Refraktive Chirurgie

Unter refraktiver Chirurgie versteht man alle Augenoperationen, welche die Gesamtbrechkraft des Auges verändern und das Ziel haben, konventionelle Korrekturen wie Brillen oder Kontaktlinsen möglichst überflüssig zu machen. Die Fehlsichtigkeiten (Ametropien) können durch verschiedene Methoden therapiert werden. Es kommen Lasereingriffe an der Hornhaut oder Implantationen von Intraokularlinsen zum Einsatz. Welche Technik bei einem bestimmten Patienten gewählt wird hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dieser Artikel ist der Laserbehandlung der Kurzsichtigkeit gewidmet.

Der wichtigste Punkt ist die Art der zu behandelnden Ametropie, aber auch Alter und die Ausmessungen des Auges jenseits der Fehlsichtigkeit spielen eine Rolle. Grundsätzlich ist mit zunehmendem Alter und Weitsichtigkeit eher eine Linsenoperation indiziert und bei jüngeren, kurzsichtigen Patienten eher eine Laserbehandlung erste Wahl. Die Excimertechnologie steht den Ophthalmochirurgen seit anfangs 90er-Jahre zur Verfügung.

Anatomische Grundlagen

Ein kurzsichtiges Auge ist im Verhältnis zur optischen Brechkraft der Hornhaut und der Linse zu lang. Die Myopie entsteht in der Jugend durch ein zu starkes Längenwachstum des Augenbulbus. Dadurch liegt der Fokus der gebrochenen Strahlen nicht auf der Netzhaut, sondern im Glaskörper des Auges und es entsteht ein unscharfes Bild auf der Retina. Ein weitsichtiges Auge ist zu kurz und die gebrochenen Strahlen treffen sich hinter der Netzhaut, es entsteht auch ein unscharfes Bild.
Die Hornhautverkrümmung (Astigmatismus) ist bedingt durch verschiedene Krümmungen in verschiedenen Meridianen. Das Auge sieht quasi nicht wie ein Fussball, sondern wie ein Rugbyball aus. Diese Patienten sehen ohne optische Korrektur in keiner Distanz scharf.

Refraktive Laserbehandlung der Myopie

Bei der Myopie muss man aus den oben beschriebenen Gründen die Brechkraft des Auges reduzieren, um den Fokus der einfallenden Strahlen auf die Netzhaut zu bringen. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen. Wenn der Patient noch jung ist und die Akkommodation noch vollständig funktioniert, ist die Behandlung mit dem Excimerlaser die am weitesten verbreitete Methode. Dabei trägt der Laser Gewebe von der Hornhaut ab und flacht diese zentral ab, wobei die Brechkraft in gewünschtem Ausmass abnimmt. Es gibt zwei verschiedene Excimerlaserbehandlungstypen. Die eine trägt das Gewebe direkt auf der Oberfläche ab, die andere in tieferen Schichten.

Oberflächenbehandlung

Diese wird heute vorwiegend als C-Ten (Customized transepithelial no touch Ablation) oder Trans-PRK (transepitheliale Photorefraktive Keratektomie) durchgeführt. Dabei sind die Topographie der Hornhaut und die klinischen Daten, die präoperativ erhoben wurden die Basis für die Berechnung des Abtragungsprofils (siehe Fig 1). Ältere Behandlungen sind die PRK (Photorefraktive Keratektomie) bei der das Epithel manuell entfernt wird, Lasek (Laser epitheliale Keratomileusis), hier wird das Epithel mit verdünntem Alkohol weggelöst. Zu guter Letzt gibt es auch noch die Epi-Lasik (Epitheliale Laser-in-situ-Keratomileusis) bei der das Epithel mittels eines Keratoms abgetragen wird.

Tiefe Excimerlaserbehandlung

Diese Methode ist die Lasik (Laser-in–situ-Keratomileusis). Hierbei muss zuerst mit dem Femtolaser ein oberflächenparalleler Lappen geschnitten werden, um die tieferen Hornhautschichten freizulegen. Früher musste dieser Schnitt mit einem Messer (Keratom) durchgeführt werden. Anschliessend wird mit dem Excimerlaser die nötige Korrektur abgetragen und der Lappen wieder zurückgelegt. Der Femtolaser ist ein Laser, welcher mit ultrakurzen Impulsen hohe Energien freisetzt, die zum Trennen von Gewebe genutzt werden können und auf diese Weise einen sehr genauen Schnitt gewährleistet (siehe Abb. 2).
Eine neuere Behandlung ist SMILE (Small Incision Lenticule Extraction). Hier wird mit dem Femtolaser im Inneren der Cornea ein Scheibchen ausgeschnitten, welches dann durch einen kleinen «Tunnel» aus dem Gewebe entfernt werden kann. Dies führt zu einer Abflachung der Oberfläche mit gleichem Resultat wie oben beschrieben. Es soll die Vorteile der Lasik und der Oberflächenbehandlung vereinen, ist aber eine neuere Technik bei welcher Langzeiterfahrungen noch fehlen (Abb. 3).

Vor- und Nachteile der Methoden

Die Oberflächentechnik hat den Nachteil, dass nach der Operation für 2-3 Tage leichte bis mittelstarke Schmerzen auftreten können, danach ist das Epithel zugewachsen und der Patient schmerzfrei. Der Visusanstieg ist langsamer und erreicht üblicherweise nach 1 Woche zirka 80% vom Maximum. In der Zeit nach der Lasertherapie muss noch für 1-2 Monate mit Antibiotika-Steroid-Tropfen behandelt werden, um eine möglichst reibungslose Heilung zu garantieren. Nach 1 Monat ist das Resultat bereits ziemlich stabil und die Korrektur ändert sich nicht mehr wesentlich. Es können bei dieser Art der Behandlung Hornhauttrübungen auftreten. Mit den richtigen Medikamenten und entsprechender Operationstechnik können störende Trübungen aber in den meisten Fällen verhindert werden.
Bei der tiefen Methode (Lasik) entstehen keine Schmerzen und der Visus ist sofort gut (intaktes Epithel). Leider hat diese Methode auch Nachteile gegenüber der Oberflächenbehandlung. Durch den Schnitt verliert die Hornhaut zirka einen Viertel der Stabilität und der Lappen wächst nicht mehr so gut an, wie präoperativ, stellt also bei Verletzungen immer ein Restrisiko für Ablösung dar. Ausserdem leiden die Patienten viel länger an trockenen Augen und die Augendruckmessung im späteren Leben ist deutlich verfälscht. Letzteres ist zwar auch bei Oberflächenlaserbehandlungen ein Problem, aber weniger ausgeprägt. Die maximal behandelbare Kurzsichtigkeit ist mit der Lasik kleiner als bei der Oberflächenbehandlung, da die Hornhautstabilität bereits durch den Schnitt deutlich leidet.
SMILE ist eine neuere Methode, welche Vorteile der Oberflächenbehandlung und der Lasik aufweist. So sollen die biomechanische Stabilität besser sein und weniger Siccaprobleme auftreten. Die Chirurgie an sich ist aber schwieriger und komplizierter und damit auch störanfälliger. Nachkorrekturen sind problematischer als bei der Lasik und Oberflächenbehandlungen.

Resultate:

Wie viele Dioptrien mit welcher Methode behandelt werden können hängt von vielen Faktoren ab. Mit der Lasik ist die maximal mögliche Korrektur, wie bereits erwähnt, kleiner. Meistens kann man nicht mehr als 6 Dioptrien behandeln. Bei Trans-PRK oder C-Ten können im Extremfall Kurzsichtigkeiten über 10 Dioptrie behandelt werden. SMILE liegt dazwischen.
Grundsätzlich gilt: je dünner die Hornhaut und je grösser die Pupille in schlechten Lichtverhältnissen ist, desto kleiner wird die maximal mögliche Korrektur. Der Grund dafür liegt darin, dass nur Lichtstrahlen auf die Netzhaut einfallen sollten, die durch behandelte Corneaoberfläche gebrochen werden. Ist dies nicht erfüllt, entstehen in schlechten Lichtverhältnissen optische Störphänomene. Die optische Zone des Abtragungsprofils muss diesem Umstand Rechnung tragen und entsprechend angepasst werden. Nur wenige Lasersysteme haben ein Programm dazu die Pupillenmotorik exakt zu dokumentieren und die optische Zone entsprechend anzupassen.
Die Resultate der Excimer Laserbehandlung sind sehr zielgenau und über Jahre hinweg stabil. Wenn man sich an die Vorgaben in der Literatur hält sind kaum Langzeitprobleme bekannt. Man sollte allerdings die Hornhauttopographie genau studieren, damit keine Auffälligkeiten übersehen werden. Eine nicht ganz seltene Konstellation ist ein abortiver Keratoconus, den man in der Topographie meist erkennen kann. Hier muss unbedingt von jeder Laserbehandlung abgesehen werden.
Trotzdem sind die Resultate nie 100% genau, denn das Gewebe regeneriert und diese Heilung kann Restkorrekturen zur Folge haben. Je nach Studie müssen 2-10% der Patienten noch eine Restkorrektur nachbehandeln. Bei Patienten über 45 Jahren muss daran gedacht werden, dass diese nach einer Laserbehandlung auf beidseits Normalsichtigkeit eine Lesebrille benötigen. Es empfiehlt sich daher in diesen Situation ein Auge leicht in der Myopie zu belassen. Man nennt dies Monovision. Dies verbessert die Zufriedenheit häufig, da weiterhin noch eine gewisse Zeit ohne Sehhilfe gelesen werden kann.

Dr. med. Urs Thomann

Augenzentrum Willisau-Huttwil
Ettiswilerstrasse 12/14
6130 Willisau

u.thomann@gmx.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

  • Myopie ist mittels Excimerlaser sehr gut behandelbar. Je nach Ausmessungen des Auges sind Korrekturen über 10 Dioptrien möglich. Die Resultate sind stabil, das Restrisiko für gravierende Komplikationen ist minim.
  • Man unterscheidet Oberflächenbehandlungen und Behandlungen in der Tiefe, bei denen zuerst ein Lappen geschnitten werden muss. Die neueste Technik ist SMILE, bei dem in der Hornhaut ein Scheibchen mittels eines Femtolasers heraus-geschnitten wird, welches durch eine kleine Öffnung entfernt werden kann.
  • Die Excimer Laserbehandlungen sollten am besten nur bei Myopie angewendet werden, da hier die besten Resultate erreicht werden. SMILE könnte sich auch im unteren Hyperopiebereich etablieren. Die Studien dazu laufen noch.

33. Jahrestagung für Phytotherapie

Die 33. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie vom 22.11.18 in Baden wurde von der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP) in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) Wädenswil, dem Institut für komplementäre und integrative Medizin des UniversitätsSpitals Zürich sowie dem Forschungsinstitut für Biologischen Landbau FibL in Frick durchgeführt. Die grosse Beteiligung von interessierten Ärzten, Tierärzten, Apothekern und weiteren Fachpersonen aus In- und Ausland (total etwa 420 Teilnehmende) zeigten es deutlich: Die Phytotherapie hat in der Human- und Veterinärmedizin einen hohen komplementären Stellenwert, und dies ist auch durch wissenschaftliche Studien belegt.

Die zahlreichen prämierten Zertifikats-Arbeiten für die Erlangung des Fähigkeitsausweises für Phytotherapie beweisen den hohen Anspruch an die kompetente Anwendung dieser Therapieform.
Die Tagung stand unter dem Motto «Ätherische Öle und ihr therapeutisches Potential» und war deshalb vor allem der oftmals belächelten Aromatherapie gewidmet. Natürlich fanden die Besucher in der begleitenden Ausstellung ein sehr grosses Angebot an Substanzen in verschiedenster galenischer Form und Anwendungshilfen.
Der erste Hauptvortrag von Prof. Dr. mult. H. Hatt (Bochum) wies schon im Titel «Das Potential der Aromatherapie – Riechrezeptoren nicht nur in der Nase» darauf hin: die Riechrezeptoren wirken nicht nur in der Nase, und das Potential der Aromatherapie ist offenbar viel grösser als vom Laien angenommen. Im hochwissenschaftlichen und doch praxisnahen Referat konnte man erfahren, dass der Mensch ca. 350 verschiedene Riechrezeptor-Proteine besitzt, und zwar in jeder Körperzelle; ca. 10% davon sind schon genau aufgeschlüsselt und können entweder potenziert oder blockiert werden, was therapeutisch und bald auch diagnostisch immer mehr genutzt wird. Diese extranasalen olfaktorischen Rezeptoren finden sich auch in grösserer Menge in vielen Tumorzellen (so Blasen-, Mamma- und Prostata-Karzinom). Interessanterweise nimmt der «chemische Sinn» mit zunehmendem Alter deutlich ab.
Der zweite Referent, Prof. Dr. M. Melzig (Berlin) betonte unter dem Motto «Zusammen geht es besser» überzeugend die Bedeutung der Ätherischen Öle und anderer pflanzlicher Naturstoffe (allein und kombiniert mit Antibiotika) in der antimikrobiellen Therapie und in der Desinfektion, ganz besonders im Hinblick auf das stets wachsende Resistenzproblem. Die additive und synergistische Wirkung von Ätherischen Ölen gegen bakterielle und auch pilzverursachte Biofilmbildung ist erwiesen; eine Resistenzbildung wurde nicht gefunden, die Bioverfügbarkeit ist sogar in Körperhöhlen nachweisbar und eine Negativwirkung auf das Mikrobiom des Darmes besteht nicht. Allergische Reaktionen kommen nur bei sehr hoher Konzentration vor. Die therapeutische Dosierung liegt aber bei einer Konzentration von 0,5–3%.
Die Fachärztin für Labor- und Zytodiagnostik, Dr. med. univ. G. Dorfinger (Wien) verstand es, die mikrobiologische Diagnostik mittels Aromatogramm und Reihenverdünnungstest (beide mit Vor- und Nachteilen) auch für die Testung von Naturstoffen plausibel darzulegen und dies mit instruktiven Fällen aus der Urologie («therapieresistente» rezidivierende Harnwegsinfekte) zu dokumentieren.
In der ersten Nachmittags-Präsentation wurde von Frau R. Rudolf von Rohr (Psychiatrische Kliniken Basel UPK) as Augenmerk vor allem auf die Ätherischen Öle in der Psychiatrie gelegt. Die Referentin hat die Aromatherapie bereits 1996 in den UPK eingeführt und seither mit Erfolg weiterentwickelt. Duftstoffe unterstützen die Patienten im Umgang mit den Folgen psychiatrischer Erkrankungen. Die Indikation und Auswahl der Ätherischen Öle muss individuell erfolgen.
Prof. Dr. R. Saller (SMGP Zürich) eferierte in einem sehr engagierten Vortrag über die Anwendung der Ätherischen Öle in der Schmerzbehandlung. Viele davon wären möglich, aber nur wenige werden häufig gebraucht (so vor allem das Rosen-, Lavendel- und das «Wildkräuter»-Öl). Eine speziell gute Wirkung (z. B. bei Spannungs-Kopfschmerzen, mehr als bei Migräne) haben sie bei der Applikation auf den myofaszialen Triggerpunkten. Sie bewähren sich zudem als Koanalgetika, um den Teufelskreis von chronischen Schmerzen und seinen Folgen zu durchbrechen (olfaktorisch bedingte Beruhigung, Angstlinderung, Entspannung).
Später lobte Prof. Dr. Ch. Schempp (Freiburg i.Br.) das Potential des Korianderöls als natürliches Antiseptikum und damit breit angewendetes Mittel in der Dermatologie (muss als 1%-Zusatz in Unguentum leniens rezeptiert werden).
Dr. med. Ch. Imboden, EMBA (Münchenbuchsee) propagierte Lavendelöl (Lasea®, Dosis 80 mg/die, ev. 160 mg) als wirksame Therapie bei generalisierter Angststörung und gehäuften Panikattacken. Der Wirkungseintritt ist nicht vor 4 Wochen zu erwarten, kann dann aber verblüffend sein. Sowohl Korianderöl als auch Lavendelöl sind sehr gut verträglich und zeigen keine Interaktionen und auch kein Suchtpotential.
Schliesslich stellte die Apothekerin K. Fotinos-Graf (Bern) ihr Referat unter den humoristischen Titel «Schmieren und Salben hilft allenthalben − oder doch nicht?» und sprach dabei über die mannigfaltigen Applikationsformen der Ätherischen Öle. Das Referat richtete sich vorab an die Apotheker, gab aber auch interessierten Ärzten wertvolle Hinweise. Je nach Pathologie kommen unterschiedliche Wirkstoffe und galenische Formen zum Einsatz.
Die Diskussionen nach jeder Präsentation und die Zusammenfassung am Schluss ergab eine sehr positive Bilanz der Tagung. Auch ein kritischer Teilnehmer musste zugeben: Allfällige Vorbehalte und Zweifel gegen die Phytotherapie müssen hinterfragt werden. Ihre Wirksamkeit bei richtiger Indikation und korrekter Anwendung scheint erwiesen und wird auch wissenschaftlich unterstützt. Die gut organisierte Tagung, die interessanten Vorträge und Diskussionsbeiträge liessen es erkennen: der Wert dieser komplementären Therapieformen ist unbestritten.

Dr. med. Hans-Ulrich Kull

Küsnacht

Aktuelle Diagnostik und Behandlung von Varizen

Insuffiziente, auch geradlinig verlaufende tubuläre Venen mit einem Durchmesser von > 3 mm werden als Varizen bezeichnet. Dieser Artikel beschreibt das Krankheitsbild unter besonderer Berücksichtigung von Diagnostik und Therapie.

Varikose wurde als Begriff erstmals von Arnoldi im Jahre 1957 definiert als «jegliche dilatierte, geschlängelte und elongierte subkutane Vene der unteren Extremitäten». Die Definition wurde im Rahmen der CEAP Klassifikation (Clinic Etiology Anatomy Pathophysiology) weiterentwickelt, indem nun auch geradlinig verlaufende tubuläre Venen mit einem Durchmesser von > 3 mm als Varizen gelten. Neu ist auch, dass die Varizen insuffizient sein müssen (siehe Diagnostik). In Tabelle 1 sind die verschiedenen Varizenformen zusammengefasst. Unterschieden wird zwischen der leichteren Form mit Besenreiser- und retikulären Varizen (Abb. 1) und der schwereren Form (der eigentlichen Krankheit) mit Befall der Stammvenen (V.saphena magna und V.saphena parva) (Abb. 2).

Epidemiologie

Die Varikose ist ein in der westlichen Zivilisation sehr verbreitetes Leiden, in der Literatur findet man je nach Land und Definition der Varikose Prävalenzen zwischen 10 und 50% (1, 2) (Tab. 2). Frauen sind je nach Literaturangabe gleich häufig wie Männer (Basler, Edinburgh Studie) oder etwas häufiger betroffen. Die Häufigkeit der Erkrankung nimmt mit dem Alter zu.

Klinik und Klassifikation

Die Beschwerden der Patienten sind wenig spezifisch, mit Ausnahme des Pruritus (siehe auch Tab. 3 (3)). Frauen klagen häufiger über Beinbeschwerden als Männer. Die klinisch fassbaren Folgeerscheinungen werden als venöse Insuffizienz bezeichnet. Die CEAP Klassifikation zieht die Beschwerden der Patienten ebenso wie die objektiven Befunde, die Ätiologie, die Lokalisation und die Pathophysiologie in die Beurteilung mit ein (C = Clinic, E = Etiology, A = Anatomy, P = Pathophysiology). Die venöse Insuffizienz wird so umfassender und genauer definiert, was Quervergleiche zwischen verschiedenen Studien erlaubt (4). Die CEAP Klassifikation ist für den täglichen klinischen Gebrauch in vereinfachter Weise anwendbar, indem nur die C 1–6 Einteilung (Tab. 4) (5) angegeben wird.

Anatomie

Die oberflächlichen Venen werden in Stammvenen (V. saphena magna, V. saphena parva) und Astvenen (V. saphena accessoria anterior und posterior am Oberschenkel, V. arcuata anterior und posterior am Unterschenkel) eingeteilt. Multiple Perforansvenen verbinden die oberflächlichen Venen mit den tiefen Beinvenen. Wichtig ist festzuhalten, dass die V. saphena magna am Oberschenkel meist intrafaszial verläuft und dadurch häufig nicht sichtbar oder palpierbar ist. Die neueste heute angewandte Nomenklatur der Venen wird in der Publikation von Caggiati et al zusammengefasst (6).

Pathogenese

Pathophysiologisch erklärt man sich die Entstehung der Varikose als Folge des erhöhten hydrostatischen Drucks, welcher durch die stillstehende Blutsäule bei nicht optimal schliessenden Klappen oder bei zu dehnbaren Venenwänden zustande kommt. Der unter anderem für den herzwärts gerichteten Rücktransport des Venenblutes zuständige Klappenapparat wird überlastet, zusätzliche Transportmechanismen wie die Wadenmuskelpumpe und die thoraco-abdominale Saug-Druckpumpe genügen nicht mehr, um den vollständigen kardialen Rücktransport des Venenblutes zu gewährleisten. Die erste Folgeerscheinung ist das bei Stehbelastung auftretende perimalleoläre Ödem. Im weiteren Verlauf kommt es zum Austritt von Erythrocyten, was zur Bildung von Pigment, also zu Zeichen der chronisch venösen Insuffizienz Klasse C4 nach CEAP führt (Abb. 3). Die nutritive Versorgung der am stärksten belasteten Region, medial perimalleolär, ist vermindert. Bereits kleinste Verletzungen können dann zu hartnäckigen schlecht heilenden Ulzera führen (Chronisch venöse Insuffizienz C6, Abb. 4).

Aktuelle Diagnostik der Varikose

Mit der Duplexsonographie haben wir eine treffsichere (7) und nicht invasive Methode zur Hand, welche uns zusätzlich zur Lokalisation des Befundes auch Auskunft über die funktionelle Bedeutung der einzelnen Venensegmente gibt.
Die duplexsonographische Abklärung der Varikose ersetzt, falls vom entsprechend Ausgebildeten durchgeführt, die präoperative Phlebographie. Die funktionelle Prüfung der Klappenfunktion mit Bestimmung des venösen Refluxes ist ein wichtiger Parameter für die Operationsplanung. Grundsätzlich muss jeder Venenpatient im Stehen untersucht werden. Es stehen uns zwei Messmethoden zur Bestimmung des venösen Refluxes zur Verfügung: die Valsalva- und die Kompressionsmethode. Mittels Valsalva Pressmanöver werden die proximalen Venenklappen (Krosse, V. saphena magna, V. femoralis communis, V. femoralis superficialis) getestet. Der Patient bläst in ein eigens dafür konstruiertes, mit einem Manometer versehenes, geschlossenes Rohr (Abb. 5).
Bei Klappeninsuffizienz fliesst das Blut während des Valsalvamanövers retrograd weiter und kann duplexsonographisch im Dopplerspektrum erfasst werden (siehe Abbildung 5c) (8)). Die distalen Beinvenen werden mit der Kompressionsmethode geprüft. Distal der zu untersuchenden Klappe wird die Vene für einige Sekunden mittels Manschette oder von einer Zweitperson manuell komprimiert. Nach Druckentlastung wird das zurückfliessende Blutvolumen erfasst und die Refluxzeit gemessen. Der allgemein anerkannte Normwert beträgt 0.5 s (9). Die Stammveneninsuffizienz wird nach Hach eingeteilt, in der V.saphena magna in Hach Stadium I–IV und in der V.saphena parva in Hach Stadien I–III (Abb. 6). Die Diagnostik der Perforansvenen ist schwieriger und erfordert Übung. Die Refluxbestimmung hilft uns dort wenig, da der Reflux oft nicht adäquat induzierbar ist (Kniekehlenbereich, Oberschenkel). In der Literatur finden wir Angaben über die Durchmesser bei Fasziendurchtritt, ein Wert von > 3.5 mm wird als pathologisch erachtet (10).

Aktuelle Therapie der Varikose

Die konservative Therapie mit konsequent getragenen Kompressionstrümpfen entspricht einer symptomatischen Therapie, behandelt aber nicht die Ursache der venösen Insuffizienz. Aktuell wird mit der Indikation «venöse Insuffizienz» sowie bei hervorstehenden Varizen, welche bluten könnten, eine interventionelle Therapie empfohlen. Die Indikation «oberflächliche Venenthrombose» wird ebenfalls häufig als Interventionsgrund angegeben, die operative Varizenentfernung verhindert aber leider Rezidivthrombosen nicht. Heutzutage werden die neuen endovenösen thermischen Verfahren wie Laser- und Radiofrequenzablation (11) kombiniert mit Phlebeketomie oder Sklerotherapie mit oder ohne Schaumverödung. Die operative Therapie wird in ausgewählten Fällen z.Bsp. bei aneurysmatisch erweiterter Krosse durchgeführt. Bezüglich spezifischer Lebensqualität nach Varizentherapie konnte bei einem 6-monatigen Follow-up im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie kein Unterschied zwischen den operativen und endovenösen Methoden gefunden wertden, die Resultate nach Sklerotherapie waren etwas schlechter. Komplikationen wurden in der Gruppe mit Sklerotherapie in 6%, in der Gruppe nach Operation in 7% und nach Laserintervention signifikant weniger häufig mit 1% (12) festgestellt. Eine Metaanlayse zeigte nach 3 Jahren für die einzelnen Therapieformen folgende Erfolgsraten: Krossektomie, Stripping 78%, Schaumsklerotherapie 77%, Radiofrequenzablation 84% und Lasertherapie 94%, wobei für die Lasertherapie lediglich eine Zwei-Jahres-Follow-up Phase beurteilt wurde (13).
Leider muss trotz gut durchgeführter Diagnostik und adäquater operativer Technik mit Rezidiven gerechnet werden. Auch die neueren Verfahren werden mit einem längeren Follow-up höhere Rezidivraten zeigen. Nach der operativen Therapie kennen wir die hohen Rezididvraten an der Krosse, nach 6 Jahren beträgt diese 23% (14).

Prof. Dr. med. Christina Jeanneret-Gris

Angiologie
Med.Universitätsklinik KSBL
4101 Bruderholz

christina.jeanneret@ksbl.ch

Die Autorin hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Die venöse Insuffizienz soll mit der CEAP Klassifikation auch bezüglich Venenfunktion und Pathophysiologie eingeteilt werden. In vereinfachter Form ist sie auch im Klinikalltag anzuwenden.
  • Die Diagnostik der Varikose wird − falls eine Operationsindikation besteht − mittels Duplexsonographie durchgeführt.
  • Die Therapie der Wahl bei Stamm- und Astvarikose mit Symptomen oder Komplikationen ist die endovenöse thermische Ablation, alternativ kann eine Schaum-Sklerotherapie oder in ausgewählten Fällen eine Krossektomie und Strippingoperation erfolgen.
  • Rezidive kommen leider bei allen Therapieformen vor.
  • Die Kompressionstherapie kann Rezidivvarizen nicht verhindern, wird jedoch bei Ulkustherapie und Behandlung von Ödemen angewandt.

Literatur
1. Widmer L. Venenkrankheiten, Häufigkeiten und sozialmedizinische Bedeutung: Basler Studie III. Bern: Huber; 1982.
2. Partsch H. Update on chronic venous insufficiency: from epdiemiology to management. Angiology 2001;52:1-25.
3. Evans C, Fowkes F, Hajivassiliou C, Harper D, Ruckley C. Epidemiology of varicose veins. A review. Int Angiol 1994;13:263-70.
4. Porter J, Moneta G. Reporting standards in venous disease: an update. International Consensus Committee on Chronic Venous Disease. J Vasc Surg 1995;21:635-45.
5. Allegra C, Antignani P, Bergan J, et al. The “C” of CEAP: Suggested definitions and refinements: An international union of phlebology conference of experts. J Vasc Surg 2003;37:129-31.
6. Caggiati A, Bergan JJ, Gloviczki P, Eklof B, Allegra C, Partsch H. Nomenclature of the veins of the lower limb: Extensions, refinements, and clinical application. J Vasc Surg 2005;41:719-24.
7. Eichlisberger R, Frauchiger B, Holtz D, Jäger K. Duplexsonographie bei Verdacht auf tiefe Beinvenenthrombose und zur Abklärung der Varikose. Basel: Karger Verlag; 1995.
8. Jeanneret C, Aschwanden M, Labs K, Jäger K. Assessment of venous reflux with duplexultrasound. In: Hafner J, ed. Current Problems in Dermatology: Karger; 1999.
9. Van Bemmelen P, Bedford G, Beach K, Strandness D. Quantitative segmental evaluation of venous valvular reflux with duplex ultrasound scanning. J Vasc Surg 1989;10:425-31.
10. Hanrahan L, Araki C, Fisher J, et al. Evaluation of the perforating veins of the lower extremity using high resolution duplex imaging. J Cardiovasc Surg 1990;32:87-97.
11. Chandler J, Pichot O, Sessa C, Schuller-Petrovic S, Osse F, JJ. B. Defining the role of extended saphenofemoral junction ligation: a prospective comparative study. J Vasc Surg 2000;32:941-53.
12. Brittenden J, Cotton S, Elders A, et al. A Randomized Trial Comparing Treatments for Varicose Veins. N Engl J Med 2014;317:1218-27.
13. Van den Bos R, Arends L, Kockaert M, Neumann M, Nijsten T. Endovenous therapies of lower extremity varicosities: A meta-analysis. J Vasc Surg 2009;49:230-9.
14. Jeanneret C, Fischer R, Chandler J, Galeazzi R, Jäger K. Great Saphenous Vein Stripping with Liberal Use of Subfascial Endoscopic Perforator Vein Surgery (SEPS). Ann Vasc Surg 2003;17:539-49.

Nebenwirkungen von somatischen Medikamenten auf die Psyche

Psychiatrische Symptome können als Nebenwirkungen von Medikamenten auftreten, welche zur Behandlung somatischer Erkrankungen eingesetzt werden; sie bringen teils erhebliche Beeinträchtigungen und Folgen für die Patienten und deren Behandlung mit sich. Dieser Artikel beleuchtet, wie psychiatrische Nebenwirkungen unter somatischer pharmakologischer Therapie auftreten können, wie sie zu diagnostizieren sind und wie hiermit therapeutisch umgegangen werden sollte.

Psychiatrische Symptome können als Nebenwirkungen von Medikamenten auftreten, welche zur Behandlung somatischer Erkrankungen eingesetzt werden. Diese sind klinisch kaum zu unterscheiden von psychiatrischen Symptomen als Ausdruck von psychiatrischen Erkrankungen im engeren Sinne und stellen eine grosse diagnostische und therapeutische Herausforderung für den Behandler dar.
Zahlreiche Veröffentlichungen befassen sich mit dem «umgekehrten» Fall, dem Nebenwirkungsmanagement von somatischen Nebenwirkungen unter psychopharmakologischer Therapie; beispielsweise dem erhöhten Risiko von Gewichtszunahme unter Neuroleptika oder der QTc-Zeit-Verlängerung unter zahlreichen Psychopharmaka (1).
Wie psychiatrische Nebenwirkungen unter somatischer pharmakologischer Therapie auftreten, wie sie zu diagnostizieren sind und wie therapeutisch hiermit umgegangen werden soll, ist jedoch ein in der Literatur eher vernachlässigtes Thema.

Folgen von psychiatrischen Nebenwirkungen somatischer Medikamente

Das Auftreten psychiatrischer Nebenwirkungen von primär nicht-psychotropen Medikamenten kann bedeutsame schädliche Folgen haben: Zunächst einmal können diese erhebliches Leid für den Patienten verursachen. Das Auftreten von psychiatrischen Nebenwirkungen erhöht zudem das Risiko für Morbidität und Mortalität (2). In ausgeprägten Fällen können auch Selbst- oder Fremdgefährdung resultieren, wenn beispielsweise Suizidalität aus einem depressiven Syndrom oder eine reduzierte Impulskontrolle als Nebenwirkung auftreten. Darüber hinaus sind psychiatrische Symptome langfristig korreliert mit reduzierter Therapieadhärenz (3). Versorgungsrelevant ist zudem, dass stationäre Patienten mit relevanten psychiatrischen Nebenwirkungen länger hospitalisiert sind und ambulante Patienten mit psychiatrischen Nebenwirkungen häufiger das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen (4).

Praktische Herausforderung: Wie identifiziert man psychiatrische Nebenwirkungen?

Das Identifizieren von psychiatrischen Nebenwirkungen stellt in der Praxis eine grosse Herausforderung für den Arzt dar: Klinisch zeigt sich nämlich eine sehr heterogene Gruppe von Symptomen, welche von affektiver Symptomatik mit einem depressiven oder manischen Syndrom bis zu kognitiver Beeinträchtigung oder Agitation reichen können.
Die psychiatrischen Nebenwirkungen sind aus den klinischen Zulassungsstudien der Medikamente zudem oft nicht ableitbar, da sie insgesamt seltene Ereignisse darstellen, sich oft erst in der längeren Anwendung zeigen und zudem noch methodologisch schwer zu erfassen sind. Meist werden sie erst nach der Zulassung in der klinischen Anwendung identifiziert (5).

Wie etabliert man den kausalen Zusammenhang zwischen psychiatrischer Symptomatik und dem potenziellen pharmakologischen Agens?

Es stellt sich das Problem, dass das Etablieren eines Zusammenhangs zwischen der psychiatrischen Symptomatik und der Medikamentengabe herausfordernd und komplex ist. Wenn ein Patient, welcher medikamentös für ein metabolisches Syndrom mit drei verschiedenen Medikamenten behandelt wird, klinisch depressive Symptome entwickelt, sind mehrere Zusammenhänge denkbar: z.B. könnte es sich um ein rein zufälliges gemeinsames Auftreten von depressiven Symptomen und der Grunderkrankung und deren Therapie handeln. Es könnte sein, dass sich ein zunächst nicht klinisch entdecktes, «unterschwellig» vorhandenes depressives Syndrom unter der Therapie verstärkt hat. Es ist weiterhin denkbar, dass eine neue somatische Erkrankung aufgetreten ist, welche die psychiatrischen Symptome bedingt, zum Beispiel eine Hypothyreose. Oder aber es besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen der pharmakologischen Therapie und der depressiven Symptomatik.
Ein kausaler Zusammenhang zwischen einer somatischen pharmakologischen Therapie und psychiatrischen Nebenwirkungen ist sehr wahrscheinlich (6), wenn:

  • es einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Medikamenteneinnahme und dem Auftreten des psychiatrischen Symptoms gibt.
  • es bereits Evidenz zum Zusammenhang zwischen dem angewandten Medikament und dem psychiatrischen Symptom gibt.
  • es keine / wenig alternative Erklärungen für das Auftreten der psychiatrischen Symptome gibt.
  • die psychiatrischen Symptome nach Absetzen des Medikamentes deutlich rückläufig sind (die sogenannte «Dechallenge»).
  • die psychiatrischen Symptome nach Wiederansetzen erneut auftreten (die sogenannte «Rechallenge»).

Wie verursachen Medikamente psychiatrische und behaviorale Symptome?

Zum Verständnis dieser Zusammenhänge ist es bedeutsam, wie primär nicht-psychotrope Medikamente psychiatrische Nebenwirkungen verursachen. Wie bei allen Nebenwirkungen kann man hierbei pharmakologisch zwischen pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Mechanismen unterscheiden:

Pharmakodynamische Mechanismen: Pharmakotherapeutika zur Behandlung somatischer Erkrankungen können ZNS-gängig sein und Neurotransmittersysteme direkt beeinflussen (7). Ein gutes Beispiel hierfür sind dopaminerge Substanzen wie Levodopa, welche in der Behandlung vom Morbus Parkinson eingesetzt werden. Analog der Dopamin-Hypothese der Schizophrenie können Medikamente, welche dopaminerg wirken, zu produktiv-psychotischen Symptomen wie Halluzinationen oder Wahnerleben führen, während die antagonistische Wirkung an Dopaminrezeptoren ein wichtiger Wirkmechanismus bei Antipsychotika darstellt. Etwas komplexer ist der Mechanismus bei der Interferon-Therapie, wo psychiatrische Nebenwirkungen über zentrale proinflammatorische Zytokine vermittelt werden.

– Pharmakokinetische Mechanismen sind dann relevant, wenn die psychiatrische Nebenwirkung einer Dosis-Wirkungs-Beziehung folgt. Eine reduzierte Medikamenten-Clearance, verursacht durch eingeschränkte Organfunktionen wie eine hepatische Insuffizienz, einen Enzym-Polymorphismus im hepatischen CYP-Enzymsystem oder Medikamenten-Interaktionen, ist hierbei der bedeutendste Mechanismus (7). Mefloquin beispielsweise führt im Dosisbereich der prophylaktischen Anwendung nur sehr selten zu psychiatrischen Nebenwirkungen. Wird dieses nun aber kombiniert mit einem CYP3A4-Inhibitor wie einem Makrolid, kann es aufgrund der reduzierten Mefloquin-Clearance zu einem Dosisanstieg und konsekutiv zu erheblichen neuro-psychiatrischen Nebenwirkungen kommen.

Risikofaktoren

Die Wahrscheinlichkeit, dass psychiatrische Nebenwirkungen auftauchen, hängt wesentlich auch von der Vulnerabilität der Patienten ab. Die Risikofaktoren für das Auftreten psychiatrischer Nebenwirkungen lassen sich in therapiebezogene und patientenbezogene Risikofaktoren unterteilen (7):
– Therapiebezogene Risikofaktoren:
• Polypharmazie
• hohe Medikamentendosen
• Applikationsform (beispielsweise intravenös oder subkutan)
• schnelle Medikamentengabe (beispielsweise intravenös)
• niedriger therapeutischer Index der Wirksubstanz

– Patientenbezogene Risikofaktoren:
• Psychische Erkrankung (aktuell oder in der Vorgeschichte)
• Schlechte Stoffwechsellage (beispielsweise Kachexie)
• Erhöhte Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke (beispielsweise bei Meningitis)
• Sehr junge oder sehr alte Patienten
• Postpartale Patientinnen
• Stressvolle Umgebung (beispielsweise auf der Intensivstation)

Hieraus wird auch ersichtlich, dass es unveränderliche und modifizierbare Risikofaktoren gibt, was für das klinische Management eine bedeutsame Rolle spielt.

Kortikosteroide als Beispiel für Medikamente mit psychiatrischen Nebenwirkungen

Kortikosteroide sind die in der klinischen Praxis am häufigsten eingesetzten Immunmodulatoren, welche bei zahlreichen Indikationen Anwendung finden. Sie sind ein eindrückliches Beispiel dafür, wie vielfältig psychiatrische Nebenwirkungen sein können: Diese reichen von Angstsymptomen, Insomnie, emotionaler Labilität, Reizbarkeit und kognitiver Beeinträchtigung bis hin zu schweren affektiven Syndromen wie Depression oder Manie, psychotischen Symptomen und reversiblen dementiellen Syndromen (8). Transiente und mildere psychiatrische Nebenwirkungen treten bei 13-62 Prozent der behandelten Patienten auf, schwere psychiatrische Nebenwirkungen bei ca. 5-10 Prozent (9) Die psychiatrischen Nebenwirkungen treten meist relativ rasch nach Kortikosteroidgabe auf und folgen einer Dosis-Nebenwirkungskurve: je höher die applizierte Dosis, desto wahrscheinlicher das Auftreten psychiatrischer Nebenwirkungen. Bei akuter Anwendung treten insbesondere Manien häufig auf, während bei langfristiger Anwendung häufiger Depressionen auftreten. Interessanterweise ist das Auftreten psychiatrischer Nebenwirkungen unter Kortikosteroidtherapie nicht assoziiert mit psychiatrischen Vorerkrankungen (10).

Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen

Zusammenfassend sind folgende Prinzipien für das Management bei psychiatrischen Nebenwirkungen zu empfehlen (adaptiert und ergänzt gemäss 4)
– Dem Eruieren des Zusammenhangs zwischen psychiatrischem Symptom und der auslösenden Medikation kommt eine wichtige Bedeutung zu.
– Das Erheben einer gründlichen psychiatrischen und somatischen Anamnese zum Erfassen von Risikofaktoren für das Auftreten von psychiatrischen Nebenwirkungen ist essentiell, um vulnerable Patienten frühzeitig zu identifizieren. Beeinflussbare Risikofaktoren sollten kontrolliert und, wenn möglich, reduziert werden.
– Um pharmakokinetische Interaktionen zu identifizieren, welche das Auftreten von psychiatrischen Nebenwirkungen bedingen, ist es hilfreich und empfehlenswert, einen Medikamenten-Interaktionscheck durchzuführen. Hierbei können Datenbanken wie die Open Drug Database (ch.ODDB.org) oder MediQ (www.mediq.ch) hilfreich sein.
– Primär sollte die Pharmakotherapie der somatischen Grunderkrankung optimiert und «wenn möglich reduziert» werden, bevor weitreichendere Massnahmen wie eine psychopharmakologische Therapie der Symptome in Betracht gezogen werden.
– Der Wechsel oder das Absetzen des auslösenden Medikamentes sollte erst nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen.
– Der Einsatz von Psychopharmaka zur Behandlung der Nebenwirkungen sollte kritisch geprüft werden und stellt nicht das therapeutische Vorgehen der Wahl dar.
– Patienten und gegebenenfalls deren Angehörige sollten über die Möglichkeit des Auftretens von psychiatrischen Nebenwirkungen und allfällig über die Ätiologie der psychiatrischen Symptomatik und das geplante therapeutische Vorgehen aufgeklärt werden, um die Therapieadhärenz zu stärken.
– Eine enge Zusammenarbeit zwischen Grundversorger und Psychiater ist vor dem Hintergrund der Komplexität der Problematik sinnvoll. Im klinischen Setting ist das niederschwellige Hinzuziehen eines Konsiliar- und Liaisonpsychiaters empfehlenswert.

dipl. Arzt Oliver Matthes

Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik
Culmannstrasse 8
8091 Zürich

oliver.matthes@usz.ch

Dr. med. Sebastian Euler

Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik
Culmannstrasse 8
8091 Zürich

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Beitrag.

  • Einige in der somatischen Medizin eingesetzte Medikamente führen zu psychiatrischen Nebenwirkungen, die erhebliche Beeinträchtigungen und Folgen für den Patienten und dessen Behandlung mit sich bringen können. Der frühen Erkennung dieser Nebenwirkungen kommt daher eine zentrale Bedeutung zu.
  • Die Kenntnis der Risikofaktoren für das Auftreten psychiatrischer Nebenwirkungen ist entscheidend, um vulnerable Patienten zu identifizieren.
  • Die Herstellung des Zusammenhangs einer psychiatrischen Symptomatik mit einer Medikation im Sinne einer Nebenwirkung ist oft herausfordernd.
  • Die wichtigsten Behandlungsstrategien beim Auftreten von psychiatrischen Nebenwirkungen umfassen vor allem die Modifikation von veränderbaren Risikofaktoren sowie die Optimierung der Pharmako-
    therapie. Ein Wechsel oder Absetzen des auslösenden Medikamentes oder eine begleitende psychopharmakologische Therapie können bei ausgeprägten refraktären Nebenwirkungen notwendig werden.

Literatur:
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8 Judd LL, Schettler PJ, Brown ES, et al. Adverse consequences of glucocorticoid medication: psychological, cognitive, and behavioral effects. American Journal of Psychiatry 2014, 171: 1045-51.
9 Warrington TP, Bostwick JM. Psychiatric adverse effects of corticosteroids. Mayo Clinic Proceedings 2006, 81: 1361-7.
10 Kenna H, Poon AW, De Los Angeles CP, et al. Psychiatric complications of treatment with corticosteroids: review with case report. Psychiatry and Clinical Neurosciences 2011, 65: 549-60.

Neurogene Gesichtsschmerzen

Gesichtsschmerzen sind meist auf Traumata oder Infektionen viraler bzw. bakterieller Art zurückzuführen. Häufig sind Reaktivierungen des Herpes simplex Virus mit charakteristischen Haut- bzw. Schleimhautläsionen. Dentale Infektionen sind die typische Ursache von Zahnschmerzen. Sie sind i.d.R. klinisch oder mittels Zahnröntgenbild einfach zu diagnostizieren. Kauabhängige Schmerzen im Bereich der Kiefergelenke sind akuten Lageveränderungen des Diskus artikularis oder Gelenksentzündungen zuzuordnen. Schmerzen der Kaumuskel sind typischerweise  diffus, oft mit Kopfschmerzen assoziiert und treten häufig im Rahmen erhöhter emotionaler Belastungen auf. Selten, aber bei Betagten und Hochbetagten klinisch bedeutsam, kann eine Kauclaudicatio auf eine Riesenzellartriitis hinweisen. Interessanterweise verursachen Entzündungen der Nasennebenhöhlen nur selten Schmerzen, was die meisten Pollenallergiker bestätigen können und was fehlende Korrelationen von Schmerzen mit computertomographischen Befunden bestätigen (12). Diagnostisch knifflig sind letztlich lokalisierte Schmerzen, bei denen eine dentale Schmerzgenese ausgeschlossen oder zumindest unwahrscheinlich ist. In diesen Fällen sollten neurogene Gesichtsschmerzen in die Differenzdiagnose eingeschlossen werden.

Schmerzphysiologische Aspekte

Generell werden intensive mechanische, thermische oder chemische Reize durch spezialisierte Rezeptoren an peripheren Endigungen von myelinfreien oder -armen Nervenfasern (Nozizeptoren) in sog. Rezeptorpotenziale umgewandelt. Thermische Reize werden z.B. von TRP-Kanälen (transient receptor potential channels) in neurale Signale umkodiert, chemische Reize von ASI-Kanälen (Acid-sensing ion channels), etc. (3). Die Ionenströme durch diese Rezeptorkanäle resultieren in einer Änderung des neuronalen Ruhepotenzials. Dies wiederum führt zur Aktivierung von membranständigen Na+- Kanälen. Im Gesichtsbereich erfolgt dies entlang der trigeminalen Hauptäste (N. ophthalmicus V1; N. maxillaris V2; N. mandibularis V3). Je nach Nervenfasertyp verläuft die «Signalwelle» unterschiedlich schnell Richtung Hirnstamm, was mit der Verteilung der Na+-Kanäle zu tun hat. Diese sind bei unmyelinisierten Nervenfasern sequentiell (entlang der Nervenmembran) eingelagert, was mit einer relativ langsamen Reizleitung einhergeht. Bei den viel schneller leitenden berührungs- und vibrationsvermittelnden Fasern mit isolierender Myelinschicht sind die Na+- Kanäle an den Ranvierschen Schnürringen konzentriert. Dies hat zur Folge, dass die Reizleitung via Schnürringe «springt» und daher viel schneller erfolgt. Die dicke Myelinscheide trennt demzufolge berührungsvermittelnde Nervenfasern von Nozizeptoren.

Trigeminus-Neuropathie

Die physiologischen Kenntnisse sind Voraussetzung zum Verständnis des unterschiedlichen Empfindungscharakters und zeitlichen Schmerzmusters bei selektiven Myelinschäden (neuralgiformer Schmerz) gegenüber Nervenverletzungen (neuropathischer Schmerz).
Bei peripheren Nervenverletzungen imponieren überwiegend persistierende Schmerzen von brennender Qualität (Abb. 1) (18). Dieser neuropathische Schmerzcharakter ist zumindest teilweise dadurch erklärlich, dass bei fehlerhafter Heilung Neurome entstehen (desorganisierte Aussprossungen von Nervenfasern). Dabei kommt es zu vermehrter Einlagerung von Thermorezeptoren (TRP-Kanäle) in verletzte wie auch benachbarte unverletzte Nervenfasern (10, 19). Das Anhalten der Schmerzen wird durch eine Akkumulation von dysfunktionalen Na+-Kanälen begünstigt und führt zusätzlich zu erhöhter Gewebeempfindlichkeit (Allodynie), häufig auch von benachbarten Regionen (1, 22).

Anhaltenden neuropathischen Mund- und Gesichtsschmerzen geht fast immer ein Trauma voran. Gemäss einer prospektiven klinischen Studie leiden ca. 10% der Personen, die eine Zahnwurzelbehandlung benötigten – also einen auf den Zahnnerv beschränkten Eingriff – noch nach 6 Monaten an persistierenden Schmerzen (15). Das zur Zahnabdichtung notwendige Füllmaterial verhindert die normale Nervenregeneration und fördert dadurch die Entstehung von Mikroneuromen (9). Der Schmerzcharakter hat gemäss den oben beschriebenen molekularen Mechanismen meist einen brennenden Anteil.
Ein Hauptproblem bei anhaltenden Zahn- bzw. Gesichtsschmerzen ist das mangelnde Verständnis dieser Schmerzmechanismen, was Patienten, deren Angehörige und gelegentlich auch Behandelnde zu «Verzweiflungstaten» bewegt. Der unnötige Austausch von Füllmaterialien, weitere Wurzelbehandlungen oder gar Zahnextraktionen ziehen aber letztlich nur zusätzlichen biologischen, emotionalen und finanziellen Schaden nach sich. Zentral für die Therapie ist vielmehr das empathische aufklärende Gespräch mit der Information, dass operative Eingriffe an Zähnen, Kiefer und Gesicht die persistierenden Schmerzen nicht lindern können, sondern dass im Gegenteil ein Risiko zur Verstärkung besteht. Zur systematischen Befragung der somatischen Symptomatik und psychologischen Belastung sind web-basierte Instrumente entwickelt worden (Zugang auf Anfrage beim korrespondierenden Autor erhältlich) (7). Auch wenn keine psychische Störung mit Krankheitswert vorliegt, sollte je nach Ausmass des Leidensdrucks von Anfang an die Wichtigkeit einer unterstützenden schmerzpsychologischen Begleitung angesprochen werden.
Die Pharmakotherapie bei anhaltenden Gesichtsschmerzen orientiert sich an den Empfehlungen für andere neuropathische Schmerzen (8). Bei intraoralen Schmerzen im dento-alveolaren Bereich bietet sich eine lokale Therapie mittels Medikamententrägern in Form weicher Zahnschienen mit Deckung der Schleimhaut an (2). Mit der Kombination von Amitriptylin und Ketamin in Gelform haben die Autoren gute Erfahrungen gemacht, allerdings sind keine Fertigpräparate verfügbar (14). Bei systemischer Applikation zeigen trizyklische Antidepressiva die höchste Wirksamkeit, wobei der analgetische Effekt vor der antidepressiven Wirkung einsetzt und die Dosis meist niedrig gehalten werden kann (unter 50 mg) (16). An zweiter Stelle sind Ca++-Kanal-Hemmer wie Gabapentin und Pregabalin empfehlenswert. Enttäuschenderweise haben sich modernere Antidepressiva (SSRI, SNRI) bei neuropathischen Schmerzen als weniger erfolgreich erwiesen. Ihr Einsatz kann aber indiziert sein, wenn psychische Begleitkrankheiten das Beschwerdebild prominent mitprägen. Konventionelle Schmerzmedikamente (nicht-steroidale Antirheumatika) sind i.d.R. nutzlos.

Trigeminus-Neuralgie

Die Trigeminusneuralgie kann in jedem Alter auftreten, betrifft aber überwiegend Personen älter als 60 Jahre. Die Inzidenz beträgt ca.  3-5/100 000 Einwohner. Der charakteristische Schmerz der Trigeminus-Neuralgie ist dem lokalen Verlust von Myelin zuzuschreiben, welches normalerweise die rasche Signalleitung auf taktile Fasern beschränkt. Wenn das schnelle neurale Signal am Ort des Myelinschadens (meist nahe dem Hirnstamm) vom taktilen aufs schmerzleitende System überspringen kann, entstehen neuralgiforme Schmerzen (5). Die Krankheit ist charakterisiert durch kurzzeitige (Sekunden bis max. 2 min) attackenartige Gesichtsschmerzen von hoher bis höchster Intensität, welche als elektrisierend, blitzartig und einschiessend beschrieben werden. Typische Schmerzauslöser sind leichte Berührungsreize wie Windzug, Schminken, Zähneputzen, Rasieren, aber auch Alltagsaktivitäten wie Sprechen und Schlucken. Spontane Attacken sind möglich, aber eher selten. Dazwischen bestehen schmerzfreie Phasen von variabler Dauer (Abb. 2). Die Schmerzen sind strikt im Innervationsgebiet eines (selten mehrerer) Trigeminusäste lokalisiert (V3 > V2 > V1).
Sie sind gelegentlich mit Tränenfluss und Rötung des ipsilateralen Auges vergesellschaftet (autonome Symptome), was eine Abgrenzung zu selteneren Diagnosen mit kurzdauernden Schmerzparoxysmen und ausgeprägten autonomen Zeichen erschweren kann, darunter «Short-lasting unilateral neuralgiform headache attacks with conjunctival injection and tearing» (SUNCT) oder «Short-lasting unilateral neuralgiform headache attacks with cranial autonomic symptoms» (SUNA). Weil neuralgiforme Gesichtsschmerzen oft Kontraktionen der Gesichtsmuskulatur evozieren, ist die Trigeminus-Neuralgie besonders in französischen Sprachgebieten auch als «Tic douloureux» bekannt. Nebst der einzigartig kurzen Schmerzdauer und der interiktalen Schmerzfreiheit ist bemerkenswert, dass Trigeminus-Neuralgien über mehrere Monate oder Jahre remittieren, was bei anderen neuropathischen Schmerzformen unüblich ist (17). Zum anfänglich neuralgiformen Schmerzbild kann sich im Verlauf ein persistierender, oft als brennend beschriebener Dauerschmerz gesellen, was nebst dem Myelinschaden auf eine zusätzliche Schädigung der Neurone selbst hinweist (13).
Schäden des Myelins erfolgen meist im Bereich des Kleinhirn-Brückenwinkels. Sie können durch Tumoren, demyelinisierende Krankheiten (allen voran die multiple Sklerose), Gefässmissbildungen, Aneurysmen und andere schädigende Gefässkontakte entstehen. Eine verlässliche ätiologische Differenzierung ist aufgrund klinischer Charakteristika nicht möglich, sondern bedarf einer Magnetresonanz-Bildgebung. Aufgrund der Bildgebung wird in der aktuellen Klassifikation (ICHD-3) der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) die häufigste «klassische» Form (mit kennzeichnendem nervenschädigendem Gefässkontakt am Nervenstamm) von «sekundären» Formen mit anderen zugrundeliegenden Pathologien abgegrenzt. Hierbei sind am häufigsten Meningeome zu finden, gefolgt von Schwannomen und seltenen Tumoren wie Epidermoide, Lymphome, Metastasen. Aber auch infiltrative Prozesse (Meningeosis carcinomatosa, Amyloidome) oder nicht-tumoröse Prozesse (u. a. Arachnoidalzyste, fibröse Dysplasie) können einer Trigeminus-Neuralgie zugrunde liegen (6). Zeigt die Bildgebung keinen erklärenden Befund, liegt eine «idiopathische» Form vor (11).
Grundsätzlich werden die klassische und idiopathische Trigeminusneuralgie medikamentös behandelt. Ziel ist die Hinderung der neuralen Signalweiterleitung, worauf Na+-Kanalblocker wie Carbamazepin, Oxcarbazepin und Lamotrigin abzielen. Auf Carbamazepin bzw. Oxcarbazepin spricht die Mehrzahl der Betroffenen initial an, wobei je nach Körpergewicht mit 100 bis 200 mg täglich begonnen und dann durch langsame Dosissteigerung (100 mg zusätzlich alle 2-3 Tage) die optimale Dosierung individuell eruiert wird. Retard-Präparate sind zu bevorzugen. Dosislimitierend sind meist die zentralnervösen Nebenwirkungen (Müdigkeit, Schwindel, Doppelbilder, Übelkeit, Ataxie, Benommenheit), deren Auftreten u.U. durch langsames Eintitrieren abgeschwächt werden kann. Aufgrund der Hepatotoxizität und möglicher Veränderungen der Elektrolyte (Hyponatriämie) und des Blutbildes sind vorab die entsprechenden Ausgangswerte zu bestimmen und später zu monitorisieren, initial in engmaschigen Abständen. Zu beachten sind allfällige pharmakologische Interaktionen (z. B. verminderte Wirkung oraler Antikoagulanzien) und die mögliche verminderte Wirksamkeit infolge Enzyminduktionen, welche einen rascheren Abbau der Na+-Kanalblocker bewirkt. Betroffene sind zu informieren, dass allergische Hautreaktionen nach mehreren Tagen auftreten können. In Medikamenten-Fachinformationen wird zudem auf mögliche schwerwiegende epidermolytische Hautreaktionen bei Trägern des HLA-A*3101 Allels hingewiesen (4). Phenytoin hat eine deutlich geringere Wirksamkeit als Carbamazepin, kann aber bei akuter Schmerzexazerbation intravenös verabreicht (15 mg/kg) wirksam sein (20). Ein neu entwickelter Na+-Kanalblocker zeigte in einer kleinen Studienpopulation eine vielversprechende Wirkung und vor allem ein verbessertes Nebenwirkungsprofil (21). Vor einer Marktzulassung sind aber weitere klinische Studien notwendig. Bei Unverträglichkeit von Na+-Kanalblockern oder in Ergänzung dazu kann durch Hemmung präsynaptischer Ca++-Kanäle die Weiterleitung neuraler Schmerzsignale durch Gabapentin und Pregabalin herabgesetzt werden. Vorteile dieser Medikamentengruppe sind die Möglichkeit der relativ raschen Aufdosierung und das Ausbleiben relevanter Arzneimittelinteraktionen. Trizyklische Antidepressiva haben abweichend von ihrer guten Wirkung bei vielen neuropathischen Schmerzsyndromen nur eine geringe Wirksamkeit bei der Trigeminus-Neuralgie. Bei medikamentösem Therapieversagen und hohem Leidensdruck ist ein neurochirurgisches Konsilium angezeigt.

PD Dr. med. Dr. med. dent. Dominik A. Ettlin

Universität Zürich, Zentrum für Zahnmedizin
Klinik für Kaufunktions­störungen, Interdisziplinäre Schmerzsprechstunde
Plattenstrasse 11
8032 Zürich

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

  • Zur Einordnung von Schmerzbeschwerden im Gesicht ist ein Verständnis beteiligter neurophysiologischer Mechanismen hilfreich.
  • Bei Schäden des Gesichtsnervs können überwiegend die Myelinscheide (Trigeminus-Neuralgie) oder der ganze Nerv (Trigeminus-Neuropathie) beteiligt sein.
  • Während die Trigeminus-Neuralgie durch blitzartig einschiessende, elektrisierende Schmerzattacken von sehr hoher Intensität mit interiktaler Schmerzfreiheit charakterisiert ist, steht bei der Neuropathie meist ein konstant vorhandener Brennschmerz im Vordergrund.

Literatur
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6. Diener H-C, Gerloff C, Dieterich M (Hrsg) (2018) Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen, 7. Aufl. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart
7. Ettlin DA, Sommer I, Brönnimann B, Maffioletti S, Scheidt J, Hou M-Y, Lukic N, Steiger B (2016) Design, construction, and technical implementation of a web-based interdisciplinary symptom evaluation (WISE) – a heuristic proposal for orofacial pain and temporomandibular disorders. J Headache Pain 17(1):77. doi:10.1186/s10194-016-0670-5
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12. Jayawardena ADL, Chandra R (2018) Headaches and facial pain in rhinology. Am J Rhinol Allergy 32(1):12–15. doi:10.2500/ajra.2018.32.4501
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22. Zhang X, Priest BT, Belfer I, Gold MS (2017) Voltage-gated Na+ currents in human dorsal root ganglion neurons. Elife 6. doi:10.7554/eLife.23235

Welche Optionen kommen zur HbA1c-Senkung in Frage?

Welches ist in dieser Situation die beste antidiabetische Therapie, welche Vor- und Nachteile sind zu berücksichtigen?

1. Welche Aussage trifft auf die aktuelle Therapie und Situation zu?
A. Die Tagesdosis von Metformin sollte auf mindestens 2 g erhöht werden
B. Die sitzende Tätigkeit prädisponiert für Gewichtszunahme
C. Die bariatrische Chirurgie könnte hier den Diabetes, Dyslipidämie und viszerale Adipositas behandeln
D. Es könnte sich um einen Typ 1 Diabetes handeln

Die Antworten A und B sind richtig: Die Indikation für bariatrische Chirurgie ist BMI > 35.
Es liegt ein klassisches metabolisches Syndrom vor. Die Chance für einen Typ 1 Diabetes in dieser Altersgruppe liegt < 4%.

2. Welche Therapie würden sie bei diesem Patienten neben dem Metformin bevorzugen?
A. SGLT-2 Hemmer
B. Sulfonylharnstoff
C. DPP-4 Hemmer
D. GLP-1 Rezeptor Agonist
E. Kombination GLP-1RA und Basalinsulin
F. Glitazon

Die Antworten A und D sind richtig: SGLT-2 Hemmer sind bei e-GFR zwischen 30 und 60 ml/min nephroprotektiv. Sulfonylharnstoffe führen praktisch immer zu Gewichtzunahme und Hypoglykämien. GLP-1 RA bei BMI > 28 von Krankenkasse vergütet, Patient hat wahrscheinlich eine peripher arterielle Verschlusskrankheit, deshalb GLP-1 RA empfohlen. Kombination von Basalinsulin und GLP-1 RA noch zu früh und hätte ein geringes Risiko für Hypoglykämien. Bei sitzender Tätigkeit: Verhinderung von Gewichtszunahme. Glitazon birgt Gefahr der Gewichtszunahme und bietet sonst keine Vorteile.

Verlauf

  • Aufgrund des Gewichts entscheidet sich der Patient für eine GLP-1 RA (aufgrund der LEADER Studie wäre Liraglutid zu bevorzugen, aber der potentiell grössere Gewichtsverlust und 1x wöchentliche Gabe spricht für Semaglutid (Ozempic®: 1mg s.c. pro Woche).
  • Zusätzlich:
    • Ernährungsberatung
    • Vermehrte körperliche Aktivität (Arbeitsweg zu Fuss 2×20 min)

3. Wie würden Sie die Therapie (GLP-1 RA und Metformin) eskalieren, falls eine Herzinsuffizienz (HFPEF) diagnostiziert würde?
A. Zugabe Sulfonylharnstoff/Glinid
B. Zugabe von DPP-4 Hemmer
C. Insulin vor dem Schlafen, ev. Kombination GLP-1 RA (Xultophy®)
D. Zugabe SGLT-2 Hemmer

Anwort D ist die beste:
Allerdings muss diese Wahl ev. für Krankenkasse begründet werden, da bereits ein GLP-1 RA eingesetzt wird.

Welche weiteren Faktoren sind zu beachten?

  • Die Therapie des Blutdrucks sollte nicht vernachlässigt werden. Ein Ziel von <140/90 mm Hg ist zu empfehlen. Der aktuelle Gewichtsverlust und die Therapie mit GLP-1 RA und SGLT-2 Hemmer können den Blutdruck auch leicht senken.
  • Auch ein LDL von 3.4 mmol/l liegt oberhalb des Zielwertes von 1.8 mmol/l, da der Patient auch eine PAVK hat (kardiovaskuläre Erkrankung).
  • Eine Kombinationstherapie wäre zu empfehlen, da dadurch eine bessere Adhärenz erreicht wird: Kombination ACE-Hemmer, Calcium-Antagonist und Statin (z.B. Triveram 10/10/40 mg 1-0-0).

Leitlinien der SGED zu antidiabetischen Therapeutika

Prof. Dr. med.Roger Lehmann

UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zurich

Roger.Lehmann@usz.ch

Prof. Dr. med. Jacques Philippe

Hôpitaux universitaires de Genève
Clinique d’endocrinologie, diabétologie et hypertension
Rue Gabrielle Perret-Gentil 4
1205 Genève

Jacques.Philippe@hcuge.ch

RL: Teilnahme an Advisory Boards und Referentenhonorare von Novo Nordisk,
Sanofi, MSD, Boehringer Ingelheim, Servier und Astra Zeneca.
JP: Forschungsförderung durch NovoNordisk, Teilnahme an Advisory Boards und
Referentenhonorare von Novo Nordisk, Sanofi, Boehringer Ingelheim, Astra Zeneca
und Johnson & Johnson.

  • Bei der Eskalation der antidiabetischen Therapie nach einer erfolgten Metformintherapie muss gefragt werden, ob der Patient eine kardiovaskuläre Erkrankung hat (z.B. PAVK) und/oder eine chronische
    Nierenerkrankung oder Herzinsuffizienz. Zudem möchte der Patient einen Gewichtsverlust und eine Hypoglykämie vermeiden. Bevorzugte Substanzen in dieser Gruppe sind GLP-1 RA (Liraglutid > Semaglutid) oder SGLT-2 Hemmer (Empagliflozin, Dapagliflozin, Canagliflozin).
  • Ein Gewichtsverlust kann mit GLP-1 Analogen, allerdings gilt die Indikation erst bei BMI > 28, und mit SGLT-2 Hemmern erreicht werden. Den grössten Gewichtsverlust sieht man bei Kombination dieser Substanzen. Allerdings wird diese Kombination ohne Begründung von den Kassen nicht rückerstattet. ◆ Bei Personen in verantwortungsvollen oder gefährlichen Berufen oder bei häufigem Autofahren ist eine Therapie ohne Hypoglykämien zu bevorzugen (Metformin, DPP-4 Hemmer, GLP-1 Analoge und SGLT-2 Hemmer)
  • Sulfonylharnstoffe führen häufig zu Gewichtszunahme und/oder Hypoglykämien. Die grösste Gefahr für Hypoglykämien besteht bei einer Kombination von Sulfonylharnstoffen und Insulin (4-29 fach!!)
  • Eine multifaktorielle Therapie ist anzustreben (inkl. Rauchstopp!!)