Wegweiser durch die Präzisionsmedizin?

Tumormarker – ihre Zahl steigt täglich, zumindest gemessen an den Publikationszahlen. In die klinische Routine haben jedoch nur die wenigsten Einzug gehalten. Während die Präzisionsmedizin auf neue akkurate Marker dringend angewiesen ist, bleiben die altbekannten statistischen Masszahlen Sensitivität, Spezifität, Prävalenz und positiv prädiktiver Wert oft unüberwindliche Hindernisse auf dem Weg der Translation. Hoffnung gibt es jedoch bei neuen Anwendungsgebieten, z.B. in der Vorhersage des Therapieansprechens oder der Prognose und Prävention.

Les marqueurs tumoraux – leur nombre augmente chaque jour, au moins mesuré par les chiffres de publication. Dans la routine clinique, cependant, le le plus petit d’entre eux. Alors que la médecine de précision a besoin de toute urgence de nouveaux marqueurs précis, les nombres bien connus, la sensibilité, la spécificité, la prévalence et la valeur prédictive positive souvent sont des obstacles insurmontables sur le chemin de la translation. Un espoir reste dans les nouveaux domaines d’application, par exemple dans la prédiction de l’évolution de la réponse thérapeutique ou le pronostic et la prévention.

Der neueste «Hype» in der Medizin, die «Präzisionsmedizin», setzt sich zum Ziel, jedem Patienten eine auf ihn abgestimmte Therapie anbieten zu können – dies bedarf nicht nur massgeschneiderter Therapien, sondern auch einer spezifischen Diagnostik – im Fall der Onkologie einer ganzen Batterie neuer «Tumormarker»(1, 2).
Tumormarker sind mess- oder berechenbare Entitäten, die sensitiv, spezifisch und ohne Bias die Prädisposition, das Auftreten, die Progression, das Therapieansprechen oder die Abwesenheit eines Tumors oder seines Surrogates bezeichnen (3–5). Unter eine solche Definition fallen neben den klassischen klinisch-chemischen Einzelanalysen auch Ratios von freien und totalen Markern (z.B. totales und freies PSA) (6), Anstiegsgeschwindigkeiten (z.B. beim PSA (7)), Scores (8), komplexe Metabolitmuster (9) und Algorithmen (10). Aufgrund der Vielzahl der Anwendungsgebiete greift jedoch der Begriff des «Tumormarkers» zu kurz, denn ein Marker, der sensitiv die Präsenz einer Malignität anzeigt, ist für eine Prognoseabschätzung möglicherweise ungeeignet oder ein genetischer Marker, der mit grosser Sicherheit die Empfindlichkeit bzw. Resistenz eines Tumors gegenüber einer spezifischen Behandlung voraussagt, ist unter Umständen für die Verlaufsbeobachtung unbrauchbar.

Prädispositionsmarker

In den letzten Jahren wurde eine grosse Menge genetischer Risikofaktoren aufgedeckt, die als gemeinsame oder spezifische Risikofaktoren für die Entstehung von malignen Tumoren in Frage kommen (11). Zu den bekanntesten zählen BRCA-Mutationen für das Mammakarzinom (12, 13) oder hereditäre Kolonkarzinome (14). Während die aktuellen Ansätze des Whole-Genome-Sequencings (WGS) immer neue Mutationen und Varianten ans Licht bringen, bleibt die klinische Wertigkeit solcher Befunde häufig unklar. Daraus entstehen Herausforderungen für die moderne Medizin: zum einen an die Aufarbeitung und Übermittlung (15, 16) von Daten mit potenziell prädisponierender Information, zum andern an den Umgang mit aufgeklärten Patienten (vgl. «patients like me» ), aber auch an die Regularien für die Befundmitteilung, wie z.B. ab welchem Grad an Verlässlichkeit der Patient informiert werden sollte. Für klinische Studien (17) und nationale Verbundprojekte, wie z.B. im Rahmen des Swiss Personalized Health Networks (SPHN) sind diese Fragen essentiell.
Da sich insbesondere auf dem Gebiet der genetisch bedingten Tumoren die Datenlage extrem schnell ändert, ist es empfehlenswert, sich mit Hilfe der Literatur (z.B. aktuelle Guidelines(18, 19)), molekularen Tumorboards (20), in Tumorkonferenzen unter Beteiligung molekularer Pathologen und Genetiker und mit modernen Werkzeugen des Risikoassessments (21)«up-to-date» zu halten.

Abbildung 1: Die Schemazeichnung zeigt exemplarisch einen Verlauf von Tumormarkermessungen im Krankheitsverlauf. Während die Messwerte zu Beginn innerhalb des Referenzbereichs schwanken, zeigt sich im Verlauf des Tumorwachstums langsam eine Zunahme, wobei der Referenzbereich erst recht spät überschritten wird (vgl. Hori & Gambhir). Nach der Exstirpation des betroffenen Organs fallen die Werte unter die Nachweisgrenze ab, um im Rezidivfall wieder darüber hinaus anzusteigen.

Marker für die Früherkennung

Die Früherkennung von Tumorerkrankungen ist von herausragender Bedeutung, da viele Tumoren, wenn sie denn rechtzeitig erkannt werden, durch chirurgische und häufig auch konventionelle Verfahren effektiv behandelt und ggf. sogar geheilt werden können (22). Daher steht die Nutzung von Tumormarkern zur Früherkennung von Karzinomen im Interesse der aktuellen Forschung. Eine inzwischen unüberschaubare Anzahl an Publikationen «entdeckt» immer neue Frühmarker und nutzt dazu hochkomplexe und für jedweden Bias anfällige «-omics»-Technologien (5, 23). Häufig wird dabei aber vergessen, dass sich Tumoren, und damit auch die meisten Tumormarker, von ursprünglich gesundem Gewebe ableiten – deswegen haben insbesondere die «klassischen» Tumormarker Referenzbereichsgrenzen, welche die Variabilität der Marker in der Population abbilden. Hori und Gambhir (24) konnten mit Hilfe einer mathematischen Modellierung nachweisen, dass z.B. ein Ovarialkarzinom einen Durchmesser von ca. 2.5cm erreichen muss, bevor CA125 als Tumormarker den Referenzbereich überschreitet – dies würde einer «lead-time» von 10 bis 12 Jahren entsprechen. Von Früherkennung kann hier keine Rede sein (vgl. Abbildung 1). Generell haben die Entwicklungen der letzten 20 Jahre eher enttäuschende Ergebnisse geliefert (25, 26). Einen Ausweg könnten neue labormedizinische Technologien bieten, so z.B. die sog. «circulating tumor cells» (CTCs), «circulating tumor DNA” (ctDNA), «cell free RNA» (cfRNA), «tumor-educated platelets» (TEPs) und Exosomen im Rahmen der sog. «liquid biopsy». Weil Tumoren mit spezifischen Mutationen einhergehen, die im gesunden Organ nicht vorkommen, können Tumorgenom-Sequenzen aus wenigen Zellen, Thrombozyten oder Exosomen im Blut amplifiziert und so ausgeschwemmte Tumorzellen im peripheren Blut nachgewiesen z. B. werden (27). Aktuell stellt die geringe Konzentration der genetischen Marker im Blut noch eine technische Herausforderung für die Analytik dar (28).

Screening

Noch kritischer als für die Früherkennung sind die Anforderungen für Tumormarker, wenn sie für ein populationsbasiertes Screening eingesetzt werden sollen. Die in der generellen Bevölkerung niedrige Prävalenz von Tumorerkrankungen führt auch bei ausserordentlich hoher Spezifität zu einer kritischen Anzahl falsch positiver Befunde, die in der Regel eine belastende Folgediagnostik nach sich zieht. Eine gute Masszahl zur diagnostischen Einschätzung von Tumormarkern (29) bietet daher der positiv prädiktive Wert (PPV, «positive predictive value»), der angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein positives Testergebnis auch indikativ für die Erkrankung ist. Für die Beurteilung klinischer Konsequenzen der Anwendung eines Tumormarkertests bietet sich z.B. die Decision-Curve-Analysis (DCA) an (30). Während die Verwendung von Tumormarkern für Screeningzwecke in der älteren Literatur mehr als zurückhaltend betrachtet wird (25, 31), zeigen neuere Arbeiten, dass sich mit Hilfe von rechnergestützten Simulationen, ausgehend von initialen Basiswerten und ihrer Variabilität, die Tumordetektionszeiten verkürzen lassen, wenn eine grössere falsch-positiv-Rate (FPR) in Kauf genommen wird (32, 33). Dies lässt die Vermutung zu, dass aufgrund der hohen inter-individuellen Variabilität von Tumormarker-Konzentrationen ein in gesundem Zustand gemessener, individueller Ausgangswert, auch in Anbetracht der FPR für die Beurteilung eines späteren Anstiegs hilfreich sein könnte. An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl an präanalytischen Einflussgrössen und Störfaktoren die gemessenen Markerkonzentrationen beeinflussen kann (25) und dass sich für dieselbe Probe je nach Hersteller des Testkits die Werte erheblich unterscheiden können, auch wenn das Verfahren selbst prinzipiell vergleichbar ist (34).

Diagnostische Marker

Neben den seit Jahrzehnten bewährten Tumormarkern (25) haben trotz ihrer bekannten Limitationen (31) nur wenige neue Marker den Sprung in die Routinediagnostik geschafft (35): Belastbare, evidenzbasierte Daten (Evidenzstufe I [Markerstudie mit ausreichend Power bzw. Meta-Analyse] der Kategorie A [prospektive Evaluationsstudie]) liegen für neue Marker kaum vor (siehe Tabelle 1).
Für eine Übersicht über die aktuell in der Routine verwendeten Tumormarker sei auf die Übersichtsliteratur verwiesen (39–42).

Companion Diagnostics

Als Companion Diagnostics werden in vitro-Diagnostika bezeichnet, die Informationen für die sichere und effektive Nutzung eines korrespondierenden therapeutischen Produkts bereitstellen (43): Häufig werden Companion Diagnostics zusammen mit einem Therapeutikum entwickelt und hergestellt. Während der präklinischen Studienphasen werden Biomarker evaluiert, die das Therapieansprechen im individuellen Patienten vorhersagen können und selbige dann in späteren klinischen Phasen analytisch und klinisch evaluiert. Ihr Hauptanwendungsgebiet finden Companion Diagnostics derzeit in der Onkologie, prinzipiell sind sie aber für das gesamte Spektrum der personalisierten Medizin interessant (44). Durch ihren konsequenten Einsatz können oft sehr teure, unnötige Therapiekosten eingespart werden (45), wobei sich die Aufwandsbetrachtung Therapien dabei jeweils auf die Gesamtkosten beziehen sollte. In Zukunft dürfte sich die Zahl der als Companion Diagnostics bezeichneten Marker im Zuge der Personalisierung der Tumortherapie rapide erhöhen, was im Gegenzug eine Validierung mit ausreichend grossen Kohorten zur Herausforderung werden lässt. Für die korrekte Auswahl, Messung und Interpretation gewinnt eine patientenzentrierte, interdisziplinäre Zusammenarbeit von Klinikern sowie von Pathologen und Labormedizinern immer grössere Bedeutung – ein Umstand, dem z.B. in Bern mit der Neugründung eines integrativen Clinical Genomics Lab (CGL) Rechnung getragen wird.

Prognosemarker

Neben der rein diagnostischen Funktion kommt einer Reihe von Tumormarkern auch eine prognostische Aussagekraft zu, so z.B. dem CEA, CA125, S100A4 und Mesothelin beim Pankreaskarzinom (46, 47), ein Panel von 26 histologischen Markern bei Lebermetastasen einem kolorektaler Karzinome (48), oder zirkulärer RNA beim hepatozellulären Karzinom (49) bzw. epigenetische Marker bei unterschiedlichen Tumoren(50), um nur einige wenige epigenetischen Markern Beispiele zu nennen. Während der Nutzen für den Patienten, der bei jeder Diagnostik im Vordergrund stehen sollte, bei einer rein prognostischen Wertigkeit fraglich bleibt, käme einer präventiven Therapie unter regelmässiger Überwachung durch geeignete Marker, die derzeit noch weitgehend fehlen, eine grosse Bedeutung zu (51).

Choosing Wisely

Wie geht es weiter mit den Tumormarkern? Angesichts der Fülle jedes Jahr publizierter neuer Marker und der Schwierigkeit, die Validität von Markerstudien im Einzelfall zu erfassen, kommt Initiativen wie «Choosing Wisely» (19) eine immer grössere Bedeutung zu. Eine Gruppe Schweizer Autoren hat kürzlich im Journal der European Society for Medical Oncology eine Übersichtsarbeit (52) verfasst, die sich mit Strategien befasst, wie unangemessene Diagnostik und Behandlung vermieden und die Fachdisziplinen in einen produktiven Dialog gebracht werden können. Als besondere Hemmnisse identifizieren sie Voreingenommenheiten, die in einem hierarchisch organisierten Medizinsystem wohl erst mit ihren Vertretern Schritt für Schritt weniger werden, daneben aber auch eine «defensive», innovationsfeindliche Grundhaltung in der Medizin und Interessenkonflikte. Als mögliche Lösungsansätze sehen sie nicht nur eine Ausbildung künftiger Ärzte in medizinischer Entscheidungsfindung, sondern auch in der Einführung von elektronischen Werkzeugen, die die Adhärenz an Guidelines zu einem gewissen Grad automatisieren und damit so vereinfachen, dass davon abzuweichen schwerer fällt, als sich daran zu halten. Solche automatisierten Diagnostik- und Therapieempfehlungen werden in Zukunft ein unverzichtbarer Wegweiser durch das immer undurchdringlichere Dickicht aus neuen Markern und Therapien und dazu beitragen, den Patienten eine passende, auf sie personalisierte Medizin zu ermöglichen.

PD Dr. med. Alexander Leichtle

Universitätsinstitut für Klinische Chemie und Insel Data Science Center
Inselspital – Universitätsspital Bern und Universität Bern
3010 Bern

Prof. Dr. med. Georg Martin Fiedler

Universitätsinstitut für Klinische Chemie
Inselspital – Universitätsspital Bern und Universität Bern
3010 Bern

Die Autoren geben an, dass für diese Publikation kein Interessenkonflikt vorliegt.

  • Bei einer sehr niedrigen Erkrankungsprävalenz wird für Screeninganwendungen die falsch-positiv– Rate auch bei guter Spezifität eines Tumormarkers zum Problem.
  • Die Aussagekraft eines Tumormarkers hängt wesentlich von seinem Anwendungszweck (z.B. Verlaufsbeurteilung, Screening) ab.
  • Die grosse Mehrheit der alljährlich publizierten “Tumormarker” erreicht keine Evidenzgrade, die eine schnelle Einführung in die klinische Routine erlauben.

Messages à retenir

  • Avec une très faible prévalence de la maladie, le taux de faux positifs devient un problème pour le dépistage des applications même avec une bonne spécificité d’un marqueur tumoral.
  • L’importance d’un marqueur tumoral dépend essentiellement de son utilisation prévue (p. ex. évaluation des progrès, dépistage).
  • La grande majorité des “marqueurs tumoraux” publiés chaque année n’atteignent aucun niveau de preuve permettant une introduction rapide dans la routine clinique.

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CAR-T-Zelltherapie –  eine neue Behandlungsoption

Die Mehrzahl der Rückfälle beim diffusen grosszelligen B-Zell Lymphom (DLBCL) treten in den ersten 5 Jahren auf. Die Standardbehandlung besteht in einer Salvage- und einer konsolidierenden Hochdosis-Chemotherapie mit klar kurativem Ziel. Die Prognose ist bei einem Frührezidiv bzw. refraktärer Situation, und vor allem wenn eine Hochdosis-Therapie nicht durchgeführt werden kann, wesentlich ungünstiger. Die Chimeric Antigen Receptor (CAR) T-Zell Therapie stellt für diese PatientInnen eine Behandlungsoption dar, die in den USA seit Oktober 2017, und am 22.10.2018 auch in der Schweiz zugelassen ist. Diese Therapie ist in jeder Hinsicht und für alle Beteiligten Neuland.

La majorité des rechutes dans le lymphome diffus à grandes cellules B (DLBCL) se produisent au cours des 5 premières années. Le traitement standard consiste dans une thérapie de sauvetage et d’ une chimiothérapie à forte dose dans un but curatif clair. Le pronostic est nettement moins favorable en cas de récidive précoce ou de situation réfractaire, en particulier si le traitement à forte dose ne peut être effectué. Le traitement par les cellules CAR-T (chimeric antigen receptor T cells) est une option thérapeutique pour ces patients qui a été approuvée aux Etats-Unis depuis octobre 2017 et en Suisse depuis le 22 octobre 2018. Cette thérapie est un territoire inexploré à tous les égards et pour toutes les personnes concernées.

Therapie des DLBCL – derzeitige Erfolge und Grenzen

Das diffuse grosszellige B-Zell-Lymphom (DLBCL) ist eines der häufigsten Lymphome. Phänotypisch, genetisch und klinisch handelt es sich um eine sehr heterogene Erkrankung. Mit der Standardchemotherapie CHOP in Kombination mit dem CD20-Antikörper Rituximab wurde bei über 60-Jährigen nach 10 Jahren ein Gesamtüberleben von 44% und ein progressionsfreies Überleben von 37% erreicht (1). Diverse Versuche zur Verbesserung der Resultate der Erstbehandlung sind, auch bei jüngeren PatientInnen, bisher leider gescheitert. 87% der Rezidive treten in den ersten 3 Jahren auf (1). Fitten PatientInnen mit Rückfällen muss eine Salvage- und eine konsolidierende Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzell-Transplantation angeboten werden, was bei einem 3-Jahresgesamtüberleben von 50-70% klar kuratives Potential hat (2, 3). In der Population der über 60-Jährigen werden allerdings 70% innerhalb der ersten 2 Jahre versterben (1). Bei einem Frührezidiv bzw. refraktärer Situation ist die Prognose mit einem medianen Gesamtüberleben von 14.4 Monaten auch bei jungen PatientInnen ebenfalls ungünstig, und mit 5.1 Monaten noch eingeschränkter, sofern eine Hochdosis-Chemotherapie nicht durchgeführt werden kann (4). Standardtherapien bei Rezidiven nach autologer bzw. allogener Transplantation sind beschränkt bzw. fehlten bisher. Für diese PatientInnen sind neue Optionen also sehr willkommen.

CAR-T-Zell Therapie

Prinzip: Die Behandlung basiert auf manipulierten körpereigenen Abwehrzellen (vgl. auch info@onkologie, 03_2017). T-Zellen beseitigen normalerweise Krankheitserreger und können im Prinzip auch Krebszellen abtöten. Letzteres funktioniert nicht zuverlässig, da z. B. die T-Zellen ohne Antigenpräsentation Tumorzellen nicht erkennen und damit nicht wirksam angreifen können. Bei der neuartigen Therapieform erhält die T-Zelle einen künstlichen Rezeptor, der sich aus dem körpereigenen T-Zell-Rezeptor und einem Antikörper (z. B. CD19) zusammensetzt. Durch die Manipulation erhalten T-Zellen des Patienten die Fähigkeit, Tumorzellen direkt und spezifisch zu erkennen und effizient abzutöten. Es handelt sich also im wahrsten Sinne um eine individuelle, d.h. auf den einzelnen Betroffenen zugeschnittene Therapie.
Ablauf: Zur Herstellung von CAR-T-Zellen müssen dem Patienten T-Zellen entnommen werden. Dieser als Leukapherese bezeichnete ambulante Schritt erfolgt ohne spezielle Vorbereitung und aus dem peripheren Blut. Die Umprogrammierung erfolgt im Labor mit Hilfe eines viralen Vektors und umfasst auch eine Vermehrung der gentechnisch veränderten Abwehrzellen. Die Produktion dauert 2 bis 3 Wochen. Zur besseren Wirkung und längeren Verbleibedauer der CAR-T-Zellen werden die unmanipulierten Lymphozyten der Patienten mit einer Lymphozyten-depletierenden Chemotherapie (Fludarabin und Cyclophosphamid) entfernt, die Rückgabe der CAR-T-Zellen erfolgt 2 bis 7 Tage später. Je nach Zustand wird zusammen mit der Nachbeobachtungsphase von 10-14 Tagen die Behandlung eine Hospitalisationsdauer 2 bis 3 Wochen erfordern. Zudem wird gefordert, dass der Patient nach Austritt in den ersten 30 Tagen nach der Infusion das Behandlungszentrum je nach Produkt innert 60-120 Minuten erreichen kann. Wegen der möglichen, verzögerten Neurotoxizität muss der Patient während dieser Zeit auch auf das Autofahren verzichten.

Wirksamheit bei Lymphomen

Nach den ersten positiven Erfahrungen mit anti-CD19 CAR-T-Zellen bei der akuten, lymphatischen Leukämie < 26 Jahren wurde die Entwicklung bei Erwachsenen mit Rezidiven oder refraktären aggressiven Lymphomen weitergeführt. Dies hat im Oktober 2017 in den USA und im August 2018 auch zur Zulassung der zwei ersten kommerziellen Produkte durch die EMA geführt. Grundlage dazu waren die Resultate der ZUMA-1 und JULIET-Studien (5). In der Schweiz ist seit dem 22.10.2018 Kymriah® in der gleichen Indikation sowie für die akute lymphatische Leukämie bei Kindern und jungen Erwachsenen zugelassen (Tab. 1).
In ZUMA-1 mit dem von Gilead aufgekauften Produkt Axicabtagene ciloleucel (Yescarta®) wurden in den USA und Israel 111 Patienten eingeschlossen; 109 erhielten das Produkt, das mit einem Median von 17 Tagen vergleichsweise rasch zur Verfügung stand. Yescarta® wird ungefroren geliefert. Bei mehrfach vorbehandelten Patienten mit aggressiven Lymphomen (inkl. primär mediastinalen Lymphomen) liess sich eine Gesamtansprechrate von 82% (komplett in 54%) erreichen, welche nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 15.4 Monaten in 42% anhielt. Die Gesamtüberlebensrate nach 18 Monaten betrug 52%.
Bei der JULIET-Studie wurde Tisagenlecleucel (Kymriah®) von Novartis verwendet. In der Zulassungsstudie wurden weltweit 165 Patienten eingeschlossen. Nur 111 (67%) erhielten schliesslich das aufgetaute Produkt nach 30 bis 96 Tagen, was durch Produktionsengpässe bedingt war, und teilweise überbrückende Therapien notwendig gemacht hat. Das Gesamtansprechen war 53% (komplett in 40%) und noch 37 bzw. 30% nach 6 Monaten. Wichtig war die Beobachtung, dass das Erreichen einer CR nach 3 Monaten mit Langzeitansprechen korreliert. Die mediane Ansprechdauer ist noch nicht erreicht.
Das dritte Konstrukt JCAR017 von Celgene wird in einem CD4/CD8-Verhältnis von 1:1 und in einer fixen Zieldosis von 1 x 108 T-Zellen verabreicht. Die Resultate der TRANSCEND-Studie von 140 amerikanischen Patienten, vorgestellt am ASH 2017, ergab bei einer vergleichsweise bisher kurzen Beobachtungszeit von 6.2 Monaten eine Ansprechrate von 74%, die in 52% komplett war und dann median 9.2 Monate anhielt. Die Wirksamkeit und Logistik zur Verabreichung von JCAR017 wird derzeit im Rahmen der JCAR017-BCM-001 Studie auch in 16 europäischen und 2 japanischen Zentren weiter untersucht (Abb. 1).

Abb. 1: JCAR017-BCM-001 Studie (NCT03484702, Sponsor: Celgene)

Die Studie rekrutiert zunächst in die Kohorte 1; das Inselspital ist eines der 16 Europäischen Zentren.

Nebenwirkungen

Die Wirkung von CAR-T-Zellen erklärt die häufigste Nebenwirkung: nach der Infusion sollen diese die Tumorzellen erkennen und via direkte Bindung zerstören. Dies führt zur Ausschüttung von Zytokinen, wodurch die Patienten nach median 3 (bis 10) Tagen nach der Infusion Fieber, Hypotonie und Hypoxämie entwickeln können. Diese Nebenwirkung verlief in einigen Fällen auch schwer und hat zum Tod einzelner Patienten geführt. Dieses sogenannte «cytokine-release syndrome» (CRS) erfordert daher eine engmaschige Überwachung, und supportive Massnahmen inkl. Gabe des anti-IL-6-Rezeptor-Antikörpers Tocilizumab und recht häufig intensivmedizinische Interventionen. In den Publikationen zu den drei Produkten wurde über Häufigkeiten zwischen 46 bis 93 % bzw. in höhergradigem Ausmass (mind. G3) 6 bis 23 % berichtet. Die Spannbreite ist zumindest teilweise durch unterschiedliche Definitionen und Klassifikationen, sowie durch unterschiedliche Richtlinien zur Verabreichung von Tocilizumab erklärt.
Die neurologischen Nebenwirkungen kennen wir von der Verwendung des bispezifischen CD3-CD19 Antikörpers Blinatumomab. Zu den ersten Anzeichen gehören Wortfindungs- und Aufmerksamkeitsstörungen bis hin zu Enzephalopathien mit Hirnödem und epileptischen Anfällen. Die Symptome treten meist nach dem CRS und auch verzögert auf, und können Stunden bis mehrere Tage andauern. Im Vergleich zur akuten, lymphatischen Leukämie tritt diese Nebenwirkung bei Lymphompatienten mit 12-31% seltener auf. Der zugrundeliegende Mechanismus wird derzeit nicht verstanden. Wie beim CRS erfordert das Management dieser glücklicherweise meist reversiblen Nebenwirkung ein speziell geschultes und zugeordnetes interdisziplinäres Behandlungsteam.
Neben den Medikamenten-spezifischen Nebenwirkungen können diese Patienten natürlich auch krankheitsbedingte Symptome oder persistierende Nebenwirkungen früherer Behandlungen und, wenn auch ältere Patienten diese Behandlung erhalten, auch durch Komorbiditäten bedingt sein. Von Zentren mit mehrjährigen Erfahrungen zu CAR-T-Zell-Therapien wird aber auch über wenig ereignisreiche Verläufe berichtet, so dass die Behandlung teilweise ambulant durchgeführt wurde. Individuell wird dies von den Indikationen, dem Zustand der Patienten und in Zukunft sicherlich auch vom wachsenden Erfahrungsschatz der Behandlungsteams abhängen.

Organisatorische Aspekte

Kymriah® ist seit dem 22. Oktober 2018 in der Schweiz zugelassen, die Mitteilung hat in der Presse ein grosses Echo ausgelöst. Im Vergleich zu anderen Medikamenten kann es trotzdem derzeit nicht einfach eingesetzt werden, da das Medikament stationär verabreicht wird bis mehr klinische Erfahrung vorhanden ist. Dies erfordert die Finanzierung der Therapie über das DRG System, die aktuell noch nicht verfügbar ist. Daher ist die zeitnahe Aufnahme in die Liste der Medikamente mit Zusatzentgelt zwingend. Letzteres ist von uns Anwendern zu fordern, da die erwarteten Medikamenten-Kosten von 370’ 755 CHF für das Spital systemrelevant sind und anders nicht zu finanzieren sind. Es ist zu hoffen, dass sich die involvierten Parteien der Gesamtverantwortung bewusst sind und durch Kompromisse rasch zu einer allgemeingültigen Lösung beitragen. Vielleicht könnte diese Therapie auch dazu dienen, das System der Zulassung neuer Medikamente resp. innovativer Technologien in der Schweiz prinzipiell zu überdenken.
Mit der Anwendung von «lebenden Medikamenten» inkl. dem Spektrum von Nebenwirkungen wird medizinisches Neuland betreten. Derzeit beschränken sich die klinischen Erfahrungen mit CAR-T-Zellen weltweit auf wenige Zentren. Nach der Vorstellung von Novartis soll Kymriah® in der Schweiz nach und nach an einer begrenzen Anzahl Krebszentren angewendet werden. Das Inselspital wurde als erstes Zentrum in der Schweiz für die Anwendung von Kymriah® zertifiziert. Ungewöhnlich ist auch die Tatsache, dass in absehbarer Zeit bis zu drei Medikamente für die praktisch gleiche Population zur Verfügung stehen werden. Neben Unterschieden in der Wirksamkeit oder Nebenwirkungen können in Zukunft z. B. auch logistische Aspekte entscheidend sein.

Zusammenfassung und Ausblick

Die drei Produkte sind in der Lage, bei ~1/3 von schwerkranken vorbehandelten Lymphompatienten komplette Remissionen zu erreichen, die auch länger andauern können.[6] Die publizierten Beobachtungszeiten übersteigen 2.5 Jahre nur in Einzelfällen, so dass gegenüber Heilsversprechen derzeit ein vernünftiges Mass an Skepsis entgegenzuhalten ist. Und doch ist die Wirksamkeit dieser zellulären Immuntherapie klar besser als alles, was wir bisher diesen Patienten anbieten konnten. Direkte Vergleiche mit der Hochdosis-Therapie, z. B. im Rahmen der ZUMA-7- (mit drei Zentren in der Schweiz) und der JCAR017-BCM-003-Studie, an welcher das Inselspital teilnehmen wird, könnten ggf. gar zur Ablösung der konventionellen Therapien bei Rezidiven führen. Zudem wird die Therapie bereits auch bei anderen CD19-exprimierenden Lymphomen (z. B. Mantelzell-Lymphom) untersucht.

Dr. med. Barbara Jeker

Inselspital
Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Medizinische Onkologie
Loryhaus
3010 Bern

Prof. Dr. med. Thomas Pabst

Inselspital
Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Medizinische Onkologie
Loryhaus
3010 Bern

PD Dr. med. Urban Novak

Inselspital
Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Medizinische Onkologie
Loryhaus
3010 Bern

urban.novak@insel.ch

Celgene hat sich finanziell am klinischen Vorbereitungsaufenthalt am Memorial Sloan Kettering von Frau Dr. B. Jeker beteiligt. Novartis hat Dr. B. Jeker und PD Dr. U. Novak die Teilnahme an einem CAR-T-Cell Workshop in Köln ermöglicht. Prof. T. Pabst hat an Advisory Boards von Gilead, Celgene und Novartis teilgenommen.

  • Mit CAR-T-Zellen lassen sich bei schwer kranken PatientInnen aggressive Lymphome bei bis zu 80% behandeln. Bei einer Krankheitskontrolle bis zum 3. Monat (40-70 %) hält der Effekt wahrscheinlich längerfristig an.
  • Seit dem 22. Oktober 2018 ist mit Kymriah® die erste zelluläre Immuntherapie zur Behandlung von Rezidiven der akuten B-ALL bei Kindern und aggressiven mehrfach vorbehandelten Lymphomen zugelassen. Die Rahmenbedingungen für die Finanzierung sind derzeit noch unklar.
  • Erst durch Langzeitdaten und vergleichende Studien werden wir den Stellenwert dieser neuartigen Behandlungsoption gegenüber den konventionellen Therapien und neuen Substanzen kennen.

Messages à retenir

  • Les cellules CAR-T peuvent être utilisées pour traiter jusqu’  à 80 % des lymphomes agressifs chez les patients gravement malades. Avec un contrôle de la maladie jusqu’ au 3ème mois (40-70 %), l’ effet dure probablement plus longtemps.
  • Kymriah®, la première immunothérapie cellulaire pour le traitement des rechutes de B-ALL aiguës chez l’ enfant et des lymphomes agressifs multitraités, est autorisé depuis le 22 octobre 2018. Les conditions-cadres pour le financement ne sont pas encore claires.
  • Ce n’ est que grâce à des données à long terme et à des études comparatives que nous pourrons connaître l’ importance de cette nouvelle option thérapeutique par rapport aux thérapies conventionnelles et aux nouvelles substances.

1. Coiffier B et al. Long-term outcome of patients in the LNH-98.5 trial, the first randomized study comparing rituximab-CHOP to standard CHOP chemotherapy in DLBCL patients: a study by the Groupe d’ Etudes des Lymphomes de l’ Adulte. Blood 2010;116:2040-5
2. Gisselbrecht C et al. Salvage regimens with autologous transplantation for relapsed large B-cell lymphoma in the rituximab era. J Clin Oncol 2010;28:4184-90
3. Gilli S et al. BeEAM conditioning with bendamustine-replacing BCNU before autologous transplantation is safe and effective in lymphoma patients. Ann Hematol 2017;96:421-9
4. Crump M et al. Outcomes in refractory diffuse large B-cell lymphoma: results from the international SCHOLAR-1 study. Blood 2017;130:1800-8
5. Schuster SJ et al. Chimeric Antigen Receptor T Cells in Refractory B-Cell Lymphomas. N Engl J Med 2017;377:2545-54
6. Locke F et al. Durability of response in ZUMA-1, the pivotal phase 2 study of axicabtagene ciloleucel (Axi-Cel) in patients (Pts) with refractory large B-cell lymphoma. JCO 2018;26:suppl; abstr 3003

Fortschritte in der Hämatologie

Die Hämatologie beschäftigt sich mit malignen und benignen Krankheiten des Blutes inkl. Gerinnung. Zur Hämatologie gehören auch die labortechnische hämatologische Diagnostik und die Transfusionsmedizin. In all diesen Bereichen konnten in den letzten Jahren hervorragende Fortschritte erzielt werden. Nicht zu vergessen, die Tumore des Blutbildungssystems haben die moderne Krebstherapie begründet, die Leukämiebehandlung stand dabei am Anfang, wohl wegen der guten Zugänglichkeit der malignen zirkulierenden Zellen im Blut. Anstatt diese Fortschritte heute begeistert zu feiern, muss aber zunehmend über die ökonomischen und gesundheitspolitischen Implikationen derselben diskutiert werden.

L’hématologie traite des maladies malignes et bénignes du sang, y compris la coagulation. L’hématologie comprend également le diagnostic hématologique en laboratoire et la médecine transfusionnelle. D’excellents progrès ont été réalisés dans tous ces domaines ces dernières années. Sans oublier que les tumeurs du système hématopoïétique ont établi la thérapie moderne du cancer, le traitement de la leucémie était au début, probablement en raison de la bonne accessibilité des cellules malignes circulantes dans le sang. Cependant, au lieu de célébrer ces progrès avec enthousiasme aujourd’hui, il faut de plus en plus en discuter des implications économiques et de politique de santé qui en découlent.

Das Gesundheitswesen hat in den letzten Jahren eine massive Teuerung erfahren und die Krankenkassenprämien stossen jetzt an die Grenze der Belastbarkeit der einzelnen Haushalte. Der gleichberechtigte Zugang zu Therapien wird in der gesellschaftlichen Diskussion nicht in Frage gestellt es findet aber eine schleichende Ungleichbehandlung statt. Durch die Überführung von stationären Massnahmen in den ambulanten Sektor wird diese Tendenz verstärkt, die ambulante Medizin wird über Kopfprämien gedeckt ohne wesentliche soziale Abfederung während bei den stationären Kosten die Kantone ca. die Hälfte der Kosten übernehmen. Desungeachtet sollte auch verdeutlicht werden, dass diese Kostenzunahme nicht nur in Infrastrukturen geflossen sind, sondern auch zahlreiche therapeutische Fortschritte erzielt werden konnten, welche den Kranken zu Gute kommen, das Wissen wird mehr, die Medizin grösser. Dieser Fortschritt geht weiter, die Anzahl der sich in Entwicklung befindenden Substanzen in diesem Bereich ist hoch und es sind Therapien und Verfahren in Entwicklung die noch ein Vielfaches der bisherigen Spitzenpreise erzielen werden. Dieser Kostenschub wird trotz berechtigter Kritik an der Preisfestsetzung von Therapien nicht aufzuhalten sein. Es wird in der Zukunft darum gehen, den Zugang zu wirksamen Therapien für alle Betroffenen aufrecht zu erhalten, der Willkür durch einzelne Zahler und somit der Zugangsunsicherheit so gut es geht den Riegel zu schieben, und zudem wird es unter Ägide von gesundheitspolitischen Organisationen darum gehen zu definieren, welche Patienten Zugang zu solchen Spitzentherapien haben werden. Die Therapien werden wirksam sein, für kleine Gruppen von Patienten die in Frage kommen, und sehr teuer sein. Es sei hier deshalb der Versuch erlaubt, therapeutische Fortschritte im Bereich der Hämatologie der letzten Jahre zusammenzufassen.
Diese Arbeit hat nicht zum Ziel vollständig zu sein, noch bietet sie eine Kosten-Nutzen-Analyse, z.T. werden mit teuren Medikamenten auch sehr seltene Krankheiten behandelt, so dass der Einfluss auf die Gesamtgesundheitskosten gering ist. Ebenso ist es schwierig, Medikamentenkosten für seltene Krankheiten mit solchen häufigerer Entitäten aufzurechnen. Demzufolge stösst auch die Diskussion darüber wie viel denn ein gewonnenes Lebensjahr die Gesellschaft kosten darf, an Grenzen. Auch gibt es bekannterweise keine gute Korrelation zwischen den Preisen von Medikamenten und dem erwiesenen therapeutischen Nutzen. Dennoch ist es wohl sinnvoll, in der Kostensteigerungsdebatte den therapeutischen Fortschritt tabellarisch darzustellen. Wir erlauben uns, diese Entwicklungen zu interpretieren, auch wenn dieser Interpretation eine gewisse Subjektivität nicht abgesprochen werden kann.

Beurteilung

Die Hämato-Onkologie hat in der Behandlung von malignen Erkrankungen in den letzten Jahren grosse Fortschritte erfahren. Das beste Beispiel ist die chronisch myeloische Leukämie, die Entwicklung der Kinase Inhibitoren hat praktisch zu einer Normalisierung der Lebenserwartung geführt, wenn die Krankheit in einem Frühstadium (erste chronische Phase) diagnostiziert wird. Bei weiter fortgeschrittener Erkrankung stimmt das schon nicht mehr. Vergleichbare Fortschritte sind bei anderen Krankheiten nicht erzielt worden, den noch gibt es viele Beispiele, erfolgreicher Therapien, z.B. beim Plasmazellmyelom hat sich die mittlere Lebenserwartung von ca. 3 Jahre auf 6 Jahre mit den modernen Therapien verdoppelt. Die Zahl neu entwickelter Substanzen und von Zulassungen steigt quasi exponentiell, die Medikamentenkosten ebenso. Mit dem Dammbruch der CML Kinase Inhibitoren haben sich Medikamentenpreise von 6000-10’000 CHF Monatskosten durchgesetzt. Zahlreiche Tumorerkrankungen müssen in Kombination behandelt werden, die Kosten addieren sich entsprechend, da es keine separaten Mechanismen für die Finanzierung von Kombinationstherapien gibt. Mit den neuen zellulären Therapien wird nochmals eine weitere Preissteigerung mit einer zusätzlichen Verzehnfachung der Kosten auf uns zukommen. Falls diese Therapien das kurative Versprechen halten können, dies muss in Studien noch etabliert werden, wird es sehr schwierig sein, den Zugang zu solchen Therapien zu steuern. Bei der Preisfestsetzung fehlt ebenso eine Korrelation mit dem therapeutischen Nutzen, d.h. es kann gar nicht davon ausgegangen werden, dass ein doppelt so teures Medikament auch doppelt so gut wirkt, z.B. die Lebenserwartung im Vergleich zur Kontrollsubstanz verdoppelt. Es gilt das Primat der Zugangsgerechtigkeit aufrecht zu erhalten und dem zunehmenden Abgleiten in eine Zweiklassenmedizin den Riegel zu schieben. Der Zugang zu modernen Substanzen, oft im off-label Bereich stattfindend, ist das Konfliktfeld auf dem diese Fragen entschieden werden. Der medizinische Fortschritt ist ein Segen für die Gesellschaft, muss weitergehen können und der gerechte Zugang zu innovativen Produkten muss sichergestellt bleiben.

Prof. Dr. med. Jakob Passweg

Klinik für Hämatologie
Hämatologische Diagnostik Labormedizin
Universitätsspital Basel und Blutspendezentrum beider Basel SRK
Petersgraben 4
4031 Basel

jakob.passweg@usb.ch

Prof Dr. med. Andreas Buser

Klinik für Hämatologie
Hämatologische Diagnostik Labormedizin
Universitätsspital Basel und Blutspendezentrum beider Basel SRK
Petersgraben 4
4031 Basel

Prof. Dr. med. Dimitrios Tsakiris

Klinik für Hämatologie
Hämatologische Diagnostik Labormedizin
Universitätsspital Basel und Blutspendezentrum beider Basel SRK
Petersgraben 4
4031 Basel

Der Autor hat deklariert, keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel zu haben.

1. Bower H, Björkholm M, Dickman PW, et al. Life Expectancy of Patients With Chronic Myeloid Leukemia Approaches the Life Expectancy of the General Population. J Clin Oncol 2016;34(24):2851-7
2. Hostenkamp G, Lichtenberg FR. The impact of recent chemotherapy innovation on the longevity of myeloma patients: US and international evidence. Soc Sci Med 2015;130:162-71
3. Kantarjian H et al. Blinatumomab versus Chemotherapy for Advanced Acute Lymphoblastic Leukemia. N Engl J Med 2017;376(9):836-47
4. Kantarjian HM et al. Inotuzumab Ozogamicin for Acute Lymphoblastic Leukemia. N Engl J Med 2016;375(21):2100-1
5. Stone RM et al. Midostaurin plus Chemotherapy for Acute Myeloid Leukemia with a FLT3 Mutation. N Engl J Med 2017; 377:454-64

Fahreignung von Tumorpatienten –  was ist zu beachten?

In der Schweiz liegt die Inzidenz von Krebspatienten bei 40 000 pro Jahr (1). Im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung stellt sich häufig die Frage, ob die betroffene Person ein Fahrzeug sicher lenken kann. Im vorliegenden Artikel werden die wichtigsten Problemstellungen im Zusammenhang mit der Fahreignung diskutiert und Handlungsoptionen für die Beurteilung der Fahreignung aufgezeigt.

En Suisse, l’incidence des patients cancéreux est de 40000 par an (1). En ce qui concerne le cancer, la question se pose souvent de savoir si la personne concernée peut conduire un véhicule en toute sécurité. Cet article traite les problèmes les plus importants liés à l’aptitude à la conduite et présente des pistes d’action possibles pour évaluer l’aptitude à la conduite d’un véhicule.

Fahreignung und Fahrfähigkeit

Unter Fahrfähigkeit versteht man die momentane, zeitlich begrenzte physische und psychische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen eines Fahrzeuges. Gemäss Art. 31 Strassenverkehrsgesetz (SVG) (2) muss jeder Führer das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Wer wegen Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimitteleinfluss oder aus anderen Gründen nicht über die erforderliche körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt, gilt während dieser Zeit als fahrunfähig und darf kein Fahrzeug führen.
Die Fahreignung hingegen ist die allgemeine, zeitlich nicht umschriebene physische und psychische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen eines Fahrzeuges. Nach Art. 14 SVG müssen Motorfahrzeugführer über Fahreignung und Fahrkompetenz verfügen.
Über Fahreignung verfügt, wer:

  • das Mindestalter erreicht hat;
  • die erforderliche körperliche und psychische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen hat;
  • frei von einer Sucht ist, die das sichere Führen von Motorfahrzeugen beeinträchtigt; und
  • nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr bietet, als Motorfahrzeugführer die Vorschriften zu beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht zu nehmen.

Für die Fahreignung hat der Gesetzgeber in der Verkehrszulassungsverordnung (VZV) (3) Mindestanforderungen festgelegt, die es bei der Fahreignungsbeurteilung zu prüfen gilt. Hierbei ist zu unterscheiden, ob der Patient Inhaber von Führerausweiskategorien der 1. medizinischen Gruppe (Kategorie A, A1, B, B1, F, G, M) ist oder auch der 2. medizinischen Gruppe (C, C1, D, D1, Bewilligung zum berufsmässigen Personentransport, Verkehrsexperten). Die Anforderungen an Personen mit Führerausweiskategorien der 2. medizinischen Gruppe sind höher als die mit der 1. medizinischen Gruppe.

Mögliche Einschränkungen bei Tumorpatienten

Bei der Beurteilung zu differenzieren sind Einschränkungen, die durch die Krebserkrankung selbst verursacht werden, diejenigen, die durch die Therapie verursacht werden, aber auch mögliche Spätschäden nach erfolgreicher Behandlung.
In der verkehrsmedizinischen Begutachtungspraxis sind hier v.a. Hirntumore ein problematisches Feld. Je nach Lokalisation des Tumors können verkehrsmedizinische Auffälligkeiten wie Sehstörungen, Doppelbilder, Gesichtsfeldeinschränkungen und epileptische Anfälle auftreten. Es kann aber auch zu Lähmungserscheinungen oder Persönlichkeitsauffälligkeiten kommen. Bei anderen Tumorlokalisationen kommt es in der Regel weniger durch den Primärtumor zu fahreignungsrelevanten Auffälligkeiten. Bei hämatologischen Erkrankungen können allenfalls eine Müdigkeit und eine allgemein eingeschränkte Leistungsfähigkeit dazu führen, dass das funktionelle und für die Fahreignung relevante Leistungsniveau nicht erreicht wird.
Sobald die Tumordiagnostik erfolgt ist und ein Therapieplan erstellt wurde, sind weitere Problemkreise zu beachten. Aus verkehrsmedizinischer Sicht spielen vor allem Müdigkeit, Reduktion der Leistungsreserve, die aktuelle Medikation, Schmerzen, epileptische Anfälle, Persönlichkeitsveränderungen, kognitive Einschränkungen, psychische Probleme und das Hemisyndrom eine grosse Rolle. Hier gilt es im individuellen Fall den Patienten aufzuklären und ihm allenfalls eine Fahrkarenz für den Zeitraum der Behandlung aufzuerlegen. Hier ist zu beachten, dass fahreignungsrelevante Defizite dokumentiert werden sollten, ebenso wie das Aufklärungsgespräch und die ausgesprochene Fahrkarenz. Eine schriftliche Bestätigung ist hier nicht zwingend notwendig, kann aber im Einzelfall sinnvoll sein. Nach erfolgreicher Behandlung kann es natürlich auch zu langfristigen Einschränkungen der Fahreignung kommen. Hier ist v.a. die chronische Fatigue, Einschränkungen in der körperlichen oder psychischen Leistungsfähigkeit zu sehen.

Beurteilung der Fahreignung

Um das psycho-physische Leistungsniveau zu testen, gibt es keine Standarduntersuchungen und auch keinen Richtwert, sondern es ist immer die individuelle Behandlung und Beurteilung der Situation im Kontext der Verkehrssicherheit zu beurteilen. Bei der Beurteilung der notwendigen Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen eines Fahrzeuges unterscheidet sich die Grundleistung von der Leistungsreserve. Die Grundleistung reicht in der Regel alleine nicht aus, um ein Fahrzeug sicher zu führen. Es bedarf der Reserveleistung, v.a. um in unvorhergesehenen Situationen adäquat reagieren zu können. Dies wird von den Fahrzeuglenkern häufig falsch eingeschätzt und gilt es vom Arzt mitzubeurteilen. Hier gilt es abzuschätzen, ob die Einschränkungen durch die Grunderkrankung zu sehen sind oder durch die Behandlung. Auch ist zu beurteilen, ob die Einschränkungen nur vorübergehend oder dauerhaft sind.
Bezüglich der Fahreignung und Epilepsie gibt es ausführliche Richtlinien (4), in denen die Voraussetzungen für eine positive Fahreignung stehen. Ebenso existieren Richtlinien betreffend Diabetes mellitus (5) und bei Tagesschläfrigkeit (6). Weitere Richtlinien sind in Bearbeitung.
Grundsätzlich gilt zu prüfen, ob die medizinischen Mindestanforderungen nach Anhang 1 VZV gegeben sind (3). Hier gibt es Anforderungen für Seh- und Hörvermögen, Alkohol, Drogen und psychotrope Medikamente, psychische und neurologische Erkrankungen, organisch bedingte Hirnleistungsstörungen, Herz-Kreislauf-, Stoffwechselerkrankungen, Erkrankungen der Atem- und Bauchorgane, des Bewegungsapparates bzw. der Wirbelsäule. Zur Überprüfung der kognitiven Leistungsfähigkeit besteht die Möglichkeit einer neuro- oder verkehrspsychologischen Abklärung, wobei hier vor allem verkehrsrelevante Einschränkungen bei der Aufmerksamkeit, der Informationsverarbeitung und der Reaktionsgeschwindigkeit zu untersuchen sind. Ein weiteres grosses Problem bei der Krebsbehandlung ist die Schmerztherapie mit Opioiden oder Opiaten. Hierbei gilt, dass die Fahreignung nicht gegeben ist, wenn keine stabile Medikation vorliegt, ein Beikonsum von illegalen Drogen besteht beziehungsweise ein Suchtmittelproblem mit anderen Substanzen wie z.B. Alkohol. Eine negative Fahreignungsbeurteilung kann daher kommen, dass die Behandlung grundsätzlich nicht indiziert ist, dass die Mindestanforderungen nicht erfüllt sind, und dass es relevante kognitive Einschränkungen gibt und/oder eine relevante Tagesmüdigkeit besteht. Grundsätzlich ist anzumerken dass bei einer Behandlung mit Opiaten/Opioiden die Fahreignung wenn überhaupt lediglich für die 1. medizinische Gruppe gegeben ist. Bei einem stabil eingestellten Patienten, bei dem die Indikation der Behandlung sauber gestellt wurde und bei dem keinerlei Einschränkung der körperlichen und/oder kognitiven Leistungsfähigkeit bestehen, kann die Fahreignung auch unter der Behandlung mit Opiaten und Opioiden als gegeben erachtet werden.
Sollte in Erwägung gezogen werden eine Behandlung mit Cannabinoiden (THC, CBD etc.) einzusetzen, so ist die Fahreignung ebenfalls im Auge zu behalten. Bezüglich Cannabis im Strassenverkehr gilt weiterhin die Nulltoleranzregelung für THC. Die Studienlage betreffend anderen medizinisch verordneten Cannabisprodukten (z.B. CBD) und der Fahreignung ist derzeit noch nicht ausreichend, um Richtlinien zu erlassen. Die zur Lösung von Spastiken und Epilepsien eingesetzten Cannabinoide wie CBD können zu erhöhter Müdigkeit und zu Reaktionsverminderung führen und daher die Fahrfähigkeit einschränken. Aus verkehrsmedizinischer Sicht raten wir von der Verordnung von Cannabinoiden im Zusammenhang mit der Fahreignung ab. Sollte die Verordnung dennoch notwendig sein, so empfiehlt es sich, in diesen Fällen eine ärztliche Drittmeldung an die Administrativbehörde zu machen, damit die Fahreignung im Rahmen einer verkehrsmedizinischen Abklärung bei dem Arzt/einer Ärztin mit der Anerkennungsstufe 4 erfolgen kann. Mögliche Handlungsoptionen Wenn sie Zweifel an der Fahreignung hegen, so können sie von ihrem ärztlichen Melderecht nach Art. 15d Abs. 1 lit. e SVG Gebrauch und eine Meldung an das zuständige Strassenverkehrsamt machen. Sie sind im Zusammenhang mit der Drittmeldung von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden.
Im Vorfeld gibt es die Möglichkeit, ärztliche Fahrkarenzen auszusprechen, was v.a. bei complianten Patienten eine gute Möglichkeit ist. Hier ist es wichtig, dass sie gut dokumentieren, was sie mit den Patienten besprochen haben, und dies allenfalls vom Patienten unterzeichnen zu lassen.
Auch besteht für den betroffenen Fahrzeuglenker die Möglichkeit, vorübergehend auf den Fahrausweis zu verzichten. Entsprechende Formulare finden sich auf den Homepages der Strassenverkehrsämter. Dies ist v.a. eine Möglichkeit bei Personen, die von Gesetzeswegen her sich regelmässig einer Fahreignungsabklärung stellen müssen (Inhaber höherer Führerausweiskategorien, Senioren).

Dr. med. Kristina Keller

Universität Zürich
Institut für Rechtsmedizin
Abteilung Verkehrsmedizin
Kurvenstrasse 31
8006 Zürich

Kristina.Keller@irm.uzh.ch

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit dem Beitrag deklariert.

  • Besondere Aufmerksamkeit ist bei Patienten mit Hirntumoren gegeben.
  • Meistens ist die Behandlung Grund für die verkehrsmedizinische Einschränkung, nicht der Primärtumor.
  • Die wesentlichen Einschränkungen betreffen das Sehvermögen, epileptische Anfälle, kognitive Defizite und Müdigkeit.
  • Ein grosses Problem ist die Schmerztherapie mit Opioiden und Opiaten.

Messages à retenir

  • Une attention particulière est accordée aux patients atteints de tumeurs cérébrales.
  • Dans la plupart des cas, le traitement est la raison de la restriction médicale de la circulation en véhicule, et non la tumeur primaire.
  • Les principales limitations concernent la vision, les crises d’épilepsie, les déficits cognitifs et la fatigue.
  • Un problème majeur est la thérapie de la douleur avec des opioïdes et des opiacés.

1. Krebs in der Schweiz: wichtige Zahlen, Krebliga Schweiz
2. https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19580266/index.html
3. https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19760247/index.html
4. Epilepsie und Führerschein; Günter Krämer, Claudio Bonetti, Johannes Mathis, Klaus Meyer, Margitta Seeck, Rolf Seeger, Daniela Wiest, SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(7):157–160
5. https://www.irm.uzh.ch/dam/jcr:72ae4b5a-2432-481e-ba36-977d570b5b85/1705_Neue-Auto-Richtlinien_SGED_final_DE.pdf
6. Fahreignung bei Tagesschläfrigkeit, Prof. Dr. med. Johannes Mathis, Prof. Dr. med. Malcolm Kohlerb, PD Dr. med. Dr. phil. Ulrich-Michael Hemmeterc, Dr. med. Rolf Seeger: Verkehrskommission Schweizerische Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie (SGSSC); Schweiz Med Forum 2017;17(20):442-447

Kann bei allen Patientinnen mit Mammakarzinom auf eine Axilladissektion verzichtet werden?

Mit der Studie SAKK 23/16 – TAXIS untersucht die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) die fokussierte Axillachirurgie in Kombination mit axillärer Radiotherapie zur Behandlung von Patientinnen mit Mammakarzinom und hoher Tumorlast in der Axilla.

Während fast eines Jahrhunderts gehörte die Axilladissektion zur Standardbehandlung jeder Patientin mit Mammakarzinom. In den neunziger Jahren wurde das Sentinelverfahren eingeführt und die Axilladissektion beschränkt auf Patientinnen und Patienten mit palpablen Lymphknotenmetastasen oder tumorbefallenen Sentinel-Lymphknoten. Heute haben wir aus verschiedenen randomisierten Studien gelernt, dass auch bei vielen Patientinnen mit limitiertem Tumorbefall der Sentinellymphknoten auf die Axilladissektion verzichtet werden kann. Die Axilladissektion ist weiterhin die Standardbehandlung von Patientinnen mit palpablen Lymphknotenmetastasen oder residuellem Tumor nach neoadjuvanter Chemotherapie.

Fokussierte Axillachirurgie

In den letzten Jahren hat die zielgerichtete Axilladissektion („targeted axillary dissection“) viel Aufmerksamkeit erlangt als Verfahren zum Ausschluss von residuellem Tumorgewebe in den axillären Lymphknoten nach neoadjuvanter Chemotherapie. Dabei wird das Sentinelverfahren kombiniert mit der selektiven Entfernung des initial tumorbefallenen axillären Lymphknotens, der vor der neoadjuvanten Therapie während oder nach der Biopsie mit einem Clip markiert wurde. Mehrere prospektive Interventionsstudien haben gezeigt, dass mit der zielgerichteten Axilladissektion die falsch-negative Rate auf wenige Prozent gesenkt werden kann, während diese beim alleinigen Sentinelverfahren in dieser Situation bei > 10% liegt. Mehrere prospektive multizentrische Studien, z.B. SenTa in Deutschland oder RISAS in Holland, haben derzeit zum Ziel, die zielgerichtete Axilladissektion weiter zu validieren. TAXIS untersucht ein neues Konzept zur De-eskalierung der Axillachirurgie, das wir fokussierte Axillachirurgie, auf Englisch tailored axillary surgery» (TAS) genannt haben. Dabei spielt die zielgerichtete Axilladissektion eine wichtige, jedoch nicht obligatorische Rolle zur selektiven Entfernung von befallenen Lymphknoten. Wichtiger ist bei TAS der Einsatz der Finger der Chirurgen zur selektiven Entfernung von palpablen Ablegern und natürlich das Sentinelverfahren zur Entfernung von nicht-palpablen Tumoranteilen. Die Axilla muss nach TAS ohne palpable Tumoranteile sein, während die residuellen mikroskopischen Tumoranteile der Radiotherapie überlassen werden.

Vormarsch der Radiotherapie

Parallel zum Rückgang der Axilladissektion bei Patientinnen mit positiven Sentinel-Lymphknoten hat sich ein klinischer Trend entwickelt hin zu mehr Radiotherapie der Lymphabflusswege. Beide Trends stützen sich auf Level 1 Evidenz aus randomisierten Studien. Während die brustchirurgischen Studien gezeigt haben, dass weniger Chirurgie nicht zu mehr Rezidiven führt, haben die radioonkologischen Studien gezeigt, dass vermehrte Radiotherapie das krankheitsfreie Überleben dieser Patientinnen zumindest leicht verbessert. Entsprechend werden Patientinnen mit befallenen Lymphknotenmetastasen zunehmend regionär bestrahlt. Diese Entwicklung begünstigt die kritische Re-evaluation der übrigen Indikationen für eine Axilladissektion, die zunehmend durch die Radiotherapie ersetzt wird.

Laufende Studien auf dem Gebiet der Axillabehandlung

Zurzeit rekrutieren acht grosse randomisierte nationale Studien in mehreren Ländern. Zwei davon untersuchen, ob nach einem unauffälligen Ultraschall ganz auf das chirurgische axilläre Staging – also auch auf das Sentinelverfahren – verzichtet werden kann. Einige Studien validieren das ACOSOG Z0011 Protokoll, wobei sie die Einschlusskriterien ausgeweitet haben. Dabei geht es grundsätzlich um die Frage, ob in der heutigen Zeit Lymphknotenmetastasen in der Axilla zurückgelassen werden dürfen, wenn wirksame adjuvante Therapien folgen – eine Abkehr von jahrzehntelang etablierten Standards. Einen wichtigen Schritt weiter geht der Alliance Trial A011202, der Patientinnen mit residuellem Tumor in den Sentinel-Lymphknoten nach der neoadjuvanten Chemotherapie einschliesst. Die Patientinnen werden in eine Kontrollgruppe randomisiert mit Axilladissektion und in eine experimentelle Gruppe mit axillärer Radiotherapie. Alle Patientinnen erhalten eine ausgedehnte regionäre Radiotherapie supraklavikulär und parasternal. Somit klärt diese Studie die wichtige Frage, ob auch nach systemischer Vorbehandlung residueller Tumor in der Axilla zurückgelassen werden darf, wenn eine regionäre Radiotherapie folgt.

SAKK 23/16 - TAXIS

Die SAKK Studie TAXIS nimmt diese Frage aus dem Alliance Trial mit auf und geht einen Schritt weiter: Darf selbst bei Patientinnen mit hoher Tumorlast in der Axilla – mit oder ohne neoadjuvante Chemotherapie – auf die Axilladissektion verzichtet werden, wenn eine ausgedehnte regionäre Radiotherapie durchgeführt wird? Dabei schliessen wir als erste Studie überhaupt auch Patientinnen mit palpablen Lymphknotenmetastasen ein. Sie werden randomisiert in eine Gruppe mit fokussierter Axillachirurgie und eine Gruppe mit radikaler Axilladissektion. Bei der fokussierten Axillachirurgie werden alle palpatorisch auffälligen Befunde zusammen mit den Sentinel-Lymphknoten entfernt. Dabei wird ein Präparateradiogramm durchgeführt mit der Frage, ob der Markierungsclip entfernt wurde, der während der bioptischen Sicherung der Lymphknotenmetastase eingelegt wurde. Ist der Clip im Präparateradiogramm, darf eine in die experimentelle Gruppe ohne Axilladissektion randomisierte Patientin weiter in der Studie behandelt werden. Wenn der Clip nicht entfernt wurde, muss die Patientin ausgeschlossen und die Axilla radikal disseziert werden – dies dient der chirurgischen Qualitätssicherung innerhalb dieser Phase III Studie. Präoperative Lokalisationstechniken, z.B. mit Draht oder radioaktivem Clip sind erlaubt, um die Rate der erfolgreichen Entfernungen der clipmarkierten Lymphknoten zu erhöhen, was der zielgerichteten Axilladissektion entspricht.

Abb.1 Ablauf der Studie SAKK 23/16

Diese grosse Phase III Studie wird interdisziplinär im Netzwerk der SAKK und mit internationalen Partnern durchgeführt werden. Die Hauptrolle teilen sich die Brustchirurgie und Radioonkologie, mit Unterstützung durch die anderen beteiligten klinischen Disziplinen und die Abteilungen für Statistik und Lebensqualität. Die Fallzahl beträgt 1500 Patientinnen, die während einer Zeitdauer von 5 Jahren rekrutiert werden. Die maximale Studiendauer beträgt etwa 10 Jahre Jahre. Geplant ist die Teilnahme von 34 Zentren aus vier Ländern.
Primärer Endpunkt ist das krankheitsfreie Überleben. Wir testen in einem non-inferiority Design die Hypothese, dass die fokussierte Axillachirurgie im Vergleich zur Axilladissektion nicht zu mehr Rezidiven oder einem schlechteren Überleben führt. Wichtigster sekundärer Endpunkt ist die Lebensqualität. Sie wird mit validierten Fragebögen gemessen, um zu zeigen, dass die fokussierte Axillachirurgie im Vergleich zur Axilladissektion weniger Morbidität verursacht. Fällt die Studie positiv aus, könnte der Rückzug der Axilladissektion aus der klinischen Praxis vollendet werden.

Studiendesign: A multicenter randomized open labeled phase III trial

Studienname: SAKK 23/16: Tailored AXIllary Surgery with or without axillary lymph node dissection followed by radiotherapy in patients with clinically node-positive breast cancer (TAXIS).

Teilnehmende Zentren: Kantonsspital Aarau, Kantonsspital Baden, Bethesda Spital Basel, Claraspital Basel, Universitätsspital Basel, Lindenhofgruppe – Engeriedspital Bern, Kantonsspital Graubünden, Clinique des Grangettes Chêne-Bougeries, Centre du sein Fribourg/Brustzentrum Freiburg, Hôpitaux Universitaires de Genève, Clinique de Genolier, Hôpital neuchâtelois – La Chaux-de-Fonds, CHUV – Centre hospitalier universitaire vaudois Lausanne, Hirslandenklinik St. Anna Luzern, Luzerner Kantonsspital, Hôpital du Valais, Hôpital de Sion, Kantonsspital St. Gallen, Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St. Gallen, Spital Thurgau, Kantonsspital Winterthur, Brustzentrum – Seefeld Zürich, Spital Limmattal Zürich, Spital Zollikerberg Zürich, Stadtspital Triemli Zürich, UniversitätsSpital Zürich, Landeskrankenhaus Feldkirch, LKH-Univ. Klinikum Graz, Linz/Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern, Klinikum Wels-Grieskirchen, Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien, National Institute of Oncology Budapest, Ospedale MultiMedica Castellanza (VA, Italien)

Coordinating Investigator: Prof. Dr. Walter Paul Weber, Chefarzt Brustchirurgie, Universitätsspital Basel, walter.weber@usb.ch

Supporting Coordinating Investigator: PD Dr. med. Michael Knauer, Leitender Arzt Brustchirurgie, Kantonsspital St. Gallen, michael.knauer@kssg.ch

Clinical Project Manager: Dr. Marie-Aline Gerard, marie-aline.gerard@sakk.ch, SAKK Bern

Prof. Dr. med. Roger von Moos

Direktor Tumor- und Forschungszentrum
Kantonsspital Graubünden
7000 Chur

tumorzentrum@ksgr.ch

Krebsregistrierung in der Schweiz

Die landesweite Erfassung aller Krebserkrankungen ist eine unentbehrliche Grundlage für eine wirkungsvolle Public-Health-Politik und eine zukunftsweisende Patientenversorgung.

Aufgrund der demographischen Entwicklung und dem ansteigenden Krebsrisiko im Alter ist mit einer weiteren Zunahme an Krebserkrankungen zu rechnen. Gleichzeitig leben immer mehr Menschen dank verbesserter Früherkennung sowie erfolgreichen Innovationen in Diagnostik und Behandlung deutlich länger mit ihrer Erkrankung. Bis ins Jahr 2030 wird es in der Schweiz laut Hochrechnungen etwa eine halbe Million sogenannte «Cancer Survivors» geben. Damit steht unser Gesundheitssystem vor grossen Herausforderungen. Die rechtliche Verankerung der Krebsregistrierung ist deshalb von grosser gesundheitspolitischer Bedeutung. Mit dem Bundesgesetz (Krebsregistrierungsgesetz, KRG) und der Verordnung (Krebsregistrierungsverordnung, KRV) ist eine solide rechtliche Grundlage für eine flächendeckende und vollständige Registrierung von Krebserkrankungen in der Schweiz geschaffen. KRG und KRV treten am 1. Januar 2020 in Kraft.

Föderalistische Strukturen

Gemäss KRG und KRV baut die Registrierung der Krebserkrankungen auf dem bestehenden föderalistischen System auf. Die kantonalen und regionalen Krebsregister – finanziert durch die Kantone – erfassen Daten zu allen Krebserkrankungen. Anschliessend führt die nationale Krebsregistrierungsstelle (NKRS) die Daten auf nationaler Ebene zusammen und bereitet sie auf.
Im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens hat das EDI erfreulicherweise das Nationale Institut für Krebsepidemiologie und -registrierung (NICER) mit den Aufgaben der NKRS beauftragt. Die NKRS sorgt für die nötige Harmonisierung und Standardisierung, analysiert die Daten und erstellt zusammen mit den zuständigen Fachstellen die für die Krebspolitik wesentlichen Gesundheitsberichterstattungen und Krebsstatistiken.
Krebserkrankungen bei Kindern werden weiterhin zentral in einem Kinderkrebsregister erfasst. Mit dieser Aufgabe wurde das Schweizer Kinderkrebsregister (SKKR) betraut.

Kompromisse beim Datensatz

In den Ausführungsbestimmungen und der Umsetzung des nationalen Krebsregisters mussten Kompromisse eingegangen werden. Der 2017 in die Vernehmlassung geschickte Entwurf der KRV sah einen umfassenden Satz an zu registrierenden Daten vor, beispielsweise die Erfassung von Zusatzdaten zu Lungenkrebs bei Erwachsenen sowie Daten zum Krankheitsverlauf, zu Metastasen und zu Rezidiven. Aufgrund von Interventionen der Kantone in der Vernehmlassung hat sich der Bundesrat für eine Verkleinerung des Datensatzes sowie die Verschiebung der Inkraftsetzung um ein Jahr entschieden. Damit soll der Registrierungsaufwand und damit die Kosten für die Kantone eingedämmt werden. Den Kantonen steht dank der verschobenen Inkraftsetzung mehr Zeit für den Vollzug zur Verfügung.
Dass die vollständige Registrierung erst ein Jahr später umgesetzt wird, ist zwar schade, aber nicht entscheidend, wenn im Übergangsjahr 2019 keine Datenlücke entsteht und die Finanzierung der bestehenden Register sichergestellt ist. Die Kantone sollten die Vollzugsarbeiten nicht unterbrechen, es gilt, die gewonnene Zeit sinnvoll zu nutzen. So kann die zeitliche Verschiebung eine Chance sein, die Umsetzung der Krebsregistrierung in den Kantonen sowie die Datenlieferung der Meldestellen vollständig und in guter Qualität umzusetzen. Hier gilt es insbesondere, die Zentren und meldepflichtigen Fachpersonen frühzeitig in die Umsetzungsarbeiten einzubeziehen.
Die von den Krebsregistern gesammelten epidemiologischen Daten sollen die Voraussetzung liefern für die wirkungsvolle Prävention von Krebserkrankungen, für die Verbesserung der Diagnose- und Behandlungsqualität sowie zur Unterstützung der Versorgungsplanung. Gerade im Zusammenhang mit der Versorgungsforschung ermöglichen Krebsregisterdaten beispielsweise Auswertungen zur Versorgungsqualität, zur Prozess- und Ergebnisqualität von Diagnosen und Behandlungen, Leistungsvergleiche (Benchmarking) und Auswertungen zu interdisziplinärer Zusammenarbeit und zur Qualitätssicherung. Ob dies mit dem nun in der KRV definierten Datensatz möglich ist, ist allerdings fraglich. Beispielsweise wird die Interpretation von Überlebensstatistiken durch das Fehlen von Informationen zu Vorerkrankungen erschwert. Und das Weglassen der ursprünglich angedachten Zusatzdaten zur Behandlung der Metastasen und Rezidive verunmöglicht eine Abbildung der heutzutage immer bedeutsamer werdenden Second-Line-Therapien. Die Erfassung von Prädispositionen wäre insbesondere für gewisse seltene, genetisch stark beeinflusste Krebserkrankungen wichtig gewesen, um den Bedarf an genetischer Beratung adäquat zu erfassen.

Austausch Meldestellen mit Krebsregistern

Da die notwendige Infrastruktur (z.B. Austauschformate) und die dazugehörige Qualitätssicherung erst noch aufgebaut werden müssen, muss es den einzelnen Krebsregistern erlaubt sein, unter Einhaltung der Datenschutzbestimmungen und in Absprache mit den Meldestellen die für die korrekte medizinische Kodierung nötigen Informationen aus den Institutionen zu holen. Nur so kann nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Lücke in der Datenqualität vermieden werden. Bei den meldepflichtigen Personen und Institutionen fällt ein Mehraufwand an, der nicht vergütet wird. Deshalb ist der gegenseitige Datenaustausch zwischen Krebsregistern und klinischen Meldestellen sowie zwischen Krebsregistern und Früherkennungsprogrammen zentral.
Zudem sollen die Datenlieferanten im Sinne eines Benchmarkings Zugang zu den strukturierten, anonymisierten ausgewerteten Daten der Krebsregister erhalten. Dies bedeutet Anreiz und Motivation für die Institutionen, welche die Daten liefern. Sie erhalten durch die Vergleichswerte eine Orientierung für die Verbesserung ihrer Versorgungs- und Behandlungsqualität. Ebenso muss der beidseitige Austausch von Daten zwischen den kantonalen Krebsregistern und dem jeweiligen Einzugsgebiet eines Screening-Programms zur Zweckbestimmung des Gesetzes gewährleistet sein, damit aussagekräftige Qualitätskontrollen sichergestellt und die Wirksamkeit von Früherkennungsprogrammen überprüft werden können.
Unklar gemäss dem Entwurf der KRV ist, was auf nationaler und kantonaler Ebene als Gesundheitsberichterstattung und statistische Bearbeitung der gesammelten Daten gilt – und wo die Forschung beginnt, welche die Einhaltung der Regeln des Humanforschungsgesetzes (HFG) verlangt. Basierend auf den Krebsregisterdaten müssen zwingend Qualitätsevaluationen und deren Publikationen möglich sein.