Meningeome

Meningeome sind die häufigsten primären intrakraniellen Tumoren im Erwachsenenalter, die aus den Zellen der Arachnoidea entstehen. Obwohl viele Meningeome zufällig entdeckt werden und asymptomatisch bleiben, erfordern einige aufgrund neurologischer Symptome eine Behandlung. Risikofaktoren umfassen hormonelle Einflüsse, ionisierende Strahlen und genetische Prädispositionen wie Neurofibromatose Typ 2. Die Diagnose erfolgt primär durch bildgebende Verfahren, während die Behandlung meist chirurgisch ist, ergänzt durch Strahlentherapie bei unvollständiger Resektion oder aggressivem Verhalten. Neue molekulare Klassifikationen und Therapien sind im Fokus der aktuellen Forschung, um die Prognose und Behandlungseffizienz zu verbessern.

Meningiomas are the most common primary intracranial tumors in adults, originating from the cells of the arachnoid. While many meningiomas are incidentally discovered and remain asymptomatic, some require treatment due to neurological symptoms. Risk factors include hormonal influences, ionizing radiation, and genetic predispositions such as Neurofibromatosis Type 2. Diagnosis is primarily through imaging techniques, with treatment typically being surgical, supplemented by radiotherapy in cases of incomplete resection or aggressive behavior. Current research focuses on new molecular classifications and therapies to improve prognosis and treatment efficacy.
Key words: Meningioma, Arachnoid Cells, Neurofibromatosis Type 2, Radiotherapy, Molecular Classification

Einleitung und Epidemiologie von Meningeomen

Meningeome gehen aus Zellen der Arachnoidea hervor, einer spinnwebartigen Schicht der Hirnhäute zwischen Dura mater und Pia mater. Im Erwachsenenalter sind Meningeome die mit Abstand häufigsten primären intrakraniellen Tumoren (1). In einer populationsbasierten Magnetresonanztomographiestudie wurden gar Prävalenzen für Meningeome um 1.6 % in der Allgemeinbevölkerung berichtet und in Autopsiestudien von bis zu 3 % (2, 3). Allerdings bedürfen nur wenige zufällig diagnostizierte Meningeome einer Behandlung. Die jährliche Inzidenz histopathologisch diagnostizierter Meningeome, d.h. solcher, die zumeist aufgrund einer neurologischen Symptomatik diagnostiziert und reseziert wurden, liegt um 8.5/100 000 und steigt mit zunehmendem Alter bis hin zu einer Inzidenz von deutlich über 40/100 000 unter den über 75-jährigen (1).

Hormonelle Einflüsse und Risikofaktoren

Prämenopausale Frauen sind etwa doppelt so häufig von symptomatischen Meningeomen betroffen wie Männer (1). Diese Beobachtung sowie Assoziationen mit Schwangerschaft, Brustkrebs, Adipositas oder hormoneller Kontrazeption spiegeln eine Rolle von Progesteron bei der Entstehung eines Teils der Meningeome wider (4–7). Meningeome können Rezeptoren für Östrogen als auch für Progesteron exprimieren, wobei Progesteronrezeptoren deutlich häufiger und in etwa 70–80 % der Tumoren nachgewiesen werden können (8, 9). Passend zu einer Wachstumsstimulation durch hohe Progesteronspiegel gibt es Fallberichte von Patientinnen, bei denen es während einer Schwangerschaft zu einem massiven Tumorwachstum und postpartal zu einem spontanen Regress kam (9, 10). So erklärt sich auch, dass Meningeome, die bei älteren Patientinnen als Zufallsbefunde diagnostiziert werden, oftmals kein Wachstum mehr in der Verlaufsbeobachtung zeigen. Ferner wird dieser Zusammenhang durch Berichte über die Assoziation von Fertilitätsbehandlungen und dem Auftreten von Meningeomen (11–13) sowie das Auftreten von Meningeomen bei Mann-zu-Frau Transgendern unter Hormontherapie (14) unterstützt. Dieses Wissen sollte dazu führen, dass Hormonbehandlungen wie Hormonersatztherapie oder hormonale orale Kontrazeptiva bei Meningeompatienten und -patientinnen sehr kritisch geprüft werden.

Genetische Prädisposition und Neurofibromatose Typ 2

Bei Betroffenen der Neurofibromatose Typ 2 treten bis zum 70. Lebensjahr in > 80 % der Fälle Meningeome auf, bei einem mittleren Alter bei Diagnosestellung um das 30. Lebensjahr, Fehlen von Geschlechterunterschieden und oft multifokalem Wachstum (15). In einer populationsbasierten Langzeituntersuchung in Manchester (Vereinigtes Königreich) bedurfte während 30 Jahren jedoch weniger als jeder dritte Patient/jede dritte Patientin mit bildgebendem Verdacht auf ein Meningeom auch einer Resektion wegen neurologischer Symptome (16).

Ionisierende Strahlung als Risikofaktor

Zu den etablierten Risikofaktoren für das Auftreten von Meningeomen zählt zudem die Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen, z. B. im Rahmen einer Strahlentherapie der Neuraxis zur Behandlung von Leukämien oder Tumorerkrankungen im Kindesalter. Populationsbasierte Studien in Australien und im Vereinigten Königreich zeigten, dass bereits das Dosisäquivalent einer einzigen, nach aktuellen Standards durchgeführten nativen Computertomographie des Kopfes im Kindes- und Jugendalter, mit einer vielfachen Erhöhung des Risikos für die Entstehung von Meningeomen und anderen Tumoren des Zentralnervensystems einhergeht (17, 18). Meningeome können mit einer Latenz von bis zu mehreren Jahrzehnten nach Strahlenexposition auftreten, oftmals multifokal und mit ungünstigerer Prognose als sporadisch auftretende Meningeome (19).

Klinische Präsentation und Bildgebung

Klinisch machen sich Meningeome zumeist mit Kopfschmerzen oder durch neurologische Symptome wie Sehstörungen, neurokognitive Einschränkungen, sensomotorische Defizite oder Epilepsie bemerkbar. Die Verdachtsdiagnose wird im Rahmen einer Computertomographie oder einer Magnetresonanztomographie gestellt (Abbildung 1). Typische radiologische Zeichen umfassen die extraaxiale, duraständige Lokalisation mit einem «dural tail», eine homogene Kontrastmittelaufnahme, einen hyperintensen Saum zwischen Kontrastmittel und Hirnparenchym sowie gelegentliche Kalzifikation und angrenzende Hyperostose. Das Vorliegen eines Ödems deutet im Gegensatz zu einer Kalzifikation eher auf ein aktives Tumorwachstum hin. Neben dem typischen «spiegeleiartigen» Erscheinungsbild kommen auch sogenannte en-plaque und seltener intraaxial infiltrierend wachsende Meningeome vor, die nicht immer sicher von leptomeningeal disseminierten oder intraaxialen Tumoren wie Hirnmetastasen oder Gliomen abzugrenzen sind. Auch wenn die bildgebenden Zeichen des Meningeoms oftmals eindeutig erscheinen, kann die definitive Diagnosestellung daher nur gewebebasiert erfolgen.

Chirurgische Behandlung und Resektionstechniken

Die chirurgische Resektion erfolgt in aller Regel bei symptomatischen Patient/-innen oder bei deutlicher Grössenprogression im Rahmen einer «watch-and-wait»-Strategie. Klassischerweise werden Meningeome über eine Schädelöffnung (Kraniotomie) entfernt. Wenn möglich, werden dabei auch die Hirnhäute, an denen der Tumor ansetzt, mit entfernt. Der Duradefekt wird dann mit autologem Gewebe (z.B. Galea oder Faszia lata) oder mit einem künstlichen Duraersatz gedeckt. Das Resektionsausmass wird üblicherweise mit der Simpson-Klassifikation angegeben, die ein Spektrum von vollständiger Tumorentfernung mit zusätzlicher Entfernung des duralen Ansatzes und gegebenenfalls der beteiligten Knochen (Grad I) bis zu einer erweiterten Biopsie (Grad V) reicht (20). Mit Hilfe dieser Klassifikation soll unter anderem das Risiko für ein Rezidiv eingeschätzt werden. Allerdings stammt die Simpson-Klassifikation aus dem Jahr 1957 und ist damit deutlich vor der Mikrochirurgie und modernen bildgebenden Verfahren wie der Computertomographie oder der Magnetresonanztomographie entstanden. Da Meningeome meist sehr stark vaskularisiert sind, ist ein wichtiger Teil der chirurgischen Strategie die frühe Unterbindung der Blutzufuhr mittels Koagulation der duralen Gefässe, die den Tumor versorgen. Dadurch soll der intraoperative Blutverlust gemindert werden. Bei Meningeomen, deren zuführende Gefässe erst am Ende des Eingriffs zugänglich werden (z. B. Meningeome an der Schädelbasis), kann auch eine OP-vorbereitende Embolisation über einen intraarteriellen Katheter in Erwägung gezogen werden.

Strahlentherapie und ergänzende Behandlungen

Die Prognose ist im Anschluss an eine radiographische Komplettresektion insgesamt günstig. Dauerhafte neurologische Symptome und Beeinträchtigungen der Lebensqualität sind jedoch auch bei solchen Patient/-innen häufig, bei denen nach einer chirurgischen Resektion kein Tumorwachstum mehr beobachtet wird (21). Zudem bedarf etwa jeder vierte Meningeompatient /jede vierte Meningeompatientin einer zusätzlichen Behandlung jenseits der initialen Resektion (22). Die Behandlungsoptionen sind dabei beschränkt auf erneute chirurgische Resektionen von Rezidiven oder einer Strahlentherapie, z. B. nach inkompletter Resektion oder bei Vorliegen von prognostisch ungünstigen histo- und molekularpathologischen Zeichen (Abbildung 2) (23). Die Strahlentherapie erfolgt zumeist als intensitätsmodulierte Strahlentherapie mit 50−55 Gy in Einzeldosen von 1.8–2 Gy. Nicht resektable, kleine Meningeome können auch als stereotaktische Strahlenchirurgie mit einer Einzeldosis von 14–16 Gy effektiv behandelt werden. Bei enger Nachbarschaft zu kritischen anatomischen Strukturen wie dem Nervus opticus kommen darüber hinaus auch Protonen-basierte Protokolle zum Einsatz (23).

Risikoklassifikation und Prognose

Für die Frage, ob postoperativ eine Strahlentherapie erfolgen sollte oder nicht, ist eine zuverlässige prognostische Klassifikation unabdingbar. Die Einteilung von Meningeomen erfolgt nach den Kriterien der 2021 revidierten Klassifikation von Tumoren des Zentralnervensystems der Weltgesundheitsorganisation in drei Risikoklassen, die CNS-WHO Grade 1–3 (24). Diese Klassifikation erfolgt primär histopathologisch, wobei etwa 80 % der Meningeome den sechs Subtypen des benignen CNS-WHO Grad 1, knapp 20 % den drei Subtypen des intermediären CNS-WHO Grad 2 und einige wenige den drei Subtypen des seltenen, malignen CNS-WHO Grad 3 zugeordnet werden. Intraaxiales, invasives Wachstum und eine erhöhte Proliferationsrate sind auch in histopathologisch benignen Subtypen prognostisch ungünstige Kriterien, die eine Zuordnung zum CNS-WHO Grad 2 bedingen. Zudem wurden 2021 homozygote Deletionen des CDKN2A/B Genlokus sowie Mutationen im TERT-Genpromotor als prognostisch sehr ungünstige molekulare Alterationen in die CNS-WHO Klassifikation eingeführt, die unabhängig vom histopathologischen Erscheinungsbild definierend für den CNS-WHO Grad 3 sind (24).

Die prognostische Zuordnung gelingt insbesondere an der Grenze zwischen CNS-WHO Grad 1 und Grad 2 nicht immer. Das heisst, ein Teil der als benigne klassifizierten Meningeome rezidiviert trotz einer radiographischen Komplettresektion, während ein Teil der Meningeome, die dem prognostisch ungünstigeren Grad 2 zugeordnet wurden, nach vollständiger Resektion auch ohne anschliessende Strahlentherapie kein erneutes Tumorwachstum zeigen. Um die Indikationsstellung für eine Strahlentherapie zu verbessern, wurden daher zunehmend auch objektivierbare, molekulare Klassifikationskonzepte jenseits der Histopathologie entwickelt. So wurden prognostisch günstige Subtypen identifiziert, die durch Mutationen in den Genen AKT1, SMO, KLF4 oder TRAF7 charakterisiert sind (25). Die überwiegende Mehrzahl der Meningeome weist jedoch Mutationen im NF2-Gen auf. Diese prädestinieren für die zusätzliche Akkumulation chromosomaler Verluste, von denen insbesondere 1p, 6q, 10q, 14q und 22q mit ungünstiger Prognose assoziiert sind (26). Die DNA-Methylierungsanalyse resezierter Meningeomgewebe bietet eine breit verfügbare, günstige Möglichkeit, sowohl chromosomale Aberrationen zu identifizieren als auch eine Einteilung in prognostische Methylierungssubgruppen vorzunehmen (27). Kürzlich wurde basierend auf der klinisch-molekularen Analyse von mehreren Kohorten mit insgesamt über 3000 Patient/-innen ein prognostischer «Score» vorgeschlagen, der Histopathologie, Gensequenzierung, chromosomalen Aberrationen und Methylierungsklasse integriert und so eine deutlich präzisere Voraussage der Prognose erlaubt, als die CNS-WHO Klassifikation (26).

Laufende Studien und therapeutische ­Entwicklungen

Die Frage, welchen Patient/-innen eine Strahlentherapie empfohlen werden sollte, wird auch durch die internationale, ­randomisierte Phase-2-Studie «ROAM» adressiert, die aktive Verlaufskontrollen mit einer unmittelbar postoperativ angeschlossenen Strahlentherapie nach vollständiger Tumorresektion eines CNS-WHO Grad 2 Meningeoms vergleicht. Die Rekrutierung der Studie ist abgeschlossen, erste Ergebnisse werden Ende 2026 erwartet (28). Post hoc Analysen dieser Studie werden mit Blick auf eine nach aktuellen Standards durchgeführte Strahlentherapie zudem Hinweise auf deren Wirksamkeit innerhalb molekularer Subgruppen sowie auf mögliche Effekte auf Neurokognition und Lebensqualität liefern.

Das Fehlen wirksamer, etablierter Systemtherapien stellt für die Behandlung von Patient /-innen mit Meningeom, bei denen die Strahlentherapie nicht zum gewünschten Erfolg führt, eine besondere Herausforderung dar. Bislang konnte die Wirksamkeit unterschiedlichster Systemtherapien nicht in kontrollierten klinischen Studien nachgewiesen werden (29). Insbesondere zeigten verschiedene zytotoxische Ansätze bestenfalls geringe Wirksamkeit. Eine extensive Immunsuppression des Tumormikromilieus und das Vorhandensein nur weniger Protein verändernder Mutationen machen Meningeome zudem zu ungünstigen Kandidaten für immuntherapeutische Ansätze (30). Eine Behandlung mit dem antiangiogenen Tyrosinkinasehemmer Sunitinib zeigte in einer unkontrollierten Phase II Studie in 36 Patient/-innen mit CNS-WHO Grad 2 oder Grad 3 Meningeom zeitlich begrenzte Tumorstabilisierung in einem Teil der behandelten Patient/-innen (31). Auch die Kombination antiangiogenen monoklonalen Antikörpers Bevacizumab und mTor-Hemmers Everolimus wurde in einer unkontrollierten Phase-II-Studie untersucht und konnte die Erkrankung in 12 Patient/-innen mit CNS-WHO Grad 2 oder Grad 3 Meningeom im Median für 22 Monate stabilisieren (32). Eine molekular zielgerichtete Behandlung mit 177Lutethium-gebundenen Agonisten des Meningeom-assoziierten Rezeptors SSTR2 zeigte in retrospektiven Analysen ebenfalls nur geringe Effektivität in einem Teil der Patient/-innen mit Meningeom (33). All diese Ansätze bedürfen jedoch einer Bestätigung in prospektiven, randomisierten Studien.

Zusammengefasst stellt die Entwicklung wirksamer, nebenwirkungsarmer Therapien jenseits von Chirurgie und Strahlentherapie eine Schlüsselherausforderung für das Management von Meningeompatient /-innen mit ungünstigen Verläufen dar. Nach vollständiger Resektion eines Meningeoms werden jedoch in der weit überwiegenden Mehrzahl der Patient /-innen günstige Verläufe ohne Rezidive beobachtet.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

PD Dr. med. Marian Christoph Neidert

Klinik für Neurochirurgie, Kantonsspital St. Gallen,
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

PD Dr. med. Hans-Georg Wirsching

Klinik für Neurologie,
Kantonsspital Winterthur
Brauerstrasse 15
8400 Winterthur

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Price, M. et al. CBTRUS Statistical Report: American Brain Tumor Association & NCI Neuro-Oncology Branch Adolescent and Young Adult Primary Brain and Other Central Nervous System Tumors Diagnosed in the United States in 2016-2020. Neuro Oncol 26, iii1-iii53 (2024). https://doi.org:10.1093/neuonc/noae047
2. Johnson, M. D. & Abu-Farsakh, S. Clinicopathologic features of incidental meningiomas: A review of the literature and the University of Rochester autopsy experience. Clin Neuropathol 38, 118-121 (2019). https://doi.org:10.5414/NP301160
3. Vernooij, M. W. et al. Incidental findings on brain MRI in the general population. N Engl J Med 357, 1821-1828 (2007). https://doi.org:10.1056/NEJMoa070972
4. Degeneffe, A., De Maertelaer, V., De Witte, O. & Lefranc, F. The Association Between Meningioma and Breast Cancer: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Netw Open 6, e2318620 (2023). https://doi.org:10.1001/jamanetworkopen.2023.18620
5. Muskens, I. S. et al. Body mass index, comorbidities, and hormonal factors in relation to meningioma in an ethnically diverse population: the Multiethnic Cohort. Neuro Oncol 21, 498-507 (2019). https://doi.org:10.1093/neuonc/noz005
6. Niedermaier, T. et al. Body mass index, physical activity, and risk of adult meningioma and glioma: A meta-analysis. Neurology 85, 1342-1350 (2015). https://doi.org:10.1212/WNL.0000000000002020
7. Pettersson-Segerlind, J. et al. The risk of developing a meningioma during and after pregnancy. Sci Rep 11, 9153 (2021). https://doi.org:10.1038/s41598-021-88742-2
8. Commins, D. L., Atkinson, R. D. & Burnett, M. E. Review of meningioma histopathology. Neurosurg Focus 23, E3 (2007). https://doi.org:10.3171/FOC-07/10/E3
9. Lusis, E. A. et al. Meningiomas in pregnancy: a clinicopathologic study of 17 cases. Neurosurgery 71, 951-961 (2012). https://doi.org:10.1227/NEU.0b013e31826adf65
10. Chakravarthy, V. et al. Houdini Tumor: Case Report and Literature Review of Pregnancy-Associated Meningioma. World Neurosurg 114, e1261-e1265 (2018). https://doi.org:10.1016/j.wneu.2018.03.187
11. Frassanito, P., De Bonis, P., Mattogno, P. P., Novello, M. & Anile, C. Hormonal therapy for fertility and huge meningioma: a purely random association? Acta Neurol Belg 112, 299-301 (2012). https://doi.org:10.1007/s13760-012-0046-9
12. Motegi, H. et al. Hemorrhagic onset of rhabdoid meningioma after initiating treatment for infertility. Brain Tumor Pathol 29, 240-244 (2012). https://doi.org:10.1007/s10014-012-0088-y
13. Patterson, A. & Elashaal, A. Fast-Growing Meningioma in a Woman Undergoing Fertility Treatments. Case Rep Neurol Med 2016, 3287381 (2016). https://doi.org:10.1155/2016/3287381
14. Ter Wengel, P. V., Martin, E., Gooren, L., Den Heijer, M. & Peerdeman, S. M. Meningiomas in three male-to-female transgender subjects using oestrogens/progestogens and review of the literature. Andrologia 48, 1130-1137 (2016). https://doi.org:10.1111/and.12550
15. Goutagny, S. et al. Long-term follow-up of 287 meningiomas in neurofibromatosis type 2 patients: clinical, radiological, and molecular features. Neuro Oncol 14, 1090-1096 (2012). https://doi.org:10.1093/neuonc/nos129
16. Forde, C. et al. Disease course of neurofibromatosis type 2: a 30-year follow-up study of 353 patients seen at a single institution. Neuro Oncol 23, 1113-1124 (2021). https://doi.org:10.1093/neuonc/noaa284
17. Mathews, J. D. et al. Cancer risk in 680,000 people exposed to computed tomography scans in childhood or adolescence: data linkage study of 11 million Australians. BMJ 346, f2360 (2013). https://doi.org:10.1136/bmj.f2360
18. Pearce, M. S. et al. Radiation exposure from CT scans in childhood and subsequent risk of leukaemia and brain tumours: a retrospective cohort study. Lancet 380, 499-505 (2012). https://doi.org:10.1016/S0140-6736(12)60815-0
19. Umansky, F., Shoshan, Y., Rosenthal, G., Fraifeld, S. & Spektor, S. Radiation-induced meningioma. Neurosurg Focus 24, E7 (2008). https://doi.org:10.3171/FOC/2008/24/5/E7
20. Simpson, D. The recurrence of intracranial meningiomas after surgical treatment. J Neurol Neurosurg Psychiatry 20, 22-39 (1957). https://doi.org:10.1136/jnnp.20.1.22
21. Wirsching, H. G., Morel, C., Roth, P. & Weller, M. Socioeconomic burden and quality of life in meningioma patients. Qual Life Res 29, 1801-1808 (2020). https://doi.org:10.1007/s11136-020-02461-1
22. Mastall, M. et al. Survival of brain tumour patients with epilepsy. Brain 144, 3322-3327 (2021). https://doi.org:10.1093/brain/awab188
23. Goldbrunner, R. et al. EANO guideline on the diagnosis and management of meningiomas. Neuro Oncol 23, 1821-1834 (2021). https://doi.org:10.1093/neuonc/noab150
24. Louis, D. N. et al. The 2021 WHO Classification of Tumors of the Central Nervous System: a summary. Neuro Oncol 23, 1231-1251 (2021). https://doi.org:10.1093/neuonc/noab106
25. Preusser, M., Brastianos, P. K. & Mawrin, C. Advances in meningioma genetics: novel therapeutic opportunities. Nat Rev Neurol 14, 106-115 (2018). https://doi.org:10.1038/nrneurol.2017.168
26. Maas, S. L. N. et al. Integrated Molecular-Morphologic Meningioma Classification: A Multicenter Retrospective Analysis, Retrospectively and Prospectively Validated. J Clin Oncol 39, 3839-3852 (2021). https://doi.org:10.1200/JCO.21.00784
27. Sahm, F. et al. DNA methylation-based classification and grading system for meningioma: a multicentre, retrospective analysis. Lancet Oncol 18, 682-694 (2017). https://doi.org:10.1016/S1470-2045(17)30155-9
28. Jenkinson, M. D. et al. The ROAM/EORTC-1308 trial: Radiation versus Observation following surgical resection of Atypical Meningioma: study protocol for a randomised controlled trial. Trials 16, 519 (2015). https://doi.org:10.1186/s13063-015-1040-3
29. Mair, M. J., Berghoff, A. S., Brastianos, P. K. & Preusser, M. Emerging systemic treatment options in meningioma. J Neurooncol 161, 245-258 (2023). https://doi.org:10.1007/s11060-022-04148-8
30. Wirsching, H. G. & Weller, M. Immunotherapy for Meningiomas. Adv Exp Med Biol 1416, 225-234 (2023). https://doi.org:10.1007/978-3-031-29750-2_17
31. Kaley, T. J. et al. Phase II trial of sunitinib for recurrent and progressive atypical and anaplastic meningioma. Neuro Oncol 17, 116-121 (2015). https://doi.org:10.1093/neuonc/nou148
32. Shih, K. C. et al. A phase II trial of bevacizumab and everolimus as treatment for patients with refractory, progressive intracranial meningioma. J Neurooncol 129, 281-288 (2016). https://doi.org:10.1007/s11060-016-2172-3
33. Seystahl, K. et al. Somatostatin receptor-targeted radionuclide therapy for progressive meningioma: benefit linked to 68Ga-DOTATATE/-TOC uptake. Neuro Oncol 18, 1538-1547 (2016). https://doi.org:10.1093/neuonc/now060

Längeres Überleben dank Mammographiescreening

Der Kanton St. Gallen führte 2010 ein bevölkerungsbasiertes qualitätskontrolliertes Mammographiescreening-Programm unter dem Namen «donna» ein. Dieses Programm wurde später auf die Kantone Graubünden, Bern, Solothurn, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden und ab 2025 auf den Kanton Schaffhausen ausgeweitet. Die Daten zur Evaluation des Programms belegen, dass im Screening entdeckte Mammakarzinome ein früheres Tumorstadium aufwiesen, weniger aggressiv behandelt werden mussten und dass diese Frauen nach ihrer Brustkrebsdiagnose deutlich länger lebten (1).

In 2010, the canton of St. Gallen introduced a population-based, quality-controlled mammography screening program under the name “donna”. This program was later extended to the cantons of Graubünden, Bern, Solothurn, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden and, from 2025, to the canton of Schaffhausen. Data from the evaluation of the program show that breast cancers detected during screening had an earlier tumor stage, required less aggressive treatment and that these women lived significantly longer after their breast cancer diagnosis (1).
Key words: mammography screening, “donna”, breast cancer

Einleitung

Die Brustkrebsfrüherkennung mit bevölkerungsbasierten organisierten Mammographiescreening-Programmen (MSP) entspricht europäischen und nationalen Empfehlungen, so auch der Schweizerischen Krebsliga. Nachdem randomisiert kontrollierte Studien in den 1970er und 1980er Jahren gezeigt hatten, dass MSP die Brustkrebs-Sterblichkeit um 15 bis 20 % verringern (2), wurden seit den 1980er Jahren in vielen europäischen Ländern MSP eingeführt – in der Schweiz bereits 1999 (3) in einigen französischsprachigen Kantonen und im Jahre 2010 auch in der Deutschschweiz, zuerst im Kanton St. Gallen. Aktuell gibt es in der Schweiz in 15 Kantonen MSP, und in drei weiteren wird die Einführung vorbereitet.

Einen Rückschlag erlitt die Einführung weiterer Programme in der Schweiz durch den 2013 erschienenen Bericht des «Swiss Medical Boards» (4), der von der Einführung neuer Programme abriet und empfahl, existierende Programme auslaufen zu lassen. Die sinkende Mortalität an Brustkrebs sei nur bedingt eine Folge des Screenings und das Kosten-/Nutzenverhältnis sei ungünstig, vor allem wegen falsch positiver und falsch negativer Befunde. Wissenschaftlich waren diese Aussagen von Anfang an umstritten (5) und gelten heute als überholt.

Das Mammographiescreening-Programm «donna»

Im Brustkrebsfrüherkennungsprogramm «donna», das von der Krebsliga Ostschweiz im Auftrag von sieben Kantonen durchgeführt wird, erhalten Frauen im Alter von 50 bis 69 bzw. in einigen Kantonen bis 74 in zweijährlichen Abständen einen Einladungsbrief für eine Screeningmammographie.

Die Teilnahmerate der eingeladenen Frauen bewegt sich um die 50 %. In der Schweiz ist es möglich, Vorsorgeuntersuchungen auch ausserhalb der kantonal organisierten Screeningprogramme vorzunehmen. Dieses opportunistische Screening wird je nach Jahr von 13 % bis 21 % der Frauen wahrgenommen. Der Anteil der Frauen, welche insgesamt Vorsorgeuntersuchungen in Bezug auf Brustkrebs durchführen, ist deswegen deutlich höher und mit europäischen MSP vergleichbar, wo Vorsorgeuntersuchungen nur im Rahmen eines MSP möglich sind oder vergütet werden.

In den letzten 40 Jahren konnten in der Diagnose und Behandlung von Brustkrebs bedeutende Fortschritte erzielt werden, sodass trotz steigender Inzidenz deutlich weniger Frauen an Brustkrebs sterben. Die Einführung von zertifizierten Brustzentren hat zusätzlich zu diesem Befund beigetragen.

Ausländische europäische Studien belegen die Wirksamkeit aktueller Screeningprogramme (6, 7) in Bezug auf Überleben und sogar Kosteneffektivität (8). Aus ethischen Gründen kann heutzutage die Effektivität eines MSP nicht mehr in einer randomisierten Studie geprüft werden. Um einen Überblick im aktuellen schweizerischen Kontext zu gewinnen, haben wir deshalb Daten unseres MSP «donna» in Kooperation mit der School of Medicine der Universität St. Gallen ausgewertet.

Analyse der eigenen Daten

Wir haben alle Brustkrebsfälle seit dem Start des MSP, d.h. von 2010 bis 2019 in den Kantonen St. Gallen und Graubünden ausgewertet. Hierzu haben wir Karzinome von Frauen, die am MSP teilgenommen haben, mit Karzinomen von Frauen verglichen, welche nicht am MSP teilgenommen haben. Durch Abgleich der Daten von «donna» mit registrierten Brustkrebsfällen bis 2021 im Krebsregister Ostschweiz und Graubünden-Glarus konnten Informationen über die Tumorstadien, Histologie, Behandlung und das Überleben der Frauen ermittelt werden. Dies ermöglichte es uns auch, Intervallkarzinome zu identifizieren. Die Screening-Mammographien wurden von zwei Radiologen unabhängig voneinander beurteilt. Falls einer oder beide eine abklärungswürdige Auffälligkeit feststellten, wurde die Mammographie in einer Konsensuskonferenz unter Leitung eines dritten Radiologen besprochen. Dies geschah in ca. 10 % der Fälle. Eine Empfehlung für weitere Abklärungen erfolgte bei weniger als 3 % aller Mammographien. Nur in etwa 20 % dieser weiteren Abklärungen war das Ergebnis eine Karzinomdiagnose, was etwa 6 von 1000 Mammographien im MSP entspricht.

Insgesamt wurde in diesem Zeitraum bei 2558 Frauen zwischen 50 und 69 Jahren in den Kantonen St. Gallen und Graubünden Brustkrebs diagnostiziert, bei 1057 davon innerhalb und bei 1501 ausserhalb des MSP. Das mittlere Alter dieser Brustkrebspatientinnen war innerhalb des MSPs um 1.4 Jahre niedriger (59.3 vs. 60.7).

Entdeckte Karzinome von Frauen im MSP waren kleiner (19.3 mm vs. 23.3 mm), wiesen seltener einen Lymphknotenbefall auf (26.1 % vs. 42.4 %, d.h. fast 40 % weniger), und es gab bedeutend weniger prognostisch ungünstigere fortgeschrittene Stadien III und IV mit 8.6 % vs. 22.9 %. Es fanden sich innerhalb des MSP doppelt so häufig in situ Karzinome (17.5 % vs. 8.7 %; siehe Abb. 1 Stadienverteilung).

10 Jahre nach Einführung des Screenings zeigte sich insgesamt eine prognostisch deutlich bessere Stadienverteilung bei allen Frauen zwischen dem 50. und 70. Altersjahr (Abb. 2) unabhängig von der Teilnahme am MSP. Fortgeschrittene Stadien III und IV nahmen zusammen von 22 % um fast ein Drittel auf 15 % ab.

Das Tumorstadium bei Brustkrebs ist ein wesentlicher Prognosefaktor und wirkt sich auch auf die Behandlungsmöglichkeiten aus. Bei Karzinomen von Frauen innerhalb des MSP wurden nur etwa halb so viele Mastektomien durchgeführt als in der nicht durch «donna» gescreenten Gruppe (8.8 % vs. 18.6 %). Des Weiteren wurden fast ein Viertel weniger adjuvante Chemotherapien durchgeführt (33.7 % vs. 44.1 %).
Ob solche bereits schnell nach Einführung eines Screeningprogramms feststellbare Stadienverbesserungen zu einem längeren Überleben führen, kann erst nach einer längeren Beobachtungszeit festgestellt werden. Die Kaplan-Meier-Kurve über 10 Jahre zeigt deutlich günstigere Überlebenskurven von Brustkrebspatientinnen mit Teilnahmen am MSP (Abb. 3).

Die Überlebensrate nach 10 Jahren von Frauen, welche am MSP teilnahmen, und eine Brustkrebsdiagnose erhielten, war 91.4 % im Vergleich zu 72.1 % von Frauen, die nicht am MSP teilnahmen (hazard ratio (HR): 0.271).

Der Vergleich einer gescreenten Population mit der nicht gescreenten kann zu Verzerrungen führen, konkret zu den sogenannten «Lead-time und Length Biases». Da Karzinome in einem Früherkennungsprogramm zu einem früheren Zeitpunkt entdeckt werden, führt dies zu einem längeren Überleben, selbst wenn die frühere Erkennung und die anschliessende Therapie keinen Einfluss haben. Zudem werden typischerweise in der Früherkennung Karzinome entdeckt, vor allem die «in situ Karzinome» mit einem deutlich besseren Verlauf.
Diese Verzerrungen können mathematisch korrigiert werden (1, 9). Auch nach dieser rechnerischen Korrektur von «Lead-time» und «Length» fanden wir einen signifikanten 10-Jahres-Überlebensunterschied (84.7 % vs. 72.1 %). Eine Teilnahme am Screeningprogramm brachte somit eine Reduktion der Sterblichkeit um ca. 45 % (HR: 0.550).

Hiermit konnte erstmalig auch für ein Schweizer Programm ein längeres Überleben von Frauen mit Brustkrebs in der Screeninggruppe dokumentiert werden. Diese Resultate werden unterstützt durch neuere ausländische Studienresultate, welche auch bedeutende Risikoreduktionen in der gescreenten Population zeigten mit einer korrigierten HR um 0.4 (10, 9).

Das verbesserte Überleben in der gescreenten Gruppe ist grösstenteils durch die bessere Stadienverteilung zu erklären. Überraschenderweise sehen wir in unseren Daten auch bei einem Stadien-adjustierten Vergleich noch Unterschiede zwischen den zwei Gruppen. Über deren Ursache kann nur spekuliert werden. Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass dieser Unterschied durch die signifikant häufiger in zertifizierten Brustzentren durchgeführte Behandlung erklärt werden kann. Positiv gesehen, werden nun fast alle Brustkrebspatientinnen in zertifizierten Brustzentren behandelt.

Eine weitere Erklärung unserer Ergebnisse könnte sein, dass sich die gescreenten von den nicht gescreenten Frauen soziokulturell unterscheiden können. Das schlechtere Überleben in letzterer Gruppe könnte somit durch eine höhere Sterblichkeit an anderen Todesursachen, wie zum Beispiel kardiovaskulären Gründen, verursacht sein. Wenn jedoch die Brustkrebs-bezogene Sterblichkeit untersucht wird, bleiben die Unterschiede zwischen den Gruppen ganz ähnlich wie bei der Sterblichkeit durch alle Todesursachen.
In unserem Kollektiv fanden sich 265 Intervallkarzinome, dies entspricht 21 % der in der gescreenten Gruppe aufgetretenen Karzinome. Die Mehrzahl wurde im zweiten Jahr nach der Screeningmammographie entdeckt. Diese Karzinome waren grösser und aggressiver (z. B. wiesen sie einen höheren Ki-67 Proliferationsindex auf), und zeigten somit einen etwas schlechteren ­Verlauf als Karzinome, welche zum Zeitpunkt der Screeningmammographie entdeckt wurden. Als Risikofaktoren für Intervallkarzinome fanden wir eine erhöhte Brustdichte und eine positive Familienanamnese. Mit zunehmendem Alter der Frauen wurde dieses Risiko geringer, was mit der altersabhängig abnehmenden Brustdichte und somit leichteren Diagnosemöglichkeit durch Mammographien zusammenhängen kann.

Schlussfolgerung und Ausblick

Die Auswertung des MSP «donna» belegt mit neuen Daten für die Schweiz, dass durch die Teilnahme am Programm Brustkrebs in einem früheren Stadium diagnostiziert werden kann, was eine weniger belastende Therapie mit besseren Heilungschancen und somit deutlich verbessertem Überleben ermöglicht.

Diese Studienresultate unterstreichen die Relevanz von Screeningprogrammen und zeigen Verbesserungsmöglichkeiten auf. Zum Beispiel könnten alternative oder zusätzliche Untersuchungen bei dichter Bruststruktur die Krebsentdeckungsraten erhöhen. Darüber hinaus könnte auch eine diagnostische Software basierend auf künstlicher Intelligenz die Sensitivität des Programms erhöhen, aber auch durch Analyse der Bruststruktur das Risiko für die Entstehung von Brustkrebs im Zeitraum bis zur nächsten Mammographie berechnen. Der Einsatz künstlicher Intelligenz als Unterstützung in Screeningprogrammen (11) wird daher aktuell in retrospektiven und prospektiven Studien untersucht.

Dr. med. Rudolf Morant  1
Jonas Subelack  2
Marcel Blum  1,2
Prof. Dr. Alexander Geissler  2
Dr. David Kuklinski  2
1 Krebsliga Ostschweiz, Flurhofstrasse 7, 9000 St. Gallen
2 School of Medicine (MED-HSG), St. Jakob-Strasse 21, 9000 St. Gallen

Dr. med. Rudolf Morant

Krebsliga Ostschweiz
Flurhofstrasse 7
9000 St. Gallen

R. Morant, und M. Blum arbeiten für die Krebsliga Ostschweiz, welche das Mammographiescreening-Programm «donna» wie auch das Krebsregister Ostschweiz betreibt.

Auch in der Schweiz zeigen sich bei einem bevölkerungsbasierten Mammographiescreening mit aktuellen Daten klare Vorteile:

  • Deutlich besseres 10-Jahres-Überleben (HR 0.55) von Frauen mit Brustkrebsdiagnose.
  • Brustkrebs wird in früheren Stadien entdeckt.
  • Weniger aggressive Therapien: 50 % weniger Mastektomien,
    fast 25 % weniger Chemotherapien.

1. Kuklinski D, Blum M, Subelack J, Geissler A, Eichenberger A, Morant R. Breast cancer patients enrolled in the Swiss mammography screening program “donna” demonstrate prolonged survival. Breast Cancer Res. 2024;26(1):84. doi:10.1186/s13058-024-01841-6
2. Myers ER, Moorman P. Benefits and Harms of Breast Cancer Screening: A Systematic Review. JAMA Internal Medicine. 2015;314:1615-1634.
3. Müller G, Leo C. Mammografiescreening in der Schweiz. Gynäkologie. (4/2023):6-10.
4. Swiss Medical Board. Systematisches Mammographie-Screening.; 2013. Accessed September 1, 2023. https://www.swissmedicalboard.ch/fileadmin/public/news/2013/bericht_smb_mammographie_screening_lang_2013.pdf
5. Vassilakos P, Catarino R, Boulvain M, Petignat P. Controversies in the mammography screening programme in Switzerland. Swiss Medical Weekly. 2014;144(1718):w13969-w13969. doi:10.4414/smw.2014.13969
6. Njor S, Nyström L, Moss S, et al. Breast Cancer Mortality in Mammographic Screening in Europe: A Review of Incidence-Based Mortality Studies. J Med Screen. 2012;19(1_suppl):33-41. doi:10.1258/jms.2012.012080
7. Katalinic A, Eisemann N, Kraywinkel K, Noftz MR, Hübner J. Breast cancer incidence and mortality before and after implementation of the German mammography screening program. Intl Journal of Cancer. 2020;147(3):709-718. doi:10.1002/ijc.32767
8. Mühlberger N, Sroczynski G, Gogollari A, Jahn B, Pashayan N, Steyerberg E, Widschwendter M, Siebert U. Cost effectiveness of breast cancer screening and prevention: a systematic review with a focus on risk-adapted strategies. Eur J Health Econ. 22(8)(2021):1311-1344.
9. Duffy SW, Nagtegaal ID, Wallis M, et al. Correcting for Lead Time and Length Bias in Estimating the Effect of Screen Detection on Cancer Survival. American Journal of Epidemiology. 2008;168(1):98-104. doi:10.1093/aje/kwn120
10. Schumann L, Hadwiger M, Eisemann N, Katalinic A. Lead-Time Corrected Effect on Breast Cancer Survival in Germany by Mode of Detection. Cancers. 2024;16(7):1326. doi:10.3390/cancers16071326
11. Morant R, Gräwingholt A, Subelack J,Blum M, Geissler A, Kuklinski D. Der mögliche Nutzen künstlicher Intelligenz in einem organisierten bevölkerungsbezogenen Screeningprogramm: Erste Ergebnisse und Ausblick. Radiologie. Published online July 17, 2024. doi:10.1007/s00117-024-01345-6

Ausgewählte Studien aus der Hämato-Onkologie

Belantamab Mafodotin, Bortezomib und Dexamethason zur Therapie des rezidivierten bzw. refraktären Multiplen Myeloms

Hintergrund

Belantamab Mafodotin gehört in die Gruppe der sog. «antibody drugs conjugates (ADC)» und bindet am BCMA Antigen, welches in hoher Dichte auf Myelomzellen exprimiert wird. Seine Wirksamkeit in Kombination mit Standardtherapien zur Behandlung des rezidivierten bzw. refraktären Multiplen Myeloms (rrMM) ist unklar.

Methoden

In dieser offenen, randomisierten Phase 3 Studie wurde die Behandlung mit Belantamab Mafodotin, Bortezomib und Dexamethason (BVd) im Vergleich zu Daratumumab, Bortezomib und Dexamethason (DVd) bei rrMM Patient/-innen (> 1. Therapielinie) untersucht. Der primäre Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS). Wichtige sekundäre Endpunkte waren das Gesamtüberleben (OS), die Dauer des Ansprechens (DOR) und der Status der minimalen Resterkrankung (MRD).

Ergebnisse

Insgesamt wurden 494 Patient/-innen nach dem Zufallsprinzip für die Behandlung mit BVd (243 Pat.) oder DVd (251 Pat.) zugeteilt. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 28.2 Monaten betrug das mediane PFS 36.6 Monate in der BVd-Gruppe und 13.4 Monate in der DVd Gruppe (HR für das Fortschreiten der Krankheit oder den Tod: 0.41; P < 0.001). Das OS nach 18 Monaten betrug 84 % in der BVd-Gruppe und 73 % in der DVd-Gruppe. Ein komplettes Ansprechen oder besser sowie ein MRD-negativer Status trat bei 25 % der Patienten in der BVd-Gruppe und 10 % der Patienten in der DVd-Gruppe auf. Unerwünschte Ereignisse Grad 3 oder höher traten bei 95 % der Patient/-innen in der BVd-Gruppe und 78 % der Patient/-innen in der DVd-Gruppe auf. Okuläre Ereignisse traten in der BVd-Gruppe häufiger auf als in der DVd-Gruppe (79 % vs. 29 %). Diese Ereignisse wurden mit Dosisanpassungen behandelt und die Verschlechterung der Sehschärfe klang meistens wieder ab.

Schlussfolgerung

Im Vergleich zur DVd-Therapie zeigte die BVd-Therapie einen signifikanten PFS-Vorteil bei rrMM Patient/-innen nach mindestens einer Therapielinie. Die meisten Patient/-innen wiesen jedoch Grad 3 unerwünschte Ereignisse auf.

Literatur
V. Hungria et al., N Engl J Med 2024;391:393-407. DOI: 10.1056/NEJMoa2405090

Studie
Finanziert von GSK; DREAMM-7 ClinicalTrials.gov-Nummer, NCT04246047; EudraCT-Nummer, 2018-003993-29.

Belantamab Mafodotin, Pomalidomid und Dexamethason zur Therapie des rezidivierten bzw. refraktären Multiplen Myeloms

Hintergrund

Dreifach- oder Vierfachtherapien mit Proteasom-Inhibitoren, Immunmodulatoren und Anti-CD38-Antikörpern haben bei Patient/-innen mit neu diagnostiziertem multiplem Myelom zu einer verlängerten Überlebenszeit geführt; die meisten Patienten/innen erleiden jedoch einen Rückfall. Gerade die Erstlinientherapie mit Lenalidomid hat die Zahl der Patient/-innen mit lenalidomidrefraktären Erkrankungen zum Zeitpunkt des ersten Rückfalls erhöht und neue Therapiekonzepte müssen daher für dieses Kollektiv entwickelt werden.

Methoden

In dieser randomisierten, offenen Phase 3 Studie wurde die Behandlung mit Belantamab Mafodotin, Pomalidomid und Dexamethason (BPd) im Vergleich zu Pomalidomid, Bortezomib und Dexamethason (PVd) bei Lenalidomid-exponierten Patient/-innen, die nach mindestens einer Therapielinie ein rezidiviertes oder refraktäres Multiples Myelom (rrMM) aufwiesen untersucht. Der primäre Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS). Auch das Ansprechen auf die Krankheit und die Sicherheit wurden bewertet.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 302 Patienten randomisiert; 155 in der BPd Gruppe und 147 in der PVd-Gruppe. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 21,8 Monaten (Spanne, < 0.1 bis 39.2) betrug das geschätzte 12-Monats-PFS für die BPd-Gruppe 71 % verglichen mit 51 % für die PVd Gruppe (HR für Krankheitsprogression oder Tod: 0.52; P < 0.001). Der Prozentsatz der Patienten/innen mit Ansprechen auf die Behandlung (partielles Ansprechen oder besser) betrug 77 % in der der BPd-Gruppe und 72 % in der PVd-Gruppe; 40 % bzw. 16 % hatten ein vollständiges oder besseres Ansprechen. Unerwünschte Ereignisse Grad 3 oder höher traten bei 94 % der Patient/-innen in der BPd-Gruppe und 76 % der Patient/-innen in der PVd-Gruppe auf. Die Häufigkeit okulärer Ereignisse betrug 89 % für die BPd-Patient/-innen (Grad 3 oder 4 bei 43 %) und 30 % für die PVd-Patient/-innen (Grad 3 oder 4 bei 2 %); die okulären Ereignisse in der BPd-Gruppe wurden mit einer Belantamab-Mafodotin-Dosisanpassung behandelt. Okuläre Ereignisse führten zum Abbruch der Behandlung bei 9 % der Patienten in der BPd-Gruppe und bei keinem Patienten in der PVd-Gruppe.

Schlussfolgerung

Bei Lenalidomid-exponierten rrMM-Patient/-innen erbringt BPd einen signifikant größeren Nutzen als PVd hinsichtlich des PFS sowie ein tieferes und dauerhafteres Ansprechen. Okuläre Ereignisse traten häufig auf, waren jedoch durch eine Änderung der Belantamab-Mafodotin-Dosis kontrollierbar.

Studie
Finanziert von GSK; DREAMM-8 ClinicalTrials.gov-Nummer, NCT04484623; EudraCT-Nummer, 2018-004354-21.

Literatur
M. A. Dimopoulos et al., N Engl J Med 2024;391:408-21. DOI: 10.1056/NEJMoa2403407

Risiko von Zweittumoren und T-Zell-Lymphomen nach CAR-T-Zell-Therapie

Hintergrund

Das Risiko von Zweittumoren nach einer Therapie mit chimären Antigenrezeptoren (CAR) T-Zellen und insbesondere das Risiko von T-Zell-Neoplasmen im Zusammenhang mit der Integration des viralen Vektors in das Genom der T-Zelle kann ein Risiko darstellen.

Methoden

Die Autoren analysierten die Daten der adoptiven zellulären CAR-T-Zell-Therapien ihrer Institution seit 2016 und ermittelten das Auftreten von Zweittumoren. In einem Fall eines sekundären T-Zell-Lymphoms wurde ein breites Spektrum an molekularen, genetischen und zellulären Techniken eingesetzt, um den Tumor, die CAR-T-Zellen und die normalen hämatopoetischen Zellen des Patienten besser zu untersuchen.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 724 Patienten mit einer stattgehabten T-Zell-Therapie in die Studie aufgenommen. Ein tödliches T-Zell-Lymphom wurde bei einem Patienten identifiziert, der eine axicabtagene Ciloleucel-Therapie zur Behandlung eines diffus großzelligen B-Zell-Lymphoms erhalten hatte und beide Lymphome wurden eingehend profiliert. Jedes Lymphom wies molekular unterschiedliche Immunphänotypen und genomische Profile auf, aber beide waren positiv für das Epstein-Barr Virus und waren mit einer klonalen DNMT3A- und TET2-Mutation in der Hämatopoese verbunden. Bei der Anwendung verschiedener Techniken wurden keine Hinweise auf eine onkogene retrovirale Integration gefunden.

Schlussfolgerung

Die Ergebnisse unterstreichen die Seltenheit von Zweittumoren und bieten einen Rahmen für die Definition klonaler Beziehungen und die Überwachung viraler Vektor-basierter zellulärer Therapien.

Literatur
M. P. Hamilton et al, N Engl J Med 2024;390:2047-60. DOI: 10.1056/NEJMoa2401361

Studie
Finanziert durch das National Cancer Institute

Prof. Dr. med. Christoph Renner

Onkozentrum Hirslanden Zürich und Onkozentrum Zürich
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

Christoph.renner@hirslanden.ch

Ausgewählte Studien zu soliden Tumoren

Verbessertes Überleben mit adjuvanter Cyclooxygenase-2-Hemmung bei PIK3CA-aktiviertem Dickdarmkrebs im Stadium III: CALGB/SWOG 80702 (Alliance)

Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass die Einnahme von Aspirin oder Cyclooxygenase-2-Hemmern (COX-2) vor oder nach der Diagnose von Darmkrebs mit einem geringeren Rezidivrisiko einhergeht und dass der PIK3CA-Mutationsstatus eine Vorhersage für ein besseres Ansprechen auf die COX-2-Hemmung ist. Um prospektiv zu prüfen, ob die Zugabe des COX-2-Hemmers Celecoxib zur adjuvanten Standard-Chemotherapie das Rezidivrisiko verringert und die Überlebensrate verbessert, sponserte das National Cancer Institute die CALGB/SWOG-Studie 80702 (ClinicalTrials.gov-Kennung: NCT01150045) für Patienten mit reseziertem Dickdarmkrebs im Stadium III. Obwohl die primäre Hypothese für alle Patienten keine statistisch signifikante ­Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens (DFS) durch Celecoxib zeigte, wurde eine Subgruppenanalyse nach PIK3CA-Mutationsstatus als vorab geplante Studie durchgeführt. PIK3CA-
Gain-of-Function-Mutationen wurden in 259 von 1197 Tumoren mit verfügbaren Ganz-Exom-Sequenzierungsdaten nachgewiesen. Stratifiziert nach PIK3CA-Status zeigten Patienten mit PIK3CA-Gain-of-Function-Mutationen, die mit Celecoxib behandelt wurden, ein verbessertes DFS (bereinigte Hazard Ratio [HR], 0.56 [95 % CI, 0.33 bis 0.96]) im Vergleich zu PIK3CA-Wildtyp-Patienten (bereinigte HR, 0.89 [95 % CI, 0.70 bis 1.14]), obwohl der Interaktionstest nicht signifikant war (P interaction = 0.13). Das Gesamtüberleben war bei Patienten mit PIK3CA-Gain-of-Function-Mutationen ähnlich verbessert (bereinigte HR, 0.44 [95 % CI, 0.22 bis 0.85]) wie bei PIK3CA-Wildtyp-Patienten (bereinigte HR, 0.94 [95 % CI, 0.68 bis 1.3]; P interaction = 0.04). Obwohl der Test auf Heterogenität beim DFS keine statistische Signifikanz erreichte, deuten die Ergebnisse auf einen potenziellen Nutzen von PIK3CA hin, den selektiven Einsatz von COX-2-Inhibitoren zusätzlich zur Standardbehandlung von Dickdarmkrebs im Stadium III in Betracht zu ziehen.

Literatur
Nowak JA et al Improved Survival With Adjuvant Cyclooxygenase 2 Inhibition in PIK3CA-Activated Stage III Colon Cancer: CALGB/SWOG 80702 (Alliance). Journal of Clinical Oncology 2024 ;42, https://doi.org/10.1200/JCO.23.01680

Umweltverschmutzung in der Kardio-Onkologie und die Entschlüsselung des Umwelt-Nexus

Die jüngsten Fortschritte bei den Krebstherapien haben zwar die Lebenserwartung von Krebspatienten verlängert, aber auch neue Herausforderungen mit sich gebracht, darunter chronische Gesundheitsprobleme wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die durch bereits bestehende Risikofaktoren oder Krebstherapien verursacht werden. Infolgedessen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu einer der Hauptursachen für nicht krebsbedingte Todesfälle bei Krebspatienten geworden, was die rasche Entwicklung des Bereichs Kardio-Onkologie vorantreibt. Umweltfaktoren, insbesondere die Luftverschmutzung, tragen in erheblichem Masse zu Todesfällen im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmten Krebsarten, wie z. B. Lungenkrebs, bei. Trotz dieser Statistiken wurden die gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung im Zusammenhang mit der Kardio-Onkologie bei der Patientenversorgung und in der Forschung bisher weitgehend übersehen. Die Auswirkungen der Luftverschmutzung sind in den verschiedenen geografischen Gebieten und bei den einzelnen Personen sehr unterschiedlich, was zu verschiedenen Expositionsfolgen führt. Ziel einer kürzlich publizierten Übersichtsarbeit war es, die epidemiologischen und präklinischen Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Kardio-Onkologie zusammenzufassen und gleichzeitig die damit verbundenen gesundheitlichen Ungleichheiten und Fragen der Umweltgerechtigkeit zu untersuchen.

Fazit

• Die Belastung durch Luftverschmutzung wird sowohl mit Krebs als auch mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht.
• Luftverschmutzung ist ein übersehener umweltbedingter Risikofaktor für kardio-onkologische Erkrankungen.
• Luftverschmutzung kann mit verschiedenen gemeinsamen Risikofaktoren für Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen interagieren.
• Zur Verbesserung der kardioonkologischen Versorgung werden eine Bewertung der Luftverschmutzung und Interventionen empfohlen.

Literatur
Zhu W. et al. Air Pollution in Cardio-Oncology and Unraveling the Environmental Nexus: JACC: CardioOncology State-of-the-Art Review. JACC Journals › JACC: CardioOnc › Archives › Vol. 6 No. 3

Prof. Dr. med. Beat Thürlimann

Brustzentrum, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

Vernehmlassung: 2. Etappe zur Umsetzung der ­Volksinitiative «Für eine starke Pflege» (Pflegeinitiative)

Oncosuisse unterstützt die in die Vernehmlassung gegebene Variante 2. Nur der Master of Science in Advanced Practice Nursing ermöglicht es, sowohl den Anforderungen der Praxis und den Qualitätsstandards gerecht zu werden als auch die Sicherheit zu gewährleisten. Advanced Practice Nursing erfordert ein Niveau an theoretischen Kenntnissen und praktischen Kompetenzen, das nur durch den Master of Science (MSc) gewährleistet werden kann; dies gilt sowohl für erweiterte klinische Kompetenzen als auch für Kompetenzen in den Bereichen Forschung, klinische Führung, Beratung, Konsultationen in komplexen, unsicheren oder unvorhersehbaren Situationen oder auch die Entwicklung und das Management von integrierten Pflegemodellen.

Der Bundesrat hebt die Bedeutung der Einführung von Advanced Practice Nursing (APN) im Hinblick auf das Task Shifting und Task Sharing hervor und erklärt, es müsse berücksichtigt werden, dass Pflegeexpertinnen und -experten APN auch Aufgaben wahrnehmen können, die bis anhin den Ärztinnen und Ärzten vorbehalten waren. Diesbezüglich betont Oncosuisse, dass nur die Masterstufe diesen Anforderungen gerecht werden kann: Im Rahmen dieser Ausbildung besuchen die zukünftigen Pflegeexpertinnen und -experten APN einen Teil der Vorlesungen gemeinsam mit den angehenden Ärztinnen und Ärzten – diese medizinischen Elemente können nicht in den Strukturen der Berufsbildung vermittelt werden. Damit wird ihnen die Entwicklung von Kompetenzen ermöglicht, dank denen sie bestimmte Tätigkeiten übernehmen können, die bis anhin Ärztinnen und Ärzten vorbehalten waren, z. B. im Rahmen der Erstellung von Diagnosen. Ein in der Praxis nicht unwesentlicher Punkt ist zudem, dass Pflegeexpertinnen und -experten APN dadurch die Betreuung und Nachsorge von Patientinnen und Patienten übernehmen und so später auf Augenhöhe mit der Ärzteschaft zusammenarbeiten und für ein besseres gegenseitiges Verständnis und einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung sorgen können.

Wie im erläuternden Bericht des Bundesrates festgehalten wird, haben auf internationaler Ebene alle Länder, die die Berufsrolle der Pflegeexpertin oder des Pflegeexperten APN kennen, den Master of Science als Voraussetzung für den Erwerb dieses Titels festgelegt.
Ein Alleingang der Schweiz wäre insbesondere aus Gründen der Mobilität nicht zweckmässig.

Auf wissenschaftlicher Ebene beschreibt die Literatur die Vorteile von Modellen, die Pflegeexpertinnen und -experten APN auf Masterstufe einbeziehen, nicht nur für Patientinnen, Patienten und ihre Angehörigen, sondern auch für eine effiziente Organisation der Pflege. So legt der International Council of Nursing – die internationale Referenz in diesem Bereich – die Masterausbildung als Voraussetzung für die Anerkennung von APN fest: «Educational preparation beyond that of a generalist or specialised nurse education at a minimum requirement of a full master’s degree programme (master’s level modules taken as detached courses do not meet this requirement).»

Konkret ermöglicht die Ausbildung auf Masterstufe den zukünftigen Pflegeexpertinnen und -experten APN ein klares Profil mit den nachfolgend aufgeführten Kompetenzen, die für die vom Bundesrat angestrebte erweiterte Pflegepraxis erforderlich sind. Dieses klare Profil ist aus der Sicht der Effizienz des Gesundheitssystems sowohl für die Qualität der Pflege und die Patientensicherheit als auch für die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsfachleuten von entscheidender Bedeutung:

Erweitertes Clinical Reasoning und hohe Autonomie: Pflegeexpertinnen und -experten APN mit Masterabschluss sind darauf vorbereitet, einen strukturierten klinischen Ansatz anzuwenden, der auf einem fortgeschrittenen und autonomen Clinical Reasoning aufbaut und darin besteht, Anamnesen und körperliche und/oder geistige Untersuchungen durchzuführen, paraklinische Untersuchungen anzuordnen und zu interpretieren, diagnostische Hypothesen und endgültige Diagnosen aufzustellen, Medikamente zu verschreiben und die Medikation zu überwachen. Sie sind somit in der Lage, auch komplexe Patientenkohorten zu betreuen, was dazu beiträgt, die Effizienz des Gesundheitssystems zu steigern und den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verbessern.

Erweiterte klinische Kompetenzen: Die Ausbildung auf Masterstufe vermittelt die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, um komplexe klinische Entscheidungen zu treffen (Umsetzung von Versorgungsprojekten unter Einbezug mehrerer Gesundheitsfachkräfte in Situationen mit Multi-Komorbidität und in komplexen sozioökonomischen Kontexten [soziale und familiäre Unsicherheit, niedriges Bildung-/Verständnisniveau, Migrationshintergrund, Gewaltkontext] oder in unsicheren und unvorhersehbaren Pflegesituationen). Ebenso können sie fortschrittliche Pflegepraktiken anwenden (z. B. schrittweise Reduzierung von Medikamenten bei älteren Menschen), Diagnosen stellen und paraklinische Untersuchungen anordnen, interpretieren und überwachen.

Evidenzbasierte Praxis: In der Ausbildung auf Masterstufe wird der evidenzbasierten Praxis ein hoher Stellenwert eingeräumt. Dies ermöglicht es Pflegeexpertinnen und -experten APN, aktuelle Forschungsergebnisse in die klinische Praxis zu integrieren und die Qualität der Versorgung zu verbessern, wie mehrere Studien ergeben haben. Pflegeexpertinnen und -experten APN sind darauf vorbereitet, sich kontinuierlich für eine hervorragende Praxis zu engagieren, was auch die Planung ihrer Weiterbildungsaktivitäten miteinschliesst. Sie tragen aktiv zur Aus- und Weiterbildung ihrer Kolleginnen und Kollegen bei, indem sie ihr Wissen teilen und verbreiten. In diesem Sinne helfen sie mit, die Funktionsweise von Teams zu optimieren. Schliesslich unterstützen Pflegeexpertinnen und -experten APN die Entwicklung der Forschung in der Pflegewissenschaft, indem sie klinische Probleme identifizieren und bei der Entwicklung von Forschungsprotokollen und der Durchführung von Studien direkt mit Forschenden des Fachgebiets zusammenarbeiten.

Entwicklung und Umsetzung von Pflegemodellen: Pflegeexpertinnen und -experten APN mit Masterabschluss sind qualifiziert, neue Pflegemodelle zu entwickeln, umzusetzen und zu evaluieren, um die Qualität der Pflege für Patientinnen und Patienten zu verbessern.

Stärkung der Kompetenzen, Selbstmanagement der Patientinnen und Patienten, Risikominderung und Gesundheitsförderung: Pflegeexpertinnen und -experten APN mit Masterabschluss richten ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf die Fähigkeiten zum Selbstmanagement, die Therapietreue, die Dimensionen der Fragilität und Vulnerabilität, die familiäre und soziale Unterstützung und die Lebensqualität. Der MSc bereitet sie darauf vor, Patientinnen, Patienten und deren Angehörige sowie Gemeinschaften in komplexen Situationen im Zusammenhang mit Krankheit, Behandlung und möglichen symptombedingten Belastungen zu unterstützen und dabei das Selbstmanagement zu fördern. Pflegeexpertinnen und -experten APN evaluieren die Auswirkungen ihrer Interventionen und passen die Strategien entsprechend an. Sie können Massnahmen in den Bereichen Prävention, Risikominderung und Gesundheitsförderung entwickeln und umsetzen, z. B., um den Verbleib zu Hause zu sichern.

Interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit: Die Masterausbildung stärkt die Fähigkeit, effektiv mit anderen Gesundheitsberufen zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten, und dies auch auf internationaler Ebene und mit APN Gemeinschaften, die einen ähnlichen Ausbildungsstand haben. Mit dem MSc erwerben Pflegeexpertinnen und -experten APN die erforderlichen Kompetenzen, um bestehende oder potenzielle Herausforderungen in den angetroffenen Situationen zu erkennen, vollständige und genaue Informationen weiterzugeben, eine umfassende Betreuung zu planen und die Koordination zwischen den verschiedenen klinischen Umfeldern und zwischen den verschiedenen Berufsgruppen zu erleichtern. Pflegeexpertinnen und -experten APN tragen dazu bei, die Funktionsweise von Teams zu optimieren und die Kontinuität der Versorgung zu gewährleisten.

Führung, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit: Pflegeexpertinnen und -experten APN mit Masterabschluss sorgen für die Umsetzung von Massnahmen, die gerechte und nachhaltige Ansätze im Gesundheitsbereich fördern.

Die Variante 1, die parallele Strukturen zu den bereits bestehenden vorsieht, erhöht die Komplexität des Bildungssystems im Pflegebereich und beeinträchtigt seine Verständlichkeit nicht nur für Gesundheitsfachleute, sondern auch für Arbeitgeber. Sie erschwert die berufliche Orientierung. Um das Ziel einer beruflichen Weiterentwicklung der Pflegefachpersonen HF zu fördern, wäre es vielmehr sinnvoll, die bestehenden Passerellen zu stärken, um ihnen den Zugang zur Advanced Practice zu ermöglichen. Damit wäre es möglich, auf dem bestehenden System aufzubauen und interessante Perspektiven für die berufliche Weiterentwicklung zu bieten, während zugleich die mit der Variante 1 verbundene erhöhte Komplexität vermieden werden könnte. Hinzu kommt das Risiko, dass die Variante 1 mit einem Ausbildungssystem, das parallele Wege zu Advanced Practice Nursing umfasst, zu einer Erhöhung der Kosten für das Management dieses Systems und die Überwachung seiner Qualität führen könnte.

Weitere Informationen:
info@oncosuisse.ch
Link zur Stellungnahme: https://oncosuisse.ch/vernehmlassung-2-etappe-zur-umsetzung-der-volksinitiative-fuer-eine-starke-pflege-pflegeinitiative/

Dr. sc. nat. Michael Röthlisberger

Co-Gesamtprojektleiter NSK
Nationale Strategie gegen Krebs
c/o Oncosuisse
Effingerstrasse 40
Postfach
3001 Bern

michael.roethlisberger@nsk-krebsstrategie.ch

Tabus in der Onkologiepflege

Am diesjährigen OPS-Kongress standen Tabus im Mittelpunkt. Welche Themen wagen Patient/-innen, aber auch Gesundheitsfachpersonen oft nicht anzusprechen? Wie wirkt sich dieses Unaussprechliche auf die Lebens- und die Pflegequalität aus? Und sollen Tabus überhaupt überwunden werden? Mit diesen Fragen beschäftigten sich am Kongress namhafte Referent/-innen und über 600 Teilnehmende.

Begrüsst wurden die Kongressteilnehmenden von Prof. ­Manuela Eicher, Präsidentin Onkologiepflege Schweiz, Matthias Hellberg-Naegele, Co-Präsident der Akademischen Fachgesellschaft Onkologiepflege (AFO), und Natacha Szüts, Mitglied der AFO. Danach ging es gleich «in medias res»: Prof. Dr. med. Friedrich Stiefel, Leiter Klinik für Konsiliarpsychiatrie am Universitätsspital Lausanne, erläuterte den Umgang mit dem Tabu des Todes.

Was sind Tabus?

Tabus sind unausgesprochene Verbote, die beispielsweise Personen, Gegenstände, Handlungen oder Gedanken betreffen und das Darüber-Sprechen, Ansehen, Berühren oder Handeln verbieten. Als Teile von Kulturen beeinflussen Tabus das Weltverständnis, die soziale Ordnung und die Orientierung der Menschen. Fünf Männer prägten unser Verständnis von Tabus massgeblich (Tab. 1).

Hierzulande ist beispielsweise Inzest ein Tabu, und auch über den bevorstehenden Tod wird in der Regel nicht gesprochen. Hemmungen und Scham sind mit Tabus eng verknüpft. «Durch die Rationalisierung und Individualisierung werden Tabus stark abgebaut», erklärte Prof. Stiefel, «denn sie funktionieren nur in einer Gesellschaft mit starkem Zusammenhalt, in der viele das Gleiche denken.» Gleichzeitig kann man mit dem Brechen von Tabus grosse Aufmerksamkeit – unter anderem von Medien – generieren, was oft gezielt ausgenutzt wird.

Der Tod als Tabu

In unserer Gesellschaft ist der Tod ein Tabu. Dabei muss man unterscheiden zwischen dem anonymen und dem persönlichen Tod. Der anonyme Tod, der uns persönlich nichts angeht, ist in Krimis, im Fernsehen, in Serien und Filmen fast allgegenwärtig und dient der Unterhaltung. Der persönliche Tod hingegen, der Familienmitglieder, Freund/-innen oder Bekannte betrifft, wird oft «delegiert» an Spitäler und Pflegeheime. Grundsätzlich lässt sich das Todestabu nicht eliminieren, da Menschen im Gegensatz zu Tieren ein Bewusstsein für den Tod und daher auch Angst vor ihm haben.

Auch in der Medizin ist der Tod ein Tabu. «Als ich vor 35 Jahren Assistenzarzt war, war der Tod noch so stark tabuisiert, dass Sterbende auf der Visite nicht mehr besucht wurden. Kurz vor ihrem Tod stellte man sie im Bett ins Badezimmer, damit sie die anderen Patient/-innen nicht störten», erzählte der Referent. «Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei, doch der Umgang mit dem Tod ist immer noch schwierig.» Entweder gilt er als «Krankheit», die sich nicht beherrschen lässt, er wird im Rahmen von Sterbehilfe «kontrollierbar», oder man delegiert ihn an die Palliativmedizin. Es gibt heute zwar mehr Ratschläge und Empfehlungen rund um den Tod, aber es herrscht auch das Ideal des «stillen», akzeptierenden, konfliktlosen, dankbaren Todes. Ein Tod, der nicht so verläuft, gilt als «unguter» Tod.

Heute werden Tabus oft als Hindernisse betrachtet, die es zu überwinden gilt. Doch ist das wirklich so? Müssen Tabus in jedem Fall sinnvoll gebrochen werden? Und warum sind wir so davon überzeugt, dass wir sie überwinden müssen? Prof. Stiefel gab auf diese Fragen keine Antworten, sondern stellte sie als Denkanregungen in den Raum. Zum Abschluss betonte er: «Viele Menschen denken, es genüge, Tabus anzusprechen, um sie zu überwinden. Doch das ist nicht so.»

Screening zu psychosozialen Belastungen

In vielen Spitälern werden Patient/-innen auf ihre psychosoziale Belastung gescreent. So lässt sich im Idealfall frühzeitig erkennen, welche Personen im psychosozialen Bereich Beratung und/oder Unterstützung benötigen. Denn eine starke Belastung ist nicht nur für die betroffene Person nachteilig (geringere Lebensqualität, häufigere Therapieabbrüche, schlechtere Compliance etc.), sondern auch für ihr Umfeld. Das Instrument, das am häufigsten für das Screening eingesetzt wird, ist das Belastungsthermometer (BT). Wenn Pflegende mit Patient/-innen über die psychosoziale Belastung sprechen, geht es oft auch um Tabuthemen wie Finanzen, Tod oder Sexualität – die Tabuisierung kann verhindern, dass ein Screening überhaupt durchgeführt wird oder dass die Patient/-innen daran teilnehmen wollen. Anna Götz, Ph.D., Pflegeexpertin CCCZ und Pflege Ambulant, Universitätsspital Zürich (USZ), untersuchte diese Zusammenhänge am USZ. Am Kongress stellte sie die Ergebnisse ihrer Studie vor.

Am USZ werden 40 % der onkologischen Patient/-innen mittels BT gescreent. Dabei ergibt sich bei rund 47 % eine hohe Belastung (Cut-off-Wert > 5 Punkte). 9.4 % der betroffenen Personen werden an die Psychoonkologie überwiesen, 40 % an den Sozialdienst. Bei rund der Hälfte der stark belasteten Patient/-innen findet ein zweites Screening statt (Evaluation); 19 % verweigern ein zweites Screening. Nicht gescreent werden eher:

• Ältere resp. multimorbide Patient/-innen
• Patient/-innen, bei denen kulturelle oder sprachliche Barrieren bestehen
• Patient/-innen mit bekannten psychiatrischen Erkrankungen

Menschen mit psychiatrischen Krankheiten werden unter anderem deshalb seltener gescreent, weil die Pflegenden davon ausgehen, «dass diese ja schon einen Psychiater haben». Psychisch Kranke erhalten zur Therapie der psychosozialen Belastung auch weniger Psychopharmaka als andere Patient/-innen.

Hindernisse beim Screening

Der Zeitpunkt des Screenings wird individuell angepasst. Am Tag des Eintritts besteht manchmal noch ein ungenügendes Vertrauensverhältnis zwischen Pflegenden und Patient/-in. Als schwierig beim Screening empfinden Pflegende unter anderem, dass Räume für private Gespräche fehlen, dass zwischen ihrer Wahrnehmung und den Äusserungen der Patient/-innen eine Diskrepanz besteht, und dass es oft schwierig ist, die Angehörigen einzubeziehen. Damit wirklich gescreent wird, ist wichtig, dass das Screening in einer Institution auch gefördert wird; dafür braucht es genügend Informationen und Ressourcen, eine elektronische Screeningmöglichkeit, interprofessionelles Belastungsmanagement, Wissen über die Aufgaben der psychosozialen Dienste etc.

Mit dem Screening allein ist es aber nicht getan, denn das Ergebnis des Screenings muss sinnvolle Interventionen zur Folge haben. Auch hier gibt es verschiedene Stolpersteine, zum Beispiel wenn die Screeningresultate nicht gut dokumentiert werden können, wenn Pflegende ihre Zuständigkeit hinterfragen oder wenn in einem somatisch geprägten Umfeld psychosoziale Probleme als «nicht wichtig genug» gelten.
Eine Mehrheit der Personen, bei denen das Screening eine hohe Belastung zeigt, lehnt aus verschiedenen Gründen eine Überweisung an die Psychoonkologie ab (Tab. 2), doch ein Drittel ist unentschlossen. Dabei besteht auch das Problem des Nudging, also der subtilen Beeinflussung des Patientenwillens. «Wenn Angehörige beim Screening dabei sind, geben die Patient/-innen oft eine geringere Belastung an als wenn sie beim Screening mit der Pflegefachperson allein sind», erwähnte Frau Götz.

Wissen und Macht

Prof. Dr. psych. Francesca Bosisio, Hochschule für Ingenieurwesen und Management des Kantons Waadt, und Laure Bonnevie, Gründerin von «Histoire de mots», Lausanne, informierten darüber, warum es während des Genesungsprozesses wichtig ist, über alle bestehenden Probleme diskutieren zu können. Patient/-innen müssen sich bei einer onkologischen Krankheit auf verschiedenen Ebenen an Neues anpassen. Die Erkrankung selbst, die Therapien, die Symptome und die daraus entstehenden Nachteile sind existenzielle Herausforderungen. Daneben müssen die Betroffenen einen kohärenten Behandlungsverlauf mitgestalten (Termine einhalten, Unsicherheiten aushalten, Beziehungen aufbauen, Erklärungen verstehen etc.) und ihren Alltag neu organisieren. Fehlen den Patient/-innen Informationen, bedroht das ihre Autonomie. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Pflegende gut informieren und auch «unangenehme» Themen wie Geld, Sexualität und Tod ansprechen. Da Krebs bei immer mehr Menschen zu einer chronischen Krankheit wird, bleiben Belastungen über eine lange Zeit bestehen und können die Erholung und den Weg zu einer positiven Haltung behindern. Entscheidend beim «brechen» von Tabus ist, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient/-in und pflegender Person besteht.

Prognose einschätzen: mit Tools oder mit Bauchgefühl?

Die Prognose einer Patientin oder eines Patienten ist oft «The elephant in the room» – etwas, das immer mitschwingt, das sich aber niemand anzusprechen wagt. Fachpersonen fällt es oft schwer, über die Prognose zu sprechen, obwohl die Patient/-innen sich oft brennend dafür interessieren («Wie lange habe ich noch?»). «Viele Mediziner/-innen fürchten Prognosen, denn es handelt sich immer um Wahrscheinlichkeiten», sagte Dr. med. Andreas Ebneter, Kaderarzt Universitäres Zentrum für Palliative Care, Inselspital Bern. Oft sind Fachpersonen bei der Prognoseeinschätzung überoptimistisch. Die Prognosen werden mit den Berufsjahren resp. der Erfahrung der Fachperson genauer; besteht jedoch eine enge Beziehung zwischen Fachperson und Patient/-in, nimmt die Genauigkeit der Prognose ab.
Das Thema Prognose umfasst weit mehr als den zeitlichen Aspekt, denn es geht dabei nicht nur darum, wie lange ein Mensch noch lebt, sondern auch, wie er diese Zeit gestalten kann und wie seine Lebensqualität dabei ist. Das Einschätzen der Prognose sollte deshalb die «5 D» umfassen: Zeit bis zum Tod, Verlauf, Einschränkungen, Nebenwirkungen und Kosten (Tab. 3). Manche Aspekte lassen sich aber in der Regel nicht voraussagen:

• Zeitpunkt einer Komplikation
• Ausmass der Lebensbedrohung
• Subjektives Leiden und Angst der betroffenen Person
• Reaktionszeit der «Retter/-innen»
• Zustand nach einer Notfallbehandlung
• Auswirkungen auf das Denken, die Autonomie und die Funktionen der betroffenen Person

Verschiedene Tools können die Prognoseeinschätzung unterstützen, unter anderem ePrognosis (https://eprognosis.ucsf.edu/index.php), P-Cares-D und der Palliative Prognostic Score (PaP). Diese sind in verschiedenen Settings validiert und oft recht genau. «Aber kein Tool schneidet besser ab als die klinische Einschätzung, also das Bauchgefühl», erklärte Dr. Monica C. Fliedner, MSN, Pflegeexpertin APN Onkologie/Palliative Care, Co-Leiterin Universitäres Zentrum für Palliative Care, Inselspital Bern.

Prognose und Palliative Care

In der Palliative Care plant man bei Entscheidungsfindungen bei fortgeschrittenen Krankheiten doppelt: mit einem Gut- und einem Schlechtwetterplan, je nach Verlauf der Krankheit. Das Motto lautet: «Prepare for the worst, hope for the best». Diese Pläne können den Betroffenen die Angst nehmen, dass man irgendwann nichts mehr machen kann und sie dann von den Fachpersonen fallen gelassen werden. Den Fachpersonen nimmt die vorausschauende Planung die Angst, einer Patientin resp. einem Patienten nichts mehr anbieten zu können und hilflos zu sein.

Für die Vorausplanung sind drei Aspekte wichtig: Was der Mensch hat (Diagnose, Therapieoptionen), woran er leidet (problem- und funktionsorientiert) und wer er ist (individuelle, lebensgeschichtliche Faktoren). Man orientiert sich mehr an den Zielen, die erreicht werden sollen, und weniger an der Überlebenszeit. Dabei werden diagnosespezifische Massnahmen, beispielsweise eine palliative Chemotherapie, mit problem- und patientenspezifischen Massnahmen wie Symptommanagement kombiniert (Concurrent Care, CoCa). Die vorausschauende Planung ist quasi der Regenschirm, der hervorgeholt wird, wenn es regnet.

Dr. med. Eva Ebnöther
Medical Writing, Lektorin «Onkologiepflege»

Erstpublikation
in der Zeitschrift Onkologiepflege 02/2024