Einsatz von Opioiden aus der Sicht des Schmerztherapeuten

Die Opioidkrise in den USA gipfelte 2015 in einem starken Anstieg von Opioidabhängigen und damit verbundenen Todesfällen. Ein aggressives Marketing mit einer Opioid-verharmlosenden Strategie einiger Pharmafirmen führte dazu, dass schnell anflutende Opioide einer breiteren Patienten-klientel verschrieben wurden. In einem ersten Teil des Artikels (1) wurden der Stellenwert einer Opioidtherapie sowie das rationale und praktische Vorgehen bei einer analgetischen Therapie mit Opioiden in Bezug auf schweizerische Verhältnisse kritisch diskutiert. Im aktuellen Teil werden hierzulande zugelassene Opioide vorgestellt, Überlegungen zur Opioid-Sicherheit in der Schweiz präsentiert sowie die Eingangsfrage nach einer drohenden Opioidkrise in der Schweiz eingehend erörtert.

La crise des opiacés aux États-Unis a culminé en 2015 par une forte augmentation de la dépendance aux opioïdes et des décès qui en découlent. Le marketing agressif de certaines sociétés pharmaceutiques, utilisant une stratégie qui banalisait les opiacés, a conduit à la prescription d’opioïdes à action rapide à une plus large population de patients. Dans la première partie de cet article (1), l’importance de la thérapie aux opiacés et l’approche rationnelle et pratique de la thérapie analgésique aux opiacés ont été discutées de manière critique par rapport aux conditions suisses. Dans la deuxième partie, les opiacés autorisés dans ce pays sont présentés, des réflexions sur la sécurité des opioïdes en Suisse sont exposées et la question initiale à propos d’une crise imminente des opioïdes en Suisse est abordée en détail.

Im Hinblick auf einen angemessenen Einsatz von Opioiden unter Vermeidung von Überverordnung, aber auch Vermeidung von nicht sinnvoller Vorenthaltung von Opioiden, ist es sinnvoll, die Wirkstoffe zu kennen, die derzeit in der Schweiz zur Verfügung stehen (Kasten 1).

Droht nun der Schweiz, analog zu den USA, eine Opioidkrise?

Die Antwort vorweg: Wir wissen es nicht, haben es aber als Schmerztherapeuten in der Hand, dies zu verhindern.
Opioidverschreibungen und Opioidgebrauch nehmen auch in der Schweiz in den letzten Jahren massiv zu (2). Dies in Einklang mit anderen europäischen Ländern. Die Indikationen, für die Opioide nun vermehrt verschrieben werden, sind auch hierzulande die Nicht-tumorbedingten Schmerzzustände, obwohl eine diesbezügliche Risiko-/Nutzenabwägung nicht immer positiv ausfällt. Zwischen 2006 und 2013 verzeichnet sich in der Schweiz eine Zunahme der Verschreibung schwacher Opioide per 100 000 Personen um 13% und um 121% für starke Opioide. Unter den starken Opioiden wurde Fentanyl meistgebraucht mit einem Anstieg zwischen 2006 und 2013 um 91%, gefolgt von Buprenorphin und Oxycodon. Der höchste proportionale Anstieg in der Einnahme von Morphinäquivalenten pro 100.000 Personen wurde für Methadon (+ 1414%) und Oxycodon (+ 313%) verzeichnet. Dabei existieren starke geographische Unterschiede in verschiedenen Kantonen. Im Spitzenreiter Fribourg beispielsweise hat die Verschreibung starker Opioide in diesem Zeitraum um 270% zugenommen, im Kanton Jura um 260%, in Basel-Stadt um 219%, in Uri um 220% und in Schaffhausen um 201% (2). Übrigens zog auch die Verschreibung von Nicht-Opioidanalgetika in diesem Zeitraum rasant an: Schweizweit für Metamizol beispielsweise um 324%, NSAIDs (+ 124%). Besorgniserregend ist, dass bei den Opioiden vor allem kurzwirksame galenische Formen wie orale (+ 509%) oder sublinguale (+301%) Formulierungen häufiger verschrieben wurden.
Zum Vergleich: In den vergangenen 20 Jahren liess sich in den USA ein 14-facher Anstieg der Verschreibung starker Opioide verzeichnen. Dieser ging einher mit einem erhöhten Risiko unintentioneller Überdosierungen. In Europa war dies weniger zu beobachten und das Risiko, durch eine chronische Opioidverschreibung abhängig zu werden, wird hierzulande als gering eingestuft (3). Ausnahme bildet vor allem die Fentanyl-Überdosierung, die sich in (Ost-)Europa häufiger für Todesfälle verantwortlich zeigt. In den USA waren dies v.a. Kombinationen aus Oxycodon oder Hydrocodon und Alprazolam. Die Toten, die in den Statistiken zur Opioidkrise in den USA erfasst werden, haben in 75% der Fälle Opioide in Kombination mit Sedativa wie Alkohol, Benzodiazepinen oder Antihistaminika konsumiert. In Europa wird die Opioidkrise auch als Phänomen der ökonomischen Misere in den deindustrialisierten Gegenden der USA wahrgenommen (4).
Genau zu differenzieren ist in diesem Kontext, ob Abhängigkeit und Überdosierung durch illegalen Drogengebrauch oder im Kontext einer schmerztherapeutischen Behandlung entstanden und erfasst sind. In Europa wird bei Eintritt in eine Entzugsbehandlung Heroin von 80% der Patienten als Droge konsumiert. Dies gefolgt von Methadon (8%), Buprenorphin (5%), Fentanyl (0,3%) und anderen Opioiden (7%) (5). Heroin hat in der Schmerztherapie in Europa keinen wesentlichen Platz, so dass davon ausgegangen werden kann, dass der Grossteil von Abhängigkeitserkrankungen im Rahmen eines illegalen Abusus und nicht einer Schmerztherapie vorkommt.
Eindeutig festzustellen ist aber, dass vor allem schnell anflutende Opioide wie Oxycodon oder das Folgepräparat Oxycontin, welche neben rascher Schmerzlinderung auch stärker das zentrale Belohnungszentrum aktivieren, eher abhängig machen als retardierte Präparate – sogar Dr. House, der es besser wissen sollte, war davon betroffen. Oxycodon wurde 1919 erstmalig in der Schmerztherapie verwendet. In Europa war die Substanz schnell reguliert, nur auf Betäubungsmittelrezept erhältlich und zwischenzeitlich aufgrund erhöhter Suchtgefahr sogar vom Markt genommen. In den USA hingegen war Oxycodon ununterbrochen auf dem Markt, gefolgt vom Folgepräparat der Familie Sackler, Oxycontin. Dessen Abhängigkeitspotenzial wurde verharmlost und die Substanz intensiv beworben, immense Geldsummen flossen in aktive Bewerbung und Zuwendungen an verschreibende Ärzte. Von seiner Markteinführung 1996 bis zum Jahr 2000 hatte seine Verordnung schon um das 18-fache zugenommen. Und Drogenabhängige entdeckten, dass man die Substanz gemörsert auch intravenös verwenden konnte – was zu zahlreichen akzidentellen Intoxikationen und Todesfällen führte. Eine positive Drogen-anamnese zählt bei uns demnach auch zu den von den Leitlinien definierten Kontraindikationen für einen Einsatz von Opioiden. Nach dem Skandal um die Firma Purdue und Rekordstrafen, die sie wegen der unerlaubten Vermarktung von Oxycontin eingefahren hat, wird man in Europa kaum die gleichen Fehler machen (6). Schon aus regulatorischen Gründen wäre eine ähnliche Vermarktungspraxis hierzulande unmöglich.
Leider lesen wir momentan eine Flut an Kommentaren mehr oder weniger in der Schmerztherapie bewanderter Therapeuten, Opioide seien gefährlich, verantwortlich für eine Flut an vermeidbaren Todesfällen und man solle diese Substanzklasse komplett verbieten. Auffällig, dass diese Kommentare häufig von Therapeuten kommen, welche alternativmedizinisch arbeiten und so ihre Angebote promoten und/oder wenig mit der Behandlung chronischer und schwer betroffener Schmerzpatienten zu tun haben. Dazu ein simpler Vergleich: Antibiotika, Benzodiazepine oder Insulin sind wertvolle Medikamente, solange man sie indikationsgerecht, gezielt, wohldosiert und gemäss geltenden Therapierichtlinien einsetzt. Bei einem Zuviel oder bei unkritischer Verwendung sind diese Sub-stanzen gefährlich − dennoch würde niemand behaupten, diese Substanzen seien so riskant oder schädlich, dass man sie nicht mehr verwenden dürfe. Analog gilt für Opioide: Diese Substanzklasse ist wirksam und bei kundiger Anwendung (welche sowohl einen informierten Arzt als auch einen informierten Patienten bedingen) halten sich die Gefahren in Grenzen.

Ein häufiger Spezialfall: Die analgetische Behandlung des alten Patienten

Diese Situation stellt den Schmerztherapeuten vor grosse Herausforderungen. Demografisch bedingt suchen uns immer mehr alte Patienten im schmerztherapeutischen Setting auf. Nicht-Opioidanalgetika sind bei Alten häufig kontraindiziert oder deren Langzeitanwendung bei chronischem Schmerz nicht untersucht. Eine Übersicht über den Einsatz und die Gefahren von Nicht-Opioidanalgetika beim geriatrischen Patienten findet sich unter (7).
Opioide werden mit breiter Evidenz vor allem bei alten Krebspatienten eingesetzt. Allerdings scheinen sich die Erwartungen der Patienten an ihre Schmerztherapie zu wandeln: Heute sind ein aktiver Lifestyle mit der Möglichkeit der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben wichtiger denn je zuvor. Viele Patienten machen in Europa bzgl. Ihres Schmerzes daher eher Zugeständnisse zugunsten einer erhaltenen Funktionalität. Transdermale Fentanyl- oder Buprenorphin-Systeme zur Schmerzcoupierung werden von diesen Patienten häufig bevorzugt.
In der Behandlung von Nicht-Karzinomschmerzen fehlen Langzeitstudien für Opioide bei geriatrischen Patienten. Sicherheit und Verträglichkeit sollten mit individueller Titration und regelmässiger Monitorisierung von Leber- und Nierenfunktion gewährleistet werden. Neuropathischer Schmerz benötigt meist höhere Opioiddosen als nozizeptiver Schmerz und besonders neuropathischer Schmerz scheint gut auf Buprenorphin anzusprechen. Als einziges Opioid ist die Elimination von Buprenorphin nicht durch eine verminderte Nierenfunktion eingeschränkt, so dass diese Substanz in der geriatrischen Patientenklientel zu bevorzugen ist. Bei anderen Opioiden sollten die Dosen ggf. verringert und auf mehrere Einzelgaben verteilt werden.
Opioide und Atemdepression: Besonders bei Patienten mit eingeschränkter pulmonaler Reserve oder bei solchen, welche mehrere zentral depressive Substanzen einnehmen, müssen Opioide sorgfältig und zurückhaltend eingesetzt werden. Auch hier bieten transdermale Systeme Vorteile (8).

Opiatsicherheit in der Schweiz

Dass sich in den USA die Opioidkrise entwickeln konnte, ist eine traurige, aber im Nachhinein nachvollziehbare Tatsache. Es stellt sich die Frage, was wir aus den gemachten Erfahrungen lernen und verhindern können, dass sich in der Schweiz gleiches wiederholt? Nehmen wir dazu drei Positionen ein: Diejenige des Arztes, des Patienten und des Gesetzgebers.

Was kann der Arzt tun, damit nicht zu viele Opioide verschrieben werden?

Der informierte Arzt stellt die Indikation für Opioide eng, d.h. nach geltenden Therapieempfehlungen und nach Ausschöpfung aller verfügbaren und sinnvollen Optionen, welche pharmakologische und nicht-pharmakologische Therapien umfassen. Er vereinbart mit dem Patienten klare und erreichbare Therapieziele sowie regelmässige Konsultationen zur Reevaluation. Retardpräparate, welche nach einem fixen Dosierungsschema eingenommen werden, sind schnell anflutenden Galeniken vorzuziehen. Diese sollten als Reservemedikation Schmerzspitzen vorbehalten sein. Über potenzielle unerwünschte Wirkungen und Risiken muss der Patient ausführlich aufgeklärt werden, dies inklusive des Suchtrisikos. Es wird Kontakt zu mitbehandelnden Ärzten gesucht und vereinbart, in wessen Hand die Pharmakotherapie liegt (Kasten 2).

Was kann der Patient tun, damit er nicht abhängig wird?

Wichtig ist, dass Behandlungsziele zu Beginn der Behandlung abgemacht werden, dies möglichst schriftlich. Ist die dann durchgeführte Behandlung nicht zielführend – die eingesetzten Opioide beispielsweise nicht ausreichend schmerzlindernd – soll ein neues Therapieregime angewendet werden.
Der Patient muss realistische Therapieerwartungen haben – bei langjährigen schweren Schmerzerkrankungen ist eine völlige Schmerzfreiheit ein unrealistisches Ziel. Schmerzreduktion, Funktionalitätsverbesserung oder manchmal auch nur eine bessere Schmerzverarbeitung sind oft die realistischen Ziele.
Zudem darf der Patient nicht an verschiedenen Orten Medikamente beziehen, sich nicht von mehreren Ärzten Medikamente verschreiben lassen. Der behandelnde Arzt ist darüber genau zu informieren, wer bisher in die Therapie einbezogen ist und welche Massnahmen getroffen wurden. Offene Kommunikation und eine intakte Patient-/Arztbeziehung sind mandatorisch.
Und der Patient darf, was selbstverständlich sein sollte, keine illegalen Substanzen zusätzlich konsumieren. Auch über einen Cannabis-Konsum sollte der Behandler informiert sein.

Was kann der Gesetzgeber tun, damit Opioide nicht übermässig verschrieben werden?

Die Opioidverschreibung in der Schweiz ist klar geregelt und findet eine optimale Balance zwischen der kontrollierten Verschreibung und problemloser Erhältlichkeit für medizinische Zwecke. Erleichternd wäre, wenn Informationen zur Verschreibung auf einer Patientenkarte gespeichert würden, aus denen ersichtlich ist, was der Patient im individuellen Fall schon von wem verschrieben bekommen hat – nicht nur in Bezug auf Opioide, sondern auch auf andere, möglicherweise interagierende Substanzen, von denen der Verschreiber wissen sollte. Eine erhöhte Transparenz könnte hier zu verbesserter Arzneimittel- und damit Patientensicherheit führen. Pharmazeuten und Versicherer arbeiten schon lange an entsprechenden Lösungen, welche v.a. aus datenschutzrechtlichen Gründen bisher nicht realisiert sind.

Dr. med. Antje Heck

Fachärztin für Klinische Pharmakologie und Toxikologie FMH
Fachärztin für Anästhesie FMH, Schmerzspezialistin SGSS
Leiterin Sprechstunde Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit
Oberärztin Psychiatrische Klinik Königsfelden
Postfach 432
5201 Brugg

antje.heck@pdag.ch

Prof. Dr. med. Eli Alon

Facharzt für Anästhesiologie FMH, Schmerzspezialist SGSS
Professor für Anästhesiologie und Schmerzmedizin an der
Universität Zürich
Praxis für Schmerztherapie
Arzthaus Zürich City
Lintheschergasse 3
8001 Zürich

eli.alon@arzthaus.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Opioide nehmen einen unverzichtbaren Stellenwert in einer modernen, multimodalen Schmerztherapie ein.
  • Angst ist bei der Handhabung von Opioiden fehl am Platz – ein gesunder Respekt des Verschreibers allerdings angebracht.
  • Gezielte Diagnosestellung, das Beherrschen des pharmakologischen Armamentariums, Behandlungsempfehlungs-gerechte Behandlung und Definition verbindlicher Therapieziele sind ebenso Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie des chronischen Schmerzpatienten wie das Ausschöpfen nicht-pharmakologischer Behandlungsoptionen, wie z.B. Psychotherapie, Physiotherapie und physikalischer Methoden.
  • Ebenso helfen nicht-Opioidanalgetika und Koanalgetika wie Antiepileptika und Antidepressiva, den Opioidbedarf zu minimieren. Denn auch hier sollte gelten: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.
  • Der Funktionalität und der Lebensqualität des Patienten gilt dabei mindestens gleich grosse Aufmerksamkeit wie der Schmerzreduktion.
  • Regelmässige Kontrolluntersuchungen mit engmaschiger Begleitung des informierten Patienten sind Voraussetzungen, das Risiko eines unkontrollierten Opioidgebrauchs mit entsprechenden Folgen, wie sie sich in der Opioidkrise der USA gezeigt haben, zu verhindern.

Messages à retenir

  • Les opioïdes jouent un rôle indispensable dans la thérapie moderne et multimodale de la douleur.
  • La peur n’est pas de mise dans le traitement aux opiacés – un respect sain du prescripteur d’opiacés est cependant approprié.
  • Un diagnostic ciblé, la maîtrise de l’arsenal pharmacologique, un traitement conforme aux recommandations thérapeutiques et la définition d’objectifs thérapeutiques contraignants sont autant de conditions préalables à la réussite du traitement des patients souffrant de douleurs chroniques que de tirer pleinement parti des options de traitement non pharmacologiques, telles que la psychothérapie, la physiothérapie et les méthodes physiques.
  • De même, les analgésiques non opiacés et les co-analgésiques tels que les médicaments antiépileptiques et les antidépresseurs contribuent à minimiser le besoin d’opiacés. Ici aussi, le principe est le suivant : autant que nécessaire, aussi peu que possible.
  • La fonctionnalité et la qualité de vie du patient font l’objet d’au moins autant d’attention que la réduction de la douleur.
  • Des contrôles réguliers avec une surveillance étroite du patient informé sont une condition préalable pour prévenir le risque d’utilisation incontrôlée des opioïdes, avec les conséquences correspondantes, comme l’a démontré la crise des opioïdes aux États-Unis

1. Heck A, Alon E: Einsatz von Opioiden aus der Sicht des Schmerztherapeuten (Teil 1). Der informierte arzt 2020;10(4):10-12
2. Wertli M et al: Changes over time in prescription practices of pain medications in Switzerland between 2006 and 2013: an analysis of insurance claims. BMC Health Serv Res. 2017 Feb 27;17(1):167
3. Hess B et al: Relevance and Application if Opioids in the Treatment of Chronic Pain in Switzerland- a National Survey. PRAXIS 2015;104 (11):557-63
4. Daniel Ryser 16.10.2018. Wir haben keine Opioid- Krise. Wir haben eine Krise der Ignoranz. Republik.ch
5. INCP Annual Report 2018
6. Zeit online: Oxycontin. Die Pillendreher. Nr 49/ 2017
7. Heck A, Alon E: Nicht-Opioid-Analgetika in der Geriatrie. Der Informierte Arzt 2019;9(9):33-37
8. Pergolizzi J et al: Opioids and the management of chronic severe pain in the elderly: consensus statement of an International Expert Panel with focus on the six clinically most often used World Health Organization Step III opioids (buprenorphine, fentanyl, hydromorphone, methadone, morphine, oxycodone). Pain Pract. 2008 Jul-Aug;8(4):287-313.

Die Probleme mit «basket trials»

Die Probleme mit «basket trials»

Subbiah V et al. Dabrafenib plus trametinib in patients with BRAFV600E-mutated biliary tract cancer (ROAR): a phase 2, open-label, single-arm, multicentre basket trial. Lancet Oncol 2020 (August 17), https://doi.org/10.1016/ S1470-2045(20)30321-1

Zusammenfassung (im Original): Dabrafenib plus trametinib combination treatment showed promising activity in patients with BRAFV600E-mutated biliary tract cancer, with a manageable safety profile. Routine testing for BRAFV600E mutations should be considered in patients with biliary tract cancer.

Brigatinib folgt Crizotinib «hard on its heels»

Camidge DR et al. Brigatinib versus Crizotinib in advanced ALK inhibitor–naive ALK-positive Non–Small Cell Lung Cancer: second interim analysis of the phase III ALTA-1L trial. J Clin Oncol 2020 (Au-gust 11): DOI https://doi. org/10.1200/JCO.20. 00505.

Zusammenfassung (im Original): Brigatinib represents a once-daily ALK inhibitor with superior efficacy, tolerability, and QoL over crizotinib, making it a promising first-line treatment of ALK-positive NSCLC.

Nachhaltige Effekte einer einmaligen Koloskopie

Pilonis ND et al. Long-term colorectal cancer incidence and mortality after a single negative screening colonoscopy. Ann Intern Med 2020; 173: 81-91.

Zusammenfassung (im Original): A single negative screening colonoscopy was associated with reduced colo-rectal cancer incidence and mortality for up to 17.4 years. Only high-quality colonoscopy yielded profound and stable reductions in CRC incidence and mortality throughout the entire follow-up.

«Eating Beef causes Colon Cancer!»

Thorel M et al. Clouded leopard (Neofelis nebulosa) morbidity and mortality in captive-bred populations: a comprehensive retrospective study of medical data from 271 individuals in European, Asian, and Australian zoos. J Zoo Wildlife Med 2020; 51: 150-158.

Benjamin B. Norton BB et al. Causes of morbidity in captive African lions (Panthera leo) in North America, 2001–2016. Zoo Biology 2018; 37: 354–359.

Owston, M. A., Ramsay, E. C., & Rotstein, D. S. (2008). Neoplasia in felids at the Knoxville zoological gardens, 1979–2003. J Zoo Wildlife Med 2008;
39: 608–613.

Zusammenfassung: Bei 271 in Zoos verstorbenen Nebelpardern (Abb. 1) fand sich nur in 7% der Tiere eine maligne Neoplasie (am häufigsten Phäochromozytome oder Plattenepithelkarzinome der Pfoten), darunter kein einziges gastro-intestinales Karzinom. Nur 21 von 111 Löwen in US-Zoos litten an einem malignen Tumor, meistens an hepatobiliären, endokrinen und gynäkologischen Karzinomen, ferner malignen Lymphomen. Bei 47 euthanasierten Raubkatzen im Zoo von Knoxville TN (US) fanden sich 24 Malignome, darunter aber nur 3 Karzinome des GIT.

Prof. em. Dr. med. Martin Fey

Bern

martin.fey@insel.ch

Beratungsmandat bei Nestlé Health Sciences, Epalinges, Aktien von Novartis, Roche und Johnson & Johnson

Biologische und klinische Bedeutung der dysplastischen Hämatopoese bei Patienten mit neu diagnostiziertem Multiplem Myelom

Biologische und klinische Bedeutung der dysplastischen Hämatopoese bei Patienten mit neu diagnostiziertem Multiplem Myelom

Quelle: Maia C et al. Biological and clinical significance of dysplastic hematopoiesis in patients with newly diagnosed multiple myeloma. Blood. 2020;135(26):2375-2387

Das Risiko, ein myelodysplastisches Syndrom (MDS) zu entwickeln, ist bei Multiplem Myelom (MM) und monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS) erhöht, was darauf hindeutet, dass das MDS therapieunabhängig auftreten kann. Allerdings sind die Inzidenz und die Folgen dysplastischer Hämatopoese bei MM-Diagnose unbekannt. Die mehrdimensionale Durchflusszytometrie (MFC) wurde zur prospektiven Untersuchung auf das Vorhandensein von MDS-assoziierten phänotypischen Veränderungen (MDS-PA) im Knochenmark von 285 Patienten mit MM aus der PETHEMA/GEM2012MENOS65-Studie (#NCT01916252) verwendet. Die klinische Bedeutung von monozytärem MDS-PA wurde in einer grösseren Serie von 1252 Patienten aus den 4 PETHEMA/ GEM-Protokollen untersucht. Bei der Diagnose zeigten 33 (11,6%) von 285 Fällen MDS-PA. Bulk- und Einzelzell-Sequenzierung von bei MDS mutierten Genen in CD34+ Vorläufern (und dysplastischen Zellreihen) von 67 Patienten zeigten in 13 (50%) von 26 Fällen eine klonale Hämatopoese mit MDS-PA gegenüber 9 (22%) von 41 ohne MDS-PA; TET2 und NRAS waren die am häufigsten mutierten Gene. Die Dynamik von MDS-PA bei Diagnose und nach autologer Transplantation wurde bei 86 von 285 Patienten ausgewertet und zeigte, dass in den meisten Fällen (69 von 86[80%]) MDS-PA bei Patienten mit oder ohne MDS-PA zum Zeitpunkt der Diagnose persistierte bzw. abwesend blieb.
Bemerkenswert ist, dass MDS-assoziierte Mutationen selten nach einer hochdosierten Therapie auftraten. Basierend auf dem MFC-Profiling haben Patienten mit MDS-PA eine veränderte Hämatopoese und Verteilung T-regulierender Zellen in der Tumormikroumgebung. Wichtig ist, dass das Vorhandensein von monozytärem MDS-PA bei der Diagnose ein grösseres Risiko hämatologischer Toxizität bedeutete und unabhängig mit geringerem progressionsfreiem Überleben (Hazard Ratio, 1,5; P 5,02) und Gesamtüberleben (Hazard Ratio, 1,7; P 5,01) assoziiert war.
Diese Studie zeigt die biologische und klinische Bedeutung der dysplastischen Hämatopoese, welche mit mässiger Sensitivität mittels kostengünstiger MFC gescreent werden kann, bei neu diagnostiziertem MM.

Prof. Dr. med.Markus G. Manz

Zentrum für Hämatologie und Onkologie
UniversitätsSpital Zürich

PD Dr. med. Alexandre Theocharides

Zentrum für Hämatologie und Onkologie
UniversitätsSpital Zürich

Alexandre.Theocharides@usz.ch

Myelodysplastische Syndrome: Überprüfung der Einhaltung der Richtlinien und deren Nutzen für Patienten

Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) stellt in dieser Ausgabe eine Studie vor. Die SAKK ist eine Non-Profit-Organi­sation, die klinische Studien in der Onkologie durchführt. Bei Interesse für die hier vorgestellte Studie oder falls Sie eine Patientin oder einen Patienten zuweisen möchten, kontaktieren Sie bitte den Studienverantwortlichen (Coordinating Investigator) oder den Studienkoordinator (Clinical Project Manager).

Myelodysplastische Syndrome (MDS) sind eine heterogene Gruppe von malignen hämatologischen Stammzell-Krankheiten, die vor allem bei Personen über 70 Jahre auftreten. Es gibt verschiedene Guidelines zu Diagnostik und Therapie von MDS, doch wie diese Richtlinien in der klinischen Praxis eingehalten werden und ob dadurch das Outcome der Patienten beeinflusst wird, ist unbekannt.
Die MDS Erkrankungen werden wegen des schleichenden Verlaufes oft nicht erkannt, obwohl pro Jahr mehr als 300 MDS neu diagnostiziert werden und etwa 1600 Patientinnen und Patienten damit leben. Wegen der Alterung der Bevölkerung ist anzunehmen, dass die MDS-Fallzahlen weiter ansteigen werden.

Wie werden Guidelines eingehalten?

Um die Diagnose und Therapie von MDS zu optimieren, wurden Guidelines entwickelt, zum Beispiel vom European LeukemiaNet und dem National Comprehensive Cancer Network (NCCN) in den USA. Guidelines führen jedoch nicht zwingend zu einer besseren Qualität der Versorgung, wenn sie nicht umgesetzt werden. Um zu messen, wie Guidelines in der täglichen Praxis eingehalten werden, wurden von der SAKK Studiengruppe Guideline-basierten Indikatoren (GBI) definiert (https://doi.org/10.1182/blood-2019-122285). Mithilfe dieser GBIs wird es möglich sein, das Einhalten von diagnostischen und therapeutischen Richtlinien bei MDS-Patienten zu messen und herauszufinden, welche Faktoren mit einer Nichteinhaltung assoziiert sind und welchen Einfluss dies auf relevante Outcomes hat. Mit der SAKK 33/18 Studie lassen sich allfällige Mängel in der Gesundheitsversorgung von MDS-Patienten identifizieren und Empfehlungen formulieren, wie die Versorgung von MDS Patienten verbessert werden kann.

Daten aus dem Swiss MDS Registry

SAKK 33/18 ist eine multizentrische, prospektive Beobachtungsstudie, die mit Daten aus dem Swiss MDS Registry durchgeführt wird. An diesem Register beteiligen sich zahlreiche Spitäler der Schweiz; gesammelt werden Daten von MDS-Patienten, die in der Schweiz behandelt werden. Bevor die Daten in das Register aufgenommen werden können, braucht es die schriftliche Zustimmung der Patientinnen und Patienten. Es wird angestrebt, dass während vier Jahren (2019-2023) 100-150 Patienten jährlich in das Register aufgenommen werden, so dass für die Studie SAKK 33/18 umfassende Daten von 400-600 Patienten zur Verfügung stehen sollten.

Hypothesen

Momentan vermuten die Forschenden, dass die Richtlinien bei MDS-Patienten nicht optimal eingehalten werden. Mögliche Gründe dafür sind beispielsweise höheres Patientenalter, Begleit-erkrankungen des Patienten, fortgeschrittenere Krankheit oder Nichtverfügbarkeit von Tumorboards. Weiterhin gehen die Forschenden davon aus, dass das Outcome der Patienten verbessert werden kann, wenn die Guidelines besser eingehalten werden. Im Rahmen der Studie werden verschiedene Outcome-Parameter untersucht, darunter Lebensqualität, Häufigkeit unerwünschter Ereignisse, ereignisfreies Überleben, progressionsfreies Überleben, leukämiefreies Überleben und Gesamtüberleben.
Diese Studie wird unterstützt durch einen Grant der Stiftung Krebsforschung Schweiz und Forschungsvereinbarungen mit folgenden Institutionen: Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI, Stiftung Krebsforschung Schweiz und Krebsliga Schweiz.

Studienname:
I-CARE for MDS: Impact of Guidelines Adherence on Effectiveness and Safety of Health CARE Provided to MDS Patients.

Teilnehmende Zentren:
Kantonsspital Aarau, Universitätsspital Basel, EOC – Istituto Oncologico della Svizzera Italiana, Inselspital Bern, Hôpital du Valais/Spital Brig, Kantonsspital Graubünden, Spital Thurgau – Kantonsspital Frauenfeld, Kantonsspital Baselland Liestal, Luzerner Kantonsspital, Kantonsspital
St. Gallen, Stadtspital Triemli, UniversitätsSpital Zürich.

Coordinating Investigator:
Prof. Dr. med. Nicolas Bonadies, Inselspital Bern nicolas.bonadies@insel.ch.

Supporting Coordinating Investigators:
PD Dr. med. Julia Bohlius, Universität Bern
julia.bohlius@ispm.unibe.ch;
PD Dr. med. Georg Stüssi, Onkologisches Institut der Italienischen Schweiz (IOSI)
georg.stuessi@eoc.ch.

Clinical Project Manager:
Dr. med. vet. Charlotte Maddox, SAKK Bern
charlotte.maddox@sakk.ch.

Kommentar zur Studie von Prof. Dr. med. Nicolas Bonadies

Wie für zahlreiche andere Krebserkrankungen, wurden auch für Patienten mit Myelodysplastischen Syndromen evidenzbasierte Richtlinien und Empfehlungen veröffentlicht. Dies führt jedoch nicht zwingend zu einer besseren Versorgungsqualität, wenn sie in der täglichen, klinischen Praxis nicht umgesetzt werden. In dieser Studie haben wir erstmals richtlinienbasierten Indikatoren (Guideline-based indicators: GBIs) in Zusammenarbeit mit der European Leukemia Net (ELN) und anderen internationalen MDS-Experten für die Bereiche Diagnostik, Therapie und infrastrukturelle Charakteristika entwickelt. Diese GBIs stellen messbare Elemente für die Einhaltung von Leitlinien dar und können als standardisiertes Instrument eingesetzt werden, um die Versorgungsqualität und Angemessenheit von Massnahmen erfassen, vergleichen und verbessern zu können (klinische Entwicklungszyklen). Diese GBIs sollen nun in der prospektiven I-CARE for MDS Studie (SAKK 33/18) angewendet und Gründe der Adhärenz/Nicht-Adhärenz, Umsetzbarkeit im Alltag sowie Einfluss auf relevante Outcomes erfasst werden. Unsere Studie wird es erstmals ermöglichen, klinisch relevante GBIs für klinische Entwicklungszyklen zu validieren. Diese sollen dazu dienen, die Versorgungsqualität bei MDS Patientinnen und Patienten standardisiert zu messen, allfällige Missstände aufzudecken und gezielt zu verbessern.

Prof. Dr. med. Roger von Moos

Direktor Tumor- und Forschungszentrum
Kantonsspital Graubünden
7000 Chur

tumorzentrum@ksgr.ch

Interprofessionelle Zusammenarbeit in der Darmkrebsfrüherkennung

Früh erkannter Darmkrebs ist meist heilbar. Doch wie erreicht man in der Früherkennung eine gelebte Interprofessiona­lität? Ein Projekt der Nationalen Strategie gegen Krebs zeigt konkrete Lösungsansätze.

Früherkennung ist sinnvoll

Experten sind sich einig: Da sich Darmkrebs nur langsam entwickelt, sind qualitätsgesicherte Früherkennungsmassnahmen wie Stuhltest und Koloskopie sinnvoll. Durch geeignete Screening-Tests zum Nachweis fortgeschrittener präneoplastischer Läsionen kann Dickdarmkrebs bereits in einem frühen, oft heilbaren Stadium diagnostiziert werden. Insbesondere die Koloskopie bietet die Chance, frühzeitig präkanzerogene Veränderungen zu erkennen. Polypen können während einer Koloskopie präventiv entfernt werden, bevor sie sich zu einem bösartigen Tumor entwickeln.
Darmkrebs ist in der Schweiz die dritthäufigste Krebsart. Jährlich werden rund 4300 Menschen mit der Diagnose Darmkrebs konfrontiert. 1700 Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen der Krankheit. Systematische Vorsorgeuntersuchungen senken Mortalität und Morbidität durch Darmkrebs. Nicht umsonst propagieren die WHO-Leitlinien für die Krebsfrüherkennung daher die Entwicklung von Früherkennungsprogrammen und Einführung von Routine-Screening-Programmen zur Verringerung der Auswirkungen von Darmkrebs.

Allen Personen einen gleichwertigen Zugang bieten

Der Verband Swiss Cancer Screening (SCS) verantwortet den Aufbau, die Harmonisierung und die Qualitätssicherung von Krebsfrüherkennungsprogrammen in der Schweiz. Zusammen mit der Krebsliga Schweiz (KLS), die sich vor allem aus der Sicht der Krebsbetroffenen für eine gute Information, Beratung und Unterstützung im Thema einsetzt, haben die beiden Organisationen unter der Schirmherrschaft der Nationalen Strategie gegen Krebs (NSK) eine Projektgruppe gebildet und in enger Zusammenarbeit geleitet. Das Ziel des NSK-Projektes 2.1 ist es, der gesamten Zielgruppe in der Schweiz einen einfachen, chancengerechten Zugang zu einer gleichbleibenden, qualitativ hochstehenden Darmkrebs-Früherkennung zu ermöglichen. Im föderalen Umfeld gestaltet sich die Umsetzung eines solchen Vorhabens schwierig, liegt doch die Hoheit zur Umsetzung von Präventivmassnahmen in der Verantwortung der einzelnen Kantone.

Charta setzt auf drei Ebenen an: Information, Qualität und Vergütung

Den Initiatoren war klar, dass eine erfolgreiche Umsetzung dieser Idee nur durch eine enge, interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen allen an der Früherkennung Beteiligten möglich ist. Mit der Charta Interprofessionelle Zusammenarbeit in der Darmkrebsvorsorge ist dies gelungen. Nebst den genannten Organisationen SCS und KLS haben sich Haus- und Kinderärzte Schweiz (mfe), Pharmasuisse (phS), die Fachgesellschaften der Gastroenterologie (SGG) und der Pathologie (SGPath) zusammengetan.
Um das Angebot an qualitativ hochstehender Früherkennung von Darmkrebs auszubauen, haben sie folgende Ziele formuliert:

  • Schweizweit erhalten alle Personen, die zur Darmkrebsfrüherkennung gehen, eine Leistung mit gleichwertiger hoher Qualität. Die dazu einzuhaltenden Qualitätsstandards sind in einer einheitlichen Richtlinie festgelegt.
  • Alle Personen erhalten einheitliche und ausgewogene Informationen über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Massnahmen zur Darmkrebsfrüherkennung.
  • Durch die Bereitstellung wissenschaftlicher Dokumentation verfügen die beteiligten Fachpersonen über einen einheitlichen, aktuellen Wissensstand.
  • Ein reibungsloser Ablauf ist durch die Festlegung des Informations- und Kommunikationsflusses zwischen den beteiligten Akteuren garantiert.
  • Zum Bestimmen der Wirksamkeit hinsichtlich einer Senkung von Mortalität und Morbidität bei Darmkrebs wird das Angebot regelmässig überprüft und evaluiert.
  • Die Leistungen im Rahmen der Darmkrebsfrüherkennung werden zu einem Einheitstarif erbracht und möglichst franchisebefreit von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen.

Die an der Früherkennung beteiligten Fachpersonen verpflichten sich, zur Realisierung dieser Ziele eng und koordiniert zusammenzuarbeiten. Die Verantwortung wird entsprechend den fachlichen Kompetenzen und in gemeinsamer Absprache wahrgenommen. Die gegenseitige Information ist jederzeit gewährleistet, die Arbeit basiert auf gegenseitigem Respekt und gemeinsam definierten, anerkannten Standards.

Erste Ziele erreicht

In enger Zusammenarbeit sowie unter Einbezug weiterer Fachkreise und Experten sind die ersten nationalen Qualitätsstandards in der Darmkrebsvorsoge entstanden. Patienteninformationen sind harmonisiert und zielgruppengerecht formuliert, eine schweizweit einheitliche Finanzierung der Untersuchungskosten ist weitestgehend erreicht. Zudem erscheint regelmässig der Newsletter zur Darmkrebsfrüherkennung. Er informiert über die laufenden Arbeiten und erreichten Ziele. Die während den letzten Jahren gemeinsam erarbeiteten Grundlagen sind den Initianten Hilfe genug, effizient und harmonisiert neue kantonale Programme zur Darmkrebsvorsorge zu lancieren. Im Jahr 2021 werden voraussichtlich über 50 Prozent der Schweizer Bevölkerung Zugang zur systematischen Darmkrebsvorsore erhalten.
Dieses Projekt zeigt, wie durch gemeinsame koordinierte Arbeit unter Fachpersonen im Interesse der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention für die Bevölkerung viel erreicht werden kann.

Interview mit Prof. Marcel Zwahlen, Präsident des Expertengremiums Krebsfrüherkennung «Cancer Screening Committee»

«Krebs-Screening hat einen intuitiven Charme»

Herr Professor Zwahlen, was versteht man unter Krebsfrüherkennung?

Grundsätzlich ist das Ziel, eine Krebserkrankung in einem frühen Stadium, also noch bevor sie Beschwerden verursacht, zu entdecken. Früh erkannt, kann eine Erkrankung oft erfolgreicher behandelt werden. Es ist diese Idee, dass ein Problem frühzeitig erkannt und deshalb besser bewältigt werden kann, das den intuitiven Charme von Krebs-Screening ausmacht. Ich vermeide übrigens gerne den Begriff «Früherkennung» und spreche stattdessen lieber von «Screening».

Aus welchem Grund?

Man stellt in einem Vorsorgeuntersuch möglicherweise etwas fest, das weiter abgeklärt werden muss. Aber ob das Gefundene ein Problem darstellen wird– es sich also um eine Früherkennung handelt– ist damit nicht gesagt. Screening ist unaufgeregter und trifft den Vorgang besser. Ein Screening sagt: «Wir haben etwas beobachtet, das wir weiter untersuchen und abklären müssen. Vielleicht ist es kein Problem, vielleicht ist es eins. Ob es schlimm ist, lässt sich noch nicht sagen». Folgeuntersuchungen werden zeigen, ob es sich tatsächlich um Krebs handelt. Dann wird eine Behandlung begonnen. Wir reden hier also von einer ganzen Kette von Massnahmen, von denen die Screening-Untersuchung nur das erste Glied ist.

Sie haben vom «intuitiven Charme» der Idee der Früherkennung gesprochen. Sind die Erwartungen an Früherkennung bzw. Screenings zu hoch?

Screenings bringen – hoffentlich – den gewollten Nutzen, sie bringen aber immer auch ein Schadenpotential mit sich. Im Idealfall kann mit einem Screening die krebsbedingte Sterblichkeit gesenkt werden. Ein Screening hat aber auch immer unterwünschte Folgen, wie falsch-positive Befunde, die weitere Untersuchungen und Abklärungen nach sich ziehen. Solche Abklärungsphasen sind für die Betroffenen teilweise sehr belastend. Ein weiteres Problem sind Krebsdiagnosen, die zu Lebzeiten des Patienten keine Beschwerden verursachen. Da man das zum Zeitpunkt der Diagnose im Einzelfall nicht weiss, führen solche sogenannten Überdiagnosen zu Behandlungen, die im Prinzip unnötig sind. Ohne Screening könnte jede unerwünschte Folge vollständig vermieden werden.

Sie sind Präsident des Expertengremiums Krebsfrüherkennung «Cancer Screening Committee», einem NSK-Projekt. Weshalb braucht es dieses Gremium?

Wie die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF), die uns als Vorbild dient, sind wir eine unabhängige Expertenkommission und vermitteln zwischen Behörden und Fachkreisen. Wir erarbeiten in der Hauptsache wissenschaftlich gut begründete, ausgewogene und von Partikularinteressen unabhängige Empfehlungen zu Krebs-Screenings. Da beim Krebs-Screening, falls empfohlen, grosse Teile der Bevölkerung von diesen Empfehlungen betroffen sind, ist es sehr sinnvoll, dass die Empfehlungen auf diese Art zustande kommen. Gewisse andere Länder haben auch solche Gremien oder Institutionen, etwa Grossbritannien, die USA und Deutschland. Zum Teil behandeln sie thematisch sogar mehr als nur Fragen zu Krebs-Screenings.

Aktuell bearbeiten Sie die Frage, ob ein Lungenkrebs-Screening mit niedrigdosierter Computer-Tomographie in der Schweiz eingeführt werden soll.

Ja. Wir machen das lege artis und werden schätzungsweise im Herbst nächsten Jahres eine fundierte Antwort haben. Unsere Trägerschaft wünscht hier eine Antwort, die insbesondere die vor ein paar Monaten publizierten Resultate der niederländisch-belgischen NELSON-Studie mit einbezieht.

Lungenkrebs gehört in der Schweiz zu den fünf häufigsten Krebsarten und ist mit 3200 Todesfällen die häufigste Krebs-todesursache. Gemäss der NELSON-Studie verringert eine low-dose-Computer-Tomographie-Untersuchung (LDCT) die Mortalität bei Männern mit hohem Lungenkrebs-Risiko um 26 Prozent und bei Frauen mit hohem Risiko um bis zu 61 Prozent über einen Zeitraum von 10 Jahren. Was gibt es da noch zu diskutieren?

In der Tat berichteten gewisse Medien euphorisch über diese Reduktion der Mortalität. Allerdings beziehen sich diese Prozentsätze nur auf die Todesfälle an Lungenkrebs. Betrachtet man, wie viele Todesfälle insgesamt aufgetreten sind, existiert zwischen den beiden Gruppen – mit oder ohne LDCT – kein klarer Unterschied. Die Beurteilung wird also nicht so einfach sein, wie einige erwarten. Zudem müssen wir allfällige Folgeuntersuchungen nach einem LDCT genau betrachten. Wie häufig und invasiv sind solche Untersuchungen? Wie hoch ist das Risiko für Komplikationen aufgrund der Folgeuntersuchungen? Und so weiter.
Ob ein LDCT-Screening tatsächlich breitflächig empfehlenswert ist, muss daher noch sorgfältig abgewogen werden. Und genau das ist die Aufgabe des Komitees.

Was geschieht mit der im Jahr 2021 zu erwartenden Empfehlung?

Wir nehmen mit unserer Empfehlung – ob für oder gegen ein Screening – nur eine Vermittlerrolle ein für die wissenschaftliche Beratung der Behörden. Die Entscheidung, ob ein LDCT-Screening in den obligatorischen Leistungskatalog der Krankenversicherer aufgenommen werden soll oder nicht, liegt bei den Behörden. Unsere Kommission hat ihr Ziel erreicht, wenn das Eidgenössische Departement des Innern und das Bundesamt für Gesundheit unsere Arbeit verwenden. Und wenn wir für die Behörden als wichtiges und vertrauenswürdiges Organ betrachtet werden, wenn es um Fragen zu Krebs-Screenings geht.

ZUR PERSON

Prof. Dr. phil. Marcel Zwahlen ist in der Region Bern aufgewachsen und lebt in Bern. Er studierte Physik und Mathematik in Bern, doktorierte in Epidemiologie an der Johns Hopkins University in Baltimore, USA (die kürzlich mit oft zitierten Zahlen zu den Corona-Fällen bekannt wurde). Seit 2003 ist er am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern tätig und seit 2017 dessen stellvertretender Direktor. Ausser während des USA-Aufenthalts hat er nie ein Auto besessen; er ist ein Fan des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz. Nebst dem öV benutzt er ausschliesslich das Fahrrad, um von A nach B zu kommen.

Dr. Claudia Weiss

Geschäftsführerin Swiss Cancer Screening

Dr. jur. Catherine Gasser

Co-Gesamtprojektleiterin NSK

catherine.gasser@krebsliga.ch

Kritische Punkte bei der Diagnostik des Eisenmangels

Eisen ist das vierthäufigste Element der Erdkruste, das in vielen Nahrungsmitteln ausreichend vorhanden ist. Dennoch ist Eisenmangel die häufigste Mangelerkrankung, an der welt­weit zwei Milliarden Menschen leiden (1). Dabei ist Eisen für alle Zellen lebenswichtig. Dessen Mangel führt nicht nur zu einer Beeinträchtigung der Hämproduktion, sondern hat Auswirkung auf den gesamten Organismus und ist die patho­physiologische Grundlage vieler klinischer Symptome. Warum ist der Eisenmangel dennoch so häufig? In diesem ersten Teil des Artikels werden die kritischen Punkte der Diagnostik eines Eisenmangels dargestellt, ein späterer zweiter Teil wird der Substitution gewidmet sein.

Natürlich stehen dabei die altbekannten physiologischen Ursachen wie Wachstum, Regelblutung und Schwangerschaft im Vordergrund, die durch pathologische Prozesse mit chronischem Blutverlust und nicht zuletzt durch Diäten, Mangel- und Fehlernährung verstärkt werden. Angesichts der zahlreichen Faktoren, die zu einer negativen Eisenbilanz beitragen können, kann man den häufigen Eisenmangel in den Entwicklungsländern sicher verstehen. In den Industrieländern, wo genügend Nahrungsmittel, Medikamente und ein dichtes Netz medizinischer Versorgung zur Verfügung stehen, ist dessen hohe Prävalenz nicht wirklich zu verstehen und schon gar nicht zu rechtfertigen. Hier sollte es möglich sein, den Eisenstatus der Bevölkerung zuverlässig zu erfassen und bedarfsorientiert zu therapieren. Offensichtlich sind die diagnostischen und therapeutischen Massnahmen jedoch zumindest suboptimal und verbesserungswürdig.

Diagnostik

Die Grundlage einer optimalen bedarfsorientierten Therapie des Eisenmangels ist eine zuverlässige Beurteilung des Eisenstatus des Patienten. Dabei muss man sich zunächst klarmachen, dass der Eisenmangel ein dynamischer Prozess ist, der in unterschiedlicher klinischer Ausprägung vorliegen kann (Abb. 1). Eine negative Eisenbilanz führt zunächst zu einem Speichereisenmangel (Stadium I), der zumindest aus hämatologischer Sicht lediglich einen Schönheitsfehler ohne klinische Relevanz darstellt. Die Eisenspeicher sind zwar reduziert, die Erythropoese wird jedoch noch genügend mit Eisen versorgt. Klinisch relevant wird der Eisenmangel erst im Stadium der eisendefizitären Erythropoese (Stadium II), wenn die erythropoetischen Vorstufen im Knochenmark nicht mehr optimal mit Eisen versorgt werden. Bei Absinken des Hämoglobinwertes unter die Normgrenze liegt schliesslich ein Stadium III, die Eisenmangelanämie vor.

Bei der Interpretation der verschiedenen «Eisentests» ist es wichtig zu wissen, dass sie in Sachen Eisenmangel Unterschiedliches aussagen, indem sie verschiedene Stadien erfassen (Abb. 1). Ferritin ist ein Spiegel der Eisenspeicher, sagt jedoch überhaupt nichts über die Versorgung der Erythropoese aus. Dafür müssen andere Parameter eingesetzt werden. Dazu gehören das Zinkprotoporphyrin (ZPP), die löslichen Transferrinrezeptoren (sTfR), die hypochromen Erythrozyten (HYPO) und das Retikulozytenhämoglobin (CHr). Einen indirekten Hinweis auf eine eisendefizitäre Erythropoese liefert eine erniedrigte Transferrinsättigung von ≤ 15%. Die Hämoglobinbestimmung wird schliesslich benötigt, um den Hämoglobinabfall unter die untere WHO-Normgrenze (Frauen: 120 g/l, Männer: 130 g/l) zu beweisen und dadurch den höchsten Schweregrad des Eisenmangels, die Eisenmangelanämie zu diagnostizieren. Durch Bestimmung von mehreren Parametern die sich sinnvoll ergänzen ist es möglich, den Eisenstatus einer Person genau zu charakterisieren und die klinische Relevanz einzuschätzen (Tab. 1).

Welchen Test sollte man in der täglichen Routine als Screeningparameter des Eisenstoffwechsels verwenden? Die WHO empfiehlt diesbezüglich die Bestimmung von Ferritin im Serum. Das ist von der Theorie her sicher richtig, denn Ferritin ist der einzige Laborparameter, der die Eisenspeicher widerspiegelt und somit den Eisenmangel bereits im Anfangsstadium erfasst. Ein Serumferritin <15 µg/l gilt als beweisend für einen Speichereisenmangel, höhere Werte werden als normal angesehen solange sie die Obergrenze nicht überschreiten, die nach WHO für Frauen bei 150 µg/l und für Männer bei 200 µg/l liegt. Diese Normwerte basieren jedoch auf epidemiologischen Untersuchungen und spiegeln lediglich den durchschnittlichen Eisengehalt der Eisenspeicher der jeweiligen Bevölkerung wider, haben also nichts mit einem Idealwert zu tun. Wenn heutzutage die meisten Jugendlichen übergewichtig sind, ist es zwar normal, aber noch lange nicht gut. Angesichts der Tatsache, dass eine Schwangerschaft einen Netto-Mehrbedarf von etwa 500 mg Eisen bedeutet, wäre zumindest bei Frauen im gebärfähigen Alter ein Ferritinwert von mindestens 50 µg/l (50 µg Ferritin ≈ 500 mg Speichereisen) als Startkapital wünschenswert. Die Bedeutung von Ferritin als Screeningparameter des Eisenstoffwechsels wird in der täglichen Routine durch seine Eigenschaft als Akut-Phase-Protein stark eingeschränkt. Entzündliche Erkrankungen, Neoplasien, aber auch Lebererkrankungen bewirken eine Erhöhung des Ferritinspiegels im Serum, wodurch ein bestehender Eisenmangel häufig maskiert wird. So wurden zum Beispiel bei Patienten mit hämatologischen und soliden Neoplasien trotz vorliegender Eisenmangelanämie in 25% Ferritinwerte >100 µg/l, bei weiteren 25% sogar > 800 µg/l gemessen (3). Damit ist Ferritin eigentlich nur bei anderweitig gesunden Personen anwendbar.
Aus klinischer Sicht ist es auch nicht wirklich interessant, ob die Eisenspeicher des Patienten voll oder nur halbvoll sind. Der Kliniker möchte wissen, ob die vorliegende Anämie bzw. die aktuellen Beschwerden des Patienten durch einen Eisenmangel bedingt sind, oder nicht. In diesem Zusammenhang sind Laborparameter interessant, die die Eisenversorgung der Erythropoese überwachen und eine eisendefizitäre Erythropoese diagnostizieren können. Von diesen Parametern (Abb. 1) wird meist die Transferrinsättigung empfohlen, für Patienten mit renaler Anämie unter Behandlung mit Erythropoese-stimulierenden Substanzen (ESA) die hypochromen Erythrozyten (HYPO). Der aus unserer Sicht diagnostisch wertvollste Parameter der eisendefizitären Erythropoese ist die Bestimmung des intraerythrozytären Zinkprotoporphyrin (ZPP) (4). Das ZPP entsteht bei ungenügender Versorgung der erythropoetischen Vorstufen alternativ zu Häm, indem Zink statt Eisen in das Protoporphyrin IX eingebaut wird (5). Dabei werden zwangsläufig alle Störungen des Eisenstoffwechsels erfasst, nicht nur der echte Eisenmangel. Falsch erhöhte Werte werden dagegen nur bei der sehr seltenen kongenitalen erythropoetischen Porphyrie gemessen. Durch die Bestimmung des ZPP bekommt der Kliniker auf die Frage: «Hat die Anämie irgendetwas mit Eisen zu tun?» eine klare Antwort: ja, bzw. nein. Normale Werte schliessen eine Störung des Eisenstoffwechsels (bis auf einen reinen Speichereisenmangel) aus. Erhöhte Werte beweisen eine eisendefizitäre Erythropoese und erlauben durch deren Quantifizierung auch eine Einschätzung der klinischen Bedeutung (Tab. 1).
Natürlich ist diese Stadieneinteilung des Eisenmangels und Beurteilung des Eisenstatus sehr «erythropoeseorientiert». Das hängt einerseits damit zusammen, dass bei der Beurteilung des Eisenstoffwechsels die Knochenmarksuntersuchung historisch eine Schlüsselrolle gespielt hat. Es ist aber insbesondere auf die Tatsache zurückzuführen, dass es genug Parameter gibt, um die Eisenversorgung der Erythropoese, zumindest bei anderweitig gesunden Personen, zuverlässig beurteilen zu können. Im Unterschied dazu können wir die Versorgung der anderen eisenabhängigen Systeme des menschlichen Organismus (Abb. 2) nicht laborchemisch erfassen, sondern deren Minderversorgung bei entsprechenden klinischen Symptomen und deren Besserung auf Eisengabe nur vermuten. Aufgrund dieser klinischen Beobachtungen wurde in den letzten Jahren die Frage gestellt: Gibt es einen «Eisenmangel ohne Anämie?» Auf diese Frage gibt es eine eindeutige Antwort: natürlich, sogar zwei Stadien – den Speichereisenmangel und das Stadium der eisendefizitären Erythropoese. Dabei ist jedoch nicht klar, ob alle Zellen des menschlichen Organismus gleichzeitig in gleichem Ausmass vom Eisenmangel getroffen werden. Die hohe Transferrinrezeptordichte auf den roten Vorstufen weist darauf hin, dass die Erythropoese offensichtlich bevorzugt versorgt wird. Es gibt auch klinische Hinweise darauf, dass eisenmangelbedingte Symptome bereits zu einem Zeitpunkt auftreten können, zu dem die Erythropoese noch nicht eisendefizitär ist. Das beste Beispiel dafür ist das sogenannte Eisenmangelsyndrom (Iron-Deficiency-Syndrom, IDS), das bei niedrignormalen Eisenspeichern mit Ferritinwerten <50 µg/l überwiegend bei Frauen im Menstruationsalter auftritt, durch Erschöpfungszustände, Konzentrationsstörungen, depressive Verstimmung, Schlafstörungen und Kopfschmerzen charakterisiert ist und nach Eisengabe verschwindet. Auch die funktionelle Besserung einer Herzinsuffizienz, eines ADHS, oder eines Restless-Legs-Syndroms nach Eisengabe bei Patienten ohne Anämie deutet darauf hin, dass nicht alle Systeme des menschlichen Organismus hinsichtlich der Eisenversorgung einen so hohen Stellenwert haben wie die Erythropoese, die in der Mangelsituation möglicherweise zu Lasten anderer Organsysteme bevorzugt mit Eisen versorgt wird. Angesichts dieser Überlegungen ist es nicht ganz ausgeschlossen, dass der Ausschluss einer eisendefizitären Erythropoese (vorzugsweise durch ein normales ZPP) zwar eine Minderversorgung der erythropoetischen Vorstufen, nicht jedoch eine Minderversorgung anderer Systeme ausschliesst. Erhöhte ZPP-Werte sind jedoch unabhängig von der Hämoglobinkonzentration und vom Ferritinwert ein eindeutiger Indikator einer ungenügenden Eisenversorgung, was in vielen Fällen eine ursächliche Klärung zunächst unklarer klinischer Symptomatik erlaubt und therapeutische Massnahmen erleichtert (Tab. 1, Patient 5).

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Jan Hastka

Universitätsklinikum Mannheim
Medizinische Klinik III
Hämatologie und Internistische Onkologie
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
D-68167 Mannheim

jan.hastka@umm.de

Prof. Dr. med. Georgia Metzgeroth

Universitätsklinikum Mannheim
Medizinische Klinik III
Hämatologie und Internistische Onkologie
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
D-68167 Mannheim

Die Autoren haben Vorträge für die Firma Vifor Pharma gehalten.

  • Es gibt mehrere Stadien des Eisenmangels, die bei der klinischen Beurteilung berücksichtigt werden müssen: Speichereisenmangel, eisendefizitäre Erythropoese und Eisenmangelanämie.
  • Um sich ein genaues Bild über den Eisenstatus machen zu können, sollte neben dem «Speicher-Marker» Ferritin auch ein Parameter der eisendefizitären Erythropoese untersucht werden.
  • Serumferritin <15 µg/l gilt als beweisend für einen Speichereisenmangel. Klinische Symptome des Eisenmangels können jedoch auch bei höheren Werten auftreten.

1. McLean E, Cogswell M, Egli I, Wojdyla D, de Benoist B. Worldwide prevalence of anaemia, WHO Vitamin and Mineral Nutrition Information System, 1993-2005. Public health nutrition. 2009 Apr;12(4):444-54.
2. Hastka J, Metzgeroth G, Gattermann N. Eisenmangel und Eisenmangelanämie. Leitlinien der DGHO. Onkopedia 2019.
3. Aapro M, Osterborg A, Gascon P, Ludwig H, Beguin Y. Prevalence and management of cancer-related anaemia, iron deficiency and the specific role of i.v. iron. Annals of oncology : official journal of the European Society for Medical Oncology / ESMO. 2012 Aug;23(8):1954-62.
4. Hastka J, Metzgeroth G. Rationale Anämieabklärung. J Lab Med. 2015;39(5):273-89.
5. Labbe RF, Vreman HJ, Stevenson DK. Zinc protoporphyrin: A metabolite with a mission. Clinical chemistry. 1999 Dec;45(12):2060-72.
6. Anker SD, Comin Colet J, Filippatos G, Willenheimer R, Dickstein K, Drexler H, et al. Ferric carboxymaltose in patients with heart failure and iron deficiency. The New England journal of medicine. 2009 Dec 17;361(25):2436-48.
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