Foetor ex ore und Halitosis

Gerade in der heutigen Zeit, wo viele Menschen Masken tragen müssen, bemerkt der eine oder andere einen unangenehmen Geruch aus dem Mund. Eine bekannte Schweizer Sonntagszeitung hat im Juli über dieses Thema berichtet und verleitet immer mehr Patienten, sich in der hausärztlichen oder spezialärztlichen Sprechstunde vorzustellen. In diesem Artikel soll aufgezeigt werden, dass in der Vielzahl der Fälle mit oft einfachen Massnahmen eine Besserung der Beschwerden erreicht werden kann.

Daher ist es sicher wichtig und relevant, auf diese aktuelle Fragestellung zu blicken und eine Zusammenfassung diesbezüglich zu liefern. Die Beschwerden sind im klinischen Alltag nicht einfach zu objektivieren und werden daher oft als «es ist ja nicht so schlimm» abgetan. Dabei möchte ich hier zeigen, dass in der Vielzahl der Fälle oft mit einfachen Massnahmen eine Besserung der Beschwerden erreicht werden kann. Ich möchte dies als niedergelassener ORL Arzt in der Praxis tun und die Thematik so verständlich wie möglich aufarbeiten und Ihnen die wichtigen Ursachen und Therapien aufzeigen.

Foetor ex ore und Halitosis

Am Anfang ist es wichtig, die Begriffe genau zu definieren. Teilweise werden diese als Synonyme verwendet. Jedoch wird zwischen Foetor ex ore als Geruch aus der Mundhöhle mit einer enoralen Ursache der Geruchsentstehung und der Halitosis unterschieden. Die Halitosis beschreibt einen Mundgeruch der aufgrund von verschiedenen, systemisch metabolischen Ursachen entsteht und ausgeatmet wird. Also ein unangenehmer Geruch der Atemluft. Selten wird der Begriff Ozostomie oder Kakostomie verwendet (1).
Historisch gesehen tritt die Problematik bereits in der griechischen Mythologie auf unter dem Begriff des «lemnischen Frevel», als Aphrodite die Frauen der griechischen Insel Lemnos mit übelriechendem Atem bestrafte, weil sie ihre Heiligtümer vernachlässigt sah. Ebenso bekannt ist die Geschichte des französischen Sonnenkönigs Ludwig der XIV, der unter einem fürchterlichen Mundgeruch litt, nachdem bei ihm nach einer zahnärztlichen Behandlung eine faulige Entzündung auftrat. Im Film «vom Winde verweht» kam es zum berühmtesten Kuss der Filmgeschichte. Die Schauspielerin Vivian Leigh sagte später über den geküssten Schauspieler Clark Gable: «Er hat falsche Zähne und Mundgeruch».
Linus Pauling war ein US-amerikanischer Chemie Nobel Preisträger, welcher als erster eine Gaschromatografie durchführte und über 200 verschiedene flüchtige, meist organische Verbindungen feststellen konnte (2). In weiteren Studien mit verbessertem Instrumentarium fanden sich bis zu 3000 dieser flüchtigen Verbindungen. In der normalen Ausatemluft des Menschen zeigt sich ein Anteil von etwa 1% sonstiger Gase, neben Stickstoff und Sauerstoff, sowie Kohlendioxid. Dieses 1% sonstige Gase, kann extrem starke und geruchaktive flüchtige, meist schwefelhaltige Verbindungen enthalten, sodass die Atemluft als unangenehm oder gar unerträglich empfunden wird. Nicht nur der genannte Schauspieler und der ehemalige König von Frankreich sind betroffen ‒ eine neue Meta-Analyse zeigt eine Prävalenz von 31.8% (3). Es handelt sich also um ein häufiges Problem, mit welchem der Zahnarzt, der Hausarzt und auch der ORL Spezialist gerade in der aktuellen Zeit mit gehäufter Maskenpflicht vermehrt konfrontiert wird.

Ursachen

Bei den Ursachen (3 - 8) wird wie bei der Begriffsdefinition unterschieden zwischen einer enoralen Ursache also einem Foetor ex ore oder einer extraoralen Ursache wie bei einer Halitosis. Als enorale Ursachen tritt am häufigsten eine mangelnde Hygiene/Reinigung mit bleibenden Nahrungsresten in der Mundhöhle auf. Diese Nahrungsreste führen zu einer bakteriellen Besiedlung mit Bildung von flüchtigen, schwefelhaltigen Verbindungen, welche dann zum Foetor ex ore führen. Dies geschieht auch bei ungepflegten Prothesen oder eine Parodontose resp. kariösen Zähnen. Auch Entzündungen wie eine chronische Tonsillitis, eine Angina Tonsillaris, eine enorale Abszedierung, sowie seltene Infektion mit speziellen Erregern, wie z.B. bei einer Syphilis oder Diphtherie, können zu einem Foetor ex ore führen. Hier gilt es die Ozäna, also die Stinknase zu unterscheiden, welche zum Beispiel bei der Rhinitis atrophicans auftritt. Auch zerfallende Tumoren in der Mundhöhle oder im Larynx / Pharynx führen zu einer starken Geruchsentstehung. Eine Mundtrockenheit, wie bei Sprechberufen, einem OSAS oder bei Nahrungskarenz, sowie ein verminderter Speichelfluss, z.B. bei einem Sjögren-Syndrom, kann zu Mundgeruch führen. Die Geruchshaftung mit z.B. ätherischen Ölen, Alkohol oder beim Rauchen ist ebenfalls häufig anzutreffen. Zusammengefasst sind die enoralen Ursachen meistens auf eine mangelnde Reinigung oder eine lokale bakterielle Entzündung zurückzuführen. 85 - 90% der Patienten mit Mundgeruch haben eine orale Ursache, also einen Foetor ex ore.
In 10 - 15% der Fälle, kommt es zu einer Halitosis aufgrund verschiedener, systemisch metabolischer Ursachen, wie z.B. bei Erkrankungen des Atemtraktes mit eitriger Bronchitis, Bronchiektasien und Lungenentzündungen. Ebenfalls bei Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes mit Karzinomen, Retentions-Divertikel, Achalasie oder einer Magenausgangsstenose. Stoffwechselerkrankungen wie eine Urämie (Foetor uraemicus), Diabetes mellitus oder eine Leberinsuffizienz (Foetor hepaticus) können ebenfalls zu einer übelriechenden Atemluft führen. Bei langem Fasten kann die dadurch hervorgerufene Ketoazidose in der Atemluft festgestellt werden.
Seltener besteht eine funktionelle Ursache der Beschwerden. Ein Patient mit einer Pseudohalitosis ist fest von einer Halitosis, resp. einem Foetor ex ore überzeugt. Jedoch kann die Pseudohalitosis nicht objektiviert werden. Diese Patienten betreiben eine ausschweifende Mundhygiene und unsere Aufgabe muss es sein den, Patienten zu beruhigen und zu überzeugen, dass kein relevanter Mundgeruch besteht.

Diagnostik

In der Diagnostik wird in der Literatur oft von der subjektiven und objektiven organoleptischen Untersuchung gesprochen. Bei einer subjektiven organoleptischen Untersuchung soll ein geübter Arzt die Atemluft des Patienten mit dem eigenen Geruchssinn beurteilen. Der Befund wird dann mittels Tabelle dokumentiert und festgehalten. In der objektiven organoleptischen Untersuchung wird kann eine Messung mittels Gaschromatographen durchgeführt. Jedoch sind diese Geräte sehr gross und umständlich in der Bedienung und dem Unterhalt. Eine einfachere, handlichere Möglichkeit bietet sich in einer sogenannten VSC Messung (volatile sulphur compounds, also flüchtige Schwelverbindungen) mittels Halimeter (10) an. Damit können flüchtige Schwefelverbindungen quantifiziert und die Sym­ptomatik objektiv beurteilt werden. Die Scores der objektiven und subjektiven organoleptischen Untersuchung scheinen in der Literatur zu korrelieren (11), jedoch gerade in Zeiten des Coronavirus wird wahrscheinlich die subjektive Untersuchung nicht mehr standardmässig durchgeführt und scheint obsolet zu sein. Ich denke, dass solche Messungen ihren Platz vor allem in Spezialsprechstunden an grossen Zentrums-Spitälern haben. In meiner ORL-Ärztlichen Sprechstunde geht es vor allem darum, die oben erwähnten Pathologien, wie entzündliche Ursachen oder einen Tumor, mittels klinischer Untersuchung inkl. Nasenendoskopie und fiberendoskopischer Untersuchung des Pharynx und Larynx auszuschliessen. Dazu gehören eine gründliche Anamnese und eine sorgfältige klinische Untersuchung in Kenntnis der möglichen Ursachen. Weiterführende Untersuchungen, wie z.B. eine respiratorische Polygraphie bei V.a. OSAS oder ein Saxon Test mit Ultraschall der Speicheldrüsen bei V.a. ein Sjögren Syndrom, können zusätzlich indiziert sein.
Die hausärztliche Basisdiagnostik umfasst sicherlich eine Labor­untersuchung zum Ausschluss der oben genannten systemischen Ursachen. Ebenfalls gilt es, bei entsprechendem klinischem Verdacht weitere spezialärztliche Abklärungen z.B. bei einem ORL, Pneumo­logen oder Gastroenterologen zu veranlassen.

Behandlung

Da oft eine intraorale Ursache die Beschwerden auslöst, gilt es vor allem, den Patienten in der Mundhygiene zu unterrichten. Dabei geht es primär um eine ausführliche Zahnreinigung, sowie auch eine Reinigung der Zungenoberfläche z.B. mit einem Zungenschaber. Gerade der Zungenschaber erscheint als sehr zielführend und es existiert bezüglich Wirksamkeit eine gute Datenlage. Es geht darum, mittels regelmässiger Applikation eine Reduktion der bakteriellen Besiedlung in Kombination mit der Zahnhygiene zu erreichen. In der weiteren Literatur gibt es verschiedene therapeutische Ansätze, welche z.B. probiotische Substanzen auf den Zungenschaber applizieren und damit eine Reduktion des Foetor ex ore erzielen können (12). Hier kann bei Problemen oder kariösen Zähnen allenfalls auch auf den Zahnarzt verwiesen werden, um eine regelmässige Zahnreinigung einzuleiten. Ebenfalls können Mundspüllösung, wie z.B. Chlorhexidin angewandt werden. Als Hausmittel werden Schwarztee, Pfefferminze, Eukalyptus, Chlorophylltabletten und das Kauen von Kaffeebohnen empfohlen. Im ORL Bereich kann über eine Tonsillektomie diskutiert werden bei z.B. Tonsillensteinen oder rezidivierenden Infekten im Bereich der Tonsillen. Ebenfalls gilt es, Tumoren zu behandeln oder ein allfälliges Sjögren-Syndrom zu dia­gnostizieren. Ebenso ist es wichtig, in der Anamnese ein OSAS nicht zu verpassen und gegebenenfalls mittels respiratorischer Polygrafie die schlafbezogene Atemstörung zu objektivieren und zu behandeln, um so die Mundtrockenheit zu minimieren. Bei den eher selteneren Ursachen im Bereich der Erkrankungen des Atemtraktes oder Gastro­intestinaltraktes gilt es, den Untersuchungen und Abklärungen des Spezialarztes zu folgen.

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Dr. med. Mathias Henseler

Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten,
Schwerpunkt Hals- und Gesichtschirurgie
HNO-Praxis
Haldenstrasse 11
6006 Luzern

henseler@hno-praxis.ch

Der Autor hat im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Ein Mundgeruch wird unterteilt in 2 Begriffe: Der Foetor ex ore, einem stinkenden Geruch aus der Mundhöhle und einer Halitosis, einer unangenehm riechenden Atemluft.
  • In 85% der Fälle handelt es sich um einen Foetor ex ore mit einer zu behandelnden intraoralen Ursache. Nur 15% der Mundgeruch Beschwerden sind auf eine Halitosis mit einer extraoralen Ursache zurückzuführen.
  • Es lohnt sich, eine gute Anamnese durchzuführen und die Ursachen zu kennen.
  • Eine wichtige Therapiemassnahme ist die Instruktion zur Mundhygiene mit Zähneputzen und Zungenschaber.
  • Spezialsprechstunden existieren an Universitätsspitäler mit objektiven Untersuchungsmethoden, wie z.B. einem Halimeter. Diese sollen den komplizierten, schwierigen Fällen vorenthalten sein.

1. Facharztwissen HNO, PD Dr. med. Michael Reiss, HNO-Klinik, Elblandklinikum Radebeul
2. L. Pauling Quantitative analysis of urine vapor and breath by gas-liquid partition chromatography. Proc Natl Acad Sci U S A. Band 68, 1971, S. 2374–2376.
3. Estimated prevalence of halitosis: a systematic review and meta – regression analysis, Manuela F Silva, Clin Oral Investig. 2018 Jan ;22(1) :47-55
4. Halitosis-Ursache, Diagnose, Therapie – Schweiz. Med. Forum 2004;585-589
5. Mundgeruch-Ursachen und Therapie, Zentrum für Zahnmedizin, Universität Zürich, September 2011
6. Mundgeruch-Ursachen, Differenzialdiagnose und Behandlung, Imfeld T, 2008. Universität Zürich
7. Interventions for managing halitosis – sumanth Kumbargere Nagraj, Cochrane Databes syst rev. 2019 Dec 11; 12(12):CD012213
8. Halitosis: the multidisciplinary approach Curd ML Bollen, Int J Oral Sci. 2012 Jun
9. Halitosis : knowing when bad breath signals systemic disease, TM Durham, Geriatrics, 1993, Aug;48(8):55-9
10. Halitosismanagement für die Zahnarztpraxis – Workshop beim BREATH ANALYSIS Summit 2013 – International Conference of Breath Research, 9.Juni 2013 – Saarbrücken/Wallerfangen, Deutschland
11. Subjective patients opinion and evaluation of halitosis using halimeter and oranoleptic scores – E Iwanicka-Grzegorek, Oral Dis 2005 ; 11 1 :86-88
12. A simple method to reduce halitosis : tongue scraping with probiotics, Berk Gurpinar, J Breath Res, 2019 : Dec 4 ;14(1) :016008

Fallvorstellung einer «Sarkomischen» Peroneusparese

Der 85-jährige Patient habe seit mehr als 2 Jahren eine langsam zunehmende schmerzfreie Schwellung im proximal linken Unterschenkel bemerkt. Eine Vorstellung beim Hausarzt erfolgt erst als eine Fussheberparese aufgetreten ist. In der anschliessend durchgeführten MRT-Untersuchung des Unterschenkels wurde eine Raumforderung der Weichteile beschrieben. Eine weitere Abklärung hat der Patient initial abgelehnt. Wir werden im Artikel den Verlauf des spannenden Falles präsentieren sowie die Diagnostik und Therapie diskutieren.

Die initiale Vorstellung beim Hausarzt des 85-jährigen Mannes erfolgte aufgrund der Fussheberparese links. In der Anamnese erwähnte der Patient eine Schwellung des ipsilateralen Unterschenkels. Bei fehlenden Beschwerden hat der Patient diese Schwellung seinem Hausarzt bisher nicht rapportiert.

Klinisch zeigte sich eine glatte, rundliche, nicht druckdolente tumoröse Struktur im proximalen, posterioren Unterschenkel sowie eine Fussheberparese der ipsilateralen Seite. Die restliche klinische Untersuchung blieb bland. Angaben zur persönlichen Anamnese im Kasten. In der MRT-Untersuchung des linken Unterschenkels zeigte sich eine Raumforderung im postero-lateralen Muskelkompartiment in unmittelbarer Nachbarschaft zum N. peroneus (Abb. 1). Eine invasive Abklärung in Form von Biopsien hat der Patient abgelehnt. Zu den weiteren Nachkontrollen beim Hausarzt kam der Patient nicht mehr.


Mehr als 2 Jahre später erfolgte die erneute Vorstellung beim Hausarzt wegen der nun deutlich zunehmenden Schwellung am Unterschenkel. Jetzt konnte der Patient aufgrund der Schwellung nicht mehr die Hose anziehen. Gewichtsabnahme oder Nachtschweiss wurden verneint. Es wurde eine erneute MRT Untersuchung des Unterschenkels veranlasst (Abb. 2).

Status und Befunde

Bei der zweiten Vorstellung zeigte sich der Patient in gutem Allgemeinzustand. Lokal im linken Unterschenkel von der Poplitea bis zum distalen Unterschenkel zeigte sich eine grosse tumoröse Struktur mit intakter Haut und wenig Druckschmerz. Des Weiteren, seit 2 Jahren, vorbekannte paretisch bedinge Fussheberschwäche. Die regionalen Lymphknoten waren unauffällig. Das Labor blieb bland.

Diagnose und Therapie

Bei radiologisch hochverdächtigem Sarkom (inhomogene, grössenprogrediente und infiltrative Weichteilmasse) und nun bestehendem Einverständnis des Patienten für weiterführende Diagnostik erfolgte zunächst eine Stanzbiopsie. Das histopathologische Resultat zeigte ein Liposarkom von myxoidem Typ mit >5% rundzelliger Komponente.
Das Staging in Form eines CT Thorax und Abdomen blieb ohne Hinweis auf eine Metastasierung. Nach Besprechung des Falles im interdisziplinären Tumorboard wurde die Indikation für ein neoadjuvantes Therapiekonzept mit präoperativer lokaler Radiotherapie gefolgt von einer Tumorresektion in kurativer Intention gestellt.
Nach komplikationsloser Radiotherapie erfolgte eine vollständige Tumorresektion. Bei Nachweis lokaler Tumorinvasion erfolgte die zusätzliche Resektion von Fussbeuger, N. peroneus und Fibula um eine R0 Resektion zu erreichen. Die Fibularesektion erfolgte 5 cm ab dem fibulotibialen Gelenk, sodass das Ligamentum collaterale laterale belassen werden konnte. Die Peronaeus-Rekonstruktion erfolgte mit M. gastrocnemius-Plastik. In einer zweiten Sitzung erfolgte die Thierschplastik vom linken Oberschenkel auf den linken Unterschenkel.
Die histopathologische Untersuchung des Resektats ergab ein myxoides Liposarkom mit ausgedehnter rundzelliger Komponente (>35%), 10% Nekrosen und bis zu 28 Mitosen/10 HPF (FNCLCC-Grad 3), R0 Resektion, Tumordurchmesser ca.  260  mm. Daraus ergab sich folgende TNM Klassifikation: (Version 8 UICC [Union internationale contre le cancer]) pT4, pN0, M0, G3, R0, UICC Stadium IIIB.
Nach kurzer und komplikationsloser stationärer Rehabilitation konnte der Patient in gutem Allgemeinzustand entlassen werden. Eine Nachkon­trolle mit CT Thorax und Abdomen wurde in 4 Monaten festgelegt. Der Patient konnte weiter in seinem häuslichen Umfeld selbstständig leben.

Verlauf

Drei Monate nach Austritt stellte sich der Patient bei seinem Hausarzt vor und beklagte rechtsseitige atemabhängige thorako-abdominale Schmerzen. Das CT Thorax/Abdomen wurde vorgezogen. Dies zeigte, neu zur Voruntersuchung, eine rechtsseitige grosse retroperitoneale Raumforderung mit vorwiegend lipomatösen Anteilen (Abb. 3). Weitere Abklärungen wie auch eine spezifische Therapie hat der Patient abgelehnt. Eine «best supportive care» Therapie mit peroraler Analgesie erfolgte mit Paracetamol und Metamizol bei Bedarf, worunter sich eine gute Schmerzkon­trolle zeigte. Der Allgemeinzustand war noch gut.
Sieben Monate später wurde der Patient notfallmässig in das Spital eingewiesen. Der Patient war dehydriert und in kritischem Allgemeinzustand. Man beschränkte sich auf «best supportive care». Der Patient verstarb am achten Hospitalisationstag aufgrund von generalisiertem Infekt.

Diskussion

Weichteilsarkome haben eine Inzidenz von 4 - 5 pro 100 000 Einwohner pro Jahr in Europa (1). Das Liposarkom ist eines der häufigsten Weichteilsarkome. Seine Subtypen umfassen das pleomorphe, myxoide (-rundzellige), und dedifferenzierte Liposarkom. Davon abzugrenzen ist das gut-differenzierte Liposarkom oder aber atypischer lipomatöser Tumor. In fast allen Fällen entsteht das Sarkom aus normalen Adipozyten, welche sich vor allen in den Ex­tremitäten sowie Retroperitoneum befinden, und nicht aus einer präexistenten Läsion (2).
Als Risikofaktoren gelten genetische Prädisposition, Radio- oder Chemotherapie, chemische Karzinogene, chronische Irritation und Lymphödem. Das Leitsymptom ist eine schmerzfreie wachsende tumoröse Struktur. Lokale typische Tumorinvasion ist selten. Metastasierung erfolgt vor allem hämatogen und meistens in die Lunge. Als Ausnahme metastasiert das Liposarkom vom myxoiden Typ typisch in das Retroperitoneum, Abdomen, Wirbelsäule und paravertebrale Weichteilgewebe und eher selten in die Lunge.

Diagnostik

Die Differentialdiagnose zwischen Lipom und Liposarkom ist schwierig. Lipome sind jedoch ca. 100x häufiger als Sarkome. Das Liposarkom zeigte sich in Frühstadien klinisch sowie radiologisch eher benigne und könnte als Lipom missdeutet werden. Weichteiltumoren müssen weiter abgeklärt werden, wenn eines der folgenden Kriterien erfüllt ist (3):
1. Subfasziale Tumorlokalisation
2. Weichteiltumor grösser als 5cm
3. Schwellung, welche an Grösse zunimmt
4. Schmerzhafte Schwellung
5. Rezidivschwellung nach Exzision

In einer prospektiven Studie mit 365 Patienten mit bestätigtem Weichteilsarkom, war die Tumorlokalisation (Kriterium 1) der sensitivste Indikator für Malignität. Es folgten die Grösse (>5 cm) und das Wachstum (4).
In unserem Fall hatte der Tumor bereits bei der ersten MRI Untersuchung eine Grösse > 5cm und eine Lage unmittelbar unterhalb der Muskelfaszien. Ausserdem konnte ein Wachstum dokumentiert werden. Aufgrund dieser Faktoren war eine Abklärung der Dignität mittels Core Nadel Biopsie (der heutige Standard) indiziert.
Die histopathologische Diagnostik soll gemäss der World Health Organisation (WHO) Klassifikation der Weichteiltumore von 2013 erfolgen. Der Malignitätsgrad soll in allen Fällen bestimmt werden. Hier wird das Grading System der «Federation Nationale des Centres de Lutte Contre le Cancer» (FNCLCC) verwendet.
Zum Staging wird das «Union internationale contre le cancer» (UICC) Klassifikationssystem verwendet. Das Staging muss ein Spiral-CT-Thorax enthalten. Bei myxoidem Liposarkom der Extremitäten muss zusätzlich ein Abdomen-CT durchgeführt werden. Szintigraphie, Ganzkörper MRI und PET Scan sind optional. Lymphknotenmetastasen sind selten.

Therapie

Die Standardtherapie des lokalisierten Sarkoms ist die Kombinationstherapie, bestehend aus präoperativer Strahlentherapie gefolgt von Chirurgie in R0 Resektion (5).
Über die Stellung der Chemotherapie besteht kein allgemeiner Konsens. Die Chemotherapie ist gegenwärtig nicht Teil einer Standardtherapie des lokalisierten Sarkomas, insbesondere nicht bei einem 85-jährigen Patienten.
Metastasen in den Lungen ohne extrapulmonalen Befall werden, falls möglich, chirurgisch behandelt. Extrapulmonale Metastasen, welche bei einem myxoiden Liposarkom nicht selten vorkommen, werden individuell behandelt. Bei Patienten mit myxoidem Liposarkom und solitärer extrapulmonaler Metastase bestehen die Möglichkeiten einer chirurgischen Entfernung sowie Ablation oder Radiotherapie.

Prognose

Prognostisch am wichtigsten sind histologischer Grad, Tumorgrösse und das pathologische Stadium zum Diagnosezeitpunkt. In einem Serien-Studium von «Memorial Sloan Kettering Cancer Center» (MSKCC) betrug die 5-Jahre Überlebensrate zwischen 86% (TNM Stadium I) und 52% (TNM Stadium III) (6).
High risk Patienten haben ein Rezidiv in den ersten 2 - 3 Jahren. Low risk Patienten entwickeln, wenn überhaupt, erst spät ein Rezidiv. Dem endsprechend sollten high risk Patienten in den ersten 2 - 3 Jahren alle 3 - 4 Monate mittels CT/MRI nachkontrolliert werden. Danach sollten weitere Kontrollen im 6-monatigen Intervall erfolgen. Ab dem 5. Jahr sind jährliche Kontrollen indiziert. Low Risk Patienten sollten alle 4 - 6 Monate mittels konventionellem Thoraxröntgen oder Thorax-CT in den ersten 3 - 5 Jahren nachkontrolliert werden und dann weiter jährlich. Im Gegensatz zu den anderen Sarkomen, sollen die Nachkontrollen beim myxoiden Liposarkom zusätzlich ein Abdomen-CT enthalten wegen der atypischen Metastasierung in das Retroperitoneum/Abdomen.

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Dr. med. Irwing Lantcron

Peter Rot-Strasse 113
4058 Basel

Dr.Lantcron@gmail.com

Prof. Dr. Dr. med. Deniz Bilecen

Kantonsspital Baselland Laufen
Lochbruggstrasse 39
4242 Laufen

Die Autoren haben im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Die «red flags» bei Weichteiltumoren sind: subfasziale Lage, Grösse
    > 5cm und rasches Wachstum. Hier ist eine weitere Abklärung unbedingt indiziert. Auch ein «benigner» Tumor, der nach Exzision rezidiviert, muss weiter abgeklärt werden
  • Liposarkome im Frühstadium weisen im CT oder MRI keine typischen Malignitätszeichen auf wie Kontrastmittelanreicherung oder lokale Invasion und könnten als «benigne» missdeutet werden. Die Indikation zur ergänzenden Biopsie soll grosszügig gestellt werden.
  • Neoadjuvante Radiotherapie gefolgt von Exzision mit weiter R0-Resektion stellt die Standardtherapie des lokalisierten Sarkoms dar

1. Siegel RL, Miller KD, Jemal A. Cancer statistics, 2019. CA Cancer J Clin 2019; 69:7.
2. Fletcher CDM, Bridge JA, Hogendoorn PCW, Mertens F. World Health Organization Classification of tumours of soft tissue and bone, 4th ed, IARC Press, Lyon 2013
3. Sinha S, Peach AH. Diagnosis and management of soft tissue sarcoma. BMJ 2010 Dec 29;341
4. Hussein R, Smith MA. Soft tissue sarcomas: are current referral guidelines sufficient? Ann R Coll Surg Engl 2005; 87:171.
5. ESMO/European Sarcoma Network Working Group. Soft tissue and visceral sarcomas: ESMO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2014; 25 Suppl 3:iii102.
6. American Joint Committee on Cancer Staging Manual, Edge SB, Byrd DR, Compton CC, et al (Eds), Springer, New York 2010. p.291.

Neue Guidelines zur Diagnose und Behandlung chronischer koronarer Syndrome

Am letztjährigen Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) in Paris wurden die neuen Guidelines für die Diagnose und Behandlung von chronischen koronaren Syndromen (CCS) publiziert. Im folgenden Text wird der Abklärungsalgorithmus bei Verdacht auf Symptome, welche durch eine koronare Herzkrankheit bedingt sind, erläutert und insbesondere auf die Neuerungen im Vergleich zu den alten Guidelines eingegangen.

Die koronare Herzkrankheit ist ein pathologischer Prozess von atherosklerotischen Plaquablagerungen in den epikardialen koronaren Arterien. Die Krankheit kann lange stabile Phasen haben, aber auch jederzeit instabil werden (typischerweise durch eine Plaqueruptur). Die am Jahreskongress des ESC publizierten Guidelines zur Diagnose und Behandlung von chronischen koronaren Syndromen (CCS) tragen diesem Krankheitsmodell Rechnung und sprechen im Gegensatz zu den Vorgängerguidelines aus dem Jahr 2013 nun nicht mehr von der stabilen koronaren Herzkrankheit (SCAD) sondern neu vom chronischen koronaren Syndrom (CCS), dies im Gegensatz zum akuten koronaren Syndrom (ACS) (1, 2).

Der neue Abklärungsalgorithmus

Bei Patienten mit Angina pectoris und/oder Dyspnoe und Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit wird neu ein sechsstufiger Abklärungsalgorithmus empfohlen: Im ersten Schritt sollen die Symptome erhoben werden und eine klinische Untersuchung durchgeführt werden. Zur Definition von typischer und atypischer Angina bzw. nicht-anginösen Beschwerden werden wie bis anhin die vierzigjährigen Kriterien von Diamond und Forrester verwendet (3). Die folgenden drei Charakteristika der Beschwerden werden hierfür beurteilt: Beklemmendes Unwohlsein im Thorax oder im Hals, Kiefer, der Schulter oder dem Arm; Zunahme der Symptome unter körperlicher Belastung; Abnahme der Symptome durch Einnahme von Nitroglyzerin oder in Ruhe. Treffen alle drei Charakteristika auf die Beschwerden zu, so spricht man von typischer Angina pectoris, bei zwei Charakteristika von atypischer Angina pectoris, und bei einem oder keinem Charakteristikum von nicht-anginösen Beschwerden.
In einem zweiten Schritt werden Komorbiditäten berücksichtigt. Ist eine Revaskularisation aufgrund des Gesamtzustandes des Patienten bzw. relevanter Nebendiagnosen keine Option, soll ohne weiterführende Abklärungen primär medikamentös behandelt werden.
In einem dritten Schritt werden ergänzende Untersuchungen durchgeführt. Empfohlen sind standardmässig ein Ruhe-EKG sowie eine Blutentnahme, um mögliche Ursachen der Ischämie zu finden (Hämoglobin, TSH) sowie zur Bestimmung der Risikofaktoren (Glukose, HbA1c, Lipidprofil). Ebenso soll eine transthorakale Echokardiographie durchgeführt werden, Ausnahme sind hier sehr junge und gesunde Patienten mit hohem Verdacht auf eine extrakardiale Ursache der Thoraxschmerzen sowie sehr polymorbide Patienten, bei welchen die Echokardiographie keine therapeutische Konsequenz hat.

Die Vortestwahrscheinlichkeit

Im vierten Schritt des Abklärungsalgorithmus werden die Vortestwahrscheinlichkeit und die klinische Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer stenosierenden KHK bestimmt (vgl. Abbildung 1).
Bereits in den letzten Guidelines wurde die Vortestwahrscheinlichkeit basierend auf den oben erwähnten Kriterien nach Diamond und Forrester verwendet, um zu entscheiden, wie ein Patient weiter abgeklärt werden soll. Seither wurden jedoch mehrere Studien publiziert, welche zeigen konnten, dass die Prävalenz einer stenosierenden KHK bei Patienten mit Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit deutlich tiefer ist als bislang angenommen. Eine grosse Analyse mit über 15 000 Patienten, welche dieses Jahr publiziert wurde, fand eine Vortestwahrscheinlichkeit von nur einem Drittel im Vergleich zum bislang verwendeten Modell (4). In den neuen Guidelines werden deswegen eine neue Tabelle und vor allem auch neue Grenzwerte verwendet, ab welchen weitere Abklärungen empfohlen werden. Neu wurde auch eine Tabelle mit Vortestwahrscheinlichkeiten für Patienten entwickelt, deren alleiniges oder überwiegendes Symptom die Dyspnoe ist. Da in mehreren Studien gezeigt werden konnte, dass bei Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit von < 15% (gemäss dem neuen Modell) ein tiefes Risiko für das Eintreten des kardiovaskulären Todes bzw. eines Myokardinfarktes vorliegt, ist bei diesen Patienten eine routinemässige weitere Abklärung nicht indiziert (5, 6). Bei Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit von 5-15% kann eine weitere Diagnostik erwogen werden, allerdings in Kenntnisnahme einer höheren Wahrscheinlichkeit von falsch-positiven Tests. Bei Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit von < 5% soll eine weiterführende Ischämiediagnostik nur in Ausnahmefällen erfolgen.
Es konnte gezeigt werden, dass Modelle, die ausser dieser Vortestwahrscheinlichkeit Informationen wie kardiovaskuläre Risikofaktoren (Familienanamnese, Dyslipidämie, Diabetes mellitus, Hypertonie, Nikotinabusus), Veränderungen im Ruhe-EKG oder das Wissen über allenfalls vorhandene Koronarverkalkungen miteinbeziehen, Patienten mit einer stenosierenden KHK besser identifizieren können (5, 7). Diese Faktoren können deswegen als modifizierende Faktoren eingesetzt werden, insbesondere bei Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit von 5-15%. Aus der Vortestwahrscheinlichkeit sowie den modifizierenden Faktoren wird die klinische Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer stenosierenden KHK abgeschätzt.

Die Wahl des Testes

In einem fünften Schritt wird für Patienten, welche gemäss den obenstehenden Kriterien eine Indikation für eine Weiterabklärung haben, ein geeigneter Test ausgewählt. Bei den meisten Patienten ist ein nicht-invasiver Test empfohlen, entweder ein bildgebender Ischämietest oder eine Koronar-CT-Untersuchung. Das Belastungs-EKG als Ischämietest wird in den neuen Guidelines nicht mehr empfohlen aufgrund der im Vergleich zu den bildgebenden Verfahren deutlich schlechteren diagnostischen Genauigkeit (8). Unbestritten ist die prognostische Bedeutung des Belastungs-EKGs (9). Aus diesem Grund kann es in ausgewählten Patienten durchgeführt werden, um Symptome, ST-Streckenveränderungen, Arrhythmien, das Blutdruckverhalten und die Leistungsfähigkeit zu beurteilen.
Das Koronar-CT wird bei Patienten ohne bekannte KHK und mit einer tiefen klinischen Wahrscheinlichkeit (wobei hierfür kein Cut-Off genannt wird) empfohlen und ist hervorragend geeignet, um eine KHK auszuschliessen. Vorteil des Koronar-CTs ist die genaue anatomische Darstellung der Koronarien sowie die Detektion der subklinischen Atherosklerose, welche einen Einfluss auf die medikamentöse Therapie mit Statinen bzw. Plättchenhemmern haben kann (10). Es gibt auch gut validierte Tools, welche den Calcium-score zusätzlich zu den üblichen kardiovaskulären Risikofaktoren miteinbeziehen, um das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis abzuschätzen (11). Nachteil ist die verminderte diagnostische Genauigkeit bei Vorhandensein von viel Kalk. Da erkannt wurde, dass die Prävalenz der stenosierenden KHK unter den untersuchten Patienten mit stabilen Symptomen viel tiefer ist als bislang angenommen, haben gemäss den neuen Guidelines nun viel mehr Patienten eine tiefe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer KHK und kommen für eine Abklärung mittels Koronar-CT in Frage.
Bildgebende Ischämietests sind bei Patienten mit einer höheren klinischen Wahrscheinlichkeit (auch hier wird leider kein Cut-Off genannt) empfohlen. Zu den bildgebenden Ischämietests zählen die Stressechokardiographie, das Stress-MRI sowie die beiden nuklearmedizinischen Verfahren Myokardperfusions-SPECT und -PET. Die Wahl des bildgebenden Tests soll in Abhängigkeit der lokalen Expertise und Verfügbarkeit sowie von Patientencharakteristika gefällt werden.
Bei Patienten mit einer hohen klinischen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer KHK sowie Symptomen mit fehlendem Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie oder typischer Angina bei sehr geringer Anstrengung kann direkt eine Koronarangiographie durchgeführt werden. Eine invasive funktionelle Abklärung (FFR/iFR) wird bei einem Stenosegrad von 50-90% empfohlen, da die visuelle Beurteilung der Stenosen oft nur ungenügend mit der funktionellen Relevanz korreliert (8, 12).
In einem sechsten und letzten Schritt wird eine Risikostratifizierung der abgeklärten Patienten durchgeführt, um diejenigen Patienten zu identifizieren, welche von einer Revaskularisation profitieren. Neben der klinischen Beurteilung und der Ejektionsfraktion wird hierfür insbesondere das Resultat des bildgebenden Tests verwendet, und diejenigen Patienten mit einer signifikanten Ischämie bzw. einer hochgradigen Stenose werden einer Revaskularisation zugeführt.

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Zweitabdruck aus «info@herz+gefäss» 06-2019.

Dr. med. Annina Studer Brüngger

Oberärztin Klinik für Kardiologie und Institut für Radiologie und Nuklearmedizin
Stadtspital Triemli
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

annina.studer@triemli.zuerich.ch

Die Autorin hat keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel.

  • Die Prävalenz von Patienten mit einer stenosierenden KHK ist deutlich tiefer als bislang angenommen, entsprechend wurde die Tabelle mit den Vortestwahrscheinlichkeiten (nach Diamond-Forrester-Kriterien) angepasst.
  • Die neuen Guidelines empfehlen aufgrund der besseren diagnostischen Genauigkeit primär einen nicht-invasiven bildgebenden Test anstelle eines Belastungs-EKGS.
  • Bei sehr hoher klinischer Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer KHK bzw. Beschwerden bei geringer Belastung ist direkt eine invasive Koronarangiographie empfohlen.

1. Knuuti J. 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes: The Task Force for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes of the European Society of Cardiology (ESC). https://doi.org/10.1093/3urheartj/ehz425.
2. Montalescot G. 2013 ESC Guidelines on the management of stable coronary artery disease: The Task Force on the management of stable coronary artery disease of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 2013;34:2949-3003.
3. Diamond GA. Analysis of probability as an aid in the clinical diagnosis of coronary-artery disease. N Engl J Med 1979;300:1350-58.
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8. Knuuti J. The performance of non-invasive tests to rule-in and rule-out significant coronary artery stenosis in patients with stable angina: a meta-analysis focused on post-test disease probability. Eur Heart J 2018;39:3322-3330.
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10. Mitchell JD. Impact of statins of cardiovascular outcomes following coronary artery calcium scoring. JACC 2018;72:3233-42.
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Kritische Punkte bei der Substitution des Eisenmangels

Eisen ist das vierthäufigste Element der Erdkruste, das in vielen Nahrungsmitteln ausreichend vorhanden ist. Dennoch ist Eisenmangel die häufigste Mangelerkrankung, an der zwei Milliarden Menschen leiden (1). Dabei ist Eisen für alle Zellen lebenswichtig. Dessen Mangel führt nicht nur zu einer Beeinträchtigung der Hämproduktion, sondern hat Auswirkung auf den gesamten Organismus und ist die pathophysiologische Grundlage vieler klinischer Symptome. Warum ist der Eisenmangel dennoch so häufig? In einem ersten Teil, publiziert in der informierte arzt von September, wurden die kritischen Punkte der Diagnostik eines Eisenmangels dargestellt, dieser aktuelle Teil ist der Substitution gewidmet.

Zunächst muss man betonen, dass der Therapie eines Eisenmangels immer eine Ursachenabklärung vorangehen muss. Wegen klinischer Relevanz muss dabei in erster Linie ein chronischer Blutverlust aus einer gastrointestinalen Blutungsquelle ausgeschlossen werden. Bei entsprechender Anamnese (Ernährung, Hypermenorrhoe, Teerstuhl) steht nach Möglichkeit die Beseitigung der Ursache des Eisenmangels im Vordergrund. So muss insbesondere eine ausreichende Eisenzufuhr mit der Nahrung als erster Schritt der Behandlung betrachtet werden. Die medikamentöse Eisensubstitution erfolgt abhängig von der klinischen Situation erst später, oder parallel.

Wann ist eine Therapie indiziert?

Es gibt wohl keinen Zweifel daran, dass eine ungenügende Eisenversorgung der Erythropoese bzw. sonstiger Körperzellen und Körpersysteme keinen klinisch optimalen Zustand darstellt. Eine Therapieindikation besteht dementsprechend nicht erst bei Vorliegen einer Eisenmangelanämie, sondern bereits bei Nachweis einer eisendefizitären Erythropoese. Ein reiner Speichereisenmangel ist nicht unbedingt substitutionsbedürftig, solange die betroffene Person keine klinischen Symptome zeigt und völlig beschwerdefrei ist. Ausnahmen sind sicher Patienten mit zuvor behandelter Eisenmangelanämie bei erneutem Auftreten eines Speichereisenmangels, Patienten unter Therapie mit ESA und Schwangere. Um im Verlauf einer Schwangerschaft erst gar nicht in den Zugzwang einer Eisensubstitution zu kommen ist es jedoch sinnvoller, die Problematik mit Frauen im gebärfähigen Alter vorher zu besprechen und durch entsprechende Massnahmen vor Eintreten der Schwangerschaft zu regeln.
Nachdem in einer grossen, randomisierten Studie gezeigt werden konnte, dass die intravenöse Gabe von Eisencarboxymaltose bei Patienten mit Herzinsuffizienz mit und ohne Anämie die Lebensqualität und die Leistungsfähigkeit verbessert und die Hospitalisierung reduziert, gehört die intravenöse Eisengabe bei Herzinsuffizienz zum therapeutischen Standardrepertoire (6). Entsprechend den ESC-Guidelines sollen diese Patienten bei einem Ferritin < 100 µg/l, bzw. bei einem Ferritin von 100-299 µg/l und gleichzeitiger Transferrinsättigung < 10% eine Infusion von Eisencarboxymaltose erhalten (7).
Im klinischen Alltag wird man immer wieder mit Patienten konfrontiert die über Beschwerden und Symptome klagen die erfahrungsgemäss durch einen Eisenmangel hervorgerufen werden können, deren Hämoglobin und Ferritin aber normal sind – solange man Ferritinwerte von 15 - 50 µg/l als normal betrachtet. Angesichts der Tatsache, dass diese Symptome meist nur bei einem Ferritin < 50 µg/l beobachtet werden, ist in solchen Fällen eine probatorische Eisensubstitution mit dem Ziel, das Serumferritin über 50 µg/l anzuheben nicht nur gerechtfertigt, sondern indiziert. Damit verbleibt der Ferritinwert immer noch im unteren Referenzbereich und die Eisenspeicher werden damit nicht überfüllt. Klinisch gesehen ist dieses Vorgehen sicherlich ein kleineres Problem als zum Beispiel der Einsatz von Psychopharmaka, die ohne grössere Bedenken in solchen Fällen probatorisch verabreicht werden.

Wie sollte man einen Eisenmangel therapieren?

Perorale Substitution bevorzugt

Eine medikamentöse Eisensubstitution soll vorzugsweise oral erfolgen. Dazu stehen zahlreiche Präparate zur Verfügung, in denen traditionell verschiedene Eisensalze mit unterschiedlicher Galenik zur Anwendung kommen. Dabei sind wegen besserer Wirksamkeit Fe(II)-Salze den Fe(III)-Salzen zu bevorzugen. Der Eisenanteil pro Dragee schwankt zwischen 25 und 100 mg, die Anfangsdosis der peroralen Eisensubstitution beträgt 50 - 100 mg Eisen pro Tag. Die Einnahme sollte vorzugsweise nüchtern, mindestens ½ bis 1 Stunde vor oder nach dem Essen erfolgen. Da die orale Eisengabe die Hepcidinkonzentration regulatorisch erhöht und damit die Eisenaufnahme aus dem Darm für die nächsten 24 Stunden inhibiert, sollte die Tagesdosis nicht gesplittet, sondern einmal täglich eingenommen werden. Um die Eisenaufnahme zu optimieren, wird inzwischen sogar eine Substitution an jedem zweiten Tag diskutiert. Als Kriterium für ein adäquates Ansprechen wird nach einer dreiwöchigen Behandlung ein Hämoglobinanstieg um 20 g/l erwartet. Nach Korrektur der Anämie sollte die Substitution 3-6 Monate fortgesetzt werden, bis das Serumferritin 50 µg/l übersteigt (Tabelle 1 des ersten Teils, Patient 3). Dadurch werden nicht nur die Eisenspeicher etwas aufgefüllt, es macht aber auch das Auftreten eines Eisenmangelsyndroms (IDS, siehe Teil 1) unwahrscheinlich.

Verträglichkeit
Die meisten Patienten tolerieren die orale Eisensubstitution ohne Schwierigkeiten. Bei etwa einem Drittel kommt es jedoch zu verschiedenen gastrointestinalen Beschwerden, die meist ein bis zwei Stunden nach der Eiseneinnahme auftreten und die Compliance des Patienten stark beeinträchtigen. Diese Beschwerden korrelieren mit dem Anteil an ionisiertem Eisen im oberen Gastrointestinaltrakt und weisen darauf hin, dass die orale Eisensubstitution trotz des physiologischen Aufnahmeweges offensichtlich «nicht ganz physiologisch» ist. Da es keine natürlichen Nahrungsmittel gibt, die 100 mg Eisen auf einen Schlag freisetzen, ist der menschliche Organismus dafür auch nicht vorbereitet und der natürliche Aufnahmeweg damit überfordert. So werden mehr als 90% der eingenommenen Dosis nicht resorbiert und belasten den Gastrointestinaltrakt, unter anderem indem sie im Dickdarm Veränderungen des Mikrobioms bewirken. Ein dosisabhängiger Teil des Eisens gelangt durch passive Aufnahme auf parazellulärem Weg direkt ins Blut, was zu Überforderung der Transferrinkapazität und schliesslich zu oxidativem Stress mit den bekannten klinischen Symptomen führt. Dementsprechend sind Eisenpräparate, die eine langsame Freigabe von Eisen gewährleisten wie das Eisen(II)-Fumarat, oder retardierte Fe(II)-Präparate bei der oralen Eisensubstitution zu bevorzugen, deren bessere Verträglichkeit bei vergleichbarer Wirksamkeit ist durch Studien gut belegt.
Eine andere Strategie wurde bei neueren oralen Eisenformulierungen verfolgt, in denen nicht Eisensalze, sondern komplex gebundenes dreiwertiges Eisen zum Einsatz kommt. Dabei ist insbesondere der in der Schweiz zugelassene Fe(III)-Hydroxid-Polymaltose-Komplex (Maltofer®) zu nennen, der eine ferritinähnliche Struktur aufweist, indem er aus einem polynuklearen Fe(III)-Hydroxid-Kern besteht, der oberflächlich von nicht kovalent gebundenen Polymaltosemolekülen umgeben ist. Die Formulierung ermöglicht eine langsame Freisetzung von Eisen, interagiert im Unterschied zu den Eisensalzen nicht mit Nahrungsmitteln oder Medikamenten und weist bei vergleichbarer Wirksamkeit kaum gastrointestinale Nebenwirkungen auf. Das Medikament ist jedoch deutlich teurer als die herkömmlichen Fe(II)-Präparate.

Intravenöse Substitution

Patienten, die zwei verschiedene orale Eisenpräparate nicht vertragen haben, eine Eisenresorptionsstörung aufweisen oder solche, die an einer chronischen entzündlichen Erkrankung leiden, sollten intravenös substituiert werden. Auch Tumorpatienten und insbesondere diejenigen, die zur Korrektur einer tumor- oder chemotherapiebedingten Anämie ESA erhalten, sollten grundsätzlich intravenös substituiert werden. Um dabei eine Eisenüberladung zu vermeiden, wird zur Berechnung des Eisendefizit häufig die sog. Ganzoni-Formel empfohlen (8). Man kann den Eisenbedarf jedoch auch schnell überschlagen, wenn man weiss, dass bei Erwachsenen etwa 200 mg Eisen netto benötigt werden, um das Hämoglobin um 10 g/L anzuheben. So braucht eine Person mit einem Hb von 90 g/L mindestens 1000 mg Eisen netto, um einen Hb-Anstieg auf 120-130 g/l zu erreichen und etwas Speichereisen anzulegen. Besteht bei einem Patienten ohne Anämie bei weitgehend entleerten Eisenspeichern der klinische Verdacht auf ein IDS, so ist die parenterale Gabe von 500 mg Eisen ausreichend um das Ferritin über 50 µg/l anzuheben und damit die Verdachtsdiagnose zu beweisen, bzw. auszuschliessen.

Ähnlich aber nicht gleich
Für die intravenöse Eisensubstitution stehen mehrere Präparate zur Verfügung. Bei diesen handelt es sich um kolloidal gelöste Nano­partikel, die aus einem Eisen(III)-haltigen Kern und einer Kohlenhydrathülle bestehen. Nach intravenöser Applikation werden diese Partikel vorwiegend vom retikuloendothelialen System der Leber, des Knochenmarks und der Milz aufgenommen und aufgespalten und das freigewordene Eisen im Ferritin gespeichert, bzw. via Transferrin im Körper verteilt. Dank der Kohlenhydratverpackung wird das Eisen wie physiologisch vorgesehen dem Ferritin-Transferrin-System zugeführt, ohne den Körper toxischen Konzentrationen von freiem, ungebundenem Eisen auszusetzen. Die Kohlenhydrathülle ist jedoch keine reine Verpackung, sie ist von erheblicher Bedeutung für die pharmakologischen Eigenschaften der Präparate und auch für deren Verträglichkeit. So sind die gefürchteten allergischen und anaphylaktischen Reaktionen der intravenösen Eisenpräparate in erster Linie auf deren Kohlenhydratanteil zurückzuführen. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang das früher verwendete hochmolekulare Dextran. Eisenkomplexe mit niedrig­molekularem Dextran (Cosmofer®, derzeit in der Schweiz nicht erhältlich) oder die Dextran-basierte Eisen(III)-Derisomaltose (MonoFer®) sind zwar wesentlich verträglicher und prinzipiell gut anwendbar, das Überempfindlichkeitsrisiko ist jedoch höher als bei den Dextran-freien Formulierungen. Die Herstellung der intra­venösen Eisenpräparate ist generell sehr anspruchsvoll, deren genauer Nachbau ist nur bei exakter Einhaltung der Originalrezeptur möglich. Dementsprechend sind die Nachahmerprodukte nur ähnlich wie das Originalpräparat und mit diesem nicht 1:1 gleichzusetzen.
Es gibt mehrere Dextran-freie Originalpräparate, die eine sichere, nebenwirkungsarme intravenöse Eisensubstitution erlauben: der Eisen(III)-Glukonat-Komplex (Ferrlecit®, derzeit in der Schweiz nicht erhältlich), der Eisen(III)-Hydroxid-Saccharose-Komplex (Venofer®) und die Eisencarboxymaltose (Ferinject®). Bei diesen Formulierungen besteht eine lineare Korrelation zwischen Molekularmasse und Stabilität und damit der maximal applizierbaren Eisenmenge. Für das niedrigmolekulare Eisen-Glukonat beträgt die tägliche Höchstdosis nur 62,5 mg, so dass dieses Präparat trotz guter Verträglichkeit (3,5 AEs/1 Mio. 100 mg Äquivalentdosen) zunehmend an Bedeutung verliert und durch stabilere Präparate ersetzt wird. Weltweit am häufigsten wurde bei der intravenösen Eisensubstitution bisher wohl der Eisen(III)-Hydroxid-Saccharose-Komplex verwendet. Dieser erlaubt die Applikation von 200  mg Eisen in einer Sitzung und ist ähnlich komplikationsarm (USA: 3,5 AEs/1  Mio. 100  mg Äquivalentdosen) wie das Eisen-Glukonat. In Europa liegt die berichtete Komplikationsrate zwar etwas höher (12,6 AEs/1 Mio. 100  mg Äquivalentdosen), dies wird jedoch den Nachahmer-Präparaten zugeschrieben, die im Unterschied zu USA in Europa als Generikum des Originalpräparates (Venofer®) zugelassen wurden. Diese Nachahmer unterscheiden sich zum Teil erheblich vom Original und sind mit diesem bezüglich Wirkung und Sicherheit nicht gleichzusetzen (9). Zunehmende Bedeutung gewinnt die 2007 in Europa zugelassene Eisencarboxymaltose (Ferinject®), die dank ihrer hohen Stabilität eine Applikation von bis zu 1000  mg Eisen erlaubt, was in der Regel die Korrektur des Eisenmangels in einer einzigen Sitzung ermöglicht. Die Inzidenz von akuten Überempfindlichkeitsreaktionen ist bei vorschriftsmässiger Handhabung bezüglich Dosis und Infusionsgeschwindigkeit nach den bisherigen Erfahrungen gering (10-13). Bei hochdosierten Mehrfachgaben oder bei einer Langzeitbehandlung mit Eisencarboxymaltose ist jedoch eine Kontrolle des Serumphosphats angezeigt, weil die Rate an Hypophosphatämien bei dieser Formulierung höher ist als bei den anderen Eisenpräparaten.

Bedeutung der Infusionsgeschwindigkeit
Bei zu schneller intravenöser Applikation können alle Eisenpräparate die Transferrin-Bindungskapazität überfordern und durch das freie, ungebundene Eisen eine Flush-Symptomatik hervorrufen. Diese Nebenwirkung kann durch eine protrahierte Gabe vermieden werden, so dass intravenöse Eisengabe vorzugsweise als Kurzinfusion erfolgen sollte. Für das Eisen-Glukonat wird vom Hersteller empfohlen, den Inhalt einer 5 ml Ampulle mit 62,5 mg in 100-250 ml 0,9% NaCl zu verdünnen und über 20-30 Minuten zu infundieren. Die empfohlene Verdünnungsmenge für 200 mg der Eisen-Saccharose beträgt maximal 200 ml 0,9% NaCl, die Infusionszeit mindestens 30 Minuten. Die wesentlich stabilere Eisencarboxymaltose kann bis zu 200  mg als Bolusinjektion über 1-2  Minuten verabreicht werden, eine Testdosis ist nicht erforderlich. Höhere Einzeldosen werden als Kurzinfusion appliziert: 200-500 mg in maximal 100 ml 0,9% NaCl über mindestens 6 Minuten, 500-1000  mg in maximal 250  ml 0,9% NaCl über mindestens 15  Minuten. Höhere Verdünnungen mit weniger als 2  mg/ml sollen aus Stabilitätsgründen vermieden werden.

Risikobewertungsverfahren der EMA

Im Jahr 2013 hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) in einem Risikobewertungsverfahren festgestellt, dass der therapeutische Nutzen der intravenösen Eisenpräparate bei entsprechenden Vorsichtsmassnahmen deren mögliche Risiken überwiegt. Die Infusion soll jedoch nur vorgenommen werden, wenn in der Erkennung und Behandlung anaphylaktischer Reaktionen geschulte Fachkräfte unverzüglich verfügbar sind und die kardiopulmonale Reanimation durch eine entsprechende Ausrüstung sichergestellt ist. Der Patient soll während der Infusion überwacht werden, nach erfolgter Eisengabe wird ausserdem eine Nachbeobachtungszeit von 30  Minuten empfohlen.
In der Schwangerschaft sollen intravenöse Eisenpräparate nur wenn zwingend erforderlich angewandt werden, die Gabe vor dem zweiten Trimenon ist kontraindiziert. Eine Überempfindlichkeitsreaktion nach intravenöser Eisengabe stellt eine Kontraindikation für eine Therapie mit jeglichen intravenösen Eisenpräparaten dar. Ausserdem ist zu beachten, dass Patienten mit allergischen, immunologischen und inflammatorischen Erkrankungen, sowie solche mit Asthma bronchiale, Ekzemen und anderen atopischen Erkrankungen in der Vorgeschichte, ein erhöhtes Risiko einer Überempfindlichkeitsreaktion aufweisen. Diese Stellungnahme hat die intravenöse Eisensubstitution insbesondere für die hausärztliche Praxis sicher erschwert. Dennoch wird die intravenöse Eisengabe dank der niedrigen Nebenwirkungsrate der modernen Eisenformulierungen immer häufiger angewandt, denn sie hat unübersehbare Vorzüge. So wird der Eisendefizit des Patienten umgehend behoben, ohne dass der Darm einer monatelangen Eisenbelastung ausgesetzt wird und ohne dass man auf eine gute Compliance des Patienten angewiesen ist. Dank der hohen Stabilität der modernen Präparate wird das Eisen erst in der Leber freigegeben und kann dementsprechend «physiologisch» versorgt und verwertet werden, ohne einen nennenswerten oxidativen Stress zu verursachen. Ein weiterer Grund für die zunehmende Anwendung der parenteralen Eisensubstitution ist sicher auch darauf zurückzuführen, dass diese trotz ihrer höheren Kosten offensichtlich bei bestimmten Patientengruppen wie denjenigen mit Herzinsuffizienz ökonomisch gesehen kostengünstiger ist, da sie die Hospitalisierung reduziert.

Während die Frage orale versus intravenöse Eisensubstitution früher kontrovers bis dogmatisch gesehen wurde, haben die neuen Erkenntnisse in der Pathophysiologie des Eisenstoffwechsels und die positive Erfahrung mit den modernen, Dextran-freien Eisenpräparaten zu einer Normalisierung der Diskussion beigetragen und eine, der klinischen Situation und den individuellen Bedürfnissen des Patienten angepasste Eisensubstitution ermöglicht. Unabhängig von der angewandten Applikationsart sollte jedoch vor Einleitung einer Substitutionstherapie immer eine sorgfältige Diagnostik erfolgen.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Jan Hastka

Universitätsklinikum Mannheim
Medizinische Klinik III
Hämatologie und Internistische Onkologie
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
D-68167 Mannheim

jan.hastka@umm.de

Prof. Dr. med. Georgia Metzgeroth

Universitätsklinikum Mannheim
Medizinische Klinik III
Hämatologie und Internistische Onkologie
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
D-68167 Mannheim

Die Autoren haben Vorträge für die Firma Vifor Pharma gehalten.

  • Bei Beschwerden und Symptomen, die erfahrungsgemäss durch einen Eisenmangel hervorgerufen werden können, ist eine probatorische Eisensubstitution mit dem Ziel, das Serumferritin auf über 50  µg/l anzuheben, indiziert.
  • Eine Eisensubstitution soll vorzugsweise oral erfolgen, Fe(II)-Salze sind zu bevorzugen.
  • Bei intravenöser Eisengabe sollen vorzugsweise Dextran-freie Formulierungen verwendet werden.

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Längere Verjährungsfrist für Arztpraxen

Seit dem 1. Januar 2020 gilt für die Arztpraxen und Privatspitäler in der Schweiz eine Verjährungsfrist von 20 Jahren. Die FMH empfiehlt neu, die Krankengeschichten während 20 Jahren aufzubewahren und Haftpflicht-Versicherungspolicen mit einer 20-jährigen Nachdeckung abzuschliessen.
Wer eine Versicherungspolice hat, die nur eine fünf- oder zehnjährige Deckungsfrist übernimmt, sollte seinen Versicherer kontaktieren. Diese Empfehlung gilt auch für Ärztinnen und Ärzte, die ihre Praxis nach dem 1.1.2010 geschlossen oder übergeben haben, namentlich wenn sie Implantate oder ionisierende Strahlen mit dem Risiko von Spätschäden eingesetzt haben.

Revisionsprojekte: im EJPD schubladisiert, im Parlament praktisch schon versenkt

1973 beauftragte Bundesrat Furgler einen jungen Juristen namens Pierre Wiedmer mit dem Projekt einer Revision des Haftpflichtrechts. Danach blieb es lange still.
Der Reaktorunfall in Tschernobyl und der Grossbrand von Sandoz in Schweizerhalle führten zum Neustart. Zwischen 1988 und 1991 erarbeitete eine Studienkommission des EJPD einen Bericht für eine Gesamtrevision des Haftpflichtrechts. Gestützt darauf verfassten die Professoren Pierre Wiedmer (der ehemalige junge Mitarbeiter von Kurt Furgler) und Pierre Wessner 1999 einen Vorentwurf zu einem Bundesgesetz, der in Vernehmlassung ging. Bundesrat Blocher schubladisierte das Projekt.
Vierzehn Jahre und einige Bundesräte später wurde die Vorlage im November 2013 ins Parlament gegeben (1). In den Räten folgte «ein dramatisches Differenzbereinigungsverfahren zwischen National- und Ständerat, in welchem das Revisionsprojekt praktisch schon versenkt war» (2).

Kehrtwende mit dem Asbest-Urteil aus «Strassburg»

Dann kam das Asbest-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Schweiz vom März 2014 (3): «Strassburg» rügte die Schweiz, weil die kurzen Verjährungsfristen im Schweizer Recht systematisch dazu führten, dass die Asbestopfer leer ausgingen.
Am 15. Juni 2018 hat das Parlament das neue Verjährungsrecht verabschiedet. Niemand hat das Referendum ergriffen.

Neu: 20-jährige absolute Verjährungsfrist und 3-jährige Frist seit Kenntnis

Seit 1.1.2020 gilt nun für Personenschäden auch in Arztpraxen eine von 10 auf 20 Jahre verlängerte absolute Verjährungsfrist (Art. 60 Abs. 1bis und 128a Obligationenrecht).
Neu gilt dabei für den Patienten eine dreijährige relative Verjährungsfrist seit Kenntnis des Schadens und des Schädigers.
Die Einführung der Dreijahresfrist seit Kenntnis des Schadens und des Schädigers bedeutet, dass die Revision nur für die Patienten mit medizinischen Spätschäden vorteilhaft ist. Denn die meisten Medizinschadenfälle werden lange vor Ablauf der Zehnjahresfrist erkennbar, und diese Patienten hatten bisher keine Dreijahresfrist seit Kenntnis zu beachten, sondern mussten nur die zehnjährige absolute Verjährungsfrist im Auge behalten.

Typische Spätschäden: Asbest, ionisierende Strahlen und Medizinprodukte

Im Zentrum der Diskussion standen die durch Asbest verursachten Personenschäden. Allerdings werden gerade die Asbestopfer nun nicht dank der geänderten Verjährungsfrist, sondern durch eine Fonds-Lösung entschädigt.
Bekannt sind auch Spätschäden durch ionisierende Strahlen (1). Im Parlament wurden zudem Schäden durch fehlerhafte Medizinprodukte genannt: «In jüngerer Zeit häuften sich solche Fälle; ich erinnere an die ASR-Hüftprothesen mit giftigen Metallabrieben, an die Brustimplantate, die im Verdacht stehen, Krebs zu erregen, an die Nanopartikel, die schon an vielen Orten, sogar in gewissen Zahnpasten, eingesetzt werden […]» (4)

FMH: Krankengeschichten 20 Jahre aufbewahren

Die Gesetzesrevision selbst enthält keine Bestimmungen über die Aktenaufbewahrungspflicht. Nach der Botschaft steht es damit Ärztin und Arzt «frei, Unterlagen zu vernichten, zu deren Aufbewahrung sie rechtlich (nicht) mehr verpflichtet sind» (1).
Doch die FMH verweist zu Recht auf die Aufklärungsproblematik: Die Ärztin muss «im Streitfall beweisen, dass sie genügend aufgeklärt hat, was ihr nur gelingen kann, wenn sie die entsprechenden Eintragungen der Krankengeschichte zur Verfügung hat» (5). Deshalb empfiehlt die FMH, die Krankengeschichten während 20 Jahren aufzubewahren, wenn die letzte Behandlung nach dem 31.12. 2009 stattgefunden hat (5). Aus haftpflichtrechtlicher Sicht ist zu empfehlen, wenigstens diejenigen Unterlagen aufzubewahren, die dem Nachweis der Patientenaufklärung dienen.

Haftpflichtversicherung: Nachdeckung/Nachrisikodeckung für 20 Jahre oder ohne Angabe einer zeitlichen Limite vereinbaren

Die FMH empfiehlt, Haftpflicht-Versicherungspolicen mit einer 20-jährigen Nachdeckung abzuschliessen (6). Gleichwertig sind Vertragstexte, die für die während des Vertrags verursachten Schäden eine Deckung nach Ablauf der Vertragsdauer ohne Angabe einer zeitlichen Limite gewährleisten (7, 8).

Policen mit Nachdeckung für 5- oder 10-Jahre: Versicherer kontaktieren

Wenn die Versicherungspolice nur eine fünf- oder zehnjährige Nachdeckung übernimmt, sollte die Ärztin oder der Arzt den Versicherer kontaktieren.
Diese Empfehlung gilt auch für diejenigen Ärztinnen und Ärzte, die die Praxis nach dem 1.1.2010 geschlossen oder übergeben haben und aufgrund ihrer Praxisausrichtung damit rechnen müssen, dass sie medizinische Spätschäden verursacht haben könnten – zu denken ist gemäss Parlament bzw. Botschaft an das Risiko von Spätschäden durch Implantate oder ionisierende Strahlen. Denn die Behandlungsschäden, die nach dem 1.1.2010 verursacht wurden, verjähren nun erst nach 20 Jahren (müssen aber innert 3 Jahren seit Kenntnis eingeklagt werden).

Kuriosum 1:
unveränderte Verjährungsfrist für Medizinprodukte

Für Produkte bleibt es bei der bisherigen 10-jährigen Verjährungsfrist, denn der Gesetzgeber wollte beim Produktehaftpflichtgesetz «die Übereinstimmung mit dem EU-Recht nicht aufgeben» (1). Das hat möglicherweise Folgen für Patient und Arzt: Wenn ein Patient zum Beispiel elf Jahre nach der Behandlung einen Schaden wegen eines fehlerhaften Implantats geltend machen will, ist er damit zu spät mit der Klage gegen den Hersteller, aber rechtzeitig mit der Klage gegen den Arzt.
Im Verfahren zwischen Patienten und Arzt kommt es darauf an, ob der Arzt das Implantat damals lege artis verwendet hat, und ob er nach dem damaligen Stand des Wissens richtig aufgeklärt hat.

Kuriosum 2:
unveränderte Verjährungsfrist für öffentliche Spitäler

Die Verjährungsfristen für öffentliche Spitäler werden in den kantonalen Haftungs- oder Spitalgesetzen geregelt. Diese wurden nicht gleichzeitig revidiert. Deshalb gelten nun für den Patienten im Schadenfall unterschiedliche Klagefristen, je nachdem wo er behandelt wurde. Denkbar ist, dass einzelne Kantone in den nächsten Jahren nachziehen werden.

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FürsprecherHanspeter Kuhn

Advokaturbüro Hanspeter Kuhn
Cyrostrasse 3
3006 Bern
Postfach 158
3000 Bern 6

hpk@hin.ch

Keine. Hanspeter Kuhn war 1990-2018 Leiter des FMH-Rechtsdiensts und von 1992 an stv. Generalsekretär der FMH. Von 1990-2004 war er zuständig für die rechtliche Betreuung der FMH-Gutachterstelle.

  • Die Verjährungsfrist für Haftpflichtfälle in Arztpraxen beträgt neu 20 statt 10 Jahre.
  • Die FMH empfiehlt, die Krankengeschichten 20 Jahre aufzubewahren, wenn die letzte Behandlung nach dem 31.12.209 stattfand.
  • Wer eine Versicherungspolice hat, die die «Nachdeckung im Rahmen der gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen und Verjährungsfristen» übernimmt, muss nichts unternehmen.
  • Wer eine Versicherungspolice hat, die nur eine fünf- oder zehnjährige Deckungsfrist übernimmt, sollte seinen Versicherer kontaktieren. Diese Empfehlung gilt auch für Ärztinnen und Ärzte, die ihre Praxis nach dem 1.1.2010 geschlossen oder übergeben haben, namentlich wenn sie Implantate oder ionisierende Strahlen mit dem Risiko von Spätschäden eingesetzt haben.

1. Botschaft vom 29. November 2013 zur Änderung des Obligationenrechts (Verjährungsrecht), Bundesblatt (BBl) 2014 S. 235ff; der zitierte Hinweis zur Vernichtung der Unterlagen steht auf S. 254, zu den ionisierenden Strahlen auf S. 241, zur Nichtrevision des Produktehaftpflichtgesetzes auf S. 265.
2. Krauskopf Frédéric / Märki Raphael, Wir haben ein neues Verjährungsrecht!, in: Jusletter 2. Juli 2018
3. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGMR, Urteil vom 11. März 2014 in der Sache Howald Moor et autres c. Suisse, Nr. 52067/10 und 41072/11 («Asbest-Urteil»)
4. Nationalrätin Heim Bea im Nationalrat 25.09.2014 (parlament.ch curia vista Geschäft 13.100 – Amtl. Bulletin Nationalrat 25.9.2014).
5. Pally Hofmann Ursina, Salathé Michelle, Thiébaud Nori Anne-Sylvie, Rechtliche Grundlagen im medizinischen Alltag, Ein Leitfaden für die Praxis, FMH /SAMW, Bern /Basel 2020, S. 36. S. 169ff, und S. 173.
6. Pally Hofmann Ursina, Neues Verjährungsrecht, Schweiz. Ärztezeitung 2018;99 (51–52):1825–1826.
7. «Bei Wegfall des Versicherungsvertrages infolge Berufs- bzw. Geschäftsaufgabe oder Tod gewährt Zurich […] Versicherungsschutz für Schadenersatzansprüche, die nach Ablauf der Vertragsdauer innert der gesetzlichen Verjährungsfrist geltend gemacht werden.» [ohne zeitliche Befristung] steht z.B. in Ziff. 3.1. und 8.2.4. der AVB der Zurich-Versicherung.
8. «Wird der Vertrag aufgehoben, weil das versicherte Unternehmen aufgegeben wird – ausser bei Konkurs – oder weil der Versicherungsnehmer stirbt, besteht auch für Ansprüche aus Schäden Versicherungsschutz, die vor Vertragsende verursacht wurden, aber erst nach Vertragsende eintreten…» [ohne zeitliche Befristung] steht z.B. in B2.7.1 der AVB der AXA von 2018.

Dermatosen während der Schwangerschaft

Die immunologischen, endokrinologischen und vaskulären Veränderungen während der Schwangerschaft führen zu verschiedenartigen Hautmanifestationen. Die wichtigstens dermatologischen Pathologien werden heute in vier Gruppen aufgeteilt, was die Nomenklatur beträchtlich vereinfacht hat.

Es können drei Hauptgruppen von Hautveränderungen unterschieden werden: Physiologische Hautveränderungen, schwangerschaftsspezifische Hautveränderungen (Schwangerschaftsdermatosen) sowie präexistente Hauterkrankungen, welche durch die Schwangerschaft positiv oder negativ beeinflusst werden.

Physiologische Hautveränderungen

Die häufigsten physiologischen Veränderungen betreffen die Pigmentierung, das Haarwachstum sowie das Gefässsystem. Tab. 1 (1) gibt einen Überblick über diese Erscheinungen. Abbildung 1 zeigt das Melasma.

Spezifische Schwangerschaftsdermatosen

Als Schwangerschaftsdermatosen werden heute 4 Hauterkrankungen bezeichnet. Die aktuelle Klassifikation wurde 2006 von Ambros-Rudolph et al. (2) etabliert und fasst die früher verwendeten Bezeichnungen übersichtlich zusammen. In Tabelle 2 sind die ak­tuelle Klassifikation und die veralteten Synonyme dargestellt (3).

Pemphigoid gestationis (PG)

Diese Schwangerschaftsdermatose ist selten und kann während aller Trimester auftreten. Eine Manifestation in der Spätschwangerschaft oder unmittelbar postpartal ist aber häufig. Heftiger Juckreiz geht dem Auftreten der Hautveränderungen meist voraus. Typischerweise kommt es im Bereich des Abdomens, unter Einbezug der Periumbilikalregion zu urticariellen Erythemen, Papeln und Plaques sowie prallen Blasen. Ein Fortschreiten zu einem generalisierten bullösen Exanthem ist möglich. Zur Diagnosesicherung ist eine Probebiopsie für Histologie und direkte Immunfluoreszenz wichtig.
Die Erkrankung ist selbstlimitierend und bildet sich in der Regel innerhalb von Wochen bis Monaten nach der Geburt zurück. Auch eine Regredienz bis vor Termin mit nachfolgender Exazerbation zum Zeitpunkt der Geburt und unmittelbar postpartal ist möglich. Rezidive in Folgeschwangerschaften sind häufig. Auch während der Menstruation oder bei Einnahme oraler Kontrazeptiva kann es zu Ausbrüchen kommen. Es besteht eine Assoziation mit Autoimmun­erkrankungen (M. Basedow, Hashimoto-Thyreoiditis, perniziöse Anämie). Wegen eines passiven Transfers von mütterlichen Autoantikörpern können in 10% selbstlimitierende Hautsymptome beim Neugeborenen auftreten. Eine erhöhte fetale Letalität besteht nicht, jedoch ist die Frühgeburtsrate und das Auftreten von «small-for-date babies» erhöht. Therapeutisch stehen die Kontrolle des Juckreizes und die Prävention der Blasenbildung im Vordergrund. In milden Fällen sind topische Steroide und Antihistaminika ausreichend, in schweren Fällen ist eine systemische Kortikosteroidtherapie notwendig (Prednison 0.5–1 mg/kg Körpergewicht). Eine Steigerung der Dosis kurz vor Geburt ist empfehlenswert, um eine eventuelle peripartale Exazerbation abzufangen (4).

Polymorphe Schwangerschaftsdermatose/Polymorphic eruption of pregnancy (PEP)

Die PEP ist eine häufige Schwangerschaftsdermatose und kann unterschiedliche klinische Bilder aufweisen. Die meisten Patientinnen weisen «juckende (pruritic) urticarielle Papeln und Plaques» auf, weshalb die Erkrankung früher als PUPPP bezeichnet wurde. Einige Betroffene präsentieren sich aber auch mit flächigen Erythemen und im Krankheitsverlauf kann es zu ekzematösen Läsionen, polyzyklischen Erythemen oder targetoiden bis multiforme-artigen Läsionen kommen. Es sind fast ausschliesslich Erstgebärende mit einem typischen Auftreten in den letzten Schwangerschaftswochen oder sogar postpartal betroffen. Bei Mehrlingsschwangerschaften tritt die Dermatose gehäuft auf. Die PEP beginnt mit starkem Juckreiz und mit erythematösen oder ödematösen Papeln und Plaques innerhalb der Striae distensae. In der Folge kommt es zur Ausbreitung auf Abdomen, Gesäss und Extremitäten (Abb. 2 und 3). Die periumbilikale Region bleibt ausgespart, dies ist ein wichtiges Abgrenzungsmerkmal zum Pemphigoid gestationis. Im Zweifelsfall kann eine Biopsie mit direkter Immunfluoreszenz durchgeführt werden. Hiermit gelingt eine eindeutige Abgrenzung zum PG. Die durchschnittliche Dauer bis zur Abheilung beträgt 4-6 Wochen. Rezidive in folgenden Schwangerschaften sind mit Ausnahme von Mehrlingsschwangerschaften nicht zu erwarten und ein fetales Risiko besteht nicht. Topische Kortikosteroide und systemische Antihistaminika sind in der Regel ausreichend, selten wird ein systemischer Steroidstoss benötigt. Weiter können unterstützend Menthol- oder Polidocanol haltige Externa eingesetzt werden.

Intrahepatische Schwangerschaftscholestase/Intrahepatic cholestasis of pregnancy (ICP)

Die ICP weist 4 Charakteristika auf: a) Juckreiz auf gesunder Haut im dritten Trimenon, b) erhöhte Gallensäurewerte im Serum > 10 µmol/l, c) spontanes Verschwinden der Symptome innert 48 h nach Geburt sowie Normalisierung der Gallensäuren innert 2–3 Wochen und d) Abwesenheit anderer Erkrankungen welche mit Pruritus oder Ikterus einhergehen.
Es liegt eine hormonell getriggerte, reversibile Cholestase bei genetisch prädisponierten Individuen vor. Die Inzidenz variiert stark mit dem ethnischen Hintergrund. So sind in Chile und Bolivien bis 15% der Schwangeren betroffen, während Euro­päerinnen nur in 1% betroffen sind. Allerdings ist die Inzidenz auch erhöht bei Mehrlingsschwangerschaften, bei Frauen über 35 Jahren, nach in-vitro-Fertilisation, bei ICP in einer voran­gegangenen Schwangerschaft sowie bei vorbestehenden Gallenwegserkrankungen. Betroffene Schwangere klagen über massiven generalisierten Juckreiz ohne ein klinisches Korrelat auf der Haut. Zu Hauteffloreszenzen kommt es nur sekundär durch Kratzen. Der Juckreiz ist vor allem abends und an Palmae und Plantae ausgeprägt.
Die Brisanz der Erkrankung liegt in einem erhöhten fetalen Risiko: Frühgeburtlichkeit, Mekoniumaspiration und Totgeburten sind gehäuft, insbesondere wenn der Gallensäurewert im Serum 40µmol/l überschreitet. Somit richtet sich auch die Therapie danach, die fetale Prognose zu verbessern. Dies wird mit Ursodeoxycholsäure in einer Dosierung 15mg/kg/d erreicht. Diese Therapie verbessert auch die mütterlichen Symptome. Allgemeinmassnahmen wie Eincremen mit Emulsionen mit oder ohne juckreizstillende Zusätze sind ebenfalls hilfreich. Weiter können milde topische
Kortikosteroide eingesetzt werden (5).

Atopische Schwangerschaftdermatose/Atopic eruption of pregnancy (AEP)

Wie in Tabelle 2 ersichtlich, gibt es für diese Hauterkrankung viele Synonyme. Für den klinischen Alltag hat es sich aber bewährt, diese verschiedenen Bezeichnungen unter dem Begriff AEP zusammenzufassen.
Die Atopische Schwangerschaftsdermatose ist die häufigste Ursache für Pruritus in der Schwangerschaft. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Manifestationsform des atopischen Ekzems in der Schwangerschaft. Viele Patientinnen haben eine positive Eigen-oder Familienanamnese für Atopie und einen erhöhten gesamt IgE-Wert im Serum. In einem Fünftel der Fälle handelt es sich wahrscheinlich um eine Exazerbation eines vorbestehenden Atopischen Ekzems, beim Restanteil kommt es allerdings in der Schwangerschaft erstmals zum Auftreten von atopischen Hautveränderungen. Pathophysiologisch spielt die in der Schwangerschaft dominante Th2-Immun­antwort eine Rolle. Da die Atopische Dermatitis eine typische Th2 dominante Erkrankung ist, scheint es naheliegend, dass eine solche in der Schwangerschaft ausgelöst werden oder sich verschlechtern kann. Der Beginn liegt meist vor dem dritten Trimester. Die AEP wird in zwei Typen unterteilt: Der E-Typ kommt bei 2/3 der Betroffenen vor und geht mit ekzematösen Hautveränderungen an den für die Atopische Dermatitis typischen Stellen einher. Involviert sind meist Gesicht, Hals und Gelenkbeugen (Abb. 4 und 5). Bei einem Drittel der Fälle liegt der P-Typ vor. Hier finden sich disseminierte kleinpapulöse Läsionen an Extremitäten und Stamm oder Prurigoläsionen insbesondere an den Extremitätenstreckseiten. Nach der Geburt kommt es üblicherweise zur spontanen Abheilung, gelegentlich wird aber auch eine Persistenz über Monate beobachtet. Rezidive in weiteren Schwangerschaften sind aufgrund der persistierenden Atopischen Diathese häufig. Ein assoziiertes kindliches Risiko besteht nicht. Zur Behandlung kommen kühlende hydrophile Lotionen, Crèmes oder Schüttelmixturen evtl. mit 2% Menthol- oder Polidocanol-Zusatz in Frage. Schwache bis mittelstarke lokale Kortikosteroide können ebenfalls eingesetzt werden. Selten ist der Einsatz von systemischen Glukokortikoiden oder H1-Antagonisten nötig. Nach Abheilung ist eine pflegende Rückfettung weiter zu empfehlen, da meist auch eine ausgeprägte Xerodermie besteht.

Pustulöse Psoriasis in der Schwangerschaft (PPP)

Einige Autoren postulieren die Pustulöse Psoriasis in der Schwangerschaft, früher auch als Impetigo herpetiformis bezeichnet, als fünfte Schwangerschaftsdermatose. Bei dieser Hauterkrankung handelt es sich um eine sehr seltene Variante einer generalisierten pustulösen Psoriasis während der Schwangerschaft, welche aufgrund ihrer erheblichen fetalen und maternalen Morbidität nennenswert ist. Sie manifestiert sich üblicherweise im 3. Trimenon.
Es liegt ein schweres Krankheitsbild vor mit initial intertriginösen Erythemen, die sich auf proximale Extremitätenabschnitte und den Rumpf ausdehnen. Rasch bilden sich darauf konfluierende Pusteln. Es bestehen zudem Allgemeinsymptome wie Fieber und Malaise, laborchemisch finden sich erhöhte Entzündungszeichen sowie gelegentlich eine Hypokalzämie. Die Symptome persistieren meist bis zur Geburt, gelegentlich auch länger. Sowohl Mutter als auch Kind sind gefährdet. Als Folge der schweren Erkrankung der Mutter sind intrauteriner Fruchttod oder Frühgeburten aufgrund einer Plazentainsuffizienz möglich. Therapeutisch werden Prednison oder Cyclosporin verabreicht, bei Superinfektion eine adäquate antibiotische Therapie. Bei schweren therapieresistenten Fällen muss eine Beendigung der Schwangerschaft in Betracht gezogen werden (6).
Tabelle 3 fasst das maternale und fetale Risiko bei den spezifischen Schwangerschaftsdermatosen zusammen (7).

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Barbara Fleisch-Laetsch

Dermatologie Bad Ragaz
Fläscherstrasse 21
7310 Bad Ragaz

derma.ragaz@hin.ch

Prof. Dr. med. Stephan Lautenschlager

Chefarzt
Institut für Dermatologie und Venerologie
Stadtspital Zürich
Herman Greulich-Str. 70
8004 Zürich

stephan.lautenschlager@triemli.zuerich.ch

Die Autoren haben im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • In der Schwangerschaft finden wir physiologische Hautveränderungen, Schwangerschaftsdermatosen sowie positiv oder negativ beeinflusste Hauterkrankungen
  • Die heutige Nomenklatur umfasst 4 Schwangerschafsdermatosen: Pemphigoid gestationis (PG), Polymorphe Schwangerschaftsdermatose (PEP), Intrahepatische Schwangerschaftscholestase (ICP),
    Atopische Schwanger­schaftsdermatose (AEP)
  • Ausser der AEP manifestieren sich die Schwangerschaftsdermatosen üblicherweise erst im 3. Trimenon
  • Bei Pemphigoid gestationis und bei der Intrahepatischen Schwanger­schaftscholestase besteht ein fetales Risiko
  • Bei Pemphigoid gestationis, Intrahepatischer Schwangerschafts­cholestase und Atopischer Schwangerschaftsdermatose ist in Folge­schwangerschaften mit Rezidiven zu rechnen

1. Ambros-Rudolph CM. Dermatoses of pregnancy – clues to diagnosis, fetal risk and therapy. Ann Dermatol. 2011; 3:265-75
2. Ambros-Rudolph CM et al. The specific dermatoses of pregnancy revisited and reclassified: results of a retrospective two-centre study on 505 pregnant patients. J Am Acad Dermatol. 2006; 54:395-404
3. Ambros-Rudolph CM, Sticherling M. Spezifische Schwangerschaftsdermatosen. Hautarzt 2017;68: 87-94
4. Warshauer E, Mercurio M. Update on dermatoses of pregnancy. Int J Dermatol. 2013; 52:6-13
5. Ghosh S, Chaudhuri S. Intra-hepatic cholestasis of pregnancy: A comprehensive review. Indian J Dermatol. 2013; 58: 327
6. Roth M-M. Pegnancy Dermatoses. Diagnosis, Management and Controversies. Am J Clin Dermatol. 2011;12: 25-41
7. Lehrhoff St, Keltz Pomeranz M. Specific dermatoses of pregnancy and their treatment. Dermatologic Therapy. 2013;26:274-284