen Konzentrationen können magistral hergestellt werden.
Achtung: Eichenrindenauszug ist kräftig gefärbt; es empfiehlt sich, die Badewanne sofort nach Gebrauch zu reinigen (7).

Infektionen im Intimbereich: Ätherische Öle und ihr antimikrobielles Potential

Ätherische Öle wirken je nach Zusammensetzung stark antibakteriell, antiviral und antimykotisch und werden bei diversen Infektionen der Haut sowie in der Wundbehandlung eingesetzt (9). Sie eignen sich gut zur kausalen Behandlung von Mykosen und anderen Infekten im Vaginalbereich.
Bei immer wiederkehrenden Infekten kann mittels eines Vaginalabstriches in einem spezialisierten Labor ein Aromatogramm erstellt und nach den Resultaten eine personalisierte Rezeptur formuliert werden (10).

Teebaumöl & Co bei Vaginalmykosen und bakteriellen Infekten

Viele ätherische Öle zeigen schon in niedrigen Konzentrationen eine fungizide Wirkung (10). Das gut untersuchte Teebaumöl (Melaleuca alternif.) ist aufgrund seiner ausgeprägt fungiziden Wirkung eines der wichtigsten Öl bei (Schleim-)Hautmykosen und kommt insbesondere auch bei chronischen Candidainfektionen zum Einsatz (11). Ihm eigen ist die stark austrocknende Wirkung, eine pflegende Grundlage ist daher wichtig (Rezeptur 3). Monoterpenolhaltige Öle wie Lavendel (Lavandula off.), Thymian Linalool (Thymus vulg. ct linalool), Rosengeranie (Pelargonium grav.) sowie Palmarosa (Cymbopogon martinii) eignen sich ebenfalls gut für (Candida-)Mykosen und sind daneben auch überaus hautpflegend. Palmarosa zeigt auch entzündungshemmende sowie analgetische Wirkungen (11). Für chronisch rezidivierende Pilzinfektionen haben sich Ovula mit dem stark wirksamen Thymian thymol (Thymus vulg. ct thymol) bewährt, die Dosierung pro Ovulum à 3g beträgt maximal 40mg (4). Des Weiteren sei noch Lemongrass (Cymbopogon flex.) erwähnt, das eine gute Wirksamkeit bei diversen Pilzerregern zeigt (10, 11).
Alle genannten Öle weisen neben der fungiziden auch eine breite antibakterielle Wirkung auf und können bei bakteriellen Infekten eingesetzt werden (11).
Allergien auf ätherische Öle sind häufig auf nicht richtig gelagerte Öle und die damit verbundene Bildung von Peroxyden zurückzuführen, welche ihrerseits Auslöser für Dermatitiden oder allergischen Reaktionen sein können (7). Diese Proble-matik ist insbesondere für das vielbenutzte Teebaumöl bekannt, eine gute Ätherisch-Öl-Qualität ist essentiell (9, 11).

Cineolreiche Öle bei viralen Infekten

Bei Genitalherpes (HSV-2) sowie HPV-Infekten können adjuvant antiviral wirkende ätherische Öle eingesetzt werden. Neben Teebaum (Melaleuca alternif.) eignen sich auch Niaouli (Melaleuca viridifl.) sowie Cajeput (Melaleuca leucadend.) (11). Auch Ravintsara (Cinnamomum camph. ct cineol), Eukalyptus (Eucalytus globulus/smithii) und Rosmarin (Rosmarinus off. ct cineol) wirken antiviral, dies v.a. über ihren hohen Cineolgehalt. Cineol wirkt überdies lokal anästhesierend und analgetisch (10, 11). Dazu kombiniert werden können Lavendel (Lavandula off.), Sandelholz (Santalum album), Rosengeranie (Pelargonium grav.), welche entzündungshemmend, schleimhautregenerierend und epithelisierend wirken, Sandelholz zusätzlich antiviral (5, 11). Eichenrindenbäder können die Wirkung unterstützen (5).
Fertigpräparate mit antiviraler Wirkung enthalten wässrigen Melissenextrakt oder Grünteeextrakt (Camellia sinensis) und können insbesondere bei Condylomen eingesetzt werden (5).

Magistralrezepturen mit ätherischen Ölen

In der Regel werden Ovula zu 100-200mg an ätherischen Ölen dosiert. Dabei empfiehlt es sich, mindestens 2 bis 3 verschiedene Öle zu kombinieren, da ätherische Öle in Mischungen durch Synergiebildung effizienter sind als Einzelöle (11).
Bewährt haben sich Vaginalovula à 3g, da so genügend Ovulagrundmasse vorhanden ist, um die betroffenen Schleimhäute ausreichend zu benetzen und den Wirkstoff optimal zu verteilen. Je nach Lokalisation kommen auch Cremes zum Einsatz, in einer Konzentration von 2-5% maximal.
Gerade im sensiblen Vaginalbereich muss ausserdem der Grundlage Beachtung geschenkt werden. Es gilt das Therapieprinzip: Feucht auf feucht – Fett auf trocken. Ein Austausch mit dem herstellenden Apotheker kann sinnvoll sein, damit die jeweils optimale galenische Grundlage für die betreffende Indikation gefunden werden kann.

Karoline Fotinos-Graf

eidg. dipl. Pharm., FPH Phytotherapie
Schweizerische Medizinische Gesellschaft für Phytotherapie SMGP
Diesbachstrasse 11
3012 Bern

k.fotinos@smgp.ch

Die Autorin hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Diverse ausgewählte Arzneipflanzen mit breitem Wirkungsspektrum (hormonähnlich und -ausgleichend, antiphlogistisch, analgetisch, antipruriginös, antiinfektiös, adstringierend, wundheilungsfördernd) stehen für die topische Behandlung von leichten bis mittelschweren Beschwerden des Vulvovaginalbereichs zur Verfügung, als alleinige Therapie oder adjuvant zu einer bestehenden Therapie
  • Von Bedeutung ist insbesondere das grosse antimikrobielle Potential von ätherischen Ölen, was gerade in Zeiten erhöhter Antibiotika- und anderen Resistenzen von grossem Wert sein kann
  • Es stehen ebenfalls diverse antiviral wirkende Phytotherapeutika für die (adjuvante) Behandlung von Genitalherpes oder Condylomen zur Verfügung
  • Dem Arzt, der Ärztin stehen neben einigen pflanzlichen Fertigpräparaten zahlreiche Arzneipflanzen und ätherische Öle in der ALT (Arzneimittelliste mit Tarif) zur Verschreibung einer Magistralrezeptur zur Verfügung, welche über die Grundversicherung vergütet werden

1. Von Braunschweig, R. Pflanzenöle. Wiggensbach : Stadelmann Verlag, 2018.
2. Krist, S., Buchbauer, G. und Klausberger, C. Lexikon der pflanzlichen Fette und Öle. Wien : Springer, 2008.
3. Fischer, H. Punica granatum. Zeitschrift für Komplementärmedizin 08(02). 2016, S. 52-53.
4. Fischer, H. Sanfte Hilfe bei Scheideninfekten. Naturarzt. 20. Februar 2008,
S. 18-20.
5. Fischer, H. Juckreiz und Schmerzen im äusseren Intimbereich. Naturarzt. 17. April 2014, S. 11-13.
6. Widmer, R. Einsatz von Phytotherapeutika bei Vulvovaginalbeschwerden. Schweiz Z Ganzheitsmed (29). 18. Januar 2017, S. 22-24.
7. Schilcher, Heinz, et al. Leitfaden Phytotherapie. München : Elsevier GmbH, 2016.
8. Bäumler, Siegfried. Heilpflanzenpraxis heute: Rezepturen und Anwendung. München : Elsevier Urban & Fischer, 2013. Bd. 2.
9. Fotinos-Graf, Karoline. Ätherische Öle in der Wundheilung und Entwicklung von geeigneten Rezepturen. www.smgp.ch. [Online] 5. November 2014. [Zitat vom: 31. Januar 2020.] http://www.smgp.ch/smgp/homeindex/faehigkeitsprogf/zertifikatsarbeiten/Fotinos-GrafKaroline.pdf.
10. Steflitsch, W., Wolz, D. und Buchbauer, G. Aromatherapie in Wissenschaft und Praxis. Wiggensbach : Stadelmann Verlag, 2013.
11. Wabner, Dietrich und Beier, Christiane. Aromatherapie. München : Elsevier GmbH, 2009.

Hirnmetastasen: Take Home Messages 2020

Das Interesse an einem differenzierten Management von Hirnmetastasen ist gross, zum einen dank Fortschritten der therapeutischen Disziplinen, zum anderen der Grundlagenforscher, welche unser pathophysiologisches Verständnis laufend erweitern. Beides kommt der zunehmenden Zahl betroffener Patienten zugute, die sich durch längeres Überleben mit Hirnmetastasen (BM) konfrontiert sehen. Besonders drei Tumorentitäten haben ein hohes kumulatives Risiko für BM.

La gestion différenciée des métastases cérébrales suscite un grand intérêt, grâce d’une part aux progrès des disciplines thérapeutiques, et d’autre part aux chercheurs de base qui élargissent constamment notre compréhension physiopathologique. Les deux sont bébéfiques pour le nombre croissant de patients atteints de métastases cérébrales (BM) en raison d’une survie plus longue. Trois entités tumorales en particulier présentent un risque cumulé élevé pour des BM.

Beim metastasierten Melanom geht man von einer kumulativen Inzidenz von bis zu 80% aus, für das kleinzellige Bronchuskarzinom ist sie 50-60%, Adenokarzinome der Lunge mit einer Driver-Mutation erreichen 50-70% und beim Her2-positiven metastasierten Mammakarzinom ist sie um die 50% (Abb.1). Wir verstehen heute besser, wie sich BM molekular vom Primärtumor unterscheiden, wie wichtig das ZNS–«Microenvironment» für das Entstehen von BM ist, das sich in Zukunft vielleicht für eine Prävention nutzen lässt. BM sind in klinischen Studien nicht mehr automatisch ein «exclusion criterion», was positive Beobachtungen hinsichtlich Wirksamkeit vieler neuer Substanzen im Gehirn erst möglich macht. Der Mythos einer exklusiven Bluthirnschranke für Systemtherapien ist Vergangenheit.

Das Therapieangebot hängt von der Prognose ab und umgekehrt

Eine Datenbank der RTOG (Radiation Therapy Oncology Group) mit knapp 4000 Patienten ist die Grundlage für einen Prognose-Score, der seit Jahren für die häufigsten Tumoren mit hohem BM- Risiko vorliegt. Der DS-GPA-Score (Diagnosis-Specific Graded Prognostic Assessment) wird mit molekularen Daten laufend angereichert, die neueste Version finden Sie im Internet unter
http://brainmetgpa.com (1). Prognosen variieren von einer Tumor(sub)-entität zur anderen und werden durch molekulare und klinische Faktoren beeinflusst. Klinisch spielen das Alter, der Karnofsky-Performance Status sowie das Ausmass der extrakraniellen Erkrankung eine Rolle. Die Anzahl der BM scheint bei zielgerichteten Therapiemöglichkeiten (ALK, EGFR) eher eine untergeordnete Rolle zu spielen (2). Beim ALK-positiven NSCLC mit BM wird heutzutage ein medianes Überleben von mehr als 6 Jahren erreicht unter Einsatz aller zugänglichen ALK-Inhibitoren, wohingegen bei NSCLC ohne angehbare molekulare Alterationen das mediane Überleben erst knapp über einem Jahr liegt (Abb. 2) (3).

«verzweigte Evolution» und ein Gliom-ähnliches Wachstumsmuster von gewissen Hirnmetastasen
Ein Primärtumor und seine zugehörigen Hirnmetastasen (BM) zeigen unterschiedliche molekulare Alterationen, die im Verlauf der Erkrankung separat erworben werden (sogenannte «branched evolution»), diese müssen nicht identisch sein mit Metastasen in der Peripherie, welche besser zugänglich wären, um mögliche therapeutische Targets zu finden (Abb. 3) (4). Die Konkordanz von therapierbaren Driver-Mutationen im Primärtumor und den zugehörigen Hirnmetastasen ist höher bei BRAF-mutierten Melanomen, bei ALK- positiven NSCLC und etwas weniger zuverlässig bei EGFRmut NSCLC und bei Hormonrezeptor – positiven oder Her2 – amplifizierten Mammakarzinomen.

Etwa 50% der BM zeigen ein infiltratives Wachstum («glioma-like»), was sowohl die lokale Tumorkontrolle (Operation und stereotaktische Radiotherapie, SRT) als auch die Wirksamkeit der Systemtherapie beeinträchtigt (Abb. 4) (5). Infiltrierende Tumorzellen «verstecken» sich hinter einer intakten Bluthirnschranke und sind damit einer Systemtherapie weniger gut zugänglich. Eine infiltrierende Umgebungskolonisation ist typisch für Bronchialkarzinome (SCLC, NSCLC), triple negative Mammakarzinome und Melanome (6).
Ausserhalb von Studien werden Metastasen radiologisch nach dem grössten Diameter ausgemessen, die Vollständigkeit einer Metastasenresektion (EOR, extent of resection) ist aber vom Tumorvolumen abhängig und wird deshalb häufig überschätzt (7).

Entitätsspezifische Therapiemöglichkeiten & Grenzen

1. Lunge

Die kumulative Inzidenz von BM für EGFRmut NSCLC Stadium IIIB/IV beträgt nach 3 Jahren über 45% und für ALK-translozierte Tumoren über die Jahre bis zu 70%. Diese Zahlen sind deutlich höher als für nicht molekular alterierten NSCLC, wo sich die Inzidenz für BM zwischen 20-30% bewegt (Abb. 1) (8). Neben der Lokaltherapie bestehen für molekular alterierte NSCLC-Subtypen sequentielle Systemtherapie- Optionen. Neuere Proteinkinase-Hemmer (meist Tyrosinkinase-Hemmer, TKI) sind mehrheitlich aktiv im ZNS und lassen ein Ansprechen wie in der Peripherie erwarten. Die Frage, ob bei guter Remission auf eine SRT verzichtet werden darf, kann man heute wie folgt beantworten: eine Kombination von SRT und TKI ergibt insgesamt bessere Ergebnisse als die alleinige TKI-Therapie (9), der ideale Zeitpunkt der SRT (upfront versus früh versus spät) bleibt durch weitere Studienergebnisse zu belegen und dürfte durch Krankheitsdynamik und Ansprechen auf Systemtherapie mitbestimmt sein. Bei fehlenden molekularen Alterationen ist auch eine konventionelle Chemotherapie bei manifesten BM wirksam, da diese nicht durch eine intakte Bluthirnschranke geschützt sind, die Präparate-Wahl richtet sich nach der Empfindlichkeit extrakranieller Tumormanifestationen und berücksichtigt Vorbehandlungen.

1.1. Immuntherapie bei Bronchuskarzinomen
überwinden, über virtuelle perivaskuläre Räume (im Bereich postkapillärer Hirnvenulen), via arachnoidale Granulationen und über den Choroidplexus findet immunologische Kommunikation zu den zervikalen und lumbalen Lymphknoten statt (10).
Eine erste Phase II Studie, publiziert 2016 (11), mit Pembrolizumab bei therapie-naiven BM ergab eine intrakranielle ORR von 29.4% und ein medianes OS von 8.9 Monaten bei PDL-1 positiven NSCLC. Daten zu Nivolumab nach erfolgter Chemotherapie und eine Subgruppen Analyse der OAK Studie mit Atezolizumab zeigen unabhängig vom PDL-1 Status eine vergleichbare Wirksamkeit im ZNS wie in der Peripherie und ein ähnliches Nebenwirkungsprofil (12, 13). Die Evaluation der Tumorantwort nach Immuntherapie ist für den Neuroradiologen herausfordernd. Um eine Vereinheitlichung zu ermöglichen, hat die RANO Expertengruppe (RANO: Response Assessment in Neuro-Oncology) RANO-Kriterien für Hirnmetastasen (7) und iRANO Kriterien für Hirnmetastasen unter Immuntherapie definiert. Wichtig sind dabei neben radiologischen auch klinische Parameter, wie der neurologische Zustand und der Steroidbedarf. Die Gruppe empfiehlt bei fehlender neurologischer Verschlechterung eine MR Kontrolluntersuchung nach 3 Monaten (14). iRANO Kriterien sind auf intraaxiale Raumforderungen beschränkt, leptomeningealer Befall und Schädelknochenmetastasen sind schwierig zu objektivieren. Zwischen SRT und Immuntherapie scheint es eine Synergie zu geben, wenn beide Optionen innerhalb von 4 Wochen stattfinden, das lässt eine Metaanalyse mit 534 Patienten vermuten (15). Ob damit auch die Häufigkeit von Radionekrosen zunimmt, bleibt zu beobachten (16).

2. Mammakarzinom

Die kumulative Inzidenz für BM ist mit knapp 50% am höchsten beim Her2-positiven und Hormonrezeptor (HR)-negativen Mammakarzinom Stadium IV (17). Das mediane Überleben mit BM erreicht bei Her2-positiven und HR-positiven Tumoren über zwei Jahre und ist damit besser als für die anderen Subgruppen (18, http://brainmetgpa.com). Zwischen dem Primärtumor und den zugehörigen Hirnmetastasen können Diskordanzen für den Her2- und/oder HR-Status bestehen, was gelegentlich eine erneute Bestimmung dieser Marker am Metastasengewebe rechtfertigt, sofern eine Resektion klinisch indiziert ist. So waren in einer grösseren Serie die Hormon-Rezeptoren (HR, ER oder PR) bei BM in 40/160 (25%) nachweisbar bei sonst HR-negativem Primärtumoren. Her2 war in 22/173 (13%) positiv bei Her2-negativem Primärtumor (19).
Von den neueren Her2-gerichteten TKI war Neratinib (plus Capecitabine) zwar im Hirn gut wirksam, aber mit deutlicher Toxizität verbunden (Diarrhoe Grad 2 und 3), das mag an der zusätzlichen Hemmung des EGFR liegen (20). Tucatinib, ist ein Her2-spezifischer TKI mit deutlich weniger Nebenwirkungen. In einer Phase I
erreicht Tucatinib in der Doppelblockade mit Trastuzumab und Capecitabine bei vorbehandeltem Mammakarzinom im ZNS eine Responserate von 42%. Der primären Endpunkt PFS in der nachfolgenden Placebo-kontrollierten Phase III Studie ergab für die ganze Kohorte (mit und ohne BM) für die Kombination Tucatinib mit Trastuzumab und Capecitabine einen Vorteil mit einen HR von 0.54 (95% CI 0.42-0,71) gegenüber Trastzumab und Capecitabine. In den beiden Armen wiesen 46 % respektive 48% der Patientinnen BM auf (21). Eine erste Interimsanalyse für die BM- Kohorte konnte den PFS Vorteil für die Tucatinib-Kombination bestätigen, das mediane PFS lag bei 7.6 Monaten.
Für CDK 4/6 Inhibitoren liegen erst präliminäre Resultate vor für das Ansprechen von BM auf Abemaciclib und zwar für HR-positive, Her2-negative Tumoren (unpublished). Für triple negative Mammakarzinome gibt es kaum neue und auf Studien gestützte Empfehlungen, Capecitabine, Eribulin, Taxane sind Optionen.

3. Melanom

Zwanzig bis 25% der Patienten mit einem metastasierten Melanom weisen bereits bei Diagnose BM auf. Im Verlauf der Erkrankung erhöht sich die Inzidenz auf 40-60% und in Autopsien findet man bis zu 80% BM. Die prinzipielle Wirksamkeit von Immuntherapie (IO) im Gehirn wurde bereits weiter vorne beschrieben. Erste Phase II Daten für Ipilimumab (CTLA-4 AK) wurden 2012 publiziert (22). Ipilimumab war besser wirksam, wenn die BM asymptomatisch und nicht steroidbedürftig waren. Pembrolizumab zeigt 2016 bei unbehandelten BM ohne Steroidbedarf ebenfalls Wirksamkeit in einer Phase II Studie (11). Es folgten Phase II Kombinationsstudien mit Ipilimumab und Nivolumab (23) und hier war die ORR mit 54 % (davon 29 % CR) erfreulich hoch, unabhängig vom PDL-1 Status und auch dauerhaft (Plateau). Wenn keine Steroide für die BM benötigt wurden, war das Ansprechen im ZNS vergleichbar mit dem in der Peripherie. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die randomisierte Phase II ABC Studie, sie vergleicht die Kombination Ipilimumab und Nivolumab versus Nivolumab-Monotherapie. In dieser Studie konnte zusätzlich gezeigt werden, dass die Ergebnisse mit Immuntherapie ohne vorgängige TKI-Therapie etwas besser ausfielen. Dies könnte Einfluss haben auf die Wahl der Therapie-Sequenz, sind doch beide Therapiestrategien bei BRAFmut Melanomen bezüglich initialem Ansprechen ähnlich. Eine CR (bis 30% in der IO Kombination) scheint einen günstigen, längerfristigen Outcome vorauszusagen (24).
Da sich ein Steroidbedarf aufgrund von BM ungünstig auf die IO Wirkung auswirkt stellt sich die Frage, ob Bevacizumab als Steroidersatz eingesetzt werden könnte, dies wird in Rahmen von Studien untersucht.
Bei BRAFmut Melanomen wirkt die Kombination von BRAF- und MEK-Inhibitoren gleich schnell und gut wie in der Peripherie, allerdings etwas weniger lang (COMBI-MB Studie, 25). Aktuelle Studien prüfen bereits eine Triple Therapie mit BRAF- und MEK-Inhibitoren kombiniert mit IO, eine weitere Erhöhung der Remissionsraten ist zu erwarten, aber auch vermehrt höhergradige Toxizitäten.
Toxizitäten (auch finanzielle) bleiben ein sehr wichtiges Thema. Dosis-Beschränkung von Ipilimumab in der Induktion auf 1mg/ kg anstelle von 3mg/kg (wie in den bisherigen Studien) oder Kombinationen mit besser verträglichen Antikörpern werden geprüft

Dr. med. Silvia Hofer

Universitätsspital Zürich
Institut für Pathologie und Molekularpathologie
Schmelzbergstrasse 12
8091 Zürich

silvia.hofer@usz.ch

Die Autorin deklariert keine Interessenskonflikte für diesen Beitrag

  • Die Prognose von Patienten mit Hirnmetastasen (BM) ist abhängig von der Klinik, der Tumorentität und von molekularen Subgruppen. Jahrelange Verläufe mit guter Lebensqualität sind bei molekular alterierten Entitäten durchaus möglich.
  • Seit dem Einschluss von Patienten mit BM in klinische Studien wissen wir, dass die neueren onkologischen Therapien (TKI und Immuntherapien) eine vergleichbare Wirkung im ZNS aufweisen wie in der Peripherie.
  • Immuntherapien sind auch im Gehirn wirksam, das Gehirn ist nicht immun-isoliert.
  • Der Stellenwert der Lokaltherapien bei BM, die Resektion und die stereotaktische Radiotherapie, ist etabliert und abhängig vom Ausmass und der Anzahl der Raumforderungen. Die Ganzhirnbestrahlung hingegen ist heute weitgehend verlassen, Ausnahmen bleiben die prophylaktische Hirnbestrahlung beim SCLC, ein diffuser leptomeningealer Tumorbefall und seltener palliative Gründe.

Messages à retenir

  • Le pronostic des patients atteints de métastases cérébrales (BM) dépend de la clinique, de l’entité tumorale et des sous-groupes moléculaires. Des années de progression avec une bonne qualité de vie sont tout à fait possibles dans les entités altérées au niveau moléculaire.
  • Depuis l’inclusion des patients atteints de BM dans les études cliniques, nous savons que les nouvelles thérapies oncologiques (IKT et thérapies immunitaires) ont un effet comparable dans le SNC comme dans la périphérie.
  • Les immunothérapies sont également efficaces dans le cerveau ; le cerveau n’est pas immuno-isolé.
  • L’importance des thérapies locales en BM, résection et radiothérapie stéréotaxique, est établie et dépend de l’étendue et du nombre de demandes spatiales. La radiation du cerveau entier, en revanche, est aujourd’hui largement abandonnée, les exceptions restant la radiation prophylactique du cerveau dans le cas du SCLC, une attaque tumorale leptoméningée diffuse et, plus rarement, des raisons palliatives.

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Bronchuskarzinom – NSCLC ohne Treibermutationen

In den letzten Jahren hat die therapeutische Anwendung von Checkpoint Inhibitoren die Therapie des NSCLC revolutioniert. Unter Berücksichtigung der Evidenz aus fünf zwischenzeitlich publizierten randomisierten Phase III Studien – IMPOWER 130 (1), KEYNOTE 189 (2), KEYNOTE 042 (3) IMPOWER 150 (4), KEYNOTE 407 (5) – veröffentlichte die ASCO zusammen mit dem Ontario Cancer Care Center im Januar 2020 ein Update der ASCO Guidelines zur Behandlung des metastasierten Nicht Kleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) ohne Vorliegen einer behandelbaren Treibermutation und ohne programmed death ligand 1 (PD-L1) Vorselektion (6). Die Literaturrecherche umfasste dabei den Zeitraum von Dezember 2015 bis August 2018. Die Ergebnisse der später publizierten CHECKMATE 227 Studie (7) werden in einem zusätzlichen Kommentar diskutiert, führen aber nicht zur Änderung der Empfehlungen und werden hier daher nicht erläutert. Die Empfehlungen zur alleinigen Chemotherapie, zur Zweitlinientherapie und zu weiteren Therapie-linien haben sich nicht geändert, so dass dieser Artikel allein die neuen Empfehlungen zur Erstlinientherapie diskutiert.

Ces dernières années, l’  utilisation thérapeutique des inhibiteurs du checkpoint a révolutionné la thérapie du CPNPC. En tenant compte des résultats de cinq études randomisées de phase III publiées entre-temps – IMPOWER 130 (1), KEYNOTE 189 (2), KEYNOTE 042 (3) IMPOWER 150 (4), NOTA CLÉ 407 (5) – En janvier 2020, l’ ASCO et l’ Ontario Cancer Care Center ont publié une mise à jour des lignes directrices de l’ ASCO pour le traitement du cancer du poumon non à petites cellules (CPNPC) métastatique sans mutation traitable du conducteur et sans présélection du ligand de mort programmé 1 (PD-L1) (6). La recherche documentaire a porté sur la période allant de décembre 2015 à août 2018. Les résultats de l’ étude CHECKMATE 227 (7), publiée ultérieurement, sont examinés dans un commentaire supplémentaire mais n’ entraînent pas de modification des recommandations et ne sont donc pas expliqués ici. Les recommandations pour la chimiothérapie seule, la thérapie de deuxième ligne et les autres lignes de thérapie n’ ont pas changé, de sorte que cet article traite uniquement des nouvelles recommandations pour la thérapie de première ligne.

Die Autoren erarbeiten in den Guidelines nacheinander die Empfehlungen für die Erstlinientherapie des Nicht-Plattenepithel (NSCC) – und Plattenepithelkarzinoms (SCC) entsprechend der PD-L1 Expression am Tumorgewebe (PD-L1 tumour proportion score – TPS) und analysieren hierfür in den fünf als praxisrelevant beurteilten Phase III Studien das Outcome (progressionsfreies Überleben – PFS, Gesamtüberleben – OS) für die Subgruppen mit PD-L1 TPS ≥ 50%, PD-L1 TPS 1-49% bzw. PD-L1 TPS < 1%. Der Empfehlungsgrad wird aus den jeweiligen Subgruppenanalysen abgeleitet. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die genannten Studien. Tabelle 2 enthält die jeweiligen Empfehlungen im Original. In diesem Übersichtsartikel werden die Empfehlungen zu Themenblöcken zusammengefasst.

Alleinige Therapie mit einem Checkpoint-Inhibitor

Unverändert zu 2017 gilt die alleinige Therapie mit dem Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab als Erstlinien-Therapie der Wahl bei Patienten ohne Kontraindikation für Immuntherapie mit NSCC und SCC, einem PS von 0 -1 und einem PD-L1 TPS von ≥ 50%. Die 2017 Empfehlung bezieht sich auf die Daten der KEYNOTE 024 Studie (8), das 2020 Update betrachtet darüber hinaus das Outcome der Patienten mit PD-L1 ≥ 50% der Patienten in der KEYNOTE 042 Studie. In der KEYNOTE 042 Studie wurden 1274 Patienten mit SCC und NSCC und einer PD-L1 Expression ≥ 1% 1:1 randomisiert zwischen platinhaltiger Chemotherapie und Pembrolizumab Monotherapie. Der primäre Endpunkt war das OS in der Population mit PD-L1 ≥ 50%, ≥ 20% und ≥ 1%, für alle drei Populationen war das OS signifikant länger im Pembrolizumab-Arm. Für die Gesamtpopulation der Patienten mit PD-L1≥ 50% (599 Patienten) ergab sich ein OS Benefit mit einer hazard ratio (HR) von 0.69 (95% CI, 0.56 to 0.85; p = .0003). Eine explorative Analyse für die Subgruppe der Patienten mit einer PD-L1 Expression von 1-49% zeigt allerdings, dass diese Patienten keinen signifikanten Überlebensvorteil durch die Pembrolizumab Monotherapie erfahren (HR 0.92, 95% CI 0.77- 1.11), und somit der Überlebensvorteil in der Gesamtpopulation durch die Subgruppe mit einem PD-L1 TPS ≥ 50% getragen wird. Entsprechend wird die Pembrolizumab Monotherapie für Patienten mit einer PD-L1 TPS 1-49% in den ASCO Guidelines als Möglichkeit im Einzelfall (Patienten, welche nicht für eine Chemotherapie qualifizieren oder diese ablehnen) mit allerdings schwacher Evidenz diskutiert. Wir denken, dass die Empfehlung so unterstützt werden kann und würden ebenfalls von einer unselektionierten Anwendung von Pembrolizumab in der Gruppe der Patienten mit einem PD-L1 TPS 1-49% warnen, insbesondere auch bei Patienten, bei welchen ein rasches Ansprechen erreicht werden sollte. Zudem wäre bei diesen Patienten zuerst eine Kostengutsprache einzuholen, da Pembrolizumab bei einer PD-L1 Expression < 50% in der Schweiz in der Erstlinientherapie nicht zugelassen ist.
Zum Zeitpunkt der Literaturrecherche gibt es keine ausreichende Evidenz zur alleinigen Immuntherapie mit anderen Checkpoint Inhibitoren bei Patienten mit hoher PD-L1 Expression (Daten der IMPOWER 110 Studie nicht berücksichtigt).

Checkpoint Inhibitor und Platinhaltige Kombina-tionschemotherapie bei PD-L1 TPS von 0% -49%

Für Patienten ohne Kontraindikation für eine Immuntherapie mit NSCC und SCC, PD-L1 TPS von 0% -49% sowie einem PS von 0 -1 wird in der ersten Therapielinie die Therapie mit Checkpoint Inhibitor plus platinhaltiger Kombinationschemotherapie empfohlen. Hierfür stehen mittlerweile verschiedene Behandlungsschemata zur Verfügung, welche im Folgenden kurz erörtert werden.
Beim NSCC wird die Therapie mit Carboplatin/Pemetrexed und Pembrolizumab analog der KEYNOTE 189 Studie als bevorzugte Behandlungsoption empfohlen. In der KEYNOTE 189 Studie wurden 616 Patienten mit NSCC unabhängig von der PD-L1 Expression 2:1 randomisiert und erhielten Cis-bzw. Carboplatin/Pemetrexed und Pembrolizumab für vier Zyklen mit anschliessender Erhaltungstherapie mit Pemetrexed und Pembrolizumab (bis zu 35 Zyklen) oder alleinige Chemotherapie. Das Gesamtüberleben war im Interventionsarm signifikant besser und die 12- Monats-Überlebensrate betrug 69 % mit der Pembrolizumab- Kombination versus 49% mit alleiniger Chemotherapie (HR 0,49; 95% CI 0.38-0.64, p < 0.001). Der Benefit war unabhängig von der PD-L1 Expression statistisch signifikant. Auch Patienten mit einer PD-L1 Expression < 1% profitierten von der zusätzlichen Pembrolizumabtherapie (geplante Subgruppenanalyse für PD-L1 <1%, 1-49%, > 50%, Stratifikationsfaktor PD-L1 < 1%, > 1%). Der grösste relative Benefit war bei einer PD-L1 Expression ≥ 50% zu beobachten.
Als weitere Therapieoptionen beim NSCC werden Carboplatin/Paclitaxel/Bevacizumab und Atezolizumab (IMPOWER 150 Studie) und Carboplatin/Nab-Paclitaxel und Atezolizumab (IMPOWER 130 Studie) diskutiert. Auch diese beiden Studien schlossen Patienten unabhängig vom PD-L1 Status ein. Die IMPOWER 150 Studie zeigt einen Vorteil im progressionsfreien Überleben mit Atezolizumab/Carboplatin/Paclitaxel und Bevacizumab im Vergleich zur Therapie mit Carboplatin/Paclitaxel und Bevacizumab, auch der berichtete Überlebensvorteil zum Zeitpunkt der publizierten Interimsanalyse ist statistisch signifikant mit einem medianen OS von 19.2 Monaten mit der Vierfach-Kombination versus 14.7 Monate ohne Atezolizumab (HR 0.78; 95% CI 0.64-0.96, p = 0.02). Neben den fehlenden finalen Überlebensdaten ist einschränkend zu erwähnen, dass in dieser dreiarmigen Studie nur zwei der Arme berichtet wurden – die Resultate des Armes Atezolizumab/Carboplatin und Paclitaxel sind nicht bekannt, so dass der Benefit der Bevacizumabaddition zu Atezolizumab unklar bleibt. Auch entspricht das Testverfahren für PD-L1 mit dem Ventana SP142 nicht dem aktuellen Antikörper, da die Sensitivität gegenüber anderen Verfahren zur PD-L1 Detektion eingeschränkt ist. Die IMPOWER 130 Studie zeigt einen signifikanten Überlebensvorteil für die Kombinationstherapie mit Atezolizumab/Carboplatin und (nab-)Paclitaxel gegenüber alleiniger Chemotherapie bei Patienten mit einem NSSC mit einem medianen OS von 18,6 Monaten im Interventionsarm versus 13.9 Monaten im Chemotherapie Arm HR 0,79 (95% CI 0.64-0.98, p =0.033). Auch hier wird der PD-L1 Status mit dem Ventana SP142 Testverfahren erhoben.
Patienten mit SCC, einer PD-L1 Expression von 0% -49% sowie PS von 0 -1 sollen in der ersten Therapielinie analog zum Vorgehen in der KEYNOTE-407 mit Pembrolizumab/Carboplatin/Paclitaxel oder nab-Paclitaxel behandelt werden. Im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie zeigt sich für die Gesamtpopulation hier ein signifikanter Überlebensvorteil mit einem medianen OS von 15.9 Monaten mit der zusätzlichen Pembrolizumabgabe versus 11.3. Monaten im Kontrollarm (HR 0.64, 95% CI 0.49-0.85, p< 0.001) und alle Subgruppen profitierten.
Während die Resultate der KEYNOTE 407 Studie auch in der Schweiz zur Zulassung beim metastasierten SCC geführt haben, ist beim NSCC weder die Kombination mit Atezolizumab, Bevacizumab, Carboplatin/Paclitaxel (IMPOWER 150) noch die Therapie mit Carboplatin /(nab-) Paclitaxel plus Atezolizumab zugelassen. Ersteres Regime wird aktuell in einer in der Schweiz offenen ETOP Studie bei Patienten nach Entwicklung einer EGFR-TKI Resistenz (ETOP ABC Studie) geprüft, da eine Subgruppenanalyse der IMPOWER 150 Studie einen Effekt der Quadruplettherapie bei EGFR- und ALK positiven Patienten nach TKI Resistenz suggeriert.
Das Regime der IMPOWER 130 Studie kann nach vorgängiger Kostengutsprache bei Patienten mit Kontraindikationen gegen Alimta erwogen werden.

Checkpoint Inhibitor und platinhaltige Kombinationschemotherapie bei PD-L1 TPS ≥ 50%

Aktuell gibt es keine vergleichenden Studien, die zeigen ob Patienten mit einer hohen PD-L1 Expression von einer zusätzlichen Chemotherapie im Vergleich zur alleinigen Pembrolizumabtherapie profitieren. In den ASCO Guidelines wird bei Patienten mit einem PD-L1 TPS ≥ 50% die Therapie mit Checkpoint Inhibitor plus platinhaltiger Kombinationschemotherapie als eine mögliche Behandlungsoption genannt, es wird jedoch betont, dass da sowohl Kosten als auch Toxizität der Dreifachtherapie deutlich höher sind, in den meisten Fällen die Pembrolizumab Monotherapie die Therapie der Wahl ist. Als mögliche Situationen, in denen eine Dreierkombination bevorzugt werden könnte, werden unbekannte PD-L1 Expression oder hohe Tumorlast genannt. Die Empfehlung zur Wahl des jeweiligen Therapieregimes entspricht den genannten Empfehlungen für Patienten mit einer PD-L1 Expression von 0%-49%.
In der Schweiz sind beide Optionen prinzipiell zugelassen. Ein Bevorzugen der Kombinations-Immun-Chemotherapie bei hochsymptomatischer Erkrankung eines ansonsten fitten Patienten macht aufgrund der tendenziell höheren Ansprechraten prinzipiell Sinn.

Diskussion

Die Ableitung des Empfehlungsgrades allein aus Subgruppenanalysen von zwar für Lungentumorpatienten eher grossen Phase 3 Studien ist grundsätzlich nicht unproblematisch. Solche Subgruppenanalysen stellen jedoch in der Medizin oft die einzige Evidenz dar, wenn prospektive randomisierte Studien zu einer spezifischen Fragestellung fehlen. Insgesamt können die Empfehlungen der ASCO Guidelines 2020 aus Schweizer Sicht jedoch gut mitgetragen werden und entsprechen der gängigen Praxis, wobei die etwas anderen Zulassungs- und Rückvergütungsbedingungen als in den USA gut berücksichtigt werden sollten. Dies ist im klinischen Alltag aufgrund der zunehmenden Kosten nicht irrelevant, besonders auch dann wenn ein rascher Therapiebeginn notwendig ist. Zumindest formal muss bei jeder der genannten Therapieoptionen eine Kostengutsprache eingeholt werden.
Hervorzuheben ist hier nochmals die Einstufung der Pembrolizumab Monotherapie als Therapie der Wahl bei Patienten mit hoher PD-L1 Expression: solange vergleichende Studien ausstehen, ist dies ein pragmatischer und kostengünstigerer Ansatz. Zu erwähnen ist hier auch, dass uns mit dieser Behandlung längere Follow-up Daten aus der KEYNOTE 024 (25.2 Monate) (9) und KEYNOTE 001 Studie (5 Jahre) (10) vorliegen, während die Langzeitdaten der initialen Chemo-Immunokombinationsbehandlung noch fehlen. Abhängig von der individuellen Situation scheint jedoch bei im indirekten Vergleich etwas höherer Ansprechrate auch der primäre Einsatz der Dreierkombination gerechtfertigt. Verschiedene Studien aus unterschiedlichen Gesundheitssystemen haben quality adjusted life years (QALYs) der Dreier- oder sogar Viererkombinationen berechnet und die fehlende Kosteneffizienz nachgewiesen. Dies gilt es zukünftig bei knapper werdenden Ressourcen im Gesundheitssystem bei der Therapiewahl mitzuberücksichtigen. Für die Schweiz sind solche Analysen zurzeit noch ausstehend bzw. noch nicht publiziert.
Ein wichtiger praktischer Punkt bei der Wahl der Therapie ist neben der PD-L1 Expression auch der Ausschluss behandelbarer Treibermutationen vor Therapiebeginn. Leider führt das Abwarten der molekularen Analysen nicht selten zur Zeitverzögerung – Zeit, die man im klinischen Alltag bei symptomatischen Patienten nicht hat. Das Vorhandensein von genügend Tumorgewebe sowie das umgehende Einleiten (zum Beispiel Reflextesting) der molekularen Analyse und der PD-L1 Bestimmung ist deshalb entscheidend geworden. Ein «blindes» Beginnen einer Immuntherapie bei einem Patienten, bei welchem «im Nachhinein» eine EGFR Mutation detektiert wird, muss aufgrund der Datenlage mit klar eingeschränkter Wirksamkeit einer Immuntherapie bei diesen Patienten als inkorrekte Therapie beurteilt werden.
Abschliessend gilt festzuhalten, dass der Einsatz der Immuntherapie die Langzeitbehandlungsergebnisse eines kleineren Anteils der Patienten mit NSCLC revolutioniert hat und die Immuntherapie fester Bestandteil in der Erstlinienbehandlung geworden ist. Insbesondere die ersten Daten zum 5-Jahres-Überleben der KEYNOTE 001 Studie, welche Überlebensraten von knapp 30% bei Patienten mit PD-L1 TPS ≥ 50% mit Pembrolizumab in der Erstlinientherapie zeigen sind eindeutig besser, als wir dies von historischen Daten kennen. Diese Resultate werfen die Frage auf, ob wir sogar allenfalls eine kleine, bisher noch ungenügend definierte Subgruppe von Patienten langfristig als «geheilt» betrachtet können. Ob diese Langzeitresultate mit einer initialen Chemo-/Immuntherapie oder einer Immunkombinationstherapie noch weiter verbessert werden können bleibt jedoch noch abzuwarten, da die Beobachtungszeiten dieser Studien noch zu kurz sind.

Susanne Weindler

Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

PD Dr. med.Martin Früh

Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstrasse 95
9007 St. Gallen

MF: Research Grants from BMS, ASTRA ZENECA fees to institution,
Advisor: BMS; MSD; ASTRA; Bl; ROCHE; TAKEDA fees to institution
SW: Sponsored travel: ROCHE, Merck fees to institution

  • Um die optimale Therapie des NSCLC im Stadium IV festzulegen, muss initial beim NSCC das Vorliegen einer primär behandelbaren Treibermutation ausgeschlossen werden und unabhängig von der Histologie der PD-L1 Status bestimmt werden.
  • Alle Patienten mit PS 0-1 ohne Kontraindikationen für eine Immuntherapie sollten heute in der Erstlinientherapie einen Checkpointinhibitor erhalten
  • Bei einer PD-L1 Expression von 0% und 1-49% sollte der Patient in der Erstlinientherapie eine Kombination aus Checkpointinhibitor und platinhaltiger Kombinationschemotherapie erhalten.
  • Bei einer PD-L1 Expression ≥ 50% kann sowohl die alleinige Pembrolizumab Therapie als auch eine Kombination aus Checkpoint-Inhibitor und Chemotherapie eingesetzt werden. Vergleichende Studien gibt es nicht – Pembrolizumab alleine ist deutlich weniger toxisch und kostengünstiger, bei hoher Tumorlast oder unbekanntem PD-L1 Status stellt die Kombinationstherapie aber eine sinnvolle Alternative dar.

Messages à retenir

  • Afin de déterminer la thérapie optimale pour le CPNPC de stade IV, la présence d’ une mutation conductrice primaire traitable doit être exclue initialement dans le NSCC et le statut PD-L1 doit être déterminé indépendamment de l’ histologie.
  • Tous les patients présentant une PS 0-1 sans contre-indication à l’ immunothérapie devraient recevoir aujourd’ hui un inhibiteur checkpoint dans le cadre d’ un traitement de première intention
  • Avec une expression PD-L1 de 0 % et de 1 à 49 %, le patient doit recevoir une combinaison d’ inhibiteur de checkpoint et de chimiothérapie combinée contenant du platine en première intention.
  • Dans le cas d’ une expression PD-L1 ≥ 50%, on peut utiliser à la fois la thérapie au pembrolizumab seul et une combinaison d’ inhibiteur du checkpoint et de chimiothérapie. Il n’ existe pas d’ études comparatives – le pembrolizumab seul est nettement moins toxique et moins cher, mais en cas de charge tumorale élevée ou de statut PD-L1 inconnu, la thérapie combinée est une alternative raisonnable.

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