Älter werden ist nichts für Feiglinge

Wir werden nicht nur betagter, sondern altern auch immer mehr bei guter Gesundheit. Das Älterwerden lässt sich damit als eine Chance und Herausforderung sehen.

Älter werden ist nichts für Feiglinge», soll einst die bekannte US-Filmschauspielerin Mae West gesagt haben, die selbst hochbetagt im Alter von 87 Jahren starb. Nicht dass Jugendzeit und Erwachsenenphase ohne Herausforderungen wären. Trotzdem scheint «the Seniority» für viele ein übermächtig wirkender Gegner zu sein, dem man mangels Muts so lange wie möglich nicht entgegentreten will.

Bessere Gesundheit

Wer heute in der Schweiz 80 Jahre alt ist, ist im Durchschnitt biologisch-medizinisch in deutlich besserem Gesundheitszustand als Gleichaltrige vor 20 Jahren. Bei Personen mit Geburtsjahrgang 1950 werden voraussichtlich 5,3 Prozent der Männer und 9,5 Prozent der Frauen 100 Jahre alt. Von der Generation 2013 werden wahrscheinlich 17,6 Prozent der Männer und 23,9 Prozent der Frauen ihren 100. Geburtstag feiern können. Diese vielfach bei guter Gesundheit erlebte Hochaltrigkeit gründet nach heutiger Annahme auf einem gesunden Lebensstil mit ausgewogener Ernährung, regelmässiger körperlicher und geistiger Aktivität und einer konsequenten Kontrolle vaskulärer Risikofaktoren.
Tatsächlich erfährt heute vor allem die Forschung im Bereich des gesunden Alterns einen eigentlichen Höhenflug. Die bis anhin grösste von der EU finanzierte europäische Multizenter-Altersstudie «DO-HEALTH» zum Altern bei guter Gesundheit mit über 2100 Teilnehmern wurde kürzlich abgeschlossen. Die in wenigen Monaten erscheinende Publikation der Resultate wird zeigen, inwieweit ein einfaches Bewegungsprogramm und die Einnahme von Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren die Gesundheit von zu Hause lebenden, über 70-jährigen Senioren beeinflussen können.
Bereits erwiesen ist, dass eine proteinreiche Ernährung im Alter die Muskelmasse und -kraft erhalten lässt – was viel Potenzial für die Mobilität im Alter verspricht, im Alltag aber nicht ganz einfach umzusetzen ist. Schliesslich ist auch wissenschaftlich gesichert, dass die Gangsicherheit und die kognitive Fitness durch Aktivitäten wie Rhythmik, Tanz oder Tai Chi signifikant verbessert werden: Das Sturzrisiko der in einer Studie untersuchten im Mittel 75-jährigen Studienteilnehmer sank um rund die Hälfte, und die kognitiv-motorische Multitasking-Fähigkeit erhöhte sich.

Fortschritte in der Altersmedizin

Zu Recht wird immer wieder diskutiert, ob in unserer Gesundheitsversorgung die medizinischen Bedürfnisse älterer Patienten mit akuten spitalbedürftigen Erkrankungen adäquat befriedigt werden. Hier liegt es meist an den Hausärzten, zu entscheiden, ob die Akuterkrankung eines älteren Patienten mittels klassischer Organmedizin behandelt werden kann oder ob eine spezifisch altersmedizinische Hospitalisation notwendig ist.
Die akute Altersmedizin in der Schweiz ist eine Weiterentwicklung der allgemeinen Inneren Medizin mit Schwerpunkt-Zusatzausbildung in Geriatrie. Sie hat sich in den letzten Jahren massiv entwickelt und kann im schweizerischen Gesundheitssystem gleichzeitig zur akut-internistischen Behandlung intensive physiotherapeutische und frührehabilitative Massnahmen anbieten. Das ermöglicht bei drohender Schwächung durch die Akutkrankheit den grösstmöglichen Erhalt der funktionellen Unabhängigkeit älterer Patienten. Altersmedizinische Lehrinhalte sind im Medizinstudium in der Schweiz seit über zehn Jahren im universitären Lernzielkatalog enthalten und werden hier an allen Universitäten gelehrt.
Besonders interessant: Junge und angehende Ärzte und Ärztinnen sehen immer häufiger ihren Schwerpunkt in der Altersmedizin – die Kurve steigt seit Jahren exponentiell nach oben. In der Schweiz haben wir mittlerweile einen Versorgungsdeckungsgrad erreicht, der höher ist als in den USA. Angesichts der demografischen Entwicklung bleibt zu hoffen, dass dieser Trend anhält.

Komplexe Forschung

Entsprechend den multiplen Dimensionen der späten Lebensphase hat die moderne Forschung rund ums Alter unzählige Facetten. Das Alter wird zum Gegenstand biologischer, medizinischer, juristischer, philosophischer, ethischer, sozial-, wirtschafts-, politik- und kulturwissenschaftlicher Betrachtung. Angesichts der aktuellen demografischen Veränderungen werden die Forschungsaktivitäten weiter stark zunehmen.
Die medizinisch-klinische Forschung an älteren, häufig mehrfach kranken und funktionell eingeschränkten Patienten ist äusserst komplex. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass solche Patienten bei Medikamentenstudien immer noch systematisch ausgeschlossen werden. Als zu schwierig interpretierbar sowie auch zu risiko- und folgenreich werden mögliche Komplikationen eingeschätzt. Trotzdem kommen die gleichen Medikamente nach ihrer Zulassung auch bei der ausgeschlossenen Patientengruppe zum Einsatz.
Die Heterogenität im Gesundheitszustand vieler älterer Menschen macht es schwierig, auf wichtige klinische Forschungsfragen verlässliche, für die Klinik umsetzbare Antworten zu finden. Moderne altersmedizinische Forschung behilft sich deshalb für die Homogenisierung älterer Studienpopulationen immer mehr mit einer sogenannten «Frailty»-Klassifizierung. Hier werden ältere Menschen unabhängig von der Anzahl Diagnosen aufgrund ihres Gebrechlichkeitsgrads und ihrer vorhandenen funktionellen Reserven (auch: Stressresistenz) eingeteilt. Der Gebrechlichkeitsgrad orientiert sich an verschiedenen Gesundheitsdimensionen und lässt eine Einteilung in «fit», im Übergang zu «frail» und «frail» zu. Der Vorteil eines Studiendesigns mit definiertem «Frailty»-Grad ist evident: Studienresultate lassen sich damit später viel verlässlicher und einfacher in der Klinik umsetzen.
So forciert die älter werdende Gesellschaft den Fortschritt in der altersmedizinischen Lehre und Forschung – was wiederum den älteren Menschen zugute kommt. Sie werden nicht nur betagter, sondern altern auch immer mehr bei guter Gesundheit. Daraus sollten auch die von Mae West erwähnten Feiglinge Mut schöpfen. Denn das Älterwerden ist bekanntlich die einzige Möglichkeit, länger zu leben.
Zum Auftakt von 2020 wünsche ich allen Leserinnen und Lesern des Geriatrie Forums von Herzen alles Gute – und viel Vergnügen bei der Lektüre des nachfolgenden altersmedizinischen Fortbildungsbeitrages zu Konstipation im Alter von Mathias Schlögel in Zürich.

Prof. Dr. med. Reto W. Kressig, Basel

Prof. Dr. med. Reto W. Kressig

Ärztlicher Direktor & Klinischer Professor für Geriatrie
Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER & Universität Basel
Burgfelderstrasse 101
4002 Basel

RetoW.Kressig@felixplatter.ch

Obstipation im Alter

Die Obstipation ist bei älteren Menschen aufgrund ballaststoffarmer Ernährung, ungenügender Hydrierung, mangelnder Bewegung, Begleiterkrankungen und der Verwendung von Medikamenten mit obstipierender Nebenwirkung ein häufiges und leider oft unterschätztes Problem. Das Ziel dieses Artikels ist zum einen die Repetition von allbekanntem Wissen, zum anderen soll er Denkanstösse geben, um bisherige Haltungen, Verhaltens- und Vorgehensweisen zu reflektieren.

Die mit ca. 70% häufigste Form ist die chronisch funktionelle Obstipation, welche mit den 2016 veröffentlichten ROM-IV-Kriterien diagnostiziert werden kann (Tab. 1) (1, 2). Diese bilden den internationalen Goldstandard, werden aber wegen ihrer Komplexität nur selten systematisch angewandt. Im Alltag sind die Kriterien jedoch als offene Fragen eine wichtige Hilfestellung, um den pathophysiologischen Mechanismus der Obstipation beim Patienten besser zu verstehen. Die mit ca. 20-30% zweithäufigste Ursache der Obstipation ist die Defäkationsstörung bzw. Stuhlentleerungsstörung. Im weiteren Verlauf liegt das Hauptaugenmerk auf der chronisch funktionellen Obstipation.

Anamnese

Das Thema der Obstipation ist im Alter oftmals mit Scham behaftet, sodass einer adäquaten Kommunikation ein besonderer Stellenwert zukommt. Eine Reflexion über die vielfältigen Asymmetrien in der Kommunikation mit älteren Patienten kann dabei helfen, deren kommunikative Bedürfnisse besser zu erkennen (Experte − Laie; gesund − krank, selbständig − abhängig, kognitiv gesund − kognitiv beeinträchtigt, jung − alt). Folgende Besonderheiten sind bei der Anamneseerhebung älterer Patienten u.a. zu beachten (3):

  • Auch bei voller Kooperation erwähnen ältere Patienten oftmals Symptome nicht, weil sie glauben, diese seien Teil des normalen Alterungsprozesses (Tab. 2).
  • Erkrankungen können sich bei Älteren lediglich in Form von funktionellem Abbau äussern, so dass diagnostische Standardfragen teilweise weniger funktionieren.

Es kann zum Beispiel sein, dass Patienten mit Obstipation auf die Frage nach Begleiterscheinungen nicht über Schmerzen, Nausea oder Erbrechen berichten, dass sie aber, wenn sie nach Veränderungen und Schwierigkeiten bei der Ausführung der grundlegenden Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) (4) oder der instrumentellen ADL (IADL) (5) befragt werden, erzählen, dass sie aufgrund von zunehmenden Bauchschmerzen nicht mehr Spazierengehen.
Bei kognitiv gesunden älteren Patienten sollte neben der Stuhlfrequenz und -konsistenz auch geklärt werden, ob sich der Patient anstrengen muss oder ob er perineale Manöver (z.B. Druck auf das Perineum, Gesässbereich oder die rekto-vaginale Wand) beim Stuhlgang anwendet. Ausserdem sollte die Zufriedenheit nach dem Stuhlgang, die Häufigkeit und Dauer der Verwendung von Abführmitteln oder Einläufen sowie das Vorkommen und die Menge von Blutbeimengungen im Stuhl eruiert werden. Fragen nach bekannten Ursachen einschliesslich früheren abdominalen Operationen und Symptomen von metabolischen (z.B. Hypothyreoidismus, Diabetes mellitus) und neurologischen (z.B. Parkinson-Krankheit, multiple Sklerose, Rückenmarkverletzung) Erkrankungen, der Verwendung verschreibungspflichtiger (v.a. Anticholinergika und Opioide) und rezeptfreier Arzneimittel sowie Fragen zu Ernährungsgewohnheiten und Mobilisation runden das Anamnesegespräch ab. Im Umgang mit dementen Patienten können auffällige Verhaltensweisen oder Symptome wie Unruhe, Aggression und/oder sozialer Rückzug atypische Anzeichen von Schmerzen im Rahmen einer möglichen Obstipation sein (3). Die American Geriatric Society hat 2002 eine Leitlinie der verhaltensbezogenen Schmerzindikatoren herausgegeben, welche vor allem für die Schmerzbeurteilung bei kognitiv eingeschränkten Personen angewendet werden kann, wobei ein breites Spektrum verbaler und nonverbaler sowie verhaltensbezogener Kriterien abgedeckt werden (Tab. 3) (6).

Zusammenarbeit mit Angehörigen und anderen medizinischen Fachpersonen

Insbesondere bei hochbetagten oder kognitiv beeinträchtigten Patienten ist eine enge Zusammenarbeit sowie eine gute Kommunikation mit den Angehörigen und den beteiligten medizinischen Fachpersonen eine wichtige Voraussetzung für die Anamnese bzw. den Behandlungserfolg. Im Sinne der Befunderhebung können v.a. pflegende Angehörige und die zuständigen professionellen Pflegepersonen (v.a. auch Spitex oder stationär tätige Pflegepersonen inklusive Pflegedokumentation) wichtige Hinweise geben. Informationen zur Ernährungssituation werden nicht nur von Ärzten erhoben, sondern oft sind Krankenpflegekräfte die Ersten, die sich um Fragen der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr kümmern. Erfahrungsgemäss kommt nämlich rasch eine Fülle an diagnostisch und therapeutisch essentiellen Informationen zusammen, wenn viele Augen aus unterschiedlichen Disziplinen sie wahrnehmen (3).

Körperliche Untersuchung

Es wird eine Ganzkörperuntersuchung mit Konzentration auf Zeichen einer Systemkrankheit inkl. Fieber und Kachexie durchgeführt. Abdominale Massen sollten durch Palpation festgestellt werden. Eine rektale Untersuchung sollte nicht nur zur Feststellung von Fissuren, Stenosen, Blut oder Massen (einschliesslich Koteinklemmung) erfolgen, sondern auch zur Beurteilung des analen Ruhetonus oder der perinealen Senkung während der simulierten Stuhlentleerung und der rektalen Sensibilität.

Warnhinweise

Bestimmte Befunde begründen den Verdacht auf eine ernstere Ursache der chronischen Verstopfung:

  • aufgetriebener, tympanitischer Bauch
  • Erbrechen
  • Blut im Stuhl
  • Gewichtsverlust
  • schwere Verstopfung, die erst kürzlich aufgetreten ist bzw. sich verschlimmert bei älteren Patienten.

Stufenweise Abklärung

Die Obstipation mit einer klaren Ursache (z.B. Medikamente, Bettruhe) kann symptomatisch ohne weitere Untersuchungen behandelt werden. Die meisten Patienten ohne klare Ätiologie erfordern eine Laboruntersuchung (Untersuchung des Blutbildes, TSH, Nüchternglukose, Elektrolyte und Kalzium) sowie eine allfällige Koloskopie. Weitere Untersuchungen bleiben in der Regel Patienten mit pathologischen Ergebnissen der oben diskutierten Tests vorbehalten oder jenen, die nicht auf eine symptomatische Behandlung ansprechen (7, 8).
Allgemeinmassnahmen wie das Absetzen der verursachenden Medikamente (einige können notwendig sein!), die Steigerung der Ballaststoffzufuhr, ausreichend Flüssigkeit bzw. Bewegung bilden die Basis der Behandlung der chronischen Obstipation (Tab. 4). Als Stufe 1-Medikament empfiehlt sich ein Ballaststoff (Kleie, Flohsamen), wobei man dabei nicht vergessen werden darf, dass dies eine ausreichende Trinkmenge voraussetzt, da nur so der gewünschte Quelleffekt entstehen kann. Ein Versuch mit einer kurzen Anwendung osmotischer Abführmittel stellt die 2. Stufe dar. Osmotische Substanzen enthalten schwer resorbierbare polyvalente Ionen (z.B. Magnesium, Phosphat, Sulfat), Polymere (z.B. Polyethylenglycol z.B. Macrogol: 1. Wahl) oder Kohlenhydrate (z.B. Lactulose, Sorbit; 2. Wahl) die im Darm verbleiben, somit den intraluminalen osmotischen Druck erhöhen und auf diese Weise Wasser ins Intestinum ziehen. Das entsprechend zunehmende Volumen des Darminhalts stimuliert die Peristaltik. Die Ursache für die Opioid-induzierte Obstipation liegt in der Bindung der Medikamente an enterische μ-Opioidrezeptoren, die den Darmtonus und die Kontraktilität verringern und die Absorption von Dickdarmflüssigkeit erhöhen. Betroffen sind dabei je nach Setting zwischen 41% bis 94% der Opioidkonsumenten (9). Ende des vergangenen Jahres publizierte die «American Gastroenterological Association” Richtlinien für die medikamentöse Therapie der Opioid-induzierten Obstipation (10). Traditionelle Abführmittel wie Stuhlweichmacher und osmotische, Stimulantien und Gleitmittel werden als Erstbehandlung von Opioid-induzierter Obstipation (starke Empfehlung; mässige Evidenz) empfohlen. Die peripher wirksamen μ-Opioid-Rezeptorantagonisten (PAMORAs) wie Naldemedin (hohe Evidenz) oder Naloxegol (moderate Evidenz) sollten angewendet werden, wenn trotz der Therapie mit ≥ 2 traditionellen Laxanzien eine moderate bzw. schwere Obstipation weiterhin besteht. Entscheidend an diesem Therapieansatz ist, dass diese die Ursachen der Opioid-induzierten Obstipation, nämlich die periphere μ-Opioidrezeptor-Aktivierung mit der daraus resultierenden Hemmung der Darmmotorik und -sekretion angreifen, gleichzeitig jedoch nicht die analgetische Wirkung der Opioide im ZNS beeinträchtigen, also die Blut-Hirn-Schranke nicht in pharmakologisch relevantem Ausmass passieren (9 – 11).

Dr. med. Mathias Schlögl, MPH, EMBA HSG

Department für Innere Medizin
Abteilung für Akutgeriatrie, Geriatrische Rehabilitation & Langzeitpflege
5017 Barmelweid

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

  • Die Therapie sollte stufenweise erfolgen, eine Kombinationstherapie von oralen und rektalen Präparaten ist oft sinnvoll.
  • Auch bei voller Kooperation erwähnen ältere Patienten oftmals Symptome nicht, weil sie glauben, diese seien Teil des normalen Alterungsprozesses.
  • Eine gründliche Anamnese sowie die Zusammenarbeit mit Angehörigen und anderen medizinischen Fachpersonen bildet die Grundlage für den Therapieerfolg.

1. Schmulson MJ, Grossman DA. What Is New in Rome IV. J Neurogastroenterol Motil. 2017 Apr 30;23(2):151–63.
2. Drossman DA, Hasler WL. Rome IV-Functional GI Disorders: Disorders of Gut-Brain Interaction. Gastroenterology. 2016 May;150(6):1257–61.
3. Schlögl M, Schietzel S, Kunz R, Savaskan E, Kressig RW, Riese F. [The Physical Examination of an »Uncooperative” Elderly Patient]. Praxis. 2018 Sep;107(19):1021–30.
4. KATZ S, FORD AB, MOSKOWITZ RW, JACKSON BA, JAFFE MW. STUDIES OF ILLNESS IN THE AGED. THE INDEX OF ADL: A STANDARDIZED MEASURE OF BIOLOGICAL AND PSYCHOSOCIAL FUNCTION. JAMA. 1963 Sep 21;185:914–9.
5. Lawton MP, Brody EM. Assessment of older people: self-maintaining and instrumental activities of daily living. The Gerontologist. 1969 Autumn;9(3):179–86.
6. The management of persistent pain in older persons. J Am Geriatr Soc. 2002 Jun;50(6 Suppl):S205-224.
7. Wald A. Update on the Management of Constipation. JAMA. 2019 Nov 4;
8. Bharucha AE, Dorn SD, Lembo A, Pressman A. American Gastroenterological Association medical position statement on constipation. Gastroenterology. 2013 Jan;144(1):211–7.
9. Rao VL, Micic D, Davis AM. Medical Management of Opioid-Induced Constipation. JAMA. 2019 Nov 4;
10. Hanson B, Siddique SM, Scarlett Y, Sultan S. American Gastroenterological Association Institute Technical Review on the Medical Management of Opioid-Induced Constipation. Gastroenterology. 2019 Jan;156(1):229-253.e5.
11. Pannemans J, Vanuytsel T, Tack J. New developments in the treatment of opioid-induced gastrointestinal symptoms. United Eur Gastroenterol J. 2018 Oct;6(8):1126–35.

Update – Depression im Alter

Depressionen zeigen im Alter zwar einige typische Charakteristika, werden aber nach den gleichen Kriterien wie bei Jüngeren diagnostiziert. Organische Ursachen und insbesondere bei ausgeprägten kognitiven Störungen sollte eine Demenz ausgeschlossen werden. Auch im Alter sollten depressive Patienten in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung gleichzeitig mit individuellen psychosozialen Interventionen sowie einer psychotherapeutischen und einer psychopharmakologischen Therapie behandelt werden.

Depressionen sind mit einer Prävalenz von 5 bis 10% die häufigsten psychischen Störungen bei über 65-Jährigen (1). Eine Altersdepression wird nach den ICD-10 (2) oder DSM-5-Kriterien (3) diagnostiziert. Zusätzlich werden oft psychometrische Verfahren wie die Geriatrische Depressionsskala angewendet (4). Häufig leiden Patienten mit chronischen körperlichen Erkrankungen unter depressiven Störungen. So können zerebrovaskuläre Schädigungen, chronische Entzündungen oder auch altersbedingte hormonelle und immunologische Veränderungen die Integrität frontostriataler Kreisläufe sowie der Amygdala und des Hippocampus beeinträchtigen und so die Vulnerabilität für Depressionen erhöhen (5). Darüber hinaus sind spezifische psychosoziale Belastungen im Alter, wie z.B. soziale Isolation, Risikofaktoren für eine Depression (6). Vegetative Symptome und Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen, der Aufmerksamkeit, der Informationsverarbeitung, der psychomotorische Geschwindigkeit und des Arbeitsgedächtnisses sind üblich. Insbesondere subkortikale vaskuläre Veränderungen sind in der Pathophysiologie der Altersdepression bedeutsam (7): es existiert das Konzept einer durch entsprechende magnetresonanztomographischer Befunde definierten vaskulären Depression (8-11). Das Suizidrisiko ist bei älteren Menschen, insbesondere bei älteren Männern, deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung (12). Insgesamt weist die Altersdepression charakteristische Merkmale auf, die sie von depressiven Störungen im jüngeren Lebensalter unterscheidet (13). So scheinen subsyndromale, weniger stark ausgeprägte depressive Zustandsbilder im Alter häufiger zu sein als bei jüngeren Menschen (14). Dies kann dazu führen, dass die Störung bei Älteren verkannt und als Teil des Alterungsprozesses betrachtet wird. Eine subsyndromale depressive Störung ist im Alter möglicherweise mehr mit somatischen Beschwerden und weniger mit psychiatrischen Komorbiditäten assoziiert als bei jüngeren Patienten (15).

Diagnostik und Komorbidität

Insbesondere bei erstmaligen depressiven Störungen im Alter müssen hirnorganische oder andere somatische Ursachen differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. Als Basis-Labordiagnostik wird die Bestimmung einer Routine-Hämatologie und Blutchemie (Elektrolyte, Calcium, Glucose, Leber- und Nierenfunktionsparameter), von Vitamin B12 sowie eine Abklärung der Schilddrüsenfunktion empfohlen. Darüber hinaus sollte eine strukturelle kranielle Bildgebung, wenn möglich eine Magnetresonanztomografie erfolgen. Bei entsprechenden Verdachtsdiagnosen sind weitere laborchemische, liquoranalytische und apparative Untersuchungen indiziert (1).

Abgrenzung von einer Demenz

Da Altersdepressionen häufig mit kognitiven Beeinträchtigungen verbunden sind und Demenzen mit depressiven Symptomen einhergehen können, ist eine oft nicht einfache differentialdiagnostische Abgrenzung beider Syndrome erforderlich. Insbesondere dann, wenn deutliche kognitive Störungen bei älteren Depressiven auftreten, sollten sie genau überwacht, und gegebenenfalls durch weitere Diagnostik und Verlaufsbeobachtung eine dementielle Entwicklung ausgeschlossen werden (16). Olin und Kollegen (17, 18) haben Kriterien vorgeschlagen, um schwere Depressionen und Depressionen bei der Alzheimerschen Erkrankung (AD) zu unterscheiden. Dementsprechend kann eine Depression aufgrund von AD diagnostiziert werden, wenn alle Kriterien der Demenz vom Alzheimer-Typ erfüllt sind und drei (oder mehr) typische depressive Symptome während derselben zweiwöchigen Periode beobachtet wurden. Mindestens eines der Symptome sollte entweder eine depressive Stimmung oder ein verminderter positiver Affekt sein. Die Symptome sind oft weniger schwerwiegend und durchgängig als bei schweren Depressionen. Sie bestehen oft nicht länger als sechs Monate (19). Alter bei Auftreten, Schwere und Verlauf der kognitiven Veränderung, subjektive Gedächtnisstörungen und typische Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen können bei der Differentialdiagnose helfen.
AD ist eine klinische Entität, die typischerweise durch ein progressives amnestisches Syndrom mit zusätzlichem Auftreten weiterer Störungen von Kognition und Verhalten gekennzeichnet ist (20). Dieses amnestische Syndrom des Hippocampus-Typs ist durch eine Enkodierschwäche (Probleme bei der Einspeicherung von mentalen Inhalten) gekennzeichnet (21). Dies führt zu einer Verschlechterung des freien Abrufs, die nicht durch Abrufhilfen verbessert werden kann (22).
Bei einer depressiven Störung gibt es kein echtes Speicherdefizit; es können vielmehr Aufmerksamkeitsprobleme beobachtet werden, die die Enkodier- oder Abrufstrategien beeinträchtigen (23). Daher kann die Differentialdiagnose zwischen AD und einer reinen depressiven Störung verbessert werden, indem neuropsychologische Untersuchungsverfahren verwendet werden, die Enkodierung mit semantischen Hinweisen und eine Abruferleichterung mit denselben Hinweisen verbinden (24,25). Eine Verbesserung des Abrufs bei wiederholter Exposition und Fazilitation findet sich in der Regel bei Depressionen, während eine flache Lernkurve trotz wiederholter Exposition, ein schnelles Vergessen, die fehlende Wirksamkeit von Abrufhinweisen und Intrusionen typisch für AD sind.

Biomarker zur Unterscheidung von Depression und AD

Während es für Depressionen keine etablierten fluiden Biomarker gibt, wurden drei relevante Biomarker im Liquor bei AD gefunden: Gesamt-Tau (T-Tau, ein Marker, der die kortikale axonale Degeneration widerspiegelt), Phospho-Tau (P-Tau, ein Marker, der die Tau-Phosphorylierung und die AD-typischen pathologischen neurofibrillären Bündel widerspiegelt), und die 42 Aminosäuren lange Form von Amyloidβ (Aβ1-42, ein Marker der Plaque-Pathologie) (26). Diese Biomarker können verwendet werden, um zu untersuchen, ob Patienten mit depressiven Symptomen AD-pathologische Veränderungen aufweisen. Depression an sich führen nicht zu einem AD-ähnlichen Biomarkermuster im Liquor, d.h. zu erhöhten T-Tau- und P-Tau-Konzentrationen und reduzierten Spiegeln von Aβ1-42 (27), obwohl geringfügig verringerte Aβ1-42-Konzentrationen bei reinen Depressionen berichtet wurden (28). Ein positives AD-Biomarkermuster ist zu etwa 90% spezifisch für die AD-Neuropathologie, schliesst jedoch eine Komorbidität von AD und Depression nicht aus (29).
Eine Quantifizierung der Hippocampus-Atrophie in magnetresonanztomografischen Untersuchungen (MRI) und der Läsionen der weissen Substanz des Gehirns können helfen, um eine Altersdepression von einer Demenz zu unterscheiden. Rezidivierende depressive Episoden können aber auch zu einer Hippocampus-Atrophie führen, während eine hohe Anzahl von Läsionen der weissen Substanz ein häufiger Risikofaktor für spät beginnende Depressionen und vaskuläre Demenzen ist (30,31).
Studien, die das Ausmass der Hippocampusatrophie bei Altersdepression und AD vergleichen, zeigen typischerweise eine deutlich ausgeprägtere Atrophie bei AD (89). Der cinguläre Kortex und der Precuneus scheinen am besten geeignet, AD von einer Depression zu unterscheiden (32).

Depression und Komorbidität

Depressionen sind häufige komorbide Erkrankungen bei bis zu 25 % der Patienten mit Morbus Parkinson (33), und es besteht eine grosse Sensitivität hinsichtlich blutdrucksenkender und motorischer Nebenwirkungen bei antidepressiver Therapie (34).
Eine hohe Komorbidität zwischen Depression und Abhängigkeitserkrankungen findet sich vor allem bei älteren Personen (35). Dabei ist insbesondere das gemeinsame Auftreten von einer depressiven Störung und einer Alkoholabhängigkeit mit einem hohen Suizidrisiko assoziiert (36). Auch die Komorbidität von Depression und Benzodiazepinabhängigkeit ist im Alter hoch (37), was nicht selten auf eine ungerechtfertigte Verordnung von Benzodiazepinen anstelle von Antidepressiva zurückzuführen ist.
Zwischen Depression im Alter und kardiovaskulären Erkrankungen besteht ein enger Zusammenhang. Kardiovaskuläre Ereignisse erhöhen das Risiko für Depressionen, und eine Depression ist wiederum ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Das Risiko für ischämische Herzerkrankungen ist um das 1,5- bis 2-Fache erhöht. Umgekehrt zeigen ca. 20 % der Patienten nach einem Myokardinfarkt eine Depression, was wiederum die Mortalität bei diesen Betroffenen um das 3,5-Fache in den ersten sechs Monaten nach dem Ereignis erhöht (38).
Eine Depression erhöht auch das Risiko für Diabetes mellitus, Adipositas und Hypertension (39). Dabei ist der Zusammenhang zwischen der Depression und dem metabolischen Syndrom bidirektional.
Seit Langem sind Medikamente als iatrogene Ursachen für Depressionen bekannt. Insbesondere bei non-selektiven Betablockern, systemisch wirkenden Kortikosteroiden, Kalziumantagonisten und Benzodiazepinen sind Assoziationen mit Depressionen beschrieben (40).

Behandlung

Auch im Alter sollten depressive Patienten in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung gleichzeitig mit individuellen psychosozialen Interventionen sowie einer psychotherapeutischen und einer psychopharmakologischen Therapie behandelt werden.
Psychosoziale Interventionen zielen darauf ab, die depressiven Symptome zu vermindern, das Suizidrisiko zu reduzieren, die sozialen Kontakte aufrecht zu erhalten und das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu verbessern. So scheinen angeleitete Selbsthilfe, Psychoedukation, Problemlösetraining, physische Aktivierung, Rekreationstherapie (befriedigende Freizeitgestaltung), Entspannungsverfahren, Verbesserung der sozialen Kompetenz, Ergotherapie sowie künstlerische Therapien (Musik-, Kunst-, Bewegungs- und Tanztherapie) hilfreich zu sein (41).

Psychotherapie

Spezifische Psychotherapieverfahren sind auch bei Depression im Alter wirksam (42). Die bei der psychotherapeutischen Behandlung von Depressionen in früheren Lebensphasen etablierten Verfahren und Techniken können prinzipiell für ältere Menschen übernommen, müssen jedoch grundsätzlich vor deren Einsatz auf notwendige Anpassungen überprüft werden. Entsprechend verschieben sich bei den Voraussetzungen einer Alterspsychotherapie die Anforderung an Elastizität und Flexibilität von Seiten des Patienten auf diejenige des Therapeuten und dessen therapeutischen Verfahrens. Die notwendigen Modifikationen können therapieschulübergreifend dargestellt werden, so dass für die Alterspsychotherapie eine theoretisch begründete Annährung der psychotherapeutischen Schulen konstatiert werden kann: mit einer erhöhten Zielorientierung sowie einer nicht-neutralen therapeutischen Haltung auf Seiten psychodynamischer Verfahren und einer verminderten Veränderungsorientierung sowie Integration einsichtsorientierter und akzeptanzfördernder Techniken auf Seiten der kognitiven Verhaltenstherapie. Entsprechend können integrative Psychotherapieverfahren, wie insbesondere die Interpersonelle Psychotherapie (IPT), sehr gut die Anforderungen der Alterspsychotherapie erfüllen. Vor diesem Hintergrund stellt die Erschliessung weiterer integrativer und evidenzbasierter Verfahren einen zentralen Schritt dar, ältere depressive Patienten noch besser in die psychotherapeutische Versorgung zu integrieren (43).

Psychopharmakologische Therapie

Auch bei Patienten in höherem Lebensalter mit mittelschweren bis schweren Depressionen ist der Einsatz von Antidepressiva indiziert, auch wenn ihre Effektstärke mit zunehmendem Alter möglicherweise abnimmt (44,45).
Selektive Serotonin Re-Uptake-Inhibitoren (SSRIs) zeigen bei älteren Personen eine gute Wirksamkeit (46). Als unerwünschte Wirkung ist insbesondere das Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) zu beachten. Für Citalopram und Escitalopram wurde eine Verlängerung der QTc-Zeit beschrieben und eine Dosisbegrenzung sowie eine Kontraindikation bei Kombination mit potentiell QTc-zeitverlängernden Medikamenten festgelegt. Sertralin scheint innerhalb der Klasse der SSRIs das günstigste Nutzen/Risiko-Profil zu haben.
Bei älteren Patienten gibt es sowohl für den selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Re-UptakeInhibitor (SNRI) Duloxetin (47,48) als auch für Venlafaxin (49, 50) gute Wirksamkeitsnachweise. Beide scheinen kognitive Störungen und Schmerz positiv zu beeinflussen (51). Zu beachten sind Miktionsstörungen und bei Venlafaxin ein möglicher blutdrucksteigernder Effekt.
Auch Moclobemid zeigte in mehreren Studien bei älteren Patienten eine gute antidepressive Wirksamkeit mit positivem Einfluss auf kognitive Störungen (52). Aufgrund der pharmakodynamischen Medikamenteninteraktion ist eine Kombination mit serotonergen Antidepressiva kontraindiziert.
Die Wirksamkeit von Bupropion wurde in zwei placebokontrollierten Studien und einer Vergleichsstudie mit Paroxetin bei älteren Patienten nachgewiesen. Auch hier scheint es einen positiven Einfluss auf kognitive Störungen zu geben. (53). Zu beachten ist eine Krampfschwellen-senkende Wirkung, weshalb die Substanz bei Epilepsie kontraindiziert ist.
Auch Mirtazapin ist bei älteren Patienten wirksam (54). Günstig scheint der Einfluss auf den Schlaf und eine Schmerzsymptomatik zu sein. Zu beachten sind die Induktion eines Restless-Legs-Syndroms und eine Gewichtszunahme. Trazodon hat bei älteren Patienten sowohl in placebokontrollierten Studien als auch in Vergleichsstudien seine Wirksamkeit, insbesondere auch mit positivem Einfluss auf Schlaf und Kognition, gezeigt (55). Es besteht ein leicht erhöhtes Risiko für kardiale Reizleitungsstörungen.
Für Agomelatin existieren bis zum Alter von 75 Jahren eine placebokontrollierte Studie mit positivem Wirksamkeitsnachweis und diverse offene klinische Studien (56). Es scheint einen positiven Einfluss auf Schlaf und Kognition zu geben. Wichtig ist die Kontrolle der Leberwerte (57).
Vortioxetin ist ein kürzlich zugelassenes, multimodales Antidepressivum, das in einer placebokontrollierten, randomisierten Studie bei älteren Depressiven im Vergleich zu Placebo eine signifikant überlegene Wirkung und im Vergleich mit einer Vergleichssubstanz eine äquivalente Wirkung zeigte (47). Speziell positive Effekte auf die Kognition wurden nachgewiesen.
Bei jüngeren Patienten sind Johanniskrautextrakte für die Behandlung leichter und mittelschwerer Depressionen zugelassen. Für ältere Patienten gibt es keine Studiendaten. Wegen des Interaktionspotenzials (Induktion von CYP450 und P-Glykoprotein), sollte es insbesondere bei älteren, polypharmazierten Patienten vorsichtig eingesetzt werden (1).
Obwohl die Wirksamkeit von tri- und tetrazyklischen Antidepressiva auch bei älteren Patienten gut belegt ist (58), sollten sie aufgrund ihrer unerwünschten Wirkungen (anticholinerge, orthostatische und kardiovaskuläre Effekte) bei älteren Patienten nicht als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden.

Spezialisierte Therapien

Bei Therapieresistenz sollte ein Spezialarzt hinzugezogen werden. Dosiserhöhung oder Substanzwechsel: Es sollte zunächst eine Dosiserhöhung mit Bestimmung der Plasmaspiegel erfolgen. Zudem kann durch die Bestimmung des ABCB1-Genotyps die pharmakokinetische Situation an der Blut-Hirn-Schranke in die Therapieplanung einbezogen werden. Ungefähr siebzig Prozent aller erhältlichen Antidepressiva werden durch P-Glykoproteine (P-gp), sogenannte Transportermoleküle, an der Blut-Hirn-Schranke, am Übergang ins Hirngewebe gehindert. Der genetische Bauplan des P-Glykoproteins ist im ABCB1-Gen verankert, das beim Menschen in unterschiedlichen Varianten vorliegt. Je nach ABCB1-Genotyp dringt ein Antidepressivum leichter oder schwerer ins Hirngewebe ein. Der Testbefund enthält Informationen darüber, ob ein Antidepressivum in ausreichender Menge ins Hirngewebe eindringen kann (59). Wenn diese Massnahmen keinen Erfolg zeigen, sollte entweder ein Wechsel des Antidepressivums, eine Kombination zweier Antidepressiva oder eine Augmentationsbehandlung erfolgen. Wegen der häufigen Polypharmazie bei älteren Patienten erscheint ein Substanzwechsel am sinnvollsten (60). Falls Kombinationen in Erwägung gezogen werden, ist aufgrund der Evidenzlage bei jüngeren Patienten eine Kombination von SSRIs oder SNRIs mit Mirtazapin oder Bupropion sinnvoll (61). Eine Kombination eines Antidepressivums mit einem Antipsychotikum wird bei einer Depression mit psychotischen Symptomen empfohlen.
Zur Augmentation eignen sich Lithium sowie atypische Antipsychotika (Quetiapin, Aripiprazol, Olanzapin) zusätzlich zum Antidepressivum (62, 63). Eine grössere Zahl an Studien bei älteren Patienten zeigt Vorteile der Lithium-Augmentation im Vergleich zum Einsatz von Antipsychotika. Antipsychotika lassen sich jedoch leichter eindosieren, und es müssen keine Blutspiegelkontrollen erfolgen. Bei der Lithium-Augmentation bei älteren Patienten kann ein Blutspiegel von 0,4 mmol/l ausreichend sein (bei Rezidivprophylaxe 0,4– 0,6 mmol/l). Wenn nach vier Wochen bei Spiegeln im therapeutischen Bereich kein Ansprechen zu beobachten ist, sollte ein Wechsel der Strategie erfolgen. Ist die Augmentation erfolgreich, sollte die Kombinationsbehandlung mindestens ein Jahr fortgeführt werden (64). Generell gelten schwere Nierenfunktionsstörungen und schwere Herz- und Kreislaufkrankheiten, sowie Störungen des Natriumhaushalts als Kontraindikationen für eine Lithium-Augmentation. Bei Gabe von atypischen Antipsychotika sind mögliche anticholinerge Wirkungen zu beachten, da sich dadurch kognitive Leistungen verschlechtern und Delirien, v.a. bei komorbider Demenz, begünstigt werden.
Schlafentzug ist auch bei älteren Patienten mit Depression eine gut wirksame und nebenwirkungsarme Behandlung, deren Effekt bei ca. 60 % der Patienten rasch einsetzt (65, 66). Nach der Erholungsnacht mit Schlaf haben die meisten Patienten jedoch einen Rückfall in die Depression, weshalb eine Kombination mit Antidepressiva in der Regel empfohlen wird.
Auch Lichttherapie bei der Behandlung von saisonalen Depressionen scheint bei älteren Patienten wirksam zu sein (67).
Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ist auch im Alter wirksam (68). Sie wird vor allem bei therapieresistenten Depressionen eingesetzt. Allerdings kommt es bei EKT häufig zu Rückfällen, weshalb meist eine begleitende Antidepressiva-Pharmakotherapie erfolgen muss (69). Amnesien können bei älteren Personen stärker sein. (70). Auch die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) scheint bei älteren Patienten wirksam zu sein (71).
Die Europäische Kommission hat Esketamin zugelassen, und eine Zulassung in der Schweiz wird für dieses Jahr erwartet. Die als Nasenspray entwickelte Arznei ist in Kombination mit einem SSRI oder SNRI indiziert bei Erwachsenen mit therapieresistenter Major Depression (TRD). Eine TRD liegt vor, wenn Patienten in der aktuellen mittelgradigen bis schweren depressiven Episode auf mindestens zwei unterschiedliche Therapien mit Antidepressiva nicht angesprochen haben. In einer Studie bei über 65-jährigen zeigte die zusätzliche Gabe der Substanz keine Überlegenheit gegenüber Placebo bei den primären Endpunkten. In nachträglichen Analysen fanden sich positive Effekte bei den 65 – 74-jährigen und bei den Patienten, die vor dem 55. Lebensjahr erstmals an einer Depression erkrankt waren. Dies deutet auf die ätiologische Heterogenität von Depressionen im Alter, insbesondere mit einem höheren Anteil von hirnorganischen Faktoren, hin, die bei der Behandlung (und auch bei der Studienplanung) berücksichtigt werden müssen (72).

Prof. Dr. med. Thomas Leyhe †

Alterspsychiatrie, Universitäre Altersmedizin Felix Platter
Burgfelderstrasse 101
4055 Basel
thomas.leyhe@felixplatter.ch
und Zentrum für Alterspsychiatrie
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Wilhelm Klein-Strasse 27
4002 Basel

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Depressionen sind die häufigsten psychischen Störungen im Alter.
  • Insbesondere organische Ursachen sollten durch gezielte Zusatzdiagnostik ausgeschlossen werden.
  • Bei ausgeprägten kognitiven Störungen muss differentialdiagnostisch eine Demenzerkrankung in Erwägung gezogen werden.
  • Auch im Alter sollten depressive Patienten in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung gleichzeitig mit individuellen psychosozialen Interventionen sowie einer psychotherapeutischen und einer psychopharmakologischen Therapie behandelt werden.

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Urininkontinenz im Alter

Die Inkontinenz der betagten Frau wird aus gynäkologischer Sicht beleuchtet. Wir skizzieren die grundsätzliche Problematik, eine angepasste Abklärung und zeigen Therapieoptionen, deren Gefahren und die Grenzen des Machbaren auf.

Die Gruppe «alte Menschen» ist heterogen. Sie reicht von der aktiven Seniorin bis zu der kaum mobilen Pflegeheimbewohnerin. Die Inkontinenz nimmt mit dem Alter (1) und Gebrechlichkeit zu (2) (Abb. 1).
Die Ursachen sind multifaktoriell. Altersbedingte anatomische Veränderungen, chronische Krankheiten, Polypharmazie, sowie funktionelle und kognitive Einschränkungen spielen eine Rolle. Inkontinenz ist ein geriatrisches Syndrom, das auch ohne Störung im Urogenitaltrakt vorkommen kann (3). Die Inkontinenz ist demnach als Marker für die Gebrechlichkeit zu verstehen und die Inkontinenz ist nicht selten – wie auch eine neurokognitive Störung – Grund für eine Heimeinweisung (4, 5). Neurokognitive Störung und Inkontinenz gehen Hand in Hand (6). In der Urodynamik erkennt man aber lediglich die messbare Detrusor Überaktivität (7), welche dem Krankheitsbild nicht gerecht wird.
Beim alten Menschen bewegen wir uns zwischen therapeutischem Nihilismus und Überbehandlung. Die Therapie verlangt beim alten Menschen eine breitere Sichtweise und den Einbezug von Haus- und Heimarzt, von Pflege und Angehörigen.

Altersbedingte Veränderungen des Urogenitalsystems

Altersbedingte Veränderungen der Blase

Tendenziell sinkt das miktionierte Urinvolumen, der Detrusor wird instabiler, der Resturin nimmt zu, die relative Blasenkapazität wird dabei geringer (8), wobei urodynamische Befunde nur schwach mit der Klinik korrelieren (9). Auch die Kontraktilität der Blase nimmt mit dem Alter ab (10). Die Hypokontraktilität der Blase und der damit zunehmende Restharn kann zur Pollakisurie und Nykturie beitragen (11). Ein instabiler Detrusor in Kombination mit einer reduzierten Kontraktionskraft findet man bei älteren Menschen nicht selten (12). Diese Kombination kann Drang, Stress und obstruktive Symptome hervorrufen und ist eine therapeutische Herausforderung.

Altersbedingte Veränderungen der Urethra

Die Verschlussfunktion der Urethra, gemessen als maximaler urethraler Verschlussdruck, nimmt um 15cm H2O pro Dekade ab (13, 14 ). Die Mucosa wird zunehmend dünner, die Koaptation wird ungenügend, das begünstigt auch die Aszension von Bakterien (15). Diese Ausdünnung der Urethra kann bis ins Trigonum der Blase reichen und über sensible Afferenzen die oben beschriebene Detrusorinstabilität triggern (16). Perucchini konnte zeigen, dass die Menge an quergestreiften Muskelfasern des urethralen Rhabdomyospinkters um 1% pro Lebensjahr abnimmt (17). Die glatte Muskulatur des urethralen Sphinkters (18) ist denselben Veränderungen unterworfen.

Altersbedingte Veränderungen der Vagina

In der Menopause wird die vaginale Mukosa dünn, der pH-Wert steigt, da pathogene Bakterien die östrogenbevorzugenden Laktobazillen ersetzten. Dies kann zu rezidivierenden Harnwegsinfekten führen (19).

Anatomische Veränderungen

Obstruktive Störungen sind bei der Frau selten, sie sind meist bedingt durch einen relevanten Genitaldeszensus mit konsekutivem Quetschhahn oder durch einen Eingriff zur Behandlung der Belastungsinkontinenz.

Nicht gynäkologische Ursachen, die zur Inkontinenz beitragen:

Ein schlecht eingestellter Diabetes führt zur Polyurie, die diabetische Zystopathie und diabetische Polyneuropathie (20) zu Blasenspeicherstörungen.
Muskulo-skelettale Veränderungen können durch Immobilität eine Urge akzentuieren, kann doch die Patientin die Toilette nicht mehr in vernünftiger Zeit erreichen. Schlecht platzierte oder ungünstig gestaltete Toiletten, sowie fehlende Assistenz verschlechtern die Situation. Die Urge ist wiederum Risikofaktor für Stürze und Frakturen (21).
Lungenkrankheiten mit chronischem Husten fördern eine Stress Inkontinenz. Die Herzinsuffizienz und die chronisch venöse Insuffizienz verschlimmern die Nykturie wegen der nächtlichen Rückresorption der Ödeme.
Durch cerebrovaskuläre Insulte entstehen ischämische Bezirke, welche in der neurourologischen Terminologie als suprapontine Läsionen (Läsion oberhalb des pontinen Miktionszentrums) zusammengefasst werden. Diese können die hemmende Funktion miktionsrelevanter kortikaler und subkortikaler Areale auf das pontine Miktionszentrum (Koordinationszentrum) reduzieren. Die Folge davon ist eine neurogene Detrusorüberaktivität. Ein weiteres typisches Beispiel hierfür ist auch die Parkinsonkrankheit. Seltener kommt bei Parkinson Resturin vor, welcher sich durch die Hyopkinesie des quergestreiften Sphinkters der Urethra erklärt. Die L-Dopa Therapie verbessert die Kontinenz häufig nicht (22). Auch Alzheimer und andere Demenzformen verursachen suprapontine Läsionen. Die oben beschriebene, neurologisch verursachte Detrusorüberaktivität zeigt sich ebenfalls, diese kommt zusammen mit den demenzspezifischen Orientierungs- Koordinationsschwierigkeiten.
Betagte, welche an psychischen Krankheiten wie Depressionen leiden, können die Motivation verlieren, kontinent zu bleiben. Handkehrum verschlimmert die Inkontinenz die Depression (23).
Auch die Obstipation ist mit Urininkontinenz assoziiert (24).

Die Abklärung der Inkontinenz der älteren Frau

Eine Inkontinenz ist auch im Alter behandelbar: eine weiterführende Abklärung kann sich lohnen. Man kann festlegen, in wieweit der Inkontinenz eine urogenitale Ursache zugrunde liegt, und es lässt sich in Absprache mit den Betreuungspersonen ein den Lebensumständen der Patientin angepasster Therapievorschlag ausarbeiten.
Am Anfang steht die genaue Anamnese, allenfalls auch durch Drittpersonen. Das Erfassen von Komorbiditäten und der aktuellen Medikation, sowie der sozialen Situation sind zentral.
Mit der sonographischen oder mittels Einmalkatheter durchgeführten Restharnmessung erhält man einen Hinweis auf die Blasenfunktion und kann therapeutische Weichen stellen (25).
Der gynäkologische Status erkennt einen schwerwiegenden Deszensus, welcher zur obstruktiven Miktionsstörung und bei relevanter Resturinbildung zur Überlaufinkontinenz (overflow) führen kann. Eine Stauung der oberen Harnwege ist sehr selten und kann mittels Nierenultraschall ausgeschlossen werden. Ein Augenmerk wird auf die urogenitale Trophik gelegt. Der simple Hustentest mit voller Blase genügt, um die Belastungsinkontinenz klinisch zu erkennen (26, 27).
Obwohl man mit Anamnese, klinischem Untersuch und Ultraschall sehr weit kommt und obwohl die Urodynamik in der Basis-abklärung der Urininkontinenz nicht als Routineuntersuchung empfohlen ist (EAU-Guidelines 2018), ist eine Urodynamik und Zystoskopie auch bei betagten Patientinnen durchführbar und hilft, die Blasenfunktionsstörung genau zu definieren (28). Vor einer invasiven Behandlung ist sie angezeigt. Bei Querschnittläsionen ist die Urodynamik unverzichtbar. Bei der betagten Patientin ist diese allerdings kaum je im Fokus, man sucht die detrusorinhärente Pathologie, Resturinbildung, Verschlussschwäche, die funktionelle Obstruktion.

Die Behandlung der Inkontinenz

Vor einer medikamentösen Therapie sollte man Verhaltenstherapien versuchen. Der Stellenschlüssel einer Institution erlaubt die notwendige Hilfe dafür – wie assistierter Gang zur Toilette – nicht immer (29).
Eine medikamentöse Therapie soll sorgfältig indiziert werden. Für betagte Patientinnen kann sie ungeeignet sein, beispielsweise bei Heimbewohnerinnen, die keine Intention zeigen, auf die Toilette zu gehen oder stark kognitiv und funktionell eingeschränkt sind, und so eine Verbesserung durch die Medikation nicht mehr zu erwarten ist (30).

Medikamentöse Therapie:

Lokales Östrogen soll frühzeitig niedrig dosiert als Basistherapie begonnen werden. Lokale Östrogene sind – anders als die systemisch verabreichten Östrogene – risikolos, verhindern oder behandeln die Atrophie, welche zur Inkontinenz beiträgt und schützen die postmenopausale Frau vor rezidivierenden Harnwegsinfekten (31). Lokal applizierte Östrogene behandeln das genito-urethrale menopausale Syndrom weit effektiver als eine systemische Hormonersatztherapie. In der Schweiz sind nur niedrig- oder ultraniedrig dosierte Präparate zugelassen (32).
Antimuskarinika hemmen kompetitiv die Muskarinrezeptoren am Detrusor und blockieren den Parasympathikus, welcher die Blasenentleerung verantwortet. Sie haben einen moderaten Effekt (33) und können die Anzahl der Inkontinenzepisoden und die Miktionsfrequenz reduzieren. Antimuskarinika sind in Studien meist mit Hilfe von Miktionstagebüchern gegenüber Placebo oder einem älteren Antimuskarinikum getestet. In der Effektivität unterscheiden sie sich kaum voneinander, hingegen im Nebenwirkungsprofil: Beim älteren Präparat Oxybutynin (Ditropan®, Kentera® Matrixpflaster) sind ZNS Nebenwirkungen beschrieben. Tolterodin (Detrusitol®) und Fesoterodin (Toviaz®) sollen sich verstärkt an der Blase konzentrieren, Fesoterodin wird ein gutes Nutzen-Risiko-Verhältnis attestiert. Solifenacin (Vesicare®) und Darifenacin (Emselex®) sind M3 selektiv und binden hauptsächlich an den Subtyp III der Muscarinrezeptoren und weniger an den Subtyp II, welcher im ZNS vorkommt und gelten bezüglich ZNS Nebenwirkungen als sicher. Das quaternäre Amin Trospium chlorid (Spasmo-Urgenin® Neo, Spasmex®) ist ein grosses Molekül und kann die Bluthirnschranke nicht passieren, also «cognitive safe» (siehe Tabelle).
Der ß-3 Agonist Mirabegron stimuliert die ß-3 Adrenorezeptoren des Detrusors. Diese sympathischen β-3 Rezeptoren am Blasenmuskel vermitteln die Blasenrelaxation und damit die Blasenfüllung. Dieser andere Mechanismus ist eine gute Alternative zu den Antimuskarinika. Der Blutdruck soll kontrolliert werden. Mirabegron (Betmiga®) und Solifenacin (Vesicare®) sind als Kombinationstherapie geprüft (siehe Tabelle).
Bei betagten Patientinnen muss die Pharmakokinetik beachtet werden. Eine Niereninsuffizienz oder eine eingeschränkte Leberfunktion liegen häufig vor: Medikamentöse Therapien soll man darum prinzipiell mit der tiefst möglichen Dosierung beginnen (54). Eine Polypharmazie (>5 Medikamente) ist bei Betagten häufig (55), Interaktionen sind kaum mehr kontrollierbar und einige Medikamente können die Inkontinenz verstärken (56): Medikamente, die das Urinvolumen erhöhen wie Diuretika oder Lithium verschlechtern den Drang und die Nykturie. Sedativa, Hypnotika und Antipsychotika beeinflussen Vigilanz, Schlaf und Mobilität und damit die Kontinenz. Cholinesterasehemmer wie Galantamin (Reminyl®), die bei Alzheimer Demenz eingesetzt werden, können eine Urge Inkontinenz triggern (57, 58). Anticholinerge Präparate können zur Überlaufinkontinenz (overflow) führen.
Die Bereinigung einer langen Medikamentenliste liegt nicht in der Kompetenz der urogynäkologischen Fachperson. Für deren Ergänzung mit Antimuskarinika muss eine gute Indikation vorliegen und die Wirksamkeit der Therapie soll kontrolliert werden.

Medikamentennebenwirkungen

Alzheimerkrankheit und andere Demenzformen sind durch ein cholinerges Defizit im Zentralnervensystem charakterisiert (59). Während beim jungen Menschen anticholinerge Medikamente Mundtrockenheit, Akkommodationsstörungen oder Obstipation hervorrufen, können beim alten Menschen relevantere Nebenwirkungen wie Sedation, Delirium, Halluzinationen und Stürze mit konsekutiven Frakturen auftreten (60). Parkinsonkranke sind speziell sensitiv auf Medikamente mit antimuskarinerger Wirkung (61). Epidemiologische Daten zeigen bei alten Menschen einen positiven Zusammenhang zwischen langfristiger medikamentöser antimuskarinerger Belastung und kognitiver Einschränkung sowie demenzieller Entwicklung (62, 63). Bei vorbestehender Demenz ist der Zusammenhang weniger klar (64, 65).
Neben den bei der überaktiven Blase eingesetzten Antimuskarinika haben auch andere Medikamente anticholinerge Eigenschaften, beispielsweise Biperiden (Akineton®), Butylscopalamin (Buscopan®), Umeclidinium (Incruse Ellipta®) und auch viele Antidepressiva, Neuroleptika und Antihistaminika (66). Die anticholinerge Belastung kumuliert mit jedem zusätzlich eingesetzten Präparat. Bei betagten Patientinnen soll die totale anticholinerge Belastung so gering wie möglich gehalten werden.

Chirurgische Therapie der Inkontinenz

Die Operationsindikation muss mit der Patientin, dem Hausarzt, den betreuenden Personen besprochen werden. Alter und Komorbiditäten führen zu mehr anästhesiologischen und perioperativen Komplikationen. Mit einer längeren Hospitalisation und einem höheren Betreuungsbedarf nach Spitalentlassung ist zu rechnen.
Die Chirurgie bietet auch im Alter die effektivste Behandlung einer Belastungsinkontinenz (67). Für die operative Versorgung einer Belastungsinkontinenz bringen betagte Patientinnen häufig schlechtere Voraussetzungen mit: Sie sind voroperiert, der urethrale Verschlussdruck ist schlecht und die Urethra wenig mobil. Sie haben eine genitale Atrophie und eventuell zusätzlich einen instabilen Detrusor. Versager und Rezidive sind im Alter häufiger (68, 69, 70). Dennoch sind suburethrale Bandeinlagen bestens dokumentierte (71), kurze, minimal invasive Eingriffe, die in Lokalanästhesie und Analgosedation durchgeführt werden können. Die Belastung durch die Operation ist klein. Das gleiche gilt noch mehr für die Injektion von bulking agents in die Urethra.
Die chirurgische Therapie des überaktiven Detrusors wird mittels Applikation von Onabotulinumtoxin A (Botox®) erreicht. Dieses wird zystoskopisch in den Detrusor injiziert und führt zu einer, je nach Dosis partiellen, aber auch reversiblen Denervation der Blase. Der Eingriff ist kurz und kaum belastend und wird in Lokalanästhesie, allenfalls in Kombination mit einer Sedation durchgeführt. Dosis und Intervall müssen individuell titriert werden. Der grosse Vorteil: Die perorale antimuskarinerge Therapie wird durch eine wirksamere (72, 73) lokale Therapie ersetzt. Resturinbildung und kürzere Wirkdauer sind bei älteren Patientinnen häufiger (74).

Hygieneprodukte und Katheter

Für viele betagte Menschen ist eine optimale Versorgung mit Inkontinenzeinlagen für die Lebensqualität essentiell und führt zu physischem, psychischem und sozialem Wohlergehen (75). Auch wenn diese den Beigeschmack eines Forfait hat, ist es doch häufig situationsangepasst und selten unbeliebt.
Selbstkatheterismus ist die Therapie bei atoner Blase mit hohen Restharnmengen (overflow). Bei betagten Menschen wird dies wegen Unbeweglichkeit, Tremor oder Sehschwäche meist zu einer unrealistischen Option. Glücklicherweise darf man bei der denervierten akontraktilen Blase hohe Restharnmengen tolerieren. Es gibt praktisch keine vesikale Druckentwicklung und es kommt deswegen auch kaum zu Reflux und damit auch nicht zu einer Schädigung der oberen Harnwege.
Eine Dauerableitung (Dauerkatheter) ist unbeliebt und sollte auf Grund des erhöhten Infektrisikos (Gefahr z.B. von Sepsis/Delir) nur in ausgewählten Fällen bei funktionell stark eingeschränkten Patientinnen oder bei Kompromittierung der Nierenfunktion im Rahmen der Miktionsstörung erwogen werden.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Daniel Passweg

Frauenklinik Stadtspital Weid und Triemli
Birmensdorferstrasse 501
8063 Zürich

daniel.passweg@triemli.zuerich.ch

Dr. med. Gabriella Stocker

Frauenklinik Stadtspital Weid und Triemli
Birmensdorferstrasse 501
8063 Zürich

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Bei der betagten Frau ist die Urininkontinenz multifaktoriell.
  • Eine sorgfältige Abklärung lohnt sich, um eine angepasste Therapiestrategie festzulegen.
  • Antimuskarinika sind möglich, wichtig dabei ist die anticholinerge Belastung zu beachten. Der ß-3 Agonist Mirabegron ist eine Alternative.
  • Chirurgische Inkontinenztherapien sind wenig invasiv und können allenfalls auch im fortgeschrittenen Alter diskutiert werden.

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Lungenfachgesellschaften warnen vor E-Zigaretten

Die Tabakepidemie und deren Folgen sind weltweit das grösste Gesundheitsproblem. Im letzten Jahrzehnt haben sich E-Zigaretten auf dem Markt etabliert. Diese bieten Rauchern eine nach heutiger Einschätzung weniger schädliche Alternative. Ihr Erfolg beim Rauchstopp ist jedoch gering und wenig nachhaltig. Zu einer nachhaltigen Tabakprävention gehört die konsequente Umsetzung der WHO-Tabakkonvention – auch in der Schweiz. Um zu verhindern, dass die Prävention mit an Jugendliche vermarkteten Produkten wie E-Zigaretten, Wasserpfeifen oder Snus unterlaufen und die Nikotinabhängigkeit wieder zur Norm wird, braucht es einen engagierten Einsatz aller Ärzte.

Gemäss dem aktuellen Tobacco Atlas der American Cancer Society rauchen weltweit mehr als 1.1 Milliarden Menschen, davon sterben jährlich 6 Millionen an dessen Folgen, was weltweit > 500 Milliarden Dollar pro Jahr kostet (1). Die Tabakepidemie und deren Folgen sind weltweit das grösste Gesundheitsproblem (2, 3). Mit der zunehmenden Verbreitung von E-Zigaretten, Wasserpfeifen, Snus und Cannabis ist die Tabakepidemie aber deutlich komplexer geworden (4-7).
Im letzten Jahrzehnt haben sich E-Zigaretten, die das Rauchen mit technischen Mitteln simulieren, ohne dabei Tabak zu verbrennen, auf dem Tabakmarkt etabliert (8). Dabei unterscheidet man zwischen E-Zigaretten, die eine nikotinhaltige Flüssigkeit mittels einer Heizspirale verdampfen («Electronic Nicotin Delivery Systems», ENDS), und solchen, die Tabak erhitzen, aber nicht verbrennen («Heat not Burn Devices»). Die Entwicklung der E-Zigarette wird dem chinesischen Apotheker Hon Lik zugeschrieben, der nicht wie seine Eltern an Lungenkrebs sterben wollte. Zwar bieten E-Zigaretten für Raucher nach heutiger Einschätzung eine weniger schädliche Alternative; ihr Erfolg bei den Rauchstopp-Bemühungen ist jedoch gering und wenig nachhaltig (9-13).

E-Zigaretten – neuer Einstieg in die Nikotinabhängigkeit

Inzwischen haben sich E-Zigaretten – auch E-Shishas genannt – bei den Jugendlichen rasant verbreitet. Gemäss Sucht Schweiz hat ein Drittel der 15- bis 24-Jährigen bereits einmal zu einer E-Zigarette gegriffen (14). Kinderärzte betrachten E-Zigaretten inzwischen als das «neue Gesicht des Nikotins» und Einstieg für Tabakzigaretten (15). Eine Metaanalyse zeigte, dass Kinder und Jugendliche, die E-Zigaretten «dampfen», ein 3- bis 4-faches Risiko haben, mit dem Tabakrauchen zu beginnen (16). E-Zigaretten werden von Kindern und Jugendlichen nicht als Tabakprodukte, sondern als harmlose «Verdampfer» wahrgenommen, die im Aussehen kaum mehr Tabakzigaretten ähnlich sind (Abb 1). Inzwischen gibt es bereits > 450 Marken und > 7500 Geschmacksrichtungen (17). Dank intensivem Marketing, attraktiven Aromen und speziellem Design liegen sie im Trend und stellen eine neue Gefahr für Kinder dar (18). Jugendliche sind oft «dual users», das heisst sie verwenden verschiedene Tabakprodukte wie Snus und E-Zigaretten (19). Sehr beliebt sind multifunktionelle Geräte (eGOS, Mods), mit denen man auch alkoholische Getränke verdampfen kann. Hinzufügen chemischer Substanzen wie synthetische Cannabinoide kommt in Mode – offenbar besonders in Frankreich – und führte in den USA schon zu Todesfällen (20, 21).
Vor wenigen Jahren wurde in den USA die neue E-Zigarette «Juul» lanciert, die sich dank des trendigen Aussehens wie ein USB-Stick (Abb. 2) und einer neuen hochkonzentrierten salz-gebundenen Form des Nikotins unter den amerikanischen Jugendlichen rasch verbreitet hat. In den USA sind Nikotinkonzentrationen bis 50 mg / ml im Handel erhältlich, in Europa sind nur 20mg/ml zugelassen. Bereits 2/3 der jugendlichen E-Zigarettenraucher in den USA benützen «Juul»: Man spricht nicht mehr vom «Dampfen», sondern vom «Juulen». Nun ist die amerikanische Firma – das am schnellst wachsende Start-up in der Firmengeschichte – daran, mit «Juul» den europäischen Markt zu erobern (22). In den USA «dampfen» inzwischen bereits mehr Jugendliche E-Zigaretten als dass sie Zigaretten rauchen, und die Prävalenz nimmt stetig zu: 2018 betrug sie 25% bei den 17- bis 18-Jährigen und 20% bei den 15- bis 16-Jährigen (23, 24).

Verkauf auch an Minderjährige möglich

Nachdem zunächst in der Schweiz nur nikotinfreie E-Zigaretten zugelassen waren, dürfen nikotinhaltige – nach einer vom Bundesverwaltungsgericht gutgeheissener Beschwerde – seit Mai 2018 auch bei uns und wegen einer Gesetzeslücke sogar an Minderjährige verkauft werden (25). Der Verband der Schweizer Händler und Hersteller für elektronische Dampfgeräte (Swiss Vape Trade Association, SVAT) hat sich freiwillig verpflichtet, keine Geräte an Minderjährige abzugeben und an diese keine Werbung zu richten (http:// www.svta.ch/kodex/). Ob dieser freiwillige Kodex die Jugend wirksam schützt, ist aufgrund der Erfahrungen über die «Selbstkontrolle» der Tabakindustrie fraglich. Damit werden Kinder früh der Gefahr einer Nikotinabhängigkeit ausgesetzt, von der sich später viele nicht mehr lösen können, und sichern damit die Profite der Tabak- und E-Zigaretten-Industrie (18).

Schädlichkeit der E-Zigaretten

Gemäss aktuellem Wissensstand enthält der Dampf von E-Zigaretten bzw. das Aerosol von erhitzten Tabakprodukten zwar etwas weniger giftige und krebserregende Schadstoffe als der Tabakrauch, aber E-Zigaretten können deshalb nicht als bedenkenlos eingestuft werden (5, 26, 27). Public Health England geht zurzeit davon aus, dass das «Dampfen» von E-Zigaretten «95% weniger belastend» sei als Zigaretten rauchen. Dies beruht nicht auf einer wissenschaftlichen Messung, sondern geht zurück auf 12 Experten, die 2014 in einer Multikriterien-Entscheidungsanalyse ihre Auffassungen harmonisieren wollten (28, 29). Angesichts der zunehmenden Produktevielfalt bei dünner Datenlage ist diese Einschätzung nicht gesichert. So hat eine Schweizer Studie im Aerosol von erhitztem Tabak («IQOS, I Quit Ordinary Smoking») die gleichen Stoffe wie im herkömmlichen Tabakrauch nachgewiesen und daraus den Schluss gezogen, dass dieser «Dampf» nicht «ungefährlich» sei (30). Bei den ENDS-Produkten variieren die Aerosol-Untersuchungen beträchtlich, da es unzählige E-Zigaretten-Produkte gibt und die Herstellung nicht geregelt ist (31). So hängt es zum Beispiel von der Energiequelle ab, wie hoch die Formaldehyd-Konzentration im Aerosol ist (32). Ausserdem lassen sich im Aerosol von E-Zigaretten zahlreiche Schwermetalle finden, wobei als Quelle die erhitzten Heizspiralen vermutet werden (33). Unabhängige Studien berichten von Wirkungen auf die Lunge wie bronchiale Hyperreaktivität, verminderte Immunabwehr, vermehrte Nekrosen und Zytotoxizität (34). Und in Laborversuchen konnte nachgewiesen werden, dass der Dampf von E-Zigaretten zu den gleichen Gen-Expressionen bei menschlichen Lungenzellen führt wie beim Tabakrauch (35). Bis heute fehlen systematische toxikologische Daten zu Substanzen, die mittels eines mit Propylenglykol oder Glyzerin erzeugten Nebels inhaliert werden (8).

Internationale Lungenfachgesellschaften warnen vor E-Zigaretten

Die bisherigen Erkenntnisse reichten den Internationalen Lungenfachgesellschaften, um vor E-Zigaretten zu warnen (5, 13, 36, 37).
Das Forum of International Respiratory Societies (FIRS) warnt in seinem Positionspapier mit klaren Worten vor den gesundheitsschädlichen Folgen von E-Zigaretten bei jungen Menschen (37). 37 FIRS weist darauf hin, dass Kinder und Jugendliche sehr anfällig für eine Nikotinabhängigkeit sind, was die Hirnentwicklung relevant beeinträchtigt. In der Stellungnahme von FIRS wird betont, dass E-Zigaretten als Einstieg für das Tabakrauchen zu betrachten sind und Kinder ein höheres Risiko haben, lebenslang tabakabhängig zu werden. Nicht alle Jugendlichen, die mit Nikotin experimentieren, werden abhängig, aber das jugendliche Hirn ist gegenüber psychoaktiven Substanzen empfindlicher als das Erwachsener (38). Die E-Zigaretten sind so gemacht, dass sie für Jugendliche sehr attraktiv sind (und dementsprechend beworben und vermarktet werden), was zu einer neuen Generation von Nikotinabhängigen führen wird. Die Lungenfachgesellschaften fordern deshalb strenge Regelungen wie für Tabakprodukte: Verkaufsverbot an Minderjährige, Verbot von Aromastoffen, gleiche Regeln wie für den Passivrauchschutz sowie ein umfassendes Werbeverbot.
Die European Respiratory Society (ERS) hält in ihrem Positionspapier zu den erhitzen Tabakprodukten («heat not burn devices») unmissverständlich fest, dass keinen durch die Tabakindustrie bezahlten Studien vertraut werden kann (36). Unabhängige Studien hätten gezeigt, dass auch im Aerosol dieser Produkte zahlreiche giftige und krebserregende Stoffe gefunden wurden, teilweise sogar in beinahe identischer Konzentration wie in den herkömmlichen Tabakprodukten, und dass die von der Tabakindustrie gemachten Behauptungen, dass ihre Produkte 90-95% weniger Schadstoffe enthielten, einer unabhängigen Prüfung nicht standhält. Vor kurzem hat die ERS in einer neuen Stellungnahme «ERS Position Paper on Tobacco Harm Reduction» der sogenannten «Schadenverminderung»-Strategie eine klare Absage erteilt und sie als Strategie der Tabakindustrie charakterisiert, um Menschen weiterhin in der Nikotinabhängigkeit zu behalten (13). Die ERS betont, dass sie kein Produkt empfehlen kann, das für die Lunge und die menschliche Gesundheit schädlich ist. Zusätzlich hält sie fest, dass E-Zigaretten die bisherigen Anstrengungen der Tabakprävention unterlaufen und damit im Konflikt mit der WHO-Tabakrahmenkonvention (www.who.int/fctc) stehen.

Tabakindustrie investiert in E-Zigaretten

Das Tabakgeschäft bleibt eine der lukrativsten Branchen der Welt (39). So ist auch für Beverley Spencer, ehemalige CEO der British American Tobacco (BAT) Schweiz, «Rauchen keine Frage der Moral», sondern ein «gigantisches Geschäft» (40). Der BAT-Konzern hat über eine halbe Milliarde Pfund in die Entwicklung einer E-Zigarette («Glo») investiert, denn das Gesamtmarktpotenzial liegt im Milliardenbereich. Der grösste Zigarettenhersteller Philip Morris (PM) hat mit «IQOS» sein eigenes «heat not burn device» entwickelt und zusätzlich für 12.8 Milliarden US-Dollar Anteile der Firma «Juul» gekauft (41). Damit hat PM sicher nicht den Rauchstopp seiner Marlboro-Konsumenten im Sinne, sondern will die Erschliessung des Marktes einer kommenden Generation von Nikotinabhängigen sicherstellen. Mit dem Lancieren von E-Zigaretten und anderen «reduced risk products» versucht die Tabakindustrie sich ein sauberes Image zu geben und als Partner der öffentlichen Gesundheit aufzutreten. So werden E-Zigaretten mit Slogans wie «Kein Feuer», «Keine Asche» und «Kein Zigarettengeruch» als «Eine bessere Alternative zur Zigarette» beworben. Philip Morris ist mit der von ihr finanzierten «Foundation for a smoke-free world» noch ein Stück weiter gegangen (42, 43). Für PM besteht eine «rauchfreie Welt» in Zukunft nur noch aus Benützern ihres neusten Produktes «IQOS», das nach eigenen Angaben keinen schädlichen Rauch, sondern nur «ungefährlichen Dampf» produziere. Die ERS hat am 12. Februar 2018 ihre Mitglieder von einer Zusammenarbeit mit dieser Stiftung gewarnt. Und die Laienpresse charakterisiert die jüngsten Aktivitäten der Tabakindustrie als «Neue Tricks und alte Lügen» (44).

Schlussfolgerung

Das Tabakgeschäft beruht auf dem Verkauf von Nikotin, einer süchtig machenden Substanz. Für die Tabakindustrie spielt es keine Rolle, ob junge Menschen via E-Zigaretten, erhitzte Tabakprodukte oder Zigaretten nikotinabhängig werden. Zu einer nachhaltigen Tabakprävention gehört die konsequente Umsetzung der WHO-Tabakkonvention – auch in der Schweiz. Um zu verhindern, dass die Prävention mit an Jugendliche vermarkteten Produkten wie E-Zigaretten, Wasserpfeifen oder Snus unterlaufen werden und die Nikotinabhängigkeit wieder zur Norm wird, braucht es einen engagierten Einsatz aller Ärzte. Neben der Erfassung der Nikotinabhängigkeit, der Passivrauchexposition und der Rauchstopp-Beratung in Sprechstunde und am Krankenbett ist die standespolitische Positionierung zur Umsetzung der WHO Frameword Convention on Tabacco Control (FCTC) notwendig. Öffentlich glaubwürdig auftretende Ärztegesellschaften werden auch unsere Parlamentarier bei der Debatte zum Tabakproduktegesetz von den Gesundheitsargumenten überzeugen. Andernfalls müssten sich unsere Volksvertreter den Vorwurf gefallen lassen, sich zum Handlanger der Tabakindustrie zu machen, die ihre Interessen bisher mittels ubiquitärer Einflussnahme und Bekämpfung von Public-Health-Massnahmen verteidigen konnte (45-48).

Prof. Dr. med. Jürg Barben

Leitender Arzt Pneumologie/Allergologie & CF-Zentrum
Ostschweizer Kinderspital
Claudiusstr. 6
9006 St. Gallen

juerg.barben@kispisg.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • E-Zigaretten werden zunehmend häufig als weniger schädliche Alternative zum konventionellen Rauchen auf den Markt gebracht mit dem Anspruch, einen Rauchstopp zu begünstigen. Diese Wirkung ist jedoch gering und wenig nachhaltig
  • Im Gegenteil hat sich erwiesen, dass E-Zigaretten den Einstieg für Tabakzigaretten fördern und dank Werbemassnahmen und ansprechendem Design die Prävalenz von Konsumenten gerade im Jugendalter deutlich ansteigen lassen. Jugendliche Hirne sind gegenüber psychoaktiven Substanzen empfindlicher als diejenigen von Erwachsenen
  • E-Zigaretten können in der Lunge laut unabhängiger Studien toxische Wirkungen entfalten, wie bronchiale Hyperreaktivität, verminderte Immunabwehr, vermehrte Nekrosen und Zytotoxizität. In Laborversuchen konnte nachgewiesen werden, dass der Dampf von E-Zigaretten zu den gleichen Gen-Expressionen bei menschlichen Lungenzellen führt, wie beim Tabakrauch
  • E-Zigaretten werden so beworben und vermarktet, dass sie für Jugendliche besonders attraktiv sind, was zu einer neuen Generation von Nikotinabhängigen führen wird.

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46. Barben J. Tabaklobby und Kinderfänger – wie cool ist rauchen wirklich. Teil 2: Passivrauchen und Strategien der Tabakindustrie. Schweiz Med Forum 2011; 11:389-393.
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48. Grüning T, Schönfeld N. Tabakindustrie und Aerzte: “Vom Teufel bezahlt …”. Deutsches Aerzteblatt 2007; 104(12):A 770-A 774.

7. Basler Demenzforum 2019

Zum 7. Mal fand Mitte November 2019 das Basler Demenzforum statt. Diese Fortbildungsplattform zog zum wiederholten Male zahlreiche Fachleute an, die sich zum Stand der Forschung in Diagnostik und Therapie informieren wollten. Auf unterhaltsame Weise brachte das«Hirntheater» den inte-ressierten Teilnehmern die Thematik der Differenzialdiagnosen einer Demenz näher.

Update Diagnostik

Die Diagnostik der Alzheimer Demenz stützt sich heute auf vier Säulen: kognitive Tests, medizinische Untersuchung, bildgebende Diagnostik (MRT ist Standard, PET wird nur bei ca. 10% der Patienten durchgeführt) und in Einzelfällen die Untersuchung von Biomarkern im Liquor.
In einigen Jahren wird der MoCA (Montreal Cognitive Assessment; www.mocatest.ch) den heute noch gebräuchlichen MMSE (Mini-Mental State Examination) als kognitiven Test ablösen. In diesem Zusammenhang wies Prof. Dr. phil. Andreas Monsch, Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER Basel, darauf hin, dass man in der Lage sein sollte, die Ergebnisse dieser beiden Tests miteinander zu vergleichen. Tatsächlich zeigt sich, dass bei einem Basler Patientenkollektiv ein bestimmter MoCA einem bestimmten Wert beim MMSE zugeordnet werden kann und diese Transformation sowohl mit vier weiteren Studien vergleichbar, als auch für andere Ätiologien möglich ist (1).
Für Diskussionsstoff sorgt noch immer ein Cutoff-Wert von < 26/30 im MoCA, welcher bei 30% der Personen einer Normpopulation zur Diagnose eines MCI (Mild Cognitive Impairment) führen würde. Eine Lösung könnte sein, bei Patienten mit MoCA-Werten zwischen 24 und 26 anstelle eines Cutoffs einen Graubereich zu definieren (siehe Abb. 1). Diese Patienten werden in 6-12 Monaten ein zweites Mal untersucht und erst dann würde man gegebenenfalls eine Diagnose stellen. Patienten die einen MoCA-Wert ≥ 27 aufweisen haben mit 91% Wahrscheinlichkeit keinen pathologischen Befund, wohingegen Patienten mit einem Wert ≤ 23 mit 88%iger Wahrscheinlichkeit von einer Hirnleistungsstörung betroffen sind (2).

Neue Entwicklungen bei diagnostischen Tests

Neurokognitive Störungen wie Alzheimer Demenz, vaskuläre Demenz, Lewy-Körper-Demenz u.a. zeichnen sich durch Beeinträchtigungen in den Bereichen Sprache, Lernen und Gedächtnis, soziale Kognition, komplexe Aufmerksamkeit, exekutive Funktionen und visuokonstruktiv-perzeptuelle Fähigkeiten aus. Wünschenswert wäre es, so Prof. Dr. Monsch, neue kultur- und sprachunabhängige Tests zu entwickeln und diese durch zumindest einige der Patienten an einem iPad selbst durchführen zu lassen. Dadurch könnten Neuropsychologen wesentlich effizienter aussagekräftige Aussagen über die Hirnleistungen ihrer Patienten machen.
Ein Beispiel für einen automatisierten Test, der vom Patienten auch in Abwesenheit einer Fachperson durchgeführt werden kann, ist der Cog-Check. Bei dieser Tablet-basierten Applikation setzt sich der Patient z.B. mit visuellen Wiedererkennungsaufgaben, dem Lernen einer Serie von Bildern und dem Erinnern von Bildern und Zahlenfolgen auseinander. Mit diesem bereits normierten Test ist es möglich, ein kognitives Leistungsprofil zu erstellen. Die Entwicklungsarbeiten zu diesem Test sind noch nicht abgeschlossen.
Von der kortikalen Tau-Pathologie ist in frühen Stadien der Erkrankung besonders der mediale perirhinale Kortex betroffen. Dieser Hirnbereich befindet sich am Ende des visuellen Stroms und hat die Aufgabe, einzelne Elemente einer Figur zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Basierend auf dieser Beobachtung hat die Memory Clinic der Universitären Altersmedizin FELIX PLATTER neue Tests entwickelt, von denen besonders jene zur semantischen Flüssigkeit und zur Unterscheidung von Figuren eine hohe Trennschärfe aufwiesen. In der Memory Clinic ist der Test zur semantischen Flüssigkeit bereits implementiert.
Zur biologischen Definition der Alzheimer Erkrankung konnte ein Rahmenwerk zur Diagnose entwickelt werden. Dieses stützt sich unter anderem auf PET-Daten und damit nicht erst auf die klinischen Folgen der Krankheit (Symptome) (3). In einer anderen Studie konnte eine Korrelation von abnorm gefaltetem Amyloid-Proteinen im Blut bis zu 14 Jahren vor der Diagnose der Alzheimer Erkrankung gezeigt werden (4). Diese neuen Entwicklungen dienen nicht nur einer besseren und einfacheren Diagnostik, sondern auch Therapiestudien können aussagekäftiger werden, weil dann die Patienten viel besser charakterisiert werden können und man so weniger «Rauschen», dafür aber ein stärkeres Signal haben wird.

Erfreuliche Entwicklung für die kausale Therapie

Prof. Dr. med. Thomas Leyhe, Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER und Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, stellte erfreut die wahrscheinlich wichtigste Nachricht an den Anfang seiner Ausführungen: Nach zunächst enttäuschenden Ergebnissen der Futility Analyse der beiden Aducanumab Studien EMERGE und ENGAGE (5, 6) soll nun nach Reanalyse der Daten die Zulassung beantragt werden. Sollte das Medikament zugelassen werden, wäre dies ein Meilenstein, eine erste kausale Therapie zur Behandlung der Alzheimer Erkrankung.
Aducanumab ist ein monoklonaler Antikörper (mAb), welcher lösliches und unlösliches β-Amyloid im Gehirn bindet und dort zu einer signifikanten Reduktion des neurotoxischen Peptids führt. Dies konnte auch mit anderen mAb gezeigt werden, jedoch ist Aducanumab der einzige mAb, bei dem die Reduktion des Peptids mit einer Verbesserung der neurokognitiven Funktion assoziiert ist. Im Frühjahr 2019 sah es noch ganz anders aus: Ende März wurden die beiden Studien nach einer Futility-Analyse abgebrochen. Eine Reanalyse der Daten der EMERGE Studie hat jedoch nun gezeigt, dass bei dem Kollektiv, das eine höhere Dosierung (10mg/kg Körpergewicht) des mAb erhalten hatte, tatsächlich eine Verbesserung der kognitiven Funktion nachweisbar war. Bei geringerer Dosierung war der Effekt nicht signifikant. Schliesslich hat eine erneute Analyse der Daten der ENGAGE Studie gezeigt, dass auch die Patienten dieser Studie, die 10mg/kg mAb und mindestens 10 Dosen erhielten, eine Verbesserung der kognitiven Funktion aufwiesen. Bei guten Sicherheitsdaten wird nun gespannt auf die Entscheidung der FDA gewartet, ob Aducanumab die Zulassung für die Therapie der Alzheimer Demenz erhalten wird.

Eine Herausforderung der Therapie bleibt weiterhin, dass die pathologischen Prozesse schon 10-15 Jahre vor dem Einsetzen von Symptomen beginnen (siehe Abb. 2). An Risikogruppen z. B. Patienten mit autosomal dominant vererbter Alzheimer Erkrankung, welche im Alter zwischen 30 und 50 Jahren erkranken, werden mAb (Solanezumab, Gantenerumab) schon 15 Jahre vor Ausbrechen der Erkrankung eingesetzt (7). Eine andere Risikogruppe stellen Patienten dar, welche bei einem Screening Hinweise auf eine Amyloid-Pathologie zeigten. Bei dieser Gruppe wird der Einsatz von Solanezumab untersucht (8). Die Ergebnisse stehen noch aus. Substanzen, welche die Plaquebildung unterbinden sollten, indem sie ein Enzym hemmen, das an der Entstehung von Amyloid Plaques beteiligt ist, haben teilweise sogar zu einer Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten geführt. Auch die neurofibrillären Bündel stehen als Target schon im Fokus für die Anwendung von mAb. Es muss sich zeigen, ob ein Eingreifen in die Tau-bedingten neuronalen Schädigungen noch rechtzeitig genug ist, um kognitive Einschränkungen zu verhindern, so Prof. Leyhe. Der Grossteil, der im Moment untersuchten Substanzen sind krankheitsmodifizierende Wirkstoffe (61%). Aber auch symptomatisch einzusetzende Substanzen (neuropsychiatrisch, kognitiv) werden untersucht (9). Ein interessanter Weg wird in einer chinesischen Untersuchung beschritten, bei dem die Dysbiose der Darmflora rekonditioniert werden soll, um damit eine Reduktion der Entzündungs-Botenstoffe, die ins Gehirn gelangen, zu erreichen.
Abschliessend wies der Referent auf die Notwendigkeit der Prävention einer Alzheimer Erkrankung hin. 1/3 der Risikofaktoren wie Hörverlust, Hypertonus, soziale Isolation und die gerade auch oft als Demenz verkannte Altersdepression sind beeinflussbar.

Bei kognitiven Störungen Differenzialdiagnosen beachten

Im Anschluss an die eher theoretischen Überlegungen zur Demenz hat das Hirntheater unter der Leitung von Franziska Maria von Arb in verschiedenen Szenen unterschiedliche Formen der Demenz aufgegriffen, die es differenzialdiagnostisch zu analysieren gilt. Nachdem das Publikum eine Hypothese zur möglichen Diagnose gestellt hatte, wurden die Szenen von Fachleuten aus Basel kommentiert: Prof. Dr. med. Peter Fuhr, Neurologie Universitätsspital Basel referierte kurz zur Parkinson Erkrankung, Prof. Dr. med. Thomas Leyhe zur Altersdepression, PD Dr. Marc Sollberger, Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER und Neurologie Universitätsspital Basel zur frontotemporalen Demenz und Prof. Dr. phil Andreas Monsch zur Alzheimer Krankheit und speziell zur Durchführung des MoCA-Tests. Mutige Teilnehmer konnten sich der Herausforderung stellen, die Diagnose-Szenen in der Praxis in positvere Bahnen zu lenken, um für Patienten und Angehörige zu einem günstigeren Ergebnis zu kommen.
Ein Beitrag zum Vortrag von Prof. Dr. med. Derfuss, Neurologie Universitätsspital Basel zur Multiplen Sklerose im Alter, der ebenfalls im Rahmen des Demenzforums präsentiert wurde, wird in einer späteren Ausgabe folgen.

Quelle: 7. Basler Demenzforum, Theater Basel, 14.11.2019

Dr. Ines Böhm

1. Fasnacht J et al. in Vorbereitung
2. Thomann AE et al, under review
3. Jack Jr., CA. NIA-AA Research Framework: Toward a biological definition of Alzheimer’s disease. Alzheimers Dement, 14: 535–562
4. Stocker H et al. Prediction of Alzheimer’s disease diagnosis within 14 years through Aβ misfolding in blood plasma compared to APOE4 status, and other risk factors. Alzheimers Dement 2019; S1552-5260
5. ClinicalTrials.gov. NCT02484547
6. ClinicalTrials.gov. NCT02477800
7. ClinicalTrials.gov: NCT01760005
8. ClinicalTrials.gov: NCT02008357
9. Cummings J et al. Alzheimer’s disease drug development pipeline. 2019;5:272–293
10. Sperling RA et al. Alzheimer´s and Dementia 2011;7: 280–292