Rückblick und Ausblick: Wohin entwickelt sich die Kardio-Onkologie?

Der noch junge Bereich der Kardio-Onkologie hat über die letzten Jahre enorme Fortschritte gemacht. Die Verbesserung onkologischer und hämatoonkologischer Therapien mit einer grösser werdenden Anzahl von Langzeitüberlebenden und das wachsende Bewusstsein für Krebstherapiebedingte kardiovaskuläre Nebenwirkungen mit kurz- und langfristig überhöhter kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität waren Basis für die ersten Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardiology; ESC) zum Thema Kardio-Onkologie 2022 (1). Mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung möchten wir einen Überblick geben über die ersten Erfahrungen mit den Leitlinien im klinischen Alltag sowie einen Ausblick für die zukünftige Kardio-Onkologie.

During the past years, the still young field of Cardio-Oncology has made enormous progress. The increasing number of long-term cancer survivors due to improved oncological therapies as well as the growing awareness of cancer-therapy-related cardiovascular side effects and the excess cardiovascular morbidity and mortality in this patient segment formed the basis for the first international guidelines on Cardio-Oncology from the European Society of Cardiology (ESC) (1). More than a year after publication of these guidelines in 2022 we would like to reflect on the first experiences in everyday clinical practice and provide an outlook into the future of Cardio-Oncology.
Key Words: cardio-oncology, ESC Guideline, adverse cardiovascular events, risk assessment, primary and secondary prevention

Einführung

Krebserkrankte weisen eine erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität auf. Gemeinsame Risikofaktoren sowie Folgen potentiell kardiotoxischer Therapien gehören dabei zu den Hauptursachen. Die modernen und verbesserten Behandlungsoptionen auf dem Gebiet der Onkologie mit zunehmender Überlebenszeit nach der Krebsdiagnose rücken die kardiale Sicherheit für diese Patienten immer mehr in den Vordergrund. Umgekehrt zeigen Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen wie z.B. Herzinsuffizienz (2), Myokardinfarkt (3) oder reduzierter kardiovaskulärer Fitness (4) ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Krebsleidens. Die Schnittstellen sind multipel und vielfach nicht komplett verstanden.

Diese Beobachtungen bildeten die Basis für eine allgemeingültige, frühe und aggressive kardiovaskuläre Risikostratifizierung und Versorgung von Krebspatienten. Am ESC-Kongress in Barcelona 2022 wurden die neuen und ersten internationalen Guidelines für Kardio-Onkologie vorgestellt. Ein wichtiger und grundlegender Gedankenansatz dieser Leitlinien ist, dass es sich beim kardiovaskulären Risiko onkologischer Patienten um eine kontinuierliche Variable handelt, die sich über den gesamten onkologischen Behandlungsverlauf und darüber hinaus verändern kann. Ziel der Leitlinien ist es im Sinne eines proaktiven Ansatzes, das medizinisch-behandelnde Team von onkologischen Patienten vor, während und nach der Krebsbehandlung zu unterstützen, um kardiovaskuläre Nebenwirkungen optimalerweise zu verhindern oder zu minimieren (Abb. 1). Über 272 Empfehlungen sowie zahlreiche Strategien zur frühzeitigen Detektion und kardioprotektiven Behandlung werden uns an die Hand gegeben, fast 60% davon sind sogar als Klasse I-Empfehlungen formuliert. Allerdings gilt zu beachten, dass gross angelegte, randomisierte klinische Studien für das kardio-onkologische Patientenkollektiv weitgehend fehlen. Somit sind nur 3% der Empfehlungen mit dem Evidenzgrad (LOE) A versehen, und die meisten Empfehlungen basieren auf einem Experten-Konsensus oder kleineren Studien (LOE C: 76%). Nichtsdestotrotz liefern die Leitlinien mit Schaubildern und Algorithmen ein wertvolles, sehr ausführliches Nachschlagewerk. Über ein Jahr nach der Veröffentlichung dieser Guidelines ziehen wir eine kurze Bilanz bezüglich deren Anwendbarkeit im klinischen Alltag.

Wichtigste Punkte der Guidelines

Harmonisierung des Begriffs Kardiotoxizität

In der Vergangenheit bezog sich der Begriff «Kardiotoxizität» (Cancer Therapy-Related Cardiovascular Toxicity, CTR-CVT) vorwiegend auf eine myokardiale Dysfunktion und Herzinsuffizienz. In der ESC-Leitlinie wird – auf Grundlage der Definitionen der International Cardio-Oncology Society (IC-OS) (5) – betont, dass die CTR-CVT ein sehr breites Spektrum an kardiovaskulären Störungen umfasst, einschliesslich der koronaren Herzkrankheit, Herzklappenerkrankungen, Herzrhythmusstörungen, Perikarderkrankungen, autonomer Dysfunktion sowie systemischer und pulmonaler Hypertonie. Neu definiert, mit klaren Kriterien, wurde die myokardiale Dysfunktion basierend auf der Abnahme der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) und dem globalen longitudinalen Strain (GLS) sowie des Anstiegs kardialer Biomarker. Diese universelle Definition der Kardiotoxizität sowie deren Schweregrades ist grundlegend, um im klinischen Alltag im gesamten Behandlungsteam von Krebspatienten eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Schliesslich ist nicht selten die zentrale Frage bezüglich der onkologischen Therapie hiermit verknüpft: Abbrechen, unterbrechen oder weitermachen?

In der Onkologie wird aktuell die 6. Version der Common Terminology Criteria of Adverse Events (CTCAE) erwartet. Die Übernahme der Kardiotoxizitäts-Kriterien aus der ESC-Leitlinie ist zu erhoffen, da mit den Definitionen der CTCAE ebenfalls erhebliche praktische Auswirkungen für den Praxis- und Klinikalltag verbunden sind. Auch die Vergleichbarkeit in Studien- und Register-Daten wird erst durch eine breite Vereinheitlichung der Definitionen ermöglicht, was die Evidenzlage für zukünftige Empfehlungen in der Kardio-Onkologie qualitativ stark verbessern würde.

Baseline-Risk-Assessment vor Therapiebeginn

Ein wichtiger Input der Leitlinie ist die standardisierte Risikostratifizierung onkologischer Patienten noch vor Beginn der onkologischen Therapie. Denn erhält ein Patient die Diagnose «Krebs» ist eine Schlüsselfrage, wie ein Patient mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Toxizität identifiziert werden kann. Hier empfehlen die neuen Kardio-Onkologie-Leitlinien für 13 verschiedene Krebs

behandlungen (hierunter Chemotherapien, molekulare Therapien, Immuntherapien, hämatopoetische Stammzelltransplantation, Strahlentherapie u.a.) sowie im Fall einer Hormontherapie ein Baseline Risiko-Assessment als Basis für das weitere Monitoring und präventive Massnahmen (Abb. 2).

Einige Prädiktoren für kardiale Toxizität sind bekannt, wie z.B. Alter, Bluthochdruck, Diabetes, eine vorbestehend reduzierte systolische linksventrikuläre Funktion oder auch eine zurückliegende Anthrazyklin-haltige Therapie. Die Autoren der Guidelines verweisen zur einheitlichen Risikobewertung auf den Risiko-Kalkulator der Heart Failure Association (HFA) der ESC und der IC-OS (6). Dieser berücksichtigt Patienten-bedingte Faktoren wie kardiovaskuläre Risikofaktoren (KVRF), kardiovaskuläre Vorerkrankungen, EKG, Bildgebung, kardiale Biomarker sowie die onkologische Therapie. Je nach Resultat (niedriges, mittleres oder hohes/sehr hohes Risiko) werden in Folge Art und Umfang verschiedener Präventions- und Überwachungsstrategien empfohlen. Die ESC-Online-App ist mit dem interaktiven Risiko-Assessment Tool ein sehr geeignetes Hilfsmittel für die Risikostratifizierung im klinischen Alltag (https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/Guidelines-derivative-products/ESC-Mobile-Pocket-Guidelines).

Allerdings birgt das Baseline-Risiko-Assessment mehrere Hürden. Das vorgeschlagene Risiko-Assessment ist nie für diesen Zweck vollumfänglich validiert worden. Die tatsächliche Leistung und klinische Anwendbarkeit im Alltag sind jedoch zumindest für einige Patienten-Subgruppen gezeigt worden, so z.B. für Patienten mit geplanter Anthrazyklin-basierter Therapie (7) oder mit chronisch myeloischer Leukämie (CML) vor Tyrosin-Kinase-Inhibitor Therapie (8). Auch die Implementierung des Baseline Risk-Assessment in den Praxisalltag scheint erschwert. Denn es stellt sich in erster Linie die Frage, wer eigentlich für diese Risiko-Bewertung zuständig ist. Der kardiologische Fachkollege eher nicht; diese(r) wird in der Regel erst beigezogen, wenn bei einem Patienten bereits ein erhöhtes Risiko identifiziert worden ist. Im Gegenzug hat das onkologische Behandlungsteam kaum detaillierte Kenntnisse der Kardio-Onkologischen Guidelines der ESC und auch der Hausarzt rückt in der Phase einer neu diagnostizierten Tumorerkrankung zumindest passager in den Hintergrund. Ein weiteres Problem stellt der Zeitfaktor dar. Auch mit der besten Triage im kardiologischen Praxisalltag kommt es zu Wartezeiten und es ist kaum sinnvoll, auf die komplettierte Risikostratifizierung zu warten, bevor grünes Licht für den Therapiestart gegeben wird.

Primär-Prävention

Die Primär-Prävention beschäftigt sich mit der Frage, ob und wie Kardiotoxizität verhindert oder minimiert werden kann. Frühe Studien auf diesem Gebiet liessen einen Nutzen für die Herzfunktion durch den Einsatz von ACE-Hemmern (ACEI) und Betablockern (BB) erahnen. Neuere randomisierte Studien konnten jedoch nur eine geringe oder gar keine Wirkung neurohormonaler Inhibitoren in der Primär-Prävention zeigen. So fiel auch eine grosse Metaanalyse von 17 Studien wenig überwältigend aus (9). Zwar war die LVEF leicht höher unter der kardioprotektiven Therapie, die Resultate aber waren sehr heterogen, mit wenig absolutem Unterschied der LVEF. Ähnlich fiel das Ergebnis der Themen-gleichen Metaanalyse in der grossen Gruppe der Patientinnen mit Brustkrebs aus (10). Einschränkend muss bei der Interpretation dieser Studien jedoch berücksichtigt werden, dass die häufig kleine Patientenzahl und vor allem die sehr heterogene, meist jüngere und somit potentiell gesündere Studienpopulation als im real-world Setting möglicherweise zu falsch negativen oder unterschätzten Resultaten führen.

Somit müssen wir noch besser verstehen, welche Patienten von einer primär-präventiven Therapie profitieren. Dies gilt nicht nur für den Einsatz neurohormonaler Inhibitoren wie ACEI oder Angiotensin Rezeptor Blocker (ARB) und BB. Es existieren auch primär-präventive Studien mit Statinen. Während die PREVENT-Studie (11) bei vorwiegend Brustkrebspatientinnen keinen Schutzeffekt ergab, zeigte sich in der STOP-CA-Studie (12) für die prophylaktische Statin-Behandlung ein signifikanter Benefit mit einem deutlich niedrigeren Risiko für das Auftreten einer LV-Dysfunktion bei LymphomPatienten. Diese diskrepanten Resultate der beiden Studien implizieren, dass eine solche Strategie möglicherweise nur bei Hoch-Risiko-Patienten sinnvoll ist und veranschaulichen, dass künftige Studien mit gut durchdachtem Design in möglichst homogenen Patientenpopulationen für die Gewinnung weiterer Erkenntnisse notwendig sind.

Aktuell erlauben die existierenden klinischen Studien keine allgemeingültige Empfehlung einer breiten Verabreichung einer primär-präventiven kardioprotektiven Pharmakotherapie. Vielmehr sollte diese auf der Risikobewertung des einzelnen Patienten basieren und v.a. bei Hoch-Risiko-Patienten eingesetzt werden. Konsens besteht darin: um eine wirksame Krebsbehandlung mit wenig unnötigen Unterbrüchen zu ermöglichen, sollten bereits bestehende kardiovaskuläre Herz-Kreislauf-Probleme unbedingt angemessen behandelt sein. Aus dem Praxisalltag wissen wir um die hohe Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen und Risikofaktoren. Wenn man genauer hinschaut, bestehen auch häufig entsprechende medikamentöse Therapien bei Patienten mit onkologischer Erkrankung, allerdings sind KVRF in dieser Patientenpopulation grossteils nicht suffizient kontrolliert (13).

Monitoring während der Therapie

Zur Vermeidung von kardiovaskulären Problemen, bzw. Kardiotoxizität bei Patienten unter onkologischer Therapie wird in der ESC-Leitlinie eine Überwachung generell empfohlen. Wie zu vielen anderen fachspezifischen Risiko-Fragen wird zur Diagnostik subklinischer Auffälligkeiten der multimodale Ansatz verfolgt, also die Kombination aus Kontrolle der Vitalparameter, EKG, Echo oder MRT und kardialen Biomarkern. So finden sich zu 13 verschiedenen potentiell kardiotoxischen Therapien in den Guidelines übersichtliche Surveillance-Pläne. Je nach Ausgangsrisiko der Kardiotoxizität sind die Empfehlungen häufiger oder eben weniger häufiger Kontrollen aufgeführt. Diese Surveillance-Protokolle klingen zwar plausibel, sind im klinischen Alltag jedoch nicht einfach umzusetzen, wenn man der Ressourcen-Knappheit und Kosteneffizienz Rechnung tragen soll (14,15). Eine jeweilige Priorisierung scheint im Gesamtkontext unumgänglich.

Jede Methode zur Überwachung der Herzgesundheit hat ihre Stärken und Limitationen. Dies ist auch bei der Echokardiographie der Fall. Von der Arbeitsgruppe um P. Thavendiranathan (16) wurde gezeigt, dass die biplane LVEF-Bestimmung nach Simpson – wenn es um die frühe Detektion einer LV-Dysfunktion geht – ungenügend ist, weil sie erst grössere LVEF-Abnahmen valide feststellen kann und eine erhebliche Variabilität aufweist. Im Methodenvergleich hat die 3D-Methode am besten abgeschnitten, mit der kleinsten Variabilität von 6% gegenüber >10% der 2D-Analyse. Seit längerem wissen wir, dass bei der Überwachung der kardialen Funktion die Bestimmung des globalen longitudinalen Strain (GLS) helfen kann. Eine Veränderung des GLS kann der Abnahme der LVEF vorausgehen. Der Rückgang um 15% vom Ausgangswert wird als signifikant angesehen und deshalb wurde dieser Parameter in die ESC-Leitlinien aufgenommen. Aber wie steht es eigentlich um die Verfügbarkeit der empfohlenen Untersuchungen wie 3D Echo und Strain-Analyse? Nicht überall gehören sie in kleineren Spitälern oder kardiologischen Praxen zur Routine-Diagnostik.

Viele Fragen aus dem praktischen Alltag sind hier nicht geklärt und neue Fragen kommen auf. Für eine Brustkrebspatientin unter Her2-gerichteter Therapie gilt es z.B. 6 Echokardiographien zu planen, dies sogar unabhängig des Kardiotoxizitäts-Risikos (Klasse I). Mit der Einführung von Trastuzumab 2005 (erst bei metastasierten, dann auch im adjuvanten Setting) sah man zum Teil schwere Formen von kardialer Dysfunktion, wie man sie bis anhin nur von Anthrazyklinen kannte; und zwar in hohem Masse von fast 20% (17) bei gleichzeitiger Gabe von Anthrazyklinen und ca. 4-12% bei sequenzieller Gabe mit Anthrazyklinen (18). Mittlerweile kommen bei den Her2-positiven Mamma-Karzinom-Patientinnen mehr und mehr Anthrayzyklin-freie Therapie-Schemata zum Einsatz. Für die neueren Anti-Her2-Therapien (Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, bzw. Tyrosinkinase-Hemmer gegen Her2) zeigte sich in den Studien ein deutlich geringeres Kardiotoxizitätsrisiko mit <1% (z.B. DESTINY-Studien, u.a. nachzulesen in (19)). Für solche und andere Fragen wird das wachsende Interesse an neuen Parametern zur Identifizierung von Patienten mit erhöhtem Risiko einer «cancer therapy-related cardiac dysfunction» (CTRCD) klar.

Management im Fall einer Kardiotoxizität und Permissive Kardiotoxizität

Der «gesunde Menschenverstand» sagt, dass es eine gute Idee ist, die Patientengruppe mit onkologischer Erkrankung speziell zu überwachen. Über die frühe Detektion eines kardialen Problems hinaus stellt sich dann aber die Frage nach der «korrekten» Therapie. Wie sollen wir mit subklinischen Befunden und «geringeren Auffälligkeiten» wie z.B. einem asymptomatischen leichtgradigen Troponin-Anstieg umgehen? Sorge muss hier getragen werden, dass sich daraus nicht eine Über-Diagnostik oder Behandlungsodyssee ergeben. Denn es ist unklar, ob niederschwellig zu diagnostizieren und kardioprotektiv zu behandeln das Outcome tatsächlich verbessern. Aktuell fehlen hierzu die wissenschaftlich fundierten Daten. Und zu berücksichtigen gilt auch: nicht jedes Herzproblem, das unter Krebstherapie auftritt, ist der Behandlung oder der Tumor-erkrankung geschuldet.

Allerdings wissen wir, dass, wenn es Hinweise auf eine Kardiotoxiztiät oder LV-Dysfunktion unter Anthrazyklin-Therapie gibt, es Sinn macht, zeitnah zu handeln, um einen grösseren Myokardschaden zu verhindern und die Responder-Rate möglichst hochzuhalten (20, 21). Nachdem der 2D-GLS des linken Ventrikels mit robusten Daten bereits subklinische Myokardschäden entdecken und eine zukünftige CTRCD vorhersagen kann (22, 23), wurden die Ergebnisse des Succour-Trial gespannt erwartet (24). In dieser prospektiven randomisiert-kontrollierten Studie gab es 2 Studien-Arme zur Einleitung einer kardioprotektiven Therapie bei Patienten unter Anthrazyklin-haltiger Therapie. Es wurde ein GLS-basiertes Patienten-Management verglichen mit dem herkömmlichen LVEF-basierten Vorgehen. Je nach Resultaten im Echo-Monitoring erhielten die Patienten einen ACEI und BB. Man erhoffte sich, dass der früh-präventive Einsatz einer neurohumoralen Blockade ein besseres Outcome zeigt. Fast enttäuschend war jedoch das Resultat. Es ergab sich kein signifikanter Unterschied in den Patienten-Gruppen bezüglich LVEF-Veränderung und / oder Auftreten einer CTRCD. Bei der Nachbeobachtung kam es leider im Rahmen der Covid-Pandemie zu erheblichen Verlusten von Studienteilnehmern. Arco Teske, ein Kardiologe aus Utrecht, brachte die Resultate folgendermassen auf den Punkt: «Global longitudinal strain in cardio-oncology: worth our trouble or more trouble than it’s worth?» (25), unterstreicht jedoch in seinem Statement, dass der GLS unbedingt auch zukünftig als ein solider Parameter für die Risikostratifizierung Bedeutung hat. Inwieweit der GLS zur Steuerung einer kardioprotektiven Therapie hilft, muss jedoch weiter untersucht werden.

In Anlehnung an die jeweiligen ESC-Guidelines offerieren die Cardio-Oncology Guidelines im Falle einer Kardiotoxizät kompakt aufgeführte Behandlungsvorschläge. Obwohl für all diese Krankheits-Entitäten bereits Guidelines bestehen, die zwar nicht für kardio-onkologische Patienten validiert sind, macht dieser fokussierte Blick durch die kardio-onkologische Brille dennoch Sinn. So wird z.B. für einen Patienten, der unter Ibrutinib ein symptomatisches Vorhofflimmern entwickelt, aufgrund der hohen Vorhofflimmer-Rezidiv-Rate und möglicher medikamentöser Interaktionen eher ein primär Herzfrequenz-kontrollierender Ansatz in Betracht gezogen und die Form der Antikoagulation muss aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos Patienten-individuell geprüft werden. Die in den Guidelines aufgeführten Algorithmen und decision trees können im klinischen Alltag helfen. Die Leitlinien beschäftigen sich auch mit der Frage, bei welchem Patienten die Tumortherapie fortgeführt werden kann und bei wem diese pausiert oder gar komplett gestoppt werden muss. In enger Kooperation von Onkologen, Kardiologen und Hausärzten soll dies jeweils interdisziplinär diskutiert und entschieden werden.

Neu ist in diesem Zusammenhang das Konzept der «Permissiven Kardiotoxizität» 2022 formuliert worden (26). Es steht für eine Strategie, unter der es möglich ist, eine optimale lebensrettende Krebstherapie trotz auftretender Kardiotoxizität fortzusetzen. Beispiele hierfür kommen aus der grossen Patientinnengruppe mit Her2-positivem Mamma-Karzinom (SCHOLAR (27) und SAFE-HeaRT (28) Studie). Wir wissen, dass jeder Unterbruch der 12-monatigen Anti-Her2-gerichteten Therapie das Outcome für die Patientinnen verschlechtern kann (29). Das Konzept der permissiven Kardiotoxizität ist bereits in die Guidelines von 2022 aufgenommen worden: solange die LVEF nur leicht oder mässig beeinträchtigt ist und die Patientinnen keine relevanten kardialen (Herzinsuffizienz-)Symptome aufweisen, soll die anti-Her2-gerichtete Therapie unter Etablierung einer kardioprotektiven Therapie möglichst fortgeführt werden. Eine enge Kooperation der verschiedenen Fachteams (Kardiologie, Onkologie) ist bei solch schwierigen Fragen wichtig. Kürzlich sind die 3 Jahres-Daten aus der Arbeitsgruppe D.P. Leong aus Kanada zu diesem Thema veröffentlicht worden (30). Unter der kardioprotektiven Therapie konnten 92% der Patientinnen die onkologische Therapie komplett beenden. In den überwiegenden Fällen normalisierte sich die LVEF, in 14% blieb die LV-Dysfunktion bestehen. Ähnlich erfolgreiche Therapie-Fortsetzungen mit geeigneten protektiven Massnahmen sind auch für andere toxische Therapien gezeigt worden, wie z.B. für Vasospasmen unter 5-Fluoro-Uracil (31). Was es zukünftig und langfristig heisst, mit permissiver Kardiotoxizität zu arbeiten, bleibt offen.

Evidenz-Lücken und Ausblick

Das Bewusstsein für krebstherapiebedingte kardiovaskuläre Nebenwirkungen ist über die letzten Jahre gewachsen. Die ESC Guidelines
Kardio-Onkologie haben sich als praktischer Leitfaden mit einer umfangreichen Vollständigkeit der dringlichen Notwendigkeit zum strukturierten Vorgehen in der standardisierten Versorgung kardio-onkologischer Patienten angenommen. Sie sind somit ein wichtiger Meilenstein in der Kardio-Onkologie. Eine standardisierte Risiko-stratifizierung, Überwachung und Behandlungsstrategien im Falle von aufgetretener Kardiotoxizität sollen zur Verbesserung der Versorgung und des Outcomes in dieser Patientengruppe beitragen. Das ist die hervorragende Leistung des Autoren-Teams. Nun heisst es, die Guidelines zu leben, üben, überprüfen und lernen und die aufgezeigten Lücken in der Evidenz mit geeigneten, gut angelegten klinischen Studien zu adressieren. Sowohl die Forschung als auch die multidisziplinäre Zusammenarbeit und der enge direkte Austausch im Alltag nehmen hierbei eine zentrale Rolle ein und bilden eine wichtige Voraussetzung für die künftige Weiterentwicklung der Guidelines und der Kardio-Onkologie im Allgemeinen. Dies wird schliesslich helfen, die Langzeitprognose von Krebspatienten in Zukunft weiter zu verbessern.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Eva Scheler

Oberärztin mbF
Kantonsspital St.Gallen, Klinik für Kardiologie
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

Prof. Dr. med. Gabriela Kuster

Leiterin Kardio-Onkologie
Klinik für Kardiologie, Universitäres Herzzentrum
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel

gabriela.kuster@usb.ch

Die Autorinnen haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Neue Trends der Antikoagulation bei Vorhofflimmern

Der Beitrag beschreibt die Etablierung der direkten oralen Antikoagulantien (DOACs) als Standard zur Schlaganfallsprävention in medizinischen Richtlinien. Er betont ihre Wirksamkeit und verbesserte Sicherheit im Vergleich zu Vitamin K Antagonisten. Er erwähnt auch die Empfehlungen für den klinischen Einsatz von DOACs in verschiedenen Situationen und gibt einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen in diesem Bereich.

The article describes the establishment of direct oral anticoagulants (DOACs) as the standard for stroke prevention in medical guidelines. It emphasises their efficacy and improved safety compared to vitamin K antagonists. It also mentions the recommendations for the clinical use of DOACs in different situations and gives an outlook on future developments in this field.
Key Words: Anticoagulants, DOACs, stroke prevention, subclinical atrial fibrillation, dialysis

Seit Präsentation und Publikation der ersten Studie mit einem der dazumal neuen oralen Antikoagulantien (NOAC) – inzwischen treffender als ‘direkte orale Antikoagulantien’ (DOAC) bezeichnet – sind diese als Standard zur Schlaganfallsprävention in allen grösseren Richtlinien etabliert (1), basierend auf der mindestens gleich effektiven (wenn nicht besseren) Wirksamkeit sowie der deutlich verbesserten Sicherheit, insbesondere hinsichtlich der schwersten Blutungen verglichen mit Vitamin K Antagonisten (2–5). Zahlreiche Richtlinien und Positionspapiere wie der «European Heart Rhythm Association (EHRA) Practical Guide» geben darüber hinaus Tipps und Empfehlungen zum optimalen Einsatz dieser Substanzen im klinischen Alltag, inkl. Patienten mit Niereninsuffizienz, akuten Koronarsyndrom / Stenting, Kardioversion oder nach einem Schlaganfall (6, 7). In manchen Situationen ist hingegen einiges im Fluss; die vorliegende Übersichtsarbeit soll eine Übersicht über die klinisch relevantesten und im Alltag nicht selten vorkommenden Situationen geben, sowie über die weiteren in nächster Zeit zu erwartenden Entwicklungen.

Subklinisches Vorhofflimmern / Device-detektiertes Vorhofflimmern

Noch vor wenigen Jahren war die Diagnose des Vorhofflimmerns verhältnismässig einfach: Ein unregelmässig unregelmässiger Herzschlag, keine erkennbaren P-Wellen zwischen den QRS, idealerweise Nachweis von Flimmerwellen. Dies hat sich in letzter Zeit deutlich geändert, nicht zuletzt aufgrund der Versorgung von mehr und mehr Patienten mit implantierbaren kardialen Devices, sowie Smartwatches etc. Und auch wenn es kontra-intuitiv erscheint: Patienten mit asymptomatischem «Device-detektiertem» Vorhofflimmern auf ihren Schrittmachern oder ICDs haben ein tieferes Risiko eines Schlaganfalls als solche mit einer klinischen Vorhofflimmern-Diagnose. Zwei kürzlich erschienene Publikationen (NOAH und ARTESiA) konnten zeigen, dass bei diesen Patienten zwar das Risiko eines Schlaganfalls durch eine OAK (Orale Antikoagulation) verringert werden kann, das Risiko von Blutungen jedoch anstieg. Praktisch bedeutet dies, dass eine gute Risikostratifizierung – beispielsweise mittels CHADS-VASc Score – zu erfolgen hat: Nur bei Patienten mit hohem Schlaganfallsrisiko (und idealerweise niedrigem Blutungsrisiko) erscheint eine OAK bei Device-detektiertem Vorhofflimmern einen Netto-Nutzen zu bringen; ansonsten scheint das Risiko der Blutung zu überwiegen (Abbildung 1). Ab welchem «Burden» des Vorhofflimmerns, und ab welchem Risiko für einen Schlaganfall eine OAK sicher indiziert ist, bleibt aktuell unklar und ist Gegenstand weiterer Studien.

Gleichzeitig ist es sehr wichtig, von diesen asymptomatischen Zufallsdiagnosen das symptomatische Vorhofflimmern, welches ebenfalls auf einem Device festgehalten wurde, zu unterscheiden. Die meisten dieser durch einen Kardiologen oder Elektrophysiologen als Vorhofflimmern bestätigten Episoden würden auf einem zu diesem Zeitpunkt geschriebenen EKG ebenfalls einem Vorhofflimmern entsprechen. Das heisst, dass in diesen Fällen die klinische Diagnose ausschliesslich aufgrund logistischer Limitationen (kein EKG zur Verfügung) nicht gestellt wurde. Entsprechend erscheint die Behandlung dieser Patienten im Sinne eines klinischen Vorhofflimmerns gerechtfertigt – inkl. OAK und Rhythmuskontrolle, falls indiziert.

Jedoch muss bei den zunehmend beobachteten «Diagnosen» eines Vorhofflimmerns mittels Smartwatch genau zwischen der «Screening» Funktion (häufig mittels Plethysmographie) und der Diagnose eines symptomatischen Vorhofflimmerns mittels eigenständig aufgezeichnetem EKG unterschieden werden. Während die Implikationen von ersteren aktuell unklar ist (abgesehen vielleicht von einer erhöhten Vigilanz für eine allfällige klinische Rhythmusstörung), entspricht die Situation bei letzteren Patienten – wie oben erwähnt – de facto der eines klinischen Vorhofflimmerns. Bei der Diagnose eines VHF mittels Smartwatch oder anderen Patienten-aktivierten EKGs ist jedoch zu beachten, dass aufgrund der variablen und zum Teil markanten Filterung andere Massstäbe an die EKG Diagnose anzulegen sind. Gleichwohl ist die Diagnose durch erfahrene Kardiologen / Elektrophysiologen in aller Regel gut möglich.

Schwere Niereninsuffizienz / Dialyse

Das Risiko eines Schlaganfalls ist bei schwerer Niereninsuffizienz sowie an der Dialyse deutlich erhöht. Da die gegenwärtig verfügbaren DOACs in dieser Situation bisher nicht randomisiert untersucht worden waren, werden die meisten dieser Patienten mittels VKA behandelt. Hierbei wird jedoch nicht selten vergessen, dass auch für VKA nie eine adäquat gepowerte randomisierte Studie durchgeführt wurde, die einen Nettonutzen gegenüber Placebo hätte zeigen können. Denn auch das Blutungsrisiko dieser Patienten ist aufgrund verschiedener Mechanismen deutlich erhöht (8). Die Ergebnisse zweier Ende 2022 erschienenen Studien macht die Situation nicht einfacher: Auch für Apixaban – was mangels Alternativen nicht selten «off label» in solchen Situationen eingesetzt wird – konnte in der AXADIA sowie in der RENAL-AF Studie kein Benefit gegenüber VKA gezeigt werden (9, 10). Bedauerlich ist hierbei insbesondere, dass keine der beiden Studien einen Placeboarm hatten, so dass der Nettonutzen einer OAK überhaupt auch hier nicht untersucht werden konnte. Ebenso waren beide Studien underpowered, was insbesondere bei der RENAL-AF Studie auf eine weit unter den Erwartungen zurückbleibenden Rekrutierung zurückzuführen war. Dies ist umso erstaunlicher, als dass in Situationen fehlender klinischer Daten zur Entscheidungsfindung der Einschluss in eine Studie in aller Regel eine hervorragende Gelegenheit bietet, eben solche Daten zu generieren. Leider ist diese Chance erneut ungenutzt geblieben, so dass weiterhin keine Studiendaten existieren, die eine evidenz-basierte Entscheidungsfindung in dieser hoch vulnerablen Patientenpopulation erlauben würde. Dasselbe gilt für die häufig in dieser Situation eingebrachte Option eines perkutanen Vorhofohrverschlusses. In der Tat ist nicht nur die Sicherheit (deutlich erhöhtes Blutungsrisiko), als auch vor allen Dingen die Effizienz einer solchen lokal begrenzten Therapie bei diesen vaskulär und humoral schwer kranken Patienten völlig unklar und bisher nicht randomisiert untersucht. Daher sollte diese Therapie in der Abwesenheit von adäquat gepowerten randomisierten Endpunktstudien nur in Ausnahmefällen und nach ausführlicher Aufklärung (insbesondere der fehlenden Studiendaten) erfolgen.

«Valvuläres» Vorhofflimmern

Patienten mit mechanischen Herzklappen sowie mit mindestens mittelschwerer Mitralstenose sind von den grossen randomisierten Phase III Studien der DOACs aufgrund ihres hohen thromboembolischen Risikos ausgeschlossen gewesen.

Bei Patienten mit mechanischen Herzklappen scheint nunmehr – nach 2 weiteren negativen Studien – die Situation klar zu sein, dass VKA die Therapie der Wahl darstellen und DOACs kontraindiziert bleiben dürften (11, 12).

Bei (in der Regel postrheumatischen) Mitralstenose hingegen war die Situation lange Zeit weniger klar, bis 2022 in der INVICTUS Studie eine signifikant höhere Thromboembolierate sowie eine höhere Mortalität unter Rivaroxaban verglichen mit VKA gezeigt werden konnte (13). Die Daten sind eindeutig – allerdings nur für Patienten, welche prinzipiell in diese Studie eingeschlossen werden konnten. Dies beinhaltete insbesondere die Möglichkeit einer regelmässigen INR Kontrolle, und somit «access to care» – was von entscheidender Bedeutung ist, da es für viele der von post-rheumatischem Vorhofflimmern betroffenen Patienten genau nicht der Fall ist. Ob auch solche Patienten mit ‘unüberwachtem’ und somit fast zwangsläufig schlecht eingestelltem INR Wert eher von einem VKA als von einem DOAC profitieren bleibt auch nach der INVICTUS Studie unklar. Ob weitere Studien in dieser oftmals vernachlässigten, grossen Patientenpopulation durchgeführt werden ist fraglich – nicht zuletzt, da sie zu grossen Teilen in Ländern mit niedrigem bis mittleren Einkommen zu finden sind …

Faktor XIa Hemmer – die nächsten «NOACs»?

Obgleich mithilfe der aktuell eingesetzten DOACs (direkte Thrombin- bzw. Faktor Xa-Hemmer) ein klarer Benefit gegenüber VKA erzielt werden kann, ist insbesondere das Risiko für Blutungen nicht eliminiert. Um dieser Problematik zu begegnen, werden gegenwärtig grosse Phase III Studien der neuen NOACs durchgeführt, welche mittels Inhibition von Faktor XI/XIa die Gerinnung hemmen. Diese Therapie stellt ein prinzipiell hoch attraktives Konzept dar, da FXI/FXIa primär in der pathologischen Thrombusbildung, jedoch weitaus weniger in der physiologischen Hämostase involviert zu sein scheint (14). Daten sowohl aus Tiermodellen, als auch von Patienten mit angeborenem Faktor XI Mangel stützen diese Hypothese (15, 16). Phase II klinische Studien stützen das Konzept und zeigen eine erwartete niedrige Blutungsrate. Allerdings musste das Feld Ende 2023 einen Rückschlag hinnehmen: Eine der grossen Phase III Studien (OCEANIC-AF), in welcher der FXIa-Hemmer Asundexian mit Apixaban verglichen wurde, musste aufgrund unterlegener Effizienz des FXIa-Hemmers vorzeitig terminiert werden. Die Ursachen hierfür sind aktuell noch nicht klar; es kommen grundsätzlich 3 Erklärungen in Frage: Die Substanz, die untersuchte Dosis, oder das ganze Wirkprinzip. Es bleibt abzuwarten, wie die aktuell noch laufenden Studien zu den verbliebenen FXIa-Hemmern herauskommen. Zur Erinnerung: Auch das erste DOAC, der direkte Thrombinhemmer Ximelagatran, musste nach wenigen Wochen auf dem Markt 2006 zurückgezogen werden – wegen eines erhöhten Risikos einer Hepatotoxizität (welches mit den Folgesubstanzen nicht mehr beobachtet werden konnte). Es bleibt abzuwarten, wie sich die Zukunft der FXIa-Hemmer entwickelt.

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Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med.Jan Steffel

Swiss EP AG
Witellikerstrasse 40
8008 Zürich

J. Steffel hat Beratungs- und / oder Vortragshonorare erhalten von Abbott, Alexion, Astra-Zeneca, Bayer, Berlin-Chemie, Biosense Webster, Biotronik, Boehringer-Ingelheim, Boston Scientific, BMS, Daiichi Sankyo, Medscape, Medtronic, Menarini, Merck/MSD, Organon, Pfizer, Saja, Servier,und WebMD. Er ist Teilhaber der Swiss EP AG und von CorXL.
Dr. Steffel ist Mitglied des Executive Committees der OCEANIC-AF Studie (Asundexian vs. Apixaban zur Schlaganfallsprävention bei Vorhofflimmern).

1. Hindricks G, Potpara T, Dagres N, Arbelo E, Bax JJ, Blomstrom-Lundqvist C, Boriani G, Castella M, Dan GA, Dilaveris PE, Fauchier L, Filippatos G, Kalman JM, La Meir M, Lane DA, Lebeau JP, Lettino M, Lip GYH, Pinto FJ, Thomas GN, Valgimigli M, Van Gelder IC, Van Putte BP, Watkins CL, Group ESCSD. 2020 ESC guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the european association of cardio-thoracic surgery (EACTS). Eur Heart J. 2021 Feb 1;42(5):373-498. doi: 10.1093/eurheartj/ehaa612t
2. Connolly SJ, Ezekowitz MD, Yusuf S, Eikelboom J, Oldgren J, Parekh A, Pogue J, Reilly PA, Themeles E, Varrone J, Wang S, Alings M, Xavier D, Zhu J, Diaz R, Lewis BS, Darius H, Diener HC, Joyner CD, Wallentin L. Dabigatran versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med. 2009;361:1139-1151
3. Patel MR, Mahaffey KW, Garg J, Pan G, Singer DE, Hacke W, Breithardt G, Halperin JL, Hankey GJ, Piccini JP, Becker RC, Nessel CC, Paolini JF, Berkowitz SD, Fox KA, Califf RM. Rivaroxaban versus warfarin in nonvalvular atrial fibrillation. N Engl J Med. 2011;365:883-891
4. Granger CB, Alexander JH, McMurray JJ, Lopes RD, Hylek EM, Hanna M, Al-Khalidi HR, Ansell J, Atar D, Avezum A, Bahit MC, Diaz R, Easton JD, Ezekowitz JA, Flaker G, Garcia D, Geraldes M, Gersh BJ, Golitsyn S, Goto S, Hermosillo AG, Hohnloser SH, Horowitz J, Mohan P, Jansky P, Lewis BS, Lopez-Sendon JL, Pais P, Parkhomenko A, Verheugt FW, Zhu J, Wallentin L. Apixaban versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med. 2011;365:981-992
5. Giugliano RP, Ruff CT, Braunwald E, Murphy SA, Wiviott SD, Halperin JL, Waldo AL, Ezekowitz MD, Weitz JI, Spinar J, Ruzyllo W, Ruda M, Koretsune Y, Betcher J, Shi M, Grip LT, Patel SP, Patel I, Hanyok JJ, Mercuri M, Antman EM. Edoxaban versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med. 2013;386:2093-2104
6. Steffel J, Verhamme P, Potpara TS, Albaladejo P, Antz M, Desteghe L, Haeusler KG, Oldgren J, Reinecke H, Roldan-Schilling V, Rowell N, Sinnaeve P, Collins R, Camm AJ, Heidbuchel H, Group ESCSD. The 2018 European heart rhythm association practical guide on the use of non-vitamin k antagonist oral anticoagulants in patients with atrial fibrillation. Eur Heart J. 2018;39:1330-1393
7. Steffel J, Collins R, Antz M, Cornu P, Desteghe L, Haeusler KG, Oldgren J, Reinecke H, Roldan-Schilling V, Rowell N, Sinnaeve P, Vanassche T, Potpara T, Camm AJ, Heidbuchel H. 2021 European heart rhythm association practical guide on the use of non-vitamin k antagonist oral anticoagulants in patients with atrial fibrillation. Europace 2021 Oct 9;23(10):1612-1676. doi: 10.1093/europace/euab065.
8. Steffel J, Hindricks G. Apixaban in renal insufficiency: Successful navigation between the scylla and charybdis. Eur Heart J. 2012;33:2766-2768
9. Reinecke H, Jurgensmeyer S, Engelbertz C, Gerss J, Kirchhof P, Breithardt G, Bauersachs R, Wanner C. Design and rationale of a randomised controlled trial comparing apixaban to phenprocoumon in patients with atrial fibrillation on chronic haemodialysis: The axadia-afnet 8 study. BMJ open. 2018;8:e022690
10. Pokorney SD, Chertow GM, Al-Khalidi HR, Gallup D, Dignacco P, Mussina K, Bansal N, Gadegbeku CA, Garcia DA, Garonzik S, Lopes RD, Mahaffey KW, Matsuda K, Middleton JP, Rymer JA, Sands GH, Thadhani R, Thomas KL, Washam JB, Winkelmayer WC, Granger CB, Investigators R-A. Apixaban for patients with atrial fibrillation on hemodialysis: A multicenter randomized controlled trial. Circulation. 2022;146:1735-1745
11. Eikelboom JW, Connolly SJ, Brueckmann M, Granger CB, Kappetein AP, Mack MJ, Blatchford J, Devenny K, Friedman J, Guiver K, Harper R, Khder Y, Lobmeyer MT, Maas H, Voigt JU, Simoons ML, Van de Werf F, Investigators R-A. Dabigatran versus warfarin in patients with mechanical heart valves. N Engl J Med. 2013;369:1206-1214
12. Jawitz OK, Wang TY, Lopes RD, Chavez A, Boyer B, Kim H, Anstrom KJ, Becker RC, Blackstone E, Ruel M, Thourani VH, Puskas JD, Gerdisch MW, Johnston D, Capps S, Alexander JH, Svensson LG. Rationale and design of proact xa: A randomized, multicenter, open-label, clinical trial to evaluate the efficacy and safety of apixaban versus warfarin in patients with a mechanical on-x aortic heart valve. Am Heart J. 2020;227:91-99
13. Connolly SJ, Karthikeyan G, Ntsekhe M, Haileamlak A, El Sayed A, El Ghamrawy A, Damasceno A, Avezum A, Dans AML, Gitura B, Hu D, Kamanzi ER, Maklady F, Fana G, Gonzalez-Hermosillo JA, Musuku J, Kazmi K, Zuhlke L, Gondwe L, Ma C, Paniagua M, Ogah OS, Molefe-Baikai OJ, Lwabi P, Chillo P, Sharma SK, Cabral TTJ, Tarhuni WM, Benz A, van Eikels M, Krol A, Pattath D, Balasubramanian K, Rangarajan S, Ramasundarahettige C, Mayosi B, Yusuf S, Investigators I. Rivaroxaban in rheumatic heart disease-associated atrial fibrillation. N Engl J Med. 2022;387:978-988
14. Harrington J, Piccini JP, Alexander JH, Granger CB, Patel MR. Clinical evaluation of factor xia inhibitor drugs: Jacc review topic of the week. J Am Coll Cardiol. 2023;81:771-779
15. Preis M, Hirsch J, Kotler A, Zoabi A, Stein N, Rennert G, Saliba W. Factor xi deficiency is associated with lower risk for cardiovascular and venous thromboembolism events. Blood. 2017;129:1210-1215
16. Tucker EI, Marzec UM, White TC, Hurst S, Rugonyi S, McCarty OJ, Gailani D, Gruber A, Hanson SR. Prevention of vascular graft occlusion and thrombus-associated thrombin generation by inhibition of factor xi. Blood. 2009;113:936-944

Medikamentöse Therapie nach Myokardinfarkt

Beta-blocker nach Myokardinfarkt bei Patienten mit erhaltener Pumpfunktion

Studie REDUCE-MI: Der Einsatz von Betablockern als medikamentöse Langzeittherapie nach Myokardinfarkt beruht auf Studien, die vor der aktuellen modernen Behandlung durchgeführt wurden. Ob Betablocker heutzutage nach erfolgreicher Revaskularisation mittels primärer PCI bei erhaltener Pumpfunktion (LV EF >50 %) einen Nutzen bringen, ist nicht klar.
Eine grosse internationale Studie (REDUCE-MI) randomisierte 5020 Patienten mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI) und NSTEMI nach erfolgreicher Revaskularisation zu Betablocker oder kein Betablocker in der Nachbehandlung (1). Alle Patienten wurden koronarografiert und über 99 % mittels PCI oder ACBP revaskularisiert. Die verwendeten Betablocker waren 100 mg Metoprolol oder 5 mg Bisoprolol. Die Patienten wurden im Mittel 2 Tage nach Infarkt eingeschlossen und über 3.5 Jahre nachverfolgt. Es zeigt sich kein Unterschied im primären Endpunkt (Gesamtmortalität oder neuer Myokardinfarkt) (Betablocker 7.9 % vs. kein Betablocker 8.3 % (HR 0.96; 95 % Konfidenzintervall 0,79-1,16; P= 0,64). Für alle sekundären Endpunkte, wie kardiovaskulärer Tod, Hospitalisation für Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz, AV-Block, Einlage eines Schrittmachers ergab sich ebenfalls kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen.

Kommentar: Die Resultate kamen auf dem Hintergrund einer anderweitig exzellenten medikamentösen Sekundärprävention mit anti-thrombotischer und cholesterinsenkender Therapie sowie ACE-Hemmer Therapie zustande. Die tiefer als erwartete Ereignisrate führte zu weiten Konfidenzintervallen. Daher ist die Studie ein Hinweis, dass nach erfolgreicher Revaskularisation der Betablocker bei erhaltener Pumpfunktion wahrscheinlich keinen Zusatznutzen zur sonstigen Therapie bringt, aber der definitive Beweis ist mit dieser Studie noch nicht erbracht.

Empagliflozin nach Myokardinfarkt mit reduzierter Pumpfunktion und Zeichen der Herzinsuffizienz

Studie EMPACT-MI: Ob der frühe Einsatz des SGLT-2 Inhibitors Empagliflozin bei Patienten nach Myokardinfarkt, welche eine eingeschränkte Pumpfunktion, oder Zeichen einer Linksherzinsuffizienz entwickeln, einen Vorteil zusätzlich zur bisherigen medikamentösen Therapie bringen, wurde in EMPACT-MI Studie untersucht (2). Empagliflozin brachte keinen prognostischen Nutzen. Siehe «Cardio Flash» von Professor Otmar Pfister in dieser Ausgabe.

Kommentar: Die Ereignisrate für ein erneutes Ereignis war auch in dieser Studie tiefer als erwartet. Wie bei Patienten mit normaler Pumpfunktion scheint sich auch bei Patienten mit LV Dysfunktion die Prognose durch die gegenwärtig etablierte Myokardinfarktbehandlung gegenüber früheren Studien verbessert zu haben.

Etablierte Therapien müssen neu evaluiert werden!

Die gegenwärtig von den Guidelines der Fachgesellschaften etablierte Behandlung des Myokardinfarktes hat die Sterblichkeit und die kurze und mittelfristige Prognose stark verbessert. Diese Behandlung umfasst die schnelle, vollständige Revaskularisation mittels primärer PCI, gefolgt von einer medikamentösen Therapie mit doppelter Plättchenhemmung, Cholesterinsenkung, einer Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems und Betablockade sowie einer rigorosen Kontrolle der kardiovaskulären Risiko­faktoren.

Eine Erweiterung der etablierten Therapie mit dem Ziel die Prognose nach dem Herzinfarkt weiter zu verbessern scheint schwierig. So haben die oben vorgestellten und weitere Medikamente (siehe Tabelle) keinen zusätzlichen Nutzen gebracht. Eine stärkere Hemmung des RAAS-Systems als durch einen ACE-Hemmer mittels Sacubitril/Valsartan (3) oder die zusätzliche Cholesterinsenkung mittels Apolipoprotein A1 Infusion (4) zeigten keinen Vorteil. Der fehlende Nutzen des SGLT-2 Inhibitors Empagliflozin überrascht ebenfalls nicht. Hatte doch schon eine frühere Studie bei Patienten mit reduzierter Pumpfunktion mit Dapagliflozin (DAPA-MI) ebenfalls keinen Vorteil dieser Medikamente bei der unmittelbaren Nachbehandlung des Myokardinfarkts bezüglich Tod oder Herzinsuffizienz gebracht (5). Auch bei der DAPA-MI Studie war die Ereignisrate übrigens unerwartet tief, so dass die Investigatoren während der Studie den primären Endpunkt änderten und insgesamt sieben Endpunkte kombinierten. Dabei zeigte sich, wie zu erwarten, zwar eine Verbesserung der metabolischen Parameter, z.B. Abnahme des Körpergewichts, aber kein prognostischer Nutzen.

Deeskalation der Therapie

Angesichts der guten Resultate der Behandlung des akuten Myokardinfarktes, stellt sich viel mehr die Frage nach einer Deeskalation der medikamentösen Nachbehandlung bei gewissen Patientenpopulationen. Die Guidelines der europäischen Gesellschaft für Kardiologie 2023 tragen der sich abzeichnenden Evidenz bereits Rechnung (6). Bei Patienten mit erhaltener Pumpfunktion geben die Guidelines für Betablocker und ACE-Hemmer «nur» eine IIa Empfehlung ab, dh. diese Medikamente sollten in Erwägung gezogen, aber müssen nicht gegeben werden.

Bezüglich der Betablocker stellen sich drei wichtige Fragen: 1. Sollen sie überhaupt eingesetzt werden bei einer Auswurffraktion von >40 %, respektive >50 %? 2. Wenn Betablocker eingesetzt werden, wie lange sollen sie verabreicht werden? Können Betablocker bei fehlender Herzinsuffizienz nach einem Jahr gestoppt werden? Drei grosse laufende Studien (DANBLOCK, BETAMI, REBOOT) untersuchen die erste Frage und drei grosse Studien (SMART DECISION, AβYSS, ABBREVIATE) die anderen Fragen. Die Resultate dieser Studien werden in den nächsten 2-3 Jahren veröffentlicht werden (7). Sie sind wichtig, um Klarheit zu schaffen. Denn gegenwärtig besteht ohne Evidenz aus Studien die – wahrscheinlich berechtigte – Praxis bei erhaltener Auswurffraktion auf den Betablocker zu verzichten.

Ähnlich verhält es sich beim ACE-Hemmer nach Myokardinfarkt und erhaltener Auswurffraktion. Da der ACE-Hemmer das remodeling nach Myokardinfarkt unterstützt, wäre hier eine Klärung dringend. Leider sind gegenwärtig keine grossen Studien am Laufen. Dabei wäre eine Überprüfung der Validität von über 40-jährigen Studienresultaten nicht nur beim Myokardinfarkt dringend. Denn viele veraltete Evidenz fliesst weiterhin in die Guidelines ein. Die Behandlung vieler Krankheiten hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert und die ehemals etablierten, aber nun vielleicht überflüssigen Therapien, müssen hinterfragt werden.

Prof. Dr. med. Franz R. Eberli

Stadtspital Zürich Triemli
Klinik für Kardiologie
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

franz.eberli@triemli.zuerich.ch

1. Yndigegn T et al. New Engl J Med 2024;390:1372-81. DOI:10.1056/NEJMoa2401479
2. Butler J. et al. New Engl J Med 2024;390:1455-66. DOI:10.1056/NEJMoa2314051
3. Pfeffer MA. et al. New Engl J Med 2021;385:1845-55. DOI:10.1056/NEJMoa2104508
4. Gibson CM. et al. New Engl J Med 2024;390:1560-71. DOI:10.1056/NEJMoa2400969
5. James S. et al. NEJM Evid 2024;3(2) DOI:10.1056/EVIDoa2300286
6. Byrne RA. et al. Eur Heart J 2023;44:3720-3826. doi.org/10.1093/eurheartj/ehad191
7. Steg GP. New Engl J Med 2024;390:1434-36. DOI:10.1056/NEJMoa2402731

Klimawandel und kardiovaskuläre Gesundheit

Basierend auf einer Session mit vier sehr informativen Vorträgen an der diesjährigen 90. Jahrestagung der DGK in Mannheim und drei sehr guten Publikationen zu diesem hoch aktuellen Thema (1-3) möchten wir ein kurzes Summary wiedergeben; zusätzliche Themenerweiterungen aus verschiedenen aktuellen Quellen. Die Ziele des Pariser-Abkommens mit max. 1.5 Grad Klimaerwärmung sind bereits unrealistisch. Es hat sich gezeigt, dass extreme Hitzeereignisse die Sterblichkeit erhöhen, und übermässige Todesfälle aufgrund von Hitzewellen überwiegend kardiovaskulären Ursprungs sind. Luftverschmutzung, Lärm und urbanes Wohnen sind weitere wichtige und folgenschwere Risiken für die Gesundheit. Ein Hitzschlag bei Anstrengung tritt in der Regel bei jungen, aktiven Menschen auf; ein klassischer Hitzschlag, der mit Hitzewellen einhergeht, tritt häufiger bei älteren Menschen auf und kann epidemische Ausmasse annehmen. Kühlung und Flüssigkeitszufuhr sind die Schlüssel zur Behandlung; manchmal ist eine Intensivbehandlung erforderlich.

Based on a session with four very informative presentations at this year’s 90th Annual Conference of the DGK in Mannheim and three very good publications on this highly topical subject (1-3), we would like to provide a brief summary; additional topic extensions from various current sources. The Paris Agreement targets of 1.5 degrees of global warming are already unrealistic. It has been shown that extreme heat events increase mortality, and excess deaths due to heat waves are predominantly of cardiovascular origin. Air pollution, noise and urban living are other important and serious health risks. Exertional heatstroke, brought on by strenuous activity, is usually seen in young, active people; classic heatstroke, associated with heat waves, is more common in the elderly and may be epidemic. Cooling and fluids are keys to management; sometimes, intensive care is needed.
Key words: climate change, heatwave, air pollution, noise pollution, cardiovascular events, heat stroke

Hitzebelastung

Hitzeereignisse nehmen aufgrund weltweit steigender Temperaturen zu, sie werden sich auch über längere Zeiträume ausdehnen. Im Juni 2024 wurde in Saudi-Arabien anlässlich der Pilgerfahrt nach Mekka (Hadsch) in der Grossen Moschee max. 51.8 °C gemessen. Es kam laut der Agence France-Presse insgesamt zu mehr als 1300 Toten. In Athen stieg die Temperatur Mitte Juni auf 41 °C, nachts lag diese ≥30 °C. Weitere Hitzewellen werden folgen. Ohne diese betrug die Temperatur im gleichen Monat 35-36 °C. Eine weitere Gefahr sind dabei die möglichen Waldbrände und die Luftschadstoffbelastung. Auch in Nord-Indien wurden Temperaturen bis 50.8 °C registriert mit enormen sozioökonomischen Auswirkungen. Gefährlich sind auch die Hitzeglocken in Nordamerika.

Der neuste WMO-Bericht bestätigte, dass 2023 bisher das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen war, mit einer globalen durchschnittlichen oberflächennahen Temperatur von 1,45 °C (± 0,12  °C) über der vorindustriellen Basislinie. Es war die wärmste Zehnjahresperiode seit Beginn der Aufzeichnungen. Der CO₂-Gehalt ist um 50 % höher als in der vorindustriellen Zeit und speichert Wärme in der Atmosphäre. Die lange Lebensdauer von CO2 führt dazu, dass die Temperaturen noch viele Jahre weiter steigen werden. Es kam auch zu Rekorden bei der Meereshitze, beim Meeresspiegelanstieg, beim antarktischen Meereisverlust und beim Gletscherrückgang. Extreme Wetterbedingungen konnten beobachtet werden (4). Nach einem neuen Bericht des europäischen Klimawandeldiensts Copernicus, Ende April 2024, kam es 2023 in der Schweiz zu einem Anstieg der mittleren Temperatur von 2,6 °C verglichen mit der vorindustrialisierten Zeit. Extreme Wetterbedingungen: Stürme, grosse Waldbrände Dürren und Überschwemmungen sind vermehrt aufgetreten. Es fiel auch 7 % mehr Regen als im Durchschnitt. Diese Extremereignisse werden bis 2050 häufiger und intensiver. In der Schweiz wird die Temperatur um 4-5 °C ansteigen, die Winter werden wärmer und die Sommer trockener. 2022 und 2023 verloren die Gletscher in den Alpen rund 10 % ihres Volumens. Die bisherigen Klimaschutzmassnahmen greifen zu wenig, die verschiedenen Klima-Modelle waren zu optimistisch und das Handeln der Politik zu zögerlich. Der Ausstoss von fossilem CO2, die Treibhausgashauptquelle, muss gemäss Klimaforschern drastisch reduziert werden!

Die zunehmende Hitze am Äquator und z.B. in Indien geht einher mit dem Bevölkerungswachstum und der zunehmenden Verstädterung vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Aktuell leben zwei Drittel der Europäer in Städten, weltweit sind es bis zum Jahre 2050 75 %. Diese Ballungsräume verbrauchen die meiste Energie, verursachen die meisten Treibhausgase und verursachen eine signifikante Umweltverschmutzung. Diese städtischen Hitzeinseln speichern im Sommer am Nachmittag, in den Abendstunden und in der Nacht die Hitze: am Tag 3-5 °C, in der Nacht bis zu 10 °C. Die zunehmenden Tropennächte (≥20 °C) sind medizinisch besonders problematisch, mit deutlichem Anstieg des kardiovaskulären Risikos. Dies führt zu mehr Hospitalisationen, kardiovaskulären Komplikationen mit Strokes und Myokardinfarkten. Bis zum Jahr 2050 verändern viele Städte ihre mittlere Temperatur: so wird z.B. München wie Bologna, Paris wie Istanbul, London wie Barcelona mit einem mittleren Temperaturanstieg um jeweils 6 °C. Auch kommt es seit 1951 zu deutlich mehr Hitzetage/Jahr (≥30 °C: + 8,6) und deutlich weniger Eistage (≤0 °C: -13,6). Auf 1000 kardiovaskuläre Todesfälle entfielen 2 bzw. 9 zusätzliche Todesfälle auf extrem heisse bzw. kalte Tage (5). Frauen zeigen möglicherweise etwas stärkere Effekte. Nicht tödliche Myokardinfarkte haben 2001-2014 hitzeassoziiert vor allem bei zusätzlichen Komorbiditäten (Diabetes, Hyperlipidämie) im Augsburger Register zugenommen.

Die besonderen Hitzejahre 2003, 2015, 2018, 2022 und 2023 sind uns in Erinnerung. In Zukunft werden die Hitzeeffekte mit ihren negativen kardiovaskulären (cv) Auswirkungen stärker als die Kälteeffekte. Auch nehmen die Komorbiditäten und die Überalterung deutlich zu. Dies führt zu einer starken Zunahme der Hitze bedingten Mortalität bis Ende des Jahrhunderts. Wichtig ist auch der sozioökonomische Status. Die Menschen werden anfälliger für cv Ereignisse wie Myokardinfarkt oder Schlaganfall. Mehr als 4 % der Sommertodesfälle in Europa sind durch Hitze bedingt. Wenn die Temperatur in den Schweizer Städten von der 75. Perzentile auf die 99. Perzentile (geographische Lage) steigt, ist das cv relative Risiko
um 1.52, das pulmonale relative Risiko um 1.86 erhöht (www.exhaustion.eu).

Physiologie

Physiologisch kommt es durch die Hitze zu einer Vasodilatation und zum Schwitzen. Das Schwitzen und die Anhidrose sind sehr individuell. Bei nicht akklimatisierten Personen 1l Schweiss/h = 580 kcal Wärmeabgabe/h, bei akklimatisierten Personen 2-3l Schweiss/h = max. 1740 kcal/h durch Verdunstungswärmeverlust. Letzterer ist von vielen Parametern abhängig: Hautzustand, Schweissdrüsenfunktion, intravaskulärem Volumen, kardiovaskulärer Dysfunktion, Lungenfunktion, Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit – sofern diese ≤75 %,
Luftbewegung, Akklimatisation, Medikamente. Der Metabolismus, die Kerntemperatur und das Herzminutenvolumen sind erhöht; zusätzlich Vasodilatation und verminderter viszeraler Blutfluss.

Bei einer Dekompensation führt dies zu einer zentralen Hypovolämie mit einer Abnahme des Schlagvolumens, einem Anstieg der Herzfrequenz (bis 130-140/min) und der Inotropie mit einem erhöhten Sauerstoffbedarf des Herzens. Die Kerntemperatur steigt. Auch die Stresshormone sind erhöht. Ältere Menschen, chronisch kranke Patienten, Schwangere, Obdachlose, im Freien Arbeitende und sehr kleine Kinder können diese physiologischen Mechanismen auf die Hitze nicht vollziehen. Dies erhöht das Risiko für einen Hitzschlag (6). Gefährliche Vorerkrankungen in Kombination mit der Hitze sind: Herzkreislauferkrankungen, COPD, Diabetes Mellitus, CKD, Morbus Parkinson und Demenz, Psychische Erkrankungen, Adipositas per magna.

Hitzekrankheiten sind ein Kontinuum. Beginnend mit kutanen Veränderungen (gerötete überwärmte Haut = Vasodilatation, blasse kühlere Haut = vaskulärer Kollaps; Ödeme, Haut-Ausschlag), Hitzekrämpfen, Tetanie, Hitzesynkopen und Hitzeerschöpfung. Die schwerste Form ist der Hitzschlag mit einer Körpertemperatur ≥40 °C (je nach Massnahmen vor Diagnose) und einer neurologischen Dysfunktion mit: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und gestörtem Sensorium. Dabei besteht der Verdacht auf ein Hirnödem.

Man unterscheidet zwei Hitzschlagformen:
a) Exertional Heat Stroke (EHS) bei sportlichen gesunden Jugendlichen und älteren aktiven Menschen in der Hitze. Dieser tritt sporadisch in jeder Jahreszeit bei einer Anstrengung bei gesunden Personen auf. Durch die körperliche Aktivität wird eine exzessive Hitze produziert, welche dann die physiologischen Abwehrmassnahmen übersteuert. Anstrengende körperliche Aktivität kann die Wärmeproduktion um mehr als das 10-fache auf Werte über 1000 kcal/h erhöhen. In ähnlicher Weise können Fieber, Schüttelfrost, Zittern, Krämpfe, Thyreotoxikose, Sepsis, Sympathomimetika und viele andere Erkrankungen die Wärmeproduktion erhöhen und dadurch die Körpertemperatur erhöhen. Es bestehen folgende möglichen Komplikationen bei einem EHS: eine metabolische Azidose, Organdysfunktionen (Leber, Niere in 25-30 %, ZNS u.a.), starker CPK-Anstieg mit evtl. Rhabdomyolyse, disseminierte Gerinnungsstörung, Hypokalzämie und Hyperkaliämie. Die Risikofaktoren sind: Übermotivation, verminderte Fitness, zusätzlicher Infekt, fehlendes Schwitzen, Medikamente, evtl. Einnahme von Alkohol oder Drogen.

b) Non-Exertional Heat Stroke (NEHS) = klassischer Hitzschlag ohne Anstrengung bei den erwähnten älteren, multimorbiden Patienten und bei kleinen Kindern mit verminderter bis fehlender physiologischer Reaktion auf die Hitze. Der Mechanismus ist ein Ungleichgewicht zwischen Absorption der Umgebungshitze und einer schlechten Hitzeabgabe. Die beim EHS erwähnten Komplikationen sind deutlich weniger vorhanden resp. weniger ausgeprägt. Oft positive Medikamentenanamnese, respiratorische Alkalose, selten NI.

Die Risikofaktoren sind hohe Temperaturen am Tag und in der Nacht, soziale Faktoren, begleitende Erkrankungen und diverse Medikamente. Der NEHS kann bei Hitzewellen epidemische Ausmasse annehmen. Beide Hitzschlag-Formen können ein ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) entwickeln.

Auf zellulärer Ebene werden durch übermässige Hitze Proteine und Zellmembranen denaturiert. Es entsteht eine Entzündung durch Freisetzung von Zytokinen, Interleukin und den Hitzeschock-Proteinen. Phospholipide und Lipoproteine werden destabilisiert und verflüssigt (Membranlipide (Apoptose, Zelltod)), was zu kardiovaskulärem Kollaps, Multiorganversagen und letztendlich zum Tod führt (6-8).

Bei einem vorgeschädigten Herz sind die pathologischen Auswirkungen ein Mismatch von Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf. Dies führt zu einem Typ-2-Myokard-Infarkt und zu einer Herzinsuffizienz. Die gesteigerte Entzündung und Thrombogenität führen zur Plaque-Ruptur und zu einem Typ-1-Myokardinfarkt – hier ist die Evidenz noch nicht so klar. Multiorganschäden an Nieren und Darm sind durch eine Minderdurchblutung möglich.
Bei Atemwegserkrankungen sind die Hitze und eine zusätzliche Luftverschmutzung ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Morbidität und Mortalität (+14%) verbunden, insbesondere bei Hitzewellen. Exazerbationen von COPD durch Schleimhautentzündungen mit Bronchialobstruktion und reduzierter Schleimhaut-Durchblutung. Dosieraerosole haben einen hohen Treibhauseffekt mit deutlich höherem Schädigungspotenzial als CO2 (9-11).

Medikamente können durch vermehrte unerwünschte Wirkungen die Vulnerabilität bei Hitze erhöhen und so die Patienten gefährden. Betablocker können Vasodilatation und Schwitzen hemmen – dies beeinträchtigt den physiologischen Hitzemechanismus. Cave auch Anti­hypertensiva, ACE-Hemmer (vermindern Durstgefühl), Antianginosa, Diuretika, CCB, Anticholinergika, Abführ­mittel, Schilddrüsenpräparate, SSRI; transdermale Opioide und Insulin s.c. wirken durch die Vasodilatation stärker und schneller – cave Hypoglykämie (1, 5-8, 11) – vgl.: www.dosing.de, www.mhh.de/allpallmed/adapt-heat.

Im Ruhe-EKG findet man neben einer Tachykardie, Repolarisationsstörungen (DD: Ischämie) und Überleitungsstörungen (RSB, verlängertes QT).
Die genaue Temperatur, bei der ein kardiovaskulärer Kollaps auftritt, variiert von Person zu Person, da gleichzeitig bestehende Krankheiten, Medikamente und andere Faktoren zu Organfunktionsstörungen beitragen oder diese verzögern können. Bei Patienten mit Temperaturen von bis zu 46 °C wurde eine vollständige Genesung beobachtet, und bei Patienten mit viel niedrigeren Temperaturen trat der Tod ein. Temperaturen über 41,1 °C sind im Allgemeinen katastrophal und erfordern eine sofortige aggressive Therapie (Kühltherapie).

Ohne eine solche Therapie kommt es zu einem Multiorganversagen inkl. einer kardialen Dysfunktion. Die Mortalität beträgt, je nach Literatur, 10-20 %. (6,8).

Therapeutisch gibt es beim Hitzschlag die Möglichkeit einer Kaltwasser-Immersion (Eiswasser oder Eintauchen in kaltes Wasser). Die bevorzugte Methode bei EHS. Diese ist unangenehm, führt zu einer subcutanen Vasokonstriktion mit Zittern. Letzteres dann wieder zu einer internen Wärmeproduktion. Die Überwachung gestaltet sich schwierig. In 20-40 Min. kann die Kerntemperatur auf ≤39 °C gesenkt werden. Eine weitere Möglichkeit ist der erwähnte Verdunstungswärmeverlust bei verschiedenen beeinflussenden Parametern. Der Patient wird ohne Kleider regelmässig mit lauwarmem Wasser besprüht und neben dem Patienten hat es einen Ventilator. Evaporative und konvektive Kühlung kann durch die Anwendung von Ganzkörper-Eispackungen ergänzt werden. Wichtig ist auch der iv. Volumen und Elektrolytersatz (NaCL 0.9 %, Ringerlactat, Mischinfusion). Spezifische Massnahmen je nach obiger Pathophysiologie. Zur Abklärung gehört bei Verdacht auf ein beginnendes Hirnödem ein Schädel-CT. Bei Verdacht auf ein Multiorganversagen ad IPS und Hinzuzug von entsprechenden Fachärzten (Abb. 1) (7, 8).

Die Feuchtkugeltemperatur (Wet-Bulb Globe Temperature, WBGT) ist ein Mass für die Umweltwärme, wie sie auf den Menschen wirkt. Im Gegensatz zu einer einfachen Temperaturmessung berücksichtigt die WBGT alle vier wichtigen Umweltwärmefaktoren: Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Strahlungswärme (von Sonnenlicht oder Quellen wie Öfen) und Luftbewegung (Wind oder Belüftung). Sie wird von Industriehygienikern, Sportlern, Sportveranstaltungen und dem Militär verwendet, um angemessene Expositionswerte für hohe Temperaturen zu bestimmen. Es besteht ein geringes Risiko, wenn der WBGT weniger als 18 °C beträgt, ein mässiges Risiko, wenn er 18-23 °C beträgt, ein hohes Risiko bei 23-28 °C und ein sehr hohes Risiko, wenn er ≥28 °C beträgt (6).

Feinstaubbelastung

Das Gesundheitsrisiko wird zusätzlich durch eine Feinstaubbelastung mit gasförmigen Komponenten und chemischen Bestandteilen potenziert – je mehr Luftschadstoffe vorhanden sind, desto stärker wirkt die Hitze bei der Entstehung und Akutmanifestation von Herzkreislauferkrankungen. Weniger Regen führt zu mehr Feinstaub, ebenso Wüsten-/Sahara-Staub, Vulkanausbrüche, Waldbrände, Industrie, Überdüngung, Verkehr, Verbrennung von Öl und Gas u.a. Ultrafeinstaub (<0,1 µM) kann direkt ins Hirn gelangen mit Erhöhung des Blutdrucks. Grössere Partikel (<2,5 + <10 µM) gelangen über die Lunge ins Blut und in die Gefässe. Dies führt zu oxidativem Stress und einer Entzündung im Blut und in den Plaques, über die Jahre dann zu einer Atherosklerose und zu Lungen- und anderen Endorganschädigungen. Der Feinstaub kann in Gefäss-Plaques nachgewiesen werden. Ein akuter Anstieg der Luftverschmutzung kann zu Plaques-Rupturen mit Myokardinfarkten und Schlaganfällen führen. Lärm und Feinstaub verschlechtern die Endothelfunktion; beide zusammen sind extrem schlecht. Nach einer Studie beträgt der Lebenszeitverlust durch Feinstaub 2,9 Lebensjahre, mehr als das Rauchen. Weltweit kommt es zu ca. 12 Millionen Todesfällen pro Jahr. Sport bei hoher Luftverschmutzung und an Hauptverkehrsachsen ist wahrscheinlich schädlich. Gesichtsmasken sind bei hoher Feinstaubbelastung nur begrenzt wirksam. Luftfilter wirken möglicherweise protektiv. 99 % der Weltbevölkerung leben an Orten, wo der WHO-Grenzwert von <5 µg/m3 überschritten wird. Der EU-Grenzwert beträgt 25 µg/m3. Nach WHO sterben 7 Mio./Jahr am Feinstaub. Bei weniger Feinstaub steigt die Temperatur durch weniger Reflexion der Sonne mehr an (2, 3).

Lärmbelastung

Strassenverkehrslärm/Fluglärm/Eisenbahnlärm (>55 dB nach WHO) steigert ebenfalls signifikant das Risiko für ischämische Herzkrankheiten und ischämische Schlaganfälle. Auch kommt es zu mehr Herzinsuffizienz und VHFli. Dieser Lärm führt in Europa nach der EEA zu 900 000 Hypertonien, 43 000 Hospitalisationen, 6.5 Mio. mit Schlafstörungen und 22 Mio. Personen leiden an der hohen Lärmbelästigung. Der Nachtlärm ist besonders schädlich. Fast 150 Millionen Menschen sind in Europa einem solchen Lärmpegel täglich ausgesetzt. Dies führt in Europa zu einem jährlichen Verlust von 1,6 Mio. gesunden Lebensjahren. Ein Zusammenhang besteht auch mit den cv Risikofaktoren Adipositas, Diabetes und Hypertonie. Verkehrslärm ist als ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen wie CHK, Hypertonie, Arrythmien, Stroke und Herzinsuffizienz nachgewiesen – +3,2 %/10 dB. Nach der Luftverschmutzung zählt der Lärm zu den grössten Umweltrisiken für die Gesundheit in Europa. Schlafstörungen, Störung der zirkadianen Rhythmik, Stressreaktionen/Hormone aktivieren das limbische- (Amygdala) und autonome Nervensystem/Sympathikus ab 55 dB. Es kommt zu ähnlichen pathophysiologischen Veränderungen mit oxidativem Stress, endothelialer Dysfunktion, Entzündungsreaktion in den Gefässen und einer Vasokonstriktion. Die manifesten Endorganschäden, innerhalb von 5 Jahren, sind kardiovaskuläre, zerebrovaskuläre und metabolische Erkrankungen. Es kommt auch zu einer Beeinträchtigung von Kognition und Gedächtnis. Beim Fluglärm kommen noch die Abgase der Triebwerke (Schmieröl und weitere schädliche kleine Partikel) dazu, welche die Atherosklerose und die cv-Ereignisse wie z.B. ein akutes Koronarsyndrom fördern (2,3).

Massnahmen gegen den Klimawandel

Hitze

Neben dem Erreichen der gesteckten Klimaziele können durch eine gute Städteplanung mit einer Reduktion von Hitzeinseln durch Ausbau von Grünflächen mit vielen Bäumen (30 % der Städte: -0.4° C, ca. -36 % Hitzetote) das kardiovaskuläre Risiko und die Mortalität gesenkt werden (12). Begrünung von Fassaden von Hochhäusern und Verminderung von Asphaltflächen sind weitere Massnahmen. Lärm und Luftverschmutzung werden günstig beeinflusst, die körperliche Aktivität der Bewohner verbessert, ebenso die Lebensqualität, die mentale Gesundheit, der Schlaf und das Mikrobiom. In Athen gibt es seit 2021 eine Hitzebeauftragte. Städtebauliche Massnahmen, Errichtung vieler kleine Parks, ein alter Viadukt wird renoviert, um Wasser in die Stadt zu führen (Verdunstung) und mit einer speziellen App wird den Bewohnern jeweils der kürzeste und kühlste Fussweg in der Stadt empfohlen. Ein grosses Problem sind auch die vielen Klimaanlagen in fast jeder Wohnung (Stromverbrauch). Ältere Personen werden zu Hause versorgt, auch gibt es spezielle «Kühlräume» für diese Population. 1987 führte eine Hitzewelle ohne diese präventiven Massnahmen zu 600-900 Toten. Weitere Massnahmen beinhalten: Auf- und Wiederaufforstungen von Wäldern, Implementierung von diversen Frühwarnsystemen, unter anderem via SMS aufs Handy, und optimales und nachhaltiges Management/Programme zur Wassereinsparung und bauliche Sicherungen in den Bergen inkl. Lawinenschutz und an Gewässern (Hochwasserschutz). Öffentlichkeitskampagnen und rechtzeitige Informationsverbreitungen reduzieren die verschiedenen Risiken bei Hitzewellen und anderen Naturereignissen.

Schadstoffe, Lärm

Mit einer intelligenten Verkehrsführung (Kompaktmassnahmen mit kürzeren Transportwegen mit weniger Lärm und Schadstoffen, verkehrsfreien Zonen, rascher Erreichbarkeit zu Fuss, Fahrrad/ÖV innert 15 Min.), geringer nächtlicher Lärmbelastung und einer verminderten Lichtverschmutzung (Blaulicht stört zirkadiane Rhythmik) können die oben erwähnten Umweltbelastungen und ihre gesundheitlichen Folgen mit Todesfällen deutlich reduziert werden. Strategien und Massnahmen zur Lärmminderung (Lärmschutzwände, Fensterisolierung, spez. Strassenbeläge, Flüsterbremse für Züge, Bauisolationen, Verkehrsberuhigung, Nachtflugverbot, lärmreduzierende Reifen, E-Autos u.a.) gehören dazu (2).

Weitere Massnahmen

Gegen Überflutungen werden am Meer, an Flüssen und Seen bauliche Massnahmen getätigt: Erhöhung der Dämme, Renaturierungen u.a.. In den Niederlanden, welche teilweise unter dem Meeresspiegel liegen, gibt es ein spezielles Schutzsystem mit hohen Schleusen gegen die Sturmfluten der Nordsee. Zur Waldbrandverhinderung werden Waldpflege und Wald-Schneisen verwirklicht und das Wassermanagement optimiert. Die Flotte der Löschflugzeuge wurde z.B. ums Mittelmeer in einem Länderverbund aufgestockt und ihr Einsatz koordiniert. Wegen der Gletscherschmelze und dem Auftauen des Permafrosts braucht es spezielle Vorkehrungen und Frühwarnsysteme (Felsabbrüche, Murgänge). Die meteorologischen Dienste und -Kapazitäten inkl. Satellitenüberwachung wurden in den letzten Jahren deutlich ausgebaut mit Verbesserung der weltweiten Kommunikation. So können präventive Massnahmen bei entsprechenden Gefahren rasch eingeleitet werden.
Es ist wichtig, dass wir Ärzte eine aktive Rolle zu diesem lebenswichtigen Thema einnehmen. Eine Schärfung des Bewusstseins für die Herausforderungen und Probleme des Klimawandels und die medizinischen und kardiovaskulären Folgen von Hitze, Luftverschmutzung, Lärm und urbanem Lebensstil, hilft diese Risikosituationen zu erkennen und Gegenmassnahmen, auch mit Schulung der Pa-tienten, einzuleiten resp. zu unterstützen. Eine gute Aufklärung ist die beste Prävention.

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Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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2. Münzel Th. et al., Luftverschmutzung und Lärm, Einfluss auf bzw. Ursache bei Herzerkrankungen, Kardiologie 2024, 18: 127-134
3. Münzel Th. et al., Environmental risk factors and cardiovascular diseases: a comprehensive expert review, Cardiovascular Research 2022, 118: 2880–2902
4. WMO-Bericht 2023, Zustand des Weltklimas 2023 (wmo.int)
5. Alahmad B. et al., Associations Between Extreme Temperatures and Cardiovascular Cause-Specific Mortality: Results From 27 Countries, Circulation 2023,147:35–46. DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.122.061832
6. Helman R.S. et al., Clinical practice guidelines for the prevention and treatment of heat illness (WMS, 2024), Medscape 18.6.2024, und Medscape 20.7.2022, Heatstroke
7. Lipman G.S. et al., Wilderness Medical Society Clinical Practice Guidelines for the Prevention and Treatment of Heat Illness: 2019 Update, Wilderness + Environmental Medicine 2019: 30 (4S): 33-46
8. Epstein Y. et al, Heatstroke, N Engl J Med 2019;380:2449-2459
9. Witt C. et al., Der ambulante pneumologische Patient in Zeiten zunehmender globaler Erwärmung, Z Pneumologie 2023,20:144–151 https://doi.org/10.1007/s10405-023-00502-3
10. Matthies-Wiesler F. et al., Auswirkungen von hohen Aussentemperaturen und Hitzewellen auf Lungenerkrankungen, Z Pneumologie 2023, 20:133–143 https://doi.org/10.1007/s10405-023-00500-5
11. Nohl-Deryk P. et al., Gesundheitliche Probleme in Hitzeperioden: Was Sie wissen sollten, MMW Fortschr Med. 2024, 166 (11): 38-40
12. Lungman T. et al, Cooling cities through urban green infrastructure: an assessment of the health impact of European cities, Lancet 2023, 401, 577-589. doi: 10.1016/S0140-6736(22)02585-5. Epub 31. Januar 2023

Wie wirksam ist Chondroitin bei Arthrose?

Die Arthrose ist eine häufige und invalidisierende Erkrankung bei älteren Menschen. Ihre Behandlung beruht hauptsächlich auf hygienisch-diätetischen und nicht-pharmakologischen Massnahmen, wobei nur wenige Therapieoptionen bei dieser Bevölkerungsgruppe eine günstige Risiko-Nutzen-Bilanz zeigen. Chondroitin ist ein langsam wirkendes Antiarthrotikum, das häufig zur symptomatischen Behandlung von Osteoarthritis eingesetzt wird. Die Wirksamkeit dieses Wirkstoffs ist umstritten. Es besteht jedoch ein möglicher Nutzen in Bezug auf die Verringerung der Arthroseschmerzen und die Verbesserung der Lebensqualität, der von Fall zu Fall beurteilt werden muss.

Osteoarthritis is a frequent and disabling condition in the elderly. Its management relies mainly on dietary hygiene and non-pharmacological measures, and few therapeutic options have a favourable risk/benefit balance in this population. Chondroitin is a slow-acting anti-arthrosic widely used in the symptomatic treatment of osteoarthritis. The efficacy of this substance is controversial, although there may be a benefit in terms of reducing osteoarthritis pain and improving quality of life, which needs to be assessed on a case-by-case basis.
Key words: arthrose, chondroïtine, traitement symptomatique, douleurs

Arthrose bei älteren Menschen

Arthrose ist eine degenerative Erkrankung der Gelenke, die Schmerzen, Schwellungen und Steifheit verursacht und die Fähigkeit einer Person, sich frei zu bewegen, beeinträchtigt. Sie tritt am häufigsten in den Knien, Hüften, der Wirbelsäule und den Händen auf. Viele Faktoren können zur Entwicklung von Osteoarthritis beitragen, darunter eine Vorgeschichte von Gelenkverletzungen oder eine Überbeanspruchung der Gelenke, fortgeschrittenes Alter und Übergewicht. Besonders ältere Menschen sind von der Krankheit betroffen und Frauen mehr als Männer; im Jahr 2019 lebten weltweit etwa 528 Millionen Menschen mit Arthrose, eine Zahl, die im Vergleich zu 1990 um 113 % gestiegen ist (1–2). Es wird erwartet, dass die Prävalenz dieser chronischen Krankheit aufgrund der alternden Bevölkerung, der Zunahme von Fettleibigkeit und Traumata weiter ansteigt.

Arthrose ist eine schwer zu behandelnde Krankheit und es gibt nur sehr wenige wirksame und sichere Behandlungsmöglichkeiten. Dazu gehören nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), von denen bei älteren Menschen abgeraten wird, Paracetamol, das bei schwerer Arthrose wenig wirksam ist und das Risiko einer Lebertoxizität birgt, und Opiate, die manchmal zur Behandlung von schwerer Arthrose eingesetzt werden und bei dieser Bevölkerungsgruppe ein ausgeprägtes iatrogenes Risiko bergen. Chondroitin (Chondroitinsulfat), das als Mittel zur Verringerung von Gelenkschmerzen und Funktionseinschränkungen angepriesen wird, ist in dieser Indikation weit verbreitet und es sind zahlreiche Produkte auf dem Markt erhältlich. Doch was sind die Vorteile und Risiken dieses Wirkstoffs?

Chondroitin: einige pharmakologische Aspekte

Chondroitin ist ein Mucopolysaccharid, ein gereinigter Extrakt aus Knorpelgewebe tierischen Ursprungs. Es kommt natürlicherweise in allen Binde- und Knorpelgeweben unseres Körpers vor und sorgt dort unter anderem für deren Struktur und Elastizität in Verbindung mit seiner ausgeprägten Fähigkeit, Wasser zu binden. Chondroitin gehört zur Klasse der langsam wirkenden symptomatischen Antiarthrotika (AASAL), zu der auch Glucosamine, Diace­rhein und Unverseifbare (aus Avocado oder Soja) gehören. Chondroitin ist auf ärztliche Verschreibung als OTC-Präparat und als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. In der Schweiz ist es in der Spezialitätenliste aufgeführt und wird von der Grundversicherung erstattet.

Die Wirkung von Chondroitin bei osteoartikulären Erkrankungen wird auf seine Aktivität zurückgeführt, die die Synthese von entzündungsfördernden Verbindungen und Prostaglandinen hemmt und die Proteoglykansynthese stimuliert. Darüber hinaus legen In-vitro-Studien eine Verringerung der katabolen Aktivität der Chondrozyten und der Synthese proteolytischer Enzyme nahe, die die Knorpelmatrix schädigen und zum Absterben der Chondrozyten führen können. Auch spielt es eine Rolle bei der Bildung neuer Knochen, Knorpel und Sehnen und erhält die strukturelle Integrität des Gewebes (3).

Aus pharmakokinetischer Sicht wird Chondroitin mit einer Bioverfügbarkeit von 10–20 % absorbiert. Es wird nicht durch Cytochrome P450 metabolisiert, sondern in der Leber schnell zu Mono-, Oligo- und Polysacchariden hydrolysiert, was das Risiko von Arzneimittelwechselwirkungen verringert. Es reichert sich im Gelenkgewebe an, wobei ein Gleichgewichtszustand nach 3–4 Tagen erreicht wird. Der Wirkungseintritt ist verzögert und beginnt nach einem Monat, der sich nach 2 Monaten bestätigt. Es dauert etwa 3–6 Monate, bis die maximale Wirkung erreicht ist. Chondroitin hat eine remanente Wirkung, die bis zu 2 Monate nach Absetzen der Behandlung anhält, wenn es mindestens zwei aufeinanderfolgende Halbmonate lang eingenommen wurde (3–4).

Chondroitin ist gut verträglich und scheint keine grösseren Sicherheitsbedenken zu haben. Eine kürzlich durch­geführte Infovigilanz des Nutrivigilanz-Systems der französischen Behörde für Lebensmittelsicherheit hat jedoch auf ein Risiko hingewiesen, das mit dem Verzehr von Produkten, die Chondroitin und/oder Glucosamin enthalten, verbunden ist. Die wichtigsten gemeldeten Nebenwirkungen waren gastroenterologische, hämatologische (thrombozytopenische Purpura und INR-Störung), hepatische und dermatologische Nebenwirkungen (5). Nebenwirkungen gastrointestinaler Art können reduziert werden, wenn das Medikament während einer Mahlzeit eingenommen wird. Zu beachten sind seltene Fälle von Ödemen und/oder Flüssigkeitsretention bei Patienten mit Nieren- und Herzinsuffizienz.

Welche Evidenz für die Wirksamkeit?

In zahlreichen Untersuchungen wurde die Wirksamkeit von Glucosamin und Chondroitin einzeln oder zusammen bei der Schmerzlinderung und der Verbesserung der Gelenkfunktion bewertet, wobei die Ergebnisse widersprüchlich waren. Die Empfehlungen der Osteoarthritis Research Society International (OARSI) weisen auf einen unklaren Nutzen bei der Schmerzlinderung von Kniearthrose hin, ohne dass die Krankheit beeinflusst wird (6). Ein von der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie veröffentlichter Expertenbericht rechtfertigt die Verwendung von Chondroitin und/oder Glucosamin, wenn es keine medikamentöse Alternative mit einem besseren Nutzen-Risiko-Verhältnis gibt (7).

Eine grosse Metaanalyse zur Bewertung der Wirksamkeit von Chondroitin bei Osteoarthrose (überwiegend Gonarthrose, seltener Coxarthrose und Handarthrose) berichtet über einen möglichen Nutzen dieses Moleküls auf der Grundlage von 4962 Teilnehmern, die mit Chondroitin behandelt wurden, gegenüber 4148 Teilnehmern, die mit Placebo oder anderen aktiven Vergleichsmitteln (nicht-steroidale Antirheumatika, Analgetika, Opioiden, Glucosamin oder anderen Kräuterarzneimitteln) über einen Zeitraum von 1 Monat bis 3 Jahren (8). Die Endpunkte waren Schmerzen, Steifheit und körperliche Funktion (numerische/visuelle Analogskala oder WOMAC (The Western Ontario and McMaster Universities Arthritis Index)), der Lequesne Algo-Functional Index (Index für Schmerzen, körperliche Funktion und Lebensqualität) und die Verringerung der minimalen Breite des Gelenkspalts (Röntgenaufnahme).

Die Ergebnisse dieser Metaanalyse legen nahe, dass die Schmerzen bei Patienten, die bis zu 6 Monate lang mit Chondroitin behandelt wurden, um 10 % (95 % Konfidenzintervall (95 % KI) 15 % bis 6 %) geringer waren als bei der Vergleichsgruppe mit einer erforderlichen Behandlungszahl von 5 (95 % KI 3 bis 8). In den Studien, die auf >6 Monaten Behandlungsdauer beruhten, war der Unterschied nicht signifikant (9 % 95 % KI 18 % bis 0 %). Auf der Grundlage der WOMAC-Skala wurde eine 20-prozentige Verringerung der Knieschmerzen bei 53 % der Patienten in der Chondroitin-Gruppe gegenüber 47 % in der Placebo-Gruppe erreicht, was einem Unterschied im absoluten Risiko von 6 % (95 % KI 1 % bis 11 %) entspricht. Basierend auf dem zusammengesetzten Lequesne-Endpunkt bei Patienten, die bis zu 6 Monate lang behandelt wurden, betrug der Unterschied im absoluten Risiko 8 % (95 %-KI 12 % bis 5 %). Es wurden keine statistisch signifikanten Unterschiede bei der Funktionalität und den meisten anderen klinischen und radiografischen Messwerten beobachtet. Diese Metaanalyse berichtete keine statistisch signifikanten Unterschiede in der Anzahl der unerwünschten Ereignisse, der Abbrüche aufgrund von unerwünschten Ereignissen im Vergleich zu Placebo oder einer aktiven Kontrolle. Bemerkenswert ist jedoch, dass die schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse in der Chondroitingruppe geringer waren als in den Gruppen der Vergleichspräparate.

Im Jahr 2018 bestätigten die Ergebnisse einer weiteren Metaanalyse zur Bewertung der Wirksamkeit von Chondroitin vs. Placebo, allein oder in Kombination, bei symptomatischer Osteoarthritis des Knies bei Patienten, die mindestens einen Monat lang behandelt wurden, eine Verringerung der Schmerzen um 7.1 % (95 % KI 11 % bis 3.42 %), ohne signifikanten Unterschied beim WOMAC-Index (–1.40 %; 95 % KI –4.5 % bis 1.71 %)(9).
Zusammenfassend deuten die Studien auf eine leichte kurzfristige (< 6 Monate) Schmerzlinderung durch die Einnahme von Chondroitin allein oder in Kombination mit anderen Medikamenten sowie auf eine mögliche leichte Verbesserung der Lebensqualität hin, wobei jedoch das niedrige Beweisniveau, das hohe Risiko von Verzerrungen und die starke Heterogenität der Studien zu berücksichtigen sind. Der therapeutische Nutzen von Chondroitin könnte in der Substitution von NSAR liegen, wodurch die chronische Anwendung von NSAR und die damit verbundenen Komplikationen bei älteren Patienten vermieden werden könnten, ohne dass dieser Nutzen jedoch durch Evidenz belegt wäre.

Umfassende Behandlung von Osteoarthritis

Die Behandlung der Osteoarthritis beruht in erster Linie auf hygienisch-diätetischen Massnahmen, die Gewichtsverlust, Übungsprogramme zur Schmerzlinderung und ­Steigerung der funktionellen Fähigkeiten, Krankengymnastik, das Tragen von Orthesen und die Verwendung von Gehstöcken umfassen. Obwohl die Wirksamkeit von Chondroitin nach den Kriterien der «evidenced-based medicine» umstritten ist, könnte bei einigen Patienten ein funktioneller und schmerzlindernder Nutzen wahrgenommen werden. Da die therapeutische Wirkung nach 1–2 Monaten Behandlung eintritt, sollte Chondroitin in langen Kuren von 2–6 Monaten verschrieben werden, um die Wirksamkeit zu maximieren, und abgesetzt werden, wenn innerhalb von 6 Monaten keine symptomatische Besserung erkennbar ist (10).

Copyright Aerzteverlag medinfo AG
Zweitabdruck aus «la gazette médicale» 02-2024

Prof. Dr. pharm.Chantal Csajka

Centre de Recherche et d’ Innovation en Sciences Pharmaceutiques
cliniques Centre Hospitalier Universitaire et Université de Lausanne
Suisse Rue du Bugnon 19
1011 Lausanne

Chantal.Csajka@chuv.ch

dipl. pharm. Sophia Hannou

Centre Hospitalier Universitaire
et Université de Lausanne
Suisse Rue du Bugnon 19
1011 Lausanne

Prof. Dr. med. Patrizia D’Amelio

Service de gériatrie et réadaptation gériatrique CHUV
Ch. De Mont-Paisible 16
1011 Lausanne

Die Autorinnen haben keine Interessens­konflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Arthrose ist eine häufige und behindernde Erkrankung bei ­älteren Patienten und es gibt nur sehr wenige wirksame und sichere Behandlungsmöglichkeiten.
◆ Der klinische Nutzen von Chondroitin bei Osteoarthritis, das allein oder in Kombination mit Glucosamin eingesetzt wird, ist nach wie vor umstritten, mit einer geringen Wirkung haupt­sächlich auf die Schmerzen.
◆ Der Nutzen der Behandlung zeigt sich nach 2 Monaten und eine Neubewertung der Risiko-Nutzen-Bilanz nach 6 Monaten ist erforderlich, um eine unnötige Fortsetzung der Behandlung zu vermeiden.
◆ Die Einsparung von nicht-steroidalen Entzündungshemmern ist in der Praxis nicht belegt.

1. GBD 2019 Diseases and Injuries Collaborators. Global burden of 369 diseases and injuries in 204 countries and territories, 1990-2019: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2019. Lancet. 2020 Oct 17;396(10258):1204-1222.
2. Long H, Liu Q, Yin H, Diao N, Zhang Y, Lin J et al. Prevalence trends of site-specific osteoarthritis from 1990 to 2019: Findings from the global burden of disease study 2019. Arthritis Rheumatol 2022; 74(7): 1172-1183.
3. Henrotin Y, Mathy M, Sanchez C, Lambert C: Chondroitin sulfate in the treatment of osteoarthritis: from in vitro studies to clinical recommendations. Ther Adv Musculoskelet Dis. 2010 Dec;2(6):335-48.
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5. Vidal. Compléments alimentaires à visée articulaire : la glucosamine et la chondroïtine sulfate potentiellement à risquehttps://www.vidal.fr/actualites/23171-complements-alimentaires-a-visee-articulaire-la-glucosamine-et-la-chondroitine-sulfate-potentiellement-a-risque.html [cité le 28.02.2024].
6. McAlindon T, Bannuru R, Sullivan M, Arden N, Berenbaum F, Bierma-Zeinstra S, Hawker Henrotin, G, Hunter D, Kawaguchi H, Kwoh K, Lohmander S, Rannou F Roos E, Underwood M. OARSI guidelines for the non-surgical management of knee Osteoarthritis. Osteoarthritis and Cartilage 22 (2014) 363e388
7. Société Suisse de Rhumatologie. https://www.rheuma-net.ch/fr/informations-d-experts [cité le 28.02.2024]
8. Singh JA, Noorbaloochi S, MacDonald R, Maxwell LJ. Chondroitin for osteoarthritis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015 Jan 28;1(1):CD005614.
9. Simental-Mendía M, Sánchez-García A, Vilchez-Cavazos F, Acosta-Olivo C, Pena-Martinez V, Simental-Mendia L. Effect of glucosamine and chondroitin sulfate in symptomatic knee steoarthritis: a systematic review and meta-analysis of randomized placebo-controlled trials. Rheumatol Int 38, 1413–1428 (2018).
10. Romain Thieubau. Proposition d’outils à l’attention du pharmacien d’officine dans le cadre de la prise en charge des douleurs arthrosiques du sujet âgé. Sciences pharmaceutiques. 2021. dumas-03329132

Antibiotika-Resistenz und neue Antibiotika

Die auf übermässigen und unsachgemässen Einsatz von Antibiotika zurückzuführenden Probleme mit Antibiotika-Resistenzen stellen eine wachsende Bedrohung für die globale Gesundheit dar. Prof. Dr. med. Nina Khanna vom Universitätsspital Basel betonte auf dem SGAIM-Frühjahrskongress die Dringlichkeit eines rationalen Antibiotikaeinsatzes und die Entwicklung neuer Medikamente. Die WHO klassifiziert Antibiotika in die Gruppen Access, Watch und Reserve ein, um deren angemessene Nutzung zu fördern. Multiresistente Erreger wie Carbapenemase-produzierende Bakterien erfordern innovative Lösungen, da die aktuellen therapeutischen Optionen zunehmend versagen​.

Prof. Nina Khanna, Chefärztin Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene Universitätsspital Basel, den Fall eines 84-jährigen Patienten, der von einer geriatrischen Klinik in Basel wegen eines septischen Schocks eingeliefert wurde. Er war empirisch mit Piperacillin/Tazobactam behandelt worden, ohne dass eine Besserung eintrat. In der Blutkultur wurden Carbapenemase und ESBL nachgewiesen. Im Antibiogramm erwiesen sich sämtliche Medikamente als resistent. Man entschied sich für eine palliative Therapie und der Patient starb innerhalb von 4 Stunden.

Prof Dr. Nina Khanna Chefärztin Klinik für Infektiologie und ­Spitalhygiene Universitätsspital Basel

Carbepenemase-produzierende Bakterien

Die Referentin zitierte eine Studie zur Epidemiologie von Patienten mit Carbapenemase-produzierenden Bakterien im Vergleich mit Patienten, bei denen Beta-Lactamase-produzierende Enterobacteriaceae mit erweitertem Spektrum nachgewiesen wurden. Die Studie zeigte, dass Carbapenemase-produzierende Bakterien (CPB) zwar immer noch hauptsächlich aus Gebieten mit höherer Endemie eingeschleppt werden, jedoch vermehrt Fälle einer Ansteckung mit lokal kursierenden CPB-Stämmen bei Patienten mit engem und/oder häufigem Kontakt mit Gesundheitsdiensten auftreten. Dieser Trend ähnelt der Epidemiologie von Extended-Spectrum Beta-Lactamase (ESBL) K. pneumoniae-Stämmen, die hauptsächlich durch Übertragung im Gesundheitswesen unterstützt wird (Vock I et al. Epidemiology of patients harboring carbapenemase-producing bacteria and comparison with patients with detection of extended-spectrum beta-lactamase-producing Enterobacterales-A retrospective cohort study. Infect Control Hosp Epidemiol 2023 Dec;44(12):1959-1965).

Globale Last bakterieller Resistenz

Gemäss einer in Lancet publizierten Übersichtsstudie (Antimicrobial Resistance Collaborators Lancet 2022; 399: 629–55) ist die Antimikrobielle Resistenz (AMR) eine der häufigsten Todesursachen auf der ganzen Welt, mit den höchsten Belastungen in ressourcenarmen Umgebungen. Das Verständnis der Belastung durch AMR und der mutmasslich hier hauptverantwortlichen Erreger-Arzneimittel-Kombinationen ist entscheidend, um fundierte und standortspezifische politische Entscheidungen zu treffen, insbesondere in Bezug auf Programme zur Antibiotikakontrolle. In vielen einkommensschwachen Gebieten gibt es gravierende Datenlücken bei der Erfassung von Antibiotika-Resistenzen, was die Notwendigkeit unterstreicht, die mikrobiologischen Laborkapazitäten und Datenerfassungssysteme zu erweitern, um das Verständnis für diese wichtige Bedrohung für die menschliche Gesundheit zu verbessern.

WHO AWaRe-Klassifizierung

Antibiotika wurden von der WHO in 3 Gruppen kategorisiert: Access, Watch und Reserve, unter Berücksichtigung der Asuwrikungem verschiedener Antibiotika und Antibiotikaklassen auf die Antibiotikaresistenz, um die Bedeutung ihrer angemessenen Verwendung hervorzuheben.

Zu Access gehören Cefiderocol, Ceftalzidim-Avibactam, Fosfomycin, Colistin. Linezolid. Dies sind die letzten Möglichkeiten zur Bekämpfung multiresistenter Erreger.

zu Watch Azithromycin, Clarithromycin, Ceftriaxon, Piperacillin Tazobactam, Meropene, Ciprofloxazin, zu Reserve Amoxicillin, Co-Amoxicillin, Penicillin, ­Doxycyclin, Cefazolin, Amikacin. Watch und Reserve sind oft erste oder zweite Wahl bei häufigen Infektsyndromen.

Gefordert ist ein rationaler und verantwortungsvoller Einsatz von Antibiotika mit dem Ziel Patienten auf die bestmögliche Art zu behandeln und gleichzeitig in Bakterien vorkommende Selektionsprozesse und Resistenz zu verhindern.

Schritt 1: Sind Antibiotika indiziert? Infektionen, die primär keine Antibiotika-Therapie erfordern:
– Otitis media
– Harnwegsinfektionen
– Verdacht auf Harnwegsinfekionen ist einer der häufigsten Gründe für Antibiotikaverschreibungen im Spital. Falsches Antibiotikum, falsche > Person (asymptomatische Bakteriurie), falsche Dauer.
Rationaler und verantwortungsvoller Einsatz – wenn Antibiotika indiziert sind, dann
RICHTIG:
Medikament so wenig wie möglich, Dosierung, Gabe von i.v. zu p.o. wenn immer möglich), Dauer (so kurz wie möglich).

MDR-Pathogene und neue Medikamente

Enterobacteriaceae – die wichtigsten ss-Lactame

– Antibiotika-Resistenzen sind weltweit auf dem Vormarsch
– Die Verhinderung und Bekämpfung von Erregern mit Multiresistenz (MDR) erfordert einen multifaktoriellen Ansatz
– Bedeutung der Antibiotika-Stewardship
– Fortschritte in der Antibiotika-Pipeline seit 2017, aber Schwierigkeiten bei der Entdeckung neuartiger antibakterieller Wirkstoffe mit selektiver Aktivität, gegen MDR-Bakterien, die nicht toxisch sind und geeignete pharmakokinetische und pharmakdynamische Eigenschaften aufweisen, insbesondere mit neuen Wirkmechanismen
– Derzeitiger ungedekcter medizinischer Bedarf an neuen Medikamenten zur Behandlung von arzneimittelresistentenm A. baumannii- (z. B. CRAB) und P. aeruginosa (z. B. CRPA)-Infektionen
– Entwicklung effizienter Entwicklungswege für nicht traditionelle antibakterielle Kandidaten durch die Herstellungs-, klinischen Versuchs- und Zulassungsverfahren
– Schwierigkeiten beim optimalen Studiendesign und bei der Auswahl der relevanten Zielpopulationen

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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