Während der 77. World Health Assembly der WHO veranstaltete die World Heart Federation (WHF) das Expertentreffen «Adherence to Treatment: An Essential Contribution to Cardiometabolic Disease Management» in Genf. Führende Kardiologen, Nephrologen, Patientenvertreter sowie Entscheidungsträger aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft diskutierten die zentrale Bedeutung der Therapieadhärenz bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und teilten internationale Strategien.
Jean-Luc Eiselé, CEO der WHF, betonte in seiner Eröffnungsrede, dass Therapieadhärenz insbesondere bei kardiovaskulären Erkrankungen eine der grössten Herausforderungen für Gesundheitssysteme darstelle. Die Auswirkungen der Nicht-Einhaltung verordneter Therapien seien gravierend, da diese eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes sowie erhöhte Gesundheitskosten zur Folge haben. Bereits 2003 habe die WHO auf die Relevanz von Adhärenz-Massnahmen hingewiesen und auch 21 Jahre später bestehe diese Herausforderung fort. Bedauerlich sei der verpasste Nutzen, der ohne zusätzliche Kosten hätte realisiert werden können.
In Paneldiskussionen wurden länderspezifische Strategien vorgestellt. Portugal, ein Land mit hoher Schlaganfallrate, hat den Salzgehalt in Lebensmitteln gesetzlich limitiert und Strategien zur Förderung der Gesundheitskompetenz implementiert. Indien unterstützt den unterfinanzierten ambulanten Bereich mit IT-gestützten Tools zur Verbesserung der Therapietreue.
Übereinstimmend sahen die Experten einen der bedeutendsten Hebel zur Verbesserung der Adhärenz im Einsatz von antihypertensiven medikamentösen Kombinationspräparaten. Hierdurch würden die Komplexität des Therapieplans sowie die Tablettenlast für den Patienten reduziert. Prof. Dr. med. Belén Ponte, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Hypertonie, erläuterte spezifische Strategien aus der Region Genf. Dabei würden Patienten in Laiensprache auch durch das Pflegepersonal über Hypertonie und die Risiken der Nicht-Adhärenz aufgeklärt. Die bildliche Darstellung potenzieller Folgeerkrankungen aufgrund fehlender Therapietreue hätten sich im Rahmen von edukativen Workshops als besonders effektiv erwiesen. Darüber hinaus wurde durch die Apotheke des Universitätsspitals Genf ein Programm zur Besprechung und Überwachung der Therapietreue implementiert.
Pressemitteilung anlässlich der Veranstaltung «Adherence to Treatment: An Essential Contribution to Cardiometabolic Disease Management» der World Heart Federation, 28. Mai 2024, Genf.
Herpes Zoster oder Gürtelrose resultiert aus der Reaktivierung des latenten Varizella-Zoster-Virus (VZV) und manifestiert sich typischerweise als vesikulärer, schmerzhafter dermatomaler Hautausschlag (1, 2). Die häufigste Komplikation von Herpes Zoster, die postherpetische Neuralgie, manifestiert sich als chronische neuropathische Schmerzen, die die täglichen Aktivitäten stark einschränken können (1, 3–6).
Die Gesamtinzidenz von Herpes Zoster liegt bei 2 bis 4.6 Fällen pro 1000 Personenjahre, steigt aber mit zunehmendem Alter auf 10 bis 12.8 pro 1000 Personenjahre bei Personen ab 80 Jahren. In ähnlicher Weise nimmt auch die Inzidenz von postherpetischer Neuralgie mit zunehmendem Alter zu (7–10). Die postherpetische Neuralgie und der Herpes ophthalmicus sind die gefürchtetsten Komplikationen bei Herpes Zoster.
Eine antivirale Therapie kann die Dauer des Herpes-Zoster-Ausschlags verkürzen, es wurde jedoch nicht gezeigt, dass sie die Inzidenz von postherpetischer Neuralgie verringert (11–14). Die Impfung ist daher eine attraktive Option, um die Krankheitslast durch Herpes Zoster und seine Komplikationen bei älteren Erwachsenen zu reduzieren.
Die Impfung mit Zostavax® oder Zoster Vaccine Live (ZVL) wurde 2006 zugelassen (15). Die Wirksamkeit von ZVL bei der Vorbeugung von Herpes Zoster erwies sich jedoch als variabel: Sie lag bei Patienten im Alter von 50 bis 59 Jahren bei etwa 70 % und bei Patienten über 70 Jahren bei nur 38 % (16). Ein neuer Herpes-Zoster-Impfstoff (HZ/su; GSK-Impfstoff, Shingrix), der das VZV-Glykoprotein E und das adjuvante System AS01B enthält, wird heute zur Prävention von Herpes Zoster und postherpetischer Neuralgie bei Erwachsenen ab 50 Jahren eingesetzt.
Eine frühere Studie (Zoster Efficacy Study in Adults 50 Years of Age or Older [ZOE-50]) zeigte, dass Shingrix eine Impfstoffwirksamkeit von 97.2 % gegen Herpes Zoster aufwies, was in allen Altersgruppen konsistent war (17).
In einer neuen Studie wurde nun die Wirksamkeit des Impfstoffs Shingrix gegen Herpes Zoster in der Praxis bewertet (18).
Es handelte sich um eine prospektive Kohortenstudie an vier Gesundheitssystemen im Vaccine Safety Datalink. Die Teilnehmer waren 50 Jahre alt oder älter.
Das Studienendpunktergebnis war ein neu aufgetretener Herpes Zoster, der durch eine Diagnose mit einer antiviralen Verschreibung definiert wurde. Die Cox-Regression wurde verwendet, um die Gefahr von Herpes Zoster bei geimpften Personen im Vergleich zu ungeimpften Personen abzuschätzen, wobei die Kovariaten angepasst wurden. Die Wirksamkeit des Impfstoffs (VE) wurde als 1 minus der angepassten Hazard Ratio berechnet und anhand der Zeit seit der letzten Shingrix-Dosis und der Verwendung von Kortikosteroiden geschätzt.
Ergebnisse
Die Studie umfasste fast 2 Millionen Personen, die 7.6 Millionen Personenjahre zur Nachbeobachtung beitrugen. Nach der Anpassung betrug die VE von 1 Dosis 64 % und die VE von 2 Dosen 76 %. Nach nur 1 Dosis betrug die VE im ersten Jahr 70 %, im zweiten Jahr 45 %, im dritten Jahr 48 % und nach dem dritten Jahr 52 %. Nach zwei Dosen betrug die VE im ersten Jahr 79 %, im zweiten Jahr 75 % und im dritten und vierten Jahr 73 %. Die Wirksamkeit des Impfstoffs betrug 65 % bei Personen, die vor der Impfung Kortikosteroide erhielten, und 77 % bei Personen, die dies nicht taten.
Schlussfolgerung
Zwei Dosen Shingrix waren hochwirksam, wenn auch weniger wirksam als in den vorangegangenen klinischen Studien. Die Wirksamkeit von zwei Dosen liess während der 4-jährigen Nachbeobachtung nur sehr wenig nach. Die Wirksamkeit der ersten Dosis nahm jedoch nach 1 Jahr erheblich ab, was die Bedeutung der zweiten Dosis unterstreicht.
Eine Limitation der Studie ist, dass Herpes Zoster in diesen Beobachtungsdaten nicht so genau identifiziert werden konnte wie in den vorangegangenen klinischen Studien.
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen
riesen@medinfo-verlag.ch
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Protonen-pumpen-Inhibitoren (PPI) gehören zu den am meisten verschriebenen Medikamenten in der Schweiz und weltweit. Gleichzeitig werden sie aber auch zu oft ohne korrekte Indikation gegeben. Zudem sind sie in den letzten Jahren aufgrund postulierter Nebenwirkungen in Verruf geraten. Der folgende Artikel soll für die häufigsten und umstrittensten Fragen eine Evidenz- und Guideline-basierte Antwort geben, inklusive Indikationen, Interaktionen, Stolpersteinen bei der Verschreibung und Datenlage bzgl. Langzeit-Sicherheit.
Proton Pump Inhibitors (PPIs) are among the most commonly prescribed medications in Switzerland and worldwide. At the same time however, they are often given without a proper indication. Furthermore, they have fallen into disrepute due to alleged side effects. This article aims to provide evidence- and guideline-based answers to the most frequent and controversial questions, including indications, interactions, pitfalls in prescribing, and data regarding long-term safety. Key words: Proton Pump Inhibitors, PPI, reflux disease, peptic ulcer disease, osteoporosis
Einleitung
Die Zulassung der Protonen-pumpen-inhibitoren vor ca. 30 Jahren hat die Therapie der gastroösohagealen Refluxerkrankung (GERD) und der gastroduodenalen Ulcuskrankheit revolutioniert. Sie sind in der Therapie dieser Erkrankungen nicht mehr wegzudenken. Seit ca. 2010 sind sie in tieferer Dosierung auch als «over-the-counter»-Medikation zugelassen. 2022 wurden PPI in der Schweiz im Wert von ca. CHF 156 Mio. abgerechnet, mit einer DDD (Defined daily dose) von 70 Tabletten pro 1000 Einwohner, d. h. im Schnitt 70 pro 1000 Einwohner haben 1 Dosis PPI pro Tag eingenommen (1). In den letzten 5–8 Jahren scheint diese Zahl etwa konstant zu sein.
Wie häufig werden PPI’s falsch verschrieben?
Studien zeigen, dass bis 20-60 % der Patienten, die PPI verschrieben bekommen, keine Guideline-basierte Indikation für eine solche Therapie haben (2). Gleichzeitig werden aber auch bei einer klaren Indikation für einen PPI (z. B. bei einer gleichzeitigen Therapie mit NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika) und systemischem Glucocorticoid) diese häufig fälschlicherweise nicht rezeptiert (3). Diese Zahlen sind natürlich davon abhängig, wie stringent man die Indikation stellt. Einer der häufigsten Fehler ist, dass trotz nur «temporärer Indikation» der PPI dann nicht korrekt gestoppt wird, wenn die Indikation nicht mehr besteht.
Worauf ist bei der Verschreibung von PPI zu achten (Stichwort Interaktionen)? Müssen PPI wirklich frühmorgens eingenommen werden?
Es existieren aktuell 6 verschiedene PPI: Pantoprazol, Esomeprazol, Omeprazol, Rabeprazol, Lansoprazol und Dexlansoprazol. Die «Standard-Dosierungen» gemäss Studien und Compendium sind in Tabelle 1 aufgeführt, wobei die Standard-Dosierungen nicht äquivalent sind. PPI bewirken eine irreversible Bindung (und damit Inaktivierung) der Na+–K+–ATPase der Belegzelle des Magens. Diese zeigt einen zirkadianen Rhythmus mit maximaler Aktivität in den frühen Morgenstunden. Damit ist die auch PPI-Wirkung am frühen Morgen am grössten, so dass die Tablette am besten nüchtern 30–45 min vor dem Frühstück einzunehmen ist. Eine Ausnahme bildet Dexlansoprazol, welches (gemäss Studien bei gesunden Probanden) unabhängig von der Nahrungseinnahme eingenommen werden kann.
PPI werden durch hepatische P450-Enzyme abgebaut; welches Isoenzym ist je nach Präparat unterschiedlich, meist jedoch das Cytochrom 2C19 und weniger auch 3A4 (4). Teile der Bevölkerung metabolisieren genetisch bedingt schneller oder langsamer (5, 6). Ein Teil der Menschen asiatischen Ursprungs haben hierdurch eine höhere Bioverfügbarkeit und könnten die Dosierung reduzieren. Möglicherweise ist die Rate an Nebenwirkungen bei diesen Menschen auch höher. Umgekehrt gibt es Rapid-Metabolizer, welche das Medikament schneller verstoffwechseln. Die Wirkung von Rabeprazol ist weniger vom CYP2C19-Metabolismus beeinflusst, so dass die genetische Variabilität bei diesem Präparat möglicherweise eine geringere Rolle spielt. Die genetische Analyse wäre eigentlich sinnvoll, wird im klinischen Alltag aber selten durchgeführt (vielleicht zu selten). Bei klarer PPI-Indikation und fehlendem Ansprechen auf die Therapie kann pragmatisch auch das PPI-Präparat gewechselt werden.
Aufgrund einer möglichen Interaktion wird die gleichzeitige Einnahme von Clopidogrel und Esomeprazol / Omeprazol von manchen Guidelines nicht empfohlen (Alternative z. B. Pantoprazol und zeitlicher Abstand der Einnahme von 4h), wobei die klinische Relevanz dieser Interaktion weiterhin umstritten ist. Des Weiteren scheint die Erhöhung des Magen-pH durch PPI die Absorption von Schilddrüsenhormonen zu reduzieren. Bei Beginn eines PPI sollte die Einnahme zeitlich getrennt werden oder – wenn dies nicht möglich ist – die Schilddrüsenfunktion enger monitorisiert werden. Methotrexat wird bei gleichzeitiger PPI-Gabe verzögert renal eliminiert, so dass möglicherweise erhöhte Spiegel vorhanden sind. Inwiefern dies klinisch relevant ist, ist umstritten.
Welche Laborwerte werden durch PPI beeinflusst?
Sowohl Gastrin (s.u.) als auch Chromogranin A steigen bei einer PPI-Therapie an, was bei der entsprechenden Diagnostik (z. B. Tumorsuche) berücksichtigt werden muss (Gastrin beim Gastrinom, Chromogranin A z. B. bei neuroendokrinen Tumoren / Phäochromozytom).
Was sind die Guideline-basierten Indikationen Kurzzeit / Langzeit?
Gemäss Guidelines sind die folgenden Indikationen für eine PPI-Therapie akzeptiert (7–9):
1) Peptisches Ulcus Magen oder Duodenum
• Dauer: Je nach Aetiologie (z. B. NSAR-induziertes Ulcus je nach Grösse 4–8 Wochen)
• Ulcus-Prophylaxe siehe unten
2) Erosive Refluxösophagitis
• Leichte Erosionen (LA Klassifikation A und B): Therapie mit Antazida oder PPI für 4 Wochen, keine Erhaltungstherapie, sondern bedarfsadaptiert, Versuch Wechsel auf Antazida
• Ausgeprägte Erosionen (LA Klassifikation C und D, peptische Stenose): formale Indikation für Erhaltungstherapie in Standarddosis aufgrund hohen Rezidivrisikos
3) Nicht-erosive Refluxerkrankung
• 4–8 Wochen, danach Auslassversuch, Fortsetzung nur bedarfsadaptiert, Versuch Wechsel auf Antazida
4) Eradikation eines Helicobacter pylori:
• Je nach Schema 10–14 Tage
5) Zollinger-Ellison-Syndrom (Gastrin-produzierender Tumor)
• Erhaltungstherapie
6) Funktionelle Dyspepsie
• Therapieversuch für 4–8 Wochen, falls Ansprechen Fortsetzung nur bedarfsadaptiert
7) Sekundärprophylaxe einer idiopathischen Ulcuskrankheit (d. h. ohne H. pylori und ohne NSAR-Anamnese)
8) «Stressulcus»-Prophylaxe bei Patienten auf Intensivstation
9) Primärprophylaxe bei Medikamenten: Kombination von
• Mehreren gerinnungsaktiven / thrombozytenaggregationshemmenden (TAH) Medikamenten (z. B. ASS und OAK)
• NSAR plus OAK
• NSAR plus systemisches Glucocorticoid
• TAH plus Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
Wie gut wirken PPI überhaupt?
PPI sind hoch-effizient in der Suppression der Säure. Demgegenüber ist der Effekt auf die Beschwerden sehr unterschiedlich und hängt schlussendlich auch von der Pathophysiologie der jeweiligen Erkrankung ab. Allgemein kann gesagt werden, dass der Effekt höher ist bei sichtbarer Entzündung (Refluxerosionen / Ulcus). Weniger gut wirksam sind PPI, wenn viszerale Hypersensitivität (sog. ösophageale Hypersensitivität) oder anatomische Pathologien im Vordergrund sind (z. B. Regurgitation von Mageninhalt bei grosser Hiatushernie). Eine Übersicht gibt Abbildung 1 (adaptiert aus Kharilas (10)).
Warum soll bei einer längeren PPI-Therapie ein H. pylori gesucht werden?
Die Langzeit-PPI-Therapie führt bei gleichzeitiger H.pylori-Infektion zu einer Corpus-dominanten HP-Gastritis, welche ein Risikofaktor für ein Magenkarzinom darstellt (7). Deshalb soll er in diesem Fall gesucht und eliminiert werden. Jedoch ist die Sensitivität der HP-Diagnostik unter laufender PPI-Therapie sowohl beim 13C-Atemtest als auch beim Stuhlantigen und bei der Magen-Biopsie reduziert. Um dies zu umgehen muss die PPI-Therapie in den zwei Wochen vor dem Test pausiert werden.
Wie sollen PPI abgesetzt werden (Stichwort acid Rebound)
Es ist nicht verboten, PPI’s bei auslaufender Indikation direkt zu stoppen ohne sog. «Tapering». Allerdings wurden bei gesunden beschwerdefreien Probanden nach plötzlichem (und verblindetem) PPI-Stopp Refluxbeschwerden und Dyspepsie beobachtet (11). Dies kann auch z. B. bei Refluxpatienten nach PPI-Stopp auftreten (12). Der Effekt scheint mit Höhe der Dosis und Dauer der Therapie assoziiert zu sein. Der Grund für dieses Phänomen liegt in einem Anstieg des Gastrins durch den PPI (Reaktive Hypergastrinämie). Nach Absetzen desselben bleibt das Gastrin für eine gewisse Zeit hoch, was zu mehr Säuresekretion und hierdurch zu (mehr) Beschwerden führen kann (Rebound Acid Hypersecretion; RAHS).
Die Datenlage, in diesem Falle ein Tapering durchzuführen oder beim PPI-Stopp ein Antazidum oder ein Alginat einzusetzen ist dürftig, aber es gibt Hinweise dass dies helfen könnte (13):
• Ausschleichen über 2–4 Wochen (je höher dosiert und länger die Therapie war, desto länger das Ausschleichen
• Einsatz eines Alginates (Gaviscon) bis 4 x / Tag in Reserve bei PPI Stopp.
Welche akuten Nebenwirkungen können unter PPI auftreten?
Zu den akuten Nebenwirkungen gehören neben seltenen allergischen Reaktionen auch Übelkeit / Erbrechen, Diarrhoe und Obstipation sowie Kopfschmerzen. In diesem Fall kann gut auf einen anderen Wirkstoff gewechselt
werden.
Wie ist die Datenlage bezüglich Langzeitsicherheit?
PPI wurden in den letzten Jahren in Studien immer wieder in Zusammenhang gebracht mit den verschiedensten Nebenwirkungen, inklusive potentiell schwerwiegende Erkrankungen wie Demenz, Osteoporose, Infektionen und weiteres.
Hierbei ist folgendes zu beachten (7)
• Die allermeisten dieser Studien sind Assoziations-Studien, deren Wertigkeit bzgl. Kausalität sehr umstritten ist, weshalb sie mit grosser Vorsicht interpretiert werden müssen.
• Selbst wenn man diese Risiken als gegeben annehmen würde, so dürfte das absolute Risiko nahezu ausnahmslos sehr gering sein, so dass der Nutzen der Substanzen bei klarer Indikation das Risiko deutlich überwiegt.
• Des Weiteren existieren nun auch grosse randomisierte prospektive Studien (Vergleiche von Fundoplicatio vs. PPI bei Refluxpatienten, 700 Patienten (14) PPI als Primärprophylaxe bei gerinnungsaktiven Medikamenten, 18 000 Patienten (15)) mit Beobachtungszeiten von bis über 10 Jahren (und insg. 1300-1500 Personenjahren), welche bis auf ein gering erhöhtes Risiko für gastrointestinale Infektionen (s. u.) keine relevanten negativen Folgen zeigte.
Risiken
Auf eine Auswahl postulierter Risiken wird nun im Folgenden eingegangen, mit jeweils persönlichem Fazit des Autors:
Demenz
In gewissen (meist retrospektiv ausgewerteten) Kohortenstudien schien das Risiko für eine Demenz bei PPI-Einnahme erhöht (16). Demgegenüber stehen die Nurses’ Health Study II mit 13 864 Teilnehmer/-innen sowie zwei grosse, prospektive, populationsbasierte Zwillingsstudien aus Dänemark, die keinen solchen Zusammenhang fanden (17, 18). Zudem kam ein systematisches Review mit Metaanalyse, die eine randomisierte und fünf prospektive Kohortenstudien mit mindestens 5-jährigem Verlauf zusammenfasst, zum Resultat: keine Kausalität nachweisbar (19). Dies ist auch das Fazit des Autors.
Osteoporose
Es existieren mehrere (meist retrospektive) Analysen mit Assoziation von PPI und Knochenbrüchen. Die Resultate sind aber nicht konsistent. Zudem existieren mehrere prospektive, randomisierte Studien, die keinen Effekt zeigen (20–22). Fazit des Autors: Kausalität äusserst unwahrscheinlich.
Magenkarzinom
Verschiedene retrospektive Studien zeigen z.T. eine Assoziation zwischen PPI-Therapie und Magenkarzinom. Einige Studien zeigen vor allem ein erhöhtes Risiko zu Beginn der Therapie (wahrscheinlich eine sog. inverse causality, d. h. es wurden beispielsweise PPI eingenommen wegen Symptomen des noch nicht diagnostizierten Magenkarzinoms). Metanalysen zeigen keinen kausalen Zusammenhang (23). Fazit des Autors: Aktuell keine Hinweise für Kausalität.
Gastrointestinale Infektionen
Die oben erwähnte Studie mit 17 500 Patienten, die ASS +/– Rivaroxaban sowie entweder PPI oder Placebo über einen Zeitraum von 3 Jahren erhielten, ergab ein leicht erhöhtes Risiko für gastrointestinale Infektionen (1.4 vs. 1 %, OR 1.33, 95 % CI 1.01–1.75) (15). Das Risiko für eine C. difficile Infektion war doppelt so hoch, bei allerdings insg. nur 13 Ereignissen, so dass die Studie hierfür «underpowered» war. Fazit des Autors: Leicht erhöhtes Risiko für gastrointestinale Infektionen inkl. C. difficile möglich.
Ebenso ist ein gering erhöhtes Risiko für eine Mikroskopische Kolitis möglich, was während der Abklärung dieser Erkrankung berücksichtigt werden muss.
Zusammenfassend kann den PPI in den Augen des Autors ein sehr gutes Sicherheitsprofil in der Langzeiteinnahme attestiert werden. Jedoch muss festgehalten werden, dass sehr seltene Nebenwirkungen sowie solche, die erst nach langer (Jahrzehnte) Einnahme von PPI auftreten, sich auch durch die Daten der vorliegenden prospektiven kontrollierten Studien nicht mit letzter Sicherheit ausschliessen lassen (7).
Die gute Sicherheit der PPI stellt keinen Grund dar, die Indikation insb. für eine Langzeiteinnahme nicht äusserst streng zu prüfen. Zudem sollen wo möglich Alternativen eingesetzt werden (z. B. Antazida / Alginate bei GERD) und bei bedarfsadaptierter Therapie sollen die Patienten zu Auslassversuchen ermuntert werden. Dem für Langzeitsicherheit interessierten Leser sind die Artikel von Vaezi et al (24) und Ahmed (4) zu empfehlen.
Copyright Aerzteverlag medinfo AG
PD Dr. med. Matthias Sauter
Leitender Arzt, Leiter Gastroenterologie
Klinik für Innere Medizin
Spital Zollikerberg
Trichtenhauser Str. 20
8125 Zollikerberg
Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
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Das EPD 1.0, einst als die Lösung für eine verbesserte Gesundheitsversorgung gepriesen, hat seine Versprechen nicht erfüllt.
Statt eines durchdachten, strukturierten Systems erhielten wir eine unstrukturierte Sammlung von PDFs. Diese Ansammlung von Dokumenten war schwer zu durchsuchen, unübersichtlich und bot keinen echten Mehrwert für die medizinische Versorgung. Es macht keinen Sinn, mit teurer Werbung ein untaugliches Instrument doch noch im Markt durchzusetzen.
Von technischen Herausforderungen über Datenschutzbedenken bis hin zu einer unzureichenden Akzeptanz durch medizinisches Fachpersonal und Patienten – die Liste der Hindernisse war lang. Die erhoffte Vereinfachung und Effizienzsteigerung blieben aus.
Doch nun beginnt eine neue Ära. Es gilt, die Lektionen aus dem bisherigen Projekt zu ziehen und die Chancen der neuen Technologie zu nutzen. Künstliche Intelligenz (KI) kann helfen, auch unstrukturierte Daten zu organisieren und zugänglich zu machen. Ein neues Patientendossier, das auf KI basiert, könnte benutzerfreundlicher, sicherer und umfassender sein.
Datenschutz und Datensicherheit müssen dabei oberste Priorität haben. Vertrauen ist der Schlüssel, und die Patienten müssen die Gewissheit haben, dass ihre sensiblen Gesundheitsdaten in sicheren Händen sind. Zudem muss der Zugang zu diesen Daten einfach und intuitiv gestaltet sein, um die Akzeptanz zu erhöhen und die Nutzung zu erleichtern.
Die technologische Infrastruktur muss robust und flexibel genug sein, um den Anforderungen eines modernen Gesundheitssystems gerecht zu werden. Wichtig ist auch, dass alle Beteiligten – von Ärzten über Pflegepersonal bis hin zu den Patienten selbst – aktiv in die Entwicklung und Implementierung des neuen Systems eingebunden werden.
Wir stehen vor einer grossen Herausforderung, aber auch vor einer grossen Chance. Das gescheiterte EPD sollte uns nicht entmutigen, sondern als wertvolle Lernquelle dienen. Mit einem klaren Blick auf die Fehler der Vergangenheit und einem festen Willen zur Verbesserung können wir ein neues Patientendossier schaffen, das den Bedürfnissen aller Beteiligten gerecht wird. Das EPD 1.0 ist tot. Es lebe das neue Patientendossier. Lassen Sie uns diese Chance nutzen und gemeinsam ein System schaffen, das den Ansprüchen der modernen Medizin und den Erwartungen der Patienten gerecht wird.
Dieser Text wurde mit Hilfe von KI generiert.
Prof. Dr. med. Roger von Moos
Prof. Dr. med. Roger von Moos
Direktor Tumor- und Forschungszentrum
Kantonsspital Graubünden
7000 Chur
Tumor profiling ist mittlerweile ein fester Bestandteil der Tumordiagnostik und das molekulare Tumorboard fungiert als essenzieller Knotenpunkt der Präzisionsonkologie zwischen der klinischen Betreuung und den molekularpathologischen Technologien. Im Folgenden gehen wir auf den Ablauf, Chancen und Herausforderungen sowie zukünftige Perspektiven des molekularen Tumorboards ein.
Tumor profiling has become an essential tool in cancer diagnostics and precision oncology and it is the molecular tumorboard that integrates molecular analyses into clinical practice. In this review we address the molecular tumorboard set-up, discuss possibilities and challenges and highlight future perspectives. Key Words: molecular tumorboard, precision oncology, personalized cancer care
Tumorerkrankungen sind heterogen und weisen eine grosse Vielfalt in ihrer klinischen Präsentation, ihrem biologischen Verhalten und ihrem Therapieansprechen auf – auch innerhalb der gleichen diagnostizierten Entität. Im Rahmen der Präzisionsonkologie strebt man danach, mit Hilfe von genauer Charakterisierung der individuellen Tumorerkrankung ein massgeschneidertes, auf den Patienten abgestimmtes, Behandlungskonzept zu erstellen. Hierbei hat für das Tumor Profiling – die genaue Analyse der genomischen und funktionellen Eigenschaften der Tumorzellen – insbesondere das Next Generation Sequencing (NGS) neue Möglichkeiten einer umfassenden Genanalyse eröffnet. Mittels NGS werden bereits im Rahmen der Erstdiagnose verschiedener Krebserkrankungen sowie auch im weiteren Erkrankungsverlauf molekulare Profile erhoben und tragen hier entscheidend zur Erstellung eines personalisierten Therapieplans bei.
Die Interpretation und Einordnung der molekularen Resultate vor dem individuellen klinischen Hintergrund des Patienten bleibt vielschichtig und bedarf in vielen Fällen einer interdisziplinären Diskussion. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden und die komplexen molekularpathologischen Befunde in klinische Handlungsempfehlungen zu übersetzen, wurde an vielen universitären Zentren ein Molekulares Tumorboard (MTB) eingeführt (1-3). An den meisten universitären Zentren der Schweiz wurden erste NGS-Analysen Ende 2014 eingeführt. Die reguläre Testung und das MTB wurden 2015 umgesetzt. MTBs verfolgen das Ziel mittels eines interdisziplinären Vorgehens anhand eines individuellen molekularen Profils potentielle Therapiestrategien zu erarbeiten und somit für ein breites Spektrum von Patienten mit unterschiedlichen Tumorerkrankungen zusätzliche therapierelevante Informationen innerhalb eines nützlichen Zeitrahmens zur Verfügung zu stellen. MTBs können hier zusätzliche Behandlungsempfehlungen nach bereits mehreren erfolgten Behandlungslinien zur Verfügung stellen und das Progressions-freie Überleben für Patienten in dieser Situation verbessern (4,5).
Aktuell erfolgen MTBs über die Institutionen hinweg in einer nicht-standardisierten Form nach hausinternen Richtlinien, sodass der Austausch der Zentren von herausragender Wichtigkeit ist, um ein zukunftsgerichtetes gemeinsames Vorgehen und somit vergleichbare und reproduzierbare Empfehlungen für unsere Patienten sicherzustellen.
Im Folgenden beleuchten wir Schlüsselaspekte der MTB Struktur, aktuelle Chancen und Limitationen und zukünftige Perspektiven anhand der aktuell zur Verfügung stehenden Literatur und anhand unserer Erfahrungen mit dem MTB am Comprehensive Cancer Center Zürich (CCCZ).
Voraussetzungen für die Durchführung eines MTB, Chancen und Limitationen
Um eine aufschlussreiche Diskussion der teils komplexen molekularen Befunde zu ermöglichen, ist ein interdisziplinäres Vorgehen unabdingbar. Neben den Medizinischen Onkologen, Pathologen und Molekularpathologen ist der Einblick der Experten der einzelnen molekularpathologischen Technologien sowie der Bioinformatiker und Humangenetiker höchst relevant (Abb. 1). Somit können klinische sowie pathologische und molekularpathologische Besonderheiten eingebracht werden, als auch der ideale Einsatz spezifischer NGS Panels bei der Aufarbeitung individueller Tumorproben und mögliche technische Aspekte, die die Analyse beeinflussen. Weiterhin ist die bioinformatische Annotation der Funktionalität einer gefundenen Alteration ein entscheidender Schritt, um die klinische Interpretation zu ermöglichen. Eine humangenetische Einordnung potentieller Keimbahnalterationen, welche einerseits im Rahmen der vorliegenden Erkrankung treibend oder aber auch als Zufallsbefund erhoben werden können, ist ebenfalls zwingender Bestandteil eines MTBs.
Grundlage für ein MTB am CCCZ ist eine umfassende molekulare Analyse des Tumors. Typischerweise werden am MTB die Resultate aus Tests mit 50-400 Genen besprochen. Im Labor wird die genomische DNA des Tumors entweder aus einer Gewebebiopsie oder dem Blut des Patienten isoliert, die DNA wird modifiziert und auf DNA-Sequenzlesegeräten analysiert. Die Rohdaten werden anschliessend bioinformatisch analysiert, um so pathogene Mutationen des Tumors zu identifizieren. Die pathogenen Mutationen werden in einem übersichtlichen Bericht zusammengefasst, der neben Therapieempfehlungen auch die aktuellen klinischen Studien für bestimmte Mutationen enthält. Im Rahmen des MTBs selbst erfolgt dann eine erneute Interpretation basierend auf dem höchstmöglichen Level der Evidenz – analog internationaler Richtlinien wie beispielsweise der «European Society for Medical Oncology scale for Clinical Actionability» (ESCAT) oder des «Precision Oncology Knowledge Base» (OnkoKB). Die Integration dieser Richtlinien erlaubt Reproduzierbarkeit und internationale Verständlichkeit der Empfehlungen und erleichtert somit den Austausch von Informationen.
Alle Mutationen des Tumorprofiles werden in einer Datenbank erfasst. Hierzu hat das USZ in Anlehnung an das GDC Mutation Annotation Format (MAF) des National Cancer Institutes, USA, ein Datenformat etabliert, um Mutationen zwischen verschiedenen Kliniken auszutauschen (6).
Da für die Besprechung der einzelnen Patienten im MTB jeweils eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht, ist es wichtig, alle entscheidungsrelevanten Informationen übersichtlich visualisiert verfügbar zu haben. Für die umfassende und klar strukturierte Darstellung der relevanten Tumormutationen hat das USZ eine Software entwickelt, den MTPpilot (7) (Abb. 2). Der MTPpilot ermöglicht eine schnelle Erfassung aller klinisch relevanten Tumormutationen, um diese im Kontext der Erkrankung zu diskutieren. Weiterhin ist es möglich, über externe Links weitere Informationen zu den genomischen Alterationen in öffentlich zugänglichen Datenbanken abzufragen.
Das Patientengut, das im MTB diskutiert wird, ist aktuell grösstenteils abhängig von der lokalen Vorgehensweise und nicht überregional standardisiert. Üblicherweise werden Tumorpatienten mit Re-biopsien nach Tumorprogress unter bereits erfolgten Standard-of-care Therapien am MTB diskutiert. Weiterhin erfolgen aber auch im Rahmen von Erstdiagnosen bei Erkrankungen mit bekannten onkogenen Treibern sowie bei seltenen Tumortypen molekulare Analysen. Auch longitudinale Testungen mit Frage nach einer erworbenen Resistenzalteration sowie molekulare Vergleiche von metachron aufgetretenen histologisch gegebenenfalls übereinstimmenden Tumoren werden durchgeführt. Tumorspezifische Testalgorithmen werden üblicherweise anhand der bestehenden internationalen Behandlungsrichtlinien durch die lokalen Experten festgelegt und regelmässig überprüft und den neuen Behandlungsoptionen angepasst. Je nach Algorithmus kann ein schrittweises Durchlaufen von Tests erfolgen, die zeitnah die essentiellen Informationen zur Verfügung stellen und kurz darauf auch ein umfassendes molekulares Profil ermöglichen (bspw. Immunhistochemie und NGS hotspot panel bei Erstdiagnose eines nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms mit folgendem umfassenderen NGS Panel im Verlauf).
Teils werden alle, für die am entsprechenden Spital betreuten Patienten, erfolgten molekularpathologischen Analysen im MTB aufgearbeitet, teils nur Fälle mit besonderen Fragestellungen. Dies ist abhängig von den, mit den lokalen Experten erarbeiteten, Richtlinien und natürlich auch den bestehenden Kapazitäten. Am CCCZ wird im Rahmen des wöchentlichen MTBs jeder molekularpathologische Befund von den am Zentrum betreuten Patienten diskutiert und dokumentiert.
Im Rahmen des Berichts des MTBs werden neben der klinischen Geschichte des Patienten, die pathologischen und molekularpathologischen Befunde festgehalten sowie die Diskussion und Empfehlung des MTB Teams. Der Evidenzgrad der Empfehlung wird entweder mittels ESCAT bzw. OnkoKB Level festgehalten oder mittels Quellenangabe.
Die Rolle der MTB Empfehlung bei der Umsetzung von Therapieempfehlungen
Um therapeutische Empfehlungen des MTBs umsetzen zu können, ist insbesondere in «beyond standard of care» und «off label» Situationen eine Kostengutsprache durch die Krankenversicherer notwendig. Hierbei ist die begründete Empfehlung mit Quellenangabe im MTB Bericht hilfreich und kann das Erwirken der Kostenübernahme unterstützen.
Perspektiven für die Zukunft
Strukturierte Datensammlung im MTB
Gemäss einer kürzlich erfolgten Analyse der Daten der OnkoKB Datenbank ist in bis zu 37% aller fortgeschrittenen malignen Tumore mindestens eine potentiell gezielt angehbare onkogene Veränderung nachweisbar (8). Dies legt das Potenzial der Präzisionsonkologie klar dar. Um dieses Potenzial zukünftig optimal für unsere Patienten nutzen zu können ist die Kenntnis über die nachweisbaren Mutationen, die gewählten Therapien und das Therapieansprechen notwendig. Insbesondere vor dem Hintergrund der immensen Heterogenität maligner Tumore, die Genotypen-spezifische klinische Studien verunmöglicht, ist die Etablierung von Dokumentationssystemen anzustreben, um nicht nur fallbasiert im Rahmen des MTBs zu lernen, sondern die Informationen strukturiert sammeln und aufbereiten zu können. Hiermit könnte mittelfristig gegebenenfalls eine zusätzliche Evidenzquelle für molekular-basierte Therapieempfehlungen in Form lokaler, nationaler oder internationaler Daten geschaffen werden. Hierbei sind neben technischen Aspekten (automatisierte Integration diagnostischer Daten, Verwendung international gebräuchlicher Codierungssysteme zur Ermöglichung des Austauschs wie beispielsweise snomed, mcode, FHIR) auch regulatorische Fragen sowie der Datenschutz zu beachten.
Vernetzung
Im Rahmen der Entstehung der MTBs wurden an den universitären Zentren unabhängige Vorgehen definiert und, genau wie für die organspezifischen Tumorboards, unabhängige Instanzen geschaffen. Die Überlegung einer möglichen Vernetzung muss unter der Berücksichtigung der unterschiedlichen Strukturen (bspw. gewähltes Patientengut, angewandte Technologien, unterschiedliche Anbindung an Humangenetik etc.) sowie den steigenden Fallzahlen erfolgen. Vielversprechend scheint insbesondere die punktuelle Vernetzung zur Diskussion spezifischer komplexer Fälle und zum regelmässigen interdisziplinären Abgleich zwischen den Zentren. Dies in Ergänzung zu den lokal erfolgenden regelmässigen MTBs, in welchen der Grossteil der Fälle abgeschlossen würde.
Ein solches Vorgehen wäre per se auch auf internationaler Ebene denkbar und könnte den vorwärtsgewandten und auch hypothesengenerierenden Charakter des MTBs unterstützen und weiterentwickeln. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Vorgehen, den verwendeten NGS-Panels und den Zeitpunkten der Analysen sind im internationalen Rahmen allerdings als nochmals bedeutender zu erwarten, könnten aber – gerade aus dieser Diskrepanz heraus – bereichernd sein.
Neue Technologien
Der Nutzen von granulärem multi-omic profiling für individuelle Tumorerkrankungen wird untersucht (9) und neue tumor-profiling Technologien werden entwickelt. So werden beispielsweise die vollständige Exom-Sequenzierung (whole exome sequencing, WES) oder die Sequenzierung des gesamten Genoms (whole genome sequencing, WGS) aktuell zunehmend greifbarer und ein Einsatz in der regulären Tumordiagnostik wird diskutiert (10,11). MTBs sind die institutionellen Werkzeuge, die die Integration dieser Neuerungen ermöglichen, die Präzisionsonkologie somit vorantreiben und die gemeinsame Hypothesengenerierung im Schnittbereich Klinik und Technologie ermöglichen.
Copyright Aerzteverlag medinfo AG
Dr. med. Laura Boos, MHBA
Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich
Dr. rer. nat. Martin Zoche
Institut für Pathologie und Molekularpathologie
Universitätsspital Zürich
Schmelzbergstrasse 12
8091 Zürich
Prof. Dr. med. Andreas Wicki
Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich
Universität Zürich
Medizinische Fakultät
Pestalozzistrasse 3
8032 Zürich
Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Das Molekulare Tumorboard ermöglicht die Integration von molekularpathologischen Erkenntnissen in die klinische Patientenbetreuung.
◆ Die Empfehlungen des Molekularen Tumorboards müssen evidenzbasiert sein, hier bieten sich für die Gradierung von (v.a. genetischen) Alterationen die ESCAT und OnkoKB Einstufungen an.
◆ Die Empfehlungen des Molekularen Tumorboards sowie die Umsetzungen und das Therapieansprechen sollte strukturiert erfasst werden (unter Berücksichtigung des Datenschutzes).
◆ Eine nationale und internationale Vernetzung zur Diskussion von besonderen Molekularen Tumorboard-Fällen kann gewinnbringend sein.
◆ Eine Empfehlung des Molekularen Tumorboards mit erläuterter Rationale und Quellenangabe kann ein Kostengutsprachegesuch unterstützen.
1. Tsimberidou AM, Kahle M, Vo HH, Baysal MA et al. Molecular tumour boards – current and future considerations for precision oncology. Nat. Rev. Clin. Oncol. 2023, Dec 20:843-863.
2. Tamborero D, Dienstmann R, Rachid MH et al. The Molecular Tumor Board Portal supports clinical decisions and automated reporting for precision oncology. Nat Cancer. 2022 Feb;3(2):251-261.
3. Mateo J, Chakravarty D, Dienstmann R et al. A framework to rank genomic alterations as targets for cancer precision medicine: the ESMO Scale for Clinical Actionability of molecular Targets (ESCAT). Ann Oncol. 2018 Sep 1;29(9):1895-1902.
4. Hoefflin R, Lazarou A, Hess ME et al. Transitioning the Molecular Tumor Board from Proof of Concept to Clinical Routine: A German Single-Center Analysis. Cancers (Basel). 2021 Mar 8;13(5):1151.
5. Kato S, Kim KH, Lim HJ et al. Real-world data from a molecular tumor board demonstrates improved outcomes with a precision N-of-One strategy. Nat Commun. 2020 Oct 2;11(1):4965.
6. National Cancer Institute, https://docs.gdc.cancer.gov/Data/File_Formats/MAF_Format/
7. Kahraman A, Arnold F, Hanimann J et al. MTPpilot: An Interactive Software for Visualization of Next-Generation Sequencing Results in Molecular Tumor Boards. JCO Clin Cancer Inform 6:e2200032 (2022).
8. Zehir A, Benayed R, Shah RH et al. Mutational landscape of metastatic cancer revealed from prospective clinical sequencing of 10,000 patients. Nat Med. 2017 Jun;23(6):703-713.
9. Irmisch A, Bonilla X, Chevrier S et al. The Tumor Profiler Study: integrated, multi-omic, functional tumor profiling for clinical decision support. Cancer Cell. 2021 Mar 8;39(3):288-293.
10. Simons M, Van De Ven M, Coupé V et al. Early technology assessment of using whole genome sequencing in personalized oncology. Expert Rev Pharmacoecon Outcomes Res. 2021 Jun;21(3):343-351.
11. Samsom KG, Bosch LJW, Schipper LJ, Schout D et al. Optimized whole-genome sequencing workflow for tumor diagnostics in routine pathology practice. Nat Protoc. 2024 Mar;19(3):700-726.
Zwei prospektive randomisierte Studien untersuchten die adjuvante Therapie beim klarzelligen Nierenzellkarzinom mit hohem Rezidivrisiko. Die CHECKMATE 914 Studie verglich Nivolumab und die Kombination Nivolumab plus Ipilimumab mit Placebo, zeigte jedoch keinen Vorteil im krankheitsfreien Überleben. Im Gegensatz dazu zeigte die KEYNOTE 564-Studie für Pembrolizumab einen signifikanten Vorteil sowohl im krankheitsfreien als auch im Gesamtüberleben. Zwei weitere Studien, CHECKMATE 9ER und CHECKMATE 214, präsentierten Langzeitergebnisse zur Erstlinientherapie metastasierter klarzelliger Nierenzellkarzinome.
Two prospective randomized studies investigated adjuvant therapy for clear cell renal cell carcinoma with a high risk of recurrence. The CHECKMATE 914 study compared nivolumab and the combination of nivolumab plus ipilimumab with placebo, but showed no advantage in disease-free survival. In contrast, the KEYNOTE 564 study showed a significant advantage for pembrolizumab in both disease-free and overall survival. Two further studies, CHECKMATE 9 and CHECKMATE 214, presented long-term results for the first-line treatment of metastatic clear cell renal cell carcinoma. Key Words: clear cell renal cell cancer, adjuvant treatment, tyrosine kinase inhibitors, checkpoint inhibitors
Die adjuvante Therapie beim klarzelligen Nierenzellkarzinom mit hohem Rezidivrisiko war Gegenstand zweier prospektiver randomisierter Studien. Die CHECKMATE 914 Studie verglich die adjuvante Gabe von Nivolumab bzw. die Kombination Nivolumab plus Ipilimumab für ein Jahr gegenüber Placebo. Aktuell wurden die Daten des Vergleichs der Monotherapie mit Nivolumab versus Placebo vorgestellt. Wie schon für die Kombination mit Ipilimumab, konnte auch für die Monotherapie mit Nivolumab kein Vorteil im krankheitsfreien Überleben gegenüber Placebo gezeigt werden.Im Gegensatz hierzu konnte in der KEYNOTE 564 Studie für Pembrolizumab als adjuvante Therapie nicht nur ein Vorteil für das krankheitsfreie Überleben gezeigt werden, sondern erstmals auch ein statistischer signifikanter und klinisch relevanter Vorteil für das Gesamtüberleben. Damit ist die KEYNOTE 564 die erste und bislang einzige Studie, die einen Vorteil im Gesamtüberleben durch eine adjuvante Therapie beim resezierten klarzelligen Nierenzellkarzinom mit mittlerem und hohen Rezidivrisiko zeigen konnte.
In zwei weiteren Studien wurden die Langzeitergebnisse der Erstlinientherapie metastasierter klarzelliger Nierenzellkarzinome vorgestellt. Die CHECKMATE 9ER Studie verglich die Kombination Nivolumab plus Cabozanitib gegenüber Sunitinib. Die Überlegenheit der Kombination in Bezug auf die Ansprechrate und das krankheitsfreie Überleben bestätigte sich im Langzeit Follow-up, unabhängig von dem Risikoprofil der Patienten. Das Gesamtüberleben war aber nur in der Gruppe der Patienten mit intermediärem und hohen Risiko besser, jedoch nicht in der Gruppe mit günstigem Risikoprofil.
In der CHECKMATE 214 Studie bestätigten die Langzeitergebnisse die Überlegenheit der Kombination von Nivolumab und Ipilimumab gegenüber Sunitinib ebenfalls nur in den Gruppen mit intermediärem und hohem, nicht aber in der Gruppe von Patienten mit günstigem Risikoprofil. Dieser fehlende Überlebensvorteil in der günstigen Risikogruppe einer Kombinationstherapie von zwei Checkpoint-Inhibitoren oder von einem Checkpoint-Inhibitor mit einem Tyrosinkinase-Inhibitor gegenüber einer Monotherapie mit Sunitinib findet sich bei allen Phase III Studien auch im Langzeitfollow-up.
Die adjuvanten Studien nach Resektion: CheckMate 914 und Keynote 564
Die Rezidivrate klarzelliger Nierenzellkarzinome (RCC) beträgt trotz radikaler Nephrektomie mit oder ohne Lymphadenektomie bis zu 30 % oder mehr. Das Risikoprofil kann u.a. mittels des Leibovich Scores geschätzt werden. Besondere Risiken bestehen für Patienten mit grossen Tumoren, ungünstiger Histologie und Patienten nach kompletter Metastasenresektion bei oligometastasierter Erkrankung. Daher kommt der adjuvanten Therapie dieser Patientengruppen besondere Aufmerksamkeit zu.
Die CHECKMATE 914 Studie untersuchte bei 825 Patienten mit klarzelligem RCC in einer 2:1:1 Randomisierung die adjuvante Gabe von Nivolumab (n=411), Nivolumab plus Ipilimumab (n=208) oder Placebo (n=206). (1) Primärer Endpunkt war das krankheitsfreie Überleben. Patienten mit oligometastasierter Erkrankung waren nicht eingeschlossen. Bei der Präsentation auf dem ASCO GU 2024 wurde der Vergleich Nivolumab Monotherapie versus Placebo vorgestellt. (2) Im Trend hatten Patienten mit grossen T4-Tumoren, mit sarkomatoiden Tumoranteilen und mit PD-L1 Expression > 1 % mehr von der adjuvanten Therapie profitiert. Die Unterschiede waren jedoch für diese Subgruppen ebenso wie für die Gesamtgruppe der Patienten statistisch nicht signifikant (HR 0.87; 95 % CI: 0.62-1.21 für die Gesamtgruppe). Somit besteht keine Indikation für eine Monotherapie mit Nivolumab oder Nivolumab in Kombination mit Ipilimumab als adjuvante Therapie des komplett resezierten klarzelligen RCC.
Die KEYNOTE 564 Studie hingegen war erfolgreicher. Insgesamt 996 Patienten erhielten in einer 1:1 Randomisierung entweder eine adjuvante Therapie mit Pembrolizumab für ein Jahr (n=496) oder Placebo (n=498). Oligometastasierte Patienten mit kompletter Metastasenresektion konnten eingeschlossen werden (n=57). Nachdem bereits ein Vorteil durch eine adjuvante Therapie mit Pembrolizumab in Bezug auf das krankheitsfreie Überleben publiziert wurde, konnte auf dem ASCO GU 2024 erstmals auch ein Vorteil im Gesamtüberleben gezeigt werden (HR 0.62; 95 % CI: 0.44-0.87). (3,4) Der Unterschied nach 4 Jahren im Gesamtüberleben betrug 91.2 % versus 86 % zu Gunsten von Pembrolizumab. Pembrolizumab ist damit das erste und bislang einzige Medikament, welches einen Vorteil im Gesamtüberleben in der adjuvanten Therapie des klarzelligen RCC zeigen konnte. Oligometastatische Patienten nach kompletter Resektion profitierten im Trend am meisten von der adjuvanten Therapie. Alter, ECOG Score und PD-L1 Status gemessen am CPS Score hatten keinen Einfluss auf das Ergebnis. Pembrolizumab für die Dauer eines Jahres stellt somit einen neuen Standard in der adjuvanten Therapie des klarzelligen RCC mit mittlerem und hohen Risiko für ein Rezidiv nach kompletter Resektion dar. Wieso andere Checkpoint Inhibitoren in vergleichbaren Studien keinen entsprechenden Nutzen zeigten bleibt unklar.
Die Studien zur Erstlinientherapie metastasierter Patienten mit klarzelligem RCC: CheckMate 9ER und CheckMate 214
Die Ergebnisse der CHECKMATE 9ER und der CHECKMATE 214 Studien wurden bereits publiziert (5,6). Beim diesjährigen ASCO GU wurden die Langzeitergebnisse dieser beiden Studien vorgestellt und bestätigten die zuvor publizierten Daten. In der CHECKMATE 9ER Studie erhielten 651 Patienten in einer 1:1 Randomisierung entweder Nivolumab plus Cabozantinib (n=323) oder Sunitinib (n=328). Der primäre Endpunkt war das krankheitsfreie Überleben. Dieser wurde erreicht: 16.7 % Patienten (Nivolumab plus Cabozantinib) versus 5,5 % Patienten (Sunitinib) überlebten nach 4 Jahren krankheitsfrei (HR 0.58; 95 %CI:0.49-0.70). Auch das Gesamtüberleben war für die neue Kombination mit 48,9 % versus 39.7 % nach 4 Jahren besser als mit Sunitinib, allerdings nur bei Patienten mit intermediärem oder ungünstigem Risikoprofil nach dem IMDC Score (HR 0.77; 95 % CI: 0.63-0.95). Bei Patienten mit günstigem Risikoprofil war das Gesamtüberleben nicht signifikant besser (HR 1.10; 95 % CI: 0.69-1.75), und das krankheitsfreie Überleben nur knapp (HR 0.69; 95 % CI: 0.48-1.00) (7).
Sehr vergleichbare Langzeitergebnisse wurden für die CHECKMATE 214 Studie vorgestellt. (8) Bei 1096 Patienten mit metastasiertem klarzelligen RCC und 1:1 Randomisierung war die Kombination von Nivolumab und Ipilimumab im Langzeit Follow-up bei Patienten mit günstigem Risikoprofil nach dem IMDC Score sogar schlechter als die Monotherapie mit Sunitinib (HR 1.76; 95 % CI: 1.25-2.48). In der Gruppe mit intermediärem und ungünstigen Risikoprofil war die Kombination jedoch eindrucksvoll besser sowohl bezüglich der Ansprechrate und des krankheitsfreien Überlebens als auch bezüglich des Gesamtüberlebens. Das Gesamtüberleben betrug in den beiden letztgenannten Risikogruppen nach 6 Jahren 39.0 % versus 26.8 % zu Gunsten der Kombination (HR 0.69; 95 %CI: 0.59-0.81).
In Summe bestätigen die Langzeitergebnisse beider Studien, dass bei Patienten mit metastasiertem klarzelligen RCC und günstigem Riskoprofil eine Erstlinientherapie mit zwei Checkpoint-Inhibitoren oder einem Checkpoint-Inhibitor plus einem Tyrosinkinase- Inhibitor keinen Vorteil im Gesamtüberleben gegenüber einer alleinigen Therapie mit einem Tyrosinkinase-Inhibitor wie z.B. Sunitinib zeigt (Tab. 1).
Copyright Aerzteverlag medinfo AG
Dr. med. Sara Merler
Oncologia medica
Ente Ospedaliero Cantonale
Viale Officina 3
6500 Bellinzona
Dr. med. Katharina Reichel
Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Stadtspital Zürich Triemli
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich
PD Dr. med. Ursula Vogl
Oncologia medica
Ente Ospedaliero Cantonale
Viale Officina 3
6500 Bellinzona
Die Autorinnen haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
Die Keynote 214 Studie mit Pembrolizumab ist die erste und bislang einzige Studie, die einen Vorteil im Gesamtüberleben durch eine adjuvante Therapie beim resezierten Nierenzellkarzinom mit mittlerem und hohem Risiko für ein Rezidiv zeigen konnte.
Im Langzeit Follow-up ist die Kombination von Nivolumab plus Cabozantinib in der Erstlinientherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms Sunitinib bezüglich der Ansprechrate und des krankheitsfreien Überlebens in allen Risikogruppen überlegen, bezüglich des Gesamtüberlebens aber nur in der Gruppe mit intermediärem oder ungünstigen Risikoprofil (CheckMate 9ER Studie).
Gemäss der CHECKMATE 214 Studie ist die Kombination von Nivolumab und Ipilimumab auch im Langzeit Follow-up einer Therapie mit Sunitinib nur bei Patienten mit intermediärem und hohem Risikoprofil überlegen, nicht aber für Patienten mit günstigem Risikoprofil.
1. Motzer RJ, Russo P, Grünwald V et al. Adjuvant nivolumab plus ipilimumab versus placebo for localised renal cell carcinoma after nephrectomy (CheckMate 914): a double-blind, randomised, phase 3 trial. Lancet 2023;401:821-832.
2. Motzer RJ, Bex A, Russo P et al. Adjuvant nivolumab monotherapy vs placebo for localized renal cell carcinoma at high risk of relapse after nephrectomy: Results from Part B of the randomized, phase 3 CheckMate 914 trial. J Clin Oncol 42, 2024 (suppl 4; abstr LBA358).
3. Powles T, Tomczak P, Park SH et al. Pembrolizumab versus placebo as post-nephrectomy adjuvant therapy for clear cell renal cell carcinoma (KEYNOTE-564): 30-month follow-up analysis of a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet Oncol 2022;23:1133-1144.
4. Choueiri TK, Tomczak P, Park SH et al. Overall survival results from the phase 3 KEYNOTE-564 study of adjuvant pembrolizumab versus placebo for the treatment of clear cell renal cell carcinoma (ccRCC).J Clin Oncol 42, 2024 (suppl 4; abstr LBA359).
5. Choueiri TK, Powles T, Burotto M et al. Nivolumab plus Cabozantinib versus Sunitinib for Advanced Renal-Cell Carcinoma. N Engl J Med 2021;384:829-841.
6. Motzer RJ, Tannir NM, McDermott DF et al. Nivolumab plus Ipilimumab versus Sunitinib in Advanced Renal-Cell Carcinoma. N Engl J Med 2018;378:1277-1290.
7. Bourlon MT, Escudier B, Burotto M et al. Nivolumab plus cabozantinib (N+C) vs sunitinib (S) for previously untreated advanced renal cell carcinoma (aRCC): Results from 55-month follow-up of the CheckMate 9ER trial. J Clin Oncol 42, 2024 (suppl 4; abstr 362).
8. Tannir NM, Escudier B, McDermott DF et al. Nivolumab plus ipilimumab (NIVO+IPI) vs sunitinib (SUN) for first-line treatment of advanced renal cell carcinoma (aRCC): Long-term follow-up data from the phase 3 CheckMate 214 trial. J Clin Oncol 42, 2024 (suppl 4; abstr 363).